Die Erklärung von Verhalten ist nicht nur ein definierendes Merkmal der Psychologie als Wissenschaft, sondern auch ein wesentliches Merkmal wissenschaftlicher Kompetenz im Fach Psychologie (Dietrich et al., 2015). Wissenschaftliche Erklärungen beantworten unter Rückgriff auf eine psychologische Theorie die Frage, warum ein bestimmter Sachverhalt, z.B. kognitive Dissonanz nach einer Entscheidung, aufgetreten ist, indem die Bedingungen angegeben werden, die zu dessen Auftreten geführt haben (Bierhoff & Petermann, 2014; Ohlsson, 2010). In diesem Sinn kann eine Erklärung als die Anwendung einer psychologischen Theorie auf eine Situation im Sinne einer Ausarbeitung dessen, was die Theorie implizit oder explizit über diese Situation aussagt, verstanden werden (Ohlsson, 1992; Wagner et al., 2014). Die inhaltliche Vermittlung psychologischer Theorien steht zu Beginn des Psychologiestudiums im Mittelpunkt (vgl. Birke et al., 2016). Problematisch hierbei ist, dass Wissen über Theorien nicht hinreichend für deren Anwendung auf eine konkrete Situation ist. Theorien enthalten kausale Aussagen über einen gegebenen Inhaltsbereich, allerdings keine Aussagen, wie sich die abstrakten Elemente einer Theorie in einer konkreten Situation darstellen können (Ohlsson, 1992). Daher liegt es nahe, die Anwendung psychologischer Theorien gesondert zu fördern. Vor diesem Hintergrund wurde eine integrierte Lernumgebung (Reinmann & Mandl, 2006) zur Förderung der Erklärungskompetenz Psychologiestudierender entworfen. Im ersten, instruktionsorientierten Teil der Lernumgebung wurde den Probanden deklaratives Wissen über Inhalte und Struktur wissenschaftlicher Erklärungen sowie Wissen über die Kriterien, was eine gute Erklärung auszeichnet (Bierhoff & Petermann, 2013; Westermann, 2000), vermittelt. Im zweiten, problemorientierten Teil wurde die Erstellung einer Erklärung anhand zweier beispielhafter Situationen und einer vorgegebenen psychologischen Theorie (Theorie der kognitiven Dissonanz bzw. Leistungsmotivationstheorie) dargestellt. In beiden Teilen wurden die Probanden durch Elaborationsprompts instruktional unterstützt. An der Studie nahmen 46 Psychologiestudierende teil (MAlter=21.5 [sd=2.63]; 12 männlich; NEG=30; NKG=16). In einem Pre-Post-Test-Design wurden deklaratives Wissen über Erklärungen (deklaratives Erklärungswissen) sowie die Kompetenz zur Erstellung einer eigenen Erklärung (angewandtes Erklärungswissen) erfasst, wobei Pre- und Posttest identisch waren. Deklaratives Erklärungswissen wurde mittels eines MC-Tests erfasst (max. 12 Punkte). Angewandtes Erklärungswissen wurde mittels der Vorgabe einer Situationsbeschreibung erhoben, die mithilfe vorgegebener Theorien erklärt werden musste. Kodiert wurde anschließend, ob die erstellte Erklärung die in der Lernumgebung vermittelten Merkmale einer wissenschaftlichen Erklärung erfüllt (max. 23 Punkte). Hinsichtlich des deklarativen Erklärungswissens ergab eine ANOVA mit Messwiederholung einen signifikanten Effekt des Messzeitpunktes (F[1,44]=68.97, p<.001, ηp2=.61), einen signifikanten Effekt der Lernumgebung (F[1,44]=11.81, p=.002, ηp2=.20) sowie einen signifikanten Interaktionseffekt (F[1,44]=51.17, p<.001, ηp2=.54.), der auf einen Wissenszuwachs der EG beim deklarativen Erklärungswissen zurückzuführen ist. Zum Vortest gab es keine Unterschied zwischen EG und KG im deklarativen Erklärungswissen (t[44]=-0.92, n.s, MEG=3.10 [sd=2.39], MKG=3.75 [sd=2.08]), während sich im Nachtest ein hochsignifikanter Effekt zeigte (t[44]=8.62, p<.001, d=2.67, MEG=8.13 [sd=1.61], MKG=4.12 [sd=1.26]). Ein ähnliches Bild ergab sich beim angewandten Erklärungswissen. Eine ANOVA mit Messwiederholung ergab einen signifikanten Effekt des Messzeitpunktes (F[1,44]=7.52, p=.009, ηp2=.15), einen signifikanten Effekt der Lernumgebung (F[1,44]=6.18, p=.017, ηp2=.12) und ebenso einen signifikanten Interaktionseffekt (F[1,44]=9.75, p=.003, ηp2=.18) der auf einen Wissenszuwachs in der EG zurückzuführen ist. Im Vortest gab es keinen signifikanten Unterschied der Gruppen (t[44]=0.42, n.s, MEG=4.17 [sd=2.02], MKG=3.88 [sd=2.58]), während sich Experimental und Kontrollgruppe im Nachtest signifikant unterschieden (t[44]=3.22, p=.002, d=0.99 MEG=7.07 [sd=3.56], MKG=3.69 [sd=3.07]). Die vorliegenden Befunde sprechen somit für die Lernwirksamkeit der Lernumgebung. Sowohl deklaratives als auch angewandtes Erklärungswissen konnte gefördert werden. Allerdings zeigt der im Sinne der Effektstärke zwar starke, aber absolut betrachtet kleine Effekt beim angewandten Erklärungswissen, dass zusätzliche instruktionale Maßnahmen in die Lernumgebung integriert werden müssen. Im Sinne des Cognitve-Apprenticeship-Ansatzes (Collins et al., 1989) könnte die Lernumgebung um eine coaching Phase ergänzt werden, in der die Erstellung eigener Erklärungen systematisch eingeübt wird. Zudem bleibt offen, inwieweit ein Transfer auf eine andere Situation bzw. andere psychologische Theorien erfolgt und wie stabil und nachhaltig die erzielten Lernerfolge sind.