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Abstract and Figures

Der Alterssurvey ist eine breit angelegte repräsentative Untersuchung in Deutschland über die 'zweite Lebenshälfte' mit dem Ziel, den Alternsprozess der deutschen Bevölkerung umfassend zu beobachten. Gegenüber bisher verfügbaren Surveys zeichnet er sich durch die Größe und Zusammensetzung der Stichprobe, durch die Konzentration auf die zweite Lebenshälfte und durch die Verbindung von soziologischen und psychologischen Erhebungsinstrumenten aus. Für die zweite Welle wurden die Instrumente der ersten Welle in weiten Teilen übernommen, wobei eine Wiederholungsbefragung der Panelteilnehmer mit einer Erstbefragung der Replikationsstichprobe kombiniert wurde. Die Daten der zweiten Welle sind beim Zentralarchiv für empirische Sozialforschung verfügbar. (ICE2)
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ZA-Information 52 Mai 2003
Herausgeber:
Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung
Universität zu Köln
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Redaktion - 50
Redaktion:
Franz Bauske
E-mail: bauske@za.uni-koeln.de
Internet: http://www.gesis.org/za
ISSN: 0723-5607
© Zentralarchiv
Die ZA-Information erscheint jeweils im Mai und November eines Jahres.
Sie wird kostenlos an Interessenten und Benutzer des Zentralarchivs abgegeben.
ZA-Information 52 Mai 2003
Inhaltsverzeichnis
Mitteilungen der Redaktion .................................................................................................. 5
Forschungsnotizen
Informationsverfügbarkeit und Response-Effects:
Die Prognose von Einflüssen unterschiedlich kategorisierter Antwortskalen durch
Antwortsicherheiten und Antwortlatenzen
von Volker Stocké................................................................................................................. 6
Hat die Flut vom August 2002 die Spendenaktivität gesteigert?
Ein Vergleich der Häufigkeit und der Hintergründe habitueller und spontaner Spenden
von Heiner Meulemann und Tilo Beckers......................................................................... 37
Qualitätsgesichertes Datenmanagement für die Sozialforschung
von Friedhelm Meier.......................................................................................................... 58
Konträr und ungenügend? Ansprüche an Inhalt und Qualität einer
sozialwissenschaftlichen Methodenausbildung
von Manuela Pötschke und Julia Simonson ..................................................................... 72
Kirchen weiter auf der Verliererstraße – Inferno und Aberglauben im Aufwind?
von Michael Terwey ........................................................................................................... 93
Umfragen im Umfeld der Bundestagswahl 2002: Offline und Online im Vergleich
von Thorsten Faas............................................................................................................ 120
Berichte aus dem Archiv
Neuzugänge im Archiv:
Datensätze zu den Bundestagswahlen 1994, 1998 und 2002............................................ 136
Der Alters-Survey
von Martin Kohli und Clemens Tesch-Römer................................................................. 146
Shell Jugendstudie 2002: Der Datensatz zum Buch.......................................................... 157
Das Beschäftigtenpanel der Bundesanstalt für Arbeit
von Iris Koch und Holger Meinken ................................................................................. 159
European Values Study 1999/2000 – A Third Wave: Data, Documentation
and Database on CD-ROM
by Ruud Luijkx, Evelyn Brislinger and Wolfgang Zenk-Möltgen ................................. 171
Mai 2003 ZA-Information 52
ZA-EUROLAB ACTIVITIES 2000-2003
by Ekkehard Mochmann, Ingvill C. Mochmann and Reiner Mauer............................. 184
MetaDater: Towards standards and tools for the description of comparative surveys
by Uwe Jensen and Ekkehard Mochmann...................................................................... 191
Empirical Analysis of Labor Markets: International Seminar,
September 1-12, 2003 in Cologne..................................................................................... 199
ZHSF-Methodenseminar (ZHSF-Herbstseminar) 2003: Forschungsmethoden,
Datenbankmanagement und Statistik in der Historischen Sozialforschung...................... 206
Complex Modelling: 33rd Spring Seminar at the Zentralarchiv March 1-19, 2004 ......... 208
Gratulation für Erwin K. Scheuch
von Ekkehard Mochmann................................................................................................ 212
Mitteilungen und Ankündigungen
The European Social Survey (ESS): Call for Question Module Design Teams ............... 214
Soziologische Berufspraxis
Bericht von der XII. BDS-Tagung in Dortmund
von Michael Rosentreter .................................................................................................. 216
Studiengang Praktische Sozialwissenschaften
BDS unterstützt einzigartigen Studiengang der Universität Duisburg-Essen ................... 218
Marktforschung in Deutschland im Jahr 2002 .................................................................. 220
Buchhinweise
Klein, Markus, Falter, Jürgen W.: Der lange Weg der Grünen: Eine Partei zwischen
Protest und Regierung ....................................................................................................... 222
Fuchs, Dieter, Edeltraud Roller, Bernhard Weßels (Hrsg.): Bürger und Demokratie
in Ost und West: Studien zur politischen Kultur und zum politischen Prozess
Festschrift für Hans-Dieter Klingemann.......................................................................... 222
Andreas Farwick: Segregierte Armut in der Stadt. Ursachen und soziale Folgen der
räumlichen Konzentration von Sozialhilfeempfängern
von Jörg Blasius ............................................................................................................... 223
Bei Beiträgen, die nicht von Mitarbeitern des Zentralarchivs verfasst wurden, ist die Anschrift der Autoren
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geben nicht unbedingt die Ansicht der Redaktion wieder.
Alle inhaltlichen Beiträge sind Gegenstand einer Beurteilung durch externe Gutachter.
ZA-Information 52 5
Mitteilungen der Redaktion
Welche mobilisierende Kraft haben die Medien und speziell das Fernsehen? Heiner
Meulemann und Tilo Beckers thematisieren diese Frage am Rande, wenn sie die
Spendenaktivität der Bevölkerung und die Motive der Spender anlässlich der Über-
schwemmungskatastrophe im Osten Deutschlands analysieren. Wird wirklich mehr
gespendet? Um den Fernsehkonsum geht es auch bei Volker Stocké, aber nur als
Beispiel in einem methodischen Experiment. Seine zentrale Fragestellung ist, durch
welche Operationalisierung der Informationsverfügbarkeit die Beeinflussbarkeit
von Befragten durch die Verwendung unterschiedlich kategorisierter Antwortskalen
am besten vorhergesagt werden kann. Dabei wird im Rahmen computergestützter
Interviews die Prognosekraft der von den Befragten selbst-berichteten Antwortsi-
cherheit mit der von verschieden transformierten Antwortlatenzen verglichen.
Manuela Pötschke und Julia Simonson fragen, welche methodischen und statisti-
schen Verfahren in der Praxis am häufigsten verwendet werden. Aus den Ergebnis-
sen zweier empirischer Studien leiten sie dann Hinweise auf eine adäquate sozial-
wissenschaftliche Statistik- und Methodenausbildung ab, die insbesondere in die
Diskussion um neue Studienabschlüsse Eingang finden könnten.
Werden Online-Erhebungen bald Einzug in die sozialwissenschaftliche Forschung
halten? Thorsten Faas zeigt in einem Vergleich einer konventionellen Umfrage mit
Online-Umfragen, dass sich sowohl hinsichtlich sozialstruktureller Variablen als auch
hinsichtlich inhaltlicher Fragen weiterhin deutliche Unterschiede konstatieren lassen.
Qualitätsgesicherte Datenerfassung und Datenmanagement meint die lückenlose
Dokumentation aller am Datensatz vollzogenen Veränderungen, beispielsweise in
der Phase der Datenbereinigung. Friedhelm Meier hat dazu ein Programmsystem
entwickelt.
Michael Terwey untersucht die fortschreitende Säkularisierung in Deutschland so-
wie diverse Äußerungen subjektiver Religiosität. Als Datenbasis dient u.a. der neue
kumulierte ALLBUS 1980-2000.
Wir geben eine Beschreibung ausgewählter Studien, die neu ins Archiv eingebracht
worden sind. Dazu zählen: das Beschäftigtenpanel der Bundesanstalt für Arbeit, die
Shell Jugendstudie, der mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend geförderte Alters-Survey, die dritte Welle der European Values
Study mit Daten aus 33 Ländern und aktuelle Wahlstudien.
Der frühere Direktor des Archivs Erwin K. Scheuch wird 75 Jahre alt. Die Profes-
sion und ganz persönlich auch die Mitarbeiter des Hauses verdanken im sehr viel.
Ekkehard Mochmann gratuliert.
Franz Bauske
6 ZA-Information 52
Informationsverfügbarkeit und Response-Effects:
Die Prognose von Einflüssen unterschiedlich
kategorisierter Antwortskalen durch
Antwortsicherheiten und Antwortlatenzen
von Volker Stocké 1
Zusammenfassung
Die Angaben von Befragten über die Häufigkeit oder Dauer bestimmter Verhal-
tensweisen werden in vielen Fällen durch die Verwendung unterschiedlich katego-
risierter, objektiv aber identischer Antwortskalen beeinflusst. Als zentrale Entste-
hungsbedingung dieses Response-Effects wird die kognitive Verfügbarkeit der je-
weils abgefragten Informationen vermutet. In der vorliegenden Untersuchung wird
diese Hypothese getestet, indem die individuellen Unterschiede in der subjektiven
Antwortsicherheit und der jeweils zur Antwortgenerierung benötigten Zeit analy-
siert werden. Die Studie vergleicht die relative Prognosekraft dieser beiden Indika-
toren der Informationsverfügbarkeit für die Entstehung des untersuchten Response-
Effects. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand betrifft die bislang ungeklärte Fra-
ge, durch welche der Datenanalyse vorangehende Transformationen der Antwortla-
tenzen deren Validität und Vorhersagekraft für das Vorliegen von Response-Effects
maximiert werden können. Es werden drei Vorschläge hierzu aufgegriffen und de-
ren Validität mit der von untransformierten Rohreaktionszeiten verglichen. Die Da-
ten eines Feldexperimentes mit einer lokalen Zufallsstichprobe zeigen, dass der
Einfluss unterschiedlich kategorisierter Antwortskalen auf den von den Befragten
berichteten Fernsehkonsum sowohl durch die Antwortsicherheiten als auch durch
die Antwortlatenzen vorhergesagt werden kann. Dabei kommt der Antwortge-
schwindigkeit jedoch eine deutlich stärkere Prognosekraft zu. Beim Vergleich der
1 Dr. Volker Stocké ist Hochschulassistent am Sonderforschungsbereich 504 „Rationalitätskon-
zepte, Entscheidungsverhalten und ökonomische Modellierung“ der Universität Mannheim,
L13, 15; D-68131 Mannheim. E-Mail: vstocke@rumms.uni-mannheim.de
ZA-Information 52 7
unterschiedlich transformierten Versionen der Antwortlatenzen erweist sich die am
Mittelwert der individuellen Antwortgeschwindigkeiten zentrierte Variante als bes-
ter Prädiktor der Skaleneinflüsse.
Abstract
Respondents’ self reports about the frequency or duration of certain activities are
often found to be influenced by differences in the categorisation of substantially
identical response scales. The cognitive availability of the information to be re-
called is supposed to be the pivotal determinant of this type of response-effect. In
the following article this hypothesis is tested, first of all, by analysing individual
differences in the interviewees’ response certainty and the response latencies
needed to answer the focal question. Secondly, the predictive power of these two
indicators of information availability for the existence of the response-effects under
investigation is compared. Another open question addressed in this paper is how
response latencies should be transformed prior to data analysis in order to maxi-
mise their accuracy in predicting response-effects. For this purpose, the validity of
three transformations proposed in the literature with those of raw response-
latencies is compared. Data from a local survey based on a random probability
sample is used to answer these questions. The results show that both, response cer-
tainty and response latencies are able to predict response scale effects on the re-
ported television consumption. However, response latencies proved to be the much
stronger predictor. A comparison of differently transformed versions of the re-
sponse latencies reveals that difference-scores between the target response laten-
cies and the individual interviewees’ mean response speed during the rest of the
interview is the best predictor for their susceptibility to the investigated response-
effect.
1 Einleitung 2
Empirische Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass sich scheinbar unbedeut-
same Unterschiede in der Präsentation von Antwortoptionen teilweise dramatisch
2 Der Autor dankt den Teilnehmern des 56th Annual Meeting of the American Association for
Public Opinion Research 2001 (Montreal, Kanada, 17.-20.05.2002), einem anonymen Gutachter
dieser Zeitschrift und speziell Bärbel Knäuper für hilfreiche Kommentare zu einer früheren
Version dieser Arbeit. Hartmut Esser gilt ein ganz besonderer Dank für anregende Diskussio-
nen und zielsichere Kommentare. Birgit Becker war eine große Unterstützung bei der Daten-
aufbereitung und Eva Feuerbach sowie Tobias Stark bei der Erstellung des Manuskriptes. Der
Beitrag wurde durch finanzielle Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Son-
derforschungsbereich 504 der Universität Mannheim ermöglicht.
8 ZA-Information 52
auf das Antwortverhalten von Umfrageteilnehmern auswirken können. So werden
etwa unterschiedliche Angaben der Befragten beobachtet, wenn die Antwortmög-
lichkeiten bei Items vom Likert-Typ entweder mit Zahlen von 0 bis 10 oder von 1
bis 11 markiert werden (Schwarz et al. 1998). Auch die Verwendung von Antwort-
skalen mit einer ungeraden statt einer geraden Anzahl an Antwortoptionen und da-
mit die Bereitstellung einer mittleren Antwortmöglichkeit wirkt sich in vielen Fäl-
len auf die inhaltlichen Angaben der Befragten aus (Pecher und Raaijmakers
1999).
Ein für die Praxis der Umfrageforschung besonders schwerwiegendes Problem be-
steht darin, dass die Angaben von Befragten über die Häufigkeit bestimmter Verhal-
tensweisen oder die zeitliche Länge alltäglicher Erlebnisse durch eine unterschiedli-
che Kategorisierung der Antwortskalen beeinflusst werden. Statt einer offenen Ab-
frage der anvisierten Informationen wird das Antwortkontinuum oft zu Intervallen
zusammengefasst und den Befragten dann als distinkte Antwortmöglichkeiten vor-
gelegt. Durch diese Vorgehensweise sollen die zur Antwortgenerierung notwendi-
gen kognitiven Anforderungen reduziert und gleichzeitig das Ausmaß des Item-
Nonresponse minimiert werden. Ein unerwünschter Nebeneffekt dieser Maßnahme
zur Verbesserung der Datenqualität besteht darin, dass sich die Art der Kategorisie-
rung des Antwortkontinuums bei unterschiedlichsten Befragungsthemen auf die
inhaltlichen Angaben der Befragten auswirkt. So unterscheiden sich die Antworten
teilweise dramatisch, wenn entweder im hohen oder niedrigen Bereich des Häufig-
keitskontinuums eine differenziertere Kategorisierung vorgenommen und den Be-
fragten damit eine größere oder kleinere Anzahl an Antwortoptionen vorgelegt
wird. So berichten die Befragten bei Verwendung einer hoch-frequenten, im Ver-
gleich zu einer nieder-frequenten Antwortskala mehr Konsumausgaben (Menon et
al. 1997, Winter 2002), ein größeres Ausmaß an sexueller Aktivität (Schwarz und
Scheuring 1988), häufigere Bedrohungsgefühle (Gaskell et al. 1994) sowie eine
größere Anzahl an Albträumen (Ji et al. 2000) und kulturellen Aktivitäten (Bless et
al. 1992).
Theoretische Erklärungen für Einflüsse unterschiedlich kategorisierter Häufigkeits-
skalen gehen davon aus, dass die mangelhafte kognitive Verfügbarkeit der jeweils
abgefragten Informationen im Gedächtnis der Befragten die zentrale Entstehungs-
bedingung für diese Art von Response-Effects ist (Schwarz und Hippler 1987)3.
3 Mit „kognitiver Informationsverfügbarkeit“ ist im vorliegenden Beitrag die Leichtigkeit ge-
meint, mit der eine abgefragte Information von den Probanden aus dem Gedächtnis abgerufen
werden kann. Dabei ist nicht relevant, ob eine hohe Informationsverfügbarkeit auf einer „chro-
nischen“ Zugänglichkeit der Information im Gedächtnis beruht oder darauf, dass deren Abruf
durch Kontexteffekte erleichtert wurde.
ZA-Information 52 9
Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass sich Subgruppen von Befragten, die
vermutlich die betreffende Information mit geringerer Wahrscheinlichkeit im Ge-
dächtnis verfügbar haben, als stärker beeinflussbar erweisen (Schwarz 1999). Auch
die Beobachtung, wonach bei Befragungsthemen mit wahrscheinlich geringerer Sa-
lienz für die Befragten stärkere Skaleneinflüsse vorliegen, kann ebenfalls als Hin-
weis auf die Bedeutung der Informationsverfügbarkeit interpretiert werden
(Rockwood et al. 1997). Trotz Plausibilität dieser Argumentation liegt beim derzei-
tigen Forschungsstand keine direkte Evidenz für die Prognosekraft unterschiedli-
cher Grade der Informationsverfügbarkeit vor.
Ein deutlich zwingenderer Nachweis der Rolle mangelnder Informationsverfügbar-
keit ist dann möglich, wenn individuelle Unterschiede in dieser Hinsicht direkt bei
den Befragten erfasst werden und dann deren Erklärungskraft für die relative Beein-
flussbarkeit durch Skaleneinflüsse gezeigt wird. Eine solche Vorgehensweise macht
jedoch die valide Messung unterschiedlicher Grade der Informationsverfügbarkeit
notwendig. Im Bereich faktischer Befragungsgegenstände kommen hierfür zwei
unterschiedliche Verfahren in Betracht. Dabei handelt es sich erstens um das von
den Befragten selbstberichtete Ausmaß ihrer Antwortsicherheit als subjektiver Indi-
kator der Informationsverfügbarkeit. Zweitens ist die für die Antwortgenerierung
benötigte Zeit ein objektiver Indikator für die Verfügbarkeitsdimension (Wegener et
al. 1995). Was die Validität dieser beiden Messkonzepte angeht, so liegen im Be-
reich der Einstellungsmessung teilweise inkonsistente und bei der Abfrage fakti-
scher Informationen praktisch keine Untersuchungsergebnisse vor.
Die sehr heterogene Praxis bei der vorbereitenden Behandlung von Antwortlatenzen
ist eine mögliche Ursache für die inkonsistente Ergebnislage über deren Validität
als Indikator der Informationsverfügbarkeit. So werden Latenzdaten vor der Daten-
analyse in unterschiedlicher Weise transformiert, um eine Reduktion ihrer charakte-
ristischen Schiefe zu erreichen. Es herrscht außerdem kein Konsens darüber, wie
mit dispositionalen und somit über verschiedene Befragungsthemen stabilen Unter-
schieden in der Antwortgeschwindigkeit zwischen den Befragten umgegangen wer-
den soll. Solche Unterschiede werden teilweise als Störgröße betrachtet und durch
eine Standardisierung an den mittleren Antwortgeschwindigkeiten der Befragten
eliminiert. Andere Forscher sehen in diesem Varianzbestandteil eine relevante Er-
klärungsgröße und belassen diese in den Latenzdaten (Bargh und Chartrand 2000,
Fazio 1990). Durch welche der Vorgehensweisen die Konstruktvalidität und damit
Prognosekraft der Antwortlatenzen maximiert werden kann, wurde bisher empirisch
nicht systematisch untersucht.
Die vorliegende Untersuchung verfolgt insgesamt drei, eng miteinander verbundene
Zielsetzungen. So soll erstens durch eine direkte Messung individueller Unterschiede
10 ZA-Information 52
in der Informationsverfügbarkeit die Annahme untermauert werden, dass diese die
Beeinflussbarkeit der Befragten durch unterschiedlich kategorisierte Antwortskalen
vorhersagen. Diese, auf die inhaltlichen Bestimmungsfaktoren des Befragtenverhal-
tens abzielende Fragestellung bildet den Ausgangspunkt für zwei stärker messtheo-
retisch orientierte Zielsetzungen. So soll in einer vergleichenden Perspektive zwei-
tens überprüft werden, ob den von den Befragten selbstberichteten Antwortsicher-
heiten als meta-kognitive Operationalisierung oder den Antwortlatenzen als opera-
tionalem Index der Informationsverfügbarkeit ein höheres Maß an Validität zu-
kommt. Als Validierungskriterium wird hierbei die Fähigkeit der beiden Indikatoren
zur Vorhersage der Einflüsse unterschiedlich formatierter Antwortskalen herange-
zogen. Die dritte Fragestellung der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf den Ein-
fluss verschiedener Transformationen von Reaktionszeitdaten auf deren Gültigkeit
und damit Fähigkeit zur Prognose der Beeinflussbarkeit der Befragten durch Res-
ponse-Effects. Die Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung besteht in com-
putergestützten Interviews mit einer Zufallsstichprobe von Befragten. Die Ergebnis-
se lassen somit auch praxisrelevante Aussagen darüber zu, ob das innovative, bisher
aber hauptsächlich im Kontext von Laborexperimenten eingesetzte Instrument der
Antwortlatenzen auch in einer „normalen“ Bevölkerungsumfrage gewinnbringend
verwendet werden kann.
2 Forschungsstand
Der folgende Überblick über den relevanten Forschungsstand gliedert sich in drei
Abschnitte. So werden im ersten Schritt die vorliegenden Ergebnisse über die Ursa-
chen der Beeinflussbarkeit von Befragten durch unterschiedlich kategorisierte Ant-
wortskalen dargestellt. Der zweite Abschnitt befasst sich dann mit dem Forschungs-
stand über die Validität subjektiver Antwortsicherheiten und Antwortlatenzen als
alternative Indikatoren für die kognitive Verfügbarkeit der abgefragten Informatio-
nen. Im dritten Abschnitt wird schließlich die Angemessenheit unterschiedlicher
Möglichkeiten der Transformation von Antwortlatenzen diskutiert.
2.1 Informationsverfügbarkeit als Ursache für Skaleneinflüsse
Ein besonders intensiv erforschter Befragungsgegenstand, bei dem regelmäßig Ein-
flüsse unterschiedlich kategorisierter Antwortskalen beobachtet werden, ist die Er-
fassung des täglichen Fernsehkonsums der Befragten (Bless et al. 1992, Menon et
al. 1995, Rockwood et al. 1997, Schwarz 1988, Schwarz und Bienias 1990,
Schwarz et al. 1985, Schwarz und Hippler 1987, Winter 2002). Die Probanden be-
antworten hierbei die Frage nach der Länge ihres täglichen Fernsehkonsums im
ZA-Information 52 11
Rahmen eines „Split-Ballot“-Experimentes entweder mithilfe einer hoch- oder nie-
der-frequenten Antwortskala. Dabei steigt die hoch-frequente Skalenversion, ausge-
hend von der Option „bis zu 2.5 Stunden“, in Schritten von einer halben Stunde bis
zur höchsten Antwortmöglichkeit „mehr als 4.5 Stunden“ an. Dagegen variiert die
nieder-frequente Skala, ebenfalls in halbstündigen Intervallen, zwischen den Ant-
wortoptionen „bis zu 0.5 Stunden“ und „mehr als 2.5 Stunden“. Durch eine Dicho-
tomisierung der Angaben in die beiden Kategorien „2.5 Stunden oder weniger Fern-
sehkonsum“ und „mehr als 2.5 Stunden Fernsehkonsum“ lassen sich die Antwortin-
halte bei den beiden Skalenversionen vergleichbar machen. Die Ergebnisse beim
ersten Experiment mit dieser Versuchsanordnung zeigen, dass bei Verwendung des
nieder-frequenten Skalentyps 16.2 Prozent und bei einer hoch-frequenten Art der
Kategorisierung 37.5 Prozent der Probanden in die Kategorie der „Vielseher“ fallen
(Schwarz et al. 1985).
Neben anderen Faktoren, wie etwa der Regelmäßigkeit und Beobachtbarkeit des
abgefragten Verhaltens (Menon et al. 1995, Ji et al. 2000), der Schwierigkeit der
Fragestellung sowie der Motivation der Befragten (Stocké 2001), wird das Ausmaß
der kognitiven Verfügbarkeit der jeweils abgefragten Information als zentrale Ent-
stehungsbedingung der Skaleneinflüsse angesehen (Schwarz und Hippler 1987).
Dabei wird angenommen, dass die Befragten, auch wenn ihnen die jeweils abge-
fragten, meist alltäglichen Ereignisse nicht als episodisch organisierte Informatio-
nen im Gedächtnis verfügbar sind, dennoch zu einer sinnvollen Beantwortung der
betreffenden Frage motiviert sind. Daher ziehen sie die Formatierung der jeweils
vorgelegten Häufigkeitsskala als Heuristik bei der Auswahl der angemessenen
Antwortoption heran. Die Befragten gehen davon aus, dass sich in der Art der Kate-
gorisierung des Antwortkontinuums das Wissen des Sponsors der Befragung über
die wahre Verteilung des betreffenden Merkmals in der Gesamtpopulation wider-
spiegelt. Aus der Sicht der Probanden repräsentiert somit die jeweils mittlere Ant-
wortoption der Skalen die durchschnittliche Prävalenz des Merkmals in der Gesell-
schaft. Ausgehend von diesem Referenzpunkt wählen die Befragten dann jene Ant-
wortoption, die im Vergleich zu ihrer Überzeugung darüber, wie stark über- oder
unterdurchschnittlich ihre eigene Ausprägung auf der betreffenden Dimension ist,
mehr oder weniger weit über oder unter dem jeweiligen Skalenmittelpunkt liegt. Da
sich der Inhalt der mittleren Antwortoption zwischen den Skalentypen deutlich un-
terscheidet, gelangen die Probanden bei Verwendung der gleichen Antwortgenerie-
rungsstrategie zu unterschiedlichen Antwortinhalten.
Einige Studien finden Hinweise auf die empirische Angemessenheit der skizzierten
Erklärung für die beobachteten Skaleneinflüsse. So konnte etwa gezeigt werden,
dass die Befragten den durchschnittlichen Fernsehkonsum in der Gesamtgesell-
12 ZA-Information 52
schaft höher einschätzen, wenn sie zuvor Fragen über ihr eigenes Fernsehverhalten
bei Verwendung einer hoch-frequenten statt einer nieder-frequenten Antwortskala
beantwortet haben (Schwarz und Hippler 1987). Dieses Ergebnis kann als Beleg für
die informative Funktion unterschiedlich kategorisierter Antwortskalen verstanden
werden. Andere Forschungsergebnisse finden stärkere Einflüsse des verwendeten
Skalentyps auf das Antwortverhalten, wenn die Befragten statt über ihr eigenes
Fernsehverhalten, Angaben über den Fernsehkonsum ihrer Freunde oder über den
von Fremden machen sollen (Schwarz und Bienias 1990). Dieses Ergebnis wird mit
Hinweis darauf interpretiert, dass die bei den verschiedenen Fragestellungen abge-
fragten Informationen den Befragten immer weniger verfügbar sind und diese daher
immer stärker auf die informative Funktion der Antwortskalen angewiesen sind.
Die Angaben von Studenten über die Länge ihres täglichen Fernsehkonsums wer-
den stärker durch die Kategorisierung der Antwortskala beeinflusst als ihre Anga-
ben über die Häufigkeit positiver Leistungsbewertungen in der Vergangenheit.
Auch dieser Unterschied lässt sich als Ergebnis einer unterschiedlichen kognitiven
Verfügbarkeit der beiden Informationen deuten (Rockwood et al. 1997). In einer
weiteren Studie erweisen sich ältere im Vergleich zu jüngeren Befragten stärker
durch die Kategorisierung der verwendeten Antwortskalen beeinflusst, wenn nach
der Häufigkeit des Fleischkonsums gefragt wird (Schwarz 1999). Dieser Unter-
schied wird mit einem altersbedingten Rückgang der Gedächtnisleistung und der
damit verbundenen geringeren Verfügbarkeit der betreffenden Information erklärt.
Allerdings finden sich umgekehrte Unterschiede in der Beeinflussbarkeit der Al-
tersgruppen bei Fragen nach der Häufigkeit von Krankheitssymptomen. Dies kann
darauf zurückgeführt werden, dass ältere Menschen gesundheitsbezogenen Ereig-
nissen mehr Aufmerksamkeit schenken, so dass diese besser im Gedächtnis verfüg-
bar sind (Schwarz 1999).
2.2 Die Validität von Antwortlatenzen und der subjektiven Antwortsicherheit
als Indikatoren der Informationsverfügbarkeit
Bei der direkten Erfassung unterschiedlicher Grade der Informationsverfügbarkeit
lassen sich meta-kognitive und operationale Messverfahren unterscheiden (vgl.
Bassili 1996b). Bei meta-kognitven Verfahren werden die Befragten zusätzlich zu
ihren inhaltlichen Angaben um eine qualifizierende Einschätzung ihrer Antworten
gebeten. Dabei geben die Befragten beispielsweise an, für wie reflektiert sie ihre
Angaben halten oder wie ambivalent sie zwischen verschiedenen Antwortmöglich-
keiten sind. Der von den Befragten selbstberichteten Sicherheit ihrer Angaben
kommt wegen der häufigen Verwendung dieses Indikators eine besonders hervor-
gehobene Stellung zu (vgl. als Überblick: Wegener et al. 1995). Operationale Indi-
ZA-Information 52 13
katoren der Informationsverfügbarkeit beruhen dagegen auf Merkmalen des Ant-
wortgenerierungsprozesses oder formalen Eigenschaften der resultierenden Anga-
ben, die nicht auf den Angaben der Befragten beruhen. Neben der Extremität der
Angaben im Bereich der Einstellungsmessung kann die Geschwindigkeit der Ant-
wortgenerierung als wichtigster operationaler Indikator der Informationsverfügbar-
keit angesehen werden (Bassili 1996b, Bassili und Fletcher 1991, Fazio 1990).
Operationalen Messverfahren kommt möglicherweise daher ein höheres Ausmaß an
Validität zu, weil diese nicht die anspruchsvolle Fähigkeit der Befragten zu einer
Selbstreflexion ihrer Angaben voraussetzen (Bassili 1996b).
Bei der Verwendung von Antwortlatenzen liegt allerdings das Problem vor, dass die
Validität dieses Indikators der Informationsverfügbarkeit durch miterfasste Fremd-
dimensionen eingeschränkt sein kann. So werden durch Antwortlatenzen neben der
für die Gedächtnissuche nach antwortrelevanten Informationen benötigten Zeit auch
weiterer Teilaspekte des gesamten Antwortgenerierungsprozesses erfasst. Es han-
delt sich hierbei um die Zeit, die für die Interpretation der Frage, für die Selektion
der passenden Antwortvorgabe und die Korrektur hinsichtlich potentiell bestehen-
der Anforderungen durch soziale Erwünschtheit benötigt wird (Schwarz und Strack
1991). Demnach erhöhen beispielsweise schwere und unverständlich formulierte
Fragen sowie die Verwendung komplexer Messinstrumente die Länge des Antwort-
generierungsprozesses (Bassili und Scott 1996). Bei bestehenden Anreizen durch
soziale Erwünschtheit verlängern die kognitiven Aktivitäten bei der Ausbildung
eines Kompromisses zwischen den sozialen Anforderungen an das Antwortverhal-
ten und den „wahren“ Werten der Befragten die benötigte Antwortzeit. Es kann je-
doch argumentiert werden, dass sich diese Messstörungen gleichförmig auf alle Be-
fragten auswirken und somit die Antwortlatenzen nur um eine Konstante erhöhen.
Unter diesen Umständen bleiben die relativen Unterschiede in der Antwortge-
schwindigkeit zwischen Befragten mit hoher und geringer Informationszugänglich-
keit unberührt.
Praktisch alle Untersuchungen der Validität subjektiver Antwortsicherheiten sowie
Antwortlatenzen stammen aus dem Bereich der Einstellungsmessung und beziehen
sich damit auf die Operationalisierung des Konzepts der Einstellungsstärke. Ähnlich
wie bei der Erfassung von faktischen Informationen soll hier die kognitive Verfüg-
barkeit der zugrunde liegenden Urteile und Überzeugungen der Befragten erfasst
werden. Die Stärke einer Einstellung lässt sich durch die Stabilität der Bewertungs-
inhalte und danach definieren, in welchem Umfang diese die Wahrnehmungen und
Handlungen der Akteure vorhersagen können (Krosnick und Petty 1995). Demnach
wäre bei starken Einstellungen auch mit einer hohen Resistenz gegenüber Einflüs-
sen von Response-Effects auf das Antwortverhalten zu rechnen. Für die Einschät-
14 ZA-Information 52
zung der Validität von Antwortsicherheiten und Antwortlatenzen sind daher Studien
aus drei Bereichen relevant. Dabei handelt es sich erstens um Untersuchungen über
die Prognosekraft der beiden Indikatoren für das Ausmaß der Einstellungs-
Verhaltenskonsistenz, zweitens um Studien über die Vorhersagbarkeit der Einstel-
lungsstabilität sowie drittens um deren Eignung zur Vorhersage der Beeinflussbar-
keit unterschiedlicher Befragten durch Response-Effects.
Die Validität der subjektiv geäußerten Antwortsicherheit kann in einigen, jedoch
keineswegs allen Untersuchungen belegt werden. Demnach steigt das Ausmaß der
beobachteten Einstellungs-Verhaltenskonsistenz mit der von den Probanden selbst-
berichteten Sicherheit ihrer Bewertungsurteile an. So konnte festgestellt werden,
dass die Prognosekraft der Einstellung gegenüber politischen Wahlen für die tat-
sächliche Wahlbeteiligung signifikant mit der selbstberichteten Sicherheit dieser
Einstellungsinhalte ansteigt (Warland und Sample 1973). Auch finden sich zuneh-
mend stärkere Zusammenhänge zwischen der Bewertung einer Liberalisierung von
Schwangerschaftsabbrüchen und den Verhaltensabsichten der Probanden, wenn die-
se ihre Bewertungen in zunehmendem Ausmaß als sicherer bezeichnen (Renata
1999). Dagegen lässt sich in einer Untersuchung von Mielke (1985) nicht nachwei-
sen, dass die Stärke des Zusammenhangs zwischen den Einstellungen der Befragten
zum Umweltschutz und ihren Angaben über früheres Umweltschutzverhalten durch
die subjektive Antwortsicherheit moderiert wird.
Die Ergebnisse über die Bedeutung der subjektiven Antwortsicherheit als Modera-
torvariable bei der Entstehung von Response-Effects sind besonders inkonsistent.
So konnte in drei Untersuchungen gezeigt werden, dass Befragte, die ihre Einstel-
lung gegenüber einer Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen als sicher
bezeichnet haben, signifikant weniger durch Fragereihenfolgeeffekte beeinflusst
werden. Dagegen erweist sich die subjektive Antwortsicherheit bei vier weiteren
Experimenten mit dem gleichen Befragungsgegenstand nicht als valider Prädiktor
für die Beeinflussbarkeit der Probanden durch vorangegangene Fragen (Krosnick
und Schuman 1988, Schuman et al. 1981, Stocké 2002). In einer Untersuchung
von Lavine und Mitarbeitern (Lavine et al. 1998) wird der Einfluss von Kontexti-
tems mit liberalem oder konservativem Inhalt auf die Zustimmung zu erhöhten So-
zialausgaben und einer Verbesserung der Rechte von Angeklagten untersucht. Da-
bei finden sich zwar reduzierte Einflüsse der Kontextfragen bei Befragten mit höhe-
rer Einstellungssicherheit, dieser Moderatoreffekt kann jedoch nicht als statistisch
abgesichert angesehen werden.
Auch die Evidenz für die Validität von Antwortlatenzen als Indikator für die Infor-
mationsverfügbarkeit muss beim derzeitigen Forschungsstand als teilweise inkon-
ZA-Information 52 15
sistent bezeichnet werden. Dabei liegen aus dem Bereich der Prognose der Einstel-
lungs-Verhaltenskonsistenz die meisten bestätigenden Ergebnisse vor. So konnte in
einer ganzen Serie von Untersuchungen gezeigt werden, dass der Zusammenhang
zwischen den Einstellungen gegenüber politischen Kandidaten und dem tatsächli-
chen Wahlverhalten der Befragten durch die Geschwindigkeit der Beantwortung der
Einstellungsfragen vermittelt wird. Die vor der Wahl geäußerten Bewertungen
stimmen mit steigender Geschwindigkeit dieser Angaben immer mehr mit dem nach
der Abstimmung erhobenen Wahlverhalten überein (Bassili 1993, Bassili 1995,
Bassili und Bors 1997, Fazio und Williams 1986, Fletcher 2000). Die Prognose-
kraft der Antwortlatenzen lässt sich auch dadurch belegen, dass die Einstellungen
gegenüber einer Reihe unterschiedlicher Konsumprodukte in zunehmendem Aus-
maß mit der berichteten Konsumabsicht der Befragten übereinstimmen, wenn die
Einstellungsfragen zunehmend schneller beantwortet werden (Kokkinaki und Lunt
1997). In einer weiteren Untersuchung hat sich gezeigt, dass die inhaltlichen Anga-
ben der Befragten über ihre Einstellungen gegenüber Umfragen dann stärker ihre
Unterstützung der Befragung durch korrektes und weniger sozial erwünschtes Ant-
wortverhalten vorhersagen können, wenn die Einstellungsantworten zunehmend
schneller geäußert wurden (Stocké 2003).
Forschungsergebnisse belegen auch, dass schnell geäußerte Einstellungsurteile rela-
tiv änderungsresistent sind. So erweisen sich Einstellungen gegenüber Geschlech-
terquoten bei der Einstellung von Beschäftigten oder gegenüber Pornographie dann
zunehmend stabiler gegenüber Überzeugungsversuchen, wenn die Geschwindigkeit
der Urteile ansteigt (Bassili 1996b). Die Antwortlatenzen bei der Beantwortung von
Fragen über die Einstellung zu der Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen kann
auch als Indikator dafür herangezogen werden, für wie wahrscheinlich die Umfrage-
teilnehmer einen Wandel dieser Einstellung bei sich selbst ansehen. So berichten
Befragte mit langsamerer Urteilsgeschwindigkeit mehr Zweifel an ihrer Einstel-
lungsstabilität (Huckfeldt und Sprague 2000).
Was die Prognosekraft der Antwortlatenzen für die Beeinflussbarkeit der Befragten
durch Response-Effects angeht, so liegt bisher nur wenig und inkonsistente Evidenz
vor. In einer Untersuchung wurde die Fähigkeit von Antwortlatenzen für die Prog-
nose von Antwortreihenfolgeeffekten, Einflüssen durch Akquieszenz und die Be-
deutung einer mittleren Antwortoption für das Antwortverhalten überprüft (Bassili
und Krosnick 2000). Dabei hat sich die Antwortgeschwindigkeit in keinem Fall als
signifikanter Prädiktor für die Beeinflussbarkeit der Befragten erwiesen. Dagegen
konnte in einer anderen Untersuchung gezeigt werden, dass der üblicherweise bei
der sequenziellen Abfrage der Einstellung gegenüber der generellen Freigabe von
Schwangerschaftsabbrüchen und jener im Falle einer Vergewaltigung beobachtete
16 ZA-Information 52
Fragereihenfolgeeffekt zuverlässig durch die Antwortgeschwindigkeit der Befragten
vorhergesagt werden kann (Stocké 2002). In dieser Studie wurden auch die subjek-
tiven Antwortsicherheiten der Befragten einbezogen und deren Vorhersagefähigkeit
für die Entstehung der Fragereihenfolgeeffekte mit der von Antwortlatenzen vergli-
chen. Dabei hat sich gezeigt, dass die anfänglich bestehende Vorhersagekraft der
Antwortsicherheiten bei gleichzeitiger Kontrolle der Erklärungskraft der Antwort-
geschwindigkeit vollständig absorbiert wird. Dies führt zur Schlussfolgerung des
Autors, dass den Antwortlatenzen als operationalem Indikator für die Informations-
verfügbarkeit, zumindest bei der Vorhersage von Fragereihenfolgeeffekten, eine
größere Validität zukommt.
2.3 Die unterschiedliche Transformation von Antwortlatenzen als
Validitätsfaktor
In der Literatur finden sich unterschiedliche Vorschläge, wie Antwortlatenzen vor
deren Verwendung als Erklärungsfaktor transformiert werden sollen. Dabei bezie-
hen sich die ersten beiden Vorschläge auf mathematische Transformationen, durch
die die charakteristische Schiefe von Reaktionszeitverteilungen reduziert und stär-
ker an eine, bei einer Reihe statistischer Auswertungsverfahren angenommene
Normalverteilung angenähert werden können. Zu diesem Zweck werden Rohreakti-
onszeiten häufig logarithmiert oder einer Wurzeltransformation unterzogen (Bargh
und Chartrand 2000). Eine dritte, weniger statistisch als inhaltlich begründete Art
der vorbereitenden Behandlung von Antwortlatenzen besteht in deren Standardisie-
rung am individuellen Mittelwert der Befragten. Dabei wird von jeder Zielreakti-
onszeit die bei einer möglichst großen Anzahl an Standardisierungsfragen beobach-
tete mittlere Antwortgeschwindigkeit jedes individuellen Befragten abgezogen. Die
resultierende Ergebnisvariable spiegelt dann ausschließlich itemspezifische Unter-
schiede in den Latenzen zwischen den Befragten und damit das vorliegende Aus-
maß der Informationsverfügbarkeit wider. Dadurch werden, so das Argument,
dispositional stabile und von der eigentlich zu erfassenden Zugänglichkeitsdimensi-
on unabhängige Unterschiede zwischen den Befragten und damit Fehlervarianz der
Messung beseitigt (Fazio 1990). Gegen diese Vorgehensweise wurde allerdings der
Einwand vorgebracht, dass hierbei auch individuelle Unterschiede in der vom Be-
fragungsthema unabhängigen, globalen Informationszugänglichkeit zwischen den
Befragten eliminiert werden. Dadurch wird möglicherweise die Validität der resul-
tierenden Messergebnisse geschwächt (Bassili und Krosnick 2000).
Bei einer Durchsicht der oben dargestellten Untersuchungen über die Validität von
Antwortlatenzen findet sich eine große Heterogenität bezüglich der jeweils durchge-
ZA-Information 52 17
führten Transformationen der Reaktionszeiten. So verwendet Bassili (1996) erfolg-
reich Rohreaktionszeiten zur Prognose der Einstellungsstabilität bei verschiedenen
Befragungsthemen. Auch in einer Reihe von Untersuchungen über das Ausmaß der
Einstellungs-Verhaltenskonsistenz werden erfolgreich untransformierte und un-
standardisierte Antwortlatenzen herangezogen (Bassili und Bors 1997, Bassili
1995, Fletcher 2000). Hinweise auf die relative Validität dieser Basisversion der
Antwortgeschwindigkeit und durch Logarithmierung transformierter Latenzdaten
findet sich in einer Untersuchung, in der beide Varianten zur Prognose der von den
Befragten berichteten Wichtigkeit bestimmter Einstellungsthemen herangezogen
werden. Dabei erweisen sich die bei der Beantwortung der Einstellungsfragen
beobachteten Rohreaktionszeiten als vorhersagekräftig, und eine Logarithmierung
hat keinen Einfluss auf die Prognoseleistung (Krosnick 1989). In einer Studie von
Bassili (1993) werden erfolgreich standardisierte Antwortlatenzen als Moderatorva-
riable zwischen der Einstellung zu politischen Kandidaten und dem Wahlverhalten
der Befragungsteilnehmer herangezogen. Hier wird von einer, allerdings nicht näher
quantifizierten, schwächeren Vorhersagekraft logarithmierter Antwortlatenzen be-
richtet. Bei Verwendung standardisierter Antwortlatenzen finden sich auch in ande-
ren Studien durchgängig positive Ergebnisse. In den bereits oben erwähnten Unter-
suchungen von Kokkinaki und Lunt (1997) sowie der von Stocké (2002) haben sich
standardisierte Rohreaktionszeiten als signifikanter Prädiktor für den Grad der
Übereinstimmung zwischen Einstellungen und Verhalten sowie für die Beeinfluss-
barkeit der Befragten durch Fragereihenfolgeeffekte erwiesen. Im Kontrast zu der
insgesamt positiven Bilanz zugunsten aller anderen Reaktionszeitenversionen er-
bringt die Studie von Bassili und Krosnick (2000) ausschließlich negative Evidenz
für die Prognosekraft wurzeltransformierter Latenzverteilungen. Keine der vier un-
tersuchten Arten von Response-Effects lässt sich durch diese Operationalisierung
der Informationsverfügbarkeit vorhersagen.
Zusammenfassend erweist sich die Praxis der Transformation von Antwortlatenzen
als genau so heterogen wie die in der Literatur vorgeschlagenen Vorgehensweisen.
Obwohl einige Ergebnisse die Schlussfolgerung nahe legen, dass sich die Validität
der verschiedenen Operationalisierungen der Informationsverfügbarkeit unterschei-
den, liegen hierzu bisher keine systematischen Vergleiche vor.
3 Empirische Untersuchung
Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung wird durch ein „Split-Ballot“-
Experiment im Rahmen einer allgemeinen Bevölkerungsumfrage analysiert. Dabei
beantworten zufällig ausgewählte Teilgruppen der Befragten die Frage nach ihrem
18 ZA-Information 52
täglichen Fernsehkonsum entweder auf einer nieder- oder hoch-frequenten Häufig-
keitsskala. Es wird analysiert, ob die Stärke der hierbei in anderen Studien beobach-
teten Einflüsse der unterschiedlich kategorisierten Häufigkeitsskalen durch die
gleichzeitig erfassten Indikatoren der Informationsverankerung prognostiziert wer-
den können. Zu diesem Zweck werden die Befragten einerseits über das Ausmaß
ihrer subjektiven Antwortsicherheit befragt. Andererseits wird im Rahmen der
computergestützten Interviews die von den Befragten zur Antwortgenerierung be-
nötigte Zeit gemessen.
3.1 Stichprobe
Die Studienteilnehmer entstammen einer lokalen, mehrstufigen Zufallsstichprobe
der Wohnbevölkerung einer süddeutschen Großstadt. Die Grundgesamtheit bildeten
Bürger mit Lebensmittelpunkt im Stadtgebiet, die zum Befragungszeitpunkt min-
destens 18 Jahre alt waren und die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Es wurde
eine „Random-Walk“-Prozedur als Auswahlverfahren verwendet, wobei zunächst
nach dem Zufallsprinzip im Stadtgebiet Startpunkte bestimmt wurden, von denen
ausgehend eine Haushaltsstichprobe generiert werden konnte. Die Auswahl der
Zielperson innerhalb der Haushalte erfolgte mittels der „Geburtstagsmethode“. Hin-
sichtlich der sozialstrukturellen Merkmale, die auch bei der Datenanalyse als Kon-
trollvariablen verwendet werden, setzt sich die Stichprobe wie folgt zusammen: An
den 110 Interviews haben 53.6 Prozent Frauen und 46.4 Prozent Männer teilge-
nommen, die am Erhebungszeitpunkt im Durchschnitt 46.8 Jahre alt waren und 10.9
Jahre Schulausbildung absolviert hatten. Die Stichprobe besteht weiterhin aus 13.6
Prozent Arbeitern, 65.5 Prozent Angestellten und Beamten, 9.1 Prozent selbststän-
dig Beschäftigten sowie 11.2 Prozent Befragten, die noch nie erwerbstätig waren.
Das durchschnittliche Netto-Haushaltseinkommen der Stichprobe beträgt 3784.- DM.
Die Ausschöpfungsquote liegt bei 34.0 Prozent.
3.2 Vorgehensweise
Die Datenerfassung wurde in der Form computergestützter persönlicher Interviews
bei den Befragten zu Hause durchgeführt, wobei die Probanden nach dem Zufalls-
prinzip einer der beiden Experimentalbedingungen mit unterschiedlich kategorisier-
ten Antwortskalen zugewiesen wurden. Die jeweilige Version der Antwortskala
wurde auf „show cards“ visuell präsentiert und den Befragten vorgelegt. Das Expe-
riment wurde als Teil eines durchschnittlich 58-minütigen Interviews durchgeführt.
Die Angaben der Befragten über die Länge ihres täglichen Fernsehkonsums und
deren subjektive Antwortsicherheit wurden im letzten Drittel der Befragung erfasst.
ZA-Information 52 19
Die Umfrage wurde im Anschreiben sowie in der Kontaktphase als Befragung über
„gesellschaftliche Probleme“ und „alltägliche Gewohnheiten“ angekündigt. Weder
der experimentelle Charakter noch die Tatsache der Erfassung von Antwortge-
schwindigkeiten wurden den Teilnehmern vor Ende des Interviews mitgeteilt.
3.3 Operationalisierung
Die vorliegende Fragestellung macht die Operationalisierung der unterschiedlich
kategorisierten Antwortskalen zur Erfassung der Länge des Fernsehkonsums, der
hierbei subjektiv von den Befragten erlebten Antwortsicherheit sowie die Messung
und unterschiedliche Transformation der Antwortgeschwindigkeiten notwendig.
- Unterschiedlich kategorisierte Antwortskalen: Das Antwortkontinuum der mögli-
chen Länge des täglichen Fernsehkonsums wurde bei jeder der beiden Versionen
der Antwortskala zu 7 Antwortoptionen zusammengefasst. Dabei waren beim nie-
der-frequenten Skalentyp die extremen Antwortmöglichkeiten durch die Optionen
„überhaupt nicht“ und „mehr als 2 Stunden“ definiert, wohingegen diese bei der
hoch-frequenten Version der Skala aus den Kategorien „bis zu 2 Stunden“ und
„mehr als 4.5 Stunden“ bestanden. Der Wertebereich zwischen den jeweils extre-
men Antwortoptionen wurde bei beiden Antwortskalen in fünf Kategorien unter-
teilt, die jeweils ein Zeitintervall von einer halben Stunde umfassten (vgl. Tabelle 1
in Abschnitt 3.4.1 für eine Repräsentation der beiden Skalenversionen).4 Die inhalt-
lichen Antworten wurden bei den beiden Skalentypen vergleichbar gemacht, indem
die Befragten jeweils in eine Gruppe mit einem geringen Fernsehkonsum von „bis
zu 2.5 Stunden“ und einem hohen Konsum von „mehr als 2.5 Stunden“ klassifiziert
wurden.
- Subjektive Antwortsicherheit: Die subjektive Sicherheit beziehungsweise Unsi-
cherheit der Befragten bei der Beantwortung der Frage über ihr tägliches Fernseh-
verhalten wurde durch eine siebenstufige Antwortskala vom Likert-Typ erfasst.5 Die
Endpunkte dieser Antwortskala waren mit den Aussagen „ich bin mir völlig sicher“
und „ich bin mir überhaupt nicht sicher“ verankert.
- Rohreaktionszeiten: Die von den Befragten benötigte Zeit zur Beantwortung der
Frage über ihr Fernsehverhalten wurde zusammen mit den inhaltlichen Angaben
4 Die genaue Frageformulierung lautet wie folgt: „Können Sie mir bitte sagen, wie lange Sie an
einem durchschnittlichen Werktag Fernsehen schauen. Bitte nennen Sie mir die Nummer der
zutreffenden Antwortkategorie auf dieser Liste, die Ihren Fernsehgewohnheiten am ehesten ent-
spricht“.
5 Die Frage ist wie folgt formuliert: „Können Sie mir bitte sagen, wie sicher Sie sich bei der
Schätzung über die Häufigkeit Ihres Fernsehkonsums sind?“.
20 ZA-Information 52
durch eine Sequenz von insgesamt vier Bildschirmen des computeradministrierten
Fragebogens erfasst. Der Interviewer hat den Fragetext vom ersten Bildschirm ab-
gelesen und sofort nach dessen Beendigung die Zeitmessung eingeschaltet. Der da-
durch aktivierte zweite Bildschirm signalisierte die aktive Latenzmessung und blieb
solange sichtbar, bis der Interviewer ihn im Moment der Antwortgenerierung durch
den nächsten Tastendruck deaktivierte. Auf dem nächsten, automatisch aufgerufe-
nen dritten Bildschirm wurden dann die Antworten der Befragten in den Laptop-
Computer eingegeben. Auf dem die Befragungssequenz abschließenden vierten
Bildschirm wurde dann dokumentiert, ob die zuvor erfasste Antwortlatenz valide
gemessen wurde.
Das zentrale Problem bei dieser „manuellen“ Art der Zeiterfassung besteht darin,
den genauen Zeitpunkt für die Beendigung der Messung zu treffen. Eine „konserva-
tive“, weil das Risiko von zu langen Zeitmessungen minimierende Vorgehensweise
besteht darin, die Messung sofort bei der ersten Äußerung der Befragten abzuschal-
ten. Immer, wenn es sich bei dieser Äußerung der Befragten nicht um eine fertige
Antwort handelt, ergeben sich bei dieser Vorgehensweise invalide Zeitmessungen.
Dies ist etwa dann unvermeidlich der Fall, wenn die Befragten Verständnisfragen
stellen oder spontan in eine Kommunikation mit dem Interviewer eintreten (Bassili
1996a). Auch Ablenkungen der Befragten durch Kontextfaktoren und die damit
verbundene Invalidierung der Messung lassen sich kaum verhindern. Allerdings
begleiten die Befragten ihren Antwortgenerierungsprozess häufig durch „lautes
Nachdenken“, was in eine korrekt gemessene Antwortgeschwindigkeit einbezogen
werden muss. In diesem Fall führt die „konservative“ Strategie der Beendigung der
Zeitmessung zu Fehlmessungen, die durch eine flexiblere Handhabung vermieden
werden können. So haben die Ergebnisse von Voruntersuchungen gezeigt, dass In-
terviewer mit zunehmender Erfahrung mit der Messprozedur schnell lernen, den
Antwortgenerierungsprozess begleitende Selbstgespräche von der Äußerung fertiger
Antworten zu unterscheiden. Diese Fähigkeit wurde daher im Rahmen einer prakti-
schen Interviewerschulung intensiv geübt. Der dennoch unvermeidliche Anteil der
nicht validen Reaktionszeitmessungen liegt in der vorliegenden Studie bei 21.8 Pro-
zent der Fälle. Die durch die Software bedingte, technische Obergrenze der Mess-
genauigkeit liegt bei einer Hundertstelsekunde.
- Transformierte Versionen der Rohreaktionszeiten: In der Literatur wird vorge-
schlagen, die charakteristische Schiefe der Verteilung von Reaktionszeiten durch
Logarithmierung oder durch Anwendung der Quadratwurzel zu beseitigen (Bargh
und Chartrand 2000). Es wurden daher zwei entsprechend transformierte Versio-
nen der Rohreaktionszeiten erstellt und in die Validierungsstudie einbezogen.
ZA-Information 52 21
- Standardisierte Rohreaktionszeiten: Bei der Erstellung der standardisierten Versi-
on der Antwortlatenzen wurde wie folgt vorgegangen: In einem ersten Schritt wurde
für jeden Befragungsteilnehmer dessen durchschnittliche Antwortgeschwindigkeit
bei allen anderen, im Interview beantworteten Fragestellungen berechnet. Bei die-
sen Standardisierungsfragen handelt es sich um insgesamt 126 Fragestellungen aus
dem Bereich politischer Überzeugungen, Einstellungen zu ethnischen Fremdgrup-
pen und gegenüber Umfragen. Es wurde weiterhin nach verschiedenen Lebensge-
wohnheiten der Befragten und deren sozialstrukturellen Merkmalen gefragt. Die
resultierende Verteilung der Mittelwerte spiegelt die individuellen Unterschiede in
der generellen Antwortgeschwindigkeit zwischen den Befragten wider. Die standar-
disierte Antwortlatenz wurde berechnet, indem die Basisgeschwindigkeit jedes Be-
fragten von der bei der Beantwortung der Frage nach dem täglichen Fernsehkonsum
beobachteten Antwortlatenz abgezogen wurde (Fazio 1990). Haben die Befragten
bei der Zielfragestellung, im Vergleich zu der ansonsten im Interview beobachteten
durchschnittlichen Antwortlatenz, überdurchschnittlich schnell geantwortet, so
nimmt die Ergebnisvariable negative Werte an. Eine positive Ausprägung auf dieser
Dimension zeigt dagegen an, dass die Befragten überdurchschnittlich lange für die
Generierung der Antwort brauchten.
3.4 Ergebnisse
Die Darstellung der empirischen Ergebnisse gliedert sich in vier Abschnitte. Zuerst
werden die Angaben der Befragten über ihr Fernsehverhalten bei Verwendung der
unterschiedlich kategorisierten Antwortskalen dargestellt und die dabei benötigte
Zeit sowie das erlebte Gefühl der Antwortsicherheit beschrieben. Es wird auch ana-
lysiert, ob den unterschiedlichen Indikatoren für die Informationsverfügbarkeit kon-
vergente Validität zugesprochen werden kann. Im zweiten Abschnitt soll dann die
Prognosekraft der subjektiven Antwortsicherheit für die Beeinflussbarkeit der Be-
fragten durch die hier untersuchte Art von Response-Effects untersucht werden.
Diese wird dann im dritten Teil der Datenauswertung mit jeder der Antwortge-
schwindigkeiten verglichen. Der abschließende vierte Analyseteil untersucht dann
die relative Fähigkeit der verschiedenen Versionen der Antwortlatenzen zur Identi-
fikation jener Befragten, deren Angaben in besonderem Ausmaß durch die unter-
schiedlich kategorisierten Antwortskalen beeinflusst werden.
3.4.1 Deskriptive Ergebnisse
Die in Tabelle 1 dargestellten Angaben über die Länge des täglichen Fernsehkon-
sums weisen deutliche Einflüsse der unterschiedlich kategorisierten Antwortskalen
22 ZA-Information 52
auf. So ist erkennbar, dass 80.4 Prozent der Befragten bei Verwendung der nieder-
frequenten Antwortskala einen täglichen Fernsehkonsum zwischen 0 und 2.5 Stun-
den angeben. Wenn dagegen die hoch-frequente Skalenversion herangezogen wird,
so liegt dieser Anteil jedoch nur bei 57.4 Prozent. Demnach lassen sich die übli-
cherweise beobachteten Skaleneinflüsse auch in der vorliegenden Studie replizieren.
Tabelle 1 Das Antwortverhalten bei den unterschiedlich kategorisierten Ant-
wortskalen
Nieder-frequente
Antwortskala
N % Hoch-frequente
Antwortskala
N %
(1) überhaupt nicht 1 1.8
(2) bis zu einer halben Stunde 4 7.1
(3) zwischen 0.5 und 1 Stunde 7 12.5
(4) zwischen 1 und 1.5 Stunden 17 30.4
(5) zwischen 1.5 und 2 Stunden 10 17.9 (1) bis zu 2 Stunden 24 44.4
(6) zwischen 2 und 2.5 Stunden
6 10.7 (2) zwischen 2 und 2.5 Stunden 7 13.0
(7) mehr als 2.5 Stunden 11 19.6 (3) zwischen 2.5 und 3 Stunden 13 24.1
(4) zwischen 3 und 3.5 Stunden 4 7.4
(5) zwischen 3.5 und 4 Stunden 5 9.3
(6) zwischen 4 und 4.5 Stunden 0 0.0
(7) mehr als 4.5 Stunden
1 1.9
Dichotomisiertes Antwortverhalten
0 bis 2.5 Std. Fernsehkonsum 45 80.4 0 bis 2.5 Std. Fernsehkonsum 31 57.4
mehr als 2.5 Stunden Fernseh-
konsum
11 19.6 mehr als 2.5 Stunden Fernseh-
konsum
23 42.6
Total 56 100 Total 54 100
Auf der Grundlage der von den Befragten selbst berichteten Aussagen lässt sich ein
insgesamt hohes Ausmaß an Antwortsicherheit über die Länge ihres täglichen Fern-
sehkonsums ableiten. Die durchschnittlichen Angaben liegen bei einem Wert von
1.9 und damit weniger als einen Skalenpunkt über der maximalen Sicherheit bei 1.0
(vgl. Tabelle 2). Dagegen verweist die mittlere Rohreaktionszeit von rund 6.6 Se-
kunden auf die Notwendigkeit eines doch eher aufwendigen Antwortgenerierungs-
prozesses. Dieser Eindruck wird durch den Vergleich mit der durchschnittlich bei
der Beantwortung der 126 Standardisierungsfragen beobachteten Antwortlatenz
verstärkt. Bei diesen Fragestellungen liegt der Mittelwert der benötigten Zeit nur bei
4.3 Sekunden. Dieser Unterschied spiegelt sich im Durchschnittswert der standardi-
sierten Antwortlatenzen von plus 2.4 Sekunden wider und besagt, dass die Beant-
wortung der Frage nach der Länge des täglichen Fernsehkonsums überdurchschnitt-
lich aufwendig ist.
ZA-Information 52 23
Eine Analyse der Rohreaktionszeiten und der unterschiedlich transformierten Ant-
wortlatenzen zeigt, dass diese in verschieden starkem Umfang von einer Normalver-
teilung abweichen. Die auf dem Kolmogorov-Smirnov-Test beruhende Lilliefors-
Teststatistik beträgt bei der Rohreaktionszeit 0.12 (p 0.01), bei der logarithmierten
Variante 0.14 (p 0.01) und bei der wurzeltransformierten Antwortgeschwindigkeit
0.06 (p 0.1). Es kann somit festgestellt werden, dass sich die Antwortlatenzen nur
bei einer Wurzeltransformation nicht mehr statistisch signifikant von einer Normal-
verteilung unterscheiden.
Tabelle 2 Beschreibung der unterschiedlichen Operationalisierungen der
Informationsverfügbarkeit
Min/Max Mittelwert Median Std.
Subjektive Sicherheit 1 1.0 / 7.0 1.9 1.0 1.3
Rohreaktionszeit 2 27.0 / 3263.0 662.3 566.0 529.1
Logarithmierte
Rohreaktionszeit
3.3 / 8.1 6.2 6.3 0.9
Wurzeltransformierte
Rohreaktionszeit
5.2 / 57.1 23.8 23.8 9.8
Standardisierte
Rohreaktionszeit
-666.4 / 1906.5 231.0 163.6 436.5
Mittlere Reaktionszeit bei den
126 Standardisierungsfragen
80.1 / 1506.4 431.3 355.2 249.9
1 Skalenwert 1=“völlig sicher“, Skalenwert 7=“überhaupt nicht sicher“; 2 Die dargestellte Maßeinheit sind
Hundertstelsekunden. Datengrundlage: Eigene Erhebung; N=110.
Die Struktur der Korrelationen zwischen den unterschiedlichen Indikatoren der In-
formationsverfügbarkeit zeigt die, bei bestehender konvergenter Validität der Mes-
sungen zu erwartenden Zusammenhänge (vgl. Tabelle 3). So finden sich positive
Zusammenhänge zwischen der von den Befragten selbstberichteten Antwortunsi-
cherheit und allen Versionen der Antwortlatenzen. Demnach berichten die Proban-
den ein zunehmend stärkeres Gefühl der Antwortsicherheit, wenn die Geschwindig-
keit ihres Antwortgenerierungsprozesses zunimmt. Allerdings ist nur der Zusam-
menhang zwischen den subjektiven Antwortsicherheiten und der standardisierten
Version der Antwortgeschwindigkeiten nach konventionellen Kriterien statistisch
signifikant. Dieser Art der Antwortlatenzen kann demnach das höchste Ausmaß an
konvergenter Validität zugesprochen werden. Die insgesamt eher schwachen Korre-
lationskoeffizienten zwischen 0.11 und 0.19 belegen für alle Versionen der Ant-
wortlatenzen, dass diese und die Sicherheitsangaben keineswegs identische Sach-
24 ZA-Information 52
verhalte erfassen. Zwischen den unterschiedlich transformierten Antwortlatenzen
und der Rohreaktionszeit finden sich dagegen naturgemäß starke Korrelationen mit
einem Wertebereich zwischen 0.77 und 0.96.
Tabelle 3 Korrelationen zwischen den unterschiedlichen Indikatoren der
Informationsverfügbarkeit (Pearsons r)
Subjektive
Sicherheit
Rohreaktions-
zeit (R-RZ)
Logarithmierte
R-RZ
Wurzeltrans-
formierte R-RZ
Standardisierte
R-RZ
Subjektive
Sicherheit 1.00 -- -- -- --
Rohreaktionszeit
(R-RZ) 0.15 1.00 -- -- --
Logarithmierte
R-RZ 0.11 0.85** 1.00 -- --
Wurzeltrans-
formierte R-RZ 0.14 0.96** 0.96** 1.00 --
Standardisierte
R-RZ 0.19* 0.88** 0.77** 0.86** 1.00
Datengrundlage: Eigene Erhebung; N = 110; Signifikanz: ** p 0.01; * p 0.05
3.4.2 Erklärungskraft der Antwortsicherheit für die Skaleneinflüsse
Im folgenden Abschnitt wird untersucht, ob die Beeinflussbarkeit der Befragten
durch die unterschiedlich kategorisierten Antwortskalen mithilfe der selbstberichte-
ten Antwortsicherheit vorhergesagt werden kann.6 Dabei wird das in Tabelle 1 dar-
gestellte, dichotomisierte und daher zwischen den Skalenversionen vergleichbare
Antwortverhalten als abhängige Variable der Analyse herangezogen. Die in Tabelle
4 dargestellten Ergebnisse des ersten logistischen Regressionsmodells zeigen zuerst
einmal, dass der Einfluss der unterschiedlich kategorisierten Antwortskalen als sta-
6 Bei der Schätzung multiplikativer Interaktionsparameter tritt typischerweise das Problem hoher
Multikolliniarität zwischen den Ausgangsvariablen und den multiplikativen Faktoren auf. Dies
trifft auch im vorliegenden Fall zu. Ohne Gegenmaßnahmen liegt bei den folgenden Regressi-
onsanalysen die Toleranz der Interaktionsterme in vielen Fällen bei einem Wert von 0.02 und
damit deutlich unter einem akzeptablen Niveau. Diesem Problem und der damit verbundenen
Inflationierung der für die Regressionsparameter geschätzten Standardfehler kann durch die
Verwendung z-standardisierter Variablen begegnet werden (Cronbach 1987). Durch diese
Transformation können zwar die Schätzergebnisse von Parametern niedrigerer Ordnung beein-
flusst werden, die für unser Analyseziel relevanten Parameter der jeweils höchsten Interaktions-
stufe bleiben hiervon jedoch unberührt (Aiken und West 1991: 28ff.). Bei den folgenden Reg-
ressionsmodellen 1 bis 10 gehen daher alle an den Interaktionseffekten beteiligten Variablen als
z-standardisierte Versionen in die Analyse ein. Bei dieser Vorgehensweise liegt nur noch ein
geringes Ausmaß an Multikolliniarität vor, und die Toleranz fällt für keine der Parameterschät-
zungen unter einen Wert von 0.48.
ZA-Information 52 25
tistisch abgesicherte Determinante des Antwortverhaltens der Befragten angesehen
werden kann. Von den gleichzeitig in das Regressionsmodell aufgenommenen sozi-
alstrukturellen Kontrollvariablen erweist sich die Länge der Schulbildung als signi-
fikanter Prädiktor für die Angaben. Demnach geht der berichtete Fernsehkonsum
mit steigender Schulbildung deutlich zurück.7 Die Analyse zeigt auch, dass sowohl
die subjektive Sicherheit wie auch die Rohreaktionszeiten positiv mit der Wahr-
scheinlichkeit der Nennung eines hohen Fernsehkonsums zusammenhängen: diese
Wahrscheinlichkeit steigt an, wenn beide (Un-)Sicherheitsindikatoren ein geringe-
res Ausmaß an Informationsverfügbarkeit anzeigen. Dieser unerwartete, allerdings
nur für die Antwortlatenzen überhaupt marginal signifikante Effekt, kann so inter-
pretiert werden, dass Befragte mit einem hohen Fernsehkonsum am wenigsten zu
einer sicheren Quantifizierung ihres täglichen Fernsehkonsums in der Lage sind.
Tabelle 4 Skaleneinflüsse auf die Angaben über den täglichen Fernsehkonsum
und die moderierende Wirkung der Antwortsicherheit für die Stärke
der Effekte (Ergebnisse logistischer Regressionsanalysen)
Modell 1
B (Wald-Statistik)
Modell 2
B (Wald-Statistik)
Kontroll-Variablen
(1) SCHULBILDUNG (Jahre) -0.41 (6.51)** -0.26 (2.91)*
(2) ALTER (Jahre) 0.02 (2.36) 0.03 (4.35)**
Erklärende Variablen
(3) SKALENTYP (hoch-frequent) 1 1.67 (10.15)** 1.55 (9.11)**
(4) SUBJEKTIVE SICHERHEIT (z-Werte) 0.23 (1.09) -0.06 (0.05)
(5) ROHREAKTIONSZEIT (z-Werte) 0.46(3.54)* --
(6) SKALENTYP SICHERHEIT -- 1.20 (4.25)**
Konstante 1.48 (0.54) -0.30 (0.02)
Pseudo R2 Gesamtmodell 0.19 0.20
N 110 110
1 Referenzkategorie: “nieder-frequent“; abhängige Variable: 0=“0 bis 2.5 Stunden Fernsehkonsum“, 1=“mehr
als 2.5 Stunden Fernsehkonsum“; die Variable „Skalentyp“ geht in Dummy-Kodierung (0,1) in die Analyse
ein; Signifikanz: * p 0.1; ** p 0.05
7 Abgesehen von den dargestellten Variablen wurde außerdem überprüft, ob sich das Geschlecht,
der Erwerbsstatus, das Haushaltseinkommen sowie die Konfessionszugehörigkeit und der Fami-
lienstand der Befragten auf deren Antwortverhalten auswirken (Ergebnisse nicht dargestellt). Da
dies bei keiner der angeführten Dimensionen der Fall ist, werden diese Faktoren in die weiteren
Analysen nicht einbezogen.
26 ZA-Information 52
In Regressionsmodell 2 wird überprüft, ob die Beeinflussbarkeit der Befragten
durch die unterschiedlich kategorisierten Antwortskalen durch die subjektive Ant-
wortsicherheit prognostiziert werden kann (vgl. Tabelle 4). Es wird erwartet, dass
eine hoch-frequente Antwortskala mit steigender Antwortunsicherheit der Befragten
einen zunehmend positiven Einfluss auf die Nennung eines hohen Fernsehkonsums
ausübt. Diese Erwartung wird durch den positiven und statistisch signifikanten In-
teraktionsparameter zwischen der Art der Antwortskala und den Sicherheitsangaben
bestätigt.
Abbildung 1 Prognosekraft der subjektiven Antwortsicherheit für die Beein-
flussbarkeit der Befragten durch unterschiedlich kategorisierte
Antwortskalen8
*) Prozentsatz der Befragten mit Angaben von mehr als 2.5 Stunden täglichen Fernsehkonsums
In Abbildung 1 wird der Inhalt dieses Interaktionseffektes graphisch dargestellt.
Dabei erweist sich die Subgruppe der Befragten mit hoher Antwortsicherheit als
praktisch immun gegenüber Einflüssen durch die unterschiedlichen Skalenversio-
nen. Bei Verwendung der nieder-frequenten Antwortskala geben 30 Prozent und bei
der hoch-frequenten Version 27 Prozent der Probanden einen Fernsehkonsum von
mehr als 2.5 Stunden pro Tag an. Dagegen werden Befragte mit einer relativ gerin-
gen Antwortsicherheit sehr stark durch die Darstellung der Antwortoptionen beein-
flusst. In dieser Gruppe geben bei Verwendung der nieder-frequenten Skala 10 Pro-
8 In der vorliegenden Darstellung wurde die Befragtenpopulation hinsichtlich ihrer Antwortsi-
cherheit in zwei möglichst gleich große Gruppen unterteilt. Die Gruppe mit geringer Antwortsi-
cherheit enthält 46 Prozent und die mit hoher Antwortsicherheit 54 Prozent der Befragten.
0
10
20
30
40
50
60
70
80
nieder-frequent hoch-frequent
gering
hoch
Typ der Antwortskala
Antwortsicherheit
Prozentsatz hoher Fernsehkonsum *)
ZA-Information 52 27
zent, bei der hoch-frequenten Skala aber 70 Prozent an, täglich mehr als 2.5 Stun-
den vor dem Fernseher zu verbringen. Die subjektive Antwortsicherheit kann somit
als valider Indikator für die Informationsverfügbarkeit und guter Prädiktor für die
untersuchte Art von Response-Effects angesehen werden.
3.4.3 Relative Erklärungskraft der Antwortsicherheit und Antwortlatenzen
Im folgenden Abschnitt wird die Prognosekraft der subjektiven Antwortsicherheit
für die Stärke der Skaleneinflüsse mit der jeder der hier untersuchten Versionen der
Antwortlatenzen verglichen. Zu diesem Zweck werden vier logistische Regressi-
onsanalysen durchgeführt. Es wird genau wie bei der Antwortunsicherheit prognos-
tiziert, dass eine hoch-frequente Antwortskala mit steigender Antwortgenerierungs-
zeit einen zunehmend positiven Einfluss auf die Nennung eines hohen Fernsehkon-
sums ausübt. Demnach ist ein positiver Interaktionsparameter zwischen den Ska-
lenversionen und den Antwortlatenzen der Befragten zu erwarten. Da bei der Ana-
lyse jeder der Versionen der Antwortlatenzen gleichzeitig die bereits oben festge-
stellte Erklärungskraft der Antwortsicherheiten statistisch kontrolliert wird, können
Schlussfolgerungen über die relative Erklärungskraft der beiden Typen von Indika-
toren der Informationsverfügbarkeit abgeleitet werden.
Die in Tabelle 5 dargestellten Ergebnisse von Regressionsmodell 3 belegen erstens,
dass sich die Beeinflussbarkeit der Befragten durch Skaleneinflüsse auch dann in
marginal signifikantem Umfang durch die Rohreaktionszeiten vorhersagen lässt,
wenn zugleich die Bedeutung der subjektiven Antwortsicherheit kontrolliert wird.
Dagegen verliert die selbstberichtete Antwortsicherheit bei gleichzeitiger Berück-
sichtigung der Antwortlatenzen jegliche diagnostische Kraft in dieser Hinsicht: der
zuvor bedeutsame Interaktionseffekt zwischen dem Typ der Antwortskala und den
Sicherheitsangaben erweist sich nun nicht mehr als signifikant.
Die Ergebnisse des vierten Regressionsmodells zeigen bei Verwendung der
logarithmierten Rohreaktionszeiten das gleiche Ergebnis, wobei sich diese nun al-
lerdings als nach konventionellen Kriterien statistisch abgesicherter Prädiktor der
Skaleneinflüsse erweisen (vgl. Tabelle 5). Auch hier wird die Erklärungskraft der
subjektiven Antwortsicherheit vollständig durch die Bedeutsamkeit der Antwort-
latenzen absorbiert. Die gleiche Aussage trifft auch für die am Mittelwert zentrierte
Version der Antwortlatenzen zu (vgl. Tabelle 5: Modell 6). Die Prognosekraft der
wurzeltransformierten Version der Antwortlatenz (Modell 5) verfehlt bei gleichzei-
tiger Kontrolle der Antwortsicherheiten nur knapp das Kriterium der 5-prozentigen
Irrtumswahrscheinlichkeit und erweist sich somit als marginal signifikant. Die vor-
liegende Analyse zeigt somit, dass jeder der untersuchten Versionen der Antwortla-
28 ZA-Information 52
tenzen eine im Vergleich zur subjektiven Antwortsicherheit stärkere Fähigkeit zur
Prognose der untersuchten Art von Response-Effects und damit eine höhere Validi-
tät als Indikator für die Informationsverfügbarkeit zukommt.
Tabelle 5 Relative Erklärungskraft der subjektiven Antwortsicherheit und unter-
schiedlicher Versionen der Antwortlatenzen für die Beeinflussbarkeit
der Angaben über die Länge des täglichen Fernsehkonsums durch die
Kategorisierung der Antwortskala
(Ergebnisse logistischer Regressionsanalysen)
Modell 3
B
(Wald-Statistik)
Rohreaktionszeit
Modell 4
B
(Wald-Statistik)
Logarithmierte
Rohreaktionszeit
Modell 5
B
(Wald-Statistik)
Wurzeltransformierte
Rohreaktionszeit
Modell 6
B
(Wald-Statistik)
Standardisierte
Rohreaktionszeit
Kontroll-Variablen
(1) BILDUNG (Jahre) -0.38 (4.72)** -0.40(5.22)** -0.40(5.07) ** -0.34(3.95)**
(2) ALTER (Jahre) 0.03(2.61) 0.03(3.04)* 0.03(2.72) * 0.03(3.00)*
Subjektive Sicherheit
(3) SKALENTYP
(hoch-frequent)1
1.77(10.52)** 1.66(9.08)** 1.73(10.12) ** 1.86 (10.82)**
(4) SUBJEKTIVE
SICHERHEIT
(z-Werte)
-0.06(0.05) -0.06 (0.05) -0.06 (0.05) -0.07 (0.05)
(5) SKALENTYP
SICHERHEIT
0.91(2.40) 0.83 (1.95) 0.86(2.12) 0.90(2.01)
Antwortlatenzen
(6) ANTWORT-
LATENZEN
(z-Werte)2
0.09(0.07) 0.09(0.05) 0.10 (0.07) 0.05 (0.02)
(7) SKALENTYP
LATENZEN
1.06(3.09)* 1.17(3.80)** 1.07 (3.58) * 1.16(3.71)**
(8) Konstante 1.24(0.32) 1.33 (0.38) 1.38(0.40) 0.73 (0.12)
Pseudo-R2-
Gesamtmodell
0.246 0.276 0.261 0.253
N 110 110 110 110
1 Referenzkategorie: “nieder-frequent“; 2 Es handelt sich bei den verschiedenen Modellen um den jeweils in
der Kopfzeile der Tabelle beschriebenen Typ an Antwortlatenz; abhängige Variable: 0=“0 bis 2.5 Stunden
Fernsehkonsum“, 1=“mehr als 2.5 Stunden Fernsehkonsum“; die Variable „Skalentyp“ geht in Dummy-
Kodierung (0,1) in die Analyse ein; Signifikanz: * p 0.1; ** p 0.05
ZA-Information 52 29
3.4.4 Relative Erklärungskraft verschiedener Versionen der Antwortlatenzen
Im abschließenden Teil der empirischen Untersuchung soll nun untersucht werden,
ob und wie stark sich die unterschiedlichen Transformationen der Antwortlatenzen
auf deren Fähigkeit zur Prognose der Skaleneinflüsse auswirken. Die Korrelations-
analysen in Abschnitt 3.4.1 haben gezeigt, dass die verschiedenen Antwortlatenzen
unterschiedlich große Varianzbestandteile mit der subjektiven Antwortsicherheit
teilen. Aus diesem Grund muss bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Sicherheits-
dimension mit einer bei den verschiedenen Latenzversionen unterschiedlich starken
Absorption deren Erklärungskraft gerechnet werden. Eine solche Verzerrung der
Untersuchungsergebnisse wird dadurch ausgeschlossen, indem die relative Validität
der verschiedenen Latenztypen unter Ausschluss der Antwortsicherheit untersucht
wird.
Die in Tabelle 6 dargestellten Ergebnisse entsprechender logistischer Regressions-
analysen belegen zuerst einmal, dass alle Versionen der Antwortlatenzen die Beein-
flussbarkeit der Befragten durch unterschiedlich kategorisierte Antwortskalen in
signifikantem Ausmaß vorhersagen können. Weiterhin lässt sich feststellen, dass
den Rohreaktionszeiten (Modell 7), den logarithmierten Rohreaktionszeiten (Modell
8) sowie der wurzeltransformierten Variante der Antwortzeiten (Modell 9) ein prak-
tisch identisches Ausmaß an Erklärungskraft zukommt. Durch die Berücksichtigung
des Interaktionseffektes zwischen der Art der Antwortskala und der jeweiligen Ver-
sion der Antwortlatenzen steigt der Pseudo-R2-Wert und damit die Erklärungskraft
der Modelle um 0.037 bzw. 0.038 Einheiten an. Damit lässt sich zumindest bei der
vorliegenden Art der Response-Effects keine Validitätsverbesserung durch eine
größere Annäherung der Reaktionszeiten an eine Normalverteilung feststellen. Aus-
schließlich bei Verwendung der standardisierten Antwortgeschwindigkeiten liegt
eine gewisse, allerdings schwache Verbesserung der Vorhersagefähigkeit vor. Aus-
gehend von den Rohreaktionszeiten erhöht sich die Prognosekraft um 0.006 auf ei-
nen Pseudo-R2-Wert von 0.044. Die Beseitigung der individuell stabilen Unter-
schiede in der Antwortgeschwindigkeit zwischen den Befragten reduziert somit die
beobachtete Devianz zwischen dem prognostizierten und tatsächlichen Antwortver-
halten um 0.6 Prozentpunkte.
30 ZA-Information 52
Tabelle 6 Relative Erklärungskraft der Rohreaktionszeiten und unterschiedlich
transformierter Versionen der Antwortlatenzen für die Beeinflussbar-
keit der Angaben über die Länge des täglichen Fernsehkonsums durch
die Kategorisierung der Antwortskala
(Ergebnisse logistischer Regressionsanalysen)
Modell 7
B
(Wald-Statistik)
Rohreaktionszeit
Modell 8
B
(Wald-Statistik)
Logarithmierte
Rohreaktionszeit
Modell 9
B
(Wald-Statistik)
Wurzeltransformierte
Rohreaktionszeit
Modell 10
B
(Wald-Statistik)
Standardisierte
Rohreaktionszeit
Kontroll-Variablen
(1) BILDUNG (Jahre) -0.46(7.57)** -0.48 (7.89)** -0.48(7.82)** -0.41 (6.41)**
(2) ALTER (Jahre) 0.02(1.66) 0.02(2.20) 0.02 (1.84) 0.02(2.22)
Erklärende Variablen
(3) SKALENTYP
(hoch-frequent) 1 1.67 (10.14)** 1.53(8.51)** 1.63 (9.68)** 1.74 (10.76)**
(4) ANTWORT-
LATENZ (z-Werte) 2 0.12 (0.14) 0.12(0.09) 0.13(0.14) 0.08(0.06)
(5) SKALENTYP
LATENZ
1.25 (4.28)** 1.30 (4.77)** 1.20 (4.64)** 1.36 (5.29)**
(6) Konstante 2.38(1.34) 2.34 (1.31) 2.45(1.41) 1.71 (0.72)
Verbesserung Pseudo-
R2 bei Einführung der
SKALENTYP
LATENZ Interaktion
0.038 0.037 0.038 0.044
Pseudo-R2
Gesamtmodell 0.224 0.256 0.239 0.233
N 110 110 110 110
1 Referenzkategorie: “nieder-frequent“; 2 Es handelt sich bei den verschiedenen Modellen um den jeweils in
der Kopfzeile der Tabelle beschriebenen Typ an Antwortlatenz; abhängige Variable: 0=“0 bis 2.5 Stunden
Fernsehkonsum“, 1=“mehr als 2.5 Stunden Fernsehkonsum“; die Variable „Skalentyp“ geht in Dummy-
Kodierung (0,1) in die Analyse ein; Signifikanz: * p 0.1; ** p 0.05
In Abbildung 2 wird der Inhalt des Interaktionseffektes zwischen den verschieden
kategorisierten Antwortskalen und den standardisierten Antwortlatenzen dargestellt.
Die Ergebnisse stimmen vollständig mit den bei der Untersuchung der subjektiven
Antwortsicherheiten festgestellten überein. So berichten Probanden, die die Frage
nach ihrem Fernsehverhalten schnell beantwortet haben, bei der nieder-frequenten
zu 25 Prozent und bei der hoch-frequenten Antwortskala zu 23 Prozent einen tägli-
ZA-Information 52 31
chen Fernsehkonsum von über 2.5 Stunden. Das Antwortverhalten dieser Gruppe
von Befragten mit hoher Informationsverfügbarkeit bleibt somit durch die Art der
Antwortskala praktisch unbeeinflusst. Dagegen finden sich bei Befragten mit relativ
zu ihrer normalen Antwortgeschwindigkeit langen Latenzzeiten sehr starke Skalen-
einflüsse. Hier steigt der Anteil der Probanden, die auf der Grundlage der eigenen
Angaben als starke Fernsehkonsumenten klassifiziert werden müssen, ausgehend
von einem Anteil von 16 Prozent bei der nieder-frequenten Skala auf 70 Prozent bei
der hoch-frequenten Skalenversion.
Abbildung 2 Prognosekraft der standardisierten Antwortlatenzen für die Beein-
flussbarkeit der Befragten durch unterschiedlich kategorisierte
Antwortskalen9
*) Prozentsatz der Befragten mit Angaben von mehr als 2.5 Stunden täglichen Fernsehkonsums
4 Zusammenfassung und Diskussion
Die vorliegende Untersuchung hat im ersten Schritt gezeigt, dass sich die unter-
schiedliche Kategorisierung der verwendeten Antwortskalen in dramatischem Aus-
maß auf die inhaltlichen Angaben der Befragten über die Länge ihres täglichen Fern-
sehkonsums auswirkt. So haben in unserer Untersuchung bei Verwendung einer
9 In der vorliegenden Darstellung wurde die Befragtenpopulation hinsichtlich ihrer standardisier-
ten Antwortgeschwindigkeit in zwei identisch große Teilgruppen klassifiziert. Die dargestellten
Befragtengruppen mit langen und kurzen Antwortlatenzen repräsentieren jeweils 50 Prozent al-
ler Umfrageteilnehmer.
5
20
35
50
65
nieder-frequent hoch-frequent
schnell
langsam
Typ der Antwortskala
Antwortlatenzen
Prozentsatz hoher Fernsehkonsum *)
32 ZA-Information 52
nieder-frequenten Antwortskala 19.6 Prozent, beim Einsatz einer hoch-frequenten
Skala aber 42.5 Prozent der Befragten einen täglichen Fernsehkonsum von mehr als
2.5 Stunden angegeben. Die Stärke dieses Response-Effects von 22.9 Prozentpunk-
ten stimmt beinahe vollständig mit der in der ersten Studie mit dieser Fragestellung
beobachteten Effektstärke von 21.3 Prozentpunkten überein (Schwarz et al. 1985).
Somit wurde erneut gezeigt, dass sich scheinbar irrelevante Veränderungen des Be-
fragungsinstrumentes in sehr starkem Umfang auf die Ergebnisse von Umfragen
auswirken können.
Mit Hinblick auf die erste der drei zentralen Fragestellungen unserer Studie konnte
gezeigt werden, dass sich die Beeinflussbarkeit der in unserer Stichprobe repräsen-
tierten Befragten durch die Darstellung der Antwortskala in sehr starkem Umfang
unterscheidet. Dabei hat sich die von den Probanden selbst berichtete Antwortsi-
cherheit als guter Prädiktor für diese Unterschiede erwiesen. Demnach weichen die
inhaltlichen Angaben bei den verschieden kategorisierten Antwortskalen dann in
steigendem Ausmaß voneinander ab, wenn sich die Befragten zunehmend über ihre
Angaben unsicher fühlen. Durch den Einsatz dieses meta-kognitiven Indikators der
Informationsverfügbarkeit kann somit die in der Literatur bereits indirekt belegte
Bedeutung dieses Faktors als zentrale Entstehungsbedingung von Skaleneinflüssen
durch direkte Evidenz bestätigt werden (Schwarz und Hippler 1987).
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung belegen zweitens aber auch, dass bei
Verwendung der von den Probanden zur Beantwortung der Frage über die Länge
ihres Fernsehkonsums benötigten Zeit, deren Empfänglichkeit für Skaleneinflüsse
besser als durch die Antwortsicherheiten prognostiziert werden kann. Multivariate
Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass die anfänglich bestehende gute Vor-
hersagekraft der subjektiven Antwortsicherheit vollständig durch die gleichzeitige
Berücksichtigung der Antwortlatenzen absorbiert wird. Damit kann die Annahme
bestätigt werden, dass die Antwortlatenzen als operationaler Indikator der Informa-
tionsverfügbarkeit, im Vergleich zur meta-kognitiven Operationalisierung mittels
der selbstberichteten Antwortsicherheit, als validere Messung angesehen werden
kann (Bassili 1996b).
Die Untersuchung hat hinsichtlich ihrer dritten Fragestellung gezeigt, dass die un-
terschiedlichen in der Literatur vorgeschlagenen und auch im forschungspraktischen
Kontext oft eingesetzten Transformationen der Antwortlatenzen entweder nicht
oder nur in recht moderatem Ausmaß zu einer verbesserten Validität der Messer-
gebnisse führen. Ein Vergleich der Prognosekraft der Rohreaktionszeiten für die
Beobachtete Stärke der Skaleneinflüsse mit der von logarithmierten und wurzel-
transformierten Varianten der Latenzdaten zeigt keine Unterschiede in dieser Hin-
ZA-Information 52 33
sicht. Ausschließlich die am Mittelwert der „normalen“ Antwortgeschwindigkeit
jedes Befragten zentrierte Variante der Antwortlatenzen führt zu einer im Vergleich
zu den anderen Latenzvarianten leichten Verbesserung der Vorhersagekraft. Damit
kann zwar die Vermutung bestätigt werden, dass die Beseitigung dispositionaler
und nicht mit dem Ausmaß der Informationsverfügbarkeit verbundener Unterschie-
de in der Antwortgeschwindigkeit die Validität dieses Indikators stärkt (Stocké
2002). Es finden sich aber keine Belege für unsere Annahme, wonach die uneinheit-
liche Praxis bei der Transformation von Latenzdaten die Ursache für die teilweise
inkonsistenten Ergebnisse über die Prognosekraft von Antwortlatenzen ist.
Eine alternative, bisher aber nicht systematisch untersuchte Erklärung der wider-
sprüchlichen Ergebnislage kann darin gesehen werden, dass Antwortlatenzen außer
der zum Abruf der notwendigen Informationen aus dem Gedächtnis benötigten Zeit
auch andere Aspekte des Antwortgenerierungsprozesses erfassen. So werden La-
tenzdaten außerdem durch die von der Befragtenmotivation abhängigen Elaboriert-
heit der Antworten, durch die Stärke von Anreizen durch soziale Erwünschtheit so-
wie durch die Komplexität des Befragungsinstrumentes beeinflusst. Mit zunehmen-
dem Gewicht dieser Fremddimensionen der Messung muss mit einem immer stärke-
ren Rückgang der Validität von Antwortlatenzen als Indikator für die Informations-
verfügbarkeit gerechnet werden. Zukünftige Untersuchungen müssen daher zeigen,
welche Randbedingungen sich auf die relative Bedeutsamkeit der unterschiedlichen
Bestimmungsfaktoren von Latenzdaten und damit auf deren Vorhersagekraft für die
Stärke von Response-Effects auswirken.
Was die Schlussfolgerungen hinsichtlich der Umfragepraxis angeht, so kann festge-
stellt werden, dass die Antwortlatenzen in allen Transformationsvarianten sowie die
subjektive Antwortsicherheit die Anfälligkeit bestimmter Befragtengruppen gegen-
über Response-Effects und damit die erwartbare Qualität der Umfragedaten vorher-
sagen können. Es erscheint uns in dieser Hinsicht ratsam, derartige Indikatoren,
zumindest bei „gefährdeten“ Fragestellungen, regelmäßig als Zusatzinformation zu
den eigentlichen Befragtenangaben mitzuerheben. Antwortlatenzen haben hierbei
nicht nur den Vorteil einer besseren Prognosekraft, sondern stehen bei computerge-
stützten Befragungen auch als Nebenprodukt des normalen Interviewprozesses und
damit ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung. Die Möglichkeit eines fruchtbaren
Einsatzes von Antwortlatenzen konnte bereits in Telefonumfragen mit allgemeinen
Bevölkerungsstichproben belegt werden (Bassili 1993, 1996b, Bassili und Bors
1997). Die vorliegende Untersuchung zeigt dies auch für den Kontext persönlich-
mündlicher Befragungen bei den Umfrageteilnehmern zu Hause. Ob dies auch bei
größeren, beispielsweise bundesweiten Umfragen, und den hierbei normalerweise
34 ZA-Information 52
zum Einsatz kommenden Interviewerstäben möglich ist, muss allerdings noch ge-
zeigt werden.
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Hat die Flut vom August 2002 die Spendenaktivität
gesteigert?
Ein Vergleich der Häufigkeit und der Hintergründe
habitueller und spontaner Spenden
von Heiner Meulemann1 und Tilo Beckers2
Zusammenfassung
Wird spontan häufiger gespendet als habituell? Und hängen spontane und habituel-
le Spenden in gleichem Maße von Ressourcen, aber in unterschiedlichem Maße von
Einstellungen ab? Um diese Fragen zu beantworten, wurden zwischen Oktober und
Dezember 2002 rund 1.500 Personen über 18 Jahren in den CATI-Laboren der
Universitäten Duisburg, Düsseldorf und Köln befragt. Als „spontan“ wurden
Spenden für die Flutopfer im August 2002, als „habituell“ Spenden in den letzten
12 Monaten erfragt. Wider Erwarten wird in beiden Formen etwa gleich häufig
gespendet; in beiden Formen sind zudem geringe Summen gleich häufig, während
hohe Summen habituell häufiger als spontan gespendet werden. Wider Erwarten
weiterhin hängen beide Spendenarten nicht in gleicher Weise von Ressourcen ab;
vielmehr ist die habituelle stärker als die spontane Spende durch das Einkommen
bestimmt. Wie erwartet, hängen beide Spendenarten aber von unterschiedlichen
Einstellungen ab; die habituelle Spende wird vor allem durch die Religiosität, die
spontane durch die Spendenbereitschaft bestimmt. Diese bivariaten Ergebnisse
werden auch in der multivariaten Analyse bestätigt.
1 Dr. Heiner Meulemann ist Professor für Soziologie an der Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Direktor des Instituts für Angewandte Sozial-
forschung (IFAS). Adresse: Greinstraße 2, 50939 Köln, Telefon: 0221 470 5658, E-Mail:
meulemann@wiso.uni-koeln.de.
2 Tilo Beckers, M.A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Angewandte Sozialfor-
schung der Universität zu Köln. Adresse: Greinstraße 2, 50939 Köln, Telefon: 0221 470 6140,
E-Mail: beckers@wiso.uni-koeln.de.
38 ZA-Information 52
Abstract:
Has the flood of August 2002 increased donations? A comparison between
spontaneous and habitual donations
Do people more often donate spontaneously than habitually? And do both forms of
donations depend in the same manner on resources, yet differently on attitudes? To
examine both questions, 1,500 persons over 18 have been interviewed in the CATI
laboratories of the universities Duisburg, Düsseldorf und Köln between October
and December 2002. As “spontaneous” donations for the victims of the flood in
August 2002 have been surveyed, and as “habitual” any donations within the last
12 months. Contrary to expectation, both forms are about equally frequent; more-
over, small sums are about equally frequent in both forms while larger sums are
more often given habitually. Contrary to expectation, further on, both forms are not
affected by resources equally; in fact habitual donations more strongly depend on
income than spontaneous donations. As expected, however, both forms depend on
different attitudes; habitual donations are primarily determined by religiosity and
spontaneous donations primarily by the intention to donate. These results of the
bivariate analysis are also confirmed by multivariate regression.
1 Fragen und Anlage der Untersuchung
1.1 Gewöhnliche und außergewöhnliche Spenden
Die Jahrhundertflut in Ostdeutschland, Bayern und Tschechien im August 2002 hat
die deutsche Bevölkerung veranlasst, in einem hohen, ja – wie viele Beobachter
meinten – in einem außergewöhnlich hohen Maße für die Opfer zu spenden. Aber
was ist außergewöhnlich, was gewöhnlich? Laut einer Umfrage des Instituts für
Demoskopie Allensbach hatten im September 2002 42 % der Deutschen ab 16 Jah-
ren für die Flutopfer gespendet und 23 % wollten es noch tun (Frankfurter Allge-
meine Sonntagszeitung vom 15.9.2002); sollten sie ihre Absicht verwirklicht haben,
so hätten also 65 % der Bevölkerung gespendet. „Außergewöhnlich“ war die Flut
vor allem durch die drastischen Schäden, die im Fernsehen so greifbar wurden, als
seien sie nebenan passiert. Der Kontrast zwischen den überschwemmten Wohnun-
gen auf dem Bildschirm und dem heilen Wohnzimmer, in dem die Bilder empfan-
gen werden, ruft Mitleid hervor. Man will helfen und kann es am besten durch
Spenden. 76 % der Deutschen sagen in einer gleichzeitigen Umfrage: „Ich spende
spontan, wenn mich etwas anrührt“ (Chrismon 9/2002, Beilage der Wochenzeit-
schrift Die Zeit) – eine Zahl, die gut zu den zwei Dritteln von Spendern für die Flut-
opfer passt.
ZA-Information 52 39
Aber wenn die Flut nicht mehr täglich auf dem Bildschirm auftaucht, geht sie auch im
Bewusstsein der Bevölkerung zurück. Der Anlass des Mitleids und das Ziel für die
Spende fallen weg. Wer nun spenden will, muss zwischen vielen Zielen wählen, von
denen keines mit einer Kontonummer allabendlich auf dem Bildschirm für sich werben
kann und tagtäglich in aller Munde ist. Zu „gewöhnlichen“ Zeiten ist daher die Spen-
denbereitschaft niedriger. Die Frage: „Haben Sie innerhalb der letzten 12 Monate min-
destens einmal für eine gemeinnützige Organisation gespendet?“ wird im September
2000 von 37 % und im September 2001 von 40 % der über 14-jährigen Bevölkerung
bejaht (TNS-EMNID-Spendenmonitor, abrufbar unter www.sozialmarketing.de). Die
„gewöhnliche“ Spendenaktivität der Bevölkerung liegt also 25 Prozentpunkte un-
terhalb der „außergewöhnlichen“, wenn man sie an den 65 % misst, die für die Flut-
opfer gespendet haben und noch spenden wollen.
Spende ist also nicht Spende. Gewiss, jede Spende kostet Geld. Aber die Bereit-
schaft, Geld locker zu machen, hängt von den Umständen ab – und davon, wie die
Umstände die potenziellen Spender mobilisieren können. Die „gewöhnliche“ wie
die „außergewöhnliche“ Spende wird in gleichem Maße dadurch bestimmt, was
einer spenden „kann“. Aber die „gewöhnliche“ und die „außergewöhnliche“ Spende
sollten in unterschiedlicher Weise von dem abhängen, was einer spenden „will“:
Weil die Medien „außergewöhnliche“ Anlässe drastisch und permanent präsentieren
und den Stoff für Gespräche mit Nachbarn, Freunden und Kollegen liefern, steigt
die Spendenbereitschaft auch bei denen, die von sich aus nicht wüssten, warum und
wo sie etwas spenden sollten: Die Aktualität des Geschehens provoziert die Sponta-
neität der Reaktion. Im „gewöhnlichen“ Fall aber muss, wer etwas spenden will,
sich selber mit Anlässen und Verbänden – vom Hunger in der Welt bis zu AIDS,
von der Kriegsgräberfürsorge bis zu Greenpeace – vertraut machen. Er muss sich
selber zum Spenden anhalten, weil ihm Ziele nicht aufgedrängt werden. Er muss
von sich aus das selbstverständliche Streben nach Eigennutz zurückstellen und
Handlungsantriebe zugunsten anderer entwickeln; er muss seinen inneren Motor
von „Mich“ auf „Dich“ umschalten, ichbezogene Motive auf fremde Ziele umlenken.
Kurzum: „Außergewöhnliche“ Spenden sollten nicht nur häufiger sein als „gewöhn-
liche“. Sie sollten auch anders motiviert sein: „Gewöhnliche“ und „außergewöhnli-
che“ Spenden sollten in gleichem Maße vom „Können“, aber in unterschiedlichem
Maß vom „Wollen“ der Menschen bestimmt sein. Oder: Habituelle wie auch spon-
tane Spenden sollten in gleichem Maße von Ressourcen, aber in unterschiedlichem
Maße von Einstellungen abhängen. Um diese Vermutungen zu prüfen, müssen habi-
tuelle und spontane Spenden simultan erfragt werden. Im Folgenden werden aus
einer solchen Befragung – unseres Wissens der bisher einzigen – Ergebnisse zur
Häufigkeit und zum Hintergrund der beiden Spendenarten berichtet.
40 ZA-Information 52
1.2 Stichprobe, Ausschöpfung, Gewichtung
Zwischen dem 21.10. und dem 13.12.2002 – also zu einer Zeit, als die Flutkatastro-
phe vom August 2002 und Reaktionen darauf noch gut in Erinnerung sein sollten –
wurde ein repräsentativer Querschnitt der deutschen Bevölkerung ab 18 Jahren in
den CATI-Laboren der Universitäten Köln, Düsseldorf und Duisburg telefonisch
befragt.3 Auf der Basis der Telefon-CD-ROM „D-Info“ der Deutschen Telekom für
das Jahr 2002 wurde nach dem Häder-Gabler-Design eine für Gesamtdeutschland
repräsentative Bruttostichprobe von 19.325 Rufnummern gezogen. Jede Rufnum-
mer wurde in der Feldzeit maximal zehnmal angerufen, bis sie als erreichbar oder
nicht erreichbar klassifiziert wurde. Knapp jede fünfte Rufnummer hat einen gülti-
gen Kontakt nach der Last-Birthday-Methode und jede zwölfte Rufnummer ein er-
folgreich zu Ende geführtes Interview (8,1 %) ergeben. Von den 4.998 kontaktierten
Personen gaben 1.568 ein Interview, so dass sich eine Ausschöpfungsquote von 32 %
ergab. Die Ausschöpfung unterschied sich marginal zuungunsten der weiblichen
Befragten (68,2 % Verweigerung gegenüber 67,4 % bei den männlichen Befragten).
In der realisierten Stichprobe waren, verglichen mit der dreidimensionalen Vertei-
lung nach Alter, Geschlecht und Bildung des Statistischen Jahrbuchs für die Bun-
desrepublik Deutschland 2001 (Statistisches Bundesamt 2001: 277), weibliche, mit-
tel-alte und gut gebildete Befragte überrepräsentiert. Deshalb wurden die Daten
nach der dreidimensionalen Verteilung im Statistischen Jahrbuch gewichtet. Alle
folgenden Analysen beruhen auf dieser Gewichtung des Datensatzes auf 1.555 Fälle.
2 Ergebnisse: Verteilungen und Zusammenhänge zwischen den
Zielvariablen
2.1 Verteilungen: Aktivität
Damit die Befragten die spontane Spende von ihren habituellen Spenden unter-
schieden, musste im Fragebogen die spontane vor der habituellen Spende erfragt
werden. Die spontane Spende wurde wie folgt erfragt: „Im August dieses Jahres hat
3 In empirischen Forschungspraktika an den drei Universitäten wurde zum Thema „Kollektivori-
entierung“ ein gemeinsamer Fragebogen erarbeitet und von den Studierenden erhoben. In Köln
hat darüber hinaus eine Sachbeihilfe des Vereins der Freunde und Förderer der Universität es
ermöglicht, Interviewer für rund 1000 Interviews im CATI-Labor zu bezahlen und die Ausstat-
tung des Labors zu verbessern. Dafür sei dem Verein sehr herzlich gedankt. Praktikumsleiter
waren in Duisburg Frank Faulbaum und Marc Deutschmann, in Düsseldorf Karl-Heinz Reu-
band und Bettina Lander, in Köln die Autoren. Wir danken den Kollegen und den Studierenden
für ihr Engagement bei Planung und Erhebung.
ZA-Information 52 41
es in Deutschland und einigen angrenzenden Ländern große Überschwemmungen
gegeben. Haben Sie für die Opfer dieser Katastrophe Geld gespendet oder auf ande-
re Art und Weise Hilfe geleistet?“ Wer angab, Geld gespendet zu haben, wurde
dann gefragt: „Wie hoch ungefähr waren diese Spenden insgesamt?“ Unmittelbar
darauf folgte die Frage nach der habituellen Spende: „Haben Sie in den letzten 12
Monaten für andere gemeinnützige Zwecke Geld gespendet?“4 Falls ja: „Wie hoch
ungefähr waren diese Spenden insgesamt?“ Für die spontane wie die habituelle
Spende konnte dann die Variable „Spendesumme“ gebildet werden, die für Nicht-
spender den Wert null hatte und die Spender nach Dezentilen in 10 Klassen einteil-
te. Die Verteilung beider Variablen ist in Tabelle 1 dargestellt, in der die Spende-
summe nochmals in drei Gruppen zusammengefasst wurde.
Tabelle 1 Verteilungen der habituellen und spontanen Spende, in %
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
keine Geldspende 46,8 44,7
1 bis zu 100 Euro 31,4 38,5
100 bis zu 200 Euro 53,2 11,3 55,3 9,8
mehr als 200 Euro 10,5 7,0
Gesamt n=1549 n=1550
Statistische Kennwerte nur für
die Spender (€) n= 769 n= 761
Median 52,1 50,0
Arithmetisches Mittel 304,7 182,5
Standardabweichung 3030,6 1307,0
Zwischen Oktober und Dezember 2002 haben 55,3 % der Befragten für die Flut-
opfer Geld gespendet. Unabhängig davon haben 53,2 % innerhalb der letzten 12
Monate für andere gemeinnützige Zwecke Geld gespendet. Anders als vermutet,
liegt die spontane Spendenaktivität mit nur zwei Prozentpunkten so gut wie nicht
über der habituellen; beide liegen also gleichauf. Der spontane Anlass mobilisiert –
aber nicht über das Niveau hinaus, auf das sich über ein Jahr die Spenden für viele
Zwecke aufaddieren. Dafür sind mehrere Erklärungen denkbar.
4 In der „habituellen“ Spende der letzten 12 Monate können auch noch „spontane“ Beiträge für
andere Katastrophenfälle, wie etwa Afghanistan im Herbst 2001, enthalten sein. Allerdings ist
das wenig wahrscheinlich, wenn wie hier zuvor Spenden für eine immer noch aktuelle Katast-
rophe erfragt wurden.
42 ZA-Information 52
Erstens könnte die Erwartung eines höheren Niveaus der spontanen Spende zu hoch
gegriffen sein: Die spontane Spende kann nur an einem Zweck erfragt werden, der
gerade aktuell ist. Die habituelle Spende aber wurde hier unter Ausschluss des aktu-
ellen Zweckes mit Bezug auf den Zeitraum von 12 Monaten erfragt, in dem jeder
routinemäßig für ihm wertvolle Zwecke spenden kann. Offenbar wirkt die Bindung
an vielerlei Ziele so stark wie die Aktualität des einen Anlasses. Weil die Medien
die Aktualität einer Katastrophe uns täglich in Erinnerung rufen, sind wir geneigt,
ihren Einfluss auf unsere Spontaneität zu überschätzen. Aber der Medienkonsum
kann nicht nur im Negativen, sondern auch im Positiven folgenlos sein – nicht nur
bei Gewalt, sondern auch bei Spenden.
Zweitens könnten 53 % habituelle Spender bereits ein „Deckenwert“ sein, der durch
spontane Spenden nur noch schwer übertroffen werden kann. Andere gemeinschaft-
lich orientierte Verhaltensweisen sind noch seltener: Etwa 30 % der Bevölkerung
beteiligen sich politisch in nicht-institutionalisierter Form, etwa 30 % sind Mitglied
einer Interessengruppe und etwa 43 % Mitglieder von Freizeitvereinen (Datenreport
2002: 600, 602), etwa 30 % üben eine soziale oder karitative Tätigkeit und etwa
30 % ein Ehrenamt aus (Bürklin / Jung 2001: 684). Offenbar setzt die in jeder Ge-
sellschaft unvermeidlich ungleiche Verteilung von Ressourcen und von gutem Wil-
len eine – vorweg zweifellos kaum bestimmbare – Grenze: Eine Gesellschaft, in der
jeder Berufstätige Mitglied einer Gewerkschaft ist oder in der jeder für gute Zwecke
spendet, ist schwer vorstellbar.
Drittens könnten unsere Werte und die der eingangs zitierten Vergleichsuntersu-
chungen überschätzt sein. Unsere Schätzung der spontanen Spendenaktivität liegt
über der Allensbacher Schätzung von 42 %, die im September 2002 bereits gespen-
det hatten, und unter der Allensbacher Schätzung von 65 %, die im September 2002
bereits gespendet hatten und es noch tun wollten. Sicher haben einige der 23 %, die
im September noch eine Spende ankündigen, ihre Absicht bis zum Ende unserer
Untersuchung im Dezember 2002 verwirklicht. Aber ebenso sicher haben andere
mit der Absichtserklärung nur dem unangenehmen Eingeständnis entgehen wollen,
nichts gespendet zu haben. Nimmt man an, dass beide Gruppen etwa gleich groß
sind, dann ist unser Prozentsatz mit dem von Allensbach vergleichbar.
Aber auch unser Prozentsatz der habituellen Spendenaktivität liegt über dem Wert
von TNS-EMNID aus dem Jahr 2001 von 40 %. Diese Differenz lässt sich vielleicht
durch das Zusammenwirken zweier Tatsachen erklären. Zunächst kann die Tatsa-
che, dass unsere Untersuchung später liegt als die beiden anderen, den höheren Pro-
zentsatz spontaner Spender erklären. Dann kann die Tatsache, dass in unserer Un-
tersuchung die habituelle nach der spontanen Spende erfragt wurde, den höheren
ZA-Information 52 43
Prozentsatz habitueller Spender erklären. Die hohen Angaben zur spontanen Spen-
de können auf die Angaben zur habituellen Spende „ausgestrahlt“ haben: Weil die
Leute für die Flut gespendet haben, überschätzen sie ihre sonstigen Spenden.
Kurzum: Die Aktualität treibt die Spontaneität nicht so hoch wie vermutet, und die
soziale Ungleichheit drückt den Altruismus stärker als vermutet. Die Schwäche ei-
ner vordergründigen und die Stärke einer hintergründigen Macht halten beide Spen-
denaktivitäten in engen Grenzen und nahe beieinander – wenn nicht schon methodi-
sche Gründe für die hohen Prozentwerte verantwortlich sind.
2.2 Verteilungen: Summen
Unter den Spendern beträgt das arithmetische Mittel der Flutspenden 183 Euro und
der sonstigen Spenden 305 Euro. Die Medianwerte der habituellen und der sponta-
nen Spenden sind mit rund 50 Euro jedoch fast gleich. Die Verteilung der Spenden
ist also stark linkssteil, wie sich auch an den nahe beieinander liegenden Prozent-
werten für die niedrigsten Spendensummen ablesen lässt.
Das heißt: Habituell wie spontan wird etwa gleich oft nichts oder nur wenig ge-
spendet. Aber die habituellen Spender geben häufiger großzügig als die spontanen.
Die Verteilung der habituellen Spender ähnelt also der Verteilung der Einkommen:
Es gibt viele kleine und nicht wenige außerordentlich große Summen; die Vertei-
lung der spontanen Spender hingegen sieht wie eine oben gekappte Einkommens-
verteilung aus: Es gibt viele kleine und nur wenige große Summen. Habituelle sind
nicht selten gut verdienende Spender; spontane Spender verdienen oft auch weniger
gut, und selbst gut Verdienende spenden spontan nicht soviel wie habituell.
2.3 Zusammenhang
Spontan wird also eben so häufig, aber weniger gespendet als habituell. Die beiden
Spendenformen sollten deshalb nicht allzu stark korrelieren. In der Tat korrelieren
die beiden Spendensummen mit r=.31 nur mittelstark. Der mittelstarke Zusammen-
hang wird sichtbar, wenn man beide Arten nach Nichtspende oder Spende dichoto-
misiert und kreuztabelliert – wie in Tabelle 2 wiedergegeben.
44 ZA-Information 52
Tabelle 2 Korrelation der habituellen und spontanen Spende
Spende nach Flut
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende) Gesamt N
nein ja
nein 53,6 % 46,4 % 690
51,3 % 40,8 %
24,0 % 20,7 %
ja 41,1 % 58,9 % 854
48,7 % 61,2 %
22,7 % 32,6 %
Gesamt N 721 823 1544
Von den habituellen Nichtspendern spenden spontan 48,7 %, von den habituellen
Spendern 61,2 %. Von den spontanen Nichtspendern spenden habituell 46,4 %, von
den spontanen Spendern 58,9 %. Jede Spendenaktivität steigert also die andere um
12,5 % Prozentpunkte. Man kann die gesamte Bevölkerung nach beiden Spenden-
formen in Typen einteilen, die in den fett-kursiv gesetzten Prozentuierungen auf die
Gesamtzahl erfasst sind: Weder habituell noch spontan spenden 24,0 %, die „Spen-
denmuffel“; habituell, aber nicht spontan spenden 20,7 %, die „Mobilisierungsresis-
tenten“; habituell nicht, aber spontan spenden 22,7 %, die „Mobilisierten“; habituell
wie spontan spenden 32,6 %, die „Dauerspender“. Der hohe Anteil der „unstimmig“
Spendenden von 43,4 % ist ein weiteres Indiz für relativ hohe Unabhängigkeit bei-
der Spendenformen. Der hohe Anteil von „Mobilisierten“ zeigt darüber hinaus die
Sogkraft der Aktualität: Wenn die Flut auch nicht mehr Leute zur Spende mobili-
siert als Leute sich selber zum Spenden anhalten, bewegt sie doch fast ein Viertel
der Bevölkerung erstmals zu irgendeiner Spende. Noch größer ist allerdings der An-
teil der „Dauerspender“. Die Aktualität produziert Spontaneität – aber doch nicht so
stark wie die Gewohnheit.
Schon der geringe Zusammenhang zwischen den beiden Spendenarten deutet also
auf unterschiedliche Motivlagen. Hängen in der Tat habituelle und aktuelle Spenden
zwar in gleichem Maße vom „Können“, aber in unterschiedlichem Maße vom
„Wollen“ ab?
ZA-Information 52 45
3 Ergebnisse: Bivariate Einflüsse
3.1 Ressourcen: Einkommen und Auskommen
Habituelle wie spontane Spenden sind Geldspenden, beide sollten deshalb gleicher
Maßen vom Einkommen abhängen. Aber von welchem?
Wer eigenes Geld verdient, kann darüber verfügen und also auch spenden. Aber
auch wer selber kein Geld verdient, kann über die Verwendung des Haushaltsein-
kommens mit entscheiden. Das Haushaltseinkommen ist also die entscheidende
Ressource für Spenden, wenn man die gesamte Bevölkerung betrachtet. In unserer
Untersuchung hat die Verteilung des Haushaltseinkommens ihren Schwerpunkt in
den unteren Bereichen und nähert sich der Glockenform einer Normalverteilung an.
Niemand kann sein ganzes Einkommen spenden, sondern nur das, was vom Ein-
kommen übrig bleibt, wenn er seinen Bedarf befriedigt hat. Der Bedarf eines vier-
köpfigen Haushalts ist größer als der eines Alleinstehenden und mindert das gleiche
Einkommen stärker. Noch mehr als das Einkommen in Geldeinheiten sollte daher
das als verfügbar empfundene Einkommen – oder das Auskommen – die Spenden-
aktivität beeinflussen. Es wurde wie folgt erfragt: „Welche dieser Aussagen
beschreibt am besten, was Sie derzeit über Ihr Haushaltseinkommen empfinden?
– (1) Komme bequem mit dem gegenwärtigen Einkommen aus (46 %). – (2) Muss
sehen, wie ich damit auskomme (40 %). – (3) Habe Schwierigkeiten, damit auszu-
kommen (10 %). – (4) Habe große Schwierigkeiten, damit auszukommen (5 %).“
Wie die Prozentwerte in Klammern zeigen, hat die Verteilung ihren Schwerpunkt in
der obersten Kategorie und nähert sich nicht einer Normalverteilung an. Während
das häufigste Geldeinkommen in der unteren Mitte liegt, kommt fast die Hälfte der
Befragten mit ihrem Einkommen gut aus. Wenn die Befragten ihr Auskommen
schätzen, relativieren sie das Einkommen in zweierlei Hinsicht: Sie vermindern es
um den notwendigen Bedarf, und sie messen es an Maßstäben, die sich dem Ein-
kommen bereits angepasst haben. Nur so ist verständlich, dass viele mit einem ge-
ringen Einkommen dennoch gut auskommen. In der Tat korrelieren Einkommen
und Auskommen des Haushalts nur mittelmäßig stark (r=.34).
Die Korrelationen von Einkommen und Auskommen mit den Spendenaktivitäten
sind in Tabelle 3 dargestellt. Beide Betrachtungen des Einkommens haben auf beide
Spendenaktivitäten einen deutlichen Einfluss. Aber wider Erwarten beeinflussen sie
habituelle und spontane Spenden nicht gleichermaßen, sondern habituelle stärker als
spontane. Zur Erklärung des unerwarteten Unterschieds der Einflussstärke bietet der
Unterschied der Verteilungen der Spendenarten (siehe Tabelle 1) einen Schlüssel:
46 ZA-Information 52
Die habituellen Spenden lagen im Mittel, aber nicht im Median über den spontanen
Spenden. Aktuelle, durch die Medien wieder und wieder hautnah vorgeführte Not
bewegt auch die weniger einkommensstarke Bevölkerung gegen die von den Mög-
lichkeiten geprägten Gewohnheiten zur Spende; sie bewegt die einkommensstarke
Bevölkerung dazu, ihr Spendenvolumen etwas aufzustocken. Die Flut motiviert
auch die zur Spende, die knapp bei Kasse sind und deshalb keinen Dauerauftrag für
den Jahresbeitrag zum Roten Kreuz eingerichtet haben; und sie motiviert die, die
den Dauerauftrag schon eingerichtet haben, zu einer zusätzlichen, aber kleineren
Überweisung. Wenn also weniger gut Verdienende spontan spenden und besser
Verdienende spontan weniger als habituell spenden, dann muss die Korrelation des
Einkommens mit der spontanen Spende niedriger sein als mit der habituellen Spende.
Tabelle 3 Einkommen und Spenden, Produkt-Moment-Korrelationen
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
Haushaltsnettoeinkommen in
Geld(n=1320) ,309** ,177**
Haushaltseinkommen verfügbar,
Auskommen ,177** ,146**
* p unter .05. ** unter .01.
Wider Erwarten auch hat nicht das verfügbare, sondern das Einkommen in Geldein-
heiten den stärkeren Einfluss auf Spenden. Wenn man das verfügbare Einkommen
als das um den Bedarf verminderte Geldeinkommen auffasst, sollte das verfügbare
Einkommen die Ressourcen des Befragten zielgenauer treffen als das Geldeinkom-
men und folglich auch die Spendenaktivität stärker bestimmen. Offenbar gilt aber
wiederum, dass das verfügbare Einkommen vom monetären Einkommen nicht nur
durch die Berücksichtigung des Bedarfs unterschieden ist, sondern auch durch die
Anpassung von Ansprüchen an Möglichkeiten. Wer wenig Einkommen hat, mindert
seine Ansprüche und kommt deshalb mit dem Einkommen „bequem“ zurecht.
Wenn das Geldeinkommen nicht nur durch den Bedarf, sondern auch durch die An-
passung von Ansprüchen an Möglichkeiten relativiert wird, muss die Gruppe des
„bequemen Auskommens“ recht heterogen sein: Hier sollten nicht nur Geringver-
diener mit geringem Bedarf, sondern auch Geringverdiener mit bescheidenen An-
sprüchen mit gut Verdienenden zusammenkommen. Die Relativierung des Geldein-
kommens durch den Bedarf sollte den Einfluss auf die Spendenaktivität verstärken;
die Relativierung des Geldeinkommens durch die Anspruchsanpassung hingegen
mindern. Offenbar ist die zweite Relativierung stärker wirksam als die erste, so dass
der Einfluss des Auskommens geringer wird als der des Einkommens.
ZA-Information 52 47
Fazit: Spenden „können“ Besserverdiener leichter als Geringverdiener. Wenn aber
öffentliche Katastrophen die Gemüter bewegen, öffnen die Leute auch ihren knap-
pen Geldbeutel oder greifen noch einmal in ihren prallen. Deshalb bestimmt – wider
Erwarten – das Geldeinkommen die habituelle stärker als die spontane Spende. Res-
sourcen setzen keine unüberwindlichen Grenzen; und im „gewöhnlichen“ Fall hel-
fen andere Kräfte zu ihrer Überwindung als im „außergewöhnlichen“ Fall. Das
„Wollen“, die Motive, die Einstellungen zur habituellen Spende sollten anders sein
als zur spontanen.
3.2 Einstellungen: Spendenbereitschaft
Einstellungen sind Neigungen zu einer Handlung. Einer Handlung am nächsten
liegt die Intention zu ihr, die Bereitschaft (Ajzen 1988). Die Spendenbereitschaft
sollte die Spendenaktivität daher stark positiv beeinflussen. Die Spendenbereit-
schaft wurde durch die Reaktion auf zwei hypothetische Situationen erfragt. Die
erste Situation war ein Lottogewinn: „Angenommen, Sie hätten im Lotto 100.000
Euro gewonnen. Würden Sie einen Teil des Geldes für wohltätige oder gemeinnüt-
zige Zwecke zur Verfügung stellen, oder würden Sie das nicht?“ Falls ja: „Welchen
Betrag von diesen 100.000 Euro würden Sie spenden?“ Aus den Antworten wurde
eine 11-stufige Variable der Nichtspende und der in Dezentilen eingeteilten Spen-
denbeträge gebildet. Die zweite Situation war eine Spendenbitte für Katastrophen-
opfer: „Eine Hilfsorganisation bittet um Geldspenden für die Opfer eines Erdbebens
in einem Entwicklungsland“. Die Befragten mussten auf fünf Stufen angeben, wie
wahrscheinlich es ist, dass sie Hilfe leisten. Der Lottogewinn hebt die Ressourcen-
Beschränkungen einer Spende auf und setzt keinen besonderen Anlass voraus; er
erfasst also die Bereitschaft für eine habituelle Spende. Die Spendenbitte hingegen
behält die Ressourcen-Beschränkungen einer Spende bei und fingiert einen drin-
genden Anlass; sie erfasst also die Bereitschaft für eine spontane Spende. Drei Vier-
tel der Befragten würden etwas vom Lottogewinn spenden, aber nur 54 % würden
„wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“ für die Katastrophenopfer spenden;
die fiktive Aufhebung der Ressourcenbeschränkung senkt also die Hemmschwelle
und steigert die Spendenbereitschaft. Die Situation unbegrenzter Ressourcen macht
es dem „Wollen“ zu leicht, sie erfasst die Spendenbereitschaft weniger valide als
die Situation begrenzter Ressourcen.
48 ZA-Information 52
Tabelle 4 Spendenbereitschaft und Spenden, Produkt-Moment-Korrelationen
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
Spendenbereitschaft: hypothetischer
Lottogewinn ,240** ,153**
Spendenbereitschaft: hypothetische
Spende für Katastrophenopfer ,152** ,203**
* p unter .05. ** unter .01.
Die Korrelationen der Spendenbereitschaft mit dem Spendeverhalten sind in Tabelle
4 dargestellt. Wie erwartet, korrelieren beide Spendenbereitschaften mit beiden
Spendenaktivitäten. Aber der Einfluss ist keineswegs stark: Er ist schwächer als der
des Haushaltseinkommens. Die habituelle Spendenbereitschaft korreliert stärker mit
der habituellen Spende und die spontane Spendenbereitschaft stärker mit der spon-
tanen Spende, so dass die Klassifikation von Bereitschaften und Aktivitäten als ha-
bituell oder spontan validiert wird.
3.3 Einstellungen: Selbstorientierung
Eine Spende verlangt wie jede altruistische Handlung, dass man sich fremde Ziele
zu Eigen macht. Die Spendenbereitschaft wird daher gebremst durch die Selbstori-
entierung. Selbstorientierung wurde erstens durch vier Vorgaben aus dem Inventar
von Maag (1991) erfasst: „Sich selbst zu verwirklichen“, „das Leben genießen“,
„unabhängig sein“ und „tun und lassen, was man will“. Selbstorientierung wurde
zweitens durch die Häufigkeit des Fernsehkonsums erfasst. Fernsehen schließt Ak-
tivität aus, reduziert Leben auf Erleben und füllt es mit fremden Erfahrungen. Statt
eigene oder fremde Ziele zu verfolgen, erlebt der Zuschauer nach, was andere erlebt
haben. Die Aktion anderer im Studio ist Unterhaltung für den Zuschauer – nicht nur
wenn sie „action“, sondern erst recht wenn sie „talk show“, Rede und Gegenrede
ist. Unabhängig von den gesendeten Inhalten sollte daher die Häufigkeit des Fern-
sehkonsums die Selbstorientierung steigern. Die Häufigkeit des Fernsehkonsums
wurde wie folgt erfragt: „Wie viel Zeit verbringen Sie durchschnittlich an einem
Wochentag insgesamt damit fernzusehen?“ Vorgegeben waren 7 genaue zeitliche
Abstufungen.
Die Korrelationen der Selbstorientierung mit dem Spendenverhalten sind in Tabelle
5 dargestellt. Wie erwartet, korreliert die Selbstorientierung negativ mit dem Spen-
denverhalten – aber nicht sehr stark und nicht für alle Variablen.
ZA-Information 52 49
Tabelle 5 Selbstorientierung und Spenden, Produkt-Moment-Korrelationen
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
Wünschenswert:
sich selbst verwirklichen -,036 -,054*
Wünschenswert:
das Leben genießen -,149** -,067**
Wünschenswert:
tun und lassen, was man will -,097** -,131**
Wünschenswert:
unabhängig sein -,004 ,023
Fernsehdauer pro Tag -,133** -,076**
* p unter .05. ** unter .01.
3.4 Einstellungen: Sozialerfahrungen
Wie für egoistisches, so gilt auch für altruistisches Verhalten „Wie du mir, so ich
dir“. Wer mit anderen Menschen gute Erfahrungen gemacht hat, ist eher bereit, für
sie etwas zu opfern. Sozialerfahrungen gründen in konkreten Erlebnissen, die sich
zu Einstellungen zu Mitmenschen und dann zum gesellschaftlichen Leben über-
haupt verfestigen. Drei Etappen auf diesem Wege wurden erhoben: Erlebnisse und
ihre Sedimentierung zum Vertrauen in Mitmenschen und zum Vertrauen in die Na-
tionalgesellschaft. Erlebnisse wurden wie folgt erfragt: „Haben Sie überwiegend
gute Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht oder haben Sie überwiegend
schlechte Erfahrungen gemacht?“ Das Vertrauen in Mitmenschen wurde durch die
Zustimmung zu „Den meisten Menschen kann man vertrauen“ und die Ablehnung
von „Wer auf andere Rücksicht nimmt und dabei nicht an seine eigenen Interessen
denkt, zieht leicht den Kürzeren“ auf einer vierstufigen Skala erfasst. Für das Ver-
trauen in die Nationalgesellschaft wurden eine fünfstufige Skala des politischen
Interesses und die Wahlbeteiligung als Indikator eingesetzt.
Die Korrelationen von Sozialerfahrungen mit dem Spendenverhalten sind in Tabelle
6 dargestellt. Was Erlebnisse und das Vertrauen in die Mitmenschen betrifft, so fin-
den sich die erwarteten positiven Korrelationen nur schwach. Was das Vertrauen in
die Nationalgesellschaft betrifft, so finden sich durchweg stärkere und wie erwartet
positive Korrelationen. Das politische Interesse hat den stärksten Einfluss von allen
unabhängigen Variablen: Vertrauen in größere Gemeinschaften jenseits der Familie
und des Mitmenschen ist der gemeinsame Nenner für politisches Interesse und
Spendeverhalten.
50 ZA-Information 52
Tabelle 6 Sozialerfahrungen und Spenden, Produkt-Moment-Korrelationen
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
Erlebnisse:
gute Erfahrung mit anderen Menschen ,065* ,043
Vertrauen in Mitmensch:
kann meisten Menschen Vertrauen ,047 ,006
Vertrauen in Mitmensch:
Wer Rücksicht nimmt, verliert – Ablehnung ,117* ,063*
Vertrauen in Nationalgesellschaft:
politisches Interesse ,208** ,132**
Vertrauen in Nationalgesellschaft:
Wahlbeteiligung ,111* ,108*
* p unter .05. ** unter .01.
3.5 Einstellungen: Religiosität
Die Religion stellt das Schicksal des einzelnen Menschen in den Rahmen eines Jen-
seits, das er hinnehmen muss; sie schränkt die Selbstorientierung des Einzelnen
schon gedanklich ein, noch bevor sie die Nächstenliebe predigt. Mit der Religiosität
der Person sollte deshalb die Spendenaktivität steigen. Die Religiosität der Person
äußert sich in Verhaltensweisen – der Mitgliedschaft in einer Kirche und der Häu-
figkeit des Kirchgangs – und in Wertschätzungen der Lebensbereiche Kirche und
Religion, die auf einer fünfstufigen Skala erfragt wurden.
Die Korrelationen der Religiosität mit dem habituellen und spontanen Spendenver-
halten sind in Tabelle 7 dargestellt. Wie erwartet, beeinflusst die Religiosität
durchweg das Spendenverhalten. Weiterhin beeinflusst jeder Indikator der Religio-
sität das habituelle Spendenverhalten stärker als das spontane.
Tabelle 7 Religiosität und Spenden, Produkt-Moment-Korrelationen
Spende in 12 Monaten
(habituelle Spende)
Spende nach Flut
(spontane Spende)
Kirchenmitglied ,067* -,010
Kirchgangshäufigkeit ,150** ,118*
Wichtigkeit Kirche ,170** ,073*
Wichtigkeit Religion ,185** ,095*
* p unter .05. ** unter .01.
ZA-Information 52 51
3.6 Fazit
Wann „wollen“ Menschen spenden? Die stärksten Korrelationen mit den beiden
Spendenaktivitäten weisen die Spendenbereitschaft, die Religiosität und das Ver-
trauen in die Nationalgesellschaft, erfasst als politisches Interesse, auf. Das Vertrau-
en in die Mitmenschen hingegen korreliert nicht oder nur schwach mit Spendenak-
tivitäten. Der starke Einfluss der Spendenbereitschaft auf die Spendenaktivität wur-
de angesichts der Gleichheit des Gegenstands beider Variablen vermutet. Der starke
Einfluss der Religiosität auf die Spendenaktivität ist jedoch angesichts der Distanz
zwischen beiden Variablen überraschend: Die Religion will das Leben insgesamt –
vom Weltbild bis zum Sexualverhalten – prägen; und sie ist offenbar sehr erfolg-
reich, ein bestimmtes Verhalten zu prägen: das altruistische. Schließlich hängen
Spendenaktivitäten vom Vertrauen in die Mitmenschen nur schwach, vom Vertrau-
en in die Nationalgesellschaft aber deutlich ab, weil sie ja größeren sozialen Einhei-
ten zugute kommen sollen. Nicht Erfahrungen mit der sozialen Nahumwelt, sondern
mit der Gesellschaft übertragen sich in altruistische Aktivitäten.
Hat das „Können“ oder das „Wollen“ einen stärkeren Einfluss? Gemessen an den
bivariaten Korrelationen hat das Einkommen einen größeren Einfluss als selbst die
Spendenbereitschaft. Aber „Können“ und „Wollen“, Ressourcen und Einstellungen,
hängen untereinander zusammen. Was ihr eigenständiger Einfluss ist, muss in einer
multivariaten Analyse geklärt werden.
4 Ergebnisse: Multivariate Einflüsse
4.1 Variablenauswahl und Analyseverfahren
Da 47 % der Bevölkerung nicht habituell und 45 % nicht spontan gespendet haben
(siehe Tabelle 1), mussten die beiden Zielvariablen für die folgenden multivariaten
Regressionen dichotomisiert werden. Als unabhängige Variablen wurden die aus-
gewählt, die in der bivariaten Analyse einen stärkeren Einfluss hatten. Zusätzlich
wurden als Kontrollvariable ohne Voraussage Variablen des Familienzyklus aufge-
nommen: Sie sind auf der einen Seite mit Verpflichtungen für andere verbunden,
die den Rahmen für Spenden begrenzen; sie schränken auf der anderen Seite die
Selbstorientierung ein, so dass sie zu Spenden bewegen. Die logistischen Regressi-
onen der habituellen und der spontanen Spende auf Ressourcen, Einstellungen und
Familienzyklus sind in Tabelle 8 dargestellt.
52 ZA-Information 52
Tabelle 8 Logistische Regression des Spendens auf Ressourcen, Einstellungen
und Familienzyklus
Spenden allgemein Spenden Flut
Variable Hyp. Auspr
. eb Stand. eb eb Stand. eb
Intercept 0,034*** 0,022***
Ressourcen
Haushaltseinkommen in Geld + 6 1,306*** 1,405 1,173** 1,225
Haushaltseinkommen verfügbar + 4 1,161 1,130 1,113 1,091
Einstellungen: Bereitschaft
Hypothetischer Lottogewinn + 11 1,037 1,103 1,003 1,009
Hypothetisch für Erdbeben + 5 1,187*** 1,263 1,547*** 1,812
Einstellungen: Selbstorientierung
Wert: Leben genießen - 5 0,942 0,947 1,072 1,065
Fernsehdauer pro Tag - 7 0,948 0,900 0,977 0,955
Einstellungen: Sozialerfahrungen
Wer Rücksicht nimmt, verliert + 5 0,865** 0,849 0,959 0,954
Politisches Interesse + 5 1,325*** 1,364 1,220*** 1,245
Einstellungen: Religiosität
Kirchgangshäufigkeit + 5 1,021 1,027 1,190** 1,248
Wichtigkeit Religion + 5 1,357*** 1,538 0,959 0,943
Familienzyklus
Alter + num. 1,015*** 1,289 1,018*** 1,362
Familienstand Verheiratet + 2 1,703*** 1,302 1,257 1,120
Kinderzahl im Haushalt - num. 0,874 0,876 0,877 0,880
Nagelkerkes R² ,248*** ,217***
N 1 269 1 271
Hyp.= Hypothesen; Auspr.= Anzahl der Ausprägungen der unabhängigen Variablen; num.= nume-
risch; stand.= standardisiert; * = p<.05; ** =p<.01; *** =p<.001
Im hier gewählten multiplikativen Modell wird der eigenständige Einfluss einer un-
abhängigen Variable durch den Effektkoeffizienten, also das Wahrscheinlichkeits-
verhältnis (odds) von Spendern zu Nichtspendern dargestellt. Die Konstante ist hier
der Effekt – das Wahrscheinlichkeitsverhältnis – in der Gruppe, die auf allen unab-
hängigen Variablen den Wert 0 hat. Sie wird für jede unabhängige Variable mit
dem Effektkoeffizienten multipliziert. Hat die unabhängige Variable nur zwei Aus-
prägungen mit den Werten 0 und 1 und nimmt sie die Ausprägung 1 an, so wird die
Konstante einmal mit dem Effektkoeffizienten multipliziert. Der Effektkoeffizient
gibt an, um wie viel Prozentpunkte sich die Konstante steigert, wenn die unabhän-
gige Variable statt dem Wert 0 den Wert 1 annimmt; ein Effektkoeffizient von 1
bedeutet keine Veränderung, ein Effektkoeffizient größer 1 eine Vergrößerung und
ZA-Information 52 53
ein Effektkoeffizient kleiner 1 eine Verkleinerung der Konstante. Hat die unabhän-
gige Variable drei – metrisch oder mindestens ordinal angeordnete – Ausprägungen
mit den Werten 0, 1 und 2 und nimmt sie die Ausprägung 2 an, so wird die Kon-
stante zweimal mit dem Effektkoeffizienten multipliziert. Der Effektkoeffizient gibt
an, um wie viel Prozentpunkte sich die Konstante steigert, wenn die unabhängige
Variable um eine Einheit ansteigt. Entsprechendes gilt für unabhängige Variablen
mit vier und mehr Ausprägungen. Um den gesamten Effekt einer mehrstufigen Va-
riablen zu beurteilen, muss man also den Effektkoeffizienten mit der Anzahl der
Ausprägungen multiplizieren.
Will man also – wie hier zum Vergleich der Einflussstärke verschiedener Ressour-
cen und Einstellungen auf habituelle oder spontane Spenden – den Einfluss mehre-
rer unabhängiger Variablen mit unterschiedlicher Ausprägungszahl auf ein und die-
selbe Zielvariable vergleichen, so kann man die Effektkoeffizienten nicht unmittel-
bar, sondern nur nach einer Standardisierung, also einer Multiplikation mit der
Standardabweichung der unabhängigen Variablen vergleichen. Deshalb sind in allen
folgenden Tabellen die Zahl der Ausprägungen der unabhängigen Variablen und
neben den unstandardisierten die standardisierten Effektkoeffizienten dargestellt
(Andreß / Hagenaars / Kühnel 1997: 271). Rangfolgen der Einflussstärken auf die
gleiche Zielvariable müssen also mit dem standardisierten Effektkoeffizienten ge-
bildet werden.
4.2 Vergleich der Einflussstärken
Welche der Ressourcen und Einstellungen behalten den aus der bivariaten Analyse
bekannten Einfluss auch dann, wenn alle Ressourcen und Einstellungen und der
Familienstand simultan kontrolliert sind?
Von den beiden Betrachtungen des Einkommens behält nur das Geldeinkom-
men seinen Einfluss auf beide Spendenarten. Weil in die Angaben zum Aus-
kommen vermutlich nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch schon die An-
passung der Ansprüche an sie eingehen, verlieren sie ihren Einfluss auf das
Spendenverhalten.
Von den beiden Arten der Spendenbereitschaft verliert die hypothetische Situ-
ation unbeschränkter Ressourcen, der Lottogewinn, ihren Einfluss auf beide
Spendenarten, während die hypothetische Situation beschränkter Ressourcen,
der Spendenaufruf für Erdbebenopfer, ihren positiven Einfluss auf beide
Spendenarten beibehält. Die Situation unbeschränkter Ressourcen erfasst also
nicht nur die Spendenbereitschaft, sondern auch die Wirkung der Spendenbe-
reitschaft schlechter als die Situation beschränkter Ressourcen.
54 ZA-Information 52
Von den beiden Variablen der Selbstorientierung behält „Genießen“ seinen
negativen Einfluss auf beide Spendenarten, während der Fernsehkonsum sei-
nen Einfluss auf beide Spendenarten verliert. Wenn die Selbstorientierung als
Einstellung kontrolliert ist, verliert die selbstorientierte Verhaltensweise des
Fernsehens, die oft für den Verfall des Gemeinsinns verantwortlich gemacht
worden ist (Putnam 2000), ihren negativen Einfluss.
Von den beiden Vertrauensvariablen behält „Rücksicht zieht den Kürzeren“
ihren negativen Einfluss nur auf das habituelle Spendenverhalten, während das
politische Interesse seinen positiven Einfluss auf beide Spendearten behält.
Von den beiden Variablen zur Religiosität behält die Wichtigkeit der Religion
ihren positiven Einfluss auf die habituelle Spende, und die Kirchgangshäufig-
keit behält ihren Einfluss auf die spontane Spende. Habituell spendet man eher
aus innerer Überzeugung, spontan eher auf den Aufruf von der Kanzel.
Das Alter hat einen – wie eine genauere Analyse zeigt: monotonen – positiven Ein-
fluss auf beide Spenden, der Familienstand nur auf die habituelle Spende. Aber der
Einfluss der Anzahl der Kinder im Haushalt ist negativ: Kinder bringen Verpflich-
tungen mit sich, um derentwillen man Spenden einschränkt. Alter und Verheiratung
binden nicht Ressourcen, sondern schränken die Selbstorientierung ein – deshalb
senken sie nicht, sondern fördern die Spendenaktivität. Aber Kinder binden Res-
sourcen und senken die Spendenaktivität.
4.3 Vergleich der beiden Spendenarten
Sind habituelle Spenden stärker durch Ressourcen, spontane stärker durch Einstel-
lungen bestimmt? Durchaus nicht. Auf der einen Seite erklären die beiden Ressour-
cen die habituelle Spende deutlich besser als die spontane; die entsprechenden R2-
Werte betragen .073 und .038. Auf der anderen Seite erklären die Einstellungen
zwar insgesamt beide Spendenarten nahezu gleich gut; die entsprechenden R2-
Werte betragen .181 und .159. Aber es sind andere Einstellungen. Beide Spendenar-
ten werden zudem am besten durch eine Einstellung vorausgesagt. Aber es sind
ganz andere Einstellungen, die zur habituellen und die zur spontanen Spende moti-
vieren.
Die habituelle Spende wird am stärksten durch die Wichtigkeit der Religion und das
politische Interesse beeinflusst – gefolgt von der Spendenbereitschaft; die spontane
Spende wird am stärksten durch die Spendenbereitschaft beeinflusst – gefolgt vom
politischen Interesse und der Kirchgangshäufigkeit. Die habituelle Spende ergibt
sich also stärker aus Einstellungen, die verinnerlicht sind und viele Lebensbereiche
ZA-Information 52 55
regieren können; die spontane Spende ergibt sich stärker aus der konkreten Intention
zum Spenden, die von zufälligen Bedingungen geweckt sein kann. Die habituelle
Spende resultiert zuerst aus verinnerlichten Einstellungen – und erst dann aus aktu-
ellen Anlässen; aber die spontane Spende reagiert in erster Line auf den aktuellen
Anlass und ist erst dann durch verinnerlichte Einstellungen bestimmt.
5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Katastrophen sind außergewöhnliche Geschehnisse. Sie rufen außergewöhnliche
Reaktionen hervor. Die Menschen spenden mehr und aus anderen Gründen als in
gewöhnlichen Zeiten, und sie spenden aus anderen Motiven – so könnte man ver-
muten.
5.1 Gleiches Niveau – unterschiedliche Motive
Unsere Befragung zeigt zunächst, dass die Menschen für die Flutkatastrophe vom
August 2002 nicht häufiger gespendet haben als für andere Zwecke in den letzten
12 Monaten; das Niveau spontaner Spenden liegt nicht über dem Niveau habitueller
Spenden, sondern gleichauf. Die Aktualität motiviert spontan gerade so stark für
ihren Zweck wie die Neigung, die sich ihre Zwecke sucht. Aber die ungleiche Ver-
teilung von Ressourcen und Willenskraft setzt jeder Spendenaktivität eine soziale
Obergrenze. Zwischen Aktualität und Ungleichheit werden habituelle und aktuelle
Spenden in engen Grenzen und nahe beieinander gehalten.
Unsere Befragung zeigt weiterhin, dass die Motive für habituelle und aktuelle
Spenden tatsächlich recht unterschiedlich sind – allerdings nicht so wie erwartet.
Erwartet wurde, dass habituelle und spontane Spenden gleicher Maßen vom „Kön-
nen“, von den Ressourcen der Menschen abhängen, dass aber habituelle Spenden
stärker als spontane vom „Wollen“, von den Einstellungen der Menschen abhängen.
Weder die eine noch die andere Erwartung trifft zu. Ressourcen bestimmen die ha-
bituelle Spende stärker als die spontane. Und Einstellungen bestimmen habituelle
Spenden nicht stärker, aber anders als spontane. Worin liegen die Unterschiede?
Von den Ressourcen hat nur das Geldeinkommen auf beide Spendenarten einen po-
sitiven Einfluss – aber auf das habituelle einen stärkeren als auf das spontane Spen-
den. Die Aktualität provoziert auch bei den ärmeren Leuten spontane Spenden und
bei den reicheren Leuten zusätzliche, aber geringere Spenden. Das als verfügbar
eingeschätzte Einkommen trifft die realen Chancen weniger als das monetäre, weil
56 ZA-Information 52
die Ansprüche sich schon an die Möglichkeiten angepasst haben, so dass Arme wie
Reiche glauben, mit ihrem Einkommen „bequem“ zurechtzukommen.
Die wirkmächtigsten Einstellungen für die habituelle Spende sind die Wichtigkeit
der Religion, das politische Interesse und die spontane Spendenbereitschaft; die
wirkmächtigsten Einstellungen für die spontane Spende sind die spontane Spenden-
bereitschaft, das politische Interesse und die Kirchgangshäufigkeit. In beiden Fällen
steigern Religiosität, Vertrauen und Spendenbereitschaft die Spendenaktivität, aber
die Reihenfolge der Stärke kehrt sich um. Zugespitzt: Die habituelle Spende wird
vor allem durch verinnerlichte, Anlässe und Lebensbereiche übergreifende Einstel-
lungen, die spontane Spende durch die Aktualität bestimmt, die spontan Spendenbe-
reitschaft hervorruft. Die habituelle Spende erwächst aus Neigungen, die sich An-
lässe suchen; die spontane Spende ist Kind der Aktualität.
5.2 Fernsehen, Aktualität und Spontaneität
Wenn dieses Fazit über die unterschiedlichen Motivlagen für habituelle und sponta-
ne Spenden gilt, dann wird ein Ergebnis erklärungsbedürftig: Der Fernsehkonsum
hat auf die habituelle Spende nicht den negativen Einfluss, der ihm auf altruistische
Aktivitäten allgemein (Putnam 2000) unterstellt wird; aber er hat auch auf spontane
Spenden keinen Einfluss.
Das Fernsehen konstituiert die Aktualität einer Katastrophe, d.h. ihre zeitliche und
räumliche Präsenz für die Nichtbetroffenen. Lange bevor man Zeitungsberichte
liest, weiß man aus dem Fernsehen, was passiert ist; selbst wenn man es im Rund-
funk früher gehört hat, wird es erst im Fernsehen wirklich, nämlich sichtbar. Und
am gleichen Fernsehabend brechen die Fluten und die Spendenkonten wieder und
wieder über den Bildschirm herein. Die Flut ist nicht „irgendwo hinten in der Tür-
kei“, sondern hier im Wohnzimmer. Und sie bleibt es, solange das Gerät angeschal-
tet bleibt. Man sollte also vermuten: Je stärker die Dosis, desto stärker das Mitleid,
desto größer die Spendenbereitschaft. Warum gilt das nicht, warum hat der Fern-
sehkonsum keinen positiven Einfluss auf die Flutspende?
Offenbar wird die mobilisierende Kraft des Fernsehens von einer demobilisierenden
Gegenkraft in Schach gehalten. Das Fernsehen vermittelt Aktualität als Unterhal-
tung: Dem Zuschauer geht es in erster Linie nicht um das Geschehen draußen, son-
dern um seinen Zeitvertreib zu Hause. Mit der verstärkten Dosis wächst daher nicht
nur Mitleid, sondern auch Passivität. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Für die Fernsehwirkungsforschung (Schenk 2002) bleibt die Aufgabe, mobilisie-
rende und demobilisierende Wirkungen des Fernsehens auseinander zu halten; für die
ZA-Information 52 57
Umfrageforschung bleibt die Aufgabe, Fragen zu entwickeln, die über die Häufigkeit
des Konsums hinausgehen und die Einstellung des Zuschauers zum Konsum erfas-
sen. Vielleicht lässt sich dann eine Wirkungskette von Aktualität zu Spontaneität,
vom Nacherleben zum Spenden nachzeichnen, die dem Fernsehen, dem so oft alle
Übel in die Schuhe geschoben werden, tatsächlich eine positive Wirkung nachweist.
Literatur
Ajzen, Icek, 1988. Attitudes, Personality and Behavior. Milton Keynes: Open University Press
Andreß, Hans Jürgen / Hagenaars, Jacques A. / Kühnel, Steffen, 1997. Analyse von kategorialen Daten.
Berlin u.a.: Springer
Bürklin, Wilhelm / Jung, Christian, 2001. Deutschland im Wandel. 675-711 in: Korte, Karl-Rudolf / Wei-
denfeld, Werner (Hrsg.). Deutschland-Trendbuch. Fakten und Orientierungen. Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung
Datenreport 2002. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Hg. Vom Statistischen Bundes-
amt. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung
Maag, Gisela, 1991. Gesellschaftliche Werte. Strukturen, Stabilität und Funktion. Opladen: Westdeutscher
Verlag
Meulemann, Heiner, 1979. Soziale Herkunft und Schullaufbahn. Frankfurt: Campus
Meulemann, Heiner, 2001. Identität, Werte und Kollektivorientierung. 184-212 in: Karl-Rudolf Korte /
Werner Weidenfeld (Hrsg.) Deutschland-Trendbuch. Fakten und Orientierungen. Opladen: Leske+ Budrich
Putnam, Robert D., 2000. Bowling alone? New York: Simon Schuster
Schenk, Michael, 2002. Medienwirkungsforschung. 2. Auflage. Tübingen: Mohr
Statistisches Bundesamt, 2001. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden
58 ZA-Information 52
Qualitätsgesichertes Datenmanagement für die
Sozialforschung
von Friedhelm Meier 1
Zusammenfassung
Ein qualitätsgesichertes Datenmanagement auf Abteilungs- oder Institutsebene ist
für weite Bereiche wissenschaftlicher Forschung Utopie. Bei dem Bemühen um
Qualität und Evaluation, das allerorten initiiert wird, ist ein qualitätsgesichertes
Datenmanagement allerdings erste Pflicht. Die Aufgaben und Funktionen eines Da-
tenbanksystems, das Qualität und Sicherheit der Daten gewährleistet und zugleich
die Studienplanung und Untersuchungsdurchführung im Internet, aber auch kon-
ventionell unterstützt, werden am Beispiel des „Aktiven Qualitätsmanagementsys-
tem“ AQS 8i dargestellt.
Abstract
A quality assured data management at departmental or institutional level seems to
utopian for wide areas of scientific research. Because quality management and
evaluation processes are widely initiated a quality assured data management is a
must. The tasks and functions of a database system, which guarantees data quality
and data security and in addition supports study development and investigation
processes via internet, even conventionally, will be presented as the “Active Quality
Management System“ AQS 8i.
Datenerfassung und Datenmanagement sind in weiten Bereichen wissenschaftlichen
Handelns noch immer individuelle Verantwortungsbereiche, d.h. der Forscher hütet
seine Datenmengen auf seinem PC oder in seinem „System Account“. Abteilungen
und Institute stellen ihre IT-Ressourcen zur Verfügung, betrachten aber ein quali-
tätsgesichertes Datenmanagement nicht als ihre Aufgabe bzw. als ihre Zuständigkeit.
1 Dr. Friedhelm Meier ist Professor an der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum.
E-Mail: Friedhelm.Meier@Ruhr-Uni-Bochum.de
ZA-Information 52 59
Als Ergebnis dieser allgemeinen Situation finden wir auf den Rechensystemen un-
endliche Dateimengen, unterschieden nach Namen und Datum, deren Inhalte unter-
schiedliche Bearbeitungsversionen mit unüberschaubaren Redundanzen darstellen.
Hat der Doktorand seine Arbeit abgegeben oder hat der wissenschaftliche Mitarbei-
ter eine neue Beschäftigung gefunden, dauert es nicht lange, bis die Frage auf-
kommt: „Wo sind die Daten geblieben?“
1 Funktionen eines qualitätsgesicherten Datenmanagements
Ein qualitätsgesichertes Datenmanagement soll folgende Funktionen sicherstellen:
Datenerhebung, Datenmanagement, Datenverbreitung werden als zentrale
Aufgabe und Verantwortung der Organisation, d.h. der Abteilung, des Institu-
tes, der Körperschaft, unabhängig von Personen verstanden.
Die Generierung von Daten wird von der Studienplanung bis zur Studienaus-
wertung zentral durchgeführt und dokumentiert.
Die generierten Datenmengen sind Rohdaten, d.h. Originaldaten, die redun-
danzfrei und eindeutig zentral gespeichert werden.
Die Veränderung der Daten nach ihrer Ersteingabe, d.h. nach ihrer originalen
Generierung müssen lückenlos dokumentiert werden.
Veränderte Daten dürfen nicht gelöscht werden, um die Änderungen jederzeit
nachvollziehen zu können.
Der Grund der Änderung und der Verantwortliche müssen mit der Änderung
gespeichert werden.
Die Berechtigung für den Zugriff auf eine Datenmenge und deren Verände-
rung muss geregelt sein.
Die genannten Aufgaben bzw. Funktionen eines qualitätsgesicherten Datenmana-
gements ergeben entsprechende technische Anforderungen an das IT-System, das
diese Aufgaben erfüllen soll.
Eine wesentliche Anforderung ergibt sich aus der lückenlosen Kontrolle der Gene-
rierung und der Bearbeitung eines erhobenen Datums bzw. eines erfassten Mess-
wertes an die Datenhaltung: Auf dieser elementaren Ebene können Daten nicht
mehr in Dateien organisiert werden, sondern müssen in Datenbanken gespeichert
60 ZA-Information 52
werden, die eine Adressierung und flexible Verknüpfung jeden einzelnen Datums2
ermöglichen.
In relationalen Datenbanken werden Daten in Tabellen organisiert, die diese ele-
mentaren Bezüge ermöglichen.
Es ist nicht besonders sinnvoll, in Datenbanken wieder so viele Tabellen zu erzeu-
gen wie Dateien in der herkömmlichen Dateistruktur. Originaldaten müssen eindeu-
tig, d.h. redundanzfrei, gespeichert werden, um Duplikate und damit unterschiedli-
che, konkurrierende Änderungszustände zu vermeiden.
Die Datenbank muss zentral implementiert, verwaltet und der Zugriff kontrolliert
werden.
Die Datenbank muss zeitlich und räumlich kontinuierlich verfügbar sein, um jede
Änderung der Daten und jede Eingabe bzw. Abfrage direkt bearbeiten zu können.
Die Nutzung der Datenbank als zentrale Instanz des Wissensmanagements einer
organisatorischen Einheit muss frühzeitig in den Prozess der Datengenerierung, d.h.
in den Forschungsprozess, einbezogen werden. Dies bedeutet, dass die in der Da-
tenbank vorhandenen Daten und Wissensmengen wieder in die Studienplanung und
Studienkonzeption einfließen und somit strukturierend und normierend wirken.
Die Datenstruktur der Datenbank muss allgemein und strukturäquivalent zu weite-
ren Datenbanken sein, um Metadatenanalysen einfach und schnell zu ermöglichen.
Dementsprechend müssen alle abgespeicherten Daten über den gesamten Lebens-
zyklus der Datenbank verfügbar sein und dürfen nicht in sedimentierende Archive
ausgegliedert werden. Damit wird zugleich die Möglichkeit geschaffen, alle Daten
auf neue Versionen des Datenbanksystems zu migrieren, ohne jeden Datensatz ein-
zeln bearbeiten zu müssen.
Die beschriebenen Funktionen und Aufgaben eines qualitätsgesicherten Datenma-
nagements können für manchen Forscher bedrohlich wirken, da er sich einge-
schränkt fühlen mag. Diese scheinbare Einschränkung bedeutet aber gleichzeitig
eine Befreiung von unsystematisch bewältigten Ordnungszwängen.
2 In diesem Zusammenhang muss klargestellt werden, dass hier unter einem Datum immer der
empirisch ermittelte bzw. gemessene Wert verstanden wird. Dieser Begriff muss unterschieden
werden von dem allgemeinen Informatikbegriff und der kalendarischen Zeitangabe.
ZA-Information 52 61
2 Das Aktive Qualitätsmanagementsystem AQS
Nachfolgend wird ein speziell für Forschungsprozesse entwickeltes Datenbanksys-
tem vorgestellt, das die gesamten Abläufe und Aufgaben qualitätsgesicherten Da-
tenmanagements realisiert und gewährleistet.
Der Einsatz dieses Instruments beginnt dabei nicht erst mit der vorhin beschriebe-
nen Datenhaltung oder Datensatzpflege. Das System erlaubt vielmehr die Steuerung
des gesamten Forschungsprozesses von der Studienkonzeption über die Erhebung
bis zur Analyse und Berichtlegung. Es können sogar zeitkontrollierte Erhebungsab-
läufe definiert und ausgeführt werden. Dazu können Erhebungszeitpunkte vom Mi-
nuten- bis zum Tages- und Monatsbereich definiert und ausgeführt werden. So kann
der Psychologe minutengenau seine „Recall-Studien“ und der Marktforscher tagge-
nau seine „Follow-up-Befragungen“ realisieren.
Das „Aktive Qualitätsmanagementsystem“ AQS unterstützt sowohl die For-
schungsplanung, die zentrale oder dezentrale Datenerfassung und das Datenmana-
gement als auch aktiv die Steuerung der Untersuchungsabläufe. Es ist also nicht
lediglich ein Protokoll- und Dokumentationssystem.
Das AQS basiert auf einem Allgemeinen Datenmodell, das es ermöglicht, mit einer
begrenzten Zahl von Tabellen alle Anforderungen an die Datenerfassung und Do-
kumentation eines empirischen Forschungsprojektes redundanzfrei zu modellieren.
Diese Tabellen enthalten die Beschreibung der Datenattribute, die Beschreibung der
einzelnen Messungen und die empirisch gewonnenen Daten. In ergänzenden Tabel-
len werden alle Änderungen der Attribute dokumentiert und die Untersuchungsab-
läufe modelliert.
Obwohl die Anzahl der Datenattribute theoretisch beliebig ist, muss diese konzepti-
onell doch auf eine sparsame und allgemeingültige Menge beschränkt werden, die
es erlaubt, Daten aus den unterschiedlichsten Forschungsbereichen strukturäquiva-
lent abzubilden. Die Attributmenge des hier beschriebenen AQS umfasst die
Merkmale Study, Project, Design, Agent, Object, Subject, Sample, Variable, Scale,
Scalevalue, Topic, Method und die Benutzermerkmale Operator und User.
Der eine Teil dieser Attribute beschreibt die Untersuchungsfälle:
Das Attribut Study ist das generelle strukturierende Merkmal des gesamten
vorhandenen Datenkörpers.
Das Attribut Project hilft, Studieneinträge zu gruppieren und Abfragen von
Studien zu vereinfachen.
62 ZA-Information 52
Das Attribut Design beschreibt die Zugehörigkeit der Daten zu experimentel-
len oder anderen Untersuchungsbedingungen, etwa „Kontrollgruppe“, „Pre-
test“ usw., und kann bei der statistischen Analyse für die Faktorenbildung ge-
nutzt werden.
Das Attribut Agent beschreibt das für die Untersuchung zuständige Institut,
z.B. in multizentrischen oder interkulturellen Studien, oder den Untersucher
oder andere Instanzen, die eine Untersuchung betreiben.
Das Attribut Object beschreibt den Untersuchungsgegenstand oder das Unter-
suchungsthema, etwa „Reaktionstyp“, „Wertemuster“.
Das Attribut Subject beschreibt die untersuchte Instanz bzw. die Beobach-
tungs- oder Erhebungseinheit, z.B. den Befragungsteilnehmer, den Freiwilli-
gen in experimentellen Anordnungen.
Das Attribut Sample beschreibt die Zugehörigkeit zu einer Untersuchungs-
gruppe oder Stichprobe.
Der andere Teil der Attribute beschreibt die Untersuchungsmethoden:
Das Attribut Variable beinhaltet die Frage aus einem Erhebungsbogen.
Das Attribut Scale beschreibt die Maßeinheit, wie „Zustimmung“, „nein/ja“
usw. aber auch „cm“ oder „kg“. Darüber hinaus beschreibt das Attribut das
Datenformat des Messwertes, ob es sich um einen Antworttext aus einer offe-
nen Frage handelt oder um einen numerischen Wert, um eine kalendarische
Datumsangabe, um eine Uhrzeit oder um eine Instruktion zur Erläuterung der
Messung.
Das Attribut Scalevalue beschreibt die Bedeutung einzelner Werte in standar-
disierten bzw. codierten Antworten.
Das Attribut Topic hilft, Abfragen von Variablen aus großen Variablenmengen
inhaltlich zu gruppieren. Große Variablenmengen können die Definitionen
mehrerer Tausend Variablen umfassen und können daher zu Inhalts- oder Ver-
fahrensbereichen zusammengefasst werden.
Das Attribut Method gruppiert Variablen zu einem Erhebungs- und Messin-
strument. Eine Variable kann dabei in verschiedenen Messinstrumenten ver-
wendet werden. Dadurch wird eine Normierung erzielt, die insbesondere Me-
taanalysen deutlich präzisiert. Mit der Variablenauswahl können zugleich
Wertebereiche und Filtersprünge für den Erhebungsablauf definiert werden.
Eine Methode benennt und definiert die Durchführung des Erhebungsinstru-
mentes.
ZA-Information 52 63
Für das Datenmanagement sind die übrigen Attribute erforderlich:
Das Attribut Operator kennzeichnet jeden Eintrag in das AQS mit dem ver-
antwortlichen Akteur. Dies betrifft sowohl Ersteingaben als auch Korrekturen.
Das Attribut kennzeichnet immer Einzelpersonen bzw. Einzelverantwortliche
und stellt eine AQS-Zugriffsberechtigung dar.
Das Attribut User kennzeichnet den Benutzer des Oracle Datenbanksystems
und seine Zugriffsberechtigung. Das können lediglich Leserechte oder aber
Schreibrechte oder Administratorrechte sein. Das Attribut kennzeichnet nicht
ausschließlich Einzelpersonen, sondern kann auch Benutzergruppen meinen.
2.1 Datenerfassung und Datenmanagement mit AQS
Das AQS wurde kohärent in dem Datenbanksystem Oracle 9i mit der graphischen
Benutzeroberfläche Oracle Forms 9i realisiert, um effiziente Werkzeuge für die
Entwicklung und Anwendung nutzen zu können. Damit ist auch die Internetintegra-
tion bzw. die dezentrale Dateneingabe (Remote Data Entry), Datenabfrage und Da-
tenverwaltung systemisch gewährleistet. Zu der umfassenden dezentralen Datener-
fassung mittels Internet kommt ebenso die weltweite Abfragemöglichkeit der Daten
mittels Berichts- und Analysesoftware, wie statistischer Analyse-, Office- oder Data-
mining-Software.
In Abbildung 1 wird die Eingangsmaske des Application Selector wiedergegeben,
die zum Aufruf der einzelnen AQS-Anwendungen dient, mit denen einerseits die
oben beschriebenen Attributdefinitionen durchgeführt werden und andererseits die
Datenerhebung mit dem Interviewer oder das Datenmanagement mit dem Data Ma-
nager gestartet werden können. Diese Anwendungen werden nachfolgend kurz be-
schrieben.
Der Application Manager, der Administrator, der Password Manager und der Con-
figuration Manager sind Verwaltungswerkzeuge, welche die Administration des
AQS erheblich vereinfachen und den Einsatz der komplexen – und bezüglich der
Datenbankkohärenz ungesicherten. – Verwaltungswerkzeuge vermeiden.
Mit den Anwendungen Study, Design, Agent, Object, Subject und Sample Manager
sowie Codebook und Method Manager werden die einzelnen Attribute zur Datenbe-
schreibung verwaltet.
Der Data View Manager erlaubt es, beliebige Variablenmengen zusammenzustellen
und für die Datenabfrage und die Berichts- oder Analyseerstellung für Programme,
wie MS Office, SAS, SPSS, usw. verfügbar zu machen.
64 ZA-Information 52
Abbildung 1 Eingangsmaske des Application Selector
Der Interviewer ist die zentrale Anwendung für die Erfassung von Originaldaten,
die überall im Internet mit unterschiedlichen Funktionen dargestellt und aufgerufen
werden kann. Die Anwendung umfasst drei Registerkarten: die erste zur Identifika-
tion des Operators oder bei Selbstauskünften des registrierten Subjects, die zweite
zur Auswahl der Attribute, die auch in der Untersuchungsplanung vordefiniert wer-
den können, die dritte zur Darstellung des Dateneingabeprozesses mit verdeckter
Filterführung.
Abbildung 2 zeigt beispielsweise die Registerseite „Input“ des Interviewers. Es
wurden auf den vorhergehenden Registerseiten der Operator AQS eingestellt und
die Attribute für den „Entry: 1“ ausgewählt (Registerseiten nicht abgebildet). Aktu-
ell wird eine Frage mit 6 standardisierten Antwortreaktionen vorgelegt, die mit der
Maus ausgewählt werden können. Der Antwortcode kann aber auch direkt in das
Eingabefeld eingetragen werden. Wertebereichsprüfungen werden automatisch
durchgeführt.
Die Navigation durch das Interview geschieht mit den beiden Pfeil-Schaltflächen
am Anzeigefeld der vorgelegten Fragen. Diese Navigation berücksichtigt auch eine
Sprung- bzw. Filterführung, die im Method Manager festgelegt wurde.
ZA-Information 52 65
Abbildung 2 Interviewer, Registerseite „Input“
Da der Interviewer Originaldaten erzeugt, sind dort keine Korrekturprotokolle oder
Doppeleingaben zur Kontrolle der Datenübertragung von Papier in das elektroni-
sche Medium erforderlich. Anders im nachfolgend dargestellten Data Manager:
Hier müssen alle Datenkorrekturen begründet bzw. kommentiert werden (vgl.
Abbildung 3).
Der Data Manager erlaubt eine umfangreiche Abfrage der AQS-Attribute und gibt
eine genaue Übersicht über die Eintragsdefinitionen und den Zeitpunkt der Ein-
tragserzeugung und Eintragsbeendigung sowie über die Variablendefinitionen in
dieser Methode bzw. in diesem Erhebungsverfahren.
Zusätzlich können mit einer Schaltfläche „invalide“ Daten, das sind zuvor korrigier-
te oder entfernte Daten, wieder inspiziert werden. Mit einer weiteren Schaltfläche
können alle Dateneingaben angezeigt werden, die bereits zu dieser Variablen in der
Studie existieren. Ebenso können die Dateneingaben angezeigt werden, die neben
der aktuell vorgelegten Variablen bereits in der aktuellen Messung eingetragen
wurden. Damit hat der Datenmanager einen umfassenden Überblick über die vor-
handene Datenstruktur, die er ergänzen oder korrigieren möchte.
66 ZA-Information 52
Abbildung 3 Data Manager
Das Protokoll der Änderung von Daten über den Lebenszyklus des Datenbanksys-
tems wird „Audit Trail“ genannt. Es ermöglicht jederzeit, Änderungen nachzuvoll-
ziehen und zu prüfen. Eine weitere Funktion des „Audit Trails“ ist die unbegrenzte
Möglichkeit, alte Zustände wieder zu aktivieren. Dies wird am Beispiel des „Study
Manager“ in Abbildung 4 gezeigt.
Dort ist die Historie für die Studie 01 geöffnet worden. Es bestehen Unterschiede
im Studiennamen und in der Studienbeschreibung (Content). Diese werden durch
die sichtbaren Schaltflächen „Reuse“ angezeigt, die zugleich eine Wiederherstel-
lung der Werte erlauben.
Die Abbildung 4 zeigt zudem eine weitere Funktion des qualitätsgesicherten Daten-
managementsystems mit AQS: die Schaltfläche „Close Study“.
Eine Studie muss zu einem festgelegten und dokumentierten Zeitpunkt geschlossen
werden. Die Datenerhebungsphase wird mit „Close Study“ abgeschlossen, und so-
mit werden weitere Änderungen verhindert. Dadurch wird der Datensatz für gültige
und qualifizierte Analysen und Berichte zugänglich. Wären noch während der Zeit
der Berichtlegung Datenkorrekturen möglich, könnten diese Berichte nicht als gültig
ZA-Information 52 67
genutzt werden. Das AQS verhindert, dass ein geschlossener Datensatz bearbeitet
bzw. editiert werden kann. Eine im Wissenschaftsbereich eher unübliche Technik,
qualifizierte Analysen und Berichte zu erzeugen.
Abbildung 4 Study Manager
Der Anspruch des AQS, Daten qualifiziert und zentral zu speichern und zu verwal-
ten, erfordert nicht nur, dass die Datenbank von überall erreichbar ist, sondern auch,
dass die Anwendungen an die einzelnen Arbeitsplätze angepasst werden können.
Dies betrifft insbesondere die Benennung der Felder und Schaltflächen in der An-
wendung entsprechend den unterschiedlichen wissenschaftlichen Begriffskulturen.
Das AQS selbst ist mit sehr allgemeinen Benennungen ausgestattet, die es jedem
Wissenschaftsbereich erlauben, seine Problemstellungen, Studienmerkmale und
Variablen zu formulieren.
Dennoch gibt es Vorlieben, denen Rechnung getragen wird. Beispielsweise spricht
der eine von „Befragten“, der andere von „Probanden“, der dritte von „Untersu-
chungsproben“ oder „Verkehrsknoten“. Es ist daher möglich die Benennung „Sub-
ject“, wie auch alle anderen Benennungen, für jede Arbeitsumgebung abzuändern.
Hierzu können Benennungsprofile vom Administrator erstellt werden, die beim
Start einer Anwendung automatisch geladen werden.
68 ZA-Information 52
2.2 Datenabfrage mit AQS
Ein qualitätsgesichertes Datenbanksystem kann keine Sekundärdaten speichern, da
es nur für bereinigte, redundanzfreie Primärdaten, das Gold des Instituts, konzipiert
ist. Sekundäre Analysedaten, wie Summenwerte, Faktorwerte, Rekodierungen oder
gar umstrukturierte Teildatenmengen gehören nicht in einen redundanzfreien Origi-
naldatenkörper.
Abbildung 5 Administrator, Registerseite “Views and Tuning”
Viel sinnvoller, als sekundäre Datenmengen zu speichern, ist es, beliebige Abfrage-
algorithmen zu formulieren und diese in der Datenbank als Datensichten (data
views) zu speichern. Die Erzeugungsbedingungen von sekundären Datenkörpern
werden dadurch nachvollziehbar dokumentiert und können beliebig genutzt werden.
Das AQS bietet die Möglichkeit, unbegrenzt Datensichten zu definieren und abzu-
speichern. Die Datensichten können einerseits im „Data View Manager“ und ande-
rerseits im Administrator erstellt werden. Abbildung 5 zeigt die Registerseite
„Views and Tuning“ des Administrators mit einer typischen SQL-Anweisung, die
mit dem Editor geöffnet wurde.
Die Datensichten werden einerseits in einer Tabelle des AQS abgespeichert und
andererseits im Datenbanksystem zur Ausführung erzeugt. Dadurch sind sie über
alle Schnittstellen abrufbar, die SQL-Anweisungen transportieren.
ZA-Information 52 69
Abbildung 6 Assistent für den Datenbankzugriff in SPSS
Microsoft Access, Excel, Word und andere Software, wie etwa SPSS, verfügen über
die entsprechenden ODBC-Schnittstellen (Open DataBase Connectivity). Die SAS
Software verfügt so gar über eine Oracle-spezifische Schnittstelle, die ein leistungs-
fähigeres Protokoll verwendet.
Abbildung 6 zeigt den Aufruf von AQS-Datensichten im „Assistenten für den Da-
tenbankzugriff“ im SPSS. Es können hier mehrere Datensichten aufgerufen und im
darauf folgenden Schritt zu einer virtuellen Tabelle verknüpft werden. Darüber hin-
aus können Felder bzw. Variablen umbenannt und Filter für Teildatenmengen defi-
niert werden. Die Daten werden mit dem Fertigstellen des Assistenten wie Daten
aus einer Datei ins SPSS geladen und stehen für alle weiteren Bearbeitungsschritte
zur Verfügung. Entscheidend ist, dass keine Daten zurückgeschrieben werden kön-
nen und somit die Kohärenz und Gültigkeit der Originaldaten nicht bedroht sind.
2.3 Der AQS Report Manager
Der AQS Report Manager benutzt auf der Basis des Microsoft Access nur die in
AQS bereitgestellten Datensichten und legt selbst keine Datentabellen an.
70 ZA-Information 52
Der AQS Report Manager liefert Erhebungs- bzw. Messprotokolle. Diese werden ent-
sprechend den Methodendefinitionen automatisch erzeugt und pro Messung ausgegeben.
Eine Auswahl der einzelnen Erhebungsprotokolle ist anhand der Attribute des Datenmo-
dells von der gesamten Studie bis zur einzelnen Erhebung bzw. Messung möglich. Die in
der AQS Datenbank vorhandenen Variablen- und Methodendefinitionen können jeder-
zeit nach Topics oder Methoden gegliedert abgefragt und ausgegeben werden.
Darüber hinaus ermöglicht es der AQS Report Manager, die üblicherweise internet-
oder intranetbasierte Eingabe des AQS mit dem automatisch generierten Ausdruck
von Erhebungsbögen für das herkömmliche „Papier-und-Stift“-Protokoll zu ergän-
zen. Grundlage für die Erstellung sind die eingetragenen und ausgewählten Attribute.
Abbildung 7 Report Manager
Diese Erhebungsbögen enthalten eine vollständige Filterführung und dienen dann
der späteren Dateneingabe mit dem Data Manager. Da es sich in dem Fall nicht um
ein Remote Data Entry bzw. um keine Originaldateneingabe, sondern um die Da-
teneingabe von einem Protokollblatt bzw. Beleg handelt, muss eine Doppeleingabe
durchgeführt werden.
ZA-Information 52 71
3 Anwendung
Ein qualitätsgesichertes Datenmanagement für die Forschung scheint vor allem bei
den neuen Disziplinen des Qualitätsmanagements und der Evaluation von For-
schungs- und Lehrbereichen nicht nur wünschenswert, sondern zwingend, um von
gesicherten Datensätzen auszugehen, die eine nachhaltige Normierung und damit
Metaanalysen über größere Zeitdistanzen ermöglichen. Beispielsweise können Fra-
gemengen und Aufgabenpools im Bereich der Unterrichtsforschung kontinuierlich
analysiert und weiterentwickelt werden. In der Sozial- und Marktforschung können
Einzelstudien in den gemeinsamen Attributen zu Panelstudien zusammengeführt
werden. Dabei stehen alle Daten immer im direkten Zugriff. Das Spiel „Wo ist die
Datei?“ kann dann nicht mehr gespielt werden.
Die Erläuterungen zum AQS haben bereits gezeigt, dass der Einsatz eines solchen
qualitätsgesicherten Datenmanagementsystems nicht in individueller Verantwortung
auf einem Arbeitsrechner, sondern nur auf einem Abteilungs- oder Institutsserver
realisiert werden kann. Dieser weist dann eine hohe Verfügbarkeit auf und ist für
viele Nutzer weiträumig erreichbar. Dementsprechend sollte die Nutzung sowohl
auf der Eingabeseite als auch auf der Abfrageseite hoch genug sein, um eine profes-
sionelle Geräteausrüstung zu begründen. So sollten getrennte Server für die AQS-
Datenbank, für die AQS-Anwendungen und gegebenenfalls für den Internetzugang
installiert werden, um so eine ausreichende Leistung zu bieten. Wenn Abteilungen
oder Institute keine ausreichende Auslastung erzeugen, können sie sich wiederum
mit anderen zusammenschließen und gegebenenfalls ein zentrales AQS-System in
Form des „Data Housing“ nutzen.
Beim „Data Housing“ werden Datenbankdienstleistungen und Rechenkapazitäten
vom zentralen Rechenzentrum der Forschungseinrichtung oder auch von einem
kommerziellen „Provider“ angeboten.
Der Vorteil eines professionellen zentralen und qualitätsgesicherten Datenmanage-
ments liegt im geringen Administrations- und Ordnungsaufwand an den zahlreichen
individuellen Arbeitsplätzen einer Forschungseinheit und der gegebenen benutzerun-
abhängigen Datensicherung und Datenmigration.
Referenzen
AQS Active Quality Management System.
Ibis Research Informationstechnologie GmbH & Co.KG, Bochum. www.IBIS-Research.de
Microsoft Office. Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA. www.Microsoft.com
Oracle 9i. Oracle, Redwood Shores, Ca., USA. www.ORACLE.com
SAS. SAS Institute Inc., Cary, NC, USA. www.SAS.com
SPSS. SPSS Inc., Chicago, Ill., USA. www.SPSS.com
72 ZA-Information 52
Konträr und ungenügend?
Ansprüche an Inhalt und Qualität einer
sozialwissenschaftlichen Methodenausbildung
von Manuela Pötschke1 und Julia Simonson2
Zusammenfassung
Im Zuge der Einführung neuer sozialwissenschaftlicher Studienabschlüsse wurde
intensiv über die Inhalte und die Praxisbezogenheit der Methoden- und Statistik-
ausbildung diskutiert. Die bestehende Ausbildungspraxis wurde dabei relativ ein-
heitlich negativ bewertet. Die Vorstellungen über mögliche Veränderungen gehen
aber weit auseinander.
In diesem Beitrag wird berichtet, welche methodischen und statistischen Verfahren
in der Praxis am häufigsten verwendet werden und welche Kenntnisse dort als un-
abdingbar gelten. In einer Online-Studie wurden Anwender aus wissenschaftlichen
Forschungseinrichtungen sowie Markt- und Meinungsforschungsinstituten befragt.
Im Rahmen einer Inhaltsanalyse wurden Beiträge soziologischer Fachzeitschriften
ausgewertet.
Abstract
The introduction of new social science degrees is accompanied by an intensive dis-
cussion about the content and the practical relevance of education in methods and
statistics. On this occasion the actual educational praxis was consistently evaluated
as negative. Nevertheless, no agreement has been reached about how to change the
education in a positive way.
1 Dr. Manuela Pötschke ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Soziologie, Arbeitsge-
biet Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung (ASeSo) an der Universität Bre-
men; EMPAS, Celsiusstraße, 28359 Bremen; e-mail: poetsch@gsss.uni-bremen.de
2 Julia Simonson, Dipl.-Soz. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie, Ar-
beitsgebiet Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung (ASeSo) an der Universität
Bremen; EMPAS, Celsiusstraße, 28359 Bremen; e-mail: jsim@gsss.uni-bremen.de
ZA-Information 52 73
This article describes the frequency of practical usage of different methodological
and statistical procedures. Furthermore it shows which kind of knowledge is seen
as indispensable by practitioners. An internet survey was conducted among mem-
bers of scientific departments, market research firms and polling institutes. Addi-
tionally, contributions in social science journals were analysed by means of content
analysis.
1 Problemstellung
Die Vermittlung von Kenntnissen in Methoden empirischer Sozialforschung und
Statistik stellt einen Kernbereich der universitären sozialwissenschaftlichen Ausbil-
dung dar, der vielfältigen und zum Teil auch widersprüchlichen Anforderungen aus
den unterschiedlichen für Sozialwissenschaftler relevanten Berufsfeldern zu genü-
gen hat.
Die Qualität dieser universitären Statistik- und Methodenausbildung wird derzeit
einer strengen Prüfung unterzogen. Die beurteilenden Experten kommen dabei aus
so unterschiedlichen Richtungen wie der wissenschaftlichen Ausbildung, der Wis-
senschaftspolitik oder der angewandten Markt- und Meinungsforschung. Obwohl
deren jeweiliger Sachverstand unzweifelhaft ist, kommen die Vertreter der ver-
schiedenen Berufsgruppen zu ganz unterschiedlichen Urteilen über den begutachte-
ten Gegenstand „Ausbildung“. Einigkeit herrscht lediglich in der Einschätzung,
dass die sozialwissenschaftliche Statistik- und Methodenausbildung Defizite auf-
weist und nicht praxis- und berufsfeldbezogen genug ist.
Die Rezepte zur Behebung der Missstände sind dabei vielfältig; wobei in den Emp-
fehlungen auffällt, dass deren Motivation sich häufig nicht in erster Linie aus einer
generellen Ausbildungskonzeption oder -vision speist, sondern aus den persönli-
chen erkenntnis- und berufsfeldbezogenen Interessen. Wenn z.B. Lehrende eine
stärkere Vermittlung spezifischer Datenanalyseverfahren anstreben, so erscheint
dies vor dem Hintergrund der von ihnen durchgeführten universitären Forschung, in
der oftmals genau diese Kenntnisse benötigt werden, rational. Für die sozialwissen-
schaftlichen Studierenden ermöglicht aber auch die Durchführung einer eigenen
Datenerhebung unvergleichliche und für die spätere Berufstätigkeit wichtige Erfah-
rungen ermöglicht. Vielen Markt- und Meinungsforschern würden dagegen im Be-
reich der Datenauswertung auch Kenntnisse in der fortgeschrittenen Kreuztabellen-
analyse ausreichen, sofern die Absolventen in der Lage sind, Forschungsprojekte in
eigener Regie durchzuführen. Daraus kann sich allerdings das Problem ergeben,
dass umfangreiche und qualitativ hochwertige Daten zwar gesammelt werden, das
Datenpotential aber nur unzureichend ausgeschöpft wird. Es scheint deshalb ange-
74 ZA-Information 52
bracht, zuerst zu klären, welche allgemeinen Qualifikationen im Rahmen der sozi-
alwissenschaftlichen Statistik- und Methodenausbildung mindestens vermittelt
werden sollten.
Ohne Zweifel besteht eine Aufgabe der sozialwissenschaftlichen Methodenausbil-
dung darin, Studierende zur eigenen gegenstandsbezogenen Forschung zu befähi-
gen.3 Hierzu gehört sowohl die Vermittlung von Kompetenzen, die notwendig sind,
um selbst Daten erheben und analysieren zu können, als auch die Befähigung zur
Sekundäranalyse bereits vorhandener Datenbestände. Daher herrscht auch weitge-
hende Übereinstimmung darin, dass grundlegende Verfahren der Datenerhebung
und Datenanalyse gelehrt werden sollen. „Gelehrt werden“ darf sich in diesem Fall
aber nicht auf die Präsentation entsprechender Themen in Vorlesungen beschrän-
ken. Vielmehr muss es um die praktische Erfahrung der Studierenden in kleineren,
möglicherweise selbstgestellten Forschungsprojekten gehen. Derart sachfragenbe-
zogen kann der praktische Forschungs- und Erkenntnisprozess dann als ganzer und
problemorientiert vermittelt werden, was die Vernachlässigung einzelner Abschnitte
verhindert.4 In einen Gesamtprozess ist die Erstellung geeigneter Erhebungsinstru-
mente dann genauso integriert wie die Planung und Durchführung der Stichproben-
ziehung sowie die Datenauswertung. Das Ausmaß und die Art der Datenerhebung
und die Verwendung spezifischer Analyseverfahren ergeben sich aus den Ansprü-
chen an die Beantwortung der Projektfragestellung. Hier kommt dem Dozenten eine
wichtige Funktion zu. Er muss den Studierenden nämlich die Möglichkeiten, die
unterschiedliche Analyseverfahren bieten, aufzeigen. Es reicht also nicht, bei den
grundlegenden Verfahren stehen zu bleiben. Ganz im Gegenteil – erst wenn die
Studierenden den praktischen Wert fortgeschrittener Verfahren für die Beantwor-
tung ihrer Fragen erkannt haben, werden sie diese auch verstärkt nutzen. Und je
mehr Absolventen fundierte Fähigkeiten in diesen Verfahren aufweisen, desto stär-
ker werden sie sich auch in der öffentlichkeitswirksameren Markt- und Meinungs-
forschung durchsetzen. Diese Ansicht deckt sich mit den Forderungen aus dem
Hochschulrahmengesetz, dass „die Hochschulen [...] die ständige Aufgabe [haben],
... Inhalt und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklung in Wissen-
3 Diese Anforderung ergibt sich bereits aus dem Hochschulrahmengesetz, in dem es heißt: „Lehre
und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die da-
für erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studien-
gang entsprechend so vermitteln, dass er zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und
zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat
befähigt wird.“ (Hochschulrahmengesetz §7)
4 Dies soll nicht als Forderung nach den altbekannten Projektstudien verstanden werden. Projekte
im hier gemeinten Sinne müssen so angelegt sein, dass ein sehr breites Wissensspektrum des
jeweiligen Fachgebietes abgedeckt werden kann. Das Studium soll nicht zur Spezialisierung auf
eine – mehr oder weniger – wichtige Frage wissenschaftlicher Erkenntnis reduziert werden.
ZA-Information 52 75
schaft und Kunst, die Bedürfnisse der Praxis und die notwendigen Veränderungen
in der Berufswelt zu überprüfen und weiterzuentwickeln“ (vgl. Hochschulrahmen-
gesetz §8). Das bedeutet, dass die universitäre Ausbildung nicht nur auf die aktuel-
len Arbeitsmarktbedürfnisse zu reagieren, sondern diese aktiv mit zu entwickeln
hat.
Über die sehr konkreten problembezogenen Fähigkeiten hinaus sollten Absolventen
aber auch in der Lage sein, fremde wissenschaftliche Forschungsbeiträge und Dis-
kussionen verstehen und interpretieren zu können. Daher ist es eine weitere bedeut-
same Aufgabe universitärer Ausbildung, Studierenden den Zugang zu den neuesten
Forschungsergebnissen im jeweiligen Fachgebiet zu ermöglichen. Die Präsentation
solcher Ergebnisse erfolgt in der Regel über Vorträge oder Artikel in einschlägigen
Fachzeitschriften. Auf die Schulung einer fehlerfreien und kritischen Rezeption die-
ser Wissenschaftsbeiträge muss in der universitären Ausbildung deshalb ein stärke-
res Augenmerk gerichtet werden. Für diese Reflexion ist ein grundlegendes Ver-
ständnis der jeweils verwendeten Methoden unverzichtbar, um deren Angemessen-
heit und Aussagekraft für die jeweilige Fragestellung abschätzen zu können.
Fasst man die dargestellten Anforderungen zusammen, so soll ein Absolvent sozi-
alwissenschaftlicher Statistik- und Methodenausbildung in der Lage sein,
1. ein empirisches Forschungsprojekt zu konzipieren, durchzuführen und die ent-
sprechenden Datenerhebungsinstrumente zu entwickeln,
2. die selbst oder von anderen erhobenen Daten unter Ausnutzung ihres gesamten
Potentials auszuwerten und
3. die relevante Fachliteratur und damit die Projektvorhaben anderer Wissen-
schaftler zu rezipieren und kritisch zu würdigen.
Folgt man dieser Logik, stellt sich konkret die Frage, welche Kenntnisse und Fähig-
keiten zur Erfüllung dieser Ansprüche notwendig sind und in der Methoden- und
Statistikausbildung vermittelt werden sollen. Dieser Frage sind wir in zwei ver-
schiedenen Teilvorhaben empirisch nachgegangen. Zum einen haben wir in einer
Online-Umfrage unter Sozial-, Markt- und Meinungsforschern sowie universitär
Lehrenden nach den berufsfeldbezogenen Anforderungen an spezifische Datenerhe-
bungs-, Auswahl- und Datenanalyseverfahren gefragt. Zum anderen wurden durch
eine Inhaltsanalyse einschlägiger soziologischer Zeitschriften relevante Verfahren
in der dokumentierten wissenschaftlichen Forschung exploriert.
Die hier vorgestellten Analysen bestehen im Kern in einem Vergleich der relativen
Bedeutung genutzter Verfahren in der praktischen Tätigkeit in der Wissenschaft und
der kommerziellen Markt- und Meinungsforschung auf der einen und der rezipier-
76 ZA-Information 52
ten Fachliteratur auf der anderen Seite. Auf eine generelle Differenzierung in quan-
titative und qualitative Verfahren der Datenerhebung oder Datenanalyse wird dabei
bewusst verzichtet. Unsere Differenzierung orientiert sich vielmehr am Forschungs-
prozess und unterscheidet unabhängig von der Zuordnung zu einem wissenschafts-
theoretischen Paradigma zwischen Datenerhebungs-, Auswahl- und Analysever-
fahren.
2 Datenbasis
Den empirischen Analysen liegen zwei Datenbasen zu Grunde. Im ersten Fall han-
delt es sich um eine netzbasierte standardisierte Befragung von Sozialforschern,5
die in der Zeit vom 20. Juni bis 29. Juni 2001 durchgeführt wurde.6 Die Befragung
diente der empirischen Vorbereitung einer Tagung zur „Praxisrelevanz der Metho-
denausbildung“, die am 6. und 7. Juli 2001 in Bremen stattfand. Zur Teilnahme
aufgefordert waren die Mitglieder der Tagungsveranstalter. Dabei handelte es sich
um den Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM), die
Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute (ASI), den Berufsverband
Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS), den Berufsverband Deutscher
Markt- und Sozialforscher (BVM) und die Methodensektion der Deutschen Gesell-
schaft für Soziologie (DGS). Über die E-Mail-Listen der beteiligten Verbände und
Organisationen wurde eine Informationsmail verschickt, die den Link zur Befra-
gung im Internet enthielt.
Aus der Spezifik von Online-Erhebungen ergibt sich hierbei das Problem der feh-
lenden Ausweisung der konkreten Grundgesamtheit (vgl. Bandilla 1999). E-Mail-
Adressen werden beispielsweise für Einrichtungen vergeben und dann dort von
mehreren Personen verwendet, einzelne Personen können mehrere E-Mail-Adressen
haben oder Mitglied in mehreren der beteiligten Verbände sein. Auch die unter-
schiedliche Pflege der Listen lässt eine definitive Aussage zur Grundgesamtheit
nicht zu. Deshalb können auch keine Angaben zu Ausschöpfungsquoten oder der
Güte der 101 letztlich analysierten Fragebögen gemacht werden, und Rückschlüsse
von den vorzustellenden Ergebnissen auf die Gruppe aller empirisch arbeitender
Markt-, Meinungs- und Sozialforscher sind nicht erlaubt. Das bedeutet, dass Reprä-
5 Der Begriff „Sozialforscher“ wird hier als Oberbegriff für alle empirisch arbeitenden Sozialwis-
senschaftler verstanden. Dazu zählen insbesondere die Markt- und Meinungsforscher, aber auch
Forscher an Universitäten oder außeruniversitären Einrichtungen.
6 Eine umfassende Darstellung der empirischen Ergebnisse dieser Umfrage findet sich in Simon-
son/Pötschke 2002a. Die Online-Erhebung als spezifisches methodisches Herangehen und die
Datenerhebung werden in Pötschke/Simonson 2001 ausführlich besprochen.
ZA-Information 52 77
sentativität mit dieser Studie nicht angestrebt werden konnte (und auch nicht sollte).
Signifikanzen werden deshalb nicht ausgewiesen.
Die Befragten konnten in Abhängigkeit von ihrer Funktion für unterschiedliche
Ebenen sprechen: entweder als Mitarbeiter für sich selbst, als Leiter für eine Abtei-
lung oder für ein gesamtes Institut. Die Entscheidung über die Zuordnung zur je-
weiligen Ebene oblag dabei den Befragten. Neben diesen Bezugsebenen können die
Befragten auch nach ihrer Branchenzugehörigkeit unterschieden werden. Ursprüng-
lich wurden die Bereiche Universität, außeruniversitäres Forschungsinstitut, kom-
merzielles Markt- und Meinungsforschungsinstitut, öffentliche Verwaltung, Unter-
nehmensberatung und Marktforschungsabteilung eines Unternehmens als spezifi-
sche Aufgabenbereiche, in denen Sozialwissenschaftler tätig sein können, aufge-
führt. Nach der Sichtung der Fragebögen zeigte sich jedoch, dass fast alle Befragten
zu den ersten drei Bereichen gehörten. Für die folgenden Analysen wurden die Be-
fragten aus Marktforschungsabteilungen innerhalb eines Unternehmens dem Be-
reich “kommerzielle Markt- und Meinungsforschung“ zugeordnet. Nach ihren spe-
zifischen Fachinteressen werden universitäre und außeruniversitäre Forscher in ei-
ner Kategorie „Wissenschaft“ zusammengefasst.7 Aufgrund der geringen Fallzahlen
(3) und der Schwierigkeiten, sie anderen Bereichen sinnvoll zuzuordnen, wurden
die Befragten aus der öffentlichen Verwaltung und aus einer Unternehmensberatung
aus den empirischen Analysen ausgeschlossen.
In der Befragung wurden die einzelnen Bestandteile eines Forschungsprozesses –
Datenerhebung, Auswahlverfahren und Datenanalyse – differenziert betrachtet.
Es wurde jeweils unterschieden in Fragen nach vorhandenen spezifischen Kenntnis-
sen, der Wichtigkeit von spezifischen Kenntnissen, der Anwendungshäufigkeit in
professionellen Zusammenhängen und der Ausbildungsrelevanz. Darüber hinaus
wurden Fragen zu fächerunabhängigen Fähigkeiten von Hochschulabsolventen ge-
stellt. Für die vorliegende Analyse werden in der Regel nur die Informationen he-
rangezogen, die sich auf die tatsächliche Verwendung spezifischer Verfahren8 be-
7 In einer Diskussion um diesen Beitrag wurde die Vermutung geäußert, dass inhaltliche Verzer-
rungen in den Antwortverteilungen aus dem Bereich der Wissenschaftler dadurch hätten zustan-
de kommen können, dass aus der akademischen Sozialforschung ausdrücklich die Mitglieder
der Methodensektion in der DGS befragt wurden und nicht die Mitglieder anderer Sektionen.
Dieses spezifische Vorgehen war dem Anlass der Untersuchung geschuldet. In der genaueren
Betrachtung der Teilgruppe „Wissenschaft“ zeigt sich, dass weniger als die Hälfte davon Mit-
glieder der Methodensektion sind. Darüber hinaus ist wenigstens zum Teil von Doppelmitglied-
schaften in unterschiedlichen Sektionen der DGS auszugehen. Von einer generellen Verzerrung
über die bereits beschriebenen Effekte hinaus ist deshalb nicht schlüssig auszugehen.
8 Die genaue Frageformulierung lautete hier: „Wie häufig werden die folgenden Verfahren an
Ihrem Institut/ in Ihrer Abteilung/ von Ihnen eingesetzt? (häufig, gelegentlich, nie)“. Für den
Vergleich wurden die häufige und die gelegentliche Nutzung zusammengefasst.
78 ZA-Information 52
ziehen. Dieses Vorgehen wird gewählt, um einen Vergleich mit der zweiten Daten-
quelle zu ermöglichen.
Die zweite Datenerhebung erfolgte als Inhaltsanalyse von Beiträgen aus drei wich-
tigen deutschen soziologischen Fachzeitschriften: der Kölner Zeitschrift für Sozio-
logie und Sozialpsychologie (KZfSS), der Zeitschrift für Soziologie (ZfS) und der
Sozialen Welt (SW). Bei der Auswahl dieser Zeitschriften orientierten wir uns an
einer Untersuchung aus dem Jahr 1979 (vgl. Lüschen 1979), in der die Entwicklung
der deutschen Soziologie insgesamt anhand wichtiger Schriften dargestellt wurde.
Dort gab es folgende Argumente für die Auswahl der KZfSS, der ZfS und der SW,
die nach unserer Auffassung auch heute noch Überzeugungskraft besitzen: a) Diese
Zeitschriften sind offizielle Organe der Soziologie; sie sind b) reine soziologische
Zeitschriften ohne spezifische Ausrichtung und sie sind c) kontinuierlich über einen
sehr langen Zeitraum hinweg erschienen und somit etabliert (vgl. Lüschen 1979:
171). Im Zeitraum von Anfang 2000 bis Ende 2001 wurden in den untersuchten
Zeitschriften insgesamt 152 inhaltliche Beiträge veröffentlicht. Tagungsberichte
und Literaturrezensionen sowie nachrichtliche Beiträge wurden aus den Analysen
ausgeschlossen. Für die Soziale Welt konnten nur die Beiträge bis zum Heft 3/ 2001
berücksichtigt werden.
Im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden formale und inhaltliche
Merkmale dieser Beiträge erhoben. Für den hier angestrebten Vergleich der
Verbreitung von spezifischen Verfahren der Datenerhebung, Auswahl und Analyse
werden ausschließlich die entsprechenden inhaltlichen Merkmale verwendet. Da es
in der Frage nach der Bedeutung spezifischer Verfahren nicht um die generelle Be-
deutung der Methoden im Vergleich zur Theorie in den Sozialwissenschaften geht,
scheint es sachgerecht, dass in die Analyse auch nur die Beiträge eingingen, die als
empirische Arbeiten klassifiziert wurden.
ZA-Information 52 79
Tabelle 1 Häufigkeit der Beitragsarten
Beitragsart
Zeitschrift
methodische
Beiträge
empirische
Beiträge
theoretische
Beiträge
Repliken Gesamt
Kölner Zeitschrift
für Soziologie und
Sozialpsychologie
4
6,8%
33,3%
33
55,9%
41,8%
12
20,3%
26,7%
10
17%
62,5%
59
100%
38,8%
Zeitschrift für
Soziologie
8
15,1%
66,7%
28
52,8%
35,4%
13
24,5%
28,9%
4
7,6%
25%
53
100%
34,9%
Soziale Welt
0 18
45%
22,8%
20
50%
44,4%
2
5%
12,5%
40
100%
26,3%
Gesamt
12
7,9%
100%
79
52%
100%
45
29,6%
100%
16
10,5%
100%
152
100%
100%
Für den ersten Abschnitt einer Inhaltsanalyse wird in der Literatur das Problem der
reliablen Codierung diskutiert (vgl. z.B. Steinke 1999; Mayring 2000). Diekmann
(1997: 492) stellt zwei unterschiedliche Strategien als angemessen vor: a) zwei Co-
dierer arbeiten parallel und die Übereinstimmung der Codierungen gibt ein Maß für
ihre Reliabilität (Intercoderreliabilität); b) eine Person codiert das Material zu zwei
Zeitpunkten und die Übereinstimmung dieser Codierungen gibt Auskunft über ihre
Reliabilität (Intracoderreliabilität). Für die vorliegenden Analysen wurden parallele
Codierungen durch unabhängige Personen durchgeführt.9 Die Intercoderreliabilität
gibt dann einen Hinweis auf die subjektive Nachvollziehbarkeit der Codierung von
Textpassagen. Als Maß für die Güte der Codierung wurde dabei die folgende For-
mel in Anlehnung an die Ausführungen bei Diekmann (1997: 493) verwendet:
21
2
KK
Ü
ätreliabilitIntercoder +
=
Hier steht Ü für die Anzahl der übereinstimmenden Codierungen aller Codierer für
alle Variablen; K1 steht für die Gesamtzahl der Codierungen des ersten Codierers
und K2 für die Gesamtzahl der Codierungen des zweiten Codierers. Diese einfache
Formel bietet sich hier deshalb besonders an, weil die Beschreibung der Beiträge
durch Dummy-Codierungen – ein bestimmtes Verfahren wird entweder angewandt
oder nicht – erfolgt.
9 Für eine ausführliche Beschreibung der Codierregeln und des Vorgehens vgl. Simonson/
Pötschke 2002b.
80 ZA-Information 52
Die Anwendung auf die vorgestellte Untersuchung erbrachte eine Intercoderreliabi-
lität über alle Codierungen der Datenerhebungs-, Auswahl- und Analyseverfahren
von 0,966. Das bedeutet, dass nahezu 97% aller Codierungen übereinstimmend er-
folgten, was als sehr guter Wert angesehen werden kann.10 Für die Erstellung des
Datensatzes, der den nachfolgenden Analysen zugrunde liegt, wurden die Codie-
rungen, die nicht übereinstimmten, in einer Diskussionsrunde erörtert und dann im
Konsens korrigiert.
3 Datenanalyse
Wie oben bereits genannt, besteht das Ziel der Datenanalyse in einem Vergleich der
Bedeutungen verschiedener Verfahren für die Tätigkeit im Bereich der Wissen-
schaft und der kommerziellen Markt- und Meinungsforschung auf der einen und der
rezipierten Fachliteratur auf der anderen Seite. Dabei kann es jedoch nicht um einen
direkten Größenvergleich der Anteile gehen. In der netzgestützten Befragung wur-
den die Anwender wie beschrieben auf ganz unterschiedlichen Hierarchieebenen
angesprochen. Demnach konnten von einem Institutsleiter oder einem Abteilungs-
leiter einer größeren Einrichtung Verfahren auch dann angegeben werden, wenn
diese nicht von der befragten Person selbst angewandt wurden, sondern von anderen
innerhalb der jeweiligen Abteilung bzw. des Instituts. Bei denjenigen Personen, die
für sich als Person antworteten, wurde explizit nach der eigenen Nutzung eines Ver-
fahrens gefragt. Dabei wurden die häufige und die gelegentliche Nutzung zusam-
mengefasst. In der Inhaltsanalyse wurde dagegen lediglich die tatsächliche Nutzung
eines Verfahrens in einem klar abgegrenzten, relativ kurzen Zeitraum erhoben. Die
absoluten Häufigkeiten für die einzelnen Verfahren fallen daher in der Inhaltsanaly-
se deutlich geringer aus als in der Online-Erhebung. Auf einen direkten Vergleich
der Anteilswerte zwischen den unterschiedenen Gruppen muss somit verzichtet
werden. Vielmehr geht es in der vorgenommenen Gegenüberstellung darum, die
relative Bedeutung der Verfahren im Kontext ihrer Erhebung darzustellen.
3.1 Datenerhebungsverfahren
Die Aufnahme der acht Datenerhebungsverfahren in die Online-Befragung orien-
tierte sich an den Beschreibungen in den einschlägigen Lehrbüchern und den Dar-
10 Mit dieser Beurteilung soll nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass der Wert immer besser
wird, je mehr seltene Verfahren auftreten. Insofern war von vornherein ein sehr hoher Anteil
übereinstimmender Codierungen zu erwarten.
ZA-Information 52 81
stellungen des ADM. In der zeitlich nachgeordneten Inhaltsanalyse der Zeitschrif-
tenbeiträge wurden keine darüber hinausgehenden Erhebungsverfahren entdeckt.
Betrachtet man die Anwendung von Datenerhebungsverfahren, ist festzustellen,
dass sowohl das standardisierte Face-to-face-Interview, die standardisierte schriftli-
che Befragung, als auch das nicht-standardisierte Interview in allen drei Teilberei-
chen eine hohe Verbreitung aufweisen.
Tabelle 2 Anwendung von Datenerhebungsverfahren
Wissenschaft
kommerzielle Markt-
und Meinungsforschung
empirische Beiträge in
der Fachliteratur
standardisiertes Face-to-
face-Interview 45 (81,8%) 39 (90,7%) 12 (15,2%)
standardisiertes Telefon-
Interview 40 (72,7%) 39 (90,7%) 5 (6,3%)
standardisierte schriftliche
Befragung 52 (94,5%) 37 (86%) 19 (24,1%)
standardisierte Online-
Befragung 28 (50,9%) 27 (62,8%) 0
nicht-standardisiertes
Interview 46 (83,6%) 36 (83,7%) 20 (25,3%)
Beobachtung
27 (49,1%) 21 (48,8%) 7 (8,9%)
Gruppendiskussion
29 (52,7%) 34 (79,1%) 2 (2,5%)
Experiment
19 (34,5%) 16 (37,2%) 1 (1,3%)
Gesamt
55 (100%) 43 (100%) 79 (100%)
Anmerkung: Die Prozentangaben für die einzelnen Verfahren summieren sich nicht auf 100%, da
Mehrfachantworten möglich waren. Die genaue Frageformulierung in der internetbasierten Erhe-
bung lautete: „Wie häufig werden die folgenden Verfahren an Ihrem Institut/ in Ihrer Abteilung/
von Ihnen eingesetzt? (häufig, gelegentlich oder nie)“. Für den Vergleich wurden die häufige und
die gelegentliche Nutzung der Verfahren zusammengefasst.
Während ein großer Teil der befragten Sozialforscher gerade auch aus dem Bereich
der Markt- und Meinungsforschung das standardisierte Telefoninterview häufig oder
gelegentlich einsetzt, wird dieses Erhebungsverfahren in den untersuchten Fachpub-
likationen im Vergleich zu den anderen Verfahren deutlich seltener dokumentiert.
Ein ähnlicher Befund ist für die Methode der standardisierten Online-Befragung zu
konstatieren, die von jeweils über der Hälfte der kommerziell und nicht-
kommerziell arbeitenden Sozialforscher häufig oder gelegentlich angewandt wird,
jedoch in den von uns untersuchten Zeitschrift enb ei trägen nicht reflektiert wird.
82 ZA-Information 52
Für den Bereich der Markt- und Meinungsforschung ist die weit verbreitete Nut-
zung der Gruppendiskussion hervorzuheben.
In den Zeitschriftenpublikationen werden vor allem Forschungsergebnisse auf der
Grundlage von nicht-standardisierten Interviews, standardisierten schriftlichen Be-
fragungen sowie – etwas weniger häufig – von standardisierten Face-to-face-Inter-
views berichtet und diskutiert.
3.2 Auswahlverfahren
Für die Auswahlverfahren ist bei den Befragten der Online-Erhebung eine hohe
Anwendungsverbreitung nahezu aller Verfahren festzustellen. Ein Unterschied zwi-
schen der wissenschaftlichen Forschung und der kommerziellen Markt- und Mei-
nungsforschung ist aber hinsichtlich der Bedeutung der Quotenauswahl zu erken-
nen. Während in der Markt- und Meinungsforschung fast 98% der Befragten eine
häufige oder gelegentliche Nutzung dieses Verfahrens angeben, liegt diese im Seg-
ment der wissenschaftlich arbeitenden Sozialforscher nur bei knapp 68%. Im wis-
senschaftlichen Bereich ist vor allem für die einfache Zufallsauswahl eine hohe
Verwendungshäufigkeit zu verzeichnen. Diese spiegelt sich auch in der Fachlitera-
tur wider, in der in etwa einem Drittel der empirischen Beiträge die Verwendung
einfacher Zufallsauswahlen dokumentiert wird.
ZA-Information 52 83
Tabelle 3 Häufigkeit der Anwendung von Auswahlverfahren
Wissenschaft kommerzielle Markt- und
Meinungsforschung
empirische Beiträge
in der Fachliteratur
Einfache Zufallsauswahl* 45 (84,9%) 40 (93%) 26 (32,9%)
Geschichtete Zufallsauswahl* 41 (77,4%) 41 (95,4%) 11 (13,9%)
Quotenauswahl* 36 (67,9%) 42 (97,7%) 4 (5,1%)
Klumpenauswahl* 29 (54,7%) 25 (58,1%) 0
Mehrstufige Auswahl* 40 (75,5%) 35 (81,4%) 0
Willkürliche Auswahl* 32 (60,4%) 19 (44,2%) 8 (10,1%)
Vollerhebung* 28 (52,8%) 19 (44,2%) 5 (6,3%)
Schneeballtechnik * 31 (58,5%) 22 (51,2%) 4 (5,1%)
Bewusste Auswahl** 5 (9,4%) 0 27 (34,2%)
Gesamt 53 (100%) 43 (100%) 79 (100%)
* Diese Verfahren waren in die standardisierte Befragung der Online-Erhebung aufgenommen. Die
Entscheidung für die Aufnahme der Auswahlverfahren orientierte sich an einer Überblicksdarstel-
lung des ADM und der AG.MA, in der die gebräuchlichsten Verfahren beschrieben werden (vgl.
ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V./ AG.MA Arbeitsgemein-
schaft Media-Analyse e.V. 1999).
** Die “bewusste Auswahl“ wurde in der Online-Befragung in der Kategorie „Sonstige“ erhoben.
Darüber hinaus ist in den Fachpublikationen die Bedeutung der „bewussten Aus-
wahl“ hervorzuheben, auf die in ebenfalls etwa einem Drittel der Beiträge Bezug
genommen wird. Ein Vergleich der Anwendungshäufigkeit zwischen den Bereichen
soll hier aber unterbleiben, weil in der Online-Erhebung keine Frage zur Verwen-
dung dieses Verfahrens enthalten war. Als Hinweis auf eine dort geringer ausfallen-
de Bedeutung kann lediglich der Befund interpretiert werden, dass in der offenen
Antwortmöglichkeit „sonstige Verfahren“ die Methode der “bewussten Auswahl“
nur von fünf Personen aus dem Bereich der Wissenschaft und von keinem der Be-
fragten aus der kommerziellen Markt- und Meinungsforschung genannt wurde.
3.3 Analyseverfahren
Einen großen Raum innerhalb der sozialwissenschaftlichen Methodenausbildung an
Universitäten nehmen üblicherweise Datenanalyseverfahren ein. Hinsichtlich der zu
lehrenden Analyseverfahren stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß die unter-
schiedlichen Verfahren in den einzelnen Gebieten Anwendung finden.
84 ZA-Information 52
Tabelle 4 Anwendung spezifischer Datenanalyseverfahren
Wissenschaft kommerzielle Markt-
und Meinungsforschung
empirische Beiträge
in der Fachliteratur
Deskriptive Analyse* 53 (96,4%) 41 (95,4%) 62 (78,5%)
Faktorenanalyse* 44 (80%) 34 (79,1%) 8 (10,1%)
OLS-Regression* 50 (91%) 36 (83,7%) 21 (26,6%)
Logistische Regression* 36 (65,5%) 14 (32,6%) 15 (19%)
Varianzanalyse* 43 (78,2%) 29 (67,4%) 3 (3,8%)
Verlaufsanalyse* 33 (60%) 26 (60,5%) 6 (7,6%)
Hermeneutische Verfahren* 8 (14,6%) 6 (14%) 2 (2,5%)
Conjointanalyse* 12 (21,8%) 24 (55,8%) 1 (1,3%)
Quantitative Inhaltsanalyse 35 (63,7%) 29 (67,4%) 5 (6,3%)
Qualitative Inhaltsanalyse 37 (67,3%) 30 (69,8%) 12 (15,2%)
Clusteranalyse* 42 (76,4%) 35 (81,4%) 1 (1,3%)
Diskriminanzanalyse* 30 (55,5%) 30 (69,8%) 1 (1,3%)
Loglineare Regression* 29 (52,7%) 10 (23,3%) 6 (7,6%)
Typologisierung - - 3 (3,8%)
Multiple Klassifikationsanalyse - - 3 (3,8%)
Ereignisdatenanalyse - - 11 (13,9%)
Sonstige** - - 6 (7,6%)
* Diese Verfahren waren in die standardisierte Befragung der Online-Erhebung aufgenommen. Das
Kriterium für die Aufnahme dort war die Beschreibung der Verfahren in den einschlägigen Metho-
denlehrbüchern.
** In die Kategorie „Sonstige“ wurden die Verfahren aufgenommen, die nicht in der Online-
Befragung enthalten waren und jeweils einmal in der Inhaltsanalyse auftraten. Es handelt sich im
Einzelnen um die Fallkontrastierung, Figurationsanalyse, Diskursanalyse, Korrespondenzanalyse,
lineare Strukturgleichungsmodelle und die Itemanalyse.
Betrachtet man die empirischen Ergebnisse, ist zunächst einmal festzustellen, dass
der Einsatz deskriptiv-statistischer Verfahren in allen Praxisbereichen außerordent-
lich verbreitet ist. Über 90% der Befragten geben eine häufige oder gelegentliche
Nutzung deskriptiver Verfahren an, und auch in fast 80% der analysierten Zeit-
schriftenbeiträge werden Ergebnisse aus deskriptiven Analysen diskutiert. Ein ver-
breitetes Verfahren ist darüber hinaus mit der OLS-Regression gegeben. Diese wird
von 91% der befragten wissenschaftlich tätigen Sozialforscher und von 83,7% der
Markt- und Meinungsforscher häufig oder gelegentlich angewandt. In den Zeit-
schriftenbeiträgen spiegelt sich diese hohe Verbreitung dadurch wider, dass in über
einem Viertel der Beiträge Ergebnisse aus OLS-Regressionen diskutiert werden.
ZA-Information 52 85
Insgesamt wird vor allem in den empirischen Zeitschriftenbeiträgen eine Vielfältig-
keit von verwendeten Verfahren deutlich, die weit über die grundlegenden Verfah-
ren hinausreicht.
Für die Bewertung der hier vorgestellten Ergebnisse ist die Aufnahme der Analyse-
verfahren in die Online-Befragung von Bedeutung. Im Vorfeld der Kategorienbil-
dung war es nicht möglich, eine umfassende Strukturierung der Analysestrategien
vorzunehmen, die allen Ansprüchen gerecht werden kann. Wir beschränkten uns
deshalb auf die Nennung der Verfahren, die in der relevanten Lehrliteratur eine be-
sondere Rolle spielten.11 Dabei musste natürlich eine Auswahl getroffen werden, da
die Bedeutung aller Verfahren mittlerweile nicht mehr in einer Befragung erfasst
werden kann. Um die Auswirkungen der Selektivität abzumildern, wurde in die On-
line-Befragung aber eine Kategorie für „sonstige Verfahren“ aufgenommen, die als
Alternative genutzt werden konnte. In der Zeitschriftenanalyse wurden alle verwen-
deten Verfahren einbezogen.
Um einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung der Verfahren zu erhalten, wurden
Rangplätze in jeder Teilgruppe vergeben (vgl. Tabelle 5). Dabei zeigt sich, dass die
deskriptive Analyse (mit Kreuztabellenanalyse) und die OLS-Regression für alle
Subgruppen die größte Bedeutung haben.
Für die anderen Verfahren sind dagegen zum Teil gravierende Rangplatzunterschie-
de zu konstatieren. Auffällig ist insbesondere die inkongruente Einordnung der
Clusteranalyse: Obwohl diese von den befragten Wissenschaftlern und Markt- und
Meinungsforschern relativ häufig angewandt wird, ist sie in den Beiträgen der Fach-
literatur ein eher selten dokumentiertes Verfahren. Ähnliches gilt – unter umgekehr-
ten Vorzeichen – für die logistische Regression. Diese wird in den untersuchten
Zeitschriftenbeiträgen im Vergleich zu anderen Verfahren deutlich häufiger doku-
mentiert, als es nach den Ergebnissen der Online-Befragung zu erwarten gewesen
wäre.
11 Die Auswahl orientierte sich an den Lehrbuch-Leseempfehlungen der Methodensektion und der
Arbeitsgemeinschaft Qualitative Sozialforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
Es wurden die Bücher von Lamnek (1995), Flick u.a. (1991), Backhaus u.a. (2000), Fahrmeir
u.a. (1999) für die Auswahl herangezogen. Wissenschaftsauffassungen, die die Unterscheidung
in die selbstständigen Bereiche Datenerhebung, Auswahl und Datenanalyse generell nicht tei-
len, finden sich jedoch möglicherweise hier nicht ausreichend wieder. Becker und Geer bei-
spielsweise führen aus, „wenn die Feldarbeit abgeschlossen ist, hat der Beobachter schon sehr
viel analytische Arbeit geleistet“ (Becker/Geer 1979:152). Das deutet auf eine Verknüpfung der
Teilbereiche Datenerhebung und Analyse hin, der hier nicht gerecht werden kann.
86 ZA-Information 52
Tabelle 5 Rangplätze und relative Bedeutung der Analyseverfahren
Wissen-
schaft***
kommerzielle
Markt- und
Meinungs-
forschung***
empirische
Beiträge in der
Fachliteratur***
Deskriptive Analyse* 1. (.117) 1. (.119) 1. (.374)
OLS-Regression* 2. (.111) 2. (.105) 2. (.127)
Faktorenanalyse* 3. (.097) 4. (.099) 6. (.048)
Varianzanalyse* 4. (.095) 6. (.084) 9. (.018)
Clusteranalyse* 5. (.093) 3. (.102) 11. (.006)
Qualitative Inhaltsanalyse 6. (.082) 5. (.087) 4. (.072)
Logistische Regression* 7. (.080) 9. (.041) 3. (.090)
Quantitative Inhaltsanalyse 8. (.077) 6. (.084) 8. (.030)
Verlaufsanalyse* 9. (.073) 7. (.077) 7. (.036)
Diskriminanzanalyse* 10. (.066) 5. (.087) 11. (.006)
Loglineare Regression* 11. (.064) 10. (.029) 7. (.036)
Conjointanalyse* 12. (.027) 8. (.070) 11. (.006)
Hermeneutische Verfahren* 13. (.018) 11. (.017) 10. (.012)
Typologisierung 9. (.018)
Multiple Klassifikationsanalyse 9. (.018)
Ereignisdatenanalyse 5. (.067)
Sonstige** je: 11. (.006)
Gesamtnennungen 452 344 166
* Diese Verfahren waren in die standardisierte Befragung der Online-Erhebung aufgenommen. Das
Kriterium für die Aufnahme dort war die Beschreibung der Verfahren in den einschlägigen Metho-
denlehrbüchern.
** In die Kategorie „Sonstige“ wurden die Verfahren aufgenommen, die nicht in der Online-
Befragung enthalten waren und jeweils einmal in der Inhaltsanalyse auftraten. Es handelt sich im
Einzelnen um die Fallkontrastierung, Figurationsanalyse, Diskursanalyse, Korrespondenzanalyse,
lineare Strukturgleichungsmodelle und die Itemanalyse.
*** Angegeben ist jeweils der Rangplatz und in Klammern der Wert für die relative Bedeutung des
Verfahrens innerhalb der Gruppe.
Im Vergleich ist zu sehen, dass die Rangplätze zwischen den Gruppen der Wissen-
schaftler und der Markt- und Meinungsforscher sehr viel ähnlicher vergeben werden
konnten als jeweils zwischen diesen beiden Gruppen und den Beiträgen aus der Li-
teratur. Am schwächsten ist die Übereinstimmung in den Rangplätzen zwischen den
Bewertungen aus der Markt- und Meinungsforschung und der Literatur (vgl. Tabelle 6).
ZA-Information 52 87
Tabelle 6 Spearman-Korrelation über die Rangplätze
Wissenschaft kommerzielle Markt- und
Meinungsforschung Fachliteratur
Wissenschaft 1 .837 .620
Markt- und Meinungsforschung 1 .327
Fachliteratur 1
Einen spezifischeren Eindruck über die relative Bedeutung der einzelnen Verfahren
ermöglichen Vergleiche zwischen jeweils dem Anteil eines Verfahrens in einer
Gruppe an allen anderen Nennungen dieser Gruppe. Durch die Möglichkeit der
Mehrfachnennung konnten theoretisch in der Gruppe der Wissenschaftler 14 (Ver-
fahren) x 55 (Befragte) = 770 Gesamtnennungen auftreten. Jedes der Verfahren hät-
te dann die gleiche relative Bedeutung von .077. Tatsächlich wurde die theoretisch
mögliche Gesamtzahl der Nennungen aber nicht ausgeschöpft. Geht man von den
tatsächlichen Gesamtnennungen von 452 für die Gruppe der Wissenschaftler aus,
dann würde eine gleiche relative Bedeutung für alle Verfahren voraussetzen, dass
jedes Verfahren von 32 Befragten gewählt wurde. Die tatsächlichen Anteile erlau-
ben danach eine Beurteilung der relativen Bedeutung eines Verfahrens im Vergleich
zu allen anderen Verfahren (vgl. die Angaben in Klammern in Tabelle 5).
Mit diesen Anteilswerten wird zum einen die Rangfolge wiedergegeben. Darüber
hinaus werden aber auch die Abstände zwischen den relativen Bedeutungen der ein-
zelnen Verfahren interpretierbar. Beispielsweise ist der Abstand zwischen deskrip-
tiver Analyse und OLS-Regression (1. und 2. Rangplatz) in der Gruppe der Wissen-
schaftler deutlich kleiner als zwischen OLS-Regression und Faktorenanalyse (2. und
3. Rangplatz). Ein größerer Abstand ist auch zwischen Clusteranalyse und logisti-
scher Regression (5. und 6. Rangplatz) zu verzeichnen. Für die Gruppe der Markt-
und Meinungsforscher ist bereits ein größerer Abstand in den relativen Bedeutun-
gen zwischen deskriptiven Analysen und OLS-Regression festzustellen. Dieser Be-
fund verschärft sich noch für die Beiträge aus der Fachliteratur. Die relative Bedeu-
tung der deskriptiven Verfahren ist etwa dreimal so groß wie die der OLS-
Regression, auch wenn die Rangplatzvergabe für die Verfahren sich nicht von der in
den anderen beiden Gruppen unterscheidet.12
12 Die Interpretation muss jedoch mit einiger Vorsicht erfolgen. Die deskriptiven Verfahren bilden
für die meisten empirischen Zeitschriftenaufsätze die Grundlage der Analyse, an die sich dann
verfeinerte Verfahren anschließen. Das sind in der Regel dann ein oder zwei Verfahren. In der
Onlinebefragung hatten die Befragten theoretisch aber die Möglichkeit, alle anderen Verfahren
zu wählen. Deshalb soll hier lediglich die hervorgehobene Bedeutung der deskriptiven Verfah-
ren für das Verständnis der Fachliteratur deutlich gemacht werden.
88 ZA-Information 52
Wenn nun die relative Bedeutung eines Verfahrens zwischen den drei untersuchten
Gruppen verglichen werden soll, könnten Verhältnisse der eben berichteten Ver-
hältnisse herangezogen werden. Weil die hier analysierten Daten jedoch nicht aus
einer Quelle stammen, soll auf die Berechnung verzichtet werden.
3.4 Spezielle Forschungsdesigns
Neben den spezifischen methodischen und statistischen Verfahren sind für die Aus-
bildung umfassendere Kenntnisse in Forschungsdesigns gefragt. In der Online-
Erhebung wurde dieser Teilaspekt nicht detailliert abgefragt. Allerdings fragten wir
nach der Einschätzung der Bedeutsamkeit fundierter Kenntnisse in Forschungsde-
signs. Im Ergebnis hielten 77,6% der Befragten diese Kenntnisse für bedeutsam,
21,4% für weniger bedeutsam und lediglich ein Befragter gab an, fundierte Kennt-
nisse über Forschungsdesigns für gar nicht bedeutsam zu halten. Aber auch in den
Kommentaren zu sonstigen notwendigen Inhalten der universitären Methodenaus-
bildung spielen diese Kenntnisse eine besondere Rolle. Deshalb wurden entspre-
chende Informationen aus den Beiträgen der Fachliteratur in die Analyse aufge-
nommen. Hier zeigt sich, dass besonders häufig Kenntnisse über das Paneldesign
(20,0%) und die Fallstudie (17,3%), aber auch das Kohortendesign (9,3%) und et-
was weniger über die Simulation (4,0%) und das Mehrebenendesign (2,5%) für die
Rezeption der Beiträge erforderlich waren.
3.5 Datenbasen
Für das Verständnis angewandter empirischer Sozialforschung ist auch die Kenntnis
bedeutender Datensätze unabdingbar. Nach der Verwendung dieser Datensätze
wurde allerdings in der Online-Erhebung nicht gefragt. Deshalb kann über ihre Be-
deutung nur die Analyse der Fachartikel Aufschluss geben.
In einem Drittel aller Beiträge (33,6%) wurden keine Daten verwendet. Es handelt
sich dabei um theoretische Beiträge und Repliken. Für ein Viertel der Beiträge
(24,3%) lieferte eine eigene Datenerhebung des Autors die Analysebasis. In 46,7%
der Beiträge wurden entweder Sekundäranalysen vorgestellt oder aber die Daten
dienten als Verweis und damit Argumentationshilfe in einem ansonsten theoreti-
schen Beitrag.
ZA-Information 52 89
Tabelle 7 Datenbasen in den wissenschaftlicher Beiträgen
Datenbasis relative Häufigkeit der Anwendung und Bezugnahme a)
SOEP 5,3%
ALLBUS 2,6%
OECD-Daten 2,6%
Wohlfahrtssurvey 2,6%
Mikrozensus 2,6%
Lebensverlaufsstudie des MPI 2%
Eurobarometer 2%
IAB-Beschäftigtenstichprobe 1,3%
International Social Justice Project 1,3%
Berufsverlaufsstudie Ostdeutschland 1,3%
Sonstige Datensätze b) 24,3%
Eigene Erhebungen (jeweils 1 Nennung) 24,3%
a) Die Prozentuierung summiert sich auf weniger als 100%. In einigen Beiträgen fanden mehrere
Datensätze Verwendung und in 51 Beiträgen wurde keine Datenbasis genutzt. Die Prozentuierung
bezieht sich aber auf alle Beiträge, auch die, die keine Datenbasis benennen.
b) Alle Datensätze, die jeweils einmal genannt wurden, sind in dieser Kategorie zusammengefasst.
Die Verteilung der Datenbasen in Tabelle 7 hebt die Bedeutung der Sekundäranaly-
se für die empirische Sozialforschung noch einmal sehr klar hervor. Sicher muss
nicht jeder Datensatz bis ins kleinste Detail zum Inhalt universitärer Lehre gemacht
werden. Grundlegende Kenntnisse über die Anlage der gebräuchlichsten sollten
aber schon deshalb vermittelt werden, weil sich ihre Komplexität im Selbststudium
nicht ausreichend oder sogar fehlerhaft erschließt.
4 Implikationen für die universitäre Ausbildung
Aus der vorgestellten einfachen Analyse lassen sich abschließend einige Schluss-
folgerungen für die universitäre Lehre ableiten, die noch durch andere Untersu-
chungen weiteren Überprüfungen unterzogen werden müssen.
Ausgangspunkt der Überlegungen war die Frage danach, welche Kenntnisse in der
Methoden- und Statistikausbildung vermittelt werden müssen, damit Absolventen in
der Lage sind, a) den Anforderungen an methodisches und statistisches Wissen aus
den unterschiedlichen für Sozialwissenschaftler relevanten Berufsfeldern zu genü-
gen und b) die wissenschaftliche Diskussionen, wie sie sich in den Beiträgen sozio-
logischer Fachzeitschriften widerspiegeln, rezipieren zu können.
90 ZA-Information 52
Zugrunde gelegt wurden den empirischen Analysen zum einen die Beiträge der letz-
ten beiden Jahre aus der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,
der Zeitschrift für Soziologie und der Sozialen Welt und zum anderen die Ergebnis-
se einer Online-Erhebung unter Sozialforschern im Juni 2001. Aus den Analysen
ergeben sich folgende Implikationen für die Ausgestaltung eines Curriculums für
die statistische und methodische Ausbildung von Sozialwissenschaftlern an Univer-
sitäten:
1. Die Vielfalt an Datenerhebungsmethoden, die sich in den Beiträgen der
Fachzeitschriften und in den Untersuchungen der Sozialforschung spiegelt,
muss sich auch in der Lehre wieder finden lassen. Hier sind die Ansichten zu
den Ausbildungsinhalten jedoch am unstrittigsten. Die meisten Methoden-
ausbildungen beinhalten die bedeutsamsten Erhebungsformen standardisiertes,
schriftliches und Face-to-face-Interview. Auch leitfadengestützte Interviews,
Experten- und Telefoninterviews dürften bereits zum geregelten Inhalt der
Lehre gehören. Auch für die Auswahlverfahren zeigt sich eine breite Vielfalt
an unterschiedlichen Methoden, die größtenteils bereits Eingang in die univer-
sitäre Methodenausbildung gefunden haben.
2. Eine solche breit gefächerte Ausbildung kann man für die Datenanalysever-
fahren jedoch nicht unterstellen. In der Analyse hat sich gezeigt, dass deskrip-
tive Verfahren zwar am weitesten verbreitet sind, sie aber zum Verständnis der
Forschungsliteratur oder zur Realisation eigener Forschungsvorhaben in der
Regel nicht ausreichen. Weiter sind auch Kenntnisse in den darüber hinaus am
häufigsten verwendeten Verfahren wie der OLS-Regression, der Faktorenana-
lyse und der Varianzanalyse unabdingbar.
Bezogen auf die Berücksichtigung weiterer fortgeschrittener Analyseverfahren
im soziologischen Methodencurriculum zeigen sich jedoch Anforderungsun-
terschiede zwischen den Berufsfeldern. Während in der Markt- und Meinungs-
forschung der Schwerpunkt auf den grundlegenden Analyseverfahren liegt,
sind die fortgeschrittenen Verfahren in der Forschung weiter verbreitet. Das
mag auch daran liegen, dass die Markt- und Meinungsforscher großenteils ih-
ren Kunden, für die gerade keine Methodenkompetenz unterstellt werden
kann, Ergebnisse verständlich aufbereitet präsentieren müssen, die Forschung
in ihren Publikationen sich in der Regel aber ebenfalls an Fachleute richtet.
Hieraus ergibt sich eine zusätzliche Aufgabe universitärer Methodenausbil-
dung. Sie liegt im Bereich der gruppenspezifischen Aufbereitung empirischer
Ergebnisse und Techniken ihrer Präsentation.
Auch innerhalb der fortgeschrittenen Analyseverfahren zeigen sich unter-
schiedliche Schwerpunktsetzungen. Am deutlichsten wird dies an einem Ver-
ZA-Information 52 91
fahren wie der Conjointanalyse, die in der Markt- und Meinungsforschung ei-
ne sehr große Bedeutung erreicht, für die sozialwissenschaftliche Forschung
bisher aber nur untergeordnet wichtig erscheint. Unter umgekehrten Vorzei-
chen gilt dieser Befund für die logistische Regression. Hier könnte im An-
schluss an eine grundlegende Ausbildung eine stärkere berufsorientierte Spe-
zialisierung als bisher sinnvoll sein.
3. Zum Verständnis empirischer Sozialforschung gehört das Wissen um ausge-
wählte, bedeutsame Datensammlungen, die zu Sekundäranalysen herangezo-
gen werden können. Am Beispiel solcher Datensammlungen, wie des SOEP,
können in einer umfassenderen Weise Probleme der Datenerhebung und der
Stichprobenziehung behandelt werden. Ein solches Vorgehen in der Lehre wä-
re stärker problembezogen und könnte die besprochenen Themen am konkre-
ten Beispiel verdeutlichen. Diese Vorgehensweise könnte auch die notwendige
Vermittlung von Kenntnissen in speziellen Forschungsdesigns wie dem Panel-
design berücksichtigen. Hier wäre auch eine stärkere Einbeziehung von Daten
der amtlichen Statistik wünschenswert, wie sie im Gutachten der Kommission
zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft
und Statistik gefordert wird.13
4. Festhalten lässt sich, dass die sozialwissenschaftliche Methodenausbildung ein
breites Wissen in Datenerhebungs-, Analyse- und Auswahltechniken vermit-
teln sollte, das über die grundlegenden Verfahren hinausgeht. Auch fortge-
schrittene Analyseverfahren sollten daher Inhalt der Methodenausbildung sein;
allerdings könnte hier hinsichtlich der divergierenden Anforderungen der ein-
zelnen Berufsfelder eine stärkere Spezialisierung als bisher notwendig sein. Zu
stärken ist auch eine problemorientierte und praxisnahe Vermittlung von Me-
thoden, die den Studierenden eigene praktische Erfahrungen in kleineren For-
schungsprojekten ermöglicht. Dadurch ließen sich die Erstellung geeigneter
Erhebungsinstrumente, die Planung und Durchführung der Stichprobenzie-
hung sowie die Datenauswertung integriert als gesamter Forschungsprozess
vermitteln.
13 Vgl. Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft
und Statistik (2001).
92 ZA-Information 52
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Berlin/ Heidelberg: Springer.
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ZA-Information 52 93
Kirchen weiter auf der Verliererstraße –
Inferno und Aberglauben im Aufwind?
von Michael Terwey
Zusammenfassung
Am Beginn dieser Arbeit steht eine kurze Einführung in die Bedeutungen von "Säku-
larisierung" und "Religion". Empirisch wird ein Schwergewicht zunächst auf die so-
ziographische Beschreibung der gegenwärtigen Lage in den Volkskirchen Deutsch-
lands gelegt. Anschließend gehen wir verschiedenen Entwicklungen auf dem Gebiet
subjektiver Religiosität nach. Die Gegenüberstellung von Ergebnissen unterstützt u.a.
die Annahmen einer religiösen Privatisierung sowie einer Wiederbelebung von längst
als im Schwinden angenommenen Vorstellungen und Bräuchen.
Abstract
Secularization and religion are introduced as some guiding concepts for the follow-
ing analyses. The first part of the empirical investigation focuses on the present cri-
sis of churches in Germany. Less decline appears for personal religiosity in West-
ern Germany, against which Eastern Germany has shown severe cuts in church en-
gagement and religiosity. Finally, it is astonishing that some beliefs and customs,
which were supposed to vanish, become more prevalent again.
1 Verweltlichung und Religion
Der früher überwiegend erklärt christliche Westen befindet sich in einer Phase un-
einheitlicher weltanschaulicher Entwicklungen. Während beispielsweise in den
USA religiöse Rhetorik öffentlich einen zentralen Stellenwert hat und der Gottes-
glauben allgegenwärtig scheint1, ist in vielen westeuropäischen Ländern eine
1 Seit 1944 geben Befragte in den USA mit konstant 96 bis 99% an, dass sie persönlich an einen
Gott glauben (Bishop 1999). Während in den 80er Jahren ca. 60% uneingeschränkt äußerten,
nie an Gott zu zweifeln, stieg dieser Prozentsatz in den 90ern auf ca. 70%. Dies wurde einerseits
als neuerlicher Sprung in der Religiosität hervorgehoben, anderseits vermutet Bishop (1999:
94 ZA-Information 52
schwindende Bedeutung von Kirchlichkeit und traditioneller Religiosität diagnosti-
zierbar. Einige dieser Prozesse werden unter den Begriffen Säkularisierung, Laizi-
sierung und Säkularismus zusammengefasst. Der hiervon wohl am häufigsten ver-
wendete Begriff "Säkularisierung" ist etwas problematisch, da er oft mit unter-
schiedlichen Bedeutungen gebraucht wird. Vorwiegend versteht man gegenwärtig
in der Religionssoziologie darunter eine Differenzierung zwischen einem weltlichen
und einem religiösen bzw. kirchlichen Bereich. Für diese Bedeutung gibt es eigent-
lich schon den Begriff "Laizisierung". Vielfach bezeichnet Säkularisierung (Ver-
weltlichung) aber auch eine Emanzipation von Verhalten, Bewusstsein und Organi-
sation aus dem Einfluss der im engeren Sinne religiös bestimmten Vorstellungen.
Diese Bedeutung von Säkularisierung soll hier im Vordergrund stehen. Unter "Sä-
kularismus" wird ferner eine aus der Säkularisierung erwachsene Weltanschauung
verstanden, die sich auf Weltimmanentes zu beschränken versucht und auf traditio-
nelle religiöse Fragen zu verzichten scheint. Säkularisierte Personen lösen sich aus
solchen Organisationen, die traditionell religiöse Vorstellungen verbreiten – ins-
besondere also aus den Kirchen. Bestünde Säkularisierung allein in Differenzierung
(Laizisierung), könnten die Kirchen weiterhin voll sein, und der christliche Glauben
in einer partiell gesonderten Lebenssphäre blühen.
Wenn nun aber Religion, wie u.a. Matthes (1973) ausführt, eine anthropologisch
angelegte und für das Funktionieren von Gesellschaften unerlässliche Bindung und
Orientierung ist, so bleibt niemand völlig religionsfrei bzw. religiös indifferent.
Werden die am Gottesglauben ausgerichteten Religionen substanziell reduziert, tre-
ten andere Ideale und Riten an ihre Stelle, die dann oft eine weniger konkre-
tisierbare höhere Macht postulieren oder den Charakter von "Diesseitsreligionen"
mit politischer, aber auch wissenschaftlicher Akzentuierung annehmen.2 Sicher
kann aber nicht jedes System von Glaubensvorstellungen und Riten im gleichen
Ausmaß eine religiöse Konsolidierung und Dignität für sich beanspruchen.
Vor den empirischen Analysen wollen wir zu einer allgemeinen Begriffsbestim-
mung von Religion kommen, welche ihre Bedeutung nicht allein nach den Merkma-
len und Kriterien bestimmt, die sich von unseren volkskirchlichen Institutionen
423 f.) ein Artefakt infolge der gleichzeitigen Umstellung auf Telefoninterviews (stärkere Kon-
zentration der Nennungen auf die erste vorgelesene Antwortkategorie "completely agree").
2 Vgl. u.a. den Begriff der "Diesseitsreligion", wie er Konrad Adenauer zugeschrieben wird.
Dieser sprach "... hiermit … ein Problem an, das auch heute noch als Säkularisierung der
Gesellschaft uns bewegt. Für Adenauer war es noch ein großstädtisches Phänomen, heute ist es
überall anzutreffen. Für Adenauer zeigte sich diese Diesseitsreligion vor allem in einer Vergöt-
zung des Staates ... Heute ist es nötig, den Trends von Egoismus und ethischer Beliebigkeit ...
gegen zu steuern" (Kues 2001).
ZA-Information 52 95
übernehmen lassen (vgl. Matthes 1993: 16 f.). Nach einer zur Zeit viel rezipierten
Religionsdefinition von Pollack (2000) können wir überall, wo das Kontingenz-
problem behandelt wird, nach Religion suchen: "Kontingenz meint, dass etwas so
ist, wie es ist, dass es aber so, wie es ist, nicht notwendig ist, dass es anders sein
könnte" (Pollack 2000: 298). Angesprochen wird damit nicht zuletzt die Bewälti-
gung der Unsicherheit und des Zufalls in unserer Existenz. Einfacher wäre es viel-
leicht, bei dieser Definition von einer Kultur des vernünftigen Verhaltens zum Un-
verfügbaren (Lübbe 2003) oder - noch einfacher - zum Schicksal zu reden. Speziell
hinzukommen muss aber, wenn wir mit Pollack Religion definieren wollen, dass im
Kontext der Kontingenzbewältigung auf eine Unterscheidung zwischen Immanenz
und Transzendenz Bezug genommen wird.3 In einem ebenfalls viel diskutierten An-
satz unterscheidet Luckmann (1996: 168) nun grundsätzlich drei Stufen der Trans-
zendenz:
"'Kleine' Transzendenzen": Alltägliche oder konkrete Erfahrungen, die von einem
subjektiven Bewusstsein in Zeit bzw. Raum abgetrennt sind, grundsätzlich aber ge-
nauso erfahrbar wären wie das gegenwärtig Erfahrbare.
"'Mittlere' Transzendenzen": Phänomene, die wie das Bewusstsein oder das In-
nenleben des Mitmenschen nicht unmittelbar konkret erfahren werden können, aber
in der Regel noch zur gleichen "Alltagswelt" gezählt werden wie die kleinen Trans-
zendenzen.
"'Große' Transzendenzen": Erfahrungen, welche nach Luckmann den Rahmen ge-
wöhnlicher Realität, in der Dinge normal gesehen, berührt und bewegt werden kön-
nen, überschreiten.
Die Definition von Religion nach Pollack ergibt nicht notwendigerweise eine im
Alltag konkretisierbare Bestimmung sozialer Zusammenschlüsse als solcher, son-
dern eher eine Bestimmung in der Theorie. Ergänzend sei hier daher die wohl be-
kannteste soziologische Religionsdefinition von Émile Durkheim mit einbezogen.
In seiner 1912 erstmals veröffentlichten Arbeit über die Elementarformen des reli-
giösen Lebens (Durkheim 1994) beschreibt er Religion als ein System von Glau-
bensvorstellungen und zeremoniellen Riten, in dem eine kollektiv vollzogene Un-
terscheidung aller Phänomene in profane und heilige behauptet wird. Diese Diffe-
renzierung ist institutionell verankert in einer Gemeinde von rituell Praktizierenden
3 Auch mit diesem zusätzlichen Kriterium, das an Luhmann erinnert, kann Religion nicht allein
auf theistische Systeme begrenzt werden, da der Transzendenzbezug sich durchaus in eine welt-
liche Utopie verlagern kann. Luhmann (2003) kommt sogar zur Schlussfolgerung "Was trans-
zendent ist, ist das Individuum selbst ... Wer bin ich eigentlich?"
96 ZA-Information 52
(Kirche). Die Gemeinde gewährleistet in der kollektiven sakralisierten Aktion ein
Erlebnis, welches den Teilnehmenden einen Eindruck von ihrer Religion vermittelt,
der das Alltägliche transzendiert und zu "effervescence" (schöpferische Erregung;
Durkheim 1994) führt.
Zusammengefasst bleiben als Bestimmungskriterien für Religion:
Eine Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren, zum Schicksal bzw. der Kon-
tingenz
Ein Transzendenzbezug (i.d.R. mittlere oder große Transzendenzen)
Gemeinschaftsspezifische Bestimmung von dem Profanen enthobenen Subjek-
tivationen (z.B. Meinungen, Einstellungen, Glauben, Wissen u.ä.) und Objek-
tivationen (z.B. Idole, Güter, Normen u.ä.)
Bildung einer rituell praktizierenden Gemeinschaft.
Werden diese Kriterien nur teilweise erfüllt, kann man mit Simmel (1989) noch ab-
geschwächt von einer religioiden Institution bzw. Veranstaltung sprechen, obgleich
faktisch die Grenzen nicht immer leicht zu ziehen sein dürften. Es mag auch eine
postmodern individuelle und eine Tradition einsiedlerischer Religiosität geben wie
in der Mystik, diese prägt aber nicht das Bild einer Religion im hier thematisierten
Sinne. Auch einsiedlerische Religiosität kommt vielfach nicht ohne den Bezug zu
einer größeren Gemeinschaft (z.B. klösterliche Orden) aus. Vor Ort stehen die Ere-
miten oft mit einer kleineren Gemeinschaft von Besuchern, Schülern, Dienern oder
Lehrern in Verbindung.
Nahezu unverständlich mag die zusätzliche Aussage von Durkheim erscheinen,
dass es keine Kirche der Magie geben könne. Zu seiner Zeit gab es bereits oder
noch immer zahlreiche kollektive Zeremonien praktizierende magische Zusam-
menschlüsse (z.B. Vereinigungen mit Berufung auf Templer oder Rosenkreuzer).
Durkheim (1994) erläutert allerdings sein überwiegendes Verständnis von Magie
im Sinne schlichter Zauberei. Eine Person gibt einen Schadens- oder Heilszauber
bei einer zweiten diskret in Auftrag, zahlt und eine für die Magie relevante weiter-
gehende religiöse Vergemeinschaftung unterbleibt.
2 Empirische Analysen kirchlicher Partizipation
Alle vier Kriterien zur Bestimmung von Religion treffen offensichtlich auf christli-
che Kirchen zu. Unter ihnen sind die bei uns quantitativ bedeutsamsten in der EKD
und der römisch-katholischen Kirche organisiert. Ein längerfristiger Überblick
(Schaubild 1) zeigt, dass es zwischen 1917 und 1941 wiederholt zu Austrittsspitzen
gekommen ist, wobei die evangelische Kirche fast immer stärker betroffen war.
ZA-Information 52 97
Auffällig hoch war z.B. ein Exodus gegen Beginn des Zweiten Weltkriegs, doch
wurden die Kirchen derzeit nicht so langfristig wie in den jüngst vergangenen Jah-
ren tangiert. Es ergab sich anschließend eine ca. zwanzigjährige Phase vergleichs-
weiser Konstanz. Diese wird zwar heute noch vielfach als eigentlich normal ange-
sehen, sie wirkt aber im hier dargestellten Zeitraum fast untypisch. In der ruhigen
Periode nach dem zweiten Weltkrieg profitierte der EKD-Mitgliederbestand im
Westen zunächst stärker als der Bestand der Katholiken von der Zuwanderung aus
der DDR und den Vertriebenen (Wolf 2001: 4 f.). Die katholische Kirche zog dann
seit den sechziger Jahren mehr Nutzen aus den südeuropäischen Immigrationsströ-
men, welche die zweifellos auch hier eingetretenen Bestandsverluste weitgehend
kompensierten. So blieb der Bevölkerungsanteil dieser Konfession seit 1950 mit ca.
43% längere Zeit annähernd gleich.
Die um 1990 einsetzende Steigerung ist die gravierendste in Schaubild 1. Weitere
Daten der amtlichen Statistik ergeben, dass erst seit 1996 ein moderater Rückgang
in den Austrittsraten einigermaßen sicher ist. Nach vorläufiger Bilanz ist der Mit-
gliederschwund jedoch in den letzten Jahren noch so beträchtlich gewesen, dass er
nicht mehr durch Migrationen oder Aufnahmen kompensiert werden konnte (1991:
1917
1922
1927
1932
1937
1942
1947
1952
1957
1962
1967
1972
1977
1982
1987
1992
0%
0,2%
0,4%
0,6%
0,8%
1%
Schaubild 1: Kirchenaustritte in Prozent der Mitglieder
Quelle: Pittkowski und Volz 1989; Schmied 1994, EKD 1994
Eigene Berechnungen; 1946 bis 1992 Westdeutschland
Evangelisch Kath.1 Kath.2 Kath.3 Kath.4
98 ZA-Information 52
29,2 Millionen EKD-Christen in Gesamtdeutschland, 2000: 26,7; 1991: 28,2 Mil-
lionen Katholiken in Gesamtdeutschland, 2000: 26,6 (Cziesche 2003: 65)). Die
Zahlen von REMID (2003) ergeben dann bis zur jüngsten Aktualisierung im Febru-
ar 2003 keine größeren zusätzlichen Mitgliederverluste.
In Ostdeutschland fand, wie wir wissen, zwischen 1950 und 1990 eine dramati-
schere Reduktion der Volkskirchen statt als im Westen. Diese politisch forcierte
Zurückdrängung der christlichen Lehren und die vielfältige Benachteiligung von
Kirchenmitgliedern werden auch als Entchristianisierung im Unterschied zu den im
Westen öffentlich weniger geförderten Säkularisierungsprozessen bezeichnet (vgl.
u.a. Terwey 1997). Gab es in Ostdeutschland laut amtlicher Statistik 1950 noch
80% Protestanten und 11% Katholiken (Terwey 2000), so fiel dieser Anteil insbe-
sondere bei den Protestanten beträchtlich (1991: 6,1% ostdeutsche Katholiken (ein-
schließlich West-Berlin), 2000: 5,9%; 1991: 27,8% EKD in Ostdeutschland (ein-
schließlich West-Berlin), 2000: 21,8%; Cziesche 2003).
Weitere organisierte Religionsgemeinschaften in Deutschland sind trotz ihrer teil-
weise hohen Medienwirksamkeit im Vergleich zu den beiden Volkskirchen immer
noch recht klein. Schätzungen des "Sektenpotentials" gehen von ca. 1% bis 1,2%
der deutschen Bevölkerung aus (Schmidtchen 1987; Terwey 2000: 147). Mögen die
Zahlen der Mitglieder oder Kunden kleiner Religionsgemeinschaften auch einiger-
maßen unterschiedlich veranschlagt werden, können die "Sekten" – so weit bekannt
– dennoch bislang trotz aller Publicity den kirchlichen Exodus nicht auffangen. Sie
tragen quantitativ auch weniger zur religiösen Pluralität in unserer Gesellschaft bei
als die oft in ihrer Bedeutung unterschätzten Muslime (2001: 3,2 Millionen; RE-
MID 2003), die Konfessionslosen, die Orthodoxen (vgl. Wolf 2001: 4) und Angehö-
rige weiterer anerkannt christlicher Kirchen (z.B. evangelische Freikirchen).
Wollen wir nun die rituelle Partizipation in den Volkskirchen über die bloße Mit-
gliedschaft hinaus untersuchen, bieten sich als Ergänzung zu den Kirchenstatistiken
unabhängig davon gewonnene Umfragedaten zur Kirchgangshäufigkeit an. Die
EKD-Christen gehen im Schnitt gemäß ALLBUS-Daten in beiden Bereichen
Deutschlands sehr viel seltener zur Kirche als die Katholiken (vgl. untere Hälfte von
Schaubild 2). Es sind insgesamt nur 6 bis 8 Kirchgänge im Jahr zu verzeichnen, und
es scheint kaum noch Spielraum für weitere Mittelwertssenkungen zu geben (die
Häufigkeiten ergeben sich aus einer approximativen Zuweisung von Häufigkeiten
zu den ursprünglich ordinalen Codes).
ZA-Information 52 99
Bei den Katholiken stellen wir 1980 noch durchschnittlich 24 selbst referierte
Kirchgänge pro Jahr fest, es kommt aber bis 2000 im Westen zu einer deutlichen
Reduzierung (1998: 19 Kirchgänge, 2000: 15). Die kleine Gruppe der Katholiken in
den neuen Bundesländern zeigt sich hier wenigstens zu vier Messzeitpunkten etwas
aktiver. Möglicherweise kommt es aber auch hier zu einer weiteren Annäherung an
die West-Katholiken (vgl. 1996: 17 Kirchgänge, 2000: 15). Wir sollten hier in An-
betracht der für die Sampleziehung doch recht kleinen Gruppe der Ost-Katholiken
noch weitere Messzeitpunkte abwarten, bevor wir eine abgesicherte Beurteilung
treffen. Immerhin, Noelle-Neumann und Köcher (2002: 358) stellen für die Katho-
liken in den neuen Bundesländern mit einem Mittelwert von 6,4 auf einer 11er-
Skala ein vergleichsweise hohes Niveau der Kirchenverbundenheit fest (West-
Katholiken 1975: 5,9, 1982: 5,4, 1995: 5,2, 1999: 5,0; West-Protestanten 1975: 4,5,
1995: 3,6). Überwiegend resultieren nach Kontrolle der Konfessionszugehörigkeit
jedoch viel geringere Unterschiede zwischen den beiden Bereichen Deutschlands,
als es auf den ersten Blick erscheint.
Kirchenbesuche im approximierten Jahresdurchschnitt
1980 82 84 86 88 90 91 92 94 96 98 2000
0
5
10
15
20
25
Schaubild 2: Selbst berichtete Kirchgangshäufigkeiten pro Jahr
Deutsche Mitglieder christlicher Kirchen (eigene Berechnungen nach ALLBUS 1980 - 2000)
West: Katholiken Ost: Katholiken West: EKD Ost: EKD
100 ZA-Information 52
Hinter den in Schaubild 2 dargestellten Gesamtdurchschnitten verbirgt sich aber
noch ein weiterer Befund. Dieser ergibt sich, wenn zwischen den "Kernmitgliedern"
und den "Randmitgliedern" unterschieden wird. Mehrere Wege sind möglich, einer
der gängigsten dazu aber ist eine Differenzierung nach Kirchgangshäufigkeit. Wir
ziehen hier den Mittelwert der konfessionsgruppeninternen Kirchgangshäufigkeiten
als Trenngrenze heran. Verwendet wird als Berechnungsgrundlage für die Mittel-
werte der Zeitraum 1991 bis 2000, jeweils getrennt nach alten und neuen Bundes-
ländern.4 Es ergibt sich, dass die EKD-Protestanten einen sehr großen Anteil unter-
durchschnittlicher Kirchgänger aufweisen (West: 86%, Ost: 88%; Katholiken West:
59%, Ost: 56%; Konfessionslose West: 83%, Ost: 80%). Es ist also in der EKD eine
relativ kleine Gruppe, welche vornehmlich noch die ohnehin niedrigen Kirchgangs-
zahlen realisiert, welche in Schaubild 2 ausgewiesen sind.
Auch die Inanspruchnahme sog. kirchlicher Amtshandlungen (Kasualien) ist seit
1960 rückläufig (Statistisches Bundesamt 2002) – mit einer Ausnahme: Die Zahl
kirchlicher Bestattungen blieb bislang auf einem annähernd gleich bleibenden Ni-
veau. Damit allein mag aber weltimmanent wohl nur wenig kirchliche Rekonstruk-
tion erreicht werden.5 Insoweit wir christliche Religiosität an kirchlicher Mitglied-
schaft, am Kirchgang, an Taufen und an Trauungen festmachen können, bedeutet
der fortgesetzte quantitative Rückgang eine institutionelle Schwächung des Chris-
tentums in West- und Ostdeutschland, welche über eine bloße Ausdifferenzierung
der Kirchen hinausgeht. Selbst wenn in jüngster Zeit ein leichter Rückgang in den
Austrittsquoten eingetreten ist, kann ein "Ende der Talsohle" (Schmolke 1993) für
die Volkskirchen voraussichtlich noch nicht als erreicht gelten. Es ist nun zu über-
prüfen, ob dennoch subjektive (christliche) Religiosität privat und "steuerfrei" wei-
ter anzunehmen ist.
4 Eine weitere Differenzierung der Mittelwertsbildung wird hier nicht vorgenommen, weil da-
durch neben kleineren Fallzahlen zu viele Singularitäten in der Zeitreihe der Kirchgangsmes-
sungen der Fall wären (vgl. auch Terwey 1993). Bei den Konfessionslosen ist nur eine Differen-
zierung zwischen Nichtkirchgängern und gelegentlichen Kirchgängern sinnvoll.
5 Ein Sondertatbestand ist eine zwischen 1972 und 1985 in der evangelischen Kirche erheblich
gestiegene Abendmahlshäufigkeit. Da manche Insider aus der evangelischen Kirche diesen
Trend im persönlichen Gespräch auch auf eine intensivierte Zählweise zurückführten und über
den gesamten Vorgang seitens des Statistischen Bundesamts (2002) kaum weiter informiert
wird, soll diese ganz und gar abweichende Statistik hier nicht weiter diskutiert werden.
ZA-Information 52 101
3 Subjektive Einschätzungen eigener Religiosität und der Glaube an Gott
Wenn wir jetzt zu inhaltlich religiösen Äußerungen übergehen, so entnehmen wir
dazu aus dem ALLBUS-Fragenprogramm zunächst zwei generelle Einstellungsfra-
gen: Die Frage nach der persönlichen Wichtigkeitseinstufung für den Lebensbereich
"Religion und Kirche" (Siebenerskala) und die Frage nach der subjektiven Selbst-
einstufung der eigenen Religiosität (Zehnerskala). Diese Skalen sind in Schaubild 3
mit zwei unterschiedlichen Maßstäben (Y1, Y2) dargestellt, so dass sie beide insge-
samt auf einer identischen Streckenlänge abgebildet werden und besser vergleichbar
sind. Die Mittelwerte der Wichtigkeitseinstufung von Religion und Kirche für die
alten Bundesländer liegen, von einem leichten Ausreißer (1990) abgesehen, knapp
unter 4 und damit ziemlich eng an dem Mittelpunkt der Messskala. Immerhin lassen
andere Wichtigkeitseinstufungen im ALLBUS-Programm erkennen, dass weitere
Lebensbereiche im Schnitt als wichtiger eingestuft werden. Die Mittelwerte der Ein-
stufung eigener Religiosität liegen im Westen kaum unter 6 und damit relativ noch
etwas höher. Dies könnte bereits eine Andeutung der "Privatisierung" von Religio-
sität sein, wenn man bei der Wichtigkeitseinstufung die explizite Nennung der
Kirche berücksichtigt – einer Institution, welche in Deutschland in der Regel dem
öffentlichen Leben zugerechnet wird.
Y1 - Wichtigkeit von Kirche und Religion 1-7 Religiositätsskala 1-10 - Y2
1980 82 84 86 88 90 91 92 94 96 98 2000
1
2
3
4
5
6
7
1
3
5
7
9
Schaubild 3: Wichtigkeitseinstufung des Lebensbereichs "Religion und Kirche"
(7er Skala) und Religiöse Selbsteinstufung (10er Skala) - Mittelwerte
Deutsche Befragte (eigene Berechnungen nach ALLBUS 1980 - 2000-CAPI)
West: Religiosität
West: Religion, Kirche
Ost: Religiosität
Ost: Religion, Kirche
102 ZA-Information 52
Das Abschneiden der christlichen Traditionen im ostdeutschen Protestantismus
durch Nationalsozialismus, SED-Politik und Migration in den Westen ergibt auch
bei den religiösen Selbsteinschätzungen durchschnittlich nur noch Werte um 3. An-
ders als in den alten Bundesländern, fallen im Osten die Angaben für beide Items im
Schnitt fast gar nicht auseinander. Die Tendenz, welche sich in diesen allerdings
noch recht wenigen Messzeitpunkten andeutet, ist die eines moderaten Rückgangs
der generell angegebenen eigenen Religiosität, während man für Westdeutschland
zwischen 1980 und 2000 in dieser Hinsicht erstaunlicherweise keinen gesicherten
Trend feststellen kann.
In Tabelle 1 sehen wir, in Bezug auf Glauben konkreter werdend, diverse Einstel-
lungen zu Gott. Eindeutiger Atheismus (Ich glaube nicht an Gott) scheint im Wes-
ten mit nur ca. 10% und im Osten mit immerhin ca. 50% aufzutreten. Dies ist mit
bis zu 41 Prozentpunkten die auffälligste innerdeutsche Differenz in den Einstellun-
gen zu Gott. Ein Trend zu rasch weiter wachsendem Atheismus kann aus diesen
Daten aber nicht abgeleitet werden. Agnostizismus (Ich weiß nicht, ob es einen Gott
gibt, und ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, dieses herauszufinden) könnte
ein wenig zugenommen haben, wenn wir zu den ca. 10% im Westen und den ca.
14% im Osten noch die 4 bis 6% der grundsätzlich Unentschiedenen (Kann ich
nicht sagen) zählen, doch kann man in Anbetracht der kategorialen Modifikation
hier nicht ganz sicher sein. Der "unchristliche" Glaube an eine höhere Macht im
Unterschied zu einem sog. leibhaftigen Gott6 ist in den alten Bundesländern mit gut
20% verbreitet, während in den neuen Bundesländern der Prozentsatz immerhin
noch halb so hoch ist. Bei dieser interessanten Gruppe kann eine Affinität zu alter-
nativen Formen der Religiosität (z.B. New Age, Neopaganismus, Spiritualismus)
angenommen werden.
6 Dies ist m.E. eine theologisch und sprachlich etwas problematische Übersetzung für "personal
God" aus dem englischen Master-Fragebogen des ISSP (vgl. auch Sichler 1987).
ZA-Information 52 103
Tabelle 1 Bitte geben Sie an, welche der folgenden Aussagen Ihren Glauben an
Gott am ehesten zum Ausdruck bringt. (eigene Berechnungen nach
den ALLBUS-Erhebungen 1991, 2000-CAPI (jeweils deutsche Be-
fragte), ISSP 1993)
Schwankende Personen, welche manchmal an Gott glauben, manchmal nicht, sind
in West und Ost mit um 10% überraschenderweise ähnlich oft zu finden. Schließ-
lich sind es dann noch ca. 20% der Westdeutschen, die mit gelegentlichen Zweifeln
an Gott glauben und über 20% mit dezidierter Gläubigkeit. Hier liegen die Zahlen
für Ostdeutschland insbesondere bei den zweifelsfrei Glaubenden um ein Vielfaches
niedriger. Bemerkenswert ist wieder die annähernde Konstanz in den einzelnen Ka-
tegorien dieser Frage nach substantieller, persönlicher Religiosität. Selbst der
Rückgang in den beiden Kategorien "Glaube mit Zweifeln" und "fester Glaube" ist
zumindest in den alten Bundesländern so schwach, dass er möglicherweise durch
neue Umfrageergebnisse ohne größere Überraschung noch einmal in Frage gestellt
werden könnte. Für die neuen Bundesländer bleibt abzuwarten, ob die geringfügige
Unterrepräsentation von Katholiken im ALLBUS 2000-CAPI (3% gegenüber real
vermutlich ca. 6%, s.o.) die Prozentsätze für Gottesglauben verringert hat. Katholi-
ken neigen seltener als EKD-Protestanten zu einem christlich eigentlich gar nicht
1991-West 1993-West 2000-West 1991-Ost 1993-Ost 2000-Ost
% % % % % %
Ich glaube nicht an Gott 10 11 9 49 43 50
Ich weiß nicht, ob es einen
Gott gibt, und ich glaube
auch nicht, daß es möglich
ist, dieses herauszufinden
10 8 10 14 13 15
Ich glaube nicht an einen
leibhaftigen Gott, aber ich
glaube, daß es irgendeine
höhere geistige Macht gibt
22 20 23 10 13 11
Manchmal, glaube ich an
Gott, manchmal nicht 9 14 10 9 10 8
Obwohl ich Zweifel habe,
meine ich, daß ich doch an
Gott glaube
21 20 20 9 9 6
Ich weiß, daß es Gott wirklich
gibt und habe daran keinen
Zweifel
27 22 23 9 8 5
Kann ich nicht sagen
(1993, 2000) - 4 5 - 6 6
Keine Angabe 0 0 1 0 1 0
n = 100 % 1316 1014 904 1482 1092 523
104 ZA-Information 52
zulässigen Atheismus (Terwey 1992: 65). Ergänzende Untersuchungen zeigen, dass
im Osten ein weitaus überwiegender Teil der Gottesungläubigen dieses lebensläng-
lich waren (1991 und 1998 jeweils über 50% aller Befragten). Ein Abgehen vom
Glauben ist hier also eher intergenerational vollzogen worden. Im Westen dagegen
ist der größere Teil der Ungläubigen erst intragenerational zu dieser Haltung gelangt
(ca. 24% aller Befragten, vgl. auch Terwey 1992: 63).
4 Traditionelle Transzendenzannahmen und Aberglauben
Neben den Fragen zum Gottesglauben finden wir in den ALLBUS- und ISSP-Daten
fünf Glaubensfragen aus weiteren Bereichen, die vielfach in engeren Zusam-
menhang mit der christlichen Religion gebracht werden. Tatsächlich sind die Vor-
stellungen von einem Leben nach dem Tod, dem Teufel, dem Himmel, der Hölle
und Wundern auch in anderen Religionen verbreitet. So gibt es Vorstellungen vom
Himmel oder von der Hölle auch bei Muslimen oder Buddhisten, obschon der
sprachliche Name und einige spezifische Konnotationen variieren mögen7. Gemein-
sam ist diesen Phänomenen, dass sie die im Zuge der Aufklärung scheinbar de-
sakramentalisierte Alltagswelt erheblich transzendieren. Ein Wunder setzt in der
Wahrnehmung vieler Christen die naturgesetzlichen Regelmäßigkeiten außer Kraft,
der Himmel ist nicht der Himmel der Astronomen, nicht einmal der Astrologen,
sondern eine ganz andere, im Alltag bislang physikalisch unentdeckte Existenz-
sphäre.
Mehrheitlich finden wir in Tabelle 2 wiederum weniger zustimmende Antworten
unter den Ostdeutschen. Am stärksten sind diese Unterschiede hinsichtlich des Le-
bens nach dem Tode (Cramer's V = .44 (1991 und 1998)), an das in den alten Bun-
desländern vergleichsweise viele Befragte glauben (Tabelle 2, Panel a, Zeile 1 und
2). In beiden Bereichen Deutschlands zeichnet sich aber des Weiteren eine nicht im
Säkularisierungstrend liegende leichte Zunahme der diesbezüglichen Gläubigenan-
teile ab - ein Ergebnis, das als konsolidiert gelten kann, wenn wir die im Trend ähn-
lichen Ergebnisse von Noelle-Neumann und Köcher (2002: 369) heranziehen. Wei-
tere Gemeinsamkeiten sind festzustellen. So glauben an ein Leben nach dem Tod
oder an den Himmel in beiden Teilen Deutschlands deutlich mehr Befragte als an
meist recht negativ verstandene Phänomene wie den Teufel oder die Hölle. Infolge
7 Die in Tabelle 2 aufgelisteten Glaubensvorstellungen werden dennoch vielfach als wichtige
christliche Glaubensvorstellungen interpretiert, weil man meint, damit christlichen bzw. kirchli-
chen Vorstellungen zu entsprechen. Am Rande sei angemerkt, dass es sich bei alledem nicht
unbedingt um kirchliche Lehrgebote handelt. So kann man feststellen, dass sie im "Glaubensbe-
kenntnis" (Credo) nur modifiziert bzw. gar nicht (Teufel, Hölle) auftauchen.
ZA-Information 52 105
einer "Zivilisierung" von Religion bzw. eines Abbaus von "Angstreligion" (Ebertz
1993; Terwey 2000) treffen unheilvolle, beängstigende Vorstellungen seltener auf
Akzeptanz als solche, die positive Hoffnungen fördern.
Tabelle 2 Akzeptanz von fünf Formen traditioneller Transzendenzvorstellungen
(Berechnungen nach ALLBUS 1991 (deutsche Befragte) und ISSP
1998 (Werte in Klammern))
Alte Bundesländer Neue Bundesländer
% %
Ja, ganz sicher 20 (19) 5 (5)
Ja, wahrscheinlich 24 (30) 7 (8)
Nein, wahrscheinlich nicht 17 (19) 12 (16)
Nein, sicher nicht 22 (21) 62 (60)
a) Glauben Sie, daß es ein Leben nach
dem Tod gibt:
Kann ich nicht sagen 17 (11) 14 (12)
n = 100 % 1304 (998) 1471 (998)
Cramer's V = .44 (.44)
Ja, ganz sicher 8 3
Ja, wahrscheinlich 12 3
Nein, wahrscheinlich nicht 15 8
Nein, sicher nicht 48 75
b) Glauben Sie, daß es den Teufel gibt:
Kann ich nicht sagen 17 11
n = 100 % 1283 1445
Cramer's V = .30
Ja, ganz sicher 15 (15) 9 (9)
Ja, wahrscheinlich 20 (26) 9 (12)
Nein, wahrscheinlich nicht 15 (20) 9 (13)
Nein, sicher nicht 33 (28) 61 (58)
c) Glauben Sie, daß es den Himmel gibt:
Kann ich nicht sagen 18 (12) 13 (10)
n = 100 % 1288 (997) 1443 (996)
Cramer's V = .29 (.30)
Ja, ganz sicher 7 (10) 2 (4)
Ja, wahrscheinlich 13 (21) 3 (6)
Nein, wahrscheinlich nicht 17 (22) 7 (14)
Nein, sicher nicht 45 (34) 74 (65)
d) Glauben Sie, daß es die Hölle gibt:
Kann ich nicht sagen 18 (13) 13 (11)
n = 100 % 1282 (997) 1442 (996)
Cramer's V = .31 (.34)
Ja, ganz sicher 20 (21) 10 (11)
Ja, wahrscheinlich 32 (36) 25 (24)
Nein, wahrscheinlich nicht 17 (19) 15 (22)
Nein, sicher nicht 19 (16) 38 (35)
e) Glauben Sie, daß es Wunder gibt:
Kann ich nicht sagen 13 (8) 12 (9)
n = 100 % 1294 (997) 1451 (998)
Cramer's V = .23 (.25)
106 ZA-Information 52
Allerdings hat überraschenderweise bis 1998 der "Höllenglaube" ("Ja, ganz sicher"
und "Ja, wahrscheinlich") im Westen um 11 Prozentpunkte auf 31% zugenommen
(Osten: 5 Prozentpunkte Zunahme und damit Verdoppelung des Prozentsatzes).
Zwar ist auch noch 1998 die Höllenannahme im Vergleich zu den eher heilsver-
sprechenden Vorstellungen seltener, doch die (erneute?) Ausbreitung schwächt die
Zivilisierungsannahme. Dieser Befund wirft Fragen für künftige Forschung auf –
das hieße hier zunächst auch weitere Itemreplikation, um den Befund aus dem Ver-
gleich der 91er und 98er Messungen ggfs. zu konsolidieren.
Bemerkenswert ist in Tabelle 2 schließlich der vergleichsweise hohe Glaube an
Wunder. Während im Westen 1991 52% (1998: 57%) zum Wunderglauben neigen,
sind es im Osten immerhin 35% (1991, 1998).8 Weitere Berechnungen zeigen 1991:
26% der Gottesungläubigen aus den neuen Bundesländern akzeptieren Wunder als
wenigstens wahrscheinlich (alte Bundesländer: 33%). Gibt es somit auch im Osten
einen vergleichsweise beachtlichen Bevölkerungsanteil, in dem losgelöst von zent-
ralen christlichen Vorstellungen an übernatürliche Phänomene geglaubt wird? Barz
(1993) behauptet, dass der Glaube an diverse paranormal anmutende Phänomene im
Kontext einer Wissenschaftsgläubigkeit (weltimmanente Transzendierung des Ge-
gebenen mit wissenschaftlichen Mitteln) zu sehen sein könnte. Auch derlei Vorstel-
lungen wären nicht neu (vgl. z.B. einige alchymistische Traditionen; sowie Terwey
1997, 1998), es ist aber vermutlich doch erst bei einem Teil der Wunder- bzw. Pa-
ragläubigen9 so weit, dass sie sich darin vorwiegend auf technische Wunder aus den
Wissenschaften im gemeinhin anerkannten Sinne beziehen.
Viel Aufhebens ist in den vergangenen Jahren um die wachsende öffentliche Rele-
vanz von Okkultismus, Esoterik, Mystik, New Age und ähnlichem gemacht worden.
M.E. wird dabei oft nur unzureichend berücksichtigt, wie weit verbreitet derlei Phä-
nomene schon in früheren Zeiten waren. Als einer der Begründer der "New Age"-
Bewegung wird beispielsweise William Blake (1757-1827) aufgeführt. Das 19. und
frühe 20. Jahrhundert überrascht bei näherem Hinsehen mit einer Fülle von esoteri-
8 Die deutschen Ergebnisse können zur besseren Einschätzung leider nicht einfach mit englisch-
sprachigen Befragungen verglichen werden, insofern dort von "religious miracles" gesprochen
wird, während im Deutschen nach Wundern ohne den Zusatz "religiöse" gefragt wird. Letzteres
äußert sich dann auch bei PCA-Analysen in einer Nebenladung des Wunder-Items auf der
Hauptkomponente in vier Fragen zur Paragläubigkeit (vgl. Terwey 1992:71).
9 Als Alternative zum Wort Aberglauben bietet sich der weniger negativ besetzte Begriff "Para-
glauben" an. Darunter kann zunächst eine Gläubigkeit verstanden werden, die neben der vor-
wiegend offen akzeptierten Gläubigkeit oder der Wissenschaft besteht (z.B. der zumindest in
Westdeutschland (1987) weit verbreitete Glauben an Erdstrahlen); zum anderen können diese
Anschauungen aber auch dominierenden Glaubens- oder Wissenschaftsvorstellungen entgegen-
gesetzt (z.B. Glaube an den Gott Pan) sein (vgl. Terwey 1995).
ZA-Information 52 107
schen Subjektivationen und Objektivationen. Als aktuelles Beispiel der zurzeit an-
geblich immer weiter ausufernden Paragläubigkeit wird oft mit Selbstverständlich-
keit die wachsende Ufo-Gläubigkeit genannt (vgl. z.B. Magin 2000). Das klingt
plausibel und evident (in einer zunehmend von Technik geprägten Alltagswelt wer-
den auch paranormale Phänomene mehr und mehr als technisiert vorgestellt). Re-
präsentativen Umfragedaten aus den Jahren 1977, 1987, 1988 und 1994 zufolge ist
Verbreitung der "Ufo-Gläubigkeit" mit 20% bis 23% jedoch nahezu konstant
geblieben (Terwey 1995). Vertrauen wir auf weitere Zahlen von Noelle-Neumann
und Köcher (2002: 376), hat der Ufo-Glauben unlängst sogar abgenommen (1993:
17%, 2001: 13%). Wie neuere Ufo-Berichte mit zunehmend wahrgenommenen Ent-
führungen und Misshandlungen exemplarisch zeigen, muss Paragläubigkeit nicht
immer nur einer positiv romantischen Erlebniswelt zugeordnet werden. Selbst wenn
man sich auf die psycho-soziale Hypothese10 für die Erklärung von Paranormalität
beschränkt, wird ein engeres Zusammenleben mit Paragläubigen oder vermeintlich
(para-)psychisch Begabten nicht stets als angenehm empfunden (vgl. z.B. im Ex-
trem den von Stumpfe 1975 beschriebenen psychisch ausgelösten Tod und eventu-
elle Heilungsmöglichkeiten).
Tabelle 3 enthält Fragen zu Glaubensvorstellungen, die meist zum Bereich des
"Aberglaubens" oder "Paraglaubens" gerechnet werden. Diese Fragen sind größten-
teils unter Verwendung von Stimuli formuliert, welche sich verbal von biblisch und
kirchenhistorisch für Christen akzeptablen Beständen absetzen.11 Eine solche Diffe-
renz kann aus einer kirchlich distanzierten Perspektive inhaltlich relativiert werden.
So finden wir auch unter Christen die Vorstellung, dass bestimmte Gegenstände
(Kreuze, Bibeln, Hostien, Reliquien, Statuen u.a.m.) eine besondere Kraft haben,
Menschen Zukünftiges prophezeien, Kranke nicht nur von Christus wundersam ge-
heilt worden sind und Gestirne eine besondere Bedeutung für die Menschen haben
können. Kirchennahe Personen sprechen aber in Bezug auf solches oft nicht von
Glücksbringern, Wahrsagern, Wunderheilern oder Astrologie.
10 D.h.: Die Betroffenen erleben die Phänomene primär subjektiv, ohne dass sie objektiv als Er-
eignisse für andere gegeben sein müssen, und die Konsequenzen werden via Bericht, Sugge-
stion u.ä. ins weitere soziale Umfeld übertragen.
11 Die deutsche Übersetzung "Manche Wunderheiler verfügen wirklich über übernatürliche Kräf-
te" für "Some faithhealers really do have God-given healing powers" im englischen Master-
Fragebogen des ISSP verschiebt die Itemvalenz zusätzlich in diese Richtung. Menschen in der
Bibel, die Kraft ihres "korrekten" Glaubens heilen, besitzen einen recht positiven Status. Wenn
nun im ISSP 1991 deutlich höhere Prozentsätze von englischsprachigen Befragten die Heiler für
wenigstens wahrscheinlich halten (Vereinigtes Königreich: 46%, Nordirland: 63%, Irland: 63%,
Deutschland: 33%), können wir dieses Ergebnis bei näherem Hinsehen nur sehr eingeschränkt
interpretieren.
108 ZA-Information 52
Tabelle 3 Glauben an paranormale Phänomene außerhalb des engeren christlichen
Bereichs (Berechnungen nach ALLBUS 1991 (deutsche Befragte) und
ISSP 1998 (Werte in Klammern))
Alte Bundesländer Neue Bundesländer
% %
Stimmt sicher 4 (9) 5 (5)
Stimmt wahrscheinlich 23 (34) 24 (26)
Stimmt wahrscheinlich nicht 24 (26) 22 (25)
Stimmt sicher nicht 38 (24) 35 (34)
Kann ich nicht sagen 11 (7) 14 (10)
a) Glücksbringer bringen
manchmal tatsächlich Glück:
n = 100 % 1313 (996) 1480 (996)
Cramer's V = .05 (.16)
Stimmt sicher 6 (8) 3 (3)
Stimmt wahrscheinlich 22 (24) 16 (15)
Stimmt wahrscheinlich nicht 24 (29) 23 (27)
Stimmt sicher nicht 38 (34) 44 (43)
b) Es gibt Wahrsager, die die
Zukunft wirklich vorhersehen
können:
Kann ich nicht sagen 10 (6) 14 (12)
n = 100 % 1313 (995) 1480 (995)
Cramer's V = .12 (.18)
Stimmt sicher 7 (9) 7 (4)
Stimmt wahrscheinlich 26 (31) 26 (25)
Stimmt wahrscheinlich nicht 23 (26) 20 (26)
Stimmt sicher nicht 32 (26) 32 (33)
c) Manche Wunderheiler verfügen
wirklich über übernatürliche Kräfte
Kann ich nicht sagen 13 (7) 14 (13)
n = 100 % 1313 (995) 1480 (995)
Cramer's V = .03 (.15)
Stimmt sicher 6 (8) 3 (4)
Stimmt wahrscheinlich 22 (33) 17 (20)
Stimmt wahrscheinlich nicht 25 (26) 24 (28)
Stimmt sicher nicht 36 (24) 42 (36)
d) Das Sternzeichen bzw. das
Geburtshoroskop eines Menschen
hat einen Einfluss auf den Verlauf
seines Lebens:
Kann ich nicht sagen 12 (8) 13 (12)
n = 100 % 1316 (996) 1482 (996)
Cramer's V = .10 (.20)
Die mit den 91er Daten berechneten Werte für Cramer's V weisen in Tabelle 3 ge-
nerell deutlich geringere Unterschiede zwischen den beiden Teilstichproben aus als
in Tabelle 2. Immerhin vergrößern sich in Tabelle 3 die Differenzen zwischen den
beiden Bereichen Deutschlands von 1991 bis 1998. Dazu trägt in erster Linie eine
bemerkenswerte Zunahme des Paraglaubens in den alten Bundesländern bei
(Glücksbringer 1998: 43% mit "Stimmt sicher" oder "Stimmt wahrscheinlich",
Wahrsager: 32%; Wunderheiler 40%; Sternzeichen: 41%).
ZA-Information 52 109
Wie verlässlich sind diese Ergebnisse? Dies soll am Beispiel von (Un-)Glücks-
bringern und Omina noch einmal hinterfragt werden (Tabelle 4). Es kann nur kurz
auf Details eingegangen werden. Die drei Spitzenplätze werden im Jahr 2000 mit
erstaunlich hohen Prozentsätzen von positiv gedachten Phänomenen belegt. Erst
dann kommen die schwarze Katze und die 13, die mehrheitlich wohl als Unglücks-
zeichen verstanden sein dürften. Erstaunlicherweise werden in den neuen Bundes-
ländern etliche dieser Phänomene noch häufiger genannt als in den alten, obgleich
im Westen von 1973 bis 2000 eine deutliche Zunahme der Fall ist. Nur 27% der
Ostdeutschen und 30% der Westdeutschen messen 2000 keinem dieser Dinge be-
sondere Bedeutung zu (1973: 43%). Damit wird ein Teilergebnis aus Tabelle 3 nicht
konsolidiert, nämlich der 1998 größere Prozentsatz des Glücksbringerglaubens in
den alten Bundesländern.
Tabelle 4 Auch wenn Sie selbst nicht abergläubisch sind - wenn Sie sich diese
Liste einmal durchlesen, bei was davon glauben Sie, dass es vielleicht
eine Bedeutung haben könnte, worauf geben Sie selbst auch immer
acht? (pro Spalte ca. 1000 Befragte ab 16 Jahre; Noelle-Neumann und
Köcher 2002: 374)
1973-West 2000-West 2000-Ost
% % %
Vierblättriges Kleeblatt 26 42 44
Sternschnuppen 22 41 38
Schornsteinfeger 23 35 38
Schwarze Katze von links über den Weg 16 24 34
Die Zahl 13 17 22 25
Ein Hufeisen finden 13 21 22
Wenn der Kuckuck ruft, die Geldbörse schütteln 11 12 22
Spinne am Morgen 11 11 18
Schwalbennester am Haus 10 10 8
Der Freitag 7 8 12
Wenn die Uhr stehen bleibt 6 9 8
Die Zahl 7 4 8 9
Wenn das Käuzchen ruft, gibt es Unglück 8 6 10
Salz borgen bringt Unglück 6 6 11
Kein Messer mit der Schneide nach oben legen, denn das gibt Streit 4 6 5
Schäfchen zur Linken 6 6 3
Wenn man stolpert, wieder zurücklaufen 7 2 8
Wenn die Tür von selbst aufgeht 3 4 3
Wenn es der Braut auf den Schleier regnet 3 3 4
Einen Buckligen berühren 1 1 4
Nichts davon 43 30 27
110 ZA-Information 52
Es ist zu begrüßen, dass die Autorinnen Nennungen über mehrere Indikatoren hin-
weg auswerten, denn bei der sonst immer wieder vorgestellten Betrachtung von
Einzelindikatoren wird das Ausmaß des "Aberglaubens" in unserer Gesellschaft
nicht deutlich. Nehmen wir hinzu, dass einige einschlägige Phänomene auch in Ta-
belle 4 fehlen (z.B. die Zahl 23, die Zahl 666, zerbrochener Spiegel, umgedrehte
Kreuze, Komet, Vollmond, Marienkäfer), drängt sich die Ahnung auf, dass es eine
Bevölkerungsmehrheit ist, welche wenigstens einem Teil der paranormalen Phäno-
mene reale Bedeutung beimisst. Im ALLBUS 1991 gaben nur 42% der westdeut-
schen Befragten an, alle vier Phänomene in Tabelle 3 für unwahrscheinlich, unbe-
stimmbar oder nicht existent zu halten, im Osten waren es mit 44% kaum mehr.12
Dehnen wir das Spektrum der Untersuchung auf andere Indikatoren aus (Astrologie;
Horoskope; Telepathie; Hellsehen; Wahrsagen; Kartenlegen; Hexerei; Voodoo-
Kult; Schwarze Magie; Besessenheit vom Teufel; Stigmatisation; Wunderheilen;
Geistheilen; Akupunktur; Parapsychologie; Ufos; Erdstrahlen; Kontakte mit Ver-
storbenen; vgl. Terwey 1995), so sehen wir, dass 85% aller Westdeutschen 1987
wenigstens eines dieser unerklärlichen Phänomene für real hielt, 72% wenigstens
zwei davon.
Neben einer Förderung positiven Denkens13 bzw. einer "self-fulfilling prophecy"
durch Glücksbringer und Horoskope ist bei vielen der Paragläubigen vielleicht eine
in der "Postmoderne" zunehmende religiöse Heimatlosigkeit Hintergrund dieser
bemerkenswerten Verschiebungen - einige der großen Diesseitsideologien (z.B.
Marxismus) haben ja gleichzeitig auch an Zuspruch verloren: "Eine 'Atmosphäre
des Unernstes' herrscht vor, wie Gehlen es ausdrückt. ... Mit Jean Pauls frühem und
präzisem Wort: Leute werden aus 'Mangel an Zeit abergläubig und ungläubig
zugleich'" (Clausen 1969: 147).
5 Paraglauben als alternative Religion oder Patchwork-Religiosität
In diesem Abschnitt wollen wir der Frage nachgehen, ob wir mit den Fragen zum
Glauben an paranormale Phänomene eine alternative bzw. außerkirchliche Religion
ermitteln können. Pollack (2000: 298) expliziert seine Interpretation beispielhaft an
der Astrologie: Die Astrologie überschreite das sinnlich und lebensweltlich Wahr-
12 Bis 1998 scheint sich diese Kluft dann allerdings vergrößert zu haben (Westen: 35% "Ungläu-
bige", Osten: 49%). Wie bereits angedeutet, ist aber eine Replikation zur solideren Einschätzung
wünschenswert.
13 Bei positivem Denken gilt es, von einer Person oder Situation ein möglichst positives Bild zu
entwerfen, worauf die Realität sich (angeblich) in diese Richtung entwickeln wird (self-
fulfilling prophecy).
ZA-Information 52 111
nehmbare und behaupte einen Einfluss der Sterne auf das menschliche Leben.
Gleichzeitig sehe die Astrologie diesen Einfluss durch relativ konkrete Sternbild-
Konstellationen zum Zeitpunkt der Geburt vermittelt. "In ihren durch die Stern-
deuter vermittelten Sinnformen verbinden sich insofern Transzendenz und Imma-
nenz ... miteinander. Das heißt, daß ihre Sinnformen als religiös anzusprechen sind.
Dabei bedient sich die Astrologie dieser Sinnformen, um auf die Unsicherheit des
menschlichen Lebens zu reagieren ..." Es handele sich also um eine nichtchristliche
Praxis, die infolge der in ihr angelegten Behandlung der Kontingenzproblematik
und die Bezugnahme auf Transzendenz in den Bereich der außerkirchlichen Religi-
onsformen falle. Diese Annahmekette geht zunächst darin wohl recht, dass bei etli-
chen an Astrologie Interessierten der eine oder andere religiöse Bezug gegeben ist,
keinesfalls aber bei allen in ausgeprägter Form (77% der Westdeutschen und 78%
der Ostdeutschen gaben 2001 an, ihr Horoskop wenigstens manchmal zu lesen;
Noelle-Neumann und Köcher 2002: 375). Bevor wir eine als solche auszuson-
dernde astrologische Religion akzeptieren und dabei nicht von einer universellen
Metaphysik14 ausgehen oder rein funktional argumentieren wollen, müssen im Sinne
der hier eingangs vorgestellten, erweiterten Religionsdefinition eine gemeinschaft-
lich geteilte Dogmatik (Ausdifferenzierung von Idealen, Dingen, Personen u.a.m.
aus dem Bereich des Profanen) und rituelle Gemeinschaften ausgemacht werden.
Welches gemeinsame Sakrale steht substantiell hinter der Astrologie, wenn sie denn
insgesamt eine alternative Religion sein soll? Sind es alte Götter wie Jupiter, Venus,
Merkur, Saturn? Ist es der christliche Gott, der den Weisen durch Sternenbahnen,
Kometen oder fallende Sterne Zeichen gibt? Sind es bloße physikalische Einflüsse,
wie sie etwa heute noch ernsthaft bei Mond und Sonne angenommen werden? Sind
es dem irdischen Geschehen synchrone Himmelssignaturen in einem natürlichen
System? Ist es schlicht der Effekt positiven Denkens oder erst geweckter Befürch-
tungen nach einer "astrologischen" Information?
14 In universeller Metaphysik wird hinter aller äußerlich erscheinenden Vielfalt (Maya; vgl. u.a.
Lurker 1989) eine Kraft, ein Medium (z.B. Astrallicht), ein Gott oder ein Gesetz in allen lokal
und temporal variierenden Erscheinungsformen als präsent angenommen. Zwei literarische Bei-
spiele zur Verdeutlichung weitgehend universeller Metaphysik seien gegeben (individualzent-
riert und gottzentriert): "Das Geheimnis des Doktor Schrepfer liegt plötzlich offenbar: die rät-
selhafte Kraft, die durch ihn wirkt, ist nicht sein eigen, steht auch nicht hinter ihm mit einer
Tarnkappe. Sie ist die magische Gewalt der Gläubigen, die an sich selbst nicht zu glauben ver-
mögen, sie selber nicht zu gebrauchen wissen, sie auf einen Fetisch übertragen müssen, sei er
Mensch, ein Gott, Pflanze, Tier oder Teufel, damit sie wie aus einem Brennspiegel wundertätig
zurückstrahle. ... Niemand ist da, der das Schicksal verhängt, als das eine große Ich, das sich als
zahllose Ichbilder spiegelt" (Meyrink 1992: 48 f.). "In der Bhagawadgita ... werden Krischna
folgende Worte in den Mund gelegt: Ihr seid frei, euer Gebet an welchen Gott auch immer zu
richten; doch der eure Gebete erwidert, der bin ich" (Laxness 1994: 101).
112 ZA-Information 52
Wir finden im astrologischen Bereich sehr unterschiedliche Grundannahmen und
Praktiken. Zunächst gibt es die "ernsthaften Astrologen", welche heute noch aus
komplexen astronomischen Datenbasen "exakte" Sternkonstellationen, Disposi-
tionen und Personenbilder nach diversen Systemen erstellen. Daneben gibt es die
mehr oder weniger scharlatanesken "Geschichtenerzähler" (vgl. u.a. Braun 1990:
91), die ihre Phantasien auf den Himmel projizieren bzw. einfach aus einem Fundus
von schlichten – streng astrologisch genommen – falschen Sternzeichenbeschrei-
bungen und eigener Menschenkenntnis ein "Horoskop" zusammenbasteln, das viel-
leicht gar nicht einmal so falsch klingt. Unterschieden werden in anderer Hinsicht
mehr oder weniger deterministische Varianten. Die Annahme einer kausalen Beein-
flussung wird vielfach durch eine Annahme von nicht-kausal zu interpretierenden
Synchronizitäten ersetzt. Neben der in Europa verbreiteten Sternzeichenastrologie
gibt es davon ganz verschiedene chinesische, indianische, vedische u.a. Varianten.
Wenn es nun aber beispielsweise die römischen Götter sein sollten, welche uns be-
einflussen, so müsste man in Bezug auf diese Götter eine praktizierende Gemeinde
suchen, in der die äußerlich sichtbaren Sterne eine Bedeutung als göttliche Zeichen
hätten. Nehmen wir eine deistische Variante an, gemäß der alles nach einem be-
stimmten Anfang (z.B. Geburt) wie ein Uhrwerk voller wechselseitiger Entspre-
chungen abläuft, so wäre das eine ganz andere "Religion" bzw. Religiosität. Die
ernsthafte Astrologie als solche ist heute vielfach induktiv auf der Suche nach ihrer
statistischen "Verifikation" und kein in sich geschlossenes religiöses System, so
lange man hinter den verschiedenen Erscheinungsformen kein übergeordnetes
gemeinsames Prinzip universeller Metaphysik oder universeller Magie erkennt.
Pollack (1998: 127) legt aber andererseits nahe, dass ein Religionsbegriff seiner
Präferenz doch besser so eng definiert werden sollte, dass auch ein grundsätzliches
Verschwinden von Religion aus unserer Gesellschaft der Fall sein könne. Ein sol-
cher Religionsbegriff wäre nicht universell, sondern in mancher Hinsicht traditio-
nell partikular orientiert15. Dem bereits erwähnten Krischna dagegen könnte man
dagegen beispielsweise sagen lassen: Einerlei, ob ihr im Ernst oder Unernst an Jupi-
ter, wissenschaftliche Sternberechnungen oder zweifelhafte Zeitungshoroskope
glaubt, ich informiere euch jeweils daraufhin in einer mir angemessenen verdeckten
oder offenen Weise.
15 Als partikulare Religion wird hier eine in der Sicht des Beobachters oder des Teilnehmenden
von der sonstigen Gesellschaft abgesonderte religiöse Sphäre verstanden, die im Unterschied zu
anderen religiösen Weltanschauungen als eigentlich "richtig" bzw. "richtig religiös" angenom-
men wird. Nahe liegend dazu sind die Begriffe "explizite Religion" als Bezeichnung "für aus-
drücklich als solche wahrgenommene und geübte religiöse Erfahrungen und Verhaltensweisen,
insbesondere in Form der Erfüllung institutionalisierter kirchlicher Erwartungen" und „aparte
Religion“ ("Absonderung und Isolierung der religiösen Erfahrung von "- sonstiger -" ... gesell-
schaftlicher Erfahrung"; Matthes 1973: 561).
ZA-Information 52 113
Mutatis mutandis gelten die Überlegungen zum religiösen oder besser vielleicht
religioiden Charakter der Astrologie auch für die drei anderen ISSP-Fragen zur Pa-
ragläubigkeit, und so wird die damit angestrebte Bestimmung einer einheitlichen,
expliziten und außerkirchlichen Religion im Sinne unserer Definition inhaltlich
nicht weniger problematisch. Wenn jemand etwa akzeptiert, dass es Wunderheiler
gibt, von denen magnetische Heilsströme im "naturwissenschaftlichen" Sinne des
Mesmerismus ausgehen, ist dieser Paragläubige dann in einer expliziten Religion
mit einem Satanisten, der an schwarzmagische Wunderheilung glaubt, und teilen
diese zusätzlich einen gemeinschaftlichen Kult um das Wirken römischer Gotthei-
ten? Unbestritten ist, dass es bemerkenswerte statistische Gemeinsamkeiten zwi-
schen den vier Paraglauben-Items im ALLBUS 1991 und ISSP 1998 gibt (vgl. u.a.
Pollack 2000; Terwey 1992), diese müssten aber trotz der hohen Reliabilitäten bei
einer vereinten Skalierung (Osten 1991: alpha=.79, Westen 1991: alpha=.81) auch
inhaltlich näher erforscht werden, bevor hier von außerkirchlicher oder alternativer
Religion und nicht nur von einer diffusen Paragläubigkeit verlässlich gesprochen
werden kann. Ziehen wir eine größere Zahl von Indikatoren des Glaubens an uner-
klärliche Phänomene heran (vgl. die oben aufgeführte Liste aus Terwey 1995), so
ergeben sich nicht einer, sondern 5 Faktoren der Paragläubigkeit. Man müsste an-
nehmen, wenn man sich auf das statistische Faktorenargument allein bezieht, dass
es im Kontext des Paranormalen mehr als nur eine explizite "außerkirchliche Reli-
gion" gibt – was auf den ersten Blick angesichts der vielfachen Verfeindungen zwi-
schen Akteuren auf dem Markt außervolkskirchlicher Religiosität sogar einleuch-
tend erscheint. Andererseits kommt Pollack auch zu dem Schluss, dass "außerkirch-
liche Religiosität" (im Sinne von Glauben an Paranormales) häufiger unter Kir-
chenmitgliedern anzutreffen ist als unter Nichtmitgliedern, so weit es die vier Items
aus Tabelle 3 betrifft. Bei vermutlicher "Hardcore"-Paragläubigkeit (z.B. Voodoo,
Schwarze Magie, Hexerei) trifft eine Überrepräsentation in den Volkskirchen, so
weit offene Angaben vorliegen, nicht zu (eigene Berechnungen nach "Sinnsuche:
Die neuen Lebensziele" (ZA-Studien-Nr. 1707); BRD 1987).
Ein weiteres, in Bezug auf außerkirchliche Religion etwas weniger anspruchsvolles
Argument überprüft Wolf (2001): Die aktuell in der Religionssoziologie gelegent-
lich so benannte "Patchwork"- oder "Fleckerlteppich-Religiosität" soll sich als
Kombination von "christlichen" Transzendenzannahmen (vgl. z.B. die Items in Ta-
belle 3) und Paragläubigkeit (vgl. Tabelle 4) erschließen lassen. Man kann in Bezug
auf diese Patchwork-These einräumen, dass dies ein möglicher erster Einstieg in die
Materie sein kann - andererseits aber doch eine Reihe von Überlegungen anzustel-
len sind, bevor ein letztlich befriedigender Schluss zu ziehen ist. Bereits bei der Ein-
führung von vier Items zum Paraglauben (Tabelle 4) wurde hier erwähnt, dass damit
114 ZA-Information 52
zwar in der Rhetorik vom gängigen volkskirchlichen Diskurs abgesetzte Vorgaben
formuliert werden, dass aber substantiell die Differenzen zwischen diesen Supersti-
tionen und akzeptierten biblischen Mythen für Außenstehende nicht besonders tief-
gehend sind.16 Wie wir ferner gesehen haben, ist bei intensiverer Betrachtung der
Paraglauben in unserer Gesellschaft so weit verbreitet, dass "Patchwork" im Sinne
von Wolf (2001) und anderen Autoren eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte.
Aus der volkskundlichen Forschung ergeben sich ebenfalls starke Hinweise in die-
ser Richtung (vgl. u.a. Bächtold-Stäubli und Hoffmann-Krayer 2000). Und auch
die Bibel kennt nicht nur gute, gottgesandte Wundertäter, wenn es beispielsweise in
Exodus 22, 18 heißt "Die Hexe (oder vermutlich besser als Partizip übersetzt: Die
Zaubernde(n)) sollst Du nicht leben lassen." Etliche weitere Stellen ließen sich aus
der Bibel in Bezug auf existente paranormale Phänomene aufzählen - darunter auch
abgelehnte bzw. verbotene (Wahrsagen, Geisterbeschwören, Feuerlaufen etc.). In
diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen: Eine Person, die ein paranor-
males Phänomen für gegeben oder wahrscheinlich gegeben hält, bewertet dieses
nicht unbedingt damit zugleich persönlich positiv. Selbst ganz fundamental bibel-
gläubige Christen müssten, ohne ein neumodisches "Patchwork" zu betreiben, ei-
gentlich an böse Zauberer u.a. Paranormalitäten glauben (vgl. auch das Ergebnis
von Wolf 2001: 15), wonach "Patchwork-Religion" unter den West-Katholiken et-
was häufiger zu finden sei als unter Protestanten und schließlich den Befund, dass
"Patchwork" in West und Ost viel häufiger anzutreffen ist als "reiner" christlicher
Glaube (Wolf 2001: 14). Nur mit wirklich spezifisch christlichen Items und sich
klar davon absetzenden Bewertungen des Paraglaubens kann auf eine erneute multi-
religiöse Bastelei (bricolage) oder Synkretismus geschlossen werden.
Viel versprechender als die alleinige Berücksichtigung der vier Paraglauben-Items
erscheint in den ALLBUS/ISSP-Daten ein erster Einstieg zur Erforschung alterna-
tiver Religiosität über die Bejahung einer höheren Macht (Tabelle 1). Hier gibt es
auch unter den Konfessionslosen im Westen 25% und im Osten 10%, die zustim-
men. Dies sind recht erhebliche Anteile, die unter den Mitgliedern der großen
Volkskirchen sogar ähnlich hoch ausfallen. Ein Befund zu diesen an eine höhere
Macht Glaubenden ist, dass unter ihnen Befragte, welche die Natur als solche für
16 Beide Variablenkomplexe sind auch nicht völlig unabhängig voneinander. Bilden wir Summen-
indizes für "christliche" (vgl. Tabelle 3) und "unchristliche" (vgl. Tabelle 4) Items, so ergeben
sich in Gesamtdeutschland 1998 Beziehungen von r=.22 unter Gottgläubigen und .35 unter Un-
gläubigen.
ZA-Information 52 115
heilig halten, statistisch signifikant überrepräsentiert sind (Berechnungen nach
ALLBUS 2000).17
6 Fazit
Die Annahme einer Säkularisierung in Westdeutschland findet Unterstützung, was
Kirchenmitgliedschaft und Kirchgang betrifft. Die bürokratisch mit Steuerpflicht
geregelte Mitgliedschaft in den Volkskirchen erweist sich als zweischneidig. Wer
einmal formal mit amtlicher Bestätigung ausgetreten ist, dem fällt es schwerer zur
Kirche zurückzufinden, als jemand, der sich dafür einfach ohne Aufnahmegesuch
nur wieder glaubhaft am kirchlichen Leben beteiligen müsste. Es wird in Deutsch-
land oft vergessen, dass die meisten Länder keine vergleichbar bürokratische Mit-
gliedschaftsregelung haben und es dennoch den Kirchen dort oft finanziell gar so
nicht schlecht geht. Zwar haben neben dem kirchlichen Engagement auch wohl ei-
nige spezifische, christlich-theistische Glaubensvorstellungen an Boden verloren
(vgl. z.B. Terwey 1996), doch sehen wir zumindest im Westen kaum weiteren
Rückgang genereller subjektiver Religiosität.
Die Krise der öffentlich abgesichert operierenden Kirchen in Westdeutschland kann
u.U. aber auch als ein "Gesundschrumpfungsprozess" verstanden werden, durch den
sie veranlasst sein sollten, hinsichtlich der von ihnen akzeptierten religiösen Ereig-
nisse, des Erlebens solcher religiösen Ereignisse und des Diskurs darüber eine Auf-
besserung des aktuellen Angebots zu versuchen (vgl. zur Angebotstheorie in der
neueren Religionssoziologie: Warner 1993; Terwey 1994). Immerhin ist noch im-
mer ein beachtlich großer Teil der Bevölkerung in den Kirchen Mitglied, und die
soziale Bedeutung dieser Organisationen in Politik, Sozialisation und Wohlfahrts-
pflege bleibt überaus groß (z.B. über 1 Million hauptamtlich Beschäftigte; Das Par-
lament 18-19/2003:1).
Die früher mitunter geäußerte Erwartung, dass nach dem Abbau der ideologischen
Zwänge unter dem DDR-Regime eine breit gestreute Rechristianisierung und Rück-
bindung an die Volkskirchen der Fall sein würde, hat sich nicht bestätigt. Nach ei-
ner stark geschwächten oder gar nicht vollzogenen christlichen Sozialisation können
zur Zeit die christlichen Mythen und Symbole nicht mehr von größeren Bevölke-
rungskreisen in gemeinschaftlicher "effervescence" revitalisiert werden. Wird die
17 Zusätzlich gegeben sind in der angesprochenen Frage die Kategorien, dass Natur wichtig, aber
nicht heilig sei, sowie dass Natur heilig, weil von Gott geschaffen sei. Im Übrigen sind auch di-
verse Arten des Paraglaubens unter Westdeutschen, die an eine höhere Macht glauben, häufiger
zu finden als unter im engeren Sinne Gottgläubigen oder Atheisten (Terwey 1994: 122).
116 ZA-Information 52
spirituelle Tradition so weit abgeschnitten, ist sie nicht ohne besondere Umstände
wiederherstell- oder einführbar. Dies gilt bis hin zu Erwartungen und Erlebnissen
im Bereich der Nahtoderfahrungen (near death experiences), die bei einem inner-
deutschen Vergleich im Osten seltener als religiös interpretiert und positiv erfahren
werden (Schmied 2000).
Eine vorwiegend moderat protestantische Kirchenkultur in der DDR vermochte es
nicht, sich von staatlichen Einflüssen zu befreien und der Entchristianisierung mit
größerem Erfolg zu begegnen. So weit es die Kombinationen der im ALLBUS 1992
erfragten innerweltlichen und außerweltlichen Deutungen der höheren Wirklichkeit
sowie des Lebenssinns betrifft, resultiert unter den Ostdeutschen eine viel weitrei-
chendere Konzentration auf deutlich weniger Weltanschaungstypen als im Westen
(Terwey 1996). Andererseits hat in den neuen Bundesländern die Idee des Sozialis-
mus, aus welchen Gründen sei hier dahingestellt, immer noch recht oft eine positive
Bewertung als diesseitsbezogene weltanschauliche Alternative (vgl. Terwey 1997;
ZA und ZUMA 2003).
Sehen wir auf andere früher sozialistische Länder, so hat sich, von wenigen Aus-
nahmen abgesehen, eine weitreichende Widerstandskraft gegen den Versuch einer
dauerhaften Entchristianisierung erwiesen (Tabelle 5). Die weitreichendste Ent-
christianisierung im Sozialismus fand offenbar in der DDR statt - es gibt jedoch
Anzeichen dafür, dass auch andere vorwiegend evangelische Länder eine in man-
chen Glaubensfragen recht weitgehende Säkularisierung durchgemacht haben
(Terwey 1998).
Nicht bestätigt hat sich aktuell, dass die Zunahme der Paragläubigkeit eigentlich
vornehmlich eine Sache der mehr oder weniger besorgten Darstellung in Medien
und kirchlichen Erklärungen sei. Wie weit der aktuelle Anstieg im Paraglauben geht
und wie stabil diese Veränderung ist, bedarf weiterer replikativer Untersuchungen.
Es hat auch in der historischen Vergangenheit kürzere und längere Phasen zuneh-
mender "ketzerischer" Pluralität gegeben. Aufmerksam weiter zu verfolgen ist auch
die Frage nach der Hölle, weil die vermehrte Annahme dieses furchterregenden
Phänomens dem Abbau der "Angstreligion" zuwiderläuft. Es kann aber auch nicht
ganz ausgeschlossen werden, dass die Zivilisierung der kirchlichen Botschaft in
Verbindung mit einer vielen etwas blass erscheinenden und dennoch sexuell viel-
fach restriktiven Theologie und Liturgie zum Bedeutungsrückgang der Kirchen bei-
tragen hat: Pleasure and Pain - eine nur abstrakt erbauliche Geschichte langweilt für
gewöhnlich.
ZA-Information 52 117
Tabelle 5 Gottesglaube in verschiedenen Postsozialistischen Ländern und West-
deutschland (Eigene Berechnungen nach dem ISSP 1991, 1998 aus
den Angaben zu "Welche dieser Aussagen beschreibt Ihren Glauben
an Gott am besten?" "Ich glaube an Gott, habe aber früher nicht an ihn
geglaubt." "Ich glaube an Gott und habe immer an ihn geglaubt.")
1991 1998
% %
Ostdeutschland 24 26
Tschechische Republik - 35
Russland 36 45
Bulgarien - 46
Slowenien 49 50
Lettland - 54
Ungarn 53 59
Westdeutschland 67 63
Slowakei - 65
Polen 82 86
Sofern aus den Analysen von Wolf (2001) ähnlich wie bei Pollack (1998) hervor-
geht, dass es außerhalb der Kirchen wenig "alternative Religiosität" (im Sinne von
Paragläubigkeit) gibt, ist zu berücksichtigen, dass es bereits innerhalb der großen
Kirchen weite Bewegungsspielräume gibt. Man kann sich zwar aus verschiedenen
Gründen weiter als Kirchenmitglied verstehen, trotzdem aber gegenüber der (lokal)
dominanten Kirchlichkeit unorthodoxe Positionen vertreten und rituell wenig parti-
zipieren. Orenstein (2002) zeigt etwa für Kanada, wie Personen mit hoher christli-
cher Gläubigkeit und dennoch nur geringem oder mittlerem Kirchgang vermehrt
auch zu paranormalen Annahmen neigen. Wenn wir uns mittels Umfragedaten bis-
lang mit wenig Erfolg auf die Suche nach einer quantitativ großen, einheitlichen au-
ßerkirchlichen Parareligion gemacht haben, gilt es schließlich ein letztes Fragezei-
chen zu setzen, insofern wir diesbezüglich von Gruppen auszugehen haben, die sich
oft als okkult oder esoterisch verstehen. Es besteht Grund zur Annahme, dass sol-
cherlei Gruppen nicht zu offenen Äußerungen in bzw. Teilnahme an Umfragen nei-
gen. Das Sprechen von den dort sakralen Dogmen und Riten ist gelegentlich verbo-
ten bzw. bedeutet ihnen vielfach Profanisierung, Selbstgefährdung und Verlust spi-
ritueller Wirkungskraft (z. B. Mana).
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120 ZA-Information 52
Umfragen im Umfeld der Bundestagswahl 2002:
Offline und Online im Vergleich
von Thorsten Faas1
Zusammenfassung
Der Beitrag vergleicht Ergebnisse dreier Umfragen, die anlässlich der Bundes-
tagswahl 2002 auf methodisch sehr unterschiedliche Weise durchgeführt wurden.
Es handelt sich erstens um eine repräsentative mündliche Bevölkerungsumfrage,
zweitens um eine repräsentative Online-Erhebung unter Internet-Nutzern sowie drit-
tens um eine Online-Erhebung mit selbstrekrutierten Teilnehmern. Der Vergleich der
drei Umfragen zeigt, dass sich die Umfragen sowohl hinsichtlich sozialstruktureller
Variablen (Alter, Bildung und Geschlecht) als auch hinsichtlich substanzieller
Fragen (Wahlverhalten, politisches Interesse) deutlich voneinander unterscheiden.
Zudem wird gezeigt, dass eine sozialstrukturelle Gewichtung nach Alter und
Geschlecht diese substanziellen Unterschiede nicht beseitigt.
Abstract
The article compares the results of three surveys that were conducted in methodol-
ogically very different ways in the run-up to the last German federal election. The
first survey is a representative sample of the German population, the second one is
a representative web survey of internet users, the third one is an unsolicited web
survey with self-selected participants. The comparison yields considerable differ-
ences among the three surveys concerning demographic (age, sex, education) as
well as substantial variables (voting behaviour, interest in politics). It is also shown
that these differences continue to exist after weighting the samples by sex and age.
1 Thorsten Faas, M.Sc. (LSE), ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Politische
Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“ am
Lehrstuhl für Politikwissenschaft II der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Feldkirchenstraße
21, 96045 Bamberg, Email: thorsten.faas@sowi.uni-bamberg.de, URL: www.thorsten-faas.de
ZA-Information 52 121
1 Einleitung2
Die Vergleichbarkeit von online und offline erhobenen Daten ist eine der methodi-
schen Fragen, die derzeit sowohl kommerzielle Markt- und Meinungsforscher als
auch mit Umfragen arbeitende Wissenschaftler umtreibt.3 Das Interesse an Online-
Umfragen ist verständlich, liegen doch ihre Vorteile auf der Hand, zumindest auf
den ersten Blick: Online-Umfragen – d.h. Umfragen, die via Internet oder per Email
durchgeführt werden – sparen vor allem Zeit und Geld. Die Idee, repräsentative
Umfragen online durchzuführen, erscheint daher angesichts weit verbreiteter Zeit-
und Mittelknappheit sehr reizvoll. Der Schein könnte aber trügerisch sein, wenn
nämlich eine geringere Datenqualität die Folge wäre.
Diesbezügliche Zweifel beziehen sich vor allem, aber keineswegs ausschließlich,
auf Internet-Umfragen mit selbstrekrutierten Teilnehmern, in deren Rahmen man
eine Umfrage ins Netz stellt, sie möglicherweise intensiv bewirbt4 – und auf Teil-
nehmer wartet (vgl. u.a. Bandilla und Bosnjak 2000, Hauptmanns 1999). Dieser
Ansatz ist durchaus mit jenem vergleichbar, der der (falschen) Prognose des „Lite-
rary Digest“ anlässlich der amerikanischen Präsidentschaftswahl aus dem Jahre
19365 zugrunde lag und seitdem als Inbegriff falscher Umfragemethodik dient. Ent-
sprechend sehen die „Standards zur Qualitätssicherung für Online-Befragungen“
(vgl. ADM et al. 2001) auch explizit vor, dass „Teilnehmer von Online-Umfragen
‚aktiv’ ... rekrutiert werden“ müssen (ADM et al. 2001: 2).
Allerdings führt dies zu der Frage, welche Teilnehmer überhaupt gezielt angespro-
chen werden können. Eine vollständige Liste aller deutschen Internet-Nutzer existiert
bekanntlich ebenso wenig wie ein dem Random-Route-Verfahren vergleichbarer
2 Besonderer Dank gilt Harald Schoen für hilfreiche Kommentare und Anregungen zu einer
Vorgänger-Version dieses Textes.
3 Eine detaillierte Darstellung zu Formen, Potenzialen und Problemen von Online-Umfragen fin-
det sich u.a. in Couper (2000) und Schonlau, Fricker und Elliot (2002).
4 Eine Analyse verschiedener Werbemethoden hinsichtlich ihrer Effekte auf die Teilnehmerstruk-
tur und -zahl einer Online-Umfrage findet sich in Alvarez, Sherman und van Beselaere (2003).
Die Ergebnisse zeigen, dass der Erfolg von Bannerwerbung eher bescheiden ist, wohingegen
„subscription campaigns“ erfolgreicher sind. Bei letzteren werden Internet-Nutzer, die sich für
bestimmte (andere) Services registrieren, gleichzeitig zur Teilnahme an WWW-Umfragen ein-
geladen. Wichtig im hiesigen Zusammenhang ist aber das Fazit der Autoren, demzufolge beide
Methoden zu strukturell unterschiedlichen Samples führten, wobei keine der beiden Samples
wiederum der Struktur der Internet-Nutzer insgesamt entsprach.
5 Die Zeitschrift „Literary Digest“ verteilte damals rund 10 Millionen Fragebögen zur bevorste-
henden Präsidentschaftswahl; 2,3 Millionen dieser Fragebögen wurden von den Lesern zurück-
gesandt. Die Ergebnisse dieser Umfrage deuteten einen klaren Sieg des republikanischen Kan-
didaten Landon an. Gleichzeitig prognostizierte aber George Gallup auf der Basis einer weitaus
kleineren Zufallsstichprobe einen Sieg des Demokraten Roosevelt und behielt damit Recht.
122 ZA-Information 52
Ansatz: Wie also dann eine Online-Zufallsstichprobe ziehen, wie es die reine Lehre
vorsieht? Auch hier geben die ADM-Empfehlungen Ratschläge. Dort heißt es näm-
lich, „dass Internet-Umfragen ... auf der Grundlage einer vorherigen Offline-
Auswahl bzw. Offline-Rekrutierung mittels geeigneter Screening-Techniken durch-
geführt werden“ sollten (ADM et al. 2001: 2). Konkret bedeutet dies also, dass in
persönlichen oder telefonischen bevölkerungsrepräsentativen Umfragen erhoben
wird, ob a) ein Computer mit Internet-Anschluss und b) die Bereitschaft der Befra-
gungsperson, zukünftig an Online-Umfragen teilzunehmen, vorhanden ist. Ist bei-
des der Fall, so wird die Person Mitglied eines sogenannten Access-Panels. Für eine
konkrete Online-Umfrage werden dann aus diesem Pool der Mitglieder des Access-
Panels zufällig Personen ausgewählt, aktiv angeschrieben und zur Teilnahme an der
Umfrage eingeladen. Auf diesem Weg, so die Idealvorstellung, können dann reprä-
sentative Aussagen für die Internet-Nutzer getroffen werden, da es sich um eine
mehrstufige Zufallsauswahl handelt: Zunächst werden zufällig mit den etablierten
Verfahren Zielpersonen für persönliche oder telefonische bevölkerungsrepräsentative
Umfragen ausgewählt. Darunter sollte sich ebenfalls ein Zufallssample der Internet-
Nutzer befinden, die wiederum eingeladen werden, Mitglied des Access-Panels zu
werden. Schließlich werden aus diesem Access-Panel zufällig Personen zur Teil-
nahme an einer konkreten Umfrage ausgewählt.
Inwieweit sich dieses idealtypische Verfahren in der Praxis bewährt, ist allerdings
bisher kaum bekannt. Eine gewisse Skepsis jedenfalls scheint angebracht: Denn an
jeder Stufe der zufälligen Auswahl können auch systematische Fehler wirken, zu
deren Quellen beispielsweise niedrige Ausschöpfungsquoten bei bevölkerungsre-
präsentativen Umfragen6, aber auch systematische Unterschiede in der Bereitschaft,
sich für Online-Umfragen zur Verfügung zu stellen (und dann auch tatsächlich teil-
zunehmen), zählen. Schließlich kommt das für Panels typische Problem des Condi-
tioning hinzu: Da die Mitglieder des Panels mehrfach an Befragungen teilnehmen,
können sich leicht Lerneffekte oder bestimmte Antwortstrategien entwickeln.
Was also idealtypisch einfach klingt, erweist sich in der Umsetzung als deutlich
schwieriger. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass sich Online-Umfragen auf-
bauend auf Selbstselektion trotz aller Nähe zum Literary Digest weiter Beliebtheit
erfreuen, gemäß dem Motto: Wenn auch bei mit hohem Aufwand durchgeführten
Umfragen, die der reinen Lehre entsprechen, Ausschöpfungs- und Verzerrungsprob-
leme unvermeidlich sind, warum nicht gleich den einfachen Weg gehen?
6 Koch (2002) etwa berichtet von Ausschöpfungsquoten von 49,1 Prozent und 54,2 Prozent für
die ALLBUS-Erhebungen der Jahre 2000 bzw. 1996.
ZA-Information 52 123
Letztlich können nur systematische Vergleiche von Daten, die parallel auf Offline-
und Online-Erhebung sowie auf aktiver und selbstselektiver Rekrutierung beruhen,
gesicherte Erkenntnisse darüber bringen, welche der verschiedenen Verfahren zu
validen und reliablen Ergebnissen führen. Zudem kann auch nur auf diesem Wege
geprüft werden, ob es möglich ist, Gewichtungsmaßnahmen zu entwickeln, die die
auftretenden Unterschiede zwischen Umfragen korrigieren können.7 Einen solchen
systematischen Vergleich soll der vorliegende Beitrag liefern, wobei auf drei Um-
fragen, die anlässlich der Bundestagswahl 2002 durchgeführt wurden, zurückgegrif-
fen wird.8, 9
2 Datenbasis
Die drei zugrunde liegenden, anlässlich der Bundestagswahl 2002 durchgeführten
Umfragen wurden auf sehr verschiedene Weise durchgeführt; einen entsprechenden
Überblick gibt Tabelle 1. Bei der ersten Umfrage handelt es sich um eine repräsen-
tative Bevölkerungsumfrage, in deren Rahmen im Zeitraum vom 12. August bis
zum 21. September 2002 1.665 Personen persönlich befragt wurden. Diese Perso-
nen wurden zufällig – über Sample Points, Random Route und Schwedenschlüssel –
ausgewählt. Die Ausschöpfungsquote lag bei 63,8 Prozent. Die zweite Erhebung ist
eine repräsentative, Internet-basierte Online-Umfrage unter 1.165 deutschen Inter-
net-Nutzern. Diese wurden zufällig aus dem Access-Panel des Meinungsfor-
schungsinstituts INRA ausgewählt und im Zeitraum vom 13. September bis zum 1.
Oktober 2002 befragt. Die Ausschöpfungsquote lag hier bei 74,2 Prozent. Schließ-
lich wurde drittens noch eine weitere Internet-basierte Online-Umfrage durchge-
führt, die unter www.wahlumfrage2002.de erreichbar war. Hier konnten sich im
Zeitraum vom 20. August bis zum 22. September 2002 Internet-Nutzer selbst rekru-
tieren – insgesamt machten davon 34.098 Gebrauch. Zieht man von diesen noch-
mals Eingänge ab, bei denen weniger als fünf gültige Antworten zu verzeichnen
7 Dabei ist natürlich angesichts der weiterhin bestehenden Unterschiede zwischen Internet- und
Gesamtbevölkerung zu fragen, an welche Grundgesamtheit die Gewichtung anpassen soll. Im
Rahmen dieses Beitrags wird – vor allem im Sinne des Methodenexperiments – die Gesamtbe-
völkerung gewählt.
8 Ähnliche Vergleiche zwischen offline- und online-erhobenen Daten finden sich u.a. auch in
Bandilla, Bosnjak und Altdorfer (2001) sowie Berrens et al. (2003).
9 Auch in anderen Ländern sind zu Zwecken der Wahlforschung virtuelle Elemente (ergänzend)
eingesetzt worden, vgl. etwa Gibson und McAllister (2002) für Australien, Sanders et al. (2002)
für Großbritannien und Krosnick und Chang (2002) für die USA.
124 ZA-Information 52
Tabelle 1 Details der drei Umfragen
Repräsentative
Bevölkerungsumfrage
Repräsentative
Online-Umfrage Wahlumfrage2002
Feldzeit 12. August – 21.
September 2002
13. September – 1.
Oktober 2002
20. August – 22.
September 2002
Teilnehmer 1.665 1.165 34.098/29.583
Rekrutierung Zufällige Auswahl
über Sample Points,
Random Route und
Schwedenschlüssel
Zufällige Auswahl
aus einem Access
Panel
Selbstrekrutierung
Befragungs-
modus
PAPI CASI10 CASI
Ausschöpfung 63,8% 74,2% —
waren, so verbleiben 29.583 Antworteingänge, die die Datenbasis für die Ergebnis-
se dieser Umfrage bilden.11
Zusätzlich wurden die drei Umfragen gewichtet, indem die gemeinsame Verteilung
von Alter und Geschlecht in jeder der drei Umfragen an die aus der Amtlichen Sta-
tistik bekannte (gemeinsame) Verteilung dieser Variablen in der Bevölkerung ange-
passt wurde.12 Somit liegen drei ungewichtete Stichproben und drei gewichtete
Stichproben vor, wobei letztere die Struktur der Gesamtbevölkerung hinsichtlich
Alter und Geschlecht widerspiegeln. Damit lässt sich prüfen, ob auftretende (unge-
wichtete) Unterschiede zwischen den Stichproben primär auf sozialstrukturelle Ab-
weichungen zurückzuführen sind oder ob die Ursachen der Abweichungen darüber
hinausgehen. Diese Stichproben sollen nun sukzessive verglichen werden, wobei
der Vergleich sowohl sozialstrukturelle Variablen (Alter, Geschlecht, Bildung) als
auch substanzielle Fragen (beabsichtigtes Wahlverhalten, politisches Interesse) um-
fasst.
10 Computer Assisted Self-Administered Interview.
11 Weitere Details zur Wahlumfrage2002 finden sich in Faas (2003).
12 Folgende Altersklassen wurden der Gewichtung zugrunde gelegt: 16 bis 17, 18 bis 24, 25 bis
34, 35 bis 44, 45 bis 59, über 60 Jahre. Zusätzlich wurde die bevölkerungsrepräsentative Um-
frage an die gemeinsame Verteilung von Ortsgröße und Bundesland angepasst, die beiden Inter-
net-basierten Umfragen mangels Informationen über die Ortsgröße zusätzlich an die Verteilung
der Bundesländer.
ZA-Information 52 125
3 Vergleich der ungewichteten Stichproben
Vergleicht man die drei Umfragen zunächst hinsichtlich ihrer sozialstrukturellen
Zusammensetzung, so treten – wie ein Blick auf Tabelle 2 zeigt – deutliche Unter-
schiede zu Tage. Diese umfassen Geschlecht, Alter und auch Bildung.
Tabelle 2 Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Teilnehmer der drei
Umfragen, in Prozent (ungewichtete Daten)
Repräsentative
Bevölkerungsumfrage
Repräsentative
Online-Umfrage Wahlumfrage2002
Geschlecht
Männer 51,5 58,8 77,9
Frauen 48,5 41,2 22,1
Summe 100,0
(n=1.663)
100,0
(n=1.165)
100,0
(n=24.928)
Alter
16-24 9,3 21,6 30,3
25-34 13,6 23,3 33,7
35-44 19,1 28,8 18,6
44-59 22,2 20,3 13,2
über 60 35,8 5,9 4,2
Summe 100,0
(n=1.661)
100,0
(n=1.165)
100,0
(n=24.727)
Mittleres Alter
(in Jahren) 50,0 36,7 32,8
Bildung
Noch Schüler 2,0 6,9 7,2
Volks-,
Hauptschul-
abschluss
42,8 13,0 5,1
Mittlere Reife 28,7 36,1 16,9
Abitur 26,6 44,0 70,8
Summe 100,0
(n=1.634)
100,0
(n=1.165)
100,0
(n=23.828)
Bei der Stichprobenziehung der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage wurde Ostdeutschland über-
repräsentiert. Dies wurde hier durch ein reines Ost-West-Gewicht korrigiert.
126 ZA-Information 52
Dabei gilt, dass sich die bekannten Verzerrungen der Online-Bevölkerung im
Vergleich zur Gesamtbevölkerung (die hier erneut bestätigt werden können) bei den
selbstrekrutierten Teilnehmern der Wahlumfrage2002 nochmals verschärfen. Konkret
schlägt sich dies darin nieder, dass 58,8 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen
Online-Erhebung Männer sind, verglichen mit nur 51,5 Prozent der Teilnehmer der
bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Von den selbstrekrutierten Teilnehmern der
Wahlumfrage2002 waren aber sogar 77,9 Prozent männlichen Geschlechts. Gleiches
gilt auch für die Altersverteilung: Die Teilnehmer der Wahlumfrage2002 sind mit
einem mittleren Alter von 32,8 Jahren deutlich jünger als sowohl die Teilnehmer
der repräsentativen Internet-Erhebung (36,7 Jahre) als auch die Teilnehmer der
bevölkerungsrepräsentativen Umfrage (50,0 Jahre). Besonders die „Extremgrup-
pen“ sind sehr unterschiedlich besetzt: Während 30,3 Prozent der Teilnehmer der
Wahlumfrage2002 zwischen 16 und 24 Jahren alt waren (und nur 4,2 Prozent über
60 Jahre), ist das entsprechende Verhältnis in der bevölkerungsrepräsentativen Um-
frage fast spiegelbildlich: 9,3 Prozent gegenüber 35,8 Prozent. Überaus deutlich ist
auch der Unterschied bei der Verteilung der Bildungsabschlüsse: 70,8 Prozent aller
Teilnehmer an der Wahlumfrage2002 haben Abitur verglichen mit nur 44,0 Prozent
der Teilnehmer der Internet-Erhebung bzw. nur 26,6 Prozent der Teilnehmer der
bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Der typische Teilnehmer der Wahlumfra-
ge2002 war also männlich, jung und hoch gebildet – und dies in einem noch viel
stärkeren Maße, als es der „normale“ Internet-Nutzer im Vergleich zum „Normal-
bürger“ ohnehin schon ist.
Angesichts der Größenordnung der zu Tage getretenen Unterschiede ist es wenig
verwunderlich, dass die Unterschiede durchweg von signifikantem Ausmaß sind,
wie Tabelle 3 zeigt. Zudem fällt bei der Betrachtung der Zusammenhangsmaße auf,
dass sich die beiden Internet-basierten Umfragen bezüglich der sozialstrukturellen
Zusammensetzung „am ähnlichsten“ sind, während – mit Ausnahme des Alters –
die Unterschiede zwischen Wahlumfrage2002 und bevölkerungsrepräsentativer
Umfrage am größten sind.
Verlässt man nun den sozialstrukturellen Bereich und betrachtet stattdessen Fragen
von substanziellem Interesse, so treten auch hier – siehe Tabelle 4 – deutliche Un-
terschiede hervor. Was das Wahlverhalten betrifft, hier operationalisiert durch die
Frage, welche Partei man mit der Zweitstimme zu wählen beabsichtigt13, zeigen
sich beim Übergang in die virtuelle Welt – d.h. also in beiden Internet-basierten
13 Etwa die Hälfte der Interviews der repräsentativen Internet-Erhebung wurde erst nach der Bun-
destagswahl durchgeführt. Für diese Personen wurde hier die retrospektive Frage nach der mit
der Zweitstimme gewählten Partei herangezogen.
ZA-Information 52 127
Umfragen – Verschiebungen zu Gunsten der beiden kleinen Parteien. Zudem zeigt
sich, dass die Parteianteile der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage relativ dicht
an den tatsächlichen Parteianteilen gemäß dem Wahlausgang vom 22. September
2002 liegen.14 Offensichtlich handelt es sich also tatsächlich um eine bevölkerungs-
repräsentative Umfrage.
Tabelle 3 Größenordnung und Signifikanz der sozialstrukturellen Unterschiede
zwischen den drei Umfragen, χ2 und Cramers V (ungewichtete Daten)
Geschlecht Alter Bildung
Wahl-
umfrage
2002
Repräsen-
tative
Online-
Umfrage
Wahl-
umfrage
2002
Repräsen-
tative
Online-
Umfrage
Wahl-
umfrage
2002
Repräsen-
tative
Online-
Umfrage
Repräsen-
tative
Bevölkerungs-
umfrage
2
1=df
χ
= 600
p<0,001
V=0,15
2
1=df
χ
= 15
p<0,001
V=0,07
2
4=df
χ
=3033
p<0,001
V=0,34
2
4=df
χ
= 399
p<0,001
V=0,38
2
3=df
χ
=3508
p<0,001
V=0,37
2
3=df
χ
= 311
p<0,001
V=0,33
Repräsen-
tative
Online-
Umfrage
2
1=df
χ
= 318
p<0,001
V=0,09
2
4=df
χ
= 174
p<0,001
V=0,08
2
3=df
χ
= 472
p<0,001
V=0,14
Wie weicht aber die Stimmenverteilung der Internet-Bevölkerung von dieser allge-
meinen Verteilung im Einzelnen ab? Beiden Internet-basierten Umfragen – Wahl-
umfrage2002 wie auch repräsentativer Internet-Erhebung – ist gemein, dass der An-
teil der Union hier sehr niedrig liegt: Weniger als ein Viertel der jeweiligen Teil-
nehmer nennt bei der Frage nach der Zweitstimme die Union.
Bei den übrigen Parteien muss noch einmal zwischen den beiden Internet-basierten
Umfragen unterschieden werden. Die Anteile der Grünen und der FDP werden zwar
in beiden Umfragen überschätzt, allerdings in der Wahlumfrage2002 nochmals
deutlich stärker als in der repräsentativen Online-Umfrage. Die Grünen erhalten von
den Teilnehmern der Wahlumfrage2002 21,4 Prozent der Zweitstimmen, die FDP
18,1 Prozent, verglichen mit „nur“ 14,1 Prozent bzw. 11,4 Prozent in der repräsenta-
tiven Online-Erhebung. Was schließlich die SPD betrifft, so wird ihr Stimmenanteil
14 Nach dem amtlichen Ergebnis erreichte die SPD 38,5 Prozent, die Union ebenfalls 38,5 Prozent,
die Grünen 8,6 Prozent, die FDP 7,4 Prozent, die PDS 4,0 Prozent und sonstige Parteien 3,0
Prozent. Die Unterschiede zwischen diesen Anteilen und den Anteilen gemäß der bevölkerungs-
repräsentativen Umfrage sind nicht signifikant.
128 ZA-Information 52
in der repräsentativen Online-Umfrage mit 41,1 Prozent überschätzt. In der Wahl-
umfrage2002 ergeht es ihr allerdings kaum besser als der Union – sie erhält hier nur
29,3 Prozent der Zweitstimmen.
Tabelle 4 (Beabsichtigtes) Wahlverhalten und politisches Interesse der Teil-
nehmer der drei Umfragen, in Prozent (ungewichtete Daten)
Repräsentative
Bevölkerungsumfrage
Repräsentative
Online-Umfrage Wahlumfrage2002
Wahlverhalten
SPD 38,2 41,1 29,3
CDU/CSU 35,9 24,0 23,6
Bündnis 90/Die
Grünen 8,9 14,1 21,4
FDP 8,6 11,4 18,1
PDS 5,8 4,7 4,2
Sonstige 2,6 4,7 3,4
Summe 100,0
(n=1.280)
100,0
(n=1084)
100,0
(n=27.163)
Politisches Interesse
Sehr stark (+2) 10,9 8,2 35,2
Stark (+1) 23,2 30,5 40,0
Mittelmäßig (0) 41,8 46,9 21,2
Weniger stark (-1) 17,9 12,7 3,1
Überhaupt nicht (-2) 6,1 1,8 0,5
Summe 100,0
(n=1.648)
100,0
(n=1.162)
100,0
(n=27.803)
Mittleres Interesse 0,2 0,3 1,1
Bei der Stichprobenziehung der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage wurde Ostdeutschland über-
repräsentiert. Dies wurde hier durch ein reines Ost-West-Gewicht korrigiert.
ZA-Information 52 129
Insgesamt ergibt dies – betrachtet man politische Lager – eine Verzerrung der Inter-
net-Stichproben zugunsten von Rot-Grün, vor allem zu Lasten der Christdemokraten.
Neben dem Wahlverhalten soll hier eine weitere Größe betrachtet werden: das poli-
tische Interesse. Die erneut erkennbaren Unterschiede zwischen den drei Umfragen
– aber insbesondere zwischen der Wahlumfrage2002 auf der einen Seite und den
beiden repräsentativen Umfragen auf der anderen Seite – sind beachtlich. Bei den
(selbstrekrutierten) Teilnehmern der Wahlumfrage2002 handelt es sich offensicht-
lich um eine politisch höchst interessierte Gruppe, die sich diesbezüglich deutlich
vom Rest der Bevölkerung unterscheidet: Drei Viertel der Teilnehmer geben an,
politisch sehr stark oder stark interessiert zu sein, im Vergleich dazu sind es nur
rund 40 Prozent bzw. rund 33 Prozent in der repräsentativen Online- bzw. Bevölke-
rungsumfrage. Somit gilt erneut: In den Ergebnissen der Wahlumfrage2002 poten-
zieren sich Verzerrungen, die sich ohnehin schon beim Übergang von der realen in
die virtuelle Welt ergeben.
Tabelle 5 Größenordnung und Signifikanz der substanziellen Unterschiede zwi-
schen den drei Umfragen, χ2 und Cramers V (ungewichtete Daten)
Wahlverhalten Politisches Interesse
Wahlumfrage
2002
Repräsentative
Online-Umfrage
Wahlumfrage
2002
Repräsentative
Online-Umfrage
Repräsentative
Bevölkerungs-
umfrage
2
5=df
χ
= 273
p<0,001
V=0,10
2
5=df
χ
= 56
p<0,001
V=0,15
2
4=df
χ
= 2149
p<0,001
V=0,27
2
4=df
χ
= 64
p<0,001
V=0,15
Repräsentative
Online-
Umfrage
2
5=df
χ
= 107
p<0,001
V=0,06
2
4=df
χ
= 923
p<0,001
V=0,18
Betrachtet man abschließend die Signifikanz der berichteten Unterschiede, so erweisen
sich alle Unterschiede als signifikant (siehe Tabelle 5). Zudem zeigt die Betrach-
tung der Zusammenhangsmaße, dass sich bei der Betrachtung des Wahlverhaltens
die beiden Internet-basierten Umfragen weniger stark unterscheiden, die bevölke-
rungsrepräsentative Umfrage also der deutlichste „Ausreißer“ ist, während dies
beim politischen Interesse eher die Wahlumfrage2002 ist.
Ein Zwischenfazit an dieser Stelle muss zwei Punkte umfassen. Erstens sind die
Gefahren der Selbstselektion deutlich hervorgetreten. An der Wahlumfrage2002
haben sich primär politisch höchst interessierte, hoch gebildete Internet-Nutzer
130 ZA-Information 52
beteiligt. Das Ausmaß der Verzerrungen, das diese Selbstselektion produziert hat,
ist immens. Zweitens liegen – trotz einer Internet-Penetration von rund 50 Prozent –
auch zwischen repräsentativer Internet- und repräsentativer Bevölkerungsumfrage
deutliche Unterschiede. Rückschlüsse auf die Bevölkerung insgesamt auf der Basis
von Online-Umfragen sind also weiterhin mit Vorsicht zu genießen. Allerdings ist
bisher noch keinerlei Gewichtung in die Analysen eingeflossen, die die beobachte-
ten Verzerrungen korrigieren könnten. Dies soll nun im nächsten Schritt geschehen.
4 Vergleich der gewichteten Stichproben
Beim Vergleich der gewichteten Ergebnisse ist natürlich die Betrachtung der sozial-
strukturellen Verteilungen redundant, da – mit Ausnahme der Bildung – diese Vari-
ablen zur Gewichtung herangezogen wurden. Daher können wir uns hier auf die
Darstellung der beiden substanziellen Variablen beschränken. Zuvor aber sind noch
einige Angaben zu den Größenordnungen der einzelnen Gewichte zu machen. Für
die bevölkerungsrepräsentative Umfrage beträgt das minimale (individuelle) Ge-
wicht 0,053, das maximale 7,061; das untere Quartil der Verteilung der Gewichte
liegt bei 0,531, das obere bei 1,299. Für die repräsentative Online-Erhebung liegt
das minimale individuelle Gewicht bei 0,256, das maximale bei 20,321, das untere
Quartil liegt bei 0,568, das obere bei 0,894. Schließlich betragen die entsprechenden
Werte der Wahlumfrage2002 0,160 bzw. 44,670 sowie 0,317 bzw. 0,994. Es wird
damit deutlich, dass für die beiden Internet-basierten Erhebungen deutlich stärkere
Anpassungen nötig sind als in der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage, wobei
insbesondere einige wenige Individuen (dies zeigt jeweils der Wert des oberen
Quartils) deutlich „hochgewichtet“ werden müssen. Dabei handelt es sich vor allem
um ältere Personen, insbesondere ältere Frauen.
Betrachtet man nun die gewichteten Ergebnisse (Tabelle 6), so zeigt sich, dass die
zwischen den Umfragen beobachteten Unterschiede durch die sozialstrukturelle
Gewichtung nicht verschwinden, vielmehr weitgehend unverändert und signifikant
(siehe Tabelle 8) bestehen bleiben. Die auffälligste durch die Gewichtung hervorge-
rufene Veränderung in der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage ist, was das
Wahlverhalten betrifft, die Annäherung der beiden großen Parteien: Die Union ge-
winnt durch die Gewichtung 0,8 Prozentpunkte hinzu, während die SPD 0,6 Pro-
zentpunkte verliert. Für die übrigen Parteien ergeben sich kaum Unterschiede.
ZA-Information 52 131
Tabelle 6 (Beabsichtigtes) Wahlverhalten und politisches Interesse der Teilnehmer
der drei Umfragen, in Prozent sowie - in Klammern - Veränderungen ge-
genüber ungewichteten Daten (sozialstrukturell gewichtete Daten)
Repräsentative
Bevölkerungsumfrage
Repräsentative
Online-Umfrage Wahlumfrage2002
Wahlverhalten
SPD 37,6
(-0,6)
38,5
(-2,6)
31,5
(+2,2)
CDU/CSU 36,7
(+0,8)
23,8
(-0,2)
23,1
(-0,5)
Bündnis
90/Die
Grünen
9,0
(+0,1)
14,3
(+0,2)
21,4
(+/-0,0)
FDP 8,3
(-0,3)
13,1
(+1,7)
15,4
(-2,7)
PDS 5,6
(-0,2)
6,6
(+1,9)
5,3
(+1,1)
Sonstige 2,8
(+0,2)
3,7
(-1,0)
3,3
(-0,1)
Summe 100,0
(n=1.278)
100,0
(n=1.110)
100,0
(n=27.062)
Politisches Interesse
Sehr stark
(+2)
9,8
(-1,1)
8,7
(+0,5)
35,0
(-0,2)
Stark (+1) 22,2
(-1,0)
37,4
(+6,9)
39,9
(-0,1)
Mittelmäßig
(0)
43,2
(+1,4)
43,3
(-3,6)
21,4
(+0,2)
Weniger stark
(-1)
18,2
(+0,3)
9,2
(-3,5)
2,9
(-0,2)
Überhaupt
nicht (-2)
6,5
(+0,4)
1,4
(-0,4)
0,7
(+0,2)
Summe 100,0
(n=1.649)
100,0
(n=1.163)
100,0
(n=27.602)
Mittleres
Interesse
0,1
(-0,1)
0,4
(+0,1)
1,1
(+/-0,0)
132 ZA-Information 52
Würde man auf Basis der Daten eine Wahlprognose machen wollen, so fiele diese
auf Basis der gewichteten Daten etwas besser aus als zuvor auf Basis der ungewich-
teten. Im Mittel würden die Parteianteile im Vergleich zum tatsächlichen Wahlausgang
vom 22. September 2002 um 1,0 Prozentpunkte verfehlt, die maximale Abweichung
würde 1,8 Prozentpunkte betragen; dies im Vergleich zu 1,1 bzw. 2,6 Prozentpunk-
ten auf der Basis ungewichteter Daten (vgl. Tabelle 7).
Was das politische Interesse, die zweite Variable von substanziellem Interesse in
diesem Zusammenhang, betrifft, so kommt es zu einer Verschiebung hin zu weniger
starkem Interesse. Entsprechend sinkt der Mittelwert um einen Zehntelskalenpunkt.
Für die repräsentative Online-Erhebung ergeben sich insgesamt stärkere Verschie-
bungen bei der Betrachtung des Wahlverhaltens: Die Anteile der SPD sowie der
sonstigen Parteien sinken um 2,6 bzw. 1,0 Prozentpunkte, während die Anteile der
FDP bzw. der PDS um 1,7 bzw. 1,9 Prozentpunkte steigen. Allerdings führen diese
Verschiebungen nicht zu einem einheitlichen Trend, demzufolge die Anteile der
einzelnen Parteien nun näher am tatsächlichen Wahlergebnis lägen. Zwar wird der
SPD-Anteil nach der Gewichtung exakt getroffen, die (deutlichen) Verschiebungen
bei FDP und PDS dagegen führen dazu, dass deren Anteile noch deutlicher verfehlt
werden. Auch die Union, für die die Gewichtung nur minimale Veränderungen er-
gibt (-0,2 Prozentpunkte), bleibt auf dem viel zu niedrigen Niveau von 23,8 Prozent.
Betrachtet man hier eine hypothetische Wahlprognose auf Basis dieser Daten, so hat
die Gewichtung kontraproduktive Auswirkungen: Ohne Gewichtung wurden die
Anteile der Parteien im Mittel um 4,8 Prozentpunkte verfehlt, die größte Abwei-
chung lag (für die Union) bei 14,5 Prozentpunkten. Mit gewichteten Daten betragen
die entsprechenden Werte aber sogar 4,9 bzw. 14,7 Prozentpunkte.
Tabelle 7 Abweichungen hypothetischer Wahlprognosen auf Basis der unge-
wichteten und gewichteten Daten vom tatsächlichen Wahlergebnis
Repräsentative
Bevölkerungsumfrage
Repräsentative
Online-Umfrage Wahlumfrage2002
Unge-
wichtet Gewichtet Unge-
wichtet Gewichtet Unge-
wichtet Gewichtet
Durchschnittliche
Abweichung für
alle Parteien
1,1 1,0 4,8 4,9 8,0 7,5
Maximale
Abweichung 2,6 1,8 14,5 14,7 14,9 15,4
ZA-Information 52 133
Die Effekte der Gewichtung auf die Verteilung des politischen Interesses sind eben-
falls deutlich. Allerdings ist ihre Richtung zweifelhaft. Schließlich war ohnehin
schon in der repräsentativen Online-Erhebung ein höheres politisches Interesse im
Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Erhebung zu beobachten. Während dort
die Gewichtung zu höherem politischen Desinteresse geführt hat, gilt für die reprä-
sentative Online-Erhebung, dass die Gewichtung zu (noch) höherem Interesse führt,
so dass die beiden Stichproben sich durch die Gewichtung diesbezüglich noch wei-
ter voneinander entfernen, anstatt sich anzunähern.
Für die Wahlumfrage2002 schließlich hat die Gewichtung deutliche Effekte auf die
Stimmenanteile von SPD (+2,2 Prozentpunkte), FDP (-2,7 Prozentpunkte) und PDS
(+1,1 Prozentpunkte). Interessant ist dabei der Vergleich zur repräsentativen Online-
Erhebung, wo für SPD und FDP genau gegenläufige Effekte der Gewichtung zu beo-
bachten waren. Dagegen ist für die Union, deren Anteil am weitesten neben dem tat-
sächlichen Wert liegt, erneut praktisch kein Effekt der Gewichtung zu beobachten.
Für eine hypothetische Prognose bedeutet dies, dass der durchschnittliche Fehler im
Gegensatz zu den ungewichteten Daten um 0,5 Prozentpunkte auf 7,5 Prozentpunkte
fallen würde (da die Anteile von SPD und FDP in die richtige Richtung korrigiert
werden), der maximale Fehler allerdings (für die Union) auf 15,4 Prozentpunkte
steigt. Insgesamt kann das Fazit bezüglich Prognosen damit nur lauten, dass Wahl-
prognosen auf Basis von ungewichteten oder nur sozialstrukturell gewichteten Onli-
ne-Erhebungen (zumindest bisher) keinerlei Wert haben. Was schließlich das politi-
sche Interesse betrifft, so sind die durch die Gewichtung verursachten Änderungen
eher kosmetischer Natur. Die zugrunde liegende Selbstselektion umfasst also nicht
nur sozialstrukturelle Größen. Es gilt auch nach Gewichtung weiterhin, dass 75 Prozent
der Teilnehmer der Wahlumfrage2002 politisch sehr stark oder stark interessiert sind.
Tabelle 8 Signifikanz der substanziellen Unterschiede zwischen den drei Um-
fragen, χ2 und Cramers V (sozialstrukturell gewichtete Daten)
Wahlverhalten Politisches Interesse
Wahlumfrage
2002
Repräsentative
Online-Umfrage
Wahlumfrage
2002
Repräsentative
Online-Umfrage
Repräsentative
Bevölkerungs-
umfrage
2
5=df
χ
= 241
p<0,001
V=0,09
2
5=df
χ
= 62
p<0,001
V=0,16
2
4=df
χ
= 2224
p<0,001
V=0,28
2
4=df
χ
= 135
p<0,001
V=0,22
Repräsentative
Online-Umfrage
2
5=df
χ
= 50
p<0,001
V=0,04
2
4=df
χ
= 617
p<0,001
V=0,15
134 ZA-Information 52
Insgesamt, das bestätigt nochmals Tabelle 8, hat die Gewichtung damit keineswegs
dazu geführt, dass sich die Ergebnisse der drei Umfragen angenährt haben. Die Un-
terscheide sind weiterhin signifikant, einige sind zwar etwas kleiner geworden, an-
dere aber auch größer.
5 Schluss
Die Erwartungen an Online-Umfragen sind hoch, können sie aber auch erfüllt wer-
den? Die Ergebnisse des vorliegenden Vergleichs von drei Umfragen sind eher
Wasser auf die Mühlen der Skeptiker. Sie untermauern insbesondere die bestehen-
den Zweifel an Umfragen, die auf Selbstrekrutierung beruhen. Die selbstrekrutierten
Teilnehmer der Wahlumfrage2002 sind eindeutig systematisch verzerrt in Richtung
junger, formal hoch gebildeter und politisch interessierter Personen, auch ihr Wahl-
verhalten unterscheidet sich signifikant vom Wahlverhalten der Teilnehmer der bei-
den anderen Umfragen. Aber auch zwischen repräsentativer Bevölkerungs- und re-
präsentativer Online-Umfrage wurden signifikante Unterschiede festgestellt, die
auch nach sozialstruktureller Gewichtung (nach Alter und Geschlecht) bestehen
blieben.
Damit zu enden, wäre aber zu pessimistisch. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass
die im Rahmen dieser Analyse vorgenommene Gewichtung nur auf Alter und Ge-
schlecht (sowie Bundesland) aufbaute. Möglicherweise sind für Online-Umfragen
umfangreichere Gewichtungsmaßnahmen erforderlich, möglicherweise müssen Va-
riablen wie das politische Interesse selbst in die Gewichtung einbezogen werden.
Harris Interactive etwa, ein Unternehmen, das in den USA Online-Umfragen durch-
führt, verwendet Propensity Weights, die auf sozialstrukturellen Variablen, aber
auch auf Einstellungs- und Verhaltensfragen aufbauen, um die in den Online-
Stichproben enthaltenen Verzerrungen zu korrigieren. Das Unternehmen reklamiert
für sich, auf Basis von Online-Umfragen und dank der verwendeten Gewichtung
den Ausgang der US-Wahlen 2000 – im Gegensatz zu anderen Meinungsfor-
schungsinstituten – korrekt vorausgesagt zu haben (Harris Interactive 2000).
Zudem sind im Rahmen dieses Beitrags nur Randverteilungen betrachtet worden.
Diese sind natürlich – gerade im Umfeld von Wahlen – per se von Interesse. Aller-
dings gehört zur Aufgabe der Sozialwissenschaften nicht nur die Beschreibung,
sondern auch die Erklärung. Offen ist aber, ob auch die Betrachtung von Zusam-
menhängen innerhalb der einzelnen Umfragen signifikante und relevante Unter-
schiede zwischen den Umfragen liefern würde. Ergebnisse aus den USA (Alvarez,
Sherman und van Beselaere 2003) und Großbritannien (Sanders et al. 2002) deu-
ten an, dass die in offline- vs. online-erhobenen Daten enthaltenen Zusammenhänge
ZA-Information 52 135
weniger stark verzerrt sind als Randverteilungen. Weitere Forschungen, auch mit
den hier zugrunde liegenden Daten, werden dies bestätigen müssen. Zumindest aus
sozialwissenschaftlicher Perspektive wäre dieser Befund aber von großer Wichtig-
keit und könnte die aufgrund des Vergleichs der Randverteilungen entstandene
Skepsis gegenüber Online-Umfragen deutlich relativieren.
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http://apsaproceedings.cup.org/Site/abstracts/040/040001GibsonRach.htm.
Harris Interactive 2000: 2000 Election Winners: George W. Bush … and Online Polling: Harris Interactive
scores unprecedented 99% accuracy in predicting 2000 election outcome, Pressemitteilung abrufbar unter
http://www.harrisinteractive.com/news/allnewsbydate.asp?NewsID=208.
Hauptmanns, Peter 1999: Grenzen und Chancen von quantitativen Befragungen mit Hilfe des Internet. In:
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Koch, Achim 2002: 20 Jahre Feldarbeit im ALLBUS: Ein Blick in die Blackbox. In: ZUMA-Nachrichten 51,
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Krosnick, Jon A.; Chang, LinChiat 2002: A Comparison of the Random Digital Dialing Telephone Survey
Methodology with Internet Survey Methodology as Implemented by Knowledge Networks and Harris Inter-
active. Konferenzpapier anlässlich des 98. Annual Meeting der American Political Science Association (APSA)
in Boston, 26. August bis 1. September 2002, abrufbar unter
http://apsaproceedings.cup.org/Site/abstracts/040/040001KrosnickJo.htm.
Sanders, David; Clarke, Harold; Stewart, Marianne; Whiteley, Paul; Twyman, Joe 2002: The 2001 British
Election Study Internet Poll: A Methodological Experiment, Konferenzpapier anlässlich des 98. Annual
Meeting der American Political Science Association (APSA) in Boston, 26. August bis 1. September 2002,
abrufbar unter http://apsaproceedings.cup.org/Site/abstracts/040/ 040001TwymanJoe0.htm.
Schonlau, M.; Fricker, R.D. Jr.; Elliott, M.N. 2002: Conducting Research Surveys via E-mail and the Web.
Santa Monica, CA.
136 ZA-Information 52
Datensätze zu den Bundestagswahlen
Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im ver-
einigten Deutschland 1994 und 1998 (Kumulierter Datensatz der Querschnitts-
erhebungen)
ZA-Studiennummer: 3064
Erhebungszeitraum: September 1994 bis November 1998
Primärforscher:
J.W. Falter, Universität Mainz
O.W. Gabriel, Universität Stuttgart
H. Rattinger, Universität Bamberg
K. Schmitt, Universität Jena
Datenerhebung: BASIS Research, Frankfurt; GFM GETAS (IPSOS), Hamburg
Inhalt:
Politische Einstellungen und politische Partizipation im vereinigten Deutschland.
Kumulierter Datensatz aus den Datensätzen der acht weitgehend identischen Quer-
schnittsbefragungen zu vier verschiedenen Befragungszeitpunkten.
Themen: Die nachfolgend aufgeführten Fragen wurden in mindestens einer Erhe-
bung gestellt: Beurteilung der aktuellen allgemeinen Wirtschaftslage sowie der
Wirtschaftslage im Vorjahr; Konjunkturerwartung; eigene wirtschaftliche Lage;
Kenntnis der Wichtigkeit von Erst- und Zweitstimme; Demokratiezufriedenheit;
Politikinteresse; Sicherheit der eigenen Wahlbeteiligungsabsicht und der eigenen
Wahlentscheidung; Art der Stimmabgabe als Briefwahl oder Urnenwahl; gleiche
Wahlentscheidung nach Kenntnis des Ausgangs der Wahl; Parteipräferenz (Sonn-
tagsfrage, Erststimme und Zweitstimme); Zeitpunkt der Wahlentscheidung; wich-
tigste Gründe für die eigene Wahlentscheidung; Gründe für Wahlabsicht und
Nichtwahl; geschätzte Sicherheit des Einzugs ausgewählter kleinerer Parteien in den
Bundestag; erwarteter Wahlgewinner bei der Bundestagswahl; Bewertung der De-
mokratie als Staatsidee; wichtigste Gründe der Unzufriedenheit mit den Parteien;
Koalitionspräferenz; Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Bundestagswahl; Intensi-
tät der Verfolgung des Wahlkampfs; Responsivität: Beurteilung von Parteipolitikern
und ihrer Arbeit sowie ihres Verhältnisses zum Bürger (Skala); wichtigste Probleme
des Landes; Issue-Relevanz und Issue-Kompetenz der Parteien; Efficacy: Einfluss-
möglichkeiten der Bürger auf die Parteien und die Regierung (Skala); Einschätzung
ZA-Information 52 137
der Position der wichtigsten Parteien zum Thema Kernenergie, Ausländerzuzug,
europäische Einigung; eigene Position zu diesen Themen und Wichtigkeit einer
Problemlösung; Wichtigkeit von Forschungsförderung und Geschlechtergleichstel-
lung sowie eigene Position in diesen Fragen; Zufriedenheit mit der Aufgabenerfül-
lung des Staates in diesen Fragen; Wohnort vor der Wende; Beurteilung des persön-
lichen Lebensstandards, der Gerechtigkeit der Einkommensverteilung, der sozialen
Sicherheit, des Zusammenhalts der Menschen untereinander und des Kriminalitäts-
schutzes für die Bürger; Kenntnis der genauen Anzahl der Bundesländer in der
Bundesrepublik; Sympathie-Skalometer für die CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis
90/Die Grünen, die Republikaner, die PDS und die DVU; Postmaterialismus (Ingle-
hart-Index); Institutionenvertrauen: Vertrauen in den Bundestag, in das Bundesver-
fassungsgericht, in die Bundesregierung, die Gerichte, die Polizei, die Verwaltung,
die Kirchen, die Parteien, die Bundeswehr, die Gewerkschaften, in Umweltschutz-
gruppen und in Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände; Kanzlerpräferenz; Sympa-
thie-Skalometer für die Kanzlerkandidaten Kohl und Scharping bzw. Schröder; Ein-
schätzung der Eigenschaften der beiden Kanzlerkandidaten bezüglich Sympathie,
Vertrauenswürdigkeit, Tatkraft und ihrer Vorstellungen zur Ankurbelung der Wirt-
schaft; politische Partizipation (Skala); Selbsteinstufung auf einem Links-Rechts-
Kontinuum; Gefühl, durch ausgewählte Verbände, Institutionen und Parteien vertreten
zu werden; wichtigste Gruppe bzw. Interessenvertretung; Beurteilung der Parteien
bezüglich ihrer Nähe zu Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Umweltschutz-
gruppen und zu den einzelnen Kirchen; gesellschaftliche Wertorientierungen (Ska-
la); Zufriedenheit mit der Bundesregierung; geographische Verbundenheit: Verbun-
denheit mit der Gemeinde, der Region, dem Teilstaat und Deutschland als Ganzem;
Einstufung der Parteien auf einem Links-Rechts-Kontinuum; Mediennutzung: Le-
sen von lokalen, regionalen und überregionalen Tageszeitungen; Nutzung politi-
scher Sendungen im Fernsehen; Einschätzung der Gerechtigkeit der Gesellschafts-
ordnung in der Bundesrepublik; Einschätzung der Benachteiligung von Bevölke-
rungsgruppen in der Gesellschaft; Wahlverhalten bei der letzten Bundestagswahl;
Häufigkeit des Aufenthalts im jeweils anderen Teil Deutschlands nach der Vereini-
gung; Extremismusskala: Nationalstolz, Verstaatlichungswunsch für Wirtschaftsun-
ternehmen, Allgemeinwohl vor Verbandsinteressen, amerikanischer Imperialismus
als Gefahr für den Weltfrieden, Diktatur als die bessere Staatsform, gute Seiten am
Nationalsozialismus, Ausbeutung von Arbeitern und Dritte-Welt-Ländern, Hitler
und Judenvernichtung, Überfremdung der Bundesrepublik, DDR mit mehr positiven
Seiten, nationalitätenübergreifende Ehen, zu großer Einfluss der Juden, Sozialismus
als gute Idee, Andersartigkeit der Juden sowie Verständnis für Anschläge auf Asyl-
bewerberheime; Selbstbild und Fremdbild der Deutschen in Ost- und Westdeutsch-
land. Demographie: Geschlecht; Geburtsmonat; Geburtsjahr; Bundesland; Wohn-
138 ZA-Information 52
dauer und zugezogen in das Bundesland; Konfession; Kirchgangshäufigkeit; Kir-
chenverbundenheit des Elternhauses; Mitgliedschaften in Bürgerinitiative, Partei,
Berufsvereinigung oder Gewerkschaft; Parteineigung; Bedeutung der Parteineigung
(Skala); Parteiidentifikation; Parteineigung hinsichtlich westlicher Parteien vor
der Wende (nur im Osten gefragt); Dauer dieser Parteineigung; Bildung und
Schulabschluss; angestrebter Schulabschluss; berufliche Lehre; Berufstätigkeit;
unfreiwilliger Arbeitsplatzwechsel oder Arbeitslosigkeit seit 1990; Ausscheiden aus
dem Berufsleben seit 1990; Beschäftigung im öffentlichen Dienst; Beruf; Familien-
stand; Haushaltsvorstand; Bildung; Berufstätigkeit; unfreiwilliger Arbeitswechsel;
Arbeitslosigkeit; Beschäftigung im öffentlichen Dienst und Berufsgruppenzugehö-
rigkeit des Haushaltsvorstands sowie des Partners; Zusammenleben mit einem Partner;
Haushaltsgröße; Anzahl der Personen ab 16 Jahren im Haushalt; Beitrag zum
Haushaltseinkommen; Haushaltsnettoeinkommen; Selbsteinschätzung der Schicht-
zugehörigkeit und Schichtzugehörigkeit des Elternhauses; Gemeindegröße; Tele-
fonbesitz; Bereitschaft zur nochmaligen Interviewteilnahme.
Grundgesamtheit und Auswahl:
Untersuchungsgebiet: BRD
Die Grundgesamtheit der Stichproben bilden alle deutschen Personen, deren Wohn-
sitz sich in der Bundesrepublik Deutschland befindet und die zum Zeitpunkt der
Befragung mindestens das 16. Lebensjahr vollendet hatten sowie in Privathaushal-
ten lebten. Das ADM-Master-Sample ist ein geschichtetes, dreistufiges Zufallsaus-
wahlverfahren und basiert auf der Wahlbezirkseinteilung von Bundestagswahlen. Es
wurden zwei Netze des ADM-Stichprobensystems eingesetzt, wobei in Ostdeutsch-
land ein Doppelnetz verwendet wurde, was bedeutet, dass für eine disproportionale
Stichprobe diese verdoppelt wurde. Die Zielhaushalte wurden nach dem Random-
Route-Verfahren ausgewählt, die Zielperson im Haushalt wurde per Schweden-
schlüssel ermittelt.
Erhebungsverfahren:
Mündliche und schriftliche Befragung mit standardisiertem Fragebogen
Datensatz:
Anzahl der Einheiten: 7451
Anzahl der Variablen: 365
Weitere Hinweise:
Der hier dargestellte Datensatz besteht aus gepoolten Querschnitten von acht Teil-
erhebungen. Sie setzen sich aus Vorwahl- und Nachwahluntersuchungen jeweils im
ZA-Information 52 139
Ost- und Westteil der Bundesrepublik sowie aus den Jahren 1994 und 1998 zusam-
men.
Die Erhebungszeiträume im Einzelnen:
Vorwahl 1994 West: 12. September 1994 bis 14. Oktober 1994
Vorwahl 1994 Ost: 12. September 1994 bis 06. Oktober 1994
Nachwahl 1994 West: 24. Oktober 1994 bis 01. Dezember 1994
Nachwahl 1994 Ost: 24. Oktober 1994 bis 15. November 1994
Vorwahl 1998 West: 26. August 1998 bis 26. September 1998
Vorwahl 1998 Ost: 30. August 1998 bis 25. September 1998
Nachwahl 1998 West: 08. Oktober 1998 bis 21. November 1998
Nachwahl 1998 Ost: 13. Oktober 1998 bis 21. November 1998
Der Fragebogen der Studie wurde in Zusammenarbeit mit der auf informeller Basis
gegründeten Vorbereitungsgruppe „Deutsche Nationale Wahlstudie“ (DNW) entwi-
ckelt.
Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im ver-
einigten Deutschland (Panel 1994-1998, Variablenauswahl aus beiden Wellen)
ZA-Studiennummer: 3067
Erhebungszeitraum: September 1994 bis Dezember 1998
Primärforscher:
J.W. Falter, Universität Mainz
O.W. Gabriel, Universität Stuttgart
H. Rattinger, Universität Bamberg
K. Schmitt, Universität Jena
Datenerhebung: BASIS Research, Frankfurt; GFM GETAS (IPSOS), Hamburg
Inhalt:
Politische Einstellungen und politische Partizipation im vereinigten Deutschland.
Zusammengefasster Datensatz der zweiwelligen Panelerhebung mit jeweils für Ost
und West getrennten Samples.
Themen: Beurteilung der aktuellen allgemeinen Wirtschaftslage sowie der allge-
meinen Wirtschaftslage im Vorjahr und im zukünftigen Jahr; Einschätzung der ei-
genen aktuellen Wirtschaftslage sowie der eigenen Wirtschaftslage im Vorjahr und
140 ZA-Information 52
im zukünftigen Jahr; Parteineigung, Parteiidentifikation und Dauer dieser Parteinei-
gung; gleiche Parteipräferenz wie bei der letzten Bundestagswahl; Parteipräferenz
(Sonntagsfrage); wichtigste politische Probleme in der BRD; Issue-Kompetenz der
Parteien; Kanzlerpräferenz (Vorwahl und Nachwahl); Wahlverhalten bei der letzten
Bundestagswahl. Demographie: Geschlecht; Geburtsmonat; Geburtsjahr; Familien-
stand; Schulabschluss und angestrebter Schulabschluss; berufliche Lehre; aktuelle
und frühere Berufstätigkeit; Berufstätigkeitsdauer; unfreiwilliger Arbeitsplatzwech-
sel oder Arbeitslosigkeit seit 1990; Beschäftigung im öffentlichen Dienst; berufli-
che Position; Befragter ist Haushaltsvorstand; Charakteristika des Haushaltsvor-
stands; Zusammenleben mit einem Partner; Charakteristika des Partners; Anzahl der
Einkommensempfänger im Haushalt; Haushaltsnettoeinkommen (klassiert); Haus-
haltsgröße; Anzahl der Personen ab 16 Jahren im Haushalt; Mitgliedschaften und
Ämter in Bürgerinitiative, Partei, Berufsvereinigung oder Gewerkschaft; Selbstein-
schätzung der sozialen Schichtzugehörigkeit und der Schichtposition; Schichtver-
gleich mit den Eltern; Konfession; Kirchgangshäufigkeit; Kirchenverbundenheit des
Elternhauses; Bundesland und Wohndauer im Bundesland; Telefonbesitz. Zusätz-
lich verkodet wurde: Gemeindekennziffer; Ortsgröße; Regierungsbezirk; Befra-
gungszeitpunkt; Befragungsjahr; Art der Befragung (mündlich bzw. schriftlich).
Grundgesamtheit und Auswahl:
Untersuchungsgebiet: BRD
Die Grundgesamtheit der Stichprobe im Jahr 1994 bilden alle deutschen Personen,
deren Wohnsitz sich in der Bundesrepublik Deutschland befindet und die zum Zeit-
punkt der Befragung mindestens das 16. Lebensjahr vollendet hatten sowie in Privat-
haushalten der Bundesrepublik Deutschland lebten.
Auswahlverfahren: Es wurden zwei Netze des ADM-Stichprobensystems einge-
setzt. Die Zielhaushalte wurden nach dem Random-Route-Verfahren ausgewählt,
die Zielperson im Haushalt wurde per Schwedenschlüssel ermittelt.
Erhebungsverfahren:
Mündliche, telefonische bzw. schriftliche Befragung mit standardisiertem Fragebogen
Datensatz:
Anzahl der Einheiten: 2117
Anzahl der Variablen: 157
Veröffentlichung:
Neller, Katja; Gabriel, Oscar W.: Politische Einstellungen, politische Partizipation
und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland: Die Deutsche Nationale Wahlstudie
1998. In: Klein, Markus; Jagodzinski, Wolfgang; Mochmann, Ekkehard; Ohr,
ZA-Information 52 141
Dieter (Hrsg.): 50 Jahre empirische Wahlforschung in Deutschland: Entwicklung,
Befunde, Perspektiven, Daten. S. 542-563. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2000.
Weitere Hinweise:
1994 wurde eine Umfrage durchgeführt, die einen mündlichen und einen schriftli-
chen Teil umfasste. Die Fragebögen der schriftlichen Befragung wurden von den
Interviewern von BASIS Research repräsentativ verteilt. Die Rücksendung erfolgte
direkt an BASIS Research. An der mündlichen Befragung nahmen 4114 Personen
teil, an der schriftlichen 1351. Als Ausgangsstichprobe für die Panelbefragung dien-
te zunächst die mündliche Befragung von 1994. Um möglichst viele Fälle für 1998
zu erhalten, wurde das Panel dann aus der schriftlichen Befragung (nach Quoten,
Kriterien: Alter, Geschlecht, Bundesland) aufgefüllt. Das Erhebungsverfahren im
Jahr 1998 war face-to-face, zusätzlich gab es Telefoninterviews (Vorwahlstudien:
62 Telefoninterviews im gesamten Befragungsgebiet, Nachwahlstudien: 28 Tele-
foninterviews in Westdeutschland).
Die Erhebungszeiträume im Einzelnen:
Vorwahl 1994 West: 12. September 1994 bis 14. Oktober 1994
Vorwahl 1994 Ost: 12. September 1994 bis 06. Oktober 1994
Nachwahl 1994 West: 24. Oktober 1994 bis 01. Dezember 1994
Nachwahl 1994 Ost: 24. Oktober 1994 bis 15. November 1994
Vorwahl 1998 West: 28. August 1998 bis 26. September 1998
Vorwahl 1998 Ost: 29. August 1998 bis 26. September 1998
Nachwahl 1998 West: 04. Oktober 1998 bis 05. Dezember 1998
Nachwahl 1998 Ost: 11. Oktober 1998 bis 28. November 1998
Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im ver-
einigten Deutschland 2002
ZA-Studiennummer: 3861
Erhebungszeitraum: August 2002 bis November 2002
Primärforscher:
J.W. Falter, Universität Mainz
O.W. Gabriel, Universität Stuttgart
H. Rattinger, Universität Bamberg
Datenerhebung: INRA Deutschland, Mölln
142 ZA-Information 52
Inhalt:
Politische Einstellungen und politische Partizipation im vereinigten Deutschland.
Kumulierter Datensatz aus den Datensätzen der vier weitgehend identischen Quer-
schnittbefragungen zu zwei verschiedenen Befragungszeitpunkten (vor und nach
der Wahl).
Themen: Die nachfolgend aufgeführten Fragen wurden entweder in der Vor- oder
Nachwahluntersuchung gestellt: Beurteilung der aktuellen allgemeinen und eigenen
Wirtschaftslage sowie der Wirtschaftslage im Vorjahr; Konjunkturerwartung;
Kenntnis der Wichtigkeit von Erststimme und Zweitstimme; Demokratiezufrieden-
heit; Politikinteresse; Wahlbeteiligungsabsicht und Sicherheit der eigenen Wahlent-
scheidung; Art der Stimmabgabe als Briefwahl, Urnenwahl oder Nichtwahl; gleiche
Wahlentscheidung nach Kenntnis des Ausgangs der Wahl; Parteipräferenz (Sonn-
tagsfrage, Erststimme und Zweitstimme); gewählte erste und zweite Stimme; Zeit-
punkt der Wahlentscheidung; wichtigste Gründe für die eigene Wahlentscheidung;
Wahlabsicht und Gründe für eine Nichtwahl; geschätzte Sicherheit des Einzugs
ausgewählter kleinerer Parteien in den Bundestag (FDP, Bündnis 90/Die Grünen,
PDS, Republikaner); erwarteter Wahlgewinner (Partei) bei der Bundestagswahl;
Bewertung der Demokratie als Staatsidee; wichtigste Gründe der Unzufriedenheit
mit den Parteien; Koalitionspräferenz; Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Bundes-
tagswahl; Intensität der Verfolgung des Wahlkampfs; Ausmaß eines aktiven Infor-
mationsverhaltens während der Wahlkampfphase; Parteiverdrossenheit: Beurteilung
von Parteien und Politikern und ihrer Arbeit sowie ihres Verhältnisses zum Bürger
(Skala); wichtigste Probleme des Landes; Issue-Relevanz und Issue-Kompetenz der
Parteien; Efficacy: Einflussmöglichkeiten der Bürger auf die Parteien und die Re-
gierung (Skala); Einschätzung der Position der wichtigsten Parteien zu den Themen
Kernenergie, Ausländerzuzug, europäische Einigung; eigene Position zu diesen
Themen und Wichtigkeit einer Problemlösung; Wohnort vor der Wende; verglei-
chende Beurteilung (vor der Wende und danach, getrennt in Ost und West gefragt)
des persönlichen Lebensstandards, der Gerechtigkeit der Einkommensverteilung,
der sozialen Sicherheit, des Zusammenhalts der Menschen untereinander und des
Kriminalitätsschutzes für die Bürger; Kenntnis der genauen Anzahl der Bundeslän-
der in der Bundesrepublik; Sympathie-Skalometer für die CDU, CSU, SPD, FDP,
Bündnis 90/Die Grünen, die Republikaner, die PDS und die Schill-Partei; Postmate-
rialismus (Inglehart-Index); psychologische Selbstcharakterisierung; Institutionen-
vertrauen: Vertrauen in den Bundestag, in das Bundesverfassungsgericht, in die
Bundesregierung, in Abgeordnete des Bundestages, die Gerichte, die Polizei, die
Verwaltung, die Kirchen, die Parteien, die Bundeswehr, die Gewerkschaften, in
Umweltschutzgruppen und in Wirtschaftsverbände sowie Arbeitgeberverbände;
Kanzlerpräferenz; Sympathie-Skalometer für die Kanzlerkandidaten Stoiber und
ZA-Information 52 143
Schröder; Einschätzung der Eigenschaften der beiden Kanzlerkandidaten bezüglich
Sympathie, Vertrauenswürdigkeit, Tatkraft und ihrer Vorstellungen zur Ankurbe-
lung der Wirtschaft; politische Partizipation (Skala); Selbsteinstufung auf einem
Links-Rechts-Kontinuum; Vertretenheitsgefühl in ausgewählten Verbänden, Institu-
tionen und Parteien; gesellschaftliche Wertorientierungen (Skala); Zufriedenheit mit
der Bundesregierung; geographische Verbundenheit: Verbundenheit mit der Ge-
meinde, der Region, dem Teilstaat, Deutschland als Ganzem, der EU und Europa
sowie mit der ehemaligen BRD oder DDR vor 1989; Einstufung der Parteien auf
einem Links-Rechts-Kontinuum; Mediennutzung: Lesen von lokalen, regionalen
und überregionalen Tageszeitungen; Nutzung politischer Sendungen im Fernsehen;
Art (beruflich, privat), Häufigkeit und Dauer von Internetnutzung sowie Häufigkeit
der Nutzung politischer Informationen und Aktionen im Internet; Einstellung zur
elektronischen Stimmabgabe im Internet; Anschauen der beiden Fernseh-Debatten
zwischen den Kanzlerkandidaten Schröder und Stoiber und Einschätzung des Ab-
schneidens beider Kandidaten; Einschätzung der Gerechtigkeit der Gesellschafts-
ordnung in der Bundesrepublik; Einschätzung der eigenen Benachteiligung als Mit-
glied einer bestimmten Bevölkerungsgruppe in der Gesellschaft; Wahlverhalten bei
der letzten Bundestagswahl; Extremismusskala: Nationalstolz, Verstaatlichungs-
wunsch für Wirtschaftsunternehmen, Allgemeinwohl vor Verbandsinteressen,
Diktatur als die bessere Staatsform, gute Seiten am Nationalsozialismus, Hitler und
Judenvernichtung, Überfremdung der Bundesrepublik, DDR mit mehr positiven
Seiten, nationalitätenübergreifende Ehen, zu großer Einfluss der Juden, Sozialismus
als gute Idee, Andersartigkeit der Juden und Verständnis für Anschläge auf Asyl-
bewerberheime. Demographie: Geschlecht; Alter: Geburtsmonat und Geburtsjahr;
Wohnort getrennt nach Ost oder West; Staatsangehörigkeit; Staatsangehörigkeit seit
Geburt; Konfession; Kirchgangshäufigkeit; Mitgliedschaften oder Ämter in Bürger-
initiative, Partei, Berufsvereinigung oder Gewerkschaft; Parteineigung; Dauer der
Parteineigung und Parteiidentifikation; Bildung und Schulabschluss; angestrebter
Schulabschluss; berufliche Lehre; Berufstätigkeit; unfreiwilliger Arbeitsplatzwech-
sel oder Arbeitslosigkeit seit 1998; Ausscheiden aus dem Berufsleben seit 1998;
Beschäftigung im öffentlichen Dienst; berufliche Stellung; Familienstand; Zusam-
menleben mit einem Partner; Berufstätigkeit, unfreiwilliger Arbeitswechsel bzw.
Arbeitslosigkeit, Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Haushaltsvorstands so-
wie des Partners; Haushaltsgröße; Anzahl aller Personen und der Personen ab 16
Jahren im Haushalt; Haushaltsnettoeinkommen; Anzahl der zum Gesamteinkom-
men des Haushalts beitragenden Personen; Selbsteinschätzung der Schichtzugehö-
rigkeit; soziale Mobilität; Telefonbesitz. Zusätzlich verkodet wurde: Interviewda-
tum.
144 ZA-Information 52
Grundgesamtheit und Auswahl:
Untersuchungsgebiet: BRD
Es wurden im Rahmen des ADM-Mastersamples zwei repräsentative, mehrstufig
geschichtete, disproportionale Zufallsstichproben gezogen. Gefordert war eine Ver-
teilung der Netto-Interviews von jeweils 1.000 Interviews in den alten und 500 In-
terviews in den neuen Bundesländern in den Vorwahl- sowie den Nachwahlstudien.
Insgesamt wurde pro Stichprobe ein ADM-Netz (210 Sample-points in den alten
Bundesländern plus 48 Sample-points in den neuen Bundesländern) mit einer Auf-
stockung um weitere 48 Sample-points in den neuen Bundesländern gezogen. Wei-
terhin wurden je Netz 20 Sample-points als Reserve für die alten Bundesländer ge-
zogen. Damit ergibt sich folgende Verteilung der Sample-points je Stichprobe:
210 Sample-points West
48 Sample-points Ost
48 Sample-points Ost Aufstockung
20 Sample-points West Reserve
Ziehung von Sample-points:
1. Aus dem Ziehungsband des ADM-Stichprobensystems wurden at random 2 x
326 Sample-points (= Stimmbezirke der Bundestagswahl vom 16.10.1994) ge-
zogen. Für jeden Sample-point sollen sich 8 Bruttochancen, ein Interview zu
erhalten, ergeben
2. Haushaltsauswahl: Die Haushaltsauswahl erfolgte nach dem Random-Route-
Verfahren. Von einem zufällig ausgewählten Startpunkt ausgehend ermittelte
der Interviewer nach festgelegten Begehungsregeln die Befragungshaushalte.
Jeder dritte Haushalt vom Startpunkt her gezählt, wurde für die Befragung
ausgewählt.
3. Zielpersonenauswahl: Im Haushalt wurden zunächst alle dort lebenden Perso-
nen ab 16 Jahren aufgelistet. Daraus wurde durch ein Zufallsverfahren die
Zielperson für die Befragung ausgewählt („Geburtstagsschlüssel“, d.h. es wird
diejenige Person befragt, die als nächste vom Befragungstag aus Geburtstag
hat). Um ein Interview mit der Zielperson zu erhalten, wurde der Zielhaushalt
bis zu viermal kontaktiert
Erhebungsverfahren:
Mündliche Befragung mit standardisiertem Fragebogen
Datensatz:
Anzahl der Einheiten: 3263
Anzahl der Variablen: 331
ZA-Information 52 145
ZA-Studien-Nr.
3065
Querschnitt
n=4.114
ZA-Studien-Nr.
3066
Querschnitt
n=3.337
ZA-Studien-
N
r.
3861
Querschnitt
n=3.263
ZA-Studien-Nr.
3067
Panel
n=2.117
Schriftliche
Befragung
n=1.351
Auffüllung nach
Quoten,
zum Ausgleich der
Panelmortalität
ZA-Studien-Nr.
3064
Kumulierte Quer-
schnitte (aus 1994
und 1998)
1994 1998 2002
Weitere Hinweise:
Der hier dargestellte Datensatz besteht aus 4 Teilerhebungen. Sie setzen sich aus
Vorwahl- und Nachwahluntersuchungen jeweils im Ost- und Westteil der Bundes-
republik zusammen.
Die Erhebungszeiträume im Einzelnen:
Vorwahl: 12. August bis 21. September 2002
Nachwahl: 1. Oktober bis 8. November 2002
Der Fragebogen der Studie wurde in Zusammenarbeit mit der auf informeller Basis
gegründeten Vorbereitungsgruppe "Deutsche Wahlstudie" (DWS) entwickelt.
Übersicht über den Zusammenhang der Datensätze
In dem oben beschriebenen Datensatz 3064 sind die beiden Querschnittsstudien aus
den Jahren 1994 und 1998 (ZA-Studien-Nrn. 3065 und 3066) zu einem kumulierten
Datensatz zusammengefasst.
Die Befragten der 94er Querschnittserhebung bildeten gleichzeitig die erste Welle
der Panelstudie, die mit der zweiten Welle (1998 erhoben) in dem Datensatz zu der
ZA-Studien-Nr. 3067 zusammengefasst ist.
146 ZA-Information 52
Der Alters-Survey
von Martin Kohli1 und Clemens Tesch-Römer2
Der Alters-Survey ist eine breit angelegte repräsentative Untersuchung in Deutsch-
land über die „zweite Lebenshälfte“. Die Studie wird mit Mitteln des Bundesminis-
teriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Die erste
Welle (1996) wurde von der Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (FALL),
Freie Universität Berlin, sowie der Forschungsgruppe Psychogerontologie, Katho-
lische Universität Nijmegen, in Kooperation mit infas Sozialforschung, Bonn,
durchgeführt. Die zweite Welle (2002) wird vom Deutschen Zentrum für Altersfra-
gen (DZA), Berlin, betreut; die Durchführung der Datenerhebung oblag wiederum
infas.
Das Ziel des Alters-Survey war und ist eine umfassende Beobachtung des Alterns-
prozesses der deutschen Bevölkerung. Es geht um die Bereitstellung von Informati-
onsgrundlagen für Politik und gesellschaftliche Selbstverständigung und zugleich
um die Bearbeitung der entsprechenden Forschungslücken. Es war von Anfang an
klar, dass dafür angesichts der Zersplitterung der bisher verfügbaren Daten ein großer
repräsentativer Survey mit einem einheitlichen Erhebungsdesign erforderlich war.
Es gibt in Deutschland bereits eine Reihe von größeren sozialwissenschaftlichen Da-
tensätzen, mit denen die Lebenslagen im Alter beschrieben und Fragen des Alterns
der Gesellschaft bearbeitet werden können. Dazu gehören insbesondere das Sozio-
ökonomische Panel (SOEP), das von den verschiedensten Forschern für eine Vielzahl
von Fragestellungen genutzt wird, und der Wohlfahrtssurvey, dessen Programm in
der gleichzeitigen Messung von objektiven Lebensbedingungen und subjektivem
Wohlbefinden besteht. Weiter sind die großen „Bus“-Befragungen zu nennen: der
Sozialwissenschaften-Bus und der ALLBUS. Einschlägig sind auch die thematisch
spezialisierten Erhebungen, z.B. der Familien-Survey des Deutschen Jugend-Instituts.
1 Dr. Martin Kohli ist Professor am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin, Garystraße
55, 14915 Berlin, Tel. 030-83857651, Fax 030-83857652, E-Mail: kohli@zedat.fu-berlin.de
2 Dr. Clemens Tesch-Römer ist Direktor des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) und
apl. Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität
Berlin, Manfred-von-Richthofen-Straße 2, 12101 Berlin, Telefon: 030- 78604260, Fax: 030-
7854350, E-Mail: tesch-roemer@dza.de.
ZA-Information 52 147
Gegenüber diesen bisher verfügbaren Surveys bringt der Alters-Survey in dreifacher
Hinsicht Neues: durch die Größe und Zusammensetzung seiner Stichprobe, durch
die Konzentration auf die zweite Lebenshälfte und durch die Verbindung von sozio-
logischen und psychologischen Erhebungsinstrumenten.
Stichprobe: Der Alters-Survey basiert auf einer großen, anspruchsvoll angelegten
Repräsentativstichprobe der deutschen Bevölkerung von 40-85 Jahren. Auf dieser
Basis können valide Ergebnisse zur Verbreitung und Bedingungsstruktur von Le-
benslagen und Lebenskonzepten gewonnen werden – auch solcher Dimensionen,
die bisher nur mit lokalen oder nicht-repräsentativen Stichproben untersucht worden
sind. Zugleich ist die Stichprobe (in der ersten Welle 4.838 Befragte) groß genug,
um auch spezielle Subpopulationen noch mit Aussicht auf Erfolg analysieren zu
können. Beispiele dafür sind diejenigen, die im Alter noch an formaler Bildung par-
tizipieren, oder diejenigen, die in altersspezifischen Organisationen oder in selbst-
organisierten Tätigkeiten engagiert sind. Es handelt sich um interessante Gruppen,
die oft viel öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, aber typischerweise eine so gerin-
ge Verbreitung haben, dass sie in konventionellen Repräsentativuntersuchungen
kaum zu erfassen sind.
Konzentration auf die zweite Lebenshälfte: Dass der Alters-Survey nicht die ganze
(erwachsene) Bevölkerung umfasst – obwohl nach dem bekannten Diktum von Max
Bürger das Altern schon bei der Geburt beginnt – hat nicht allein mit Überlegungen
zur Optimierung der Stichprobengröße zu tun, sondern auch mit solchen zur thema-
tischen Ausrichtung. Die Erfassung von Lebenszusammenhängen muss eine gewis-
se Breite haben und läuft damit Gefahr, sich in der Beliebigkeit eines additiven Ka-
talogs von Variablen zu verfransen. Die Ausrichtung auf den Alternsprozess erzeugt
einen thematischen Zusammenhang, der sowohl theoretisch (im Hinblick auf die
gesellschaftliche Altersgliederung und die Veränderungen im Lebenslauf) als auch
empirisch (im Hinblick auf die Institutionen, die das Alter prägen, und die Schwer-
punkte der Lebensführung) begründet ist.
Man könnte mit einer solchen Erhebung unmittelbar der gesellschaftlichen Alters-
gliederung folgen und an der konventionellen Altersgrenze (60 oder 65 Jahre) be-
ginnen. Das würde die Erhebung insofern vereinfachen, als man es bei diesem Ver-
fahren ganz überwiegend mit der Lebenslage des „Ruhestandes“ zu tun hätte. Der
Alters-Survey ist anders angelegt: er schließt die gesamte zweite Lebenshälfte
(ab 40 Jahren) ein. Ein Grund dafür ist der Wunsch, auch die „Alten der Zukunft“
einzubeziehen. Unterstellt wird dabei, dass es neben den Alterseffekten auch erheb-
liche Kohorteneffekte gibt. Das kann in manchen Punkten (z.B. der demographi-
schen Struktur oder der Ausstattung mit Ressourcen wie Einkommen und Bildung)
148 ZA-Information 52
durchaus plausibel gemacht werden, auch wenn eine präzise Trennung zwischen
Alters- und Kohorteneffekten – und damit eine verlässliche Prognose – erst auf der
Basis der Paneluntersuchung möglich sein wird. Ein zweiter Grund ist der Wunsch,
auch den Vorlauf der eigentlichen Altersphase – die Endphase des Erwerbslebens
und den Übergang in den Ruhestand – beobachten zu können, weil darin wesentli-
che biographische Vorbedingungen für die Altersphase geschaffen werden. Drittens
schließlich geht es darum, sich für die Analyse der Vergesellschaftung im Ruhe-
stand hinreichende Vergleichsperspektiven zu öffnen. In der Arbeitsgesellschaft ist
auch der Ruhestand strukturell durch die Abgrenzung zur Erwerbsphase bestimmt.
Für Fragen der gesellschaftlichen Integration, Partizipation und Produktivität im
Alter ist der Vergleich mit der Erwerbsphase unerlässlich.
Auf der anderen Seite bleibt der Alters-Survey auf die Bevölkerung bis 85 Jahre (in
der Panelstichprobe der zweiten Welle bis 91 Jahre) beschränkt. Dies hat hauptsäch-
lich erhebungspraktische Gründe. Im sehr hohen Alter nimmt die Schwierigkeit der
Erreichbarkeit von repräsentativ ausgewählten Befragungspersonen stark zu und
ihre Fähigkeit zum selbstständigen Beantworten des Fragebogens aufgrund ver-
schiedenster Behinderungen ab. Zudem macht der Anteil dieser älteren Menschen in
Privathaushalten einen zunehmend geringeren Teil an der Gesamtbevölkerung aus,
so dass Aussagen über letztere ohnehin nur noch eingeschränkt möglich wären. Die
Begrenzung auf 85 Jahre und die Beschränkung auf Privathaushalte haben für den
Alters-Survey zur Folge, dass die typischen Behinderungen und Gesundheitsrisiken,
die im sehr hohen Alter rasch zunehmen und bei der Bevölkerung in Heimen viel
höher liegen, nur in Ansätzen erfasst werden.
Verbindung von soziologischen und psychologischen Erhebungsinstrumenten: Das
zunehmende demographische Gewicht der älteren Bevölkerungsgruppen erfordert
eine möglichst genaue Kenntnis sowohl ihrer soziologischen wie auch ihrer psycho-
logischen Charakteristika. Der Alters-Survey hat in dieser Verbindung einen
Schwerpunkt. Er umfasst eine gemeinsame Erhebung von Lebenszusammenhängen
und Selbst- und Lebenskonzepten – also eines soziologischen Programms, das sich
insbesondere auf Lebenslagen, Ressourcenflüsse und soziale Einbettung richtet, und
eines psychologischen Programms, das sich auf Fragen der personalen Entwicklung
im Lebenslauf konzentriert. Diese Kombination lässt vielfache interdisziplinäre
Auswertungen zu (die in den bisher vorliegenden Publikationen noch bei weitem
nicht ausgeschöpft werden) und findet ihre theoretische Fundierung in einem
Person-Umwelt-Modell, das aus der Perspektive der beiden Disziplinen zwar nicht
identisch ist, aber doch einen beträchtlichen Schnittbereich aufweist.
ZA-Information 52 149
Die Rolle psychischer Determinanten wurde in der Survey-Forschung bisher nicht
im gleichen Umfang berücksichtigt wie soziologische oder demographische Indika-
toren. Gerade in der Alternsforschung ist dies ein besonderer Mangel. Der Ruhe-
stand kann, solange die Gesundheit und andere Ressourcen es zulassen, unter Um-
ständen einen größeren Spielraum für neue Verhaltens- und Erlebensweisen eröffnen
als die „aktive“ Berufs- und Familienphase. Manche der kanalisierenden Strukturen
des täglichen Lebens in Beruf und Familie – wie sie für die jüngeren und mittleren
Altersgruppen typisch sind – fallen im Ruhestand und in der „empty nest“-Familie
weg. Der Gestaltungsspielraum wächst also; er hängt nicht nur von den äußeren
(sozialen) Strukturen des Alltags und den sie beeinflussenden Bedingungen ab,
sondern auch von den inneren (psychischen) Strukturen.
Für die derzeit laufende zweite Welle wurden die Instrumente der ersten Welle in
weiten Teilen übernommen. Es wurde großer Wert auf die Beibehaltung möglichst
vieler Erhebungsmerkmale gelegt, um (a) individuelle Entwicklungen der Panelteil-
nehmer in den vergangenen sechs Jahren mit Blick auf Veränderungen und Konti-
nuitäten untersuchen und (b) Kohortenvergleiche zwischen den 40- bis 85-Jährigen
des Jahres 2002 mit den 40- bis 85-Jährigen des Jahres 1996 vornehmen zu können.
In Teilbereichen wurden die Instrumente verändert und erweitert: hier sind vor
allem die Bereiche Erwerbstätigkeit und Übergang in den Ruhestand, Familienstand
und Partner, Gesundheit sowie persönliches Netzwerk zu nennen. Außerdem wurde
die Standarddemographie um detailliertere Angaben zu Geschwistern sowie zu
Schulbildung und Berufsausbildung ergänzt. Der Grossteil der Fragen wurde jedoch
unverändert übernommen. Auch der Ablauf der Erhebung und die Erhebungsme-
thoden wurden weitgehend beibehalten, lediglich auf das halboffene Verfahren
„SELE“ (Dittmann-Kohli et al. 2001) zur Erfassung des persönlichen Sinnsystems
wurde verzichtet.
Die zweite Welle des Alters-Survey umfasst drei Stichproben:
1. Alle Befragten, die an der Ersterhebung von 1996 teilgenommen und ihre er-
neute Panelbereitschaft erklärt hatten, wurden erneut kontaktiert. Die Personen,
die 2002 tatsächlich an der Wiederholungsbefragung teilgenommen haben,
bilden die Panelstichprobe (n=1.524). Diese waren zum Zeitpunkt der Befra-
gung (Februar bis September 2002) zwischen 46 und 91 Jahre alt.
2. Zusätzlich wurde – wie 1996 – eine repräsentative Stichprobe der in Privathaus-
halten lebenden Deutschen im Alter von 40 bis 85 Jahren untersucht (Replikati-
onsstichprobe). Um die Vergleichbarkeit der Replikationsstichprobe mit der Ur-
sprungsstichprobe von 1996 zu gewährleisten, erfolgte die Stichprobenziehung in
denselben Gemeinden und entsprechend derselben Schichtungskriterien wie
150 ZA-Information 52
1996, d.h. wiederum disproportional geschichtet nach Alter, Geschlecht und
Region (Ost/West). An der Erstbefragung im Rahmen dieser Replikati-
onsstichprobe nahmen 3.085 Personen (Fallzahl der von infas erhaltenen Da-
tenlieferung) teil.
3. Erstmals wurden – als Neuerung – anhand einer Stichprobe von 593 (Fallzahl
der von infas erhaltenen Datenlieferung) in Privathaushalten lebenden Nicht-
Deutschen3 im Alter von 40 bis 85 Jahren die Lebensumstände der ausländi-
schen Bevölkerung dieses Alters untersucht (Ausländerstichprobe). Damit
trägt der Alters-Survey der Tatsache Rechnung, dass die Generation ausländi-
scher Migranten, die im Zuge der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in
den 1950er und 1960er Jahren nach Deutschland gekommen waren, inzwi-
schen das Rentenalter erreicht hat. Für die Befragung wurden jedoch aus-
schließlich deutschsprachige Fragebögen eingesetzt. Voraussetzung einer er-
folgreichen Teilnahme war daher das Beherrschen der deutschen Sprache bzw.
die Unterstützung durch eine Person, die des Deutschen mächtig ist und Über-
setzungshilfe leisten konnte.
Die Kombination aus Wiederholungsbefragung der Panelteilnehmer und Erstbefra-
gung der Replikationsstichprobe ermöglicht sowohl das Erforschen der individuel-
len Entwicklungen im Prozess des Älterwerdens (Paneluntersuchung) als auch den
Vergleich identischer Altersgruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten anhand der
Gegenüberstellung der Befunde aus der Erstbefragung 1996 mit denen der Erstbe-
fragung 2002 (Kohortenvergleich und Zeitreihenuntersuchung). Damit sind grund-
sätzlich die Voraussetzungen gegeben, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Al-
ternsverlauf aufzuzeigen sowie Alters-, Kohorten- und Testzeiteffekte zumindest
ansatzweise analysieren zu können.
Aus der ersten Welle ist bereits eine große Zahl von Veröffentlichungen entstanden
(vgl. auch die Sammelrezension von Heiner Meulemann in Heft 1/2002 der ZSE
unter dem Titel „Die Wiederentdeckung der Familie als Verwandtschaft“). Eine
umfassende Darstellung der soziologischen Befunde bietet der Band von Kohli und
Künemund (2000), der psychologischen derjenige von Dittmann-Kohli et al.
(2001). Eine breite Übersicht über die Daten liegt mit dem Band von Kohli et al.
(2000) vor. Weitere soziologische Veröffentlichungen sind auf der Web page der
Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf dokumentiert (www.fall-berlin.de); dort
3 Der Begriff Nicht-Deutsche wird verwendet, da Personen mit ausländischer Staatsangehörig-
keit, die zugleich die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in der Erhebung zu den Deutschen
gezählt werden. Die Stichprobe der Nicht-Deutschen wird dennoch im Folgenden aus Gründen
der Einfachheit als „Ausländerstichprobe“ bezeichnet.
ZA-Information 52 151
kann auch das Erhebungsinstrument der ersten Welle (Dittmann-Kohli et al. 1997)
als pdf-Datei heruntergeladen werden. Über die zweite Erhebungswelle informiert
das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) (www.dza.de). Publikationen zu den
2002 erhobenen Daten der zweiten Welle liegen bisher noch nicht vor. Eine kom-
mentierte Dokumentation der in der zweiten Welle des Alters-Survey zum Einsatz
gekommenen Instrumente findet sich jedoch in Tesch-Römer et al. (2002) und kann
beim DZA bestellt oder als pdf-Datei heruntergeladen werden. Der Beitrag von
Hoff et al. (2002) gibt einen Überblick über den theoretischen Hintergrund und die
Ziele des Alters-Survey im Hinblick auf die gerontologische Längsschnittforschung
und die politikberatende Funktion einer Alterssozialberichterstattung im Längs-
schnitt.
Die Daten der ersten Welle – mit Ausnahme der SELE-Daten – stehen für wissen-
schaftliche Sekundäranalysen beim Zentralarchiv für empirische Sozialforschung
(Köln) zur Verfügung (Studiennummer 3264). Die Daten der zweiten Welle werden
dem Zentralarchiv voraussichtlich ab Ende 2004 vorliegen.
Literatur:
Dittmann-Kohli, Freya, Martin Kohli, Harald Künemund, Andreas Motel, Christina Steinleitner und
Gerben Westerhof in Zusammenarbeit mit infas Sozialforschung (1997): Lebenszusammenhänge, Selbst-
und Lebenskonzeptionen – Erhebungsdesign und Instrumente des Alters-Survey. Forschungsgruppe Altern
und Lebenslauf (FALL), Forschungsbericht 61. Berlin: Freie Universität.
Dittmann-Kohli, Freya, Christina Bode und Gerben J. Westerhof (Hrsg.) (2001): Die zweite Lebenshälfte -
Psychologische Perspektiven. Ergebnisse des Alters-Survey. Schriftenreihe des BMFSFJ 195. Stuttgart:
Kohlhammer.
Kohli, Martin und Harald Künemund (Hrsg.) (2000): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und
Partizipation im Spiegel des Alters-Survey. Opladen: Leske + Budrich.
Kohli, Martin, Harald Künemund, Andreas Motel und Marc Szydlik (2000): Grunddaten zur Lebenssituation
der 40-85jährigen deutschen Bevölkerung. Ergebnisse des Alters-Survey. Berlin: Weißensee.
Tesch-Römer, Clemens, Susanne Wurm, Andreas Hoff und Heribert Engstler (2002): Die zweite Welle des
Alterssurveys: Erhebungsdesign und Instrumente. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Diskussions-
papier Nr. 35).
Hoff, Andreas, Clemens Tesch-Römer, Susanne Wurm und Heribert Engstler (2002): „Die zweite Le-
benshälfte“: Längsschnittliche Konzeption des Alterssurveys. In: Karl, Fred (Hrsg.). Sozial- und verhaltenswis-
senschaftliche Gerontologie. Weinheim: Juventa (im Druck).
Nachfolgend die Beschreibung des ausleihbaren Datensatzes dieser Studie.
152 ZA-Information 52
Alters-Survey - Lebenszusammenhänge, Selbst- und Lebenskonzeptionen
ZA-Studiennummer: 3264
Erhebungszeitraum: Januar 1996 bis Juni 1996
Primärforscher:
F. Dittmann-Kohli, Forschungsgruppe Psychogerontologie, Katholische Universität
Nijmegen M. Kohli, Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (FALL), Freie Uni-
versität Berlin
Datenerhebung: infas Sozialforschung, Bonn
Inhalt:
Lebenssituation, berufliche Karriere und derzeitige Situation, Generationenbezie-
hungen und Transfers, Wohnsituation, Freizeitverhalten, Unterstützungsnetzwerke,
finanzielle Lage, Übergang in den Ruhestand, Lebenszusammenhänge, Selbstkon-
zeptionen und Lebenskonzeptionen 40-85jähriger Menschen in Deutschland.
Themen: 1. Mündliches Interview: Geschlecht; tatsächliches und gefühltes Alter;
aufgewachsen bei den Eltern; Hauptbezugspersonen in der Kindheit bis 16 Jahren
und Angaben zu zwei dieser Hauptbezugspersonen (Alter, Geschlecht, Wohnsituati-
on, Kontakthäufigkeit, Dauer des Zusammenlebens mit der Bezugsperson im selben
Haushalt oder Entfernung der Hauptbezugspersonen zum Befragten, Einschätzung
der Verbundenheit zu den Hauptbezugspersonen, deren Erwerbstätigkeit, berufliche
Stellung und Beruf); Geschwisterzahl; Schulabschluss; Ausbildung; Zeitpunkt der
ersten hauptberuflichen Erwerbstätigkeit; berufliche Stellung und Tätigkeit bei erster
Erwerbstätigkeit; Rente oder Anspruch auf Rente; Erwerbstätigkeit und derzeitige
berufliche Stellung; Arbeitszeit; geplanter Zeitpunkt des Ausstiegs aus der
Erwerbstätigkeit.
Personen im Ruhestand wurden gefragt: Gründe für Erwerbstätigkeit im Ruhestand
(Skala); Zeitpunkt des ersten Renten- oder Pensionsbezugs; Erwerbstätigkeit und
berufliche Stellung unmittelbar vor dem Ruhestand; Art der Vorruhestandsregelung;
Gründe für Teilzeiterwerbstätigkeit; Gründe für ein Beenden der hauptberuflichen
Erwerbstätigkeit; Leitungsfunktion; Gründe für Inanspruchnahme von Teilrente;
Dauer der gesamten Erwerbstätigkeit; Einschätzung der Lebenszufriedenheit im
Ruhestand bzw. Veränderung der Lebenszufriedenheit durch zehn Jahre Ruhestand
und Einschätzung der Veränderung der Lebenszufriedenheit durch den Übergang
in den Ruhestand sowie Einschätzung der zukünftig erwarteten Veränderung der
Lebenszufriedenheit im Ruhestand.
ZA-Information 52 153
Erwerbstätige wurden gefragt: Wunsch nach einer Änderung der Arbeitszeit; Ab-
sicht, eine Erwerbstätigkeit im Ruhestand auszuüben; Bewertung der derzeitigen
beruflichen Situation, in den letzten zehn Jahren und für die Zukunft; Erwartung,
wie sich das Leben beim Eintritt in den Ruhestand verändert.
Nicht-Erwerbstätige wurden gefragt: Dauer von Arbeitslosigkeit; Wunsch nach ei-
ner Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit; Beginn und Art eines Vorruhestands
sowie Zufriedenheit mit dem Zeitpunkt des Aufhörens; finanzielle Zuwendungen
vom letzten Arbeitgeber; Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente und Berufsunfähig-
keitsrente; berufliche Position; Wochenarbeitszeit.
Familienstand und Partnerschaft: Alter des Partners; Dauer der Partnerbeziehung;
Schulabschluss, Ausbildung, Erwerbstätigkeit, berufliche Stellung, Arbeitszeit, be-
rufliche Position, Leitungsfunktion und Arbeitslosigkeit des Partners; Bewertung
der aktuellen Partnerschaft; Einschätzung der Veränderung der Partnerschaft in den
letzten zehn Jahren und in Zukunft; Zusammenleben mit einem Partner; Partnerver-
lust; Bewertung der Lebenssituation ohne Partner; Wunsch nach einem Partner;
Wahrscheinlichkeit, einen neuen Partner zu finden; Angst vor dem Alleinsein.
Kinder: Kinderzahl; Geschlecht und Alter der Kinder; Status der Kinder (leiblich,
vom Partner, adoptiert oder Pflegekinder); Anzahl der Enkelkinder und Urenkel;
Tod von Kindern; für die ersten max. 4 lebenden Kinder: schulische und berufliche
Ausbildung der Kinder; Erwerbstätigkeit, berufliche Stellung und Familienstand der
Kinder; Kontakthäufigkeit zu den Kindern; Wohnsituation der Kinder (noch im
Haushalt oder in eigener Wohnung, Auszugszeitpunkt); Verbundenheit mit den
Kindern.
Verwandtschaft und Beziehung: weitere lebende Verwandte; Bewertung der eige-
nen Beziehung zur Familie; Einschätzung der Veränderung dieser Beziehung in den
letzten zehn Jahren sowie Erwartung für die Zukunft.
Haushaltszusammensetzung und Wohnen: Anzahl, Geschlecht und Verwandt-
schaftsgrad oder Bekanntschaftsgrad der Personen im Haushalt; Dauer und Arbeits-
zeitaufwand für die Pflege von Haushaltsmitgliedern; Geburtsland; Wohnort der
letzten 40 Jahre; Wohndauer am Wohnort und in der Wohnung; Bewertung der
Wohnsituation; Bewertung der Veränderung der Wohnsituation in den letzten zehn
Jahren und erwartete Veränderungen in der Zukunft; Wohnstatus; Zimmerzahl in
der Wohnung; Miethöhe und Mietnebenkosten; Höhe von Darlehen und Hypothe-
ken für die Wohnung; Art des Erwerbs der Wohnung.
154 ZA-Information 52
Freizeit und ehrenamtliches Engagement: Bewertung des eigenen derzeitigen Freizeit-
verhaltens und Bewertung der Veränderung des eigenen Freizeitverhaltens in den letz-
ten zehn Jahren sowie erwartete Veränderungen in der Zukunft; Vereinsmitgliedschaft
und andere Gruppenmitgliedschaften (z.B. Parteien, Gewerkschaften, wohltätige Or-
ganisationen, Sportvereine, religiöse Gruppe); Teilnahmehäufigkeit an Veranstaltun-
gen dieser Gruppen; Zeitaufwand für Funktionen oder Ehrenamt im Verein oder einer
Gruppe; weitere Funktionen (z.B. Elternvertreter oder Nachbarschaftshilfe); Absicht,
zukünftig in anderen Gruppen tätig zu werden; Tätigkeiten in privaten Personenkrei-
sen und Häufigkeit des Treffens; zeitlicher Aufwand für die Betreuung von Enkel-
kindern und von Kindern der Nachbarschaft und Freunden; Häufigkeit des Ausübens
verschiedener Freizeittätigkeiten (wie Sport, spazieren gehen, künstlerische Tätigkeit,
Gesellschaftsspiele und Weiterbildung) mit oder ohne Anwesenheit anderer Perso-
nen; Häufigkeit von Hausarbeit, Handarbeit, Heimwerkerarbeit, Computerspielen,
Denksportaufgaben, Gartenarbeit, Freundeskontakten und politischer Partizipation.
Gesundheit: Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands; Bewertung der Verände-
rung der eigenen Gesundheit in den letzten zehn Jahren und erwartete zukünftige
Veränderungen; gesundheitliche Einschränkungen und Hilfsbedürftigkeit bei alltäg-
lichen Aufgaben; präferierte Wohnsituation bei zukünftig stärkerer Hilfsbedürftig-
keit (z.B. Seniorenheim, zu Hause).
Soziales Netzwerk: Geschlecht, Alter, Beziehung und Dauer der Beziehung zu den
wichtigsten Freunden und Bekannten; Bewertung des Verhältnisses zu Freunden
und Bekannten; Bewertung der Veränderung dieses Verhältnisses in den letzten
zehn Jahren sowie erwartete zukünftige Veränderungen; Vertrauenspersonen bei
wichtigen Entscheidungen; Häufigkeit des Einholens und Gebens von Ratschlägen
bei wichtigen Entscheidungen; emotionale Bezugspersonen; Häufigkeit emotionaler
Zuwendung von anderen und an andere; freiwillige Hilfstätigkeiten bei Personen,
die nicht im Haushalt leben; Annahme von Hilfeleistungen von Personen, die nicht
im Haushalt leben; Wunsch nach mehr Hilfe und Unterstützung; Personen, die Sor-
gen oder Kummer bereiten.
Finanzen: Art und Höhe von finanziellen Zuwendungen und Sachgeschenken an
andere Personen und von anderen Personen; Schenkung von großen Geldbeträgen
und Sachwerten vor 1995; Einkommen; Bewertung des eigenen Lebensstandards
und Bewertung der Veränderung des Lebensstandards in den letzten zehn Jahren so-
wie erwartete zukünftige Veränderung; Bereitschaft, an einer Wiederholungsbefra-
gung teilzunehmen.
ZA-Information 52 155
Interviewerrating: Urbanisierungsgrad; Entfernung zur nächsten Großstadt; über-
wiegende Gebäudeart in der Straße; Haustyp; Einschätzung der Wohnlage; Zustand
des Wohnumfeldes; Zustand des Wohnhauses; Fahrstuhl oder Treppen zur Woh-
nung; Gesamteindruck der Wohnung (hell, gepflegt, geräumig, gute Ausstattung).
2. Schriftliches Interview: Lebenszufriedenheit (Skala); Einstellung zum Älter-
werden bei Aktivitäten und sozialen Kontakten (Skala); Wichtigkeit verschiedener
Lebensbereiche (z.B. Familie, Beruf und Arbeit, Wohnung, Freizeit, Religion und
Kirche, Gesundheit, politische Einflussnahme, Entwicklung der eigenen Persönlich-
keit); Selbsteinschätzung, wie gut Probleme bewältigt, Schwierigkeiten überwunden
und selbst gesteckte Ziele erreicht werden; Angabe von landes- und weltpolitischen
Ereignissen oder Veränderungen, die als besonders prägend für das eigene Leben
angesehen werden; besonders prägende persönliche Ereignisse und Veränderungen;
Politikinteresse; Parteineigung; Einstellungen zum Verhältnis von Alt und Jung
(Skala); Einstellungen zur sozialen Sicherung und Rente (Skala); Einschätzung des
eigenen Einflusses auf verschiedene Lebensbereiche (Partnerschaft, Familie,
Freundschaften, Bekanntschaften, Freizeit, Gesundheit, Lebensstandard, Wohnen,
Beruf bzw. Rente); präferierte Tätigkeiten und Gründe dafür; Zeit, die an Werktagen
außer Haus verbracht wird; Häufigkeit von ganztägigem Aufenthalt zu Hause; tägliche
Fernsehdauer; präferierter Sendungstyp im Fernsehen; präferierte Lektürethemen;
Konfession; Kirchgangshäufigkeit; Begleitpersonen bei Reisen; Häufigkeit der Be-
schäftigung mit Hobbies und Jahr des Beginns mit diesen Hobbies; Haustiere; Ein-
stellung zum Älterwerden bezüglich der allgemeinen Lebensveränderungen und
bezüglich der individuellen Veränderungen (Skala); eingeschätzte Belastung durch
verschiedene Umstände und Lebensbereiche (Hausarbeit, berufliche Situation, Verein-
barkeit von Beruf und Familie, Pflegetätigkeit, Unterstützung und Hilfe für andere,
Einmischung von anderen Menschen in das eigene Leben, Konflikte mit anderen);
Einschätzung der eigenen sozialen Beziehungen; Einstellung zu gesellschaftspoliti-
schen Themen (z.B. politische Führungsstärke, Einwanderungspolitik, Sterbehilfe,
soziale Gerechtigkeit); Krankheiten und Ausmaß der damit verbundenen Beschwerden;
Höhe von Erbschaften und Personen, von denen sie hinterlassen wurden; erwartete
Erbschaften und Höhe des Geldwertes dieser Erbschaften; Beurteilung persönlicher
Veränderungen, die durch den Zusammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung
hervorgerufen wurden; Ausstattung der Wohnung; Alter des Hauses, in dem die
Wohnung liegt; Immobilieneigentum des Befragten oder des Partners; eigener
Schrebergarten, Datsche oder Wohnwagen an festem Stellplatz; Einschätzung der
Qualität, der Infrastruktur und der emotionalen Bindung an die eigene Wohngegend;
Autobesitz; genutzte Verkehrsmittel; Verbundenheit zu den Nachbarn; Wünsche für
eine Verbesserung der Wohnung; Pläne, die Wohnsituation zu ändern; Selbstein-
schätzung des emotionalen Befindens in den letzten Monaten (Skala); eigene (oder
156 ZA-Information 52
vom Partner) Lebensversicherung; Höhe und Zweck von angespartem Geld; Höhe
des gesamten Vermögens (einschließlich das des Partners); Zweck der in den letzten
zwölf Monaten erfolgten Benutzung von angespartem Geld und Höhe des verwen-
deten Betrages; Höhe von Verschuldungen; Haushaltseinkommen und Einkommens-
quellen sowie erhaltene Transferleistungen; Einstellung zur eigenen Unterstützung
von Angehörigen (Skala); eingeschätzter Beginn des Altseins im Allgemeinen;
bestehende Konflikte mit Familienangehörigen und Alter dieser Personen, konkrete
Ausprägung dieses Konflikts und Besuch einer Beratungsstelle wegen dieses Kon-
flikts bzw. Gründe für das Nichtaufsuchen einer Beratungsstelle; Einschätzung, ob
Konflikte zwischen Gleichaltrigen und Intergenerationenkonflikte verschieden sind
und Gründe für diesen Unterschied (Skala).
Grundgesamtheit und Auswahl:
Untersuchungsgebiet: BRD
Wohnbevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit der Geburtsjahrgänge 1911
bis 1956, nur Privathaushalte; Melderegisterstichprobe, disproportionale Stich-
probenziehung nach den Merkmalen Alter, Geschlecht und Region (Ost/West).
Erhebungsverfahren:
Mündliche und schriftliche Befragung mit standardisiertem Fragebogen
Datensatz:
Anzahl der Befragten: 4838
Anzahl der Variablen: 1289
Weitere Hinweise:
Die schriftliche Befragung wurde in Form eines drop-off nach der mündlichen
Befragung durchgeführt.
ZA-Information 52 157
Shell Jugendstudie 2002: Der Datensatz zum Buch
Die Shell Jugendstudie 2002 ist jetzt im Zentral-
archiv ausleihbar. Sie ist unter der ZA-Studien-
Nr.: 3694 archiviert und steht – wie die übrigen
Shell Jugendstudien – der wissenschaftlichen Öf-
fentlichkeit für weitere Analysen zur Verfügung.
Erhebungszeitraum: März 2002 bis April 2002
Primärforscher:
K. Hurrelmann, Fakultät für Gesundheitswissen-
schaften, Universität Bielefeld
M. Albert, Fakultät für Soziologie, Universität
Bielefeld
Infratest Sozialforschung, München
Jugendwerk der Deutschen Shell, Hamburg
Datenerhebung: Infratest Sozialforschung,
München
Inhalt:
Wertvorstellungen, Interessen, Wünsche und Gesellschaftsverständnis von Jugendlichen.
Themen: Was ist "in" und was ist "out"; persönliche Zukunftserwartung und gesell-
schaftliche Zukunftssicht; Einstellung zu ausgewählten gesellschaftlichen Problemen
und politischen Tagesfragen; Freizeitaktivitäten; Mobiltelefonbesitz; Internetzugang
und wöchentliche Nutzungsdauer; Politikinteresse; Nutzung politischer Sendungen
im Fernsehen; Wahlbeteiligungsabsicht bei der nächsten Bundestagswahl; Einstellung
zur Herabsetzung des Wahlalters für Bundestagswahlen auf 16 Jahre; Einstellung zu
einer Jugendquote in Analogie zur Frauenquote; Selbsteinschätzung auf einem
Links-Rechts-Kontinuum; kompetenteste Partei; Vertrauen in Institutionen und
Organisationen; erfahrene Benachteiligung aufgrund sozialer und biologischer
Merkmale; Politikverdrossenheit und Demokratie-Normen (Skalen); Einstellung
zum NPD-Verbot; soziales, politisches und gesellschaftliches Engagement; Funktion
als Klassensprecher; Ausländerkontakte; Einstellung zum Ausländerzuzug; Demo-
kratiezufriedenheit; Demokratie als Staatsform oder Präferenz für eine andere Al-
ternative; zukünftige gesellschaftliche Aufgabenfelder; Einstellung gegenüber be-
sonderen Bevölkerungsgruppen; Einstellung zum technischen Fortschritt; Wertori-
entierungen und Wichtigkeit für die Lebensgestaltung (Skala); politische Einstel-
158 ZA-Information 52
lungen: Rolle Deutschlands in der Welt, Zusammenarbeit mit den USA in der
Sicherheitspolitik, internationale Bundeswehreinsätze, Abschaffung der Wehrpflicht,
europäische Integration und Osterweiterung der EU; Einstellung zur Globalisierung
und zu Entwicklungsländern (Skalen); Einstellungen zum Leben (Skala); Stellen-
wert von Familie; Einstellung zur Heirat; Grundvertrauen zu den Mitmenschen;
feste Partnerschaft und Zugehörigkeit zu einer festen Gruppe oder Clique; eigene
Meinungsführerschaft in der Gruppe und Beliebtheit; Art der gewaltsamen Ausei-
nandersetzungen, in die der Befragte im letzten Jahr verwickelt war.
Demographie: Alter (Geburtsjahr); Geschwister; Staatsangehörigkeit; eigene Kinder
und Kinderwunsch; Konfession; Schulbildung; Versetzung; Bildungsaspiration;
Wohlfühlen in der Schule und Schulstress; Nachhilfeunterricht; Berufsausbildung;
Kenntnis einer Fremdsprache; Erwerbstätigkeit; berufliche Stellung; unzureichende
schulische Qualifikation für den Wunschberuf; Ausbildungszufriedenheit, Arbeits-
zufriedenheit bzw. Studienzufriedenheit; leistungsgerechte Entlohnung; Sicherheit,
den angestrebten Schulabschluss bzw. den Wunschberuf zu erreichen; Jobben in der
Freizeit und Wochenstundenzahl; Wehrdienst, Zivildienst oder freiwilliges Soziales
bzw. Ökologisches Jahr; abgeleistet bzw. präferierte Dienstform; Selbsteinschät-
zung der eigenen finanziellen Situation und Vergleich dieser mit der von Freunden;
familiärer Hintergrund: Eltern verstorben, getrennt lebend und in gemeinsamer
Wohnung mit dem Befragten lebend; Konflikte der Eltern untereinander; Bildungs-
niveau der Eltern; Einschätzung von Politikinteresse und Buchbesitz der Eltern;
Strenge der Erziehung und Übernahme des Erziehungsstils der Eltern; Auszug aus
dem Elternhaus; Wohnstatus der Eltern; Haushaltsgröße; Haushaltseinkommen;
Einkommenszufriedenheit.
Grundgesamtheit und Auswahl: Untersuchungsgebiet: BRD
Quotenauswahl von Jugendlichen nach folgenden Quotierungsmerkmalen: Alters-
gruppen: 12 bis 14 Jahre, 15 bis 17 Jahre, 18 bis 21 Jahre und 22 bis 25 Jahre, diffe-
renziert nach Geschlecht; Statusgruppen: Hauptschüler, Realschüler, Gymnasiasten,
Studierende, in Berufsausbildung/Erwerbstätige, Arbeitslose/sonstige Nichterwerbs-
tätige, außerdem nach Bundesländern und regionalen Siedlungsstrukturtypen (9 BIK-
Siedlungsstrukturtypen).
Erhebungsverfahren: Mündliche Befragung mit standardisiertem Fragebogen (CAPI)
Veröffentlichung:
Deutsche Shell (Hrsg.): Hurrelmann, Klaus; Albert, Mathias; Infratest Sozialfor-
schung: Jugend 2002: Zwischen pragmatischem Idealismus und robustem Materia-
lismus. 14. Shell Jugendstudie. Frankfurt: Fischer 2002.
ZA-Information 52 159
Das Beschäftigtenpanel der Bundesanstalt für Arbeit 1
von Iris Koch und Holger Meinken 2
1 Einleitung
Die Nachfrage nach detaillierten Informationen zum Arbeitsmarkt hat in den letzten
Jahren ständig zugenommen, und sie bezieht sich nicht mehr nur auf die regelmäßig
von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erstellten statistischen Materialien und Son-
derauswertungen. Vielmehr wird von Forschern ein erleichterter Zugang zu Einzel-
daten gewünscht, der dann differenzierte eigene Analysen auf der Mikroebene
ermöglicht. Im Bereich Statistik der BA-Hauptstelle wird deshalb seit 1999 ein
Forschungsvorhaben bearbeitet, in dessen Rahmen die Bereitstellung von anonymi-
sierten Mikrodaten zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen vorbereitet
und durchgeführt wird. Dieses Vorhaben steht in der Entwicklungslinie der von der
Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissen-
schaft und Statistik (KVI) verfolgten Bestrebungen, den Zugang zu den Daten der
statistischen Ämter und der sonstigen öffentlichen Datenproduzenten grundsätzlich
zu verbessern (KVI 2001).
Da die fraglichen Einzeldaten der Beschäftigungsstatistik dem Sozialdatenschutz
des Sozialgesetzbuches (SGB) unterliegen, dürfen nicht die “Originaldaten”, son-
dern lediglich anonymisierte Datensätze an externe wissenschaftliche Einrichtungen
übermittelt werden. Es waren daher zunächst entsprechende Anonymisierungs-
verfahren zu entwickeln und zu prüfen, bevor an eine Datenübermittlung gedacht
werden konnte. Mittlerweile sind die Arbeiten jedoch so weit gediehen, dass eine
Weitergabe der anonymisierten Daten über das Zentralarchiv erfolgen kann.
1 Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wird mit Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 07SWF50 gefördert und trägt den Titel
“Zusammenarbeit der Bundesanstalt für Arbeit mit externen Forschern auf dem Gebiet der Ar-
beitsmarktstatistik”.
2 Iris Koch und Holger Meinken sind wissenschaftliche Mitarbeiter im Referat Beschäftigungs-
statistik der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. E-Mail: iris.koch@arbeitsamt.de,
holger.meinken@arbeitsamt.de
160 ZA-Information 52
Der als Panel aufgebaute Datensatz zu sozialversicherungspflichtigen Beschäfti-
gungen ist unter der ZA-Studien-Nr. 3887 für Zwecke der Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung verfügbar. Die Grundlage des Panels bilden Stichproben aus den
Quartalsdaten der Beschäftigungsstatistik der Jahre 1998-2002. Die Einzelangaben
zu den Beschäftigungsverhältnissen wurden anonymisiert und zu einem Scientific
Use File aufbereitet. In diesem Datensatz sind einerseits alle wesentlichen melde-
pflichtigen Individualmerkmale der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und
andererseits einige zusätzliche Merkmale zu den jeweiligen Beschäftigungsbetrie-
ben enthalten. Beginnend mit dem 1. Quartal 1998 beinhaltet das Panel gegenwärtig
18 Wellen mit je ca. 600.000 Beschäftigten (einschließlich der geringfügig Beschäf-
tigten). Das Beschäftigtenpanel wird zukünftig einmal jährlich aktualisiert bzw. er-
gänzt.
2 Datenquellen
Die vorrangigen Datenquellen des Panels sind die Quartalsdaten der Beschäfti-
gungsstatistik der BA. Die Quartalsdaten resultieren aus Informationen, die das
Meldeverfahren zur Sozialversicherung liefert. Im Meldeverfahren werden Angaben
zu allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bundesgebiet erhoben,
unabhängig davon, ob eine Beschäftigung nur einen Tag oder mehrere Jahre dauert.
Das Meldeverfahren besteht in seinen Grundzügen seit 1973 und wurde zuletzt
1999 geändert (Neidert 1998).
Die Meldung der einzelnen Beschäftigungen erfolgt vom jeweiligen Arbeitgeber.
Die Betriebe haben innerhalb bestimmter Fristen ihre Meldungen über die sozial-
versicherungspflichtig beschäftigten Personen an die Sozialversicherungsträger
abzugeben, soweit für die Beschäftigten die Meldetatbestände vorliegen. Ein neu
begründetes Beschäftigungsverhältnis muss durch den Arbeitgeber mit einer
Anmeldung an die Träger der Sozialversicherung mitgeteilt werden. Sofern ein Be-
schäftigungsverhältnis beim gleichen Arbeitgeber ununterbrochen besteht, hat der
Arbeitgeber nach Ablauf eines Kalenderjahres eine so genannte Jahresmeldung mit
der Angabe des sozialversicherungspflichtigen Bruttojahresentgelts zu erstatten.
Endet das Beschäftigungsverhältnis, hat der Arbeitgeber eine Abmeldung mit An-
gaben zum rechtlichen Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem bis dahin
erzielten Bruttoentgelt vorzulegen. Damit ist ein Beschäftigungszeitraum mit dem
darin erzielten Bruttoentgelt durch Jahresmeldungen lückenlos nachgewiesen, ein
Beschäftigungsende kann aus der Abmeldung eindeutig abgeleitet werden. Diese
Meldungen werden von der BA entgegengenommen und statistisch ausgewertet.
So werden diese Meldungen beispielsweise ausgewertet, um den Bestand an Be-
ZA-Information 52 161
schäftigungen zu den jeweiligen Quartalsstichtagen (31.3., 30.6., 30.9., 31.12.) zu
ermitteln.
Zur Sicherstellung der Qualität des übermittelten Datenmaterials ist von den Trä-
gern der Sozialversicherung ein gemeinsames Prüfungsprogramm entworfen wor-
den, das sowohl von den Krankenkassen als auch von den Rententrägern bei Entge-
gennahme der Meldedaten eingesetzt wird. Die Datenprüfungen beschränken sich
weitgehend auf die versicherungsrechtlich entscheidenden Angaben zur Versiche-
rungsnummer, zu den Adressangaben, zu den angegebenen Beschäftigungszeiten
und zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt. Die darüber hinaus in der Meldung
enthaltenen soziodemographischen Angaben werden einer knappen formalen Prü-
fung unterzogen.
Die Vorteile des Datenmaterials der Beschäftigtenstatistik der BA lassen sich recht
gut durch einen Vergleich mit Umfragedaten verdeutlichen. Aufgrund des gesetzlich
geregelten Meldeverfahrens weisen die prozessproduzierten Sozialversicherungsdaten
nicht die Einschränkungen auf, die bei Umfragedaten üblicherweise vorkommen. So
sind insbesondere die Angaben zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt und zur
Beschäftigungszeit als sehr zuverlässig anzusehen, weil jeder Beschäftigte eine Ko-
pie jeder Meldung vom Arbeitgeber erhält. Damit ist im Verfahren selbst eine Kon-
trolle der Meldeangaben durch den Beschäftigten enthalten. Gerade bezüglich des
Entgelts und der Beschäftigungszeiten sind die Angaben nicht von den typischen
Mängeln der Umfragedaten zu diesem Themenbereich wie Erinnerungsfehlern,
Antwortverweigerungen oder bewussten Falschangaben behaftet. Die bestehende
Meldepflicht sorgt für einen zuverlässigen Datenfluss, so dass auch die Probleme
wie z. B. Befragungsausfall und Antwortverweigerungen vernachlässigbar sind.
Insbesondere für die Längsschnittperspektive besitzen die Daten den Vorzug, dass
keine Beobachtungseinheiten wegen Teilnahmeverweigerung, Wohnortwechsel,
zeitweiliger Abwesenheit o. ä. ausfallen. Die Ausfälle beschränken sich bei den vor-
liegenden Daten lediglich auf Beschäftigte, die vorübergehend oder endgültig aus
einer Beschäftigung ausgeschieden sind. Dafür rücken allerdings auch neue Perso-
nen nach, nämlich jene, die erstmalig oder erneut eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung aufnehmen.
Durch die gesetzliche Grundlage des Meldeverfahrens fallen für ca. 75-80 % aller
Erwerbstätigen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Jahres Meldedaten
an, die in der BA für statistische Zwecke verarbeitet werden. Damit stellen die
Beschäftigtendaten eine einzigartige Grundlage für Auswertungen zu erwerbs-
statistischen Fragestellungen dar. Gleichzeitig ermöglichen die Meldedaten eine
162 ZA-Information 52
Verknüpfung mit dem Datenmaterial aus anderen Geschäftsbereichen der Arbeits-
verwaltung.
Der offenkundige Vorteil der Meldedaten ist darin begründet, dass es sich bei ihnen
um eine Vollerhebung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten handelt. Da-
mit können die Stichproben aus den Beschäftigtendaten, wie z.B. das Beschäftigten-
panel, hinsichtlich ihrer Abbildungstreue geprüft werden. Aufgrund der Kenntnis
der Verteilung einzelner Merkmale in der Grundgesamtheit (aller sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten), lässt sich für etwaige Stichproben leicht prüfen, ob
ihre Merkmalsverteilungen signifikant von denen der Grundgesamtheit abweichen.
Als Nachteile der Beschäftigtendaten wären der geringe Merkmalsumfang und der
geringe Differenzierungsgrad innerhalb einzelner Merkmalsdimensionen zu nennen.
Dies kann als spezifisches Charakteristikum für sekundärstatistisches Datenmaterial
angesehen werden, das auf der Grundlage sehr großer Erhebungsgesamtheiten ent-
standen ist.
Ebenfalls als nachteilig einzuschätzen ist die meldetechnisch bedingte und unver-
meidbare Verzögerung des Dateneingangs mit ihren negativen Auswirkungen für
aktuelle Auswertungen. Aktuellste Auswertungen basieren auf einer Wartezeit von
sechs Monaten bezogen auf den jeweiligen Quartalsstichtag. Wenngleich damit im
Regelfall ca. 90 % der jeweiligen Meldungen erfasst werden und recht zuverlässige
Ergebnisse liefern, bleibt für die amtlichen Daten doch ein Vorläufigkeitsbehalt be-
stehen. Kommen dann noch Verfahrensumstellungen - wie jüngst beim Meldever-
fahren - oder nachträgliche Prüfbedarfe bei den zuständigen Versicherern hinzu,
dann können auch längere Wartezeiten entstehen.
Zu den wesentlichen Neuerungen im Meldeverfahren ab 1999 zählen die Einführung
der Meldepflicht für geringfügige Beschäftigungen, die verschiedenen Regelungen
zu Altersteilzeit und Vorruhestand, die Neuregelung der dualen Berufsausbildung
oder die mit der Einführung der Pflegeversicherung verbundenen Tätigkeiten. Im
Meldeverfahren haben sich diese Veränderungen sowohl durch die Erweiterung der
eine Meldung auslösenden Sachverhalte als auch durch die Veränderung der zu
meldenden Merkmale niedergeschlagen.
Aus dem Datenmaterial der Meldungen wird der Bestand an sozialversicherungs-
pflichtig und geringfügig Beschäftigten zu den vier Quartalsstichtagen eines Jahres
ermittelt. Dazu wird durch ein umfangreiches Abfrageschema die letzte beschäfti-
gungsanzeigende Meldung aus den Meldungen des einzelnen Versicherten gezogen
und geprüft, ob die betreffende Person zum Quartalsstichtag sozialversicherungs-
pflichtig beschäftigt war oder nicht. Aus den eigentlichen Meldedaten wird also eine
ZA-Information 52 163
Querschnittinformation generiert. Den resultierenden Datensatz nennt man Quar-
talsdatei. Aus diesen Quartalsdateien werden dann die Stichproben des Beschäftigten-
panels gezogen.
Zur Erweiterung des Informationsgehaltes werden außerdem noch Merkmale der
jeweiligen Beschäftigungsbetriebe zum Panel hinzugefügt. Über die Betriebsnum-
mer kann aus der Betriebedatei zu jeder Beschäftigung die wirtschaftsfachliche und
regionale Gliederung des Beschäftigungsbetriebes angegeben werden. Darüber hin-
aus werden aus der Grundgesamtheit aller Beschäftigten die Betriebsgrößen und die
Beschäftigtenanteilswerte für jeden Quartalsstichtag ermittelt.
3 Datenbeschreibung
3.1 Stichprobenverfahren
Das Beschäftigtenpanel basiert auf einer Personenstichprobe anhand einer Geburtstags-
auswahl. Das Geburtsdatum ist in der jeweiligen Sozialversicherungsnummer der
Beschäftigten enthalten, die für alle Beschäftigungsmeldungen als eineindeutiger
Identifikator verwendet wird. Bei erstmaliger Aufnahme einer sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigung erhält ein Beschäftigter seine Sozialversicherungsnummer
zugewiesen, und diese ändert sich im Laufe des weiteren Erwerbslebens dann nicht
mehr. Die Stichprobenziehung erfolgt dadurch, dass aus den Beschäftigungsmel-
dungen der einzelnen Quartalsstichtage (Quartalsdaten) nur diejenigen Beschäftigten
ausgewählt werden, die an einem von sieben als konstant vorgegebenen Tagen des
Jahres Geburtstag haben. Somit erhält man eine Stichprobe von 1,92 % aus den zum
jeweiligen Stichtag beschäftigten Personen.
Für die meisten der durch ihr Geburtsdatum ausgewählten Beschäftigten, die lang-
fristig in einem Beschäftigungsverhältnis verbleiben, ändert sich von Quartal zu
Quartal nichts Wesentliches. Für Beschäftigte, die den Arbeitgeber wechseln, än-
dern sich die betreffenden Merkmale zur Art der Beschäftigung und zum Betrieb.
Sie bleiben jedoch dauerhaft in den Stichproben, weil sie aufgrund ihrer Sozialver-
sicherungsnummer auch zu den laufend neu hinzukommenden Quartalsstichtagen
identifiziert werden können. Ist eine Person zu einem Quartalsstichtag nicht sozial-
versicherungspflichtig beschäftigt, so gibt es in der betreffenden Welle keine Da-
tenzeile dieser Person. Erst bei erneuter Beschäftigung zu einem folgenden Quar-
talsstichtag würde die Person mit den Merkmalen zu dieser Beschäftigung wieder in
den Datensatz aufgenommen.
164 ZA-Information 52
Diese systematische Zufallsauswahl bietet eine Reihe von Vorteilen für die Stich-
probenzusammensetzung. Sie sichert eine dauerhaft strukturtreue Abbildung der
Grundgesamtheit durch die Stichprobe, und zwar sowohl im Querschnitt als auch
im Längsschnitt. Stichprobenverluste wegen Panelmortalität werden automatisch
ausgeglichen. Ältere Beschäftigte, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden, werden
durch junge Personen, die ihre erste Beschäftigung aufnehmen und eines der aus-
gewählten Geburtsdaten aufweisen, ersetzt. Die Besetzungen der Geburtskohorten
sind immer proportional zu denen der Grundgesamtheit, womit die Stichprobe auch
die Durchführung von Kohortenanalysen ermöglicht. Außerdem gewährleistet das
Auswahlverfahren die Abbildung vorhandener Saison- und Konjunkturmuster, weil
immer ein konstanter Anteil aller Beschäftigten ausgewählt wird. Gegenüber dem
Mikrozensus mit seiner Flächenstichprobe hat die Stichprobe des Beschäftigtenpa-
nels beispielsweise den Vorteil, dass die regionale Mobilität von Beschäftigten
analysierbar ist und nicht zu Stichprobenausfällen führt.
Da die Stichproben der einzelnen Wellen proportional zur jeweiligen Grundgesamt-
heit sind, variieren ihre Umfänge mit dem konjunkturellen und saisonalen Verlauf
der Beschäftigtenzahlen. Tabelle 1 gibt einen Überblick zu den Häufigkeiten von
Stichprobe und Grundgesamtheit der letzten Welle. Bei einer gesamten Anzahl von
ca. 32 Mio. Beschäftigten weisen die Stichproben rund 600.000 Fälle auf. Die ers-
ten fünf Wellen des Panels kommen nur auf einen Stichprobenumfang von ca.
500.000 Beschäftigten, weil zu diesen Zeitpunkten die geringfügig entlohnten Be-
schäftigungen noch nicht in den Quartalsdaten enthalten waren.
Tabelle 1 Stichprobenumfang des BA-Beschäftigtenpanels
Westdeutschland Ostdeutschland* Deutschland
Quartalsdaten
30.6.2002 Stichprobe Gesamt Stichprobe Gesamt Stichprobe Gesamt
Sozialversiche-
rungspflichtig
Beschäftigte
426.055 22.182.502 104.065 5.388.645 530.120 27.571.147
Geringfügig
entlohnte
Beschäftigte
68.942 3.599.798 10.768 569.368 79.710 4.169.166
Summe 494.997 25.782.300 114.833 5.958.031 609.830 31.740.313
* einschließlich Berlin
ZA-Information 52 165
Um die Qualität der Stichprobe zu prüfen, wurden die univariaten Verteilungen al-
ler Merkmale mit denen der Grundgesamtheit verglichen. Das Ergebnis war eine
sehr gute Repräsentation der Grundgesamtheit durch die Stichprobe.
3.2 Merkmalsumfang
Der Datensatz umfasst 52 Merkmale, bei denen man zwischen den individuellen
Merkmalen der Beschäftigten und den betrieblichen Merkmalen der jeweiligen Be-
schäftigungsbetriebe unterscheiden kann (Tabelle 2).
Tabelle 2 Merkmalsumfang des BA-Beschäftigtenpanels
Individualmerkmale Betriebliche Merkmale
Personennummer
Stichtagsdatum
Nummer der Panelwelle
Art der Meldung
Geschlecht
Alter in Jahren
Staatsangehörigkeit (23 Ausprägungen)
(Aus-)Bildungsabschluss (7 Ausprägungen)
Stellung im Beruf/Arbeitszeit (9 Auspräg.)
Rentenversicherungsträger (Arbeiter/
Angestellte)
sozialversicherungspflichtiges Entgelt
Personengruppe gemäß VDR (10 Auspräg.)
Beitragsgruppenschlüssel (6 Auspräg.)
Beruf / ausgeübte Tätigkeit
(ca. 300 Ausprägungen.)
Betriebswechsel (5 Ausprägungen)
Betriebsgrößenklasse (8 Ausprägungen)
Wirtschaftszweig (48 Ausprägungen)
Region (Ost-/Westdeutschland)
Anteil der Frauen
Anteil der Beschäftigten bestimmter
Altersklassen (11 Klassen)
Anteil mit deutscher Staatsangehörigkeit
Anteil der Teilzeitbeschäftigten
Anteil der Beschäftigten mit bestimmten
Bildungsabschlüssen (6 Klassen)
Anteil der Auszubildenden
Anteil der Arbeiter
Anteil der Facharbeiter
Anteil der Angestellten
Anteil Angestellten- /Arbeiterrenten-
versicherung
3.3 Anonymisierungsverfahren
In der Bundesrepublik werden bereits seit einem guten Jahrzehnt in Einzelprojekten
amtliche Mikrodaten anonymisiert, um sie als Scientific Use Files für Forschungs-
zwecke leichter nutzbar zu machen. Die ersten Anonymisierungsverfahren wurden
für den Mikrozensus entwickelt (Müller et al. 1991) und in einem Pilotprojekt um-
gesetzt (Köhler et al. 2000). In der Folge entstanden dann weitere anonymisierte
Datensätze, die im Wesentlichen auf den gleichen oder ähnlichen Anonymisierungs-
verfahren aufbauten.
166 ZA-Information 52
Allgemein lassen sich die bisher in der amtlichen Statistik eingesetzten Verfahren
zur Anonymisierung von Mikrodaten folgendermaßen charakterisieren (Köhler
1999):
Verfremden der Daten (Überlagern mit Zufallsfehler, Erzeugung künstlicher
Datensätze),
Vergröbern der Daten (bei schwach oder extrem besetzten Merkmalsaus-
prägungen),
Weglassen von Untersuchungseinheiten oder Merkmalen (Stichprobenzie-
hung, Entfernen von Identifikatoren),
Systemfreie Sortierung der Daten.
Im Beschäftigtenpanel wurde auf die Verfremdung von Einzeldaten verzichtet, weil
die Auswirkungen für die Auswertungen verfremdeter Daten und deren Transparenz
bisher nicht hinreichend erforscht sind bzw. zum Teil eher kritisch eingeschätzt
werden müssen (Lechner/Pohlmeier 2003). Die konkreten Anonymisierungsschritte
orientieren sich an denen, die bereits für den Mikrozensus entwickelt wurden, und
sehen wie folgt aus:
(1) Ziehung einer Zufallsstichprobe aus der Grundgesamtheit mit einer Auswahl-
wahrscheinlichkeit von 1,92 %,
(2) Ersetzen der Sozialversicherungsnummer durch eine zufallsgenerierte, system-
freie Personennummer. Entfernen von sonstigen Identifikatoren und besonders
sensiblen Merkmalen wie z.B. Geburtsdatum und Betriebsnummer,
(3) Systemfreie Sortierung nach der Personennummer,
(4) Vergröbern von Merkmalsausprägungen:
Regionalangabe wird dichotomisiert (West- und Ostdeutschland).
Bei der Staatsangehörigkeit sind jene Nationalitäten mit anderen zusammen-
gefasst, die einzeln weniger als ca. 50.000 Personen in der Grundgesamtheit
umfassen.
Für alle anderen Merkmale wurden bei Bedarf die Merkmalsausprägungen so
zusammengefasst, dass die univariaten Auszählungen in der Grundgesamt-
heit mindestens ca. 5.000 Personen umfassen. Ausnahmen bilden lediglich
Residualkategorien oder bereits zusammengefasste Ausprägungen, deren
Informationsgehalt ohnehin wenig spezifisch ist. Von dieser Anonymisie-
rung sind im Wesentlichen die Merkmale Beruf und Wirtschaftszweig be-
troffen.
ZA-Information 52 167
Für das Merkmal Alter wurden die Randklassen (jünger als 14, älter als 70)
zusammengefasst.
Mit diesen Anonymisierungen bleibt insgesamt ein sehr hohes Untersuchungspo-
tenzial der Daten erhalten und auch die Integrität der Daten ist weitgehend gewahrt.
Gravierende Einschränkungen sind lediglich für die Regionalangaben vorhanden.
Es ist klar, dass die Beschränkung auf zwei Regionen (Ost- und Westdeutschland)
für Forscher eine starke Restriktion darstellt, insbesondere wenn sie an Regional-
analysen interessiert sind. Allerdings ergäbe sich ein nicht vertretbares Risiko der
Identifikation einzelner Beschäftigungsbetriebe, wenn man, zusammen mit der In-
formation über die wirtschaftsfachliche Zuordnung eine tiefere regionale Gliede-
rung ausweisen würde. Eine differenzierte Darstellung sowohl der wirtschaftsfach-
lichen als auch der regionalen Gliederung ist somit nicht möglich. Man kann nur für
eines dieser beiden Merkmale eine tiefe Gliederung ausweisen. Als Alternative zu
dem gewählten Vorgehen käme die Anonymisierung aller anderen betrieblichen
Informationen in Frage, was jedoch wiederum zu Informationsreduktionen in den
Daten führen würde. Einerseits sind Betriebsdaten weitreichender zu anonymisieren
als Beschäftigtendaten und andererseits sind die Anonymisierungsverfahren für Be-
triebsdaten bisher nicht zufrieden stellend entwickelt (Brand 1999).
Als Lösung des beschriebenen Dilemmas eingeschränkter Untersuchungsmöglich-
keiten bietet sich für Forscher die Schalterstelle zum Beschäftigtenpanel an, in de-
ren Rahmen dann z.B. auch differenzierte Regionalanalysen durchgeführt werden
können. Grundsätzlich sollen jene Forschungsprojekte, die im Einzelfall auf diffe-
renziertere Merkmalsausprägungen angewiesen sind, als diese im anonymisierten
Beschäftigtenpanel vorliegen, die Möglichkeit der Schalterstellenauswertung nutzen
können. Das bedeutet, dass externe Forscher ihre Auswertungsprogramme (Pro-
gramm-Dateien) per E-Mail an die Bundesanstalt für Arbeit senden, dort ausführen
lassen und das Ergebnis (Output-Dateien) nach einer Datenschutzprüfung zurück
bekommen. Als erfolgreiches Beispiel für die Praktikabilität eines solchen Verfah-
rens ist die Schalterstelle des IAB-Betriebspanels zu nennen (Kölling 2001).
3.4 Unterschiede von BA-Beschäftigtenpanel und
IAB-Beschäftigtenstichprobe
Neben dem Beschäftigtenpanel existieren bereits die anonymisierten Daten der
IAB-Beschäftigtenstichprobe bzw. der Regionalstichprobe (Bender et al. 1999,
Haas 2001). Auch wenn diese Datensätze weitgehend auf der gleichen primären
Datenquelle, den Beschäftigungsmeldungen, basieren, gibt es doch einige wesentli-
che Unterschiede.
168 ZA-Information 52
Beim Beschäftigtenpanel erfolgt die Aufbereitung der Daten nach einzelnen Quer-
schnitten (Quartalsstichtagen), die zu einem Panel zusammengefügt werden. Die
Beschäftigtenstichprobe besteht dagegen aus Ereignisdaten, die die gesamten Be-
schäftigungsverläufe mit tagesgenauen Angaben zum Beginn und zum Ende von
Beschäftigungen einzelner Personen beinhalten. Die Beschäftigtenstichprobe eignet
sich daher besonders für Untersuchungen von Erwerbsverläufen. Das Beschäftig-
tenpanel beinhaltet zwar auch die individuellen Zustandswechsel der zugrunde lie-
genden Berufsverläufe, allerdings nur in einem gröberen Zeitraster (quartalsweise).
Die Vorteile des Panels liegen für Forscher darin, dass die Daten einerseits die amt-
lichen Quartalsdaten sehr gut repräsentieren und für stichtagsorientierte Auswertun-
gen direkt verwertbar sind, andererseits bieten sie auch die Möglichkeit zeitbezoge-
ner Untersuchungen, seien es Zeitreihen-, Panel- oder Kohortenanalysen.
Aus den Ereignisdaten der Beschäftigtenstichprobe sind die Querschnittinformatio-
nen des Beschäftigtenpanels nicht ohne weiteres rekonstruierbar, weil unterschiedli-
che Datenaufbereitungen zugrunde liegen. Die Quartalsdaten der BA, aus denen das
Panel als Stichprobe gezogen wird, beinhalten spezielle Verfahren, mit denen z.B.
jene Meldungen ausgeglichen werden, die nicht innerhalb der halbjährigen Warte-
frist bei der BA eingegangen sind. Wenn also ohnehin geplant ist, querschnittbezo-
gene Auswertungen wie beispielsweise Quartals- oder Jahresvergleiche vorzuneh-
men, erspart das Panel einem die aufwändige Überführung von Ereignisdaten in
Querschnittdaten und erleichtert zudem Hochrechnungen auf die amtlichen Daten.
Eine Ableitung der Querschnitte aus den Ereignisdaten der Beschäftigtenstichprobe
wird zusätzlich auch dadurch erschwert, dass diese Daten im Längsschnitt anonymi-
siert (verschoben) sind. Beim Beschäftigtenpanel wurde bislang auf eine Längs-
schnittanonymisierung verzichtet, weil der im Einzelfall rekonstruierbare Zeitver-
lauf mit Lücken von 3 Monaten eine verfahrensbedingte Unschärfe aufweist. Auf-
tretende Berufs- und Betriebswechsel der Beschäftigten sind somit nur quartalswei-
se erfasst.
Das Zeitfenster der beiden Datensätze ist grundsätzlich verschieden. Während die
IAB-Beschäftigtenstichprobe einen sehr langen Zeitraum (1975-1997) abdeckt, be-
ziehen sich die Daten des Beschäftigtenpanels auf eine bislang kurze Zeitspanne
(1998-2002). Der hauptsächliche Fokus des Panels ist der aktuelle zeitliche Rand.
Die Bereitstellung von aktuelleren Daten ist deshalb möglich, weil die Quartalsda-
ten mit Wartezeiten von 6 Monaten erstellt werden. Im Gegensatz dazu ist bei der
IAB-Beschäftigtenstichprobe eine deutlich längere Wartezeit (mindestens 18 Mona-
te) erforderlich, um möglichst auch die verspätet eintreffenden Beschäftigungsmel-
dungen einbeziehen zu können.
ZA-Information 52 169
Inhaltlich bietet die IAB-Beschäftigtenstichprobe den Vorteil, dass sie auch Infor-
mationen über Zeiten des Leistungsbezugs (Arbeitslosengeld, -hilfe) einbezieht.
Diese Angaben sollen dem BA-Beschäftigtenpanel in der nächsten Version hinzu-
gefügt werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Unterschiede von Beschäftigtenpanel
und Beschäftigtenstichprobe in der verschiedenen Datenaufbereitung und den ver-
schiedenen Auswertungsdesigns bestehen. Bei der Beschäftigtenstichprobe liegt der
Schwerpunkt auf Verlaufsanalysen, beim Beschäftigtenpanel auf Untersuchungen
von stichtagsorientierten Querschnitten und ggf. Veränderungen zwischen Stichta-
gen. Je nach Forschungsfrage haben beide Datensätze ihre Vor- und Nachteile.
3.5 Bedingungen der Datenübermittlung
Aufgrund des geltenden Datenschutzrechts für Sozialdaten müssen bei der Über-
mittlung des Beschäftigtenpanels einige Bedingungen beachtet werden. Die wissen-
schaftliche Einrichtung, die das Panel bestellen möchte, darf die Daten nur für den
Zweck der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verwenden, und die Nutzung ist auf
die Dauer des jeweiligen Forschungsvorhabens befristet. Zur Regelung der formel-
len Bedingungen wird ein Nutzervertrag abgeschlossen. Das Beschäftigtenpanel
darf als Scientific Use File lediglich im Rahmen von Forschungsprojekten, und
nicht für die (universitäre) Lehre verwendet werden.
Die Wellen des Beschäftigtenpanels werden als ein Paket in Rohdatenform (ASCII-
Dateien) geliefert. Die bestehenden 18 Wellen benötigen unkomprimiert ca. 2,2 GB
Plattenspeicher. Die Datenlieferung kostet 75 € und beinhaltet eine ausführliche
Datenbeschreibung (Codebuch) einschließlich Auszählungen, sowie SAS-Setup und
Testdaten.
4 Ausblick
Mit den bisherigen Arbeiten zum BA-Beschäftigtenpanel wurde ein weiterer Grund-
stein gelegt, um Verwaltungsdaten auch für Forschungszwecke zu erschließen und in
breiterer Form zugänglich zu machen. Im laufenden Jahr sind noch eine Reihe an me-
thodischen Verbesserungen und inhaltlichen Erweiterungen des Panels geplant.
Unter anderem sollen die Angaben zum sozialversicherungspflichtigen Bruttoent-
gelt der Beschäftigten genauer, nämlich retrospektiv, den Wellen des Panels zuge-
wiesen werden. Gegenwärtig sind diese Angaben den betreffenden aktuellen Wellen
170 ZA-Information 52
zugeordnet. Die rückwärtsgerichtete Zuweisung der Entgelte ist aus Gründen, die
im Meldeverfahren selbst liegen, nicht ohne beträchtlichen Aufwand zu realisieren.
Eine andere Aufgabe wird die Integration von weiteren Datenquellen sein. Soweit
möglich, sollen dabei die Lücken einzelner Beschäftigter, die in den Wellen auftre-
ten können, mit Informationen über die Arbeitslosigkeit, den Leistungsbezug oder
die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gefüllt werden. Diese zusätz-
lichen Angaben erweitern noch einmal das Analysepotenzial des Panels.
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die weitere Pflege und Ergänzung des
Panels über das Jahr 2003 hinaus im Rahmen des Forschungsdatenzentrums der BA
erfolgen soll. Dort wird eine zukünftig jährliche Aktualisierung des Datensatzes
angestrebt.
Literatur
Bender, S./ Haas, A./ Klose, C., 1999: Die IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-1995, S. 104-115 in ZA-
Information 45.
Brand, R.; 1999: Anonymität von Betriebsdaten, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Bd. 237,
Nürnberg.
Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), 2003: BA-Beschäftigtenpanel, 1. Quartal 1998 – 2. Quartal 2002, Code-
buch, Nürnberg.
Haas, A., 2001: Die IAB-Regionalstichprobe 1975-1997, S. 128-139 in ZA-Information 48.
Köhler, S., 1999: Anonymisierung von Mikrodaten in der Bundesstatistik und ihre Nutzung – Ein Überblick,
S. 133-149 in Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Methoden zur Sicherung der statistischen Geheimhaltung,
Schriftenreihe Forum der Bundesstatistik Bd. 31, Stuttgart.
Köhler, S./ Schimpl-Neimanns, B./ Schwarz, N., 2000: Pilotprojekt zur Erleichterung der Nutzungsmöglich-
keiten von faktisch anonymisierten Mikrodaten, S.30-37 in Wirtschaft und Statistik 1/2000.
Kölling, A., 2001: Ein “Schalter” für die Forschung, IAB-Werkstattbericht Nr. 9, Nürnberg.
Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik (KVI)
(Hrsg.), 2001: Wege zu einer besseren informationellen Infrastruktur, Baden-Baden.
Lechner, S./ Pohlmeier, W., 2003: Schätzung ökonometrischer Modelle auf der Grundlage anonymisierter
Daten, Vortrag für die Tagung “Faktische Anonymisierung wirtschaftsstatistischer Einzeldaten” des Statisti-
schen Bundesamtes und des IAW, 20./21. März 2003.
Müller, W./ Blien, U./ Knoche, P./ Wirth, H., 1991: Die faktische Anonymität von Mikrodaten, Schriften-
reihe Forum der Bundesstatistik Bd. 19, hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart.
Neidert, A., 1998: Neues Meldeverfahren zur Sozialversicherung ab 1999, S. 315-330 in Deutsche Renten-
versicherung 5/1998.
ZA-Information 52 171
European Values Study 1999/2000 – A Third Wave:
Data, Documentation and Database on CD-ROM
by Ruud Luijkx, Evelyn Brislinger and Wolfgang Zenk-Möltgen 1
The European Values Study (EVS) is a well-established network of social and po-
litical scientists, investigating basic values, beliefs, attitudes, priorities and prefer-
ences of the Europeans and exploring the similarities, differences, and changes in
these orientations. The study is a follow-up of waves in 1981 and 1990. An impor-
tant goal of the most recent wave was to examine whether the emerging concept of
one common European cultural identity has an empirical basis.
Representative national samples were interviewed using uniformly structured ques-
tionnaires to enable generalization and comparison in 33 European countries: Aus-
tria, Belarus, Belgium, Bulgaria, Croatia, the Czech Republic, Denmark, Estonia,
Finland, France, Germany, Great Britain, Greece, Hungary, Iceland, Ireland, Italy,
Lithuania, Luxembourg, Latvia, Malta, Northern Ireland, the Netherlands, Poland,
Portugal, Romania, Russia, Spain, Sweden, Slovakia, Slovenia, Turkey, and the
Ukraine. The fieldwork was carried out in 1999 and 2000, except for Turkey, where
fieldwork took place in 2001.
This third wave of the European Values Study was coordinated from Tilburg Uni-
versity by Loek Halman. The documentation was set up in close collaboration with
the Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung in Cologne (ZA) and the Nether-
lands Institute for Scientific Information Services (NIWI) in Amsterdam.
As a result of this cooperation the CD-ROM "EVS 1999/2000" was developed. The
CD-ROM contains the comprehensive stock of data, documents, and context infor-
mation of the third wave of the EVS. In addition, complex searches and first analy-
ses are supported through the integration of the data and documents in the ZA
CodebookExplorer program.
1 Dr. Ruud Luijkx is member of EVS at Tilburg University and lecturer at the Faculty of Social
and Behavioural Sciences.( R.Luijkx@uvt.nl) Evelyn Brislinger (brislinger@za.uni-koeln.de);
Wolfgang Zenk-Möltgen (moeltgen@za.uni-koeln.de).
172 ZA-Information 52
1 The European Values Studies
Origin
The project originated in the late 1970s, and was an initiative of Professor Jan
Kerkhofs (Catholic University of Leuven, Belgium) and Professor Ruud de Moor
(Tilburg University, the Netherlands). They aimed at addressing the following basic
questions:
Do Europeans share common values?
Are values changing?
Do Christian values continue to permeate European life and culture?
Is a coherent alternative meaning system replacing that of Christianity?
What are the implications for European unity?
The original idea was to confine the project to four major Western European coun-
tries and a couple of Eastern European countries. Unfortunately, it appeared impos-
sible at that time to find partners in Eastern Europe. However, in Western Europe
the project expanded into a project covering all member states of the (then) Euro-
pean Community, excluding Greece and Luxembourg, including Spain.
Three research institutes played an important role in the preparatory stages: Gallup
London, Faits et Opinions in Paris, and the Institut für Demoskopie in Allensbach
(Germany). An explorative study was conducted into the nature, number, and sali-
ence of values in the lives of individuals. A series of in-depth interviews were held
with people who could be expected to have some insight into the happenings in so-
ciety: journalists, architects, teachers, etc. Furthermore, group discussions were or-
ganized with individuals belonging to socially deprived groups such as the unem-
ployed, members of minority groups, etc. The survey agencies conducted an archive
search of different databases with respect to questions and items referring to values.
This archive search resulted in a database of more than 900 possible items for the
questionnaire. From this large database a questionnaire was produced, covering the
main domains of life: work and leisure time, family and sexuality, religion, politics,
and ethics. In 1980, the questionnaire was piloted in Great Britain, France, West
Germany, and Spain. Based on the results of these pilots, a final questionnaire was
produced in English. The interviewing agencies in the various countries took care of
the translation of the English master questionnaire into the national language. Na-
tionally representative samples were selected for the fieldwork, which was con-
ducted in March-May 1981 in the following countries: Belgium, Denmark, France,
Ireland, Italy, the Netherlands, Spain, United Kingdom (with separate surveys in
ZA-Information 52 173
Great Britain and Northern Ireland), and West Germany. Gallup in London coordi-
nated the fieldwork and gathered all data tapes and produced a combined data set.
This data set has been deposited with the Economic and Social Research Council
Data Archive (ESRC) at the University of Essex.
Researchers from all over the world became interested in the project and many de-
cided to use the EVS questionnaire in their own country. As a result the EVS ques-
tionnaire has been applied in 26 countries: from the United States to Australia and
New Zealand, from Argentina and Chile to Japan; in the Scandinavian countries and
South Africa, and also in some Eastern European countries. This made it one of the
largest social science research project ever carried out.
Second wave
In order to explore the dynamics and trajectories of value change, the preparations
for a second wave of the European Values Study started in 1986. The main survey
was carried out in the middle of 1990 and the beginning of 1991, covering the same
themes as in 1981. The 1990 survey was conducted in all European Community
member states (except Greece and Luxembourg), the Scandinavian countries, the
United States, Canada, Switzerland, Austria, Poland, the Czech Republic, Slovakia,
Hungary, Bulgaria, parts of the Russian Federation, Estonia, Latvia, Lithuania, the
former German Democratic Republic, Romania, Mexico, South Africa, and Japan.
The European fieldwork was coordinated by the Institut für Demoskopie in Allens-
bach (Germany). National representative samples were drawn from the population
of citizens over 18 years of age. Ronald Inglehart (University of Michigan) organ-
ized and coordinated surveys in countries other than those participating in the 1990
European Values Study.
The data of the European surveys has been deposited at Steinmetz Archive of the
Netherlands Institute for Scientific Information Services (NIWI) in Amsterdam
(www.niwi.nl). The data can also be obtained from Zentralarchiv für Empirische
Sozialforschung an der Universität zu Köln (www.gesis.org/za).
Third wave
Building on the experience and the knowledge of the two previous waves, a new
questionnaire was designed for a third wave of the European Values Study taking
into account several new issues, which had emerged in the various life spheres
(solidarity, social capital, democracy, work ethics). Also the quality of the back-
ground variables, e.g., occupation, social class and education, improved. Again the
174 ZA-Information 52
number of observations was enlarged by the inclusion of Belarus, Croatia, Greece,
Luxembourg, Malta, Russia, and the Ukraine.
The preparation for the third wave was more structured than before. Five research
or working groups (4 substantive and a methodological group) were established.
The four substantive research groups covered the main domains in the question-
naire: religion and morality, society and politics, primary relations, and work and
leisure. The tasks of these substantive research groups were the development of
theories, concepts, and suggestions for concrete items to be included in the 1999
questionnaire. Each research group was made-up of experts on the domain at issue.
The main tasks of the methodology group were to reach consensus on the themes
and items in the questionnaire, identify problems of comparability, plan the survey,
make recommendations on socio-demographic background variables, take care of
the quality of the data, and advice and provide assistance on analyses, etc. The pro-
posals from the research groups were discussed in several meetings, resulting in a
questionnaire, which was applied between 1999 and 2001 in almost all European
countries.
Guidelines for the surveys were provided by the coordinating organization at Til-
burg University and in order to get standardized information on the surveys in the
various countries, the national representatives had to complete a methodological
questionnaire (available on the CD-ROM). This provides detailed information about
the translations, e.g., whether translations were problematic; whether optional or
country-specific questions were included or core questions were excluded in the
country questionnaires; whether the order of the questions was affected, etc. Fur-
thermore, detailed information is available about the representativeness of the sam-
ple; stages in the sampling procedure and the number of clusters or sampling points;
whether the sampling unit was an address, a household, a named individual, or oth-
erwise; whether quota controls were used; and, whether substitution was permitted.
Also, questions were asked about the quality of the interview; about supervising of
interviewers, etc. Finally, information was gathered about the way the data was
cleaned, filters were checked, reliability and consistency checks were made, and
whether errors were corrected and a weight variable was added.
Some Results
The original idea of EVS was to explore basic values and it did not focus so much
on testing particular hypotheses, nor did the project aim at rejecting or confirming
specific theoretical ideas. The main objective was simply to attain a better insight
into fundamental human values and value differences, similarities, and changes
ZA-Information 52 175
within Europe. The previous waves of the European Values Study have excited de-
mand from governmental, church, academic, and other institutions for access to the
results. Certainly, the now released data will be of interest to (European) policy
makers, political and religious leaders, and major companies. In view of the proc-
esses of economic, political, and cultural transnationalization and globalization,
marketing leaders, labor unions, and employers can also benefit from an in-depth
study of the basic European values.
This is not the place to give a full report of all the results of the third wave or of
longitudinal comparisons of the three waves. However, a few remarkable findings
may provide an impression. In many Western countries, ideas about a decline or
decay of values have a long tradition. It is often argued that it is the result of in-
creasing permissiveness in upbringing, a growing hedonism and egoism as a result
of increasing levels of individualism and secularization. The European Values
Study puts these common ideas and thoughts in perspective. The majority of the
respondents in all countries consider tax evasion, fare dodging, joy riding, and brib-
ery of civil servants as absolutely inadmissible. This indicates a high level of “civic
morality”. On the other side, homosexuality, abortion, divorce and also euthanasia
are considered permissible under certain circumstances. However, the latter orienta-
tion, which may be labeled personal permissiveness, varies between the European
countries. This is depicted in figure 1.
Figure 1 Levels of permissiveness and civic morality in European countries
0
2
4
6
8
10
is fi se dk nl de at gb nir ie be lu fr es pt mt it gr ee lv lt pl cz sk hu ro sl hr bg by ua ru
permissiveness civic morality
176 ZA-Information 52
On the one hand, Sweden, Denmark, and the Netherlands score around seven (on a
ten-point scale; higher scores mean more “permissiveness”), on the other hand,
Malta, Hungary, and Romania score around three. This indicates large differences.
On “civic morality” all countries score around eight, indicating small differences
between the European countries. These results seem to indicate that the transition of
societies into service economies goes together with an increase of “permissiveness”
with regard to personal private issues, but apparently do not put the “civic morality”
under pressure.
This conclusion about increased “permissiveness” is corroborated for the Western
European countries when we compare the results from the third wave with the two
earlier waves from 1981 and 1990. In figure 2, a positive value indicates an increase
in “permissiveness” between two time points. All bars are in the positive area, ex-
cept for Finland between 1990 and 1999 and for Denmark between 1981 and 1990.
But also in Denmark, we can observe an increase in “permissiveness” for the period
1981-1999. It is evident that we observe a Western European development. As far
as civic morality is concerned, hardly any significant shifts can be observed. Civic
morality was high and remains high in all European societies. As such the ideas of
moral decay cannot be substantiated and need reconsideration.
Figure 2 Shifts in permissiveness between 1981-1990 and 1990-1999 in European
countries
-1
-0,5
0
0,5
1
1,5
2
is fi se no dk nl de
(w)
at gb nir ie be fr es pt it
81-90 90-99
ZA-Information 52 177
The data of the European Values Study covers an even broader range of areas and
many more indicators, which helps understanding social, political, and cultural val-
ues and attitudes in different countries. As such the data is a rich source for a broad
audience. The Study provides a wealth of data that may be of interest not only to
scientists but also to policymakers and politicians, journalists and also for marketing
leaders, labor unions, and employers and salesmen who are interested in getting to
know and understanding the societies in which they are involved.
2 Data and Documentation on CD-ROM
The CD-ROM “EVS 1999/2000” contains the 33 national data sets, the integrated
data set and the relevant documentation required for secondary analyses.
The “ZA CodebookExplorer”2 program on the CD-ROM is provided as the main
data exploration utility and supports:
The presentation of meta-information at study and variable level in an easily
accessible form.
Simple and extended searches in a user-friendly manner.
First analyses and the creation of tables or graphs for frequencies, cross-
tabulations and comparative analyses.
The ability to print codebooks, tables and graphs.
In addition, the user can get direct access to the following information, stored out-
side the database:
The national data sets and the integrated data set.
The original questionnaires and the methodological questionnaires of all par-
ticipating countries.
The Master Questionnaire and the summarized information from the methodo-
logical questionnaires.
The List of Country Codes, which also contains the ZA number to identify the
data sets and the corresponding documentation, and the internet abbreviations
which were used for the names of the country-specific variables.
All documents are available as PDF-files and can be viewed and printed with Adobe
Acrobat Reader included on the CD-ROM. The data files are in SPSS-format for
further analyses using SPSS software.
2 The ZA CodebookExplorer was developed by Wolfgang Zenk-Möltgen, Zentralarchiv.
178 ZA-Information 52
3 The EVS database in the ZA CodebookExplorer
The integration of the EVS 1999/2000 into the ZA CodebookExplorer makes it pos-
sible to structure the information in different Explorer Views. The number and types
of Explorer Views depend on the database design and can contain studies, catego-
ries, trends, scales, etc. Within these Explorer Views additional information can be
retrieved from the respective nodes (a study, a trend, etc.). The EVS Database con-
sists of the Explorer View “Studies” and the Explorer View “Comparative Ques-
tions”.
The Explorer View “Studies”
This Explorer View comprises all 33 national data sets and the integrated data set. It
provides a comprehensive overview of the questions which were asked in the third
wave of the EVS: the core questions and the optional questions of the Master Ques-
tionnaire as well as the country-specific questions, which are part of the integrated
data set, and the “extra” country-specific variables which are only part of the na-
tional data sets. This Study View is composed of the following elements (see figure 3):
The Structure View on the left side gives an overview of all studies, each one
with the corresponding ZA number.
The Variable List contains all variables, which are assigned to the marked
node (study). With the selection of the national data set of Germany the total
of 394 variables of the German data set are displayed in the Variable List sup-
plemented by additional information (ZA No., country, year of data collection,
variable label).
The Variable Window displays the answer and question texts for the marked
variable (“V121” in figure 3). For all core and optional variables of the inte-
grated and the national data sets the full question and answer texts of the Mas-
ter Questionnaire is integrated. All country-specific variables are connected
with a short note or archival remark which indicates the specific deviation of
the Master Questionnaire. Also the “extra” country-specific variables are
documented, a few of them in original language.
Below the Variable Window a list of other Explorer Views appears to which
the marked variable is assigned. E.g., Variable “V121” of the German data set
is assigned to the Explorer View “Comparative Questions”. A double-click on
the node “(V121) Do you believe in: reincarnation (Q31)” would open the Ex-
plorer View and list all comparable variables of the national data sets.
ZA-Information 52 179
Figure 3 Explorer View “Studies” (V121)
Additional information at study level can be retrieved from the respective nodes
within the Explorer View. By selecting a study the standardized ZA Study Descrip-
tion for the corresponding study can be opened with information on the principal
investigator, the data collection, the content of the study, the sample and publica-
tions. To enable the comparison of the applied question texts, the Master Question-
naire and all field questionnaires are available as PDF-files. In addition, the meth-
odological questionnaires are included, which provide more detailed information on
the translation of the questionnaire, the sampling procedures, fieldwork, weighting,
the inclusion of optional and country-specific questions, etc.
Users who are interested in an exact comparison of the wording of question texts of
different variables are supported by the tool "Doubled Variable Window" (see figure
4). In the “EVS 1999/2000” this tool enables the comparison of the country-specific
question texts with the question wording in the Master Questionnaire. In our exam-
ple two questions of the integrated data set will be compared. The right Variable
Window shows variable “V11” (double-click in the Variable List). Below the ques-
tion text a note or archival remark is added which indicates that there is a country-
specific variable for Great Britain with the internet abbreviation “gb” as an exten-
180 ZA-Information 52
sion. By a single click on “V11_gb” the question text of this country-specific vari-
able is displayed in the left Variable Window. Now it is possible to compare both
variables, identify the deviations in the question wording, and to decide if compara-
tive analysis is applicable.
Figure 4 Doubled Variable Window (V11 and V11_gb)
The Explorer View “Comparative Questions”
The Explorer View “Comparative Questions” contains only the integrated data set
with the 438 core and optional variables (see figure 5).
The left part comprises the Structure View with a hierarchical system of nodes.
The node “Comparative Questions” consists of the sub-nodes “Core Ques-
tions” and “Optional Questions”. These sub-nodes again contain sub-nodes,
one for each core or optional question of the integrated data set. The name of a
sub-node consists of the variable name, the variable label and the number of
the corresponding question in the Master Questionnaire.
ZA-Information 52 181
By selecting the sub-node "(O5) Jobs are scarce: giving locals priority?
(Q20C)", the List of Variables on the right side of the Explorer View displays
the countries were the same question was asked.
Again, by clicking on the variable “O5” (e.g., in the Italian data set) the full
question and answer texts become visible in the Variable Window.
Figure 5 Explorer View “Comparative Questions” (O5)
The user has the possibility to compose an own list of comparable variables. This
Explorer View allows him to manipulate the nodes and the list of comparable vari-
ables. The existing nodes can be changed or deleted and new nodes can be added.
Variables can be assigned to the list of comparable variables or can also be deleted.
The Analysis Window
The purpose of the Explorer View “Comparative Questions” is to directly enable
comparative analyses. By selecting one of the sub-nodes, in our example "(O5) Jobs
are scarce: giving locals priority? (Q20C)", and by opening the Analysis View all
variables of this sub-node are added to the comparison automatically (see figure 6).
182 ZA-Information 52
This list can be manipulated by using the buttons “Add to Comparison”, “Delete
from Comparison” or “Clear the comparison”.
Figure 6 Analysis Window “Comparative Analysis - Options” (O5)
The following bar graph (see figure 7) shows the answers to variable “O5” with the
question text “Do you agree or disagree with the following statement? When jobs
are scarce, employers should give priority to local people over people from other
parts of the country”3 in eight of the participating countries.
3 In this example missing values are not shown in the graph.
ZA-Information 52 183
Figure 7 Analysis Window “Comparative Analysis - Graph” (O5)
This contribution concentrates on individual aspects of the information and func-
tionality offered by the ZA CodebookExplorer. A more comprehensive presentation
of its possibilities and detailed help can be found on the CD-ROM.
The CD-ROM is available at the ZA in Cologne and at the GESIS Branch Office
Berlin from the beginning of July 2003 at a price of 50 EURO. Orders can be made
via Evelyn Brislinger brislinger@za.uni-koeln.de.
For further information on the European Values Study see www.europeanvalues.nl.
Questions and remarks can be mailed to evs@uvt.nl.
184 ZA-Information 52
ZA-EUROLAB ACTIVITIES 2000-2003
by Ekkehard Mochmann, Ingvill C. Mochmann and Reiner Mauer
1 What is the ZA-EUROLAB?
The ZA-EUROLAB serves as a resource centre for European social research by
supporting access to nationally and internationally comparative data sets. The ZA-
EUROLAB was established in 1996 in order to host researchers supported by the
“Training and Mobility of Researchers (TMR) – Large Scale Facility (LSF) pro-
gramme” and thereafter to support researchers who were given access within the
“Improving Human Potential (IHP) – Access to Research Infrastructures (ARI) pro-
gramme” of the European Union. The objective of these programmes is to provide
researchers throughout the European Community, and the Associated States, with
new opportunities to access infrastructures that are essential for high quality re-
search (European Commission 2002a: iv). To be considered for support a facility
has to meet the following criteria (European Commission 1998: iv):
provide a world-class service which is essential to carry out top quality re-
search
be rare in Europe
have investment or operating costs that are relatively high in relation to those
costs in this particular field
provide adequate scientific, technical and logistic support to external, particu-
larly first-time users
The ZA is providing services in the area of acquisition, processing, documenting
and making available social scientific data, especially survey data. The ZA holds
over 4000 data sets and data collections. Even though there is no particular restric-
tion, emphasis in gathering data is on topics such as education, unemployment, po-
litical attitudes, elections, leisure and occupation, media and environment. Among
the data sets intensively used are the EUROBAROMETERs (a data pool of com-
parative surveys from European countries conducted for more than 30 years), the
German General Social Survey (ALLBUS), which has been conducted every two
years since 1980, the International Social Survey Programme (ISSP) for 38 coun-
tries from Australia, America, Europe to Japan since 1983. Furthermore, it is the
ZA-Information 52 185
holding archive of the election studies to national parliaments in Europe provided
by the International Committee for Research into Elections and Representative De-
mocracy (ICORE) as well as for the original party programmes from “The Com-
parative Manifestos Project”. Also, the ZA holds other comparative studies like the
Political Action Surveys, the World Values Surveys, the European Values Study
etc. More than 400 data sets from the surveys conducted in the former GDR since
1975 have been included in the holdings.
The ZA is also the European centre for integrating the EUROBAROMETERs, the
International Social Survey Programme (ISSP) and the major election studies in
Europe (ICORE). Beyond this, the ZA provides consulting services for secondary
analysis.
For the first time, this collection of European-wide comparative studies is available
in one place, the ZA-EUROLAB. Furthermore, background and context information
is provided through direct links to data bases of the World Bank, OECD, UNESCO
etc.
2 Access offered by the ZA-EUROLAB
Access to the ZA-EUROLAB data bases: Visitors to the ZA-EUROLAB were intro-
duced to the ZA information systems informing about relevant data sets and related
literature that might support the generation and test of hypotheses. Advice was also
offered ranging from experimental to comparative research design and from locat-
ing relevant data to data analysis and testing empirical hypotheses.
Training in data management and archiving: Visiting scholars were encouraged to
bring their own national data sets and were assisted in integrating it with other rele-
vant data sets for comparative analysis. However, access was also given only for
training in data management and archiving. ZA experts provided assistance in data
management, developing standards for data documentation, harmonising data for
better comparability etc.
Training seminars: Since 1972 the ZA has offered training programmes in ad-
vanced methods of social and historical research. Training programmes in advanced
analysis methods take place twice a year in the ZA Spring Seminar for Empirical
Social Research and the Autumn Seminar for Quantitative Historical Research.
Leading international experts are invited to teach courses and supervise practical
application of the new techniques to selected data sets.
186 ZA-Information 52
Figure 1 shows the distribution of access days into these three different areas of ac-
cess. 50% of the access days were provided in the field of data access for research
purposes, 34% in the field of training seminars in advanced statistical methods and
finally 16% of the access days were provided in the field of data management and
archiving.
Figure 1 Type of activity by access days
Data Access
50%
Training
Seminar
34%
Data
Management
and Archiving
16%
3 Access to the ZA-EUROLAB
So far access to the ZA-EUROLAB has mainly been given to researchers supported
by either the “Training and Mobility of Researchers (TMR) – Large Scale Facility
(LSF)” or “Improving Human Potential (IHP) – Access to Research Infrastructures
(ARI) programmes” of the EU. On the basis of an application an international selec-
tion panel evaluated the candidates. Financial support to access the ZA-EUROLAB
was given to those candidates positively evaluated by the selection panel.
Within the IHP-ARI programme 50 researchers comprising 1000 access days were
expected to profit from EU support. As can be seen from Figure 2, in the end actu-
ally 1329 access days were granted. Out of these, 1161 access days were spent at
the ZA-EUROLAB comprising 49 projects with 87 researchers and 168 access days
were cancelled. Furthermore, in 15 cases the number of access days were cut (408
access days) and in 6 cases the complete research projects were rejected. Altogether
the selection panel evaluated 2044 access days, 65% of the access days were
granted, 20% were cut and 15% were rejected. 88% of the access days granted
were used by researchers who had not used the ZA-EUROLAB previously. Major
research networks such as “The European Voter” and “The European Values Study
group” have been supported by the ZA-EUROLAB within the IHP-ARI pro-
gramme, but also striking individual projects have profited from access to the ZA-
EUROLAB.
ZA-Information 52 187
Figure 2 Access days evaluated by the user selection panel
1329
408 307
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
Granted Cut Rejected
Researchers from 27 countries worked at the ZA-EUROLAB between 2000 and 2003.
As can be seen from Figure 3, researchers from Romania and Spain had the highest
usage of the ZA-EUROLAB closely followed by United Kingdom and Bulgaria.
Figure 3 Access days by country of home institution
0
20
40
60
80
100
120
140
160
RO
E
UK
BG
I
NO
P
PL
DK
NL
IL
SI
SK
HU
A
S
FIN
D
IRL
LT
EL
LV
IS
EE
CZ
L
F
Furthermore, 43% of the access days were used by post-graduates, 38% by experi-
enced researchers, 17% by postdoctoral researchers and 2% by undergraduates (cf.
Figure 4).
188 ZA-Information 52
Figure 4 Research status of users by access days
Experienced
Researcher
38%
Postdoctoral
Researcher
17%
Postgraduate
43%
Undergraduate
2%
Finally, almost 75% of the access days were used by researchers with a university
background, followed by public research organisations. Only a small number was
used by persons from private research organisations, non-profit or industrial or
commercial enterprises (cf. Figure 5).
Figure 5 Legal status of user’s home institution by access days
808
294
52 10
0
200
400
600
800
1000
University
Public
Research
Organisation
Private
Research
Organisation,
Non Profit
Industrial or
Commercial
enterprise
ZA-Information 52 189
4 Networking, Exchange and Co-operations – additional benefits of the ZA-
EUROLAB
The ZA has been able to increase the international use of the infrastructure signifi-
cantly through the support of the EU. Although the ZA has always been an interna-
tionally orientated infrastructure, the level of exchange which has taken place dur-
ing the past years would not have been possible without EU funding. In particular,
younger researchers and researchers from Eastern Europe have profited from the
ZA-EUROLAB – groups which have only limited possibilities to receive national
funding. Their research visits at the ZA have facilitated network building both
among the users and among users and ZA staff. These opportunities for network
building have continued beyond the visits at the ZA and have resulted in further co-
operations like joint papers, conference contributions, thematic network establish-
ments etc. (see also Mochmann 2002).
The intensive use of the ZA databases and close co-operations with ZA staff in
charge of these data bases during their research visits offer a unique opportunity for
exchange between data managers and end users; the data managers get a closer in-
sight in how the data they have prepared are used for secondary analysis and which
problems or obstacles a researcher might meet when using the data, but also which
results have come out of the analysis.
Last, but not least, experience exchanges about the uses of secondary analysis and
infrastructure services in the ZA-EUROLAB context contribute to creating support
for national infrastructures in the emerging East European democracies which ulti-
mately resulted in the creation of the East European Data Archive Network –
EDAN (see Hausstein/de Guchteneire 2002).
In 2002 the EU carried out an evaluation of all 110 contracts within the IHP-ARI
programme. The evaluation was based on questionnaires filled in by the users and
an evaluation by an external panel. In all areas the evaluation of the ZA-EUROLAB
was above average when compared to all IHP contracts. The results of the ZA-
EUROLAB “Users Questionnaire Survey” are given in the table below.
As can be seen from the table about 80% and more of the users gave the ZA-
EUROLAB the highest score in all areas. With regard to five of the services like
information on application procedure and how to use the facility, technical support,
intellectual environment and overall appreciation of the services provided even 90%
and more of the users gave ZA-EUROLAB the highest score.
190 ZA-Information 52
Please assess the services provided by the infrastructure with respect to the following
points:
Good Average Poor
Publicity concerning the opportunities for access
offered under the IHP programme
77% 20% 3%
Information on how to apply for access
93% 7% 0%
Information once your project was accepted on
how to use the facility
93% 7% 0%
Scientific support to set up your experiment and
interpret the results
83% 17% 0%
Technical support to make the best use of the
installations
93% 7% 0%
The intellectual environment
90% 7% 3%
Logistic support at the facility
87% 10% 0%
Reimbursement of travel and subsistence
expenses
80% 10% 7%
Overall appreciation of the services provided 97% 3% 0%
The final assessment report for the ZA-EUROLAB from the EU stated that “the
richness of the archives, the technical support and training opportunities offered to
new users and the expertise in some areas of research make it a major European
infrastructure.” (European Commission 2002b:3)
Due to the big demand from the research community and the positive feedback from
users and the evaluation panel an application for support within the EU 6th frame-
work programme was handed in on April 15, 2003. The outcome is expected by the
end of August 2003 and further information about access opportunities to the ZA-
EUROLAB will then be available on http://www.gesis.org/eurolab.
References:
European Commission “Large-Scale Facilities 1998”, Training and Mobility of Researchers Programme.
EUR 18149, 1998.
European Commission “Research Infrastructures 2002”, Volume B. Improving the Human Potential and the
Socio-Economic Knowledge Base. EUR 20088, 2002a.
European Commission „Assessment Report for Transnational Access Contract. ZA-EUROLAB”,16.09. 2002b.
Mochmann, Ingvill C. “Young researchers waiting for the European research space”, European Political
Science, No. 1.3, Summer 2002.
Hausstein, Brigitte/Paul de Guchteneire “Social Science Data Archives in Eastern Europe”, E. Ferger
Verlag, 2002.
ZA-Information 52 191
MetaDater: Towards standards and tools for the
description of comparative surveys
by Uwe Jensen and Ekkehard Mochmann
The members of the MetaDater consortium started the EC funded project in Co-
logne under participation of Dr. Peter Fisch (EC - DG Research K.4), Dr. André
Schlochtermeier and Angelika Schindler-Daniels (Bundesministerium für Bildung
und Forschung). Opening the official project launch, the co-ordinator E.
Mochmann addressed the relevance of the project in the context of “Improving the
evidence base for comparative socio-economic research”. Peter Fisch underlined in
his speech on "Citizens and Governance in a knowledge-based Society" (FP6 Prior-
ity 7) the challenges and opportunities of the recent EC Framework Programme for
the Social Sciences. The project partners presented work packages and organisation
192 ZA-Information 52
of the MetaDater Project, including a summary of the work packages to be accom-
plished over the next three years. The MetaDater1 project is linked with the
MADIERA2 Project (Multilingual Access to Data Infrastructures of the European
Research Area). Bjarne Oymyr, co-ordinator of the MADIERA Project, gave an
outline of the project plan for MADIERA.
The meeting proceeded with a detailed discussion and planning of the work for the
different MetaDater working packages.
The following text gives an overview of the MetaDater project aims and its main
products. The project's website www.metadater.org will inform the community
about major milestones, which will be realised in the project period between Janu-
ary 2003 and December 2005.
1 Objectives of the MetaDater Project
Modern democracies produce a growing database for empirical social research.
This increase is only manageable with data and metadata management instruments
that make the preparation of data files for access and further analysis more efficient.
So far, there exists no comprehensive system that integrates the functionalities re-
quired for metadata standardisation, storage and output into the workflow.
Overarching objectives of the MetaDater project are to develop standards for the
description of large scale comparative surveys over space and time and to provide
tools for metadata creation and management for such surveys. In order to achieve
these objectives, the MetaDater project has to develop a comprehensive data model
for comparative surveys and develop tools for metadata management in survey re-
search.
The aim of the project is to help Primary Data Producers (principal investigators,
research and fieldwork institutes) and Data Providers (large research institutes,
data services and data archives) to manage small to large collections of metadata
and especially to make metadata capture at the source more efficient. In the long
term, this should help to enhance the general quality of metadata, making trend data
much more reliable and strengthening the role of social sciences as providers of data
for sound information of society.
1 http://www.metadata.org
2 http://www.madiera.net
ZA-Information 52 193
It will bridge the gap between minimalist documentation that is just sufficient for
one-time analysis of the data by the principal investigator and an extensive self ex-
plaining documentation that is required for a further analysis to make optimal use of
the data.
The challenge will be to overcome the heterogeneity of data set structures and
documentation to feed more easily, with a harmonised input, the front ends pres-
ently under development.
2 Definition of Metadata for Comparative Social Research
The metadata referred to in this project is the physical representation of meta-
information including all elements of information which effectively guide and sup-
port the process of identification and extraction of relevant survey data and those
which are needed for their valid interpretation. A special focus will be on informa-
tion needed in secondary and comparative analyses. These "human oriented" meta-
data range from basic information on the meaning of coded numbers to external
background information. They are complemented by machine-readable "process"
meta-data for statistical systems or workflow processes.
Data providers have been the first to insist on the importance of good metadata.
This is due to their intermediate position between primary data producers and data
users. They have also initiated and supported the development of the now broadly
acknowledged DDI specifications for survey metadata.
The emerging standard for single cross-section survey data description has been
established by the Data Documentation Initiative (DDI) and agreed upon by the ma-
jor data providers as the data archives represented by IFDO and CESSDA and used
in the development of NESSTAR, SDA and ILSES.
It is an effort to establish an international criterion and methodology for the content,
presentation, transport, and preservation of "metadata" about data sets in the social
and behavioural sciences. Metadata (data about data) constitute the information that
enables the effective, efficient, and accurate use of those data sets.3
Since the DDI still lacks the adequate description of time series survey data and in-
ternational comparative studies the metadata model of this project will have to be
more elaborate. Therefore the MetaDater project will also extend the data definition
3 cited from: ‘DDI Purpose and Goals’ at: http://www.icpsr.umich.edu/DDI/ORG/index.html
194 ZA-Information 52
model to include elements for comparative surveys and time series in close co-
operation with and as members in the recently formed DDI Alliance.
Survey data, which are in the focus of this Metadata Management and Production
System, can only be analysed properly if the knowledge of and about the data is
maintained permanently and available to the end-users. The description of the con-
tent, the diversity of question formulations and translation problems as well as the
context of individual data sets and of data collections are at the core of what meta-
data means in this project. This includes the comprehensive technical and methodo-
logical description of the collected survey data that are necessary to gain empirical
evidence through further statistical analysis.
2.1 Management of Metadata Data and the Data Model of Metadata
The general management of metadata includes two types of tasks:
The 'Management' must handle comprehensive data holdings and collections
of single data sets in an integrated manner. This is achieved in a relational da-
tabase through normalisation, each bit of information being recorded only
once, in a specific field of a specific table. That aspect distinguishes most
clearly this approach from the document approach of XML files.
Secondly, a database application has to include fields and functionalities ap-
propriate for managing processes in which data and metadata are involved.
To organise these requirements the first product of the MetaDater project will be a
comprehensive data model of metadata for the outlined scope of surveys. The model
will cover the whole life cycle of such surveys within the logic of metadata. It gives
the frame for different tasks like managing, preserving, standardising and exporting
metadata and the respective applications covering
the survey design and implementation phase,
the data collection and data processing phase, as well as including
generic management and dissemination tasks with different quality protection
aspects.
The model will be distributed as a product itself, i.e. independently from the imple-
mentations and as a resource for any survey metadata system development within
different institutional frameworks and in accordance with their specific require-
ments. The feasibility of the data model will be exemplified and tested by two pro-
totype implementations. The data provider application (MD-PRO) and the data col-
ZA-Information 52 195
lector application (MD-COLL) are the second and third main products to be realised
in the project.
2.2 Data Provider's metadata and the application MD-PRO
MetaDater will support the different stages of the comprehensive data provider
workflow for a survey. The target groups for this tool are social science data ar-
chives, but also large research institutes or data service centres as far as they are
carrying out comparable tasks such as extensive data documentation and publication
for secondary analysis.
Construction and management of metadata concerning this workflow will also ap-
ply for the primary data producers. The main routines of the procedure are:
Data acquisition, cataloguing and archiving and quality management;
Data control and processing (including harmonisation across time and space);
Extensive documentation on study and variable level and Metadata standardi-
sation;
User, data dissemination and metadata publication management.
The complexity of the system follows from the variety of objects and levels to be
managed in the database. While data acquisition is made on study level and negoti-
ated with persons or institutions, variable standardisation is made at the lowest level
in the database: variables and values.
The respective data provider system (MD-PRO) will contain instruments for the
different management tasks and supply access to resources like question databases,
codebooks, and metadata files in various formats. The system will include import
and export routines for metadata in various formats, and will supply the access to its
content via end-user interfaces or portals like NESSTAR or MADIERA.
2.3 Data Collector's metadata and the application MD-COLL
One source of difficulties with an adequate documentation of a survey and data is
the lack of an integrated instrument to capture related metadata when they first ap-
pear and in a standardised format. Collection of metadata starts with the survey de-
sign and the development of suitable instruments (questionnaire; collection instru-
ment), continues with its implementation in the field and may find a preliminary
end when data are validated or analysed for the first time or if new variables are
constructed in this phase.
196 ZA-Information 52
The target groups for the data collector tool (MD-COLL) are primary investigators
and small or middle-sized research services. To make their work as efficient as pos-
sible the application will support the workflow facilitating the structured entry and
storage of information when a survey is born and launched (e.g. survey design;
fieldwork documentation; social and cultural survey context).
Basic management facilities are considered as well as routines to support the editing
of multilingual questionnaires and to set up a data documentation (codebooks, ques-
tion repositories). This should include extended possibilities to capture comments
on the data to facilitate the management of or information on problems with not suf-
ficiently specified variables or codes following international standards for data
documentation.
While supporting the data producers’ internal workflow, standard formats will make
exchange with data providers (archives) more efficient by avoiding double work
and guaranteeing appropriateness of documentation.
3 MetaDater components – The data model of metadata and tools MD-PRO
and MD-COLL with its output
This figure visualizes the major MetaDater components. At the bottom, the general
database model including three types of metadata:
Methodological metadata concerning the measurement instruments (survey
design; questionnaire; fieldwork items)
Technical metadata which give concrete meaning to the (raw) data values in
form of coded numbers and which define them for statistical systems
Management and dissemination metadata, which enable provider and end-
user to identify relevant data under different tasks and quality perspectives
(from classifications to release dates).
In addition, links to various types of relevant context information will be organized, like:
Bibliographic information on the research context, i.e. publication-based in-
terpretation and validation of the data
Background knowledge such as social or cultural background information.
They are of major importance for the adequate interpretation in the context of
comparative research. The access to such well structured “metadata knowl-
edge systems" will supply context information on the origin of data in a spe-
cific society at a specific time point (educational systems, religion, party sys-
tems etc.)
ZA-Information 52 197
Relevant subsets of this model will be implemented in the two applications, MD-
PRO and MD-COLL. The data themselves (to which these metadata refer) are ad-
ministrated in the system but kept outside.
Possible outputs of the tools are SPSS data definition files, codebook type docu-
mentation on study and variable levels, data catalogues or question databases. These
products are the expected standard input for public access via existing and emerging
data service portals.
198 ZA-Information 52
4 Expectations and Benefits of the MetaDater
The MetaDater will be an infrastructure instrument which facilitates metadata trans-
fer from primary data producers to data providers and supports primary data pro-
ducers and data providers in supplying the end-user efficiently and continuously
with reliable, high quality, standardized and durable information about survey data.
The MetaDater also supports long-term preservation of data and related metadata, to
keep the "digital heritage" in the field of social research. The benefits will not just
be relevant for the existing institutes but also for the emerging infrastructures in
Middle and Eastern European countries.
It is expected that the greater integration of processes over time and various kinds of
data services will bring additional incentives to preserve data and increase their us-
ability, so the whole data and metadata production process becomes more efficient
and economical. As a result, there should also be more well documented data avail-
able for secondary analysis and social indicator research.
The resulting standards and the tools will also be applied to test technical harmoni-
zation and integration of survey data held by data providers in the participating
countries. By making the standards and tools available to academic and commercial
research and through publishing the standards, the MetaDater project will contribute
to best practice in survey data resource sharing and data distribution. It facilitates
next generation processing and analysis of huge amounts of data in order to increase
empirical evidence and knowledge about European and global socio-economic de-
velopments.
MetaDater is expected to strengthen and develop the European technological infra-
structure for the social sciences and to facilitate access to well documented data for
its users. It considers the increasing request for access to comparative data across the
European Union and world-wide. In particular, it has the potential to improve the data
basis for the analysis of social change in the context of the European integration and
globalization processes and thereby significantly contribute to the growth of the
socio-economic knowledge base. With increasing visibility, MetaDater should con-
tribute to implement best practice in social survey documentation and distribution.
References: DDI: http://www.icpsr.umich.edu/DDI/
MADIERA: http://www.madiera.net
MetaDater: http://metadater.org
We gratefully acknowledge the conceptual contributions to the MetaDater project
based on the rich experience of documenting large-scale comparative surveys over
decades, in particular by Meinhard Moschner, Rolf Uher, Oliver Watteler, Wolf-
gang Zenk- Möltgen and other ZA staff members.
ZA-Information 52 199
Empirical Analysis of Labor Markets
September 1-12, 2003 in Cologne
International Seminar
This International Seminar is offered by the
Central Archive for Empirical Social Research
(ZA), Cologne, and the Institute for the Study of
Labor (IZA), Bonn.
The objective of this seminar is a theory and data-oriented training of post-graduate
and doctoral students with special focus on micro data from official statistics.
The focus of the first week is on theoretical and methodological aspects of labor
market analysis, whereas in the second week the empirical analysis of selected labor
market statistics is of special interest.
The seminar is based on six 5-day courses for which three courses will run parallel
each week. The participants can combine a course of the first week with one course
in the second week.
Each course is divided into a theoretical part in the morning and a practical part (PC
Lab) in the afternoon. The participants will also have the opportunity to present the
results of their analyses in a plenary session. There is also the possibility of taking
an exam by writing a term paper including a presentation at the end of the courses
in the second week (equivalent 2 credit points) when the participant took two cour-
ses in the two weeks.
Participants should have a sound basic knowledge of statistics as well as experience
in the handling of PCs and of working with Stata. Participants not familiar with this
software will be provided with a brief introduction to it. Consider course descrip-
tions for special preconditions.
The fee for students is 100,- € for two courses, 50,- € for just one course.
200 ZA-Information 52
The fee for other participants is 300,- € for two courses, 150,- € for one course.
Kindly consider that travelling expenses as well as board and lodging are not in-
cluded in the seminar fees.
Please register online (deadline: July 31, 2003):
http://www.gesis.org/Veranstaltungen/ZA/CSS/.
Scientific coordinator: Prof. Dr. Rainer Metz
Central Archive for Empirical Social Research, University of Cologne, Liliencronstr. 6
D-50931 Cologne, Germany, Fax: +49-221-4769455, Tel: +49-221-47694-36
E-mail: metz@za.uni-koeln.de, http://www.gesis.org/za/
For registration please contact Gabriele Franzmann
Central Archive for Empirical Social Research, University of Cologne, Liliencronstr. 6
50931 Cologne, Germany. Fax: +49 221 47694-55, Tel: +49 221 47694-34
E-mail: franzmann@za.uni-koeln.de
Description of the courses
Course I Labor Supply
Lecturers: Dr. Holger Bonin (IZA Bonn) and Dr. Hilmar Schneider, (IZA Bonn)
The analysis of work incentives has an important bearing on many issues of eco-
nomic and social policy. This course provides an overview of the most widely used
static and dynamic models of the microeconomic choice between labor and leisure.
On the basis of the alternative theoretical representations of the individual labor
supply decision, the course discusses appropriate econometric strategies to estimate
labor supply parameters. For successful participation in the course, intermediate
knowledge of microeconomics and econometric skills at the level of Wooldridge
(2003), Introductory Econometrics: A Modern Approach, 2nd ed., are highly re-
commended.
For participants of this course it is recommended to take part in course IV also.
Literature:
R. Blundell; T. MaCurdy (1999): Labor Supply: A Review of Alternative Approaches. In: Ashenfelter, O.;
Card, D. (eds.): Handbook of Labor Economics Volume 3A. Amsterdam etc.: Elsevier Science, 1559 - 1695.
M.R. Killingsworth (1983): Labor Supply. Cambridge University Press
ZA-Information 52 201
Course II The Economics of Schooling (Theory)
Lecturers: Dr. Thomas Bauer (IZA, Bonn) and Dr. Michael Fertig (RWI, Essen)
The education systems of OECD countries differ in their organizational structures
and educational tools. The extent to which these institutional differences affect edu-
cational attainment is the focus of the first part of this course. The second part dis-
cusses the recent literature on the identification of the causal relationship between
education and earnings within the human capital framework.
Skills in econometrics at the level of Wooldridge (2003), Introductory Economet-
rics: A Modern Approach, 2nd ed., are highly recommended.
For participants of this course it is recommended to take part in course V also.
Literature:
D. Card (1999): The Causal Effect of Education on Earnings. In: Ashenfelter, O.; Card, D. (eds.): Handbook
of Labor Economics, Volume 3A. Amsterdam etc.: Elsevier Science, 1801-1863.
E. A. Hanushek: (1997): Assessing the Effects of School Resources on Student Performance: An Update. In:
Educational Evaluation and Policy Analysis, 19(2), 141-164.
A. Weis: (1995): Human Capital vs. Signalling Explanations of Wages. In: Journal of Economic Perspec-
tives, Volume 9 (Fall), 133-154.
Course III Econometric Evaluation of Labor Market Programmes
Lecturers: Prof. Dr. Michael Lechner (University of St. Gallen, Switzerland) and
Prof. Dr. Jeffrey A. Smith (University of Maryland, USA)
The five-day course is designed to discuss econometric evaluation methods at the
level of a PhD course in economics. It is a combination of lectures in the morning
and practical exercises (afternoon). Skills in econometrics at the level of Greene
(2000), Econometric Analysis, are required. Furthermore, the practical exercises
require a basic knowledge of Gauss and Stata.
Literature:
J. Heckman; R. LaLonde and J. Smith (1999): The Economics and Econometrics of Active Labor Market
Programs. In: Ashenfelter, O.; Card, D. (eds.): Handbook of Labor Economics, Volume 3A. Amsterdam
etc.: Elsevier Science, 1865-2097.
J. Angrist; A. Krueger (1999): Empirical Strategies in Labor Economics. In: Ashenfelter, O.; Card, D.
(eds.): Handbook of Labor Economics, Volume 3A. Amsterdam: etc.: Elsevier Science, 1277-1366.
202 ZA-Information 52
Course IV Simulation of Labor Supply Responses to Policy Reform
Lecturers: Dr. Holger Bonin (IZA, Bonn) and Dr. Hilmar Schneider (IZA, Bonn)
Governments interfere with the microeconomic labor supply decision in many
ways. For example, welfare benefits, social security provision or income taxation
may contribute to unemployment by creating disincentives to work. The course
demonstrates how the potential labor supply impact of policy reform can be evalu-
ated on the basis of empirical models. The main focus is on estimation and simula-
tion of discrete choice models, which are analyzed in the context of both individual
and household decision making. The empirical models discussed during the course
are estimated using data from the German Socio-Economic Panel and the European
Household Panel. For this reason it is strongly recommended that participants of
course IV also take part in course I.
Literature:
van Soest, A. (1995): Structural Models of Family Labor Supply: A Discrete Choice Approach. In: Journal of
Human Resources, Vol. 25(3), 517-558.
Course V The Economics of Schooling (Empirical Analysis)
Lecturers: Dr. Thomas K. Bauer (IZA, Bonn) and Dr. Michael Fertig (RWI, Essen)
The theoretical and empirical models covered in course II will be tested using real
data from the Pisa study and the German Socio-Economic Panel (GSOEP). For this
reason it is strongly recommended to take part in course II.
Course VI Empirical Analysis of Labor Market Interventions
Lecturer: Dr. Lutz Bellmann (IAB, Nuremberg)
Among others, wage and job mobility theories will be tested on the basis of data
linking individual characteristics of workers with the data of the companies which
employ them. For some years, these linked employer-employee panel data have
been available in the IAB.
In this course the methods to analyse this data shall be applied to concrete topics,
e.g. the effect of increased wage dispersion on the employment opportunities of un-
skilled and semi-skilled labor or the structure and the development of employment
of companies with and without wage and investment subsidies.
Skills in econometrics at the level of Greene (2000), Econometric Analysis, are re-
quired.
ZA-Information 52 203
Literature:
Bellmann, L. (2002): Das IAB-Betriebspanel: Konzeption und Anwendungsbereiche. In: Allgemeines Sta-
tistisches Archiv 86, 177-188.
Bellmann, L;, Bender, St.; Kölling, A. (2002): Der Linked Employer- Employee-Datensatz aus IAB-
Betriebspanel und Beschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit (LIAB). In: Kleinhenz, G. (ed.): IAB-
Kompendium Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 250,
Nürnberg, 21-30.
Bellmann, L.; Bender, St.; Schank, Th. (1999): Flexibilität der Qualifikationsstruktur aus betrieblicher
Sicht: Substitutionalität oder Komplementarität. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 219/1+2,
109-126.
Kölling, A. (2000): IAB-Establishment Panel. In: Journal of Applied Social Studies 120, 291-300.
Schedule
Course I (Sept. 1-5, 2003): Labor Supply
Dr. Holger Bonin (IZA Bonn) and Dr. Hilmar Schneider (IZA Bonn)
Day Lectures (morning) Computational Exercises (afternoon)
Mo International Trends in Labor Supply Introduction to Stata
Tue Static Labor Supply Model (Basics) Introduction to Data Sets
OLS-Estimation
Wed Static Labor Supply Model (Topics) Probit-Estimation, Logit-Estimation,
Heckman 2-stage
Thu Life-Cycle Models
Dynamic Models of Labor Supply
Basic Panel Data Techniques
Fr Empirical Strategies for Non-Convex
Budget Sets
ML-Estimation
Course II (Sept. 1-5, 2003): The Economics of Schooling (Theory)
Dr. Thomas Bauer (IZA, Bonn) and Dr. Michael Fertig (RWI, Essen)
Day Lectures
Mo Determinants of Educational Attainment: Introduction
Tue Determinants of Educational Attainment: Theoretical Background
Wed Determinants of Educational Attainment: Empirical Evidence - A Survey
Thu Education and Earnings: The Human Capital Theory
Fr Education and Earnings: Alternative Explanations
204 ZA-Information 52
Course III (Sept. 1-5, 2003): Econometric Evaluation of Labor Market Programmes
Prof. Dr. Michael Lechner (University of St. Gallen, Switzerland) and Prof. Dr. Jeffrey A. Smith
(University of Maryland, USA)
Day Lectures
Mo Introduction to Evaluation and Social Experiments
Tue Selection on Observables and Matching Estimators
Wed Selection on Unobservables: Instrumental Variables and Related Methods
Thu Selection on Unobservables: Longitudinal Methods , Bounds
Fr Comparing Alternative Estimators
Course IV: (Sept. 8-12, 2003): Simulation of Labor Supply Responses to Policy Reforms
Dr. Holger Bonin (IZA, Bonn) and Dr. Hilmar Schneider (IZA Bonn)
Day Lectures (morning) Computational Exercises (afternoon)
Mo Empirical Labor Supply Models with
Non-Convex Budget Sets
Discrete Choice Model:
Individual Decision
Individual Model:
Data Preparation, Wage Regression
Tue Digression: Female Labor Supply
(Theory)
Models of Household Labor Supply
(Theory)
Individual Model:
Design of Tax and Transfer System
Estimation
Wed Discrete Choice Model:
Household Decision
Simulated ML-Estimation
Family Model:
Design of Tax and Transfer System
Estimation
Thu Policy Application:
Labor Supply Effects of Low-Wage
Subsidies
Family Model
Simulation of Policy Reforms
Fr Paper presentations
ZA-Information 52 205
Course V (Sept. 8-12, 2003): The Economics of Schooling (Empirical Analysis)
Dr. Thomas Bauer (IZA, Bonn) and Dr. Michael Fertig (RWI, Essen)
Day Lectures
Mo Determinants of Educational Attainment: Introduction
Tue Determinants of Educational Attainment:
Specification and Estimation of the Production Function for Education
Wed Education and Earnings: Introduction
Thu Education and Earnings: Identifying the causal effect of education on earnings
Fr Paper presentations
Course VI (Sept. 8-12, 2003): Empirical Analysis of Labor Market Interventions
Dr. Lutz Bellmann (IAB, Nuremberg)
Day Lectures
Mo Labor Market Interventions: Labor Market Policy Measures, Social Security Pro-
visions, Wage Policies of Employers and Unions
Tue Data: Employment Statistics, IAB-Establishment Panel, IAB-Linked-Employer-
Employee Data
Wed Methods: Pooled, Fixed and Random Effects Models, Logit, Probit and Tobit
Models, Bivariate Models, Econometric Analysis of Count Data
Thu Literature review
Fr Paper presentations
206 ZA-Information 52
ZHSF-Methodenseminar (ZHSF-Herbstseminar) 2003:
Forschungsmethoden, Datenbankmanagement und
Statistik in der Historischen Sozialforschung
Das 2003 erneut erweiterte Lehrangebot des ZHSF-Methodenseminars (seit 1980
bekannt als „ZHSF-Herbstseminar“) ist modular strukturiert, d.h. es besteht aus in
sich geschlossenen Lehreinheiten, die thematisch aufeinander abgestimmt sind. Die
Module des ZHSF-Methodenseminars werden teils virtuell im Internet, teils vor Ort
in Köln angeboten.
Gesamtübersicht zu den Modulen:
1 ZHSF-Methodenseminar 2003: Repetitorium
Das Einstiegsseminar zum virtuellen Repetitorium hat bereits vom
21.02. – 23.02.2003 in Köln stattgefunden.
Das Modul “Online-Repetitorium” läuft in der Zeit von März bis Mai 2003 virtu-
ell im Internet.
2 ZHSF-Methodenseminar 2003: Basismodule
Einstiegsseminar zum virtuellen Basismodul I:
25.04. – 27.04.2003; vor Ort in Köln
Basismodul I „Forschungsmethoden“:
Mai bis Juli 2003; virtuell im Internet
Basismodul II „Datenbankmanagement“:
02.08. – 06.08.2003; vor Ort in Köln
Basismodul III „Deskriptive Statistik“:
06.08. – 10.08.2003; vor Ort in Köln
Follow-Up-Seminar zu den Basismodulen:
August bis Oktober 2003; virtuell im Internet
ZA-Information 52 207
3 ZHSF-Methodenseminar 2003: Aufbaumodule
Aufbaumodul I: "Allgemeines Lineares Regressionsmodell/Submodelle":
03.08. – 08.08.2003; vor Ort in Köln
Aufbaumodul II: "Analyse diskreter abhängiger Merkmale":
11.08. – 16.08.2003; vor Ort in Köln
Anmeldung/Kontakt: Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung
Abt. Zentrum für Historische Sozialforschung (ZHSF)
Liliencronstr. 6
50931 Köln
Tel.: 0221-47694-34; Fax: 0221/47694-55
e-mail: ZHSF@za.uni-koeln.de
WWW-Info: http://www.gesis.org/Veranstaltungen/ZA/
http://zhsf.za.uni-koeln.de
Anmeldeschluss: Repetitorium: 15. Februar 2003
Basismodule: 15. April 2003
Aufbaumodule: 30. Juli 2003
208 ZA-Information 52
Complex Modelling
33rd Spring Seminar at the Zentralarchiv March 1-19, 2004
The Spring Seminar is a training course for social scientists interested in advanced
techniques of data analysis and in the application of these techniques to data. Par-
ticipants must have a sound basic knowledge of statistics as well as experience in
the handling of PCs and of working with SPSS. Please note that for the third week
Stata will be used.
The Spring Seminar comprises lectures, exercises and practical work using personal
computers. While in the lectures the logic of models and the corresponding analysis
strategies will be explained, during the exercises and in the practical work the par-
ticipants are given the opportunity to apply these methods to data. As in the past
Spring Seminars, the focus will be on teaching multivariate analysis techniques. In
2004 the general topic will be complex modelling. In addition to the lectures, the
participants will be provided with information about functions and services of the
Zentralarchiv which is the German data archive for survey data.
The seminar covers three modules of one week each, to some extent based upon one
another. The courses can be booked either separately or as a block: Multilevel
Analysis, Mixture Modelling, and Generalised Linear Latent And Mixed Models
(GLLAMM).
A more detailed programme will be published on (www.gesis.org/ZA) and will ap-
pear in the November issue of ZA-Information. Please make sure to refer to our web
pages occasionally in order to follow new developments in the announcement.
The lectures and workshops will be given in English by:
Professor Dr. Tom Snijders
Rijksuniversiteit Groningen, The Netherlands
Multilevel Analysis
1 – 5 March 2004
ZA-Information 52 209
Dr. Petra Stein
Gerhard-Mercator-Universität
Gesamthochschule Duisburg, Germany
Mixture Modelling
8 - 12 March 2004
Professor Dr. Andrew Pickles
School of Epidemiology and Health Science
University of Manchester/United Kingdom
Generalised Linear Latent And Mixed Models (GLLAMM)
15 - 19 March 2004
Fees and accommodation
The participation fee is 50.-- € per week. Students and social scientists out of work
are entitled to a 50 % reduction if they hand in an attestation of their status together
with their registration. Participants from Germany might be interested to learn that
the Spring Seminar is recognized as „Bildungsurlaub“. Application forms to the
employer can be requested from the Zentralarchiv. Travelling and accommodation
have to be organized and paid by the participants.
Registration
For your registration please use the attached registration form. You can also register
via e-mail. For more details please check our web pages (address: see below). The
number of participants is limited to 40 persons per week. Participants will be ac-
cepted by order of application date. Therefore we recommend to register as soon as
possible.
Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung, Universität zu Köln,
Bachemer Str. 40, D-50931 Köln, Germany.
Tel.: +49-221-4769433 Secretariat: Friederika Priemer, e-mail: priemer@za.uni-
koeln.de
Tel.: +49-221-4769445 Scientific coordinator: Maria Rohlinger,
e-mail: maria.rohlinger@za.uni-koeln.de
Facsimile: +49-221-4769444
The Zentralarchiv web server will provide up-to-date information on the Spring
Seminar and other forthcoming events (www.gesis.org/ZA).
210 ZA-Information 52
Registration Form Spring Seminar 2004
Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung
University of Cologne
Postfach 41 09 60
50869 Köln
Germany
Registration for Spring Seminar 2004 (Please print or type)
Name ......................................................................................................................................
Address ...................................................................................................................................
Phone/Facsimile .....................................................................................................................
E-mail .....................................................................................................................................
Studied at ................................................................................................................................
Examination.............................................................................................................................
Present occupation...................................................................................................................
Institution.................................................................................................................................
ZA-Information 52 211
I want to participate in
ٱ The whole Spring Seminar, 1 - 19 March 2004
ٱ Parts of the Spring Seminar
(Please tick appropriate box)
ٱ Professor Dr. Tom Snijders
Rijksuniversiteit Groningen, The Netherlands
Multilevel Analysis
1 – 5 March 2004
ٱ Dr. Petra Stein
Gerhard-Mercator-Universität
Gesamthochschule Duisburg, Germany
Mixture Modelling
8 - 12 March 2004
ٱ Professor Dr. Andrew Pickles
School of Epidemiology and Health Science
University of Manchester/United Kingdom
Generalised Linear Latent And Mixed Models (GLLAMM)
15 - 19 March 2004
Date: .............................. Signature: .............................................
Each course is limited to 40 participants. Registration will be accepted by order
of application date.
212 ZA-Information 52
Gratulation für Erwin K. Scheuch
von Ekkehard Mochmann
Am 9. Juni 2003 wird EKS 75 Jahre jung.
Er wird dies mit Familie, Freunden und langjährigen
Weggefährten in nun schon legendärer Weise wieder
auf einer Rheinschifffahrt feiern. Eine akademische
Feier, ausgerichtet vom Institut für Angewandte Sozi-
alforschung und vom Zentralarchiv für Empirische
Sozialforschung, wird sich eine Woche später an-
schließen. Vielfältige Publikationen werden vorgelegt,
um sein Wirken zu würdigen. Er selbst wird die Gäste
überraschen mit dem ersten Band eines zweibändigen
Werkes zum großen Thema „Sozialer Wandel“, insge-
samt 800 Seiten, die er mit seiner Frau neben vielen
Vorträgen und Artikeln in den letzten Monaten verfasst hat. Produktiver kann man
nicht sein. Das merken sehr schnell alle, die sein Wirken würdigen wollen, und so
liegt auch hier der Schlüssel zum Erfolg in der Beschränkung auf die jeweils zu
wählende Perspektive. Aus Sicht des Zentralarchivs sind dies unter vielen anderen
der Datenservice als Teil der sozialwissenschaftlichen Infrastruktur.
Nicht nur die großen Themen unserer Gesellschaft, sondern auch der internationale
Vergleich wurden von ihm als Fokus seiner Forschungsarbeiten in Vorlesungen und
Seminaren den Studentengenerationen vermittelt. Ein Kernsatz „Sozialforschung ist
immer dann besonders erkenntnisfördernd, wenn sie komparativ angelegt ist“ wurde
als einprägsame Leitlinie vermittelt, als andere Forscher noch in der nationalen Per-
spektive verfangen waren. So war er nicht zeitgemäß anti-national, sondern damals
schon vorbildlich international. Der University of Connecticut fühlt er sich auch
heute noch als Alumnus verbunden. Dort konnte er aus nächster Nähe die Entwick-
lung des Roper Centers miterleben. Zusammen mit Stein Rokkan, Warren Miller
und Alexander Szalai gestaltete er dann entscheidend die Entwicklung der Daten-
infrastruktureinrichtungen in Europa mit. Als Chair des Standing Committee on
Comparative Research des International Social Science Council entwarf er mit
Stein Rokkan, der zum Chair des Standing Committee on Social Science Data Ar-
chives gewählt war, eine Vision, in der ein Netz sozialwissenschaftlicher Datenser-
ZA-Information 52 213
viceeinrichtungen in Europa auch weltweit die Möglichkeiten der international ver-
gleichenden Forschung deutlich verbesserte. Neben die Verbreitung des Potentials
sozialwissenschaftlicher Sekundäranalysen trat der Einsatz für kontinuierliche in-
ternational vergleichende Primärerhebungen. Als Mitglied des ALLBUS-Ausschus-
ses hat er seine profunden Erfahrungen in der international vergleichenden Sozial-
forschung in die Entwicklung des International Social Survey Programms einge-
bracht, das heute 38 Länder umfasst.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, den Jubilar umfassend zu würdigen. In Zeiten,
in denen die internationale Wissenschaftspolitik die Bedeutung der Infrastruktur für
die Human- und Sozialwissenschaften in gleicher Weise anerkannt hat, wie dies
bisher den Naturwissenschaften vorbehalten war, sollte dieser Aspekt aber beson-
ders hervorgehoben werden. Dass es nach Jahrzehnten der wissenschaftlichen Vor-
arbeiten dazu gekommen ist, dürfen wir auch ihm danken: er hat sich nicht nur für
die Infrastrukturentwicklung eingesetzt, er hat dafür gekämpft! Zugleich hat er
frühzeitig vielen seiner Mitarbeiter den Zugang zu den internationalen Forschernet-
zen geöffnet. Dies erfolgte zum Teil mit unerreichter Leichtigkeit beim gelegentli-
chen Tischtennisspiel mit internationalen Gästen im Institut für Vergleichende So-
zialforschung der sechziger und siebziger Jahre, oder später in vielen internationa-
len Konferenzen, die vom Institut für Angewandte Sozialforschung oder vom Zent-
ralarchiv organisiert. wurden.
Nun freuen wir uns darauf, mit ihm und seiner Frau den Geburtstag unweit von
Köln, nahe dem Ursprungsort seiner Familie, auf dem Rhein zu feiern. Seine Mit-
streiter wollen ihm an dieser Stelle aber auch versichern, dass es eine große Freude
war und ist, mit ihm zu arbeiten. Ad multos annos!
214 ZA-Information 52
The European Social Survey (ESS)
Call for Question Module Design Teams
The Principal Investigator of the European Social Survey is inviting
proposals from multinational teams to design modules for the ques-
tionnaire for round 2 of the ESS.
The ESS is a new biennial, academically-driven social survey designed to chart and
explain the interaction between Europe’s changing institutions and the attitudes,
beliefs and behaviour patterns of its diverse populations. The project has nearly
completed its first round, which covered 23 nations and employed the most rigorous
methodologies. A fully-documented multinational dataset for round 1 will be re-
leased in 2003.
The questionnaire for each round consists of two elements: a core module of socio-
demographic and substantive indicators (around 120 items); and two to four rotat-
ing modules of either up to 30 or up to 60 items each. Each rotating module will
cover a single academic and/or policy concern within Europe and will be drafted by
a team to be selected following this call. The length of the proposed modules should
be determined according to the demands of the subject. Applicants may propose a
short version (up to 30 items) and a long version (up to 60 items) of the same module.
We wish to attract social scientists across Europe who are interested in comparative
survey research to compete for the opportunity to design a module according to
their own research preferences. Applications are invited from multinational teams of
three to five subject specialists, based in at least three different countries, to design
one of the rotating modules for the second round of ESS. Two to four such teams will
be chosen at each round by the study’s Scientific Advisory Board, chaired by Professor
Max Kaase (International University, Bremen and Vice President of the ESF).
Using the application forms available from the ESS web site or from the address
below, applicants should make the intellectual case for their intended topic area, and
stake their claims as appropriate substantive and survey specialists in that field. The
proposal should be theory-driven, demonstrating the team’s expertise in their cho-
sen topic (citing relevant literature, past studies, and publications in the field). It
should explain the relevance of the topic to a key academic or policy concern within
ZA-Information 52 215
the European area, and identify any existing indicators that could successfully be
deployed cross-nationally.
Proposals, documents and all meetings will be in English, the ESS’s working lan-
guage, and the timetable below is critical. Final decisions on the form and content
of the modules will be the responsibility of the CCT in the light of pilot results,
translation considerations, timing and any other factors.
Timetable
Proposals by: 16th May 2003, 1700 hrs (CET)
Selection of teams by: early July 2003
First draft of module by: end September 2003
Second draft of module by: end November 2003
Finalise pilot questionnaire: mid-January 2004
Pilot: February 2004
Analysis of pilot data: March/April 2004
Finalise questionnaire prior to translations: early May 2004
Further details from Caroline Bryson at ess@natcen.ac.uk
Tel.: +44 (0)20 7549 8500,
ESS web site: www.europeansocialsurvey.org
216 ZA-Information 52
Soziologische Berufspraxis
Bericht von der XII. BDS-Tagung in Dortmund
von Michael Rosentreter 1
In den von der DASA (Deutsche Arbeitsschutzausstellung) zur Verfügung gestell-
ten Räumlichkeiten fand in der Zeit vom 4. bis zum 6. April 2003 in Dortmund die
XII. Tagung des Berufsverbands Deutscher Soziologinnen und Soziologen statt.
Unter dem Titel „PraxisSoziologie – Zwischen angewandter Sozialforschung und
neuen Organisationskulturen“ wurden in elf Foren zu Bereichen aus Sozial- und
Marktforschung, Organisationsberatung und -entwicklung, Qualitätsmanagement
und Gesundheitspolitik sowie Soziologie der Mensch-Tier-Beziehung Vorträge und
Informationen angeboten.
Als roter Faden zog sich durch alle Informationsangebote und Diskussionen der
Transfer zwischen der Soziologie als akademische Disziplin und als gestaltendes
Berufsbild in Politik, Wirtschaft, Verbänden und Organisationen. Diese Verknüp-
fung wurde bei der Eröffnung deutlich in der Vielzahl an Grußworten von Delegier-
ten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der Deutschen Gesell-
schaft für Projektmanagement, der Sozialforschungsstelle Dortmund, des Berufs-
verbandes Deutscher Markt- und Sozialforscher, der deutschen Gesellschaft für Pro-
jektmanagement, der Deutschen Gesellschaft für Supervision und der Deutschen
Gesellschaft für Soziologie.
Als Beispiel für die Etablierung einer soziologischen Fachrichtung mit wachsender
Praxisbedeutung und für einen spannenden Vortrag mit Diskussion, der die Teil-
nehmer weit über das angesetzte Veranstaltungsende bannte, sei hier die Katastro-
phensoziologie erwähnt.
Lars Clausen wurde in den frühen 60er Jahren in die Schutzkommission des Bun-
desministeriums des Inneren berufen, die sich damals mit den Folgen eines mögli-
chen Nuklearkrieges beschäftigte. Die Katastrophenforschungsstelle an der Christi-
an-Albrecht-Universität Kiel ist derzeit die ausgewiesene Auftragnehmerin von Pro-
1 Michael Rosentreter ist Student an der Universität zu Köln.
ZA-Information 52 217
jekten dieser Art, z.B. der Schwachstellenanalyse anlässlich der Havarie des Holz-
frachters Pallas vor der deutschen Nordseeküste im Jahr 2000.
Mit einem gewissem Stolz wurde auf Entwicklungen in der Fort- und Weiterbil-
dung hingewiesen, die ein Ergebnis der Politik/Arbeit des Berufsverbands sind: In
Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Supervision wurde ein Weiterbil-
dungsangebot zum Supervisor erarbeitet (Infos über BDS), und die erste Absolven-
tin in „Praktischer Sozialwissenschaft“ an der Universität Duisburg-Essen stellte
ihren Studiengang vor.
Die Tagung wird auf einer CD dokumentiert werden, welche über den BDS für 9
Euro zu beziehen ist.
Die Deutsche Arbeitsschutzausstellung präsentiert auf überzeugend informative und
bemerkenswert unterhaltsame Weise (Gelegenheiten zum manuellen Ausprobieren)
die historischen und aktuellen Dimensionen der Arbeitswelt und des Arbeitsschut-
zes. Das Museum ist vom Autobahnkreuz Dortmund West leicht zu finden, der Ein-
tritt ist frei.
websites:
Berufsverband Deutscher Soziologen und Soziologinnen e.V.:
www.bds-soz.de
Deutsche Arbeitsschutzausstellung:
www.dasa-dortmund.de
Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement www.gpm-ipma.de
Sozialforschungsstelle Dortmund www.sfs-dortmund.de
Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher www.bvm.org
Deutschen Gesellschaft für Soziologie www.soziologie.de
Bundesinstitut für Berufsbildung www.bibb.de
218 ZA-Information 52
Studiengang Praktische Sozialwissenschaften
BDS unterstützt einzigartigen Studiengang der Universität
Duisburg-Essen
Im Rahmen einer Tagung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und
Soziologen e.V. (BDS) ist die erste Absolventin des 1999 eingerichteten Studien-
gangs geehrt worden.
Der MA-Studiengang Praktische Sozialwissenschaften ist bundesweit einzigartig
und zeichnet sich durch eine enge Verzahnung von soziologischer Theorie und de-
ren Anwendung aus. So werden Projekte (z.B. im Bereich PR) gemäß soziologi-
schen Theorien umgesetzt. Ferner absolvieren die Studierenden Praktika in Wirt-
schaft, Verwaltung oder im Non-Profit-Bereich, um die Anforderungen im außer-
universitären Umfeld kennen zu lernen. Zusätzlich unterstützt der BDS diesen Stu-
diengang insbesondere durch die Vermittlung von Berufspraktikern, die an der
Hochschule über ihre Tätigkeit berichten.
Unterstützt wird dieses Konzept von dem Praxisbeirat der Universität Duisburg-
Essen. Dieser besteht aus Vertretern – den so genannten „Paten“ – verschiedener
Berufsfelder, in denen Sozialwissenschaftler tätig sind. Den Vorsitz hat Helga
Kirchner, Chefredakteurin beim WDR-Hörfunk. Das Ehrenpräsidium des Beirates
bilden Lord Ralf Dahrendorf, Prof. Dr. Rita Süssmuth und Prof. Dr. Jörn Rüsen.
Sie sind nicht nur durch ihre persönliche Biografie ein Beispiel dafür, was
Sozialwissenschaftler in Politik und Wirtschaft erreichen können, sondern bringen
ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen mit in die Organisation des Studienganges
ein.
Die Aufgabe des Beirates ist die engere Verzahnung von Theorie und Praxis, worin
bisher eine der größten Schwachstellen des sozialwissenschaftlichen Studiums lag.
Die Praxispaten halten die Lehrenden über die wechselnden Anforderungen in den
verschiedenen Berufsfeldern auf dem Laufenden und entwickeln Ideen für die Um-
setzung in der akademischen Lehre.
Viele Absolventen anderer sozialwissenschaftlicher Studiengänge erleiden nach
dem theorielastigen Studium einen „Praxisschock“. Dieser wird an der Universität
Duisburg-Essen durch die konsequente Koppelung von Theorie und Praxis verhin-
dert. Hierbei erfährt der Studiengang Unterstützung durch den BDS. Auf Initiative
ZA-Information 52 219
des 1. Vorsitzenden Dr. Erich Behrendt und Professor Dr. Eckart Pankoke von der
Universität Duisburg-Essen, berichten Praktiker aus Wirtschaft und Verwaltung, in
regelmäßig durchgeführten „Theorie-Praxisdialogen“ über ihre Erfahrungen und
stehen Lehrenden und Studenten für Fragen zur Verfügung. Der Theorie-Praxis-
Transfer wirkt dabei in zwei Richtungen: Durch den Aufbau von Praxis-
Partnerschaften werden Fach- und Führungskräfte der Praxis in den Lehrbetrieb des
Faches eingebunden. Damit wird die Praxisrelevanz sozialwissenschaftlichen Wis-
sens gefördert und das Wissen über die Praxis immer wieder auf den neusten Stand
gebracht. Zugleich können die Studierenden aber auch die Erfahrung machen, dass
eine auf sozialwissenschaftlichen Theorien und Methoden basierende Reflexion des
beruflichen Handelns für engagierte Praktiker von Interesse sein kann.
Mit seiner Ausrichtung entspricht der Studiengang den Anforderungen des Ar-
beitsmarktes: Absolventenstudien belegen, dass die meisten Sozialwissenschaftle-
rInnen ihren Wirkungskreis in der Wirtschaft haben. Der Studiengang Praktische
Sozialwissenschaften bereichert die Absolventen, neben einer soliden theoretischen
Qualifikation, um wertvolle Praxiserfahrung – diese stellt das wichtigste Einstel-
lungskriterium dar – und erleichtert einen Übergang vom Studium ins Berufsleben.
Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V.
Vorsitzender Dr. Erich Behrendt
Lohweg 45
45665 Recklinghausen
Tel.: 02361 / 492 025
Fax.: 02316 / 492 546
220 ZA-Information 52
Marktforschung in Deutschland im Jahr 20021
Die Marktforschungsinstitute in Deutschland haben im Jahr 2002 einen Umsatz von
1.584 Mio. EUR erzielt. Trotz allgemeiner Konjunkturflaute konnten sie damit ge-
genüber dem Vorjahr ein Umsatzplus von vier Prozent verbuchen. Die im ADM
zusammengeschlossenen privatwirtschaftlichen Institute, die zusammen fast siebzig
Prozent des Branchenumsatzes repräsentieren, steigerten ihren Umsatz sogar um
sechs Prozent. Für die nahe Zukunft werden ähnliche Wachstumsraten wie für das
Jahr 2002 erwartet.
Ungeachtet der Abschwächung der Konjunktur hat sich die positive Entwicklung
der Beschäftigung in der deutschen Marktforschung fortgesetzt. Ende des Jahres
2002 zählten die Marktforschungsinstitute 11.367 fest angestellte Beschäftigte, ge-
genüber 11.007 vor Jahresfrist. Das entspricht einer prozentualen Steigerung der
Beschäftigung von mehr als drei Prozent. In den Mitgliedsinstituten des ADM be-
trug der Zuwachs der Beschäftigung sogar sechs Prozent.
Marktforschung ist heute zu einem beachtlichen Teil ein internationales Geschäft.
Weil ihre industriellen Auftraggeber zu „Global Playern“ werden oder bereits ge-
worden sind, müssen auch die Marktforschungsinstitute zunehmend weltweit agie-
ren. Die Mitgliedsinstitute des ADM haben dadurch im Jahr 2002 bereits weniger
als die Hälfte ihres Umsatzes in Deutschland erzielt: 54 Prozent des Umsatzes ent-
fällt auf die Tätigkeit ihrer ausländischen Tochtergesellschaften und Beteiligungen.
Die Konsum- und Gebrauchsgüterindustrie ist auch weiterhin der weitaus wichtig-
ste Auftraggeber der Marktforschungsinstitute. Im Jahr 2002 haben die Mitgliedsin-
stitute des ADM fast die Hälfte ihres Umsatzes durch die Aufträge dieser Branchen
erzielt. An zweiter Stelle folgen wie in den Jahren zuvor mit einem Umsatzanteil
von zwölf Prozent die Medien und Verlage. Der mit zehn Prozent an dritter Stelle
folgende Umsatz durch Aufträge anderer Marktforschungsinstitute unterstreicht die
1 Aus einer Pressemitteilung des ADM. Im Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungs-
institute e.V. sind zurzeit 45 privatwirtschaftliche Markt- und Sozialforschungsinstitute zusam-
mengeschlossen, deren Interessen er als Wirtschaftsverband vertritt. Zu den satzungsgemäßen
Aufgaben des ADM gehören insbesondere die Förderung der Wissenschaftlichkeit der Markt-
forschung, die Wahrung ihres Ansehens in der Öffentlichkeit, die Durchsetzung der Berufs-
grundsätze und Standesregeln der Marktforschung, die Gewährleistung des Datenschutzes und
die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.
ZA-Information 52 221
Bedeutung von Kooperationen insbesondere im Rahmen internationaler For-
schungsprojekte.
Die Mitgliedsinstitute des ADM haben im Jahr 2002 rund 14 Millionen Interviews
durchgeführt. Davon waren 33 Prozent persönlich-mündliche und 41 Prozent tele-
fonische Interviews. Mit 21 Prozent konnten sich die schriftlichen Interviews auf
dem in den letzten Jahren erreichten Niveau halten.
Der Anteil der im Internet durchgeführten Interviews ist im Jahr 2002 weiter gestie-
gen, spielt aber mit fünf Prozent zurzeit nach wie vor noch keine bedeutsame Rolle.
Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Form der Datenerhebung in den nächs-
ten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird – wenn auch mit deutlich geringeren
Zuwachsraten als während der Internet-Euphorie vor einigen Jahren verschiedent-
lich prognostiziert. Deshalb wäre es aus heutiger Sicht unzutreffend, von einer zu-
künftigen Substitution der "klassischen" Erhebungstechniken durch Online-Inter-
views zu sprechen.
Während sich die Computerunterstützung telefonischer Interviews bereits seit eini-
gen Jahren durchgesetzt hat, werden nun auch bei persönlich-mündlichen Inter-
views "paper and pencil" zunehmend durch den Einsatz von Laptops ersetzt. Im
Jahr 2002 wurde bereits jedes dritte persönlich-mündliche Interview computerunter-
stützt durchgeführt. Dazu verfügten die Mitgliedsinstitute des ADM zusammen über
5.797 CAPI-Geräte ("computer assisted personal interviews"). Zur Computerunter-
stützung telefonischer Interviews standen 4.048 CATI-Plätze ("computer assisted
telephone interviews") zur Verfügung.
222 ZA-Information 52
Buchhinweise
Klein, Markus, Falter, Jürgen W.
Der lange Weg der Grünen:
Eine Partei zwischen Protest und
Regierung
Paperback ISBN 3-406-49417-X
Beck`sche Reihe, 2003, 228 Seiten
Die Entwicklung der Grünen von einer „Anti-
Parteien-Partei“ hin zu einer staatstragenden Säu-
le der Berliner Republik ist ohne Beispiel. Her-
vorgegangen aus der Friedens- und Umweltbewe-
gung, gelang ihnen bereits drei Jahre nach ihrer
Gründung der Einzug in den Deutschen Bundes-
tag. Das Buch zeichnet die Geschichte der Grünen
von ihren Anfängen bis in die jüngsten Entwicklungen hinein nach. Es beschreibt
die innerparteilichen Machtkämpfe zwischen Fundis und Realos, die sukzessive
Abkehr vom Ideal der Basisdemokratie, die zunehmende Entradikalisierung der po-
litischen Programmatik der Grünen und schließlich den Aufstieg Joschka Fischers
zur unumstrittenen Führungsfigur der Partei. Die Autoren diskutieren auf der Basis
eines breiten empirischen Materials die Frage, ob die Abkehr der Grünen von ihren
alten systemkritischen Positionen Bedingung für ihr parlamentarisches Überleben,
Ausdruck einer gegenwärtigen Krise der Grünen oder womöglich gar beides gleich-
zeitig ist.
Fuchs, Dieter, Edeltraud Roller, Bernhard Weßels (Hrsg.)
Bürger und Demokratie in Ost und West: Studien zur politischen
Kultur und zum politischen Prozess
Festschrift für Hans-Dieter Klingemann
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, 600 Seiten
Die Festschrift wurde anlässlich des 65. Geburtstags von Hans-Dieter Klingemann
herausgegeben. Sie enthält insgesamt 30 Beiträge, die sich alle auf die allgemeine
Frage nach den Bedingungen für das Funktionieren und die Stabilität von Demokra-
tien beziehen lassen. Diese alte Frage der Demokratieforschung, die immer im Mit-
telpunkt von Hans-Dieter Klingemanns wissenschaftlichem Interesse stand, hatte
durch den Zusammenbruch des Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa eine
ZA-Information 52 223
neue Aktualität erfahren. Die Beiträge analysieren sowohl die Situation westlicher
Demokratien als auch der der neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa.
Einen Schwerpunkt der Analysen bildet das Wechselverhältnis zwischen rational
kalkulierenden und demokratisch gesinnten Bürgern einerseits und transparenten
Politikangeboten der konkurrierenden Parteien, die die Wähler mit klaren Alternati-
ven konfrontieren, andererseits. In diesem Kontext sind vor allem drei Ergebnisse
bemerkenswert: Erstens zeigen vergleichende Analysen der Wahlprogramme der
Parteien in den westlichen Demokratien, dass die politischen Parteien sich gegen-
über den wechselnden gesellschaftlichen Problemlagen als anpassungsfähig erwie-
sen haben. Zweitens, dass die Regierungsparteien weitgehend das tun, was sie vor
der Wahl versprochen haben. Ein dritter wichtiger Befund bezieht sich auf die Län-
der Mittel- und Osteuropas. Offenbar finden dort sowohl bei den Wählern als auch
bei den politischen Parteien Lernprozesse statt, die zu einer Annäherung an die
westlichen Demokratien führen.
Einen anderen Schwerpunkt stellt die Diskussion über die Ergänzung der repräsen-
tativen Demokratie durch direkt-demokratische Partizipations- und Verfahrensfor-
men dar. Unter dem Stichwort der elektronischen Demokratie wird unter anderem
erörtert, inwieweit die neuen Informations- und Kommunikationsmedien die Mög-
lichkeit der Implementation direkt-demokratischer Elemente verbessern. Untersucht
wird auch, inwieweit diese direkt-demokratischen Elemente die Effektivität und
Legitimität demokratischer Prozesse erhöhen.
Insgesamt bietet dieser Sammelband eine Reihe von zum Teil vorzüglichen theore-
tischen und empirischen Analysen zu einem zentralen Aspekt der Demokratiefor-
schung. Diese stellen im Unterschied zu vielen anderen Festschriften nicht eine An-
sammlung heterogener Beiträge dar, sondern bilden einen durch eine gemeinsame
Fragestellung integrierten Zusammenhang.
Andreas Farwick
Segregierte Armut in der Stadt. Ursachen und soziale Folgen der
räumlichen Konzentration von Sozialhilfeempfängern.
Opladen: Leske + Budrich. ISBN: 3-8100-3266-2, (2001) 212 Seiten.
von Jörg Blasius1
Andreas Farwick beschäftigt sich in diesem Buch mit der “städtischen Armut”,
ihren Ursachen und ihren Folgen; als Indikator für Armut im städtischen Teilgebiet
verwendet er den Anteil der Sozialhilfeempfänger. Im Mittelpunkt der Studie stehen
1 Dr. Jörg Blasius ist Professor am Seminar für Soziologie der Universität Bonn, Adenauerallee
98a, 53113 Bonn, e-mail: jblasius@uni-bonn.de.
224 ZA-Information 52
zwei Fragenkomplexe: Zum einen untersucht der Autor das Ausmaß und die Ent-
wicklung der residentialen Segregation der von Armut betroffenen Bevölkerungs-
gruppen. Dabei prüft er zunächst, inwieweit es aufgrund der zunehmenden Armut in
den Städten zu einer räumlichen Ausweitung bzw. zu einer Verfestigung der Armut
in den betroffenen Gebieten kommt. Auf der Basis dieser Ergebnisse – es kommt im
Zeitverlauf zu einer verstärkten Konzentration von Armut in benachteiligten Wohn-
gebieten – versucht er die Ursachen des Anstieges der residentialen Segregation von
Sozialhilfeempfängern zu ermitteln. Damit leitet er zu seinem zweiten Fragenkom-
plex über, der Beschreibung der Folgen der residentialen Segregation. In diesem
Zusammenhang untersucht er u.a., inwieweit es aufgrund der zunehmenden räumli-
chen Konzentration von Armut in den benachteiligten Nachbarschaften zu einer
Verlängerung der Armutsperioden der einzelnen Individuen kommt. Die Arbeit ist
empirisch angelegt und basiert neben Daten der amtlichen Statistik insbesondere auf
“Längsschnittdaten der Bremer Längsschnitt-Stichprobe von Sozialhilfeakten und
der Bielefelder ‘Sozialhilfestatistik’” (S. 123).
Nach einer kurzen Einleitung beschreibt der Autor die theoretischen Aspekte der
residentialen Segregation von Bevölkerungsgruppen. In diesem Kapitel gibt Andre-
as Farwick einen guten Überblick über die Modelle zur Erklärung von Segregation.
Daran anschließend beschreibt er anhand der amtlichen Statistik seine Untersu-
chungsgebiete in Bremen und Bielefeld. Nach der Vorstellung von Theorie und der
Besonderheiten des Gebietes folgt mit der Analyse seiner Individualdaten der inte-
ressanteste Teil der Studie: Hier beschreibt der Autor die Prozesse und Mechanis-
men der räumlichen Konzentration von Sozialhilfeempfängern. Die beiden nachfol-
genden Kapitel sind dem Einfluss des Wohnquartiers auf die Dauer von Armutsla-
gen und den Erklärungsfaktoren zum Einfluss von Armutsgebieten auf die Dauer
von Armutslagen gewidmet.
Wird die Arbeit insgesamt betrachtet, so zeichnet sie sich sowohl durch eine sehr
gute Verarbeitung der theoretischen Grundlagen als auch durch eine kenntnisreiche
Anwendung der multivariaten Datenanalyse aus, dem Autor gelingt die Verbindung
von Theorie und Empirie sehr gut. In seinen sehr detaillierten empirischen Analysen
hilft der Autor, Ursachen und soziale Folgen der räumlichen Konzentration von So-
zialhilfeempfängern zu erklären. Das Buch ist sehr gut geschrieben und sehr emp-
fehlenswert für jeden, der sich für das Thema “Armut in der Stadt” interessiert.
... Datengrundlagen und Methoden des Deutschen Alterssurveys (DEAS) Kohli et al., 1997;Kohli, 2000;Künemund, 2000;Bode, Westerhof & Dittmann-Kohli, 2001;Kohli & Tesch-Römer, 2003 1923-1938, 1939-1953 und 1954-1968. plan und zur Ziehung der Einsatzstichprobe enthält der Methodenbericht zur dritten DEAS- Welle (infas, 2009 Der bereits 2002 festgestellte negative Einfluss eines schlechten subjektiven Gesundheitszustands zu Beginn der Studie auf die weitere Teilnahmewahrscheinlichkeit zeigt sich -auch unter Kontrolle des Alterseffekts -sechs Jahre später erneut und hat sich sogar noch verstärkt.Etwas schwächer, aber immer noch signifikant ist der Einfluss der subjektiv empfundenen Wohnqualität. ...
Chapter
Full-text available
Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine seit 1996 durchgeführte Befragung von Menschen in der zweiten Lebenshälft e in Deutschland. Mit der jüngsten DEAS-Erhebung im Jahr 2014 hat sich der Beobachtungszeitraum der Studie auf nunmehr 18 Jahre und fünf Erhebungen erweitert (1996, 2002, 2008, 2011, 2014). In Verbindung mit den kombinierten Quer- und Längsschnittstichproben und der großen thematischen Breite des DEAS steht damit ein Datensatz zur Verfügung, der eine fundierte Sozialberichterstattung über einen langen Zeitraum hinweg und zu einer Vielzahl alter(n)srelevanter Themen und Fragen ermöglicht.
... In addition, a sampling of non-Germans was made for the 2002 survey, in which 586 persons participated (non-German sample). Several publications supply information on the design of the survey for the first and second wave of the Ageing Survey (Dittmann- Kohli et al., 1997;Kohli & Künemund, 2000;Kohli & Tesch-Römer, 2003;Engstler & Wurm, 2005). Both surveys were sponsored by the Federal Ministry for Family Affairs, Senior Citizens, Women and Youth. ...
Chapter
„When an individual retires, considerable changes in income, expenditure and lifestyle occur“ (Tynan, Drayton 1985).
Article
Full-text available
Given increases in childlessness, we ask if and how the permanently childless substitute for adult children in their later-life support networks. Previous research finds that they are disadvantaged on several network and support indicators. Yet, the role of different substitution mechanisms remains unclear. We examine two substitution mechanisms: substitution through adjustments of network size/composition and through higher efficiency of personal ties. Data are from the German Ageing Survey (childless: N = 1,886; parents without/with residentially proximate children: N = 4,437/8,337). Our descriptive and regression results on network size/composition and the number of potential informational and emotional supporters show that both mechanisms play a role: the childless have more friends and extended kin, and they are more likely to consider them as potential supporters, than parents. Across cohorts or age groups, the relative effect size of network size/composition versus tie efficiency changes. Parents with no children nearby constitute a mixed type that shows similarities to the childless on some indicators of social support and to parents with at least one child nearby on other indicators. Our findings provide a foundation for better predicting how current demographic trends affect future scenarios of social support in later life and for identifying the future need for formal care services. Thus, they are relevant for social scientists and policy makers alike.
Article
Full-text available
Article
Full-text available
In this article, I discuss some of the thoughts and experiences I have had over the past decade both through my work at the ZA-EUROLAB1 and as a former Erasmus free mover student. The first idea I introduce concerns the necessary prerequisite for the enhancement of mobility in Europe: the harmonisation of qualifications. With the imminent entrance of the East European states into the EU this seems an increasingly pressing issue. Second, I address the need for interdisciplinary research in the social sciences. Third, I discuss the importance of interational vertical and horizontal networks. Finally, I highlight the role that institutions such as the ZA-EUROLAB have in addressing some of these issues. However, before turning to these topics, I would like briefly to discuss why research mobility in the early stages of one's career is so important for later mobility.
Article
Full-text available
Policy makers view public sector-sponsored employment and training programs and other active labor market policies as tools for integrating the unemployed and economically disadvantaged into the work force. Few public sector programs have received such intensive scrutiny, and been subjected to so many different evaluation strategies. This chapter examines the impacts of active labor market policies, such as job training, job search assistance, and job subsidies, and the methods used to evaluate their effectiveness. Previous evaluations of policies in OECD countries indicate that these programs usually have at best a modest impact on participants' labor market prospects. But at the same time, they also indicate that there is considerable heterogeneity in the impact of these programs. For some groups, a compelling case can be made that these policies generate high rates of return, while for other groups these policies have had no impact and may have been harmful. Our discussion of the methods used to evaluate these policies has more general interest. We believe that the same issues arise generally in the social sciences and are no easier to address elsewhere. As a result, a major focus of this chapter is on the methodological lessons learned from evaluating these programs. One of the most important of these lessons is that there is no inherent method of choice for conducting program evaluations. The choice between experimental and non-experimental methods or among alternative econometric estimators should be guided by the underlying economic models, the available data, and the questions being addressed. Too much emphasis has been placed on formulating alternative econometric methods for correcting for selection bias and too little given to the quality of the underlying data. Although it is expensive, obtaining better data is the only way to solve the evaluation problem in a convincing way. However, better data are not synonymous with social experiments.
Article
This chapter provides an overview of the methodological and practical issues that arise when estimating causal relationships that are of interest to labor economists. The subject matter includes identification, data collection, and measurement problems. Four identification strategies are discussed, and five empirical examples — the effects of schooling, unions, immigration, military service, and class size — illustrate the methodological points. In discussing each example, we adopt an experimentalist perspective that emphasizes the distinction between variables that have causal effects, control variables, and outcome variables. The chapter also discusses secondary datasets, primary data collection strategies, and administrative data. The section on measurement issues focuses on recent empirical examples, presents a summary of empirical findings on the reliability of key labor market data, and briefly reviews the role of survey sampling weights and the allocation of missing values in empirical research.
Article
This paper surveys the recent literature on the causal relationship between education and earnings. I focus on four areas of work: theoretical and econometric advances in modelling the causal effect of education in the presence of heterogeneous returns to schooling; recent studies that use institutional aspects of the education system to form instrumental variables estimates of the return to schooling; recent studies of the earnings and schooling of twins; and recent attempts to explicitly model sources of heterogeneity in the returns to education. Consistent with earlier surveys of the literature, I conclude that the average (or average marginal) return to education is not much below the estimate that emerges from a standard human capital earnings function fit by OLS. Evidence from the latest studies of identical twins suggests a small upward “ability” bias — on the order of 10%. A consistent finding among studies using instrumental variables based on institutional changes in the education system is that the estimated returns to schooling are 20–40% above the corresponding OLS estimates. Part of the explanation for this finding may be that marginal returns to schooling for certain subgroups — particularly relatively disadvantaged groups with low education outcomes — are higher than the average marginal returns to education in the population as a whole.
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The relationship between school resources and student achievement has been controversial, in large part because it calls into question a variety of traditional policy approaches. This article reviews the available educational production literature, updating previous summaries. The close to 400 studies of student achievement demonstrate that there is not a strong or consistent relationship between student performance and school resources, at least after variations in family inputs are taken into account. These results are also reconciled with meta-analytic approaches and with other investigations on how school resources affect labor market outcomes. Simple resource policies hold little hope for improving student outcomes.
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The key difference between signalling and human capital models is that signalling models allow firms to draw inferences about unobserved characteristics of workers. Those inferences can be based on the schooling or work experience of workers, or on direct measures of some aspects of job performance. Many recent empirical findings can be better explained by signalling models than by human capital theory. Given the explanatory power of signalling models, standard estimates of the social return to secondary schooling are in large part capturing differences in affective traits, such as perseverance, which were acquired either in primary school or at home. Copyright 1995 by American Economic Association.
Improving the Human Potential and the Socio-Economic Knowledge Base
  • Gerhard Schmied
Schmied, Gerhard 1994: Kirchenaustritt als abgebrochener Tausch, in: Mainzer Perspektiven. Berichte und References: European Commission "Large-Scale Facilities 1998", Training and Mobility of Researchers Programme. EUR 18149, 1998. European Commission "Research Infrastructures 2002", Volume B. Improving the Human Potential and the Socio-Economic Knowledge Base. EUR 20088, 2002a. European Commission "Assessment Report for Transnational Access Contract. ZA-EUROLAB",16.09. 2002b.
Econometric Analysis, are required. Furthermore, the practical exercises require a basic knowledge of Gauss and Stata
Course III Econometric Evaluation of Labor Market Programmes Lecturers: Prof. Dr. Michael Lechner (University of St. Gallen, Switzerland) and Prof. Dr. Jeffrey A. Smith (University of Maryland, USA) of Greene (2000), Econometric Analysis, are required. Furthermore, the practical exercises require a basic knowledge of Gauss and Stata. Literature: J. Heckman;