January 1994
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Mit dem Begriff des Modernismus in der europäischen Literatur verbinden sich Konzeptionen wie beispielsweise: experimentelles Schreiben; potenzierte Selbstreflektiertheit der Kunst; anti-traditionalistische Affekte und Attitüden; Entautomatisierung der Rezeption; Vergegenständlichung der Sprache, Verdinglichung des Wortes und der Werkform; Aufhebung von Illusion und Perspektive; Konzentration prägnanter kontextloser Details; Entzug von Relevanzkriterien.1 Vor diesem Hintergrund läßt sich der Modernismus der anglo-irischen Literatur, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts programmatisch entworfen und in wenigen herausragenden Texten exemplarisch realisiert wurde, als ein unbeabsichtigter, nachgerade unfreiwillig ironischer bezeichnen. Denn die irischen Texte — vor allem die Werke von William Butler Yeats, Lady Augusta Gregory und John Millington Synge — sind Bestandstücke eines umfassenden kulturellen Programms, das seinerseits im Kontext der nationalpolitischen Emanzipation Irlands seine, zumindest offizielle, Funktion findet; durch Kunst und Literatur soll eine politisch-kulturelle Identität formuliert werden. Nun sind aber die dazu bemühten literarischen Verfahren an Vorbildern geschult, die eher eine Selbstzweckhaftigkeit der Kunst als deren Funktionalität intendieren. In der beginnenden Moderne wird Kunst zunehmend autoreflexiv, stellt sich vor aller gedanklichen oder emotionalen Objektbezogenheit selber in ihrer Dinglichkeit zur Schau; in Irland aber soll sie, der Programmatik zufolge, einen hohen Grad der Wiedererkennbarkeit außerkünstlerischer Projekte und Positionen gewährleisten und befördern. Man kann sagen, daß die irische Literatur diese Spannung sowohl in ihren gelungenen wie in ihren gescheiterten Texten in fesselnder Weise austrägt; und diese Spannung definiert genau die spezifisch anglo-irische Modernität, von Yeats, Gregory und Synge bis hin zu zeitgenössischen Autoren wie Seamus Heaney oder Brian Friel.