Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sich die medialen Eigenschaften von Zeichensystemen auf die mentale Verarbeitung solcher Systeme auswirken. Die Zahlenverarbeitung von deutschen Gehörlosen eignet sich besonders für die Untersuchung dieser Fragestellung, da sich das Zahlensystem der Deutschen Gebärdensprache (DGS) nicht nur hinsichtlich der visuell-räumlichen Modalität von dem gesprochener Zahlen unterscheidet, sondern auch im Hinblick auf die zugrunde liegende Struktur von gesprochenen und arabischen Zahlen verschieden ist. Es wird gezeigt, dass es sich bei DGS-Zahlen um ein Dekaden-basiertes Zahlensystem mit einer Sub-Basis-5-Struktur handelt. Das gilt nicht für alle Gebärdensprachen; z.B. hat das Zahlensystem der Amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language; ASL) eine reine 10er-Basis. Dadurch, dass deutsche Gehörlose auch sehr vertraut im Umgang mit arabischen Zahlen und geschriebenen deutschen Zahlwörtern sind, nutzen sie also nicht nur drei verschiedene Zahlensymbolsysteme, sondern auch zwei verschiedene Zahlensysteme. In sieben empirischen Studien zu wichtigen Effekten der Zahlenverarbeitung (SNARC-Effekt, MARC-Effekt und Distanz-Effekt) wird in dieser Arbeit die mentale Verarbeitung der verschiedenen Zahlensysteme bei deutschen Gehörlosen systematisch untersucht. Mit dem Vergleich der Ergebnisse der deutschen gehörlosen Probanden mit denen von US-amerikanischen Gehörlosen und deutschen Hörenden sollten Hinweise darüber gewonnen werden, welche Effekte der Zahlenverarbeitung an eine bestimmte sprachliche Modalität und welche an sprachspezifische Zahlensysteme gebunden sind. In den Ergebnissen zeigten sich formatspezifische Unterschiede zwischen der Verarbeitung von den 10er-basierten Zahlensystemen und dem DGS-Zahlensystem auf der Sub-Basis-5. In einem Experiment, in dem deutsche gehörlose Probanden Paritätsentscheidungen mit DGS-Zahlen zu fällen hatten, zeigte sich, dass der Paritätsstatus der dominanten Hand relevanter für die Reaktionsgeschwindigkeiten war, als der Paritätsstatus der gesamten Zahl. Dies wurde für die Beurteilung von sprachlichen Zahlzeichen beobachtet und bei einigen Probanden auch für arabische Zahlen, aber nicht bei der Darbietung von Punktmengen. Darüber hinaus wurde ein DGS-spezifischer Distanz-Effekt beobachtet. In numerischen Größenvergleichen mit der festen Vergleichszahl fünf waren die Reaktionen auf die Zahlen vier und sechs im Mittel besonders langsam, während sich die mittleren Reaktionszeiten für alle anderen Zahlen nicht überzufällig voneinander unterschieden. Dieser Effekt wurde lediglich in den Ergebnismustern deutscher Gehörloser für DGS-Zahlen oder entsprechende geschriebene Zahlwörter beobachtet. Aufgrund der ähnlichen Ergebnismuster für DGS-Zahlen und geschriebene Zahlwörter wurde angenommen, dass sprachliche Zahlzeichen von Gehörlosen über ein inneres Gebärden enkodiert werden. Beide DGS-spezifischen Effekte wurden ausschließlich in den Ergebnissen der deutschen Gehörlosen, nicht aber in denen der US-amerikanischen Gehörlosen oder deutschen Hörenden beobachtet. Auch deshalb wurde angenommen, dass diese Effekte durch die Sub-Basis-5-Struktur des DGS-Zahlensystems bedingt sind. Aufgrund der formatspezifischen Effekte wurde weiterhin gefragt, ob DGS-Zahlen und arabische Zahlen abgesehen von einer formatspezifischen Enkodierungsphase durch dieselben kognitiven Strukturen verarbeitet werden, wie dies für Hörende angenommen wird (z.B. Dehaene, 1997; Nacchache & Dehaene, 2001; Nuerk, Wood & Willmes, 2005). Die Ergebnisse einer cross-notationalen Primingaufgabe stützten diese Annahme. Allerdings wurde in derselben Studie gezeigt, dass das zweimalige Zeigen derselben DGS-Zahl zu keiner Reaktionszeitbeschleunigung führte. Dieser fehlende Priming-Effekt innerhalb einer Zahlendarstellung wurde mit Interferenzen zwischen den motorischen Programmen zum Sprachverstehen und solchen zur Antwortseingabe erklärt. Weitere Hinweise auf solche Interferenzen ergaben sich aus den Ergebnissen beider gehörloser Gruppen: bei Größenvergleichsaufgaben zeigte sich eine Überlagerung der SNARC-Effekte durch ebendiese Interferenzen. Insgesamt wurden in den Experimenten deutliche Hinweise auf einen Einfluss der medialen Eigenschaften des DGS-Zahlensystems auf die mentale Zahlenverarbeitung beobachtet. Möglicherweise wurden vergleichbare formatspezifische Effekte in den Ergebnissen von hörenden Probanden aufgrund der fehlenden medialen Differenz in Bezug auf die Struktur der sprachlichen und der arabischen Zahlensysteme bisher nicht sichtbar. This dissertation addresses the question whether media-specific features of sign systems have an influence on the mental processing of these signs or not. This research question is investigated with the mental number processing of German deaf signers. The number system in the German Sign Language (Deutsche Gebärdensprache, DGS) differs from German spoken numbers in regard to the visual-spatial language modality. Besides that, the structure of the DGS number system is different from that of Arabic and spoken numbers. This paper shows that the DGS number system is a base-10 one with a sub-base-5. However, this system is language-specific and does not apply for all sign languages. The American Sign Language (ASL) is one example of a visual-spatial language with a pure base-10 number system. German signers are familiar with the processing of base-10 Arabic numbers as well as the processing of written German numbers. Thus, German signers are not only using three different number symbol systems but also two different number systems. In this dissertation, the processing of those different symbol systems in German deaf signers is examined systematically by means of seven empirical studies regarding several important number-processing effects (SNARC effect, MARC effect and distance effect). A comparison of the results of the German deaf group with those of US-American deaf as well as those of hearing German participants should give some answers to the question which aspects of number processing are linked to language modality and which are associated with a language-specific number system. The results indicated format-specific differences in the processing of base-10 number systems on the one hand and the DGS number system on the sub-base-5 on the other hand. In a parity decisions task with DGS numbers the parity status of the dominant handshape seemed to be more relevant for reaction time patterns than the parity status of the whole number sign. This was observed in the DGS and written German number judgments by German signers. It was also partly true for some participants judging Arabic numbers, but not for the judgment of dot patterns. Moreover a DGS-specific distance effect was observed. In magnitude comparisons with a fixed standard of five the reaction times for the numbers four and six (5 +- 1) were very slow, but the mean reaction times for all other number comparisons did not differ significantly from each other. This DGS-specific distance effect was exclusively observed when German signers judged DGS or written numbers, but not in the results patterns of Arabic numbers or dot patterns. Since the result patterns for the DGS numbers and the written numbers were very similar, it was assumed that written numbers are encoded by German deaf signers via an inner signing. Both effects were observed for German signers only, not for US-American signers or hearing German participants; this substantiated the assumption that those effects were related to the sub-base-5 structure of the DGS number system. These DGS-specific effects raised the question whether DGS and Arabic numbers are processed via the same cognitive structures as is assumed for the hearing population (e.g. Dehaene, 1997; Nacchache & Dehaene, 2001; Nuerk, Wood & Willmes, 2005). The results of a cross-notational priming study with German signers supported this assumption. However, the same study showed that there was no reaction facilitation when a DGS number was primed with exactly the same DGS number. This lack of a priming effect was explained with interferences between the motor programs involved in language perception and those motor programs controlling the bimanual key presses necessary for supplying an answer to the experiment. Further indications for this kind of interferences were observed in the results patterns of the number magnitude comparisons of both deaf groups. Since there were no visible SNARC effects, it was assumed that the SNARC effect can be overlaid by those interferences. On the whole, there were clear links to an influence of the media-specific features of the DGS number system on mental number processing. Probably similar format-specific effects have not yet been observed for the hearing population because there are no differences in the main structure of the Arabic number system and the number systems of the investigated languages.