January 2005
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Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte ›Capriccio‹ ebensowenig wie ›Etüde‹, ›Romanze‹, ›Partita‹ u. ä. einen Platz unter den ästhetischen Grundbegriffen beanspruchen können; denn bis dahin war es als ästhetischer Begriff fast nur mehr in der Musik zur Bezeichnung einer Werkart von problematischem Gattungscharakter aktuell, aus dem allgemeinen Begriffsgebrauch der Ästhetik aber nach dem 18. Jh. so gut wie verschwunden. Nur noch in der Verbindung mit dem deutschen Äquivalent ›Laune‹ bzw. mit dem Begriff ›Humor‹ führte es ein peripheres Dasein. Neuerdings jedoch wurde es von der kunst-, musik- und literaturgeschichtlichen Forschung aus dem geschichtlichen Abseits hervorgezogen und reaktualisiert. Sie erkannte in ihm ein »Kunstprinzip«, das die zentralen künstlerischen Tendenzen der Moderne in sich faßte, und konstatierte, daß sein begriffsgeschichtliches Abtauchen sich »in dem Maße« vollzieht, »in dem es in der ›modernen Kunst‹ zu einem universalen Sprachmittel wird«. ›Capriccio‹ lebt, verteilt wie Homunkulus im Meer, allgegenwärtig in der modernen Kunst fort: »Alle formalen und inhaltlichen Lizenzen, mit denen die Moderne seit mehr als zwei Jahrhunderten ihre Gegen-den-Strich-Ästhetik ausstattet, stammen aus dem Zeichen- und Rezeptionsangebot des Capriccio«1.