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Zu medialen Einflüssen auf Habitus und Lernstrategien bei Schüler/inne/n in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie

Authors:

Abstract

Schüler/innen beziehen einen wachsenden Anteil ihrer Erfahrungen aus der Multimedia-Gesellschaft. Mithilfe eines von der Autorin entwickelten Forschungsinstruments können auf informelle und unkontrollierte Art sog. "Subtexte des Schulunterrichts" erhoben werden. Ausgehend von diesen "Subtexten" der Schüler/innen werden unter Hinzuziehung der "dokumentarischen Methode" (BOHNSACK 2003) in einem ersten Analyseschritt "Habitūs" der Schüler/innen ermittelt. Einige dieser "Habitūs" lassen sich in einem zweiten Analyseschritt auf medial modellierte Strategien der Informationsverarbeitung zurückführen, von denen dann explorativ medial vermittelte Lernstrategien abgeleitet werden. Students' lives are more and more influenced by the media (e.g. television and the Internet). These influences often extend to the learning strategies they use in school. To explore these influences further, the author used a method developed for the task to collect "subtexts" (comments students make to themselves during regular classroom lessons). These "subtexts" were collected during lessons in a 6th grade classroom and were subsequently analyzed using the documentary method (BOHNSACK, 2003). It was found that some of the collected "subtexts" were modeled on media prototypes, with these prototypes eventually influencing the learning strategies employed by the students. This relationship is explored. Las vidas de los estudiantes son más y más influenciadas por los medios (por ejemplo, la televisión y el internet). Estas influencias a menudo se extienden en las estrategias de aprendizaje que ellos usan en la escuela. Para explorarlos asertivamente, el autor utiliza un método desarrollado por la ardua tarea de coleccionar "subtextos" (comentarios estudiantiles realizados a ellos mismos durante las lecciones regulares en las aulas). Estos "subtextos" fueron recolectados durante lecciones en el salón de clases en un 6º grado y fueron subsiguientemente analizados usando el método documental (BOHNSACK 2003). Se encontró que algunos de los subtextos recolectados eran modelados con base en los prototipos mediáticos, con estos prototipos influenciando eventualmente las estrategias de aprendizaje utilizadas por los estudiantes. Se explora esta relación.
Volume 8, No. 3, Art. 11 – September 2007
Zu medialen Einflüssen auf Habitūs und Lernstrategien bei Schüler/inne/n in der
Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" –
eine empirische Studie
Anja Kraus
Zusammenfassung: Schüler/innen beziehen
einen wachsenden Anteil ihrer Erfahrungen aus
der Multimedia-Gesellschaft. Mithilfe eines von der
Autorin entwickelten Forschungsinstruments kön-
nen auf informelle und unkontrollierte Art sog.
"Subtexte des Schulunterrichts" erhoben werden.
Ausgehend von diesen "Subtexten" der Schüler/in-
nen werden unter Hinzuziehung der "dokumentari-
schen Methode" (BOHNSACK 2003) in einem ers-
ten Analyseschritt "Habitūs" der Schüler/innen er-
mittelt. Einige dieser "Habitūs" lassen sich in ei-
nem zweiten Analyseschritt auf medial modellierte
Strategien der Informationsverarbeitung zurück-
führen, von denen dann explorativ medial vermit-
telte Lernstrategien abgeleitet werden.
Keywords: Subtexte des Schulunterrichts, Ha-
bitūs, Lernstrategien, medial modellierte Strategi-
en der Informationsverarbeitung, dokumentarische
Methode
1. Der theoretische Kontext der
Forschungsfrage und Präkonzepte
2. Empirischer Forschungsansatz
2.1 Das Forschungsinstrument einer
"Öhrchen-Installation"
2.2 Forschungssetting
3. Auswertung
3.1 Beispiel der rekonstruktiven Analyse
eines "Subtextes" unter dem Aspekt
medial vermittelter Lernstrategien
3.1.1 Methodisch gestützte
Textinterpretation
4. Diskussion und Ausblick
Danksagung
Literatur
Zur Autorin
Zitation
1. Der theoretische Kontext der Forschungsfrage und Präkonzepte
Soziale und kulturelle Bedingungen des Aufwachsens nehmen entscheidend auf die Lern- und
Entwicklungschancen der Schülerinnen und Schüler Einfluss. Dies haben die PISA-Studien I
und II einmal mehr gezeigt. Das Ergebnis lenkt den Blick auf die These, dass sich circa 70%
aller menschlichen Lernprozesse außerhalb der Bildungsinstitutionen, also informell abspielen
(vgl. DOHMEN 2001). Informelles Lernen ist in der Hauptsache auf habituelle Praktiken bezo-
gen und es erfolgt implizit. Der Begriff "Habitus" (BOURDIEU 1987) bezeichnet das von einem
nichtintellektuellen Handlungswissen getragene Vermögen, Handlungen hervorzubringen. Ein
"Habitus" umfasst sämtliche performative Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Handlungs-
dispositionen einer Person oder Personengruppe, die sich meist "mimetisch" (GEBAUER &
WULF 1998) einprägen und einen impliziten Wissensfundus bilden. Ein von mehreren Men-
schen geteilter "Habitus" ist auf einen ihnen gemeinsamen "konjunktiven Erfahrungsraum"
(MANNHEIM 1980) zurückzuführen, der auf unmittelbarem Verstehen basiert, und in den ein
bestimmter Wissensbestand eingelagert ist. Nach dem Erkenntnisstand der auf neurophysio-
logische Forschungsergebnisse gestützten konstruktivistischen Lerntheorie bestimmen "Ha-
bitūs" das Lernverhalten von Schüler/inne/n insofern entscheidend, als neue Erfahrungen an-
hand der Resultate früherer Aktivitäten und Handlungsmuster unwillkürlich auf ihre "Viabilität"
(von GLASERSFELD 1997) bzw. auf ihre subjektive Bedeutung und Tragfähigkeit hin über-
prüft und daraufhin bearbeitet werden (vgl. VOSS 2002, S.39). [1]
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Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research (ISSN 1438-5627)
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
Die Bedeutung eines ganzheitlichen, problembezogenen und handlungsorientierten, implizit
und informell angeeigneten Erfahrungswissens für die erfolgreiche Orientierung in der heuti-
gen Lebenswelt ist längst erkannt worden. Die Förderung und Anerkennung des in der Le-
bens- und Arbeitspraxis weit überwiegenden informellen wie auch des impliziten Lernens gilt
nicht zuletzt als ein entscheidender Schritt zur Überwindung der gesellschaftlichen Bildungs-
kluft und zur Entschärfung der neuen sozialen Frage (vgl. DOHMEN 2001).1 Diese Einsichten
werden insbesondere im Begriff der Kompetenz aufgegriffen, der in der Bildungsdebatte mitt-
lerweile eine zentrale Rolle spielt. Es wurde gezeigt, dass kompetente Problemlösungen und
selbst gesteuertes Lernen in erster Linie die Fähigkeit einer realistischen und zugleich beja-
henden Einschätzung des eigenen Wissens und Könnens voraussetzen (vgl. Ergebnisse des
SELF Research Center Sydney, vgl. MARSH, BAUMERT, RICHARDS & TRAUTWEIN 2004).
Ein realistisches und "positives Selbstkonzept" sowie die Befähigung zu reflektiertem Lernver-
halten werden damit zu geforderten Lernzielen der schulischen Erziehung und des Schulunter-
richts. Unter reflektiertem Lernverhalten versteht man die eigenständige kognitive und motiva-
tionale Steuerung eines Lernprozesses (SIMONS 1992). Es wird dadurch bestimmt, dass ein
Individuum über einen Fundus an Lernstrategien verfügt und diese auch sachadäquat zur An-
wendung bringen kann. Lernstrategien sind bewusst gemachte, ursprünglich aber größtenteils
informell und implizit erlernte Aneignungsformen von Wirklichkeit. Sie umfassen in der Haupt-
sache elementare memorierende sowie heuristische Aneignungsformen von Lerninhalten (vgl.
HOFMANN 2000) und Transferleistungen. Zudem subsumiert man unter die Lernstrategien
das aktive Auswählen, Strukturieren und Erzeugen von Lernsituationen (BAUMERT et al.
2000). [2]
Informelles, implizites Lernen ist in ständig wachsendem Ausmaß vom Gebrauch und Konsum
sog. "neuer Medien" bestimmt.2 In der mediatisierten Informationsgesellschaft ist eine Teilha-
be an der gesellschaftlichen Kommunikation und am aktuellen kulturellen Wissen nicht nur in
zunehmendem Maße an eine versierte Nutzung von Informationstechnologien geknüpft. Über
technische Medien vermittelte Prozessmodi sind mittlerweile auch ausschlaggebend für die
Herausbildung vielfältiger sozial relevanter "Habitūs". Insofern ist auch die Ausbildung und Be-
wertung des Selbstkonzepts vielfach an medial vermittelten Modellen orientiert. Martin SEEL
zeigt, dass die Medialität die Profilierung unserer Wahrnehmung sogar im Allgemeinen be-
stimmt.3 Er schreibt: "Medien, so ließe sich sagen, bilden Domänen des Wahrnehmens, Er-
kennens und Handelns, in denen wir uns zu der erfassten oder intendierten Wirklichkeit ver-
halten" (SEEL 1998, S.250). Daraus folgt: "Medien sind konstitutiv für die Handlung, die wir in
ihnen vollziehen" (ibid., S.246). SEELs sehr weit gefasster Medienbegriff umfasst neben Mas-
senmedien auch Zeit, Kunst, Macht, Geld etc. In seiner These, dass sich im Gebrauch von
Medien elementare Handlungsformen herausbilden, betont SEEL die Möglichkeit, medial mo-
dellierte Strategien der Informationsverarbeitung zu reflektieren. Damit wird denkbar, dass im-
plizit und informell angeeignete, medial prädisponierte Handlungsmuster auch bewusst ge-
macht und als Lernstrategien eingesetzt werden können. [3]
Lev MANOVICH (2001) weist darauf hin, dass die technische Entwicklung auf dem Gebiet der
Massenmedien nicht mehr auf die Kontrollinstanz eines Subjekts zielt. Vielmehr wird die Re-
zeption der nunmehr vorwiegend digitalen Medien von einem selbsttätigen Spiel bedeutungs-
freier Signfikanten gelenkt, durch die menschliche Intentionen teils ersetzt, teils in vorgeprägte
Prozessmodi integriert werden. Subjekte und Objekte werden so zu flexiblen und allseits ver-
fügbaren Momenten eines sie übergreifenden Geschehens, das auch Dichotomien wie Aktivi-
tät und Passivität, Beherrschen und Beherrschtwerden transzendiert. Unter diesen Vorzeichen
kommt es zu neuartigen Synthesen sowie zu neuen kulturellen Formen und diesen entspre-
chenden Praktiken, die im Zuge der technischen Entwicklung ständigen Metamorphosen un-
1 In vorsprachlichen, vorprädikativen Aktivitäten gründen Prinzipien des Lernens wie bspw. das "Learning by
Doing", das Lernen durch Üben, die mimetische Aneignung von Wirklichkeit etc., die als Lernformen auch be-
wusst zum Einsatz gebracht werden können.
2 Der Zusammenhang des medialen Umfelds der Lernenden und der Entwicklung ihrer fachlichen Kompetenzen
wird zunehmend erkannt. Vgl. bspw. Margrit SCHREIER (2004), die dies für den Bereich der Lesekompetenz her-
ausarbeitet.
3 Stefan BLANK (2004) zeigt kritisch auf, dass SEEL, indem er den Primat der Sprache verteidigt und somit die
Subjektposition zu stark macht, das Potenzial seiner Thesen nicht ausschöpft. Dieser bedenkenswerten Kritik
kann hier jedoch nicht nachgegangen werden.
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
terliegen. BAACKE (1999) beschreibt die sog. Neuen Medien als zentrale informelle Instanzen
der Sozialisation und Enkulturation Heranwachsender. In seiner Analyse der Veränderungen
kultureller Praxen durch neue Medienkonfigurationen in ihrer Wirkung auf Kinder und Jugend-
liche stellt er heraus, dass die eigentliche und die medialisierte Wirklichkeit als miteinander
verschränkt inszeniert werden: Arrangiert werden Kontinuitätsbrüche, die die tatsächlich
durchlebte Zeit quasi durchqueren, Seh- und Hörrhythmen, die sich gegenseitig "kontaminie-
ren", Sinnmuster, die aufgebaut und sofort wieder in Frage gestellt werden. In vielfältiger Art
und Weise bricht das medial vermittelte "Unerwartete" in Bekanntes ein. Zudem werden durch
komplexe visuelle Anspielungen, durch ironisch verweisendes Zitieren und vielfältige Angebo-
te von bis ins Detail durchgestylten Lebensformen diverse Distanzierungs-, Inszenierungs-,
Identifizierungs- und Selbstdarstellungstechniken vorgeführt, die insbesondere von den Kin-
dern und Jugendlichen, so BAACKE, wie ein "soziales Labor" benutzt werden können. [4]
Als Aneignungsmodi von Wirklichkeit schließen die durch Medien vermittelten Kulturtechniken
vor dem Hintergrund der Argumentation SEELs betrachtet auch Lerntechniken ein. Auf implizi-
te Weise über Massenmedien vermittelte Lernstrategien haben jedoch in den Katalog der
Lerntechniken, die im Schulunterricht Berücksichtigung finden (s.o.), noch nicht explizit Ein-
gang gefunden. Daher ist auch anzunehmen, dass sie nur unterschwellig in das Unterrichtsge-
schehen hineinspielen und medienkulturelle Erlebnisräume insbesondere in den nicht verlaut-
barten Tagträumen, Wünschen, Gefühlsäußerungen, Wahrnehmungen und Gedanken etc.
zum Ausdruck kommen, welche das Unterrichtsgeschehen begleiten, es ergänzen, kommen-
tieren und auch unterwandern und damit latent beeinflussen. Alles das, was ein Schüler, eine
Schülerin während des Unterrichts nicht laut ausspricht, bezeichne ich als einen "Subtext des
Schulunterrichts". [5]
Erhobene "Subtexte des Schulunterrichts" diverser Schüler/innen sollen in Hinblick auf darin
zum Ausdruck gebrachte "Habitūs" analysiert werden. Diejenigen "Subtexte des Unterrichts",
deren Duktus auf mediale Einflüsse schließen lässt, lassen sich in einem zweiten Analyse-
schritt auf medial modellierte Strategien der Informationsverarbeitung zurückführen, von de-
nen wiederum explorativ medial vermittelte Lernstrategien abgeleitet werden können. [6]
2. Empirischer Forschungsansatz
Hier soll das Forschungsinstrument einer "Öhrchen-Installation" vorgestellt werden, durch das
eine informelle und unkontrollierte Erhebung von sog. "Subtexten des Schulunterrichts" er-
möglicht wird. Diese Subtexte werden mit der "dokumentarischen Methode" (BOHNSACK
2003) mit dem Interesse analysiert, die "Habitūs" herauszuarbeiten, welche die Schüler/innen
zum Ausdruck bringen. Diese sollen in einem zweiten Analyseschritt auf medial modellierte
Strategien der Informationsverarbeitung zurückgeführt werden, von denen dann explorativ me-
dial vermittelte Lernstrategien abgeleitet werden. Dieses Verfahren wird an einem Beispiel er-
läutert und vorgeführt. [7]
2.1 Das Forschungsinstrument einer "Öhrchen-Installation"
Zur qualitativ-empirischen Erhebung von Lernprozessen werden in der Regel das Interview,
der Fragebogen und das Tagebuch, insbesondere das sog. Lerntagebuch (bspw. NÁDAS &
NIETZSCHMANN 2001) als Erhebungsinstrumente eingesetzt. Solche und andere gängige
Methoden der Datenerhebung stellen hohe Ansprüche an die Fähigkeit, persönliche Eindrücke
und Gedanken rückblickend zu artikulieren. Das Ziel, Lernstrategien zu ermitteln, derer sich
die Schüler/innen nicht oder nur teilweise bewusst sind, macht indes ein Untersuchungsdesign
notwendig, das sich durch Alltags- und Subjektnähe sowie Unmittelbarkeit auszeichnet. Die
von der Autorin entwickelte "Öhrchen-Installation" ermöglicht es, dass die Schüler und Schüle-
rinnen ihre Empfindungen mittels eines ihnen weitgehend bekannten Mediums während des
Unterrichts direkt, informell und unkontrolliert artikulieren können.4 [8]
4 Das Erhebungsinstrument ähnelt dem von Helga HAUDECK (2001) entwickelten "Audio-Tagebuch": Als "Audio-
Tagebuch" bezeichnet HAUDECK einen Tonträger, auf dem jede Schülerin/jeder Schüler unterrichtsbegleitend
ihre/seine mündlich geäußerten Gedanken aufzeichnen kann. Die "Öhrchen" bieten diesen Tonträgern gegenüber
den Vorteil, dass sich Kinder mit ihm leichter identifizieren können als mit einem nüchternen Aufnahmegerät.
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
Die "Öhrchen-Installation" arbeitet mittels eines Gegenstandes. Es handelt sich dabei um eine
einem Ohr exakt nachgebildete Ohrmuschel aus einem biegsamen Material, die etwa die Grö-
ße der Hand eines Kindes im Alter von sechs Jahren hat, und in die ein MP3-Gerät samt Mi-
krofon eingebaut ist, das an- und ausgeschaltet werden kann. Schüler/innen können in die
"Öhrchen-Plastik" sprechen. Das Gesprochene wird digital aufgezeichnet. Die Geräte sind mit
verschiedenen Symbolen gekennzeichnet. So erkennen die Schüler/innen ihr "Öhrchen" wie-
der, für die Forscher/innen aber ist eine Zuordnung nicht möglich, so dass die Anonymität der
Mitteilungen gewährleistet ist. [9]
Voruntersuchungen in den Klassenstufen 3 und 6 an Schulen in Argentinien, Finnland,
Deutschland und Bulgarien zeigen, dass der Identifikationswert des "Öhrchens" generell sehr
hoch ist und die Schüler/innen von dem Gerät gerne Gebrauch machen. Auffällig sind die Auf-
richtigkeit und die Detailliertheit ihrer Mitteilungen.5 Die "Öhrchen-Plastik" soll eine temporäre,
sozial anerkannte Abkehr von den gesetzten Zielen und geltenden Regeln des (Schul-) Alltags
ermöglichen und als Ventil und zugleich als Behältnis für alles das dienen, was ihren
Nutzer/ihre Nutzerin im Stillen beschäftigt. Legitimiert und ohne das Alltagsgeschehen (hier:
den Unterricht) zu stören, können die Schüler/innen ihren "Öhrchen" das anvertrauen, was sie
nicht laut äußern können oder wollen. Es wird ihnen ermöglicht, eine Art psychoanalytisches
Gespräch mit sich selbst zu führen6 und Themen anzusprechen, die im Schulalltag in der Re-
gel keine oder nur wenig Beachtung finden (wie körperliche Befindlichkeiten, bestimmte Inter-
essengebiete, bevorzugte Freizeitbeschäftigungen, Wünsche und Träume etc.). Kurz, mittels
der "Öhrchen-Installation" können sog. "Subtexte des Unterrichts", die für gewöhnlich implizit
bleiben und das schulische Lernen latent beeinflussen, zum Ausdruck gebracht und damit der
Forschung zugänglich gemacht werden. Der hohe Grad an Individualisierung der Datenerhe-
bung mittels der "Öhrchen-Installation" ermöglicht eine methodisch geleitete Ermittlung indivi-
dueller Modi der Verarbeitung von Alltagserfahrungen. Soziale Wirklichkeiten können so der
grundlegenden Maßgabe qualitativer empirischer Sozialforschung entsprechend von "innen"
heraus erfasst (BLUMER 1969) werden. [10]
Die "Öhrchen-Plastik" nutzt insbesondere das magische Denken von Kindern im Alter von 6-
13 Jahren.7 Da die Aufnahmen aus der kindlichen Akteursperspektive (dazu HONIG 1996,
S.15) heraus erfolgen, eignet sich deren Einsatz insbesondere für die Kindheitsforschung.
Während Kinder im Alter von 6-9 Jahren dem "Öhrchen" in den Voruntersuchungen in Berlin,
Neuquen/Argentinien und Vaasa/Finnland verhältnismäßig sprunghafte Assoziationen und auf
konkrete Anwendungssituationen bezogenes Handlungswissen anvertrauten, brachten 11-13-
Jährige bereits in sich stimmige "Habitūs" wie "Null-Bock"-Allüren und Selbstdarstellungen als
"Videogamer" oder "Klassenbeste/r" etc. zum Ausdruck. Diverse "Habitūs" werden markiert,
zum Teil spielerisch ausgetestet und bisweilen auch stark überzeichnet. In Hinblick auf die
Fragestellung erscheint es daher ertragreich, gerade diese Altersgruppe in den Blick zu neh-
men. An einigen "Subtexten" der Kinder an der Schwelle zur Pubertät war im Rahmen der
Voruntersuchungen zudem der starke Einfluss medienspezifischer Modellierungen von Wirk-
lichkeit festzustellen. So verbanden sie beispielsweise mit dem Besprechen des "Öhrchens"
bestimmte Assoziationen wie "Tonstudio", "auf Sendung sein", "Telefon" etc. mit den entspre-
chenden "Habitūs" etwa eines Radiosprechers, eines Stars, eines Showmasters oder eines
Gesprächspartners am Telefon. [11]
2.2 Forschungssetting
Die Untersuchungsschule liegt in einem Vorort Stuttgarts und wurde gewählt, um die Ver-
gleichbarkeit der jeweils in Landeshauptstädten (Vaasa/Finnland, Neuquen/Argentinien) im
Rahmen der Hauptuntersuchung erhobenen bzw. noch zu erhebenden Daten zu gewährleis-
5 Die Datenerhebung in den Untersuchungsländern ist noch nicht abgeschlossen; Veröffentlichungen zu den Vor-
untersuchungen sind in Vorbereitung.
6 Eine theoretische Fundierung dieses Gedankens ist an anderer Stelle geplant.
7 Weiterführend sei hier auf die Langzeitstudien von Inge STRAUCH verwiesen, in denen die Veränderungen des
Traumerlebens von Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von ihrer kognitiven und emotionalen Entwicklung
beforscht und zu deren Wachphantasien in Beziehung gesetzt werden (vgl. Inge STRAUCH & Barbara MEIER
2004).
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ten. Die Vorstudien ermöglichten nicht nur gerätetechnische und den Ablauf der Forschungs-
einheit betreffende Optimierungen, sondern auch Überlegungen zum Einsatz des Forschungs-
instrumentes einer "Öhrchen-Installation" im Allgemeinen. [12]
Die Untersuchungsschule wurde über persönliche Kontakte der Untersuchungsleiterin gewon-
nen. Das flächenmäßig sehr große Einzugsgebiet der Schule besteht in der Hauptsache aus
kleinen Einfamilienhäusern, das Spektrum der gesellschaftliche Statūs der Schüler/innen
reicht von gutbürgerlich bis sozial schwach. Die Untersuchungsklasse wurde vom Direktor der
Schule nach dem Kriterium ausgewählt, welche Lehrer/innen sich bereit erklärten, an dem
Forschungsprojekt mitzuwirken. Im Fokus der Studie, die in dem Zeitraum vom 16. bis 19. Ja-
nuar 2006 stattfand, standen Kinder des 6. Jahrgangs. Alle 13 Jungen und 16 Mädchen (Jahr-
gänge 1992-1994) der Untersuchungsklasse nahmen an der Untersuchung teil. Jedem Kind
stand während des Unterrichts im Klassenzimmer eine "Öhrchen-Plastik" zur Verfügung. Den
Schüler/inne/n wurde freigestellt, was sie in ihre "Öhrchen" hineinsprechen. Die anonymen
Aufnahmen dienten ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken. Sämtlichen Schulangehöri-
gen sowie den Eltern und sonstigen Bekannten der Kinder war das Eingesprochene nicht zu-
gänglich. Die beteiligten Lehrer/innen und Schüler/innen sowie deren Eltern wurden darüber
informiert, dass ihre mittels "Öhrchen-Installation" aufgezeichneten Äußerungen im Rahmen
eines Forschungsprojektes Wissenschaftler/inne/n und Künstler/inne/n zur Verfügung gestellt
werden. Die Künstler/innen, so wurde ihnen gesagt, würden ausgehend von den Aufnahmen
Kunstwerke erstellen. Die Kunstwerke sollten den Schüler/inne/n dann im Rahmen eines Un-
terrichtsprojekts mit dem Ziel vorgeführt werden, dass sie dieselben mit eigenen kunstnahen
Arbeiten kommentieren (siehe KRAUS 2006). Die Arbeitsergebnisse, so erfuhren sie, würden
abschließend in noch nicht festgelegter Form öffentlich ausgestellt. [13]
3. Auswertung
Vergleicht man die im Rahmen dieser Forschungssequenz erhobenen "Subtexte" der
Schüler/innen miteinander, so fällt bereits auf den ersten Blick auf, dass vereinzelte "Subtexte"
von der schulischen Wirklichkeit weitgehend abgekoppelt sind.8 Es hat sich gezeigt, dass in
Bezug auf diese "Subtexte" über Massenmedien vermittelte "konjunktive Erfahrungsräume"
eine wichtige Rolle spielen. Einige "Subtexte" sind sogar fast ausschließlich von Symbolsyste-
men bestimmt, die auf mediale Einflüsse zurückzuführen sind (in der hier vorgestellten Unter-
suchungsklasse ist dies bei dreien der insgesamt 29 erhobenen "Subtexte" der Fall). Zudem
fallen insgesamt stark ausgeprägte Differenzen auf, die auf Gender-Konstrukte zurückführbar
sind. [14]
Zur Auswertung der mittels der "Öhrchen-Installation" erhobenen Kinderäußerungen ziehe ich
die von BOHNSACK (2003) entwickelte "dokumentarische Methode" heran. Dieses Interpreta-
tionsverfahren erscheint mir für eine Analyse der Verweisungszusammenhänge der "Subtexte
des Schulunterrichts" unter dem Aspekt impliziter Lern- und Orientierungsmuster von
Schüler/inne/n deswegen als besonders geeignet, weil es eine methodische Rekonstruktion
impliziter Orientierungsmaßstäbe der Beforschten ermöglicht. Ferner leitet diese Methode eine
systematische Differenzierung verschiedener Interpretationsebenen und eine Vergleichsgrup-
penbildung an, die allerdings bei einer Einzelfallanalyse wie der hier vorgestellten nicht mög-
lich ist. [15]
Die "dokumentarische Methode" geht mit GARFINKEL (1967) davon aus, dass Wissensbe-
stände indexikal zum Ausdruck kommen, das heißt sprachliche Äußerungen sind Indikatoren
für Bedeutungsgehalte, die wiederum nur vor einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund
sinnvoll sind. Methodisch angeleitet werden die Kinderäußerungen folgendermaßen ausge-
wertet: Anhand der erhobenen "Subtexte" werden zunächst die "Habitūs" von Kindern an der
Schwelle zur Pubertät herausgearbeitet. An den ermittelten "Habitūs" der Kinder interessieren
insbesondere solche, in denen ein subjektiver, vom schulischen Geschehen weitgehend abge-
koppelter und medial vermittelter Erfahrungsraum inszeniert wird. In einer Einzelfallanalyse
8 Die unterrichtspraktische Herausforderung, die Differenz zwischen den prädominanten Erfahrungsräumen der
Schüler/innen einerseits und der kommunikativen Sinnebene der Institution andererseits zu überbrücken, wird im
weiteren Forschungsverlauf noch ausführlicher berücksichtigt werden.
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
können medienspezifische Verarbeitungsmuster von Wirklichkeit bzw. medial modellierte Stra-
tegien der Informationsverarbeitung prägnant herausgearbeitet werden. Von diesen wiederum
werden Lernstrategien methodisch abgeleitet. [16]
Methodisch erfolgt zunächst eine "formulierende Interpretation" (vgl. BOHNSACK 2003,
S.134f.), die darum bemüht ist, innerhalb des Orientierungsrahmens des beforschten Einzel-
falles zu bleiben. Um sich einen Überblick über den thematischen Verlauf des Gesagten zu
verschaffen, wird der Text in Ober- und Unterthemen untergliedert. [17]
Im Anschluss erfolgt eine "reflektierende Interpretation" als die "[…] Rekonstruktion und Expli-
kation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art und Weise,
wie, d.h. mit Bezug auf welches Orientierungsmuster, welchen Orientierungsrahmen das The-
ma behandelt wird" (BOHNSACK 2003, S.135). Hier spielen einerseits Orientierungsfiguren
eine besondere Rolle, die sich vor sog. Gegenhorizonten, d.h. in Abgrenzung von abgelehnten
oder abgewerteten Sachverhalten konturieren. Anderseits ist die Diskursorganisation und die
Dramaturgie zu beschreiben. Beides mündet in eine Gesamtcharakteristik des Falles. Vor
dem Hintergrund medientheoretischer Überlegungen werden schließlich die daran aufweisba-
ren medial modellierten Modi der Informationsverarbeitung herausgearbeitet. [18]
Im Folgenden soll das methodische Vorgehen anhand der rekonstruktiven Analyse eines im
Rahmen der vorgenannten Untersuchung erhobenen "Subtexts" veranschaulicht werden. [19]
3.1 Beispiel der rekonstruktiven Analyse eines "Subtextes" unter dem Aspekt medial
vermittelter Lernstrategien
Der Schüler G. verwandte die "Öhrchen-Plastik" in der Art eines Rappers, der seine kaum me-
lodischen Texte in ein Mikrofon spricht. Im Folgenden soll anhand der rekonstruktiven Analyse
seines "Subtexts" gezeigt werden, dass G. trotz (oder gerade wegen) seiner über Massenme-
dien vermittelten Fiktionen über Lernstrategien verfügt, die schulischem Lernen förderlich sind
bzw. dies bei entsprechender Berücksichtigung im Unterricht sein können. [20]
Auf den ersten Blick ist an G.s "Subtext" eine starke Spaßorientierung festzustellen, die durch
häufiges Lachen sowie durch seine fast ekstatische Darbietung des Themas Rap zum Aus-
druck kommt. Dies kontrastiert in emotionaler Hinsicht mit Zitaten ausgesprochen aggressiver
Liedtexte. Persönliches gibt G. kaum preis. Die Zahl der Aufnahmen von G. beträgt 33 und
liegt deutlich über dem Klassendurchschnitt von 20 Aufnahmen.
"Subtext" G. (♂)
01-06 von 33 Aufnahmen
01 Jojojojo gogogogo yealo yeah hier is Fler Neue Deutsche Welle für mein Homey DJ To-
mekk Aggro Berlin ffff b e e e e e yeah Bushido Sido SAK Aggro Berlin Zeit yeah wir sind da
ihr werdet alle vernichtet yeah Aggro Berlin Zeit Zeit.
02 Yeah hier ist Sido deine Lieblingsrapper im Downstairsladen in Berlin. Hier alles Scheiße
irgendwie wir gucken glaub ich gleich n Film an der heißt Vorstadtkrokodile aber erstmal
Gangsta-rap Bushido B-Tight Aggro Berlin Zeit yeah.
03 Yeah hier is Bushido der siebzehnjährige Rapper äh @(2)@ siebenundzwanzigjährige
Rapper vor Gericht in Linz ma mit som Scheiss (2) steck Alta ey man hier deutsch singn is
Scheiße.
ein anderes Kind spricht G. an und wiederholt den letzten Satz, G. hält inne (3),
geht aber nicht auf das Kind ein
Ich glaub wir guckn gleich n Film an der heisst Vorsch-
stadtkrokodile Mann. Yo wir werden jetzt Aggro Berlin Zeit Mann Alta.
04 Singt Yeah hier is die bi ba bunte Biene. Der gefällt Deutsch überhaupt nicht @(2)@.
05 Yeah hier is gäng gäng butscho rappss. gäng gäng butscho rappss.
anderes Kind:
"Iih"
@(1)@ Waaas? Yeah Mann BK is voll Scheiße aber ich glaub jetz (.) guckn wir n
Film an. Aggro Berlin Zeit Zeit wir danken unseren Fans für einhunderttausend verkaufte
Schallplatten @(.)@.9 [21]
9 Die vorliegende Transkription wurde nach den Richtlinien von BOHNSACK (2003, S.235) durchgeführt. Der Kur-
sivdruck und die Einrückung des Schülertextes soll das Spannungsverhältnis zwischen der Sprachebene des Be-
forschten zu derjenigen der Forscherin deutlich machen.
Kurze Legende der verwandten Zeichen:
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3.1.1 Methodisch gestützte Textinterpretation
3.1.1.1 "Formulierende Interpretation"
Das erste Oberthema ist der Rap, der das zweite, die Schule, deutlich dominiert. Das Thema
Rap lässt sich im Sinne eines Hinweises auf die jeweils für G. relevanten Bezugsgrößen in die
Unterthemen 1. "hier ist Fler", 2. "hier ist Sido", 3. "hier ist Bushido", 4. "hier ist die bi ba bunte
Biene", 5. "hier ist gäng gäng butscho rappss" und 6. "wir danken unseren Fans …" aufglie-
dern. Das Thema Schule wird über die Ankündigung, dass G.s Klasse gleich den Film "Die
Vorstadtkrokodile" ansehen wird, das erste Unterthema, als ein zweiter Orientierungsrahmen
des Beforschten deutlich. Die Abwertung der Schule ("Yeah Mann BK is voll Scheiße") ist ein
zweites Unterthema. [22]
Rap
Der Texte scheint für die Leser/innen, denen die Rap-Szene fremd ist, auf den ersten Blick
aus Wortfetzen zu bestehen, die wie unverständliche Codes wirken mögen. Vorausgesetzt
wird hier ein sehr spezifisches Kontextwissen, das im Folgenden auf der Grundlage von Ab-
handlungen zu Jugendkulturen sowie durch Informationen aus dem Internet dechiffriert wer-
den soll.10 [23]
G. fügt in frei assoziierender und fragmentarisierter Weise Kenntnisse zum Thema Rap anein-
ander. Dabei konzentriert er sich in der Hauptsache auf das Berliner Musiklabel Aggro Berlin.
Rap ist eine Musikrichtung, die Ende der 1970er Jahre von afro- und iberoamerikanischen be-
nachteiligten Jugendlichen in New York entwickelt wurde. Seit den 1980er Jahren hat sich der
Rap in den USA und auch in Deutschland etabliert. "To rap" bedeutet klopfen, schlagen, po-
chen und meint einen rhythmischen Sprechakt. Ein einziger Diskjockey, ein DJ oder seltener
auch eine Djane11, ersetzt eine ganze Band. Auf verschiedenen Plattenspielern "mixt" er oder
sie Musik verschiedener Stile miteinander, er oder sie "scratcht" die Schallplatten und legt den
eigenen Sprechgesang darüber. Die Harmonik wird modal um einen Grundton herum zen-
triert. Die Sprache ist stark kodifiziert. Auffällig sind häufige Reime bzw. Lautwiederholungen
jeweils am Ende einer Liedzeile. In Kombination mit Breakdance und Graffiti ermöglicht Rap
eine (jugendkulturelle) Identitätsbildung auf mehreren Ausdrucksebenen. Eine zentrale Bedeu-
tung haben in dieser Jugendkultur Wettbewerb und Konkurrenz. Der Rap-Sprechgesang ist
mit "dissing" (abgeleitet vom englischen Wort "disrespecting" = "abwertend") verbunden, einer
polemischen Auseinandersetzung, die bspw. in einem "MC-Battle", einem Wettstreit zweier
Diskjockeys, ausgetragen wird (vgl. ROSE 1997). Gebuhlt wird um Erfolg und finanziellen
Reichtum. Erzählt werden Geschichten, die ein Leben vorwiegend in einer Welt der Goldket-
ten, Lederjacken, Huren, Drogen, Waffen, Partys und Spielkasinos prägen. Im Mittelpunkt ste-
hen Reichtum, körperliche Überlegenheit, performative Aktionen und Sex. Gewalt spielt die
zentrale Rolle, nicht zuletzt als Marketingstrategie. Die Popularisierung des Rap wird insbe-
sondere durch den eingängigen Rhythmus der Musik, durch herauslösbare Wendungen in
den Texten und durch das aufreizend-hedonistische Gebaren der Musiker begünstigt (vgl.
HINZ 1998). [24]
Aggro Berlin ist ein erfolgreiches (Independent-) Musik-Label für deutschen Rap, das einen Hi-
pHop-Laden mit dem Namen "Downstairs" in Berlin/Schöneberg betreibt. "Aggro BerlIN Zeit"
ist das Internet-Forum von Aggro Berlin. Dem Label werden aggressive (frauen- und schwu-
lenfeindliche sowie Gewalt verherrlichende) Texte vorgeworfen. Einige Titel dieses Labels sind
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zur Indizierung vorgeschlagen worden.
Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel
Ende einer Überlappung
(2) Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert, hier 2
@(.)@ kurzes Auflachen
@(2)@ 2 Sek. Lachen
10 Siehe HINZ (1998) und ROSE (1997) sowie http://www.aggroberlin.de/, http://www.elixic.de/index.php?id=707
und http://de.wikipedia.org/wiki/Aggro_Berlin.
11 Die Rapper-Kultur ist deutlich männlich dominiert.
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
Künstler dieses Labels, u.a. Fler, Sido, und einstmals Bushido, spielen mit Klischees des
"Gangsta-Rap" (ein Vertreter ist "50 Cent", der illusionslos und in einigen Fällen glorifizierend
die Verflechtung von Rap-Gangs in Verbrechen schildert). Die genannten DJs sind mehrheit-
lich in sozialen Brennpunkten Berlins aufgewachsen. Das im Mai 2005 bei Aggro Berlin er-
schienene, ebenfalls sehr erfolgreiche Album "Neue Deutsche Welle" von Fler (Unterthema 1)
geriet in die Kritik, da es mittels tendenziell nationaler Symbole (verfremdeter Reichsadler,
Frakturschrift, abgewandeltes Hitler-Zitat etc.) vermarktet wurde, DJ Tomekk, ein populärer
deutscher HipHop-DJ, wird in diesem Album als "Homey" ("guter Freund") besungen. Sidos
(Unterthema 2) Debütalbum "Maske" verkaufte sich im Jahr 2004 innerhalb weniger Monate
100.000 mal. Bushido (Unterthema 3) malt in seinen Texten urbane Untergangsszenarien aus
und gibt sich betont vulgär. Bushido wurde im August 2005 angeklagt, einen 20-Jährigen aus
Linz lebensgefährlich verprügelt zu haben und verbrachte 15 Tage in Untersuchungshaft.
"Deine Lieblingsrapper" ist der Name eines Konzerts, das im Jahr 2006 in Deutschland auf
Tournee ging. "Wir sind da, ihr werdet alle vernichtet" ist das Zitat eines Liedtexts des DJ Tony
D./Aggro Berlin. SAK ist eine Gruppe von Graffiti-Sprayern aus München. Der Sinnzusam-
menhang von "gäng gäng butscho rapps" (Unterthema 5) ließ sich nicht erhellen, es ist ver-
mutlich Teil eines Rapper-Textes. [25]
"Die Vorstadtkrokodile"
G. wiederholt im etwa gleichen zeitlichen Abstand und etwa gleichem Wortlaut dreimal, dass
er glaubt, dass die Klasse "gleich" den Film "Die Vorstadtkrokodile" ansehen wird. Dieser Film
wurde nach einem Buch von Max von der Grün unter der Regie von Wolfgang Becker im Jahr
1977 gedreht und ist seither zum Klassiker geworden. Er zeigt soziale Probleme, insbesonde-
re die Ausgrenzung Behinderter, aus der Perspektive einer Bande von 10-13-jährigen Kindern
und ist im Bildungsplan für die Realschule des Landes Baden-Württemberg unter der Rubrik
"Neue Medien im Deutschunterricht" als Projekt in Klasse 6 vorgesehen. Die Bemerkung, dass
die Klasse einen Film ansehen wird, ist in G.s "Subtext" (Aufnahmen 01-33) im Übrigen der
einzige Hinweis auf einen Unterrichtsinhalt. [26]
Abwertung der Schule
G. wertet zunächst alles das, was ihn umgibt, als "Scheiße" ab. Dann qualifiziert er die Fächer
Deutsch und Bildende Kunst ab. [27]
3.1.1.2 "Reflektierende Interpretation"
Ausgehend von der "formulierenden Interpretation" und dem Versuch, das für das Verständnis
des Textes notwendige Kontextwissen zu rekonstruieren, wird in einem zweiten Analyseschritt
ermittelt, inwiefern ein Sinngehalt gestalterisch, darstellerisch und stilistisch resp. als "Doku-
mentsinn" (BOHNSACK 1993) zum Ausdruck gebracht wird. Eine Herausarbeitung von Orien-
tierungsfiguren vor ihren "Gegenhorizonten" und eine Ermittlung der Diskursorganisation erge-
ben die Gesamtcharakteristik des vom Beforschten markierten "Habitus" (vgl. BOHNSACK
2003, S.62ff.), der hier kursiv gedruckt ist: [28]
G. beginnt seine ersten drei Aufnahmen jeweils mit der verbalen Nachstellung eines Auftritts
bzw. des "Habitus" eines DJ mit rhythmischer Einstimmung und namentlicher Vorstellung (Un-
terthemen: "Yeah hier ist Fler [..], Sido [..], Bushido […]"). Die "Öhrchen-Plastik" verwendet G.
wie ein Mikrofon, wenn er in schnellem Tempo dem Erzählstil des Rap entsprechend seine
Assoziationen zu jedem Rapper aneinanderreiht, u.a. zitiert er einen Liedtext. Inhaltlich und
performativ steht dies in schroffem Widerspruch zu der von ihm tatsächlich erfahrenen Schul-
wirklichkeit ("Yeah, wir sind da, ihr werdet alle vernichtet"), die hier als ein Gegenhorizont zu
der Orientierungsfigur Rap aufgemacht wird. Dennoch scheint sich G. mit jeder Aufnahme der
Schulwirklichkeit ein kleines Stück mehr anzunähern, wobei er aber stets im Rahmen des
Rapperhabitus verbleibt. In der Aufnahme 03 wertet er deutschen Rap ab. Dies erstaunt zwar
in Anbetracht seiner Vorliebe für das Label Aggro Berlin. Die Devaluation bleibt aber durchaus
im Rahmen seiner bevorzugten Musikrichtung, die sich über "dissing", bspw. über die Abwer-
tung eines Wohlbehütetseins definiert. Die Tatsache, dass G. auf ein anderes Kind, das ihn
mehrmals anspricht und dem er offenbar lauscht, nicht eingeht, betont die Hermetik seiner
Identifikationen. Selbst in der dreimaligen Wiederholung, dass er glaube, die Klasse werde
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
gleich den Film "Die Vorstadtkrokodile" ansehen, "rappt" er seinen Kontextbezug. Hier kommt
entweder eine Distanz zum Schulgeschehen (in seiner Aussage "ich glaub' wir sehen gleich
…" liegt etwas unverkennbar Ironisches, Höhnisches in seiner Stimme) oder aber ein unsiche-
res prozedurales Wissen in Hinblick auf das Unterrichtsgeschehen zum Ausdruck. In der Auf-
nahme 03 kann man von der Intonation dieses Satzes her auf einen Anflug der Erleichterung
in Bezug auf das erwartete Schulgeschehen schließen. Mit dem "Glauben" G.s kontrastiert die
Entschiedenheit, mit der er stets zum Thema Rap zurückkehrt ("… aber erst mal Gangsta-
rap", "… Yo, wir werden jetzt 'Aggro Berlin'"). Wenn G. in der Aufnahme 04 melodiös und mit
betont kindlicher Stimme eine "bi ba bunte Biene" auftreten lässt, scheint er die genannten
Rapper zu ironisieren, deren "Habitus" hauptsächlich von dem Gestus erwachsen männlich
potenten Auftrumpfens bestimmt ist. Damit setzt G. einen individuellen Akzent. Er nimmt zu-
dem einen gewissen humorvollen Abstand zu seiner ansonsten mehrfach zum Ausdruck ge-
brachten Schulunlust ein. In der Aufnahme 05 klinkt er sich wieder in den Zirkel seiner Identifi-
kation mit den Rap-Stars ein, indem er deren materiellen Erfolg herausstreicht. Die Prosodie
lässt auf eine Nachahmung von Reklame schließen. Mit kurzem Lachen beschließt er den von
ihm gemimten Auftritt vermutlich eines Produzenten. Die Aufnahme 06 wirkt zunächst wie eine
Werbung für das Internetforum von "Aggro Berlin". Damit schwenkt G. auf die Seite der Fans
ein. Indem er die Werbung leise verhallen lässt, kommt er zu einem Nullpunkt, von dem her er
den "Subtext" des Rap von "Aggro Berlin" im Sinne des Sexappeals ihrer Musik auf das Publi-
kum markiert. Der erreichte Höhepunkt wird mit einer Abwertung der Homosexualität be-
schlossen. Unvermittelt gebietet G. dieser Interpretation wiederum Einhalt, indem er einer ima-
ginären Person ("Gesicht") vulgär den Mund verbietet. Indem G. "Habitūs" zuerst von DJs,
dann die Performanz von Produzenten, Werbemachern und schließlich des Publikums nach-
stellt und seine Inszenierung zudem humorvoll bricht ("bi ba bunte Biene"), tritt er selbst voll-
ständig hinter die verschiedenen gemimten Auftritte zurück. Im Vergleich zu dem in sich stim-
migen, hermetischen "konjunktiven Erfahrungsraum" des Rap, der hier inszeniert wird, nimmt
sich der "konjunktive Erfahrungsraum" Schule karg aus. Die Tatsache, dass ein Film gezeigt
werden soll, bleibt im Potentialis. Wiewohl häufiger von einem Mitschüler angesprochen, tritt
G. in keiner der Aufnahmen (01-33) mit einem anderen Kind in ein wirklich dialogisches Ver-
hältnis. Zweimal führt er ein inszeniertes Interview mit einem Mitschüler (Aufnahmen 11 und
20). Die Antworten des Interviewten sind im Bereich von Code, Prosodie, Tempo, Pausen
analog zu denen G.s, was auf kollektive Erlebniszentren und Orientierungsmuster schließen
lässt (vgl. BOHNSACK 2003, S.62f.). G. reagiert nur auf einen einzigen Impuls von außen,
das ist die Aufforderung eines Lehrers, das "Öhrchen" wegzulegen, die er zwar bedauert, der
er aber widerstandslos nachzukommen scheint (Aufnahme 28). Sporadisch (Aufnahmen 12,
13 und 16) äußert G. auch Gefallen am Schulunterricht. [29]
G. nutzt das "Öhrchen" in der Hauptsache dazu, den für ihn bedeutsamen "konjunktiven Er-
fahrungsraum" des Rap möglichst umfassend und exklusiv darzustellen und so seine vielfälti-
gen Orientierungsmuster und -figuren zu verdeutlichen. Anhand seiner Auseinandersetzung
mit diesem außerschulischen Erfahrungsfeld lässt sich folgender medial modulierte "Habitus"
herausarbeiten. [30]
3.1.1.3 Am analysierten Einzelfall aufweisbare medial vermittelte Arten der Wissensaneignung
Zuhörenden spielt G. in seinen Äußerungen generell die Rolle von Kollaborateur/inn/en bei ei-
ner medialen Inszenierung zu. Das Erkenntnissubjekt tritt in G.s Äußerungen dabei so weit
hinter den Zeigegestus bzw. hinter die von ihm gemimten "Habitūs" zurück, dass auf die re-
flektierende Funktion der Sprache vollständig verzichtet wird. Das Repräsentationsverhältnis
besteht im Sinne einer "universalistischen Performativität" (KRÄMER 2004, S.14) nicht länger
zwischen Sprache und Welt, sondern zwischen einer universalen Regelstruktur und der ein-
zelnen Aussage, die diesen Regeln bzw. Codes folgt. G.s Prosodie und Sprachgestus lassen
sich dementsprechend im Sinne eines Zeigegestus interpretieren, der in der Hauptsache auf
nicht verbalisierbare "Habitūs" verweist. Für die kulturellen Praktiken, über die G. verfügt, ist
offenbar nicht die Logik symbolischer Formen, sondern die "somatisierende Funktion der Me-
dien" bestimmend, die nach KRÄMER darin besteht, dass im Wechselverhältnis von Akteur
und Betrachter eine schöpferische Metamorphose der wahrgenommenen Welt herbeigeführt
wird (KRÄMER 2004, S.25). Die von G. verbal demonstrierten "Habitūs" lassen sich somit auf
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
das Grundprinzip einer sog. "korporalisierenden Performativität" (KRÄMER 2004, S.17f.) zu-
rückführen: Das Physische ist nicht mehr länger sinnleeres Bindeglied zwischen Erkenntnis-
subjekt und Wirklichkeit, und es ist auch nicht mehr nur Anhaltspunkt für einen dahinter lie-
genden immateriellen Sinn. Die Korporalität und Materialität eines bestimmten Darstellungsge-
schehens erhält vielmehr ein Eigengewicht, welches die Symbolizität und Ausdruckseigen-
schaften des sprachlich Artikulierbaren noch überschreitet. [31]
Aus dem "Habitus" als einem impliziten Wissensbestand lassen sich folgende in diesen einge-
lagerte, medial modellierte Strategien der Informationsverarbeitung, die kursiv kenntlich ge-
macht sind, herauslesen: [32]
G. markiert viele verschiedene "Habitūs" und zeigt damit auf der einen Seite seine Fähigkeit,
verschiedene Perspektiven einzunehmen. Auf der anderen Seite wird seine große Bereitschaft
deutlich, sich in performativer Art und Weise auf implizite Lerninhalte einzulassen. Indem er
eine verbal vermittelte, primär aber leiblich ausgetragene Interaktion zwischen verschiedenen
Aktionszentren vorführt, werden seine Bereitschaft und seine Ambitionen deutlich, sich ver-
schiedener Formen des Selbstausdrucks zu bedienen, die miteinander interferieren und korre-
spondieren, einander auch widersprechen etc. [33]
4. Diskussion und Ausblick
Die ursprünglich zur Analyse von Gesprächssituationen entwickelte "dokumentarische Metho-
de" wird hier zur Analyse von Monologen herangezogen, die an zum Zeitpunkt der Datenerhe-
bung den Untersuchungspersonen unbekannte und somit überhaupt fiktive Gesprächspart-
ner/innen, an Künstler/innen und Wissenschaftler/innen nämlich, adressiert sind. Die "Öhr-
chen-Installation" bietet auf der einen Seite den Vorteil, dass die Beforschten ihren Assoziatio-
nen freien Lauf geben können. Auf der anderen Seite werden bestimmte Relevanzsysteme,
die auf "konjunktive Erfahrungsräume" und die dort geltenden Regeln kommunikativer Ver-
ständigung zurückgeführt werden können, nicht wie sonst im Gespräch zwischen den Partizi-
pant/inn/en entfaltet. Ein Relevanzsystem muss vielmehr von den Beforschten erst jeweils
quasi im "luftleeren Raum" konstruiert werden. Dies kann sich insofern datenverzerrend aus-
wirken, als ein in sich schlüssiges und flüssiges Selbstgespräch zum einen voraussetzt, dass
der thematisierte Erfahrungsraum in außerordentlicher Weise markant und eindeutig ist. An-
dernfalls wird eine solche Homogenität im Monolog hergestellt. Zum anderen ist die stark aus-
geprägte Fähigkeit der Monologisierenden verlangt, sich auf eigene Referenzsysteme zu be-
ziehen. Kaum zum Ausdruck gebracht werden können in den "Subtexten" einander überla-
gernde und miteinander interferierende, also komplexe, genauso wie nur diffus ausgebildete
Relevanzsysteme. Dies gilt für das Erhebungsinstrument und führt damit über die hier vorge-
stellte konkrete Untersuchung noch weit hinaus. [34]
Nutzer/innen der "Öhrchen-Plastik", die in der Lage und dazu bereit sind, sich auf eigene und
markante Relevanzsysteme zu beziehen, eignen sich auch dafür, uns einer Antwort auf unse-
re Forschungsfrage zu nähern. Die Fähigkeit, sich auf eigene und markante Relevanzsysteme
zu beziehen, ist nämlich die Voraussetzung und zugleich die Folge eines "positiven Selbstkon-
zepts", und nachweislich bedingen sich das "positive Selbstkonzept" und das reflektierte Lern-
verhalten wechselseitig (vgl. Ergebnisse des SELF Research Center Sydney, MARSH et al.
2004), so dass Lernkompetenz in Fachtexten geradezu mit der Fähigkeit zu eigenmotiviertem
und selbstgesteuertem Lernen in eins gesetzt und davon ausgegangen wird, dass Lernstrategi-
en überhaupt nur unter Bedingungen der Selbstwertschätzung ausgebildet werden können. [35]
Anhand der vorgestellten Fallanalyse sollte dargelegt werden, dass und wie anhand der erho-
benen "Subtexte" des Unterrichts unter Hinzuziehung der "dokumentarischen Methode" je-
weils individuelle Fundi habituell verankerten, medial vermittelten Wissens herausgearbeitet
werden können. Von dort her, so wurde gezeigt, können auf explorative Weise solche Modi
der Wissensaneignung profiliert werden, die auf schulferne, insbesondere über Massenmedi-
en verbreitete Verarbeitungsmodi der Wirklichkeit (im Falle der Untersuchungsperson ist dies
Rap) zurückgeführt werden können. Die Tatsache, dass es sich bei den medial vermittelten
um informell angeeignete Lernstrategien handelt, lässt nicht zuletzt darauf schließen, dass es
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in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie
sich hier um eigenmotiviertes und selbstgesteuertes Lernen, sprich um Lernkompetenz han-
delt. [36]
Prospektiv dienen die ermittelten individuellen Fähigkeiten und prozeduralen Wissensprofile
unter entwicklungsorientierter Perspektive als Ausgangspunkt für eine Herausarbeitung unter-
richtspraktischer Konsequenzen. Dahinter steht die Vorstellung, dass ein positives und zu-
gleich leistungsfähiges Selbstkonzept von Schüler/inne/n dadurch gefördert werden kann,
dass ihre Lernkompetenzprofile im Rahmen des Unterrichts ausdrücklich thematisiert werden.
Vorstellbar wäre überdies ein an den herausgearbeiteten Lernstrategien der Schüler/innen ori-
entiertes Unterrichtsmodell. Im Falle einer Referenz auf das Lernkompetenzprofil von G. könn-
te bspw. das Konzept des Bremer Modellversuchs "Schule als Raumbühne. Körperlichkeit im
Medienzeitalter" (vgl. WENZEL 2004) aufgegriffen und weiterentwickelt werden. [37]
Im weiteren Forschungsverlauf bzw. im Zusammenhang einer Entwicklung von Unterrichts-
konzepten und deren wissenschaftlicher Evaluation wird insbesondere zu prüfen sein, inwie-
weit Schüler/innen, die das Forschungssetting einer "Öhrchen-Installation" nicht hinreichend
zur Artikulation der für sie bedeutsamen Relevanzsysteme nutzen oder auch solche, die ganz
andere Orientierungsfiguren und -rahmen als die im (noch zu entwickelnden) Unterrichtskon-
zept berücksichtigten thematisieren, über gleiche oder ähnliche Lernstrategien wie die im An-
schluss an die erste Projektphase beforschten Schüler/innen verfügen. [38]
Danksagung
Mein herzlicher Dank gilt allen an dieser Studie beteiligten Schülern und Schülerinnen für ihre
Erzählfreude sowie den Lehrerinnen und Lehrern für ihre geduldige Toleranz gegenüber der
"Öhrchen-Installation" während ihres Unterrichts.
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Zur Autorin
Anja KRAUS, geb. 1967, ist Juniorprofessorin
für Erziehungswissenschaft mit den
Schwerpunkten Unterrichts- und
Schulentwicklungsforschung an der
Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sie
hat an der Freien Universität Berlin
Erziehungswissenschaften und Philosophie und
an der Universität der Künste Berlin das Fach
Bildende Kunst auf Lehramt studiert. Zum
laufenden Forschungsprojekt siehe:
http://www.body-bytes.de/tma/subtext.
Kontakt:
Dr. Anja Kraus
Juniorprofessorin für
Erziehungswissenschaften
(Schwerpunkt: Schulentwicklungs- und
Unterrichtsforschung)
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Reuteallee 46
D-71634 Ludwigsburg
Tel.: 07141/140-745
Fax: 06141/140-695
E-Mail: kraus@ph-ludwigsburg.de
URL: http://www.ph-ludwigsburg.de/html/1b-
ewxx-s-01/home_kraus/kontakt.htm
Zitation
Kraus, Anja (2007). Zu medialen Einflüssen auf Habitūs und Lernstrategien bei Schüler/inne/n
in der Sekundarstufe I anhand von "Subtexten des Unterrichts" – eine empirische Studie [38
Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 8(3), Art.
11, http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/3-07/07-3-11-d.htm.
© 2007 FQS http://www.qualitative-research.net/fqs/
Conference Paper
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What´s is going on inside of pupils in Berlin during the lessons? Is there a difference to children of the same age in a comparable situation in Växjö/Sweden, in Sheffield/GB, in Nevşehir/Turkey or in Stuttgart/Germany? By the means of my setting of research, `Auricle-Installation´, that is developed especially for this project, it´s possible for 3rd and 4th grade pupils to express their secret ideas, wishes, fears etc. during the lessons in school (first phase of the project). There is one auricle for every child to record the utterings it speaks into "his/her" “ear”. It has been shown that competent problem solutions and self-directed learning processes require primarily the ability of learners to estimate their own knowledge and capabilities in a realistic and at the same time affirmative way (cf. results of the SELF Research Centre Sydney; cf. MARSH, BAUMERT, RICHARDS & TRAUTWEIN, 2004). Meanwhile, helping learners acquire realistic and positive self-concepts as well as the ability to be reflective learners has become a predominant training aim of schools of education and instruction. Reflective learning behavior refers to the ability of a learner to control her/his own learning processes (SIMONS, 1992). This learning attitude may be reflected in the proper use of learning strategies and successful completion of problems. Learning strategies are forms of acquiring realities that are made consciously, even if they are originally informally and implicitly learnt. They cover mainly elementary memorizing and heuristic forms of acquiring learning contents (HOFMANN, 2000) and the ability to transfer knowledge. In addition, learning strategies are brought to light in the active selection and structuring of knowledge and learning situations (BAUMERT et al., 2001). The “Auricle Installation” makes it possible to explore implicit learning strategies (cp. KRAUS, 2006a, 2007, 2009, 2013). Of interest is how listening practices may be enhanced through children’s interaction with the auricle. To reach this aim, the empirical study focuses on the question, how the pupils identify the auricle. The `auricle installation´ consists of external auricles as big as a child´s hand formed by a plastic material. In each of them a MP3-Player with microphone is installed. A child can turn it on or off. To participate at the project is voluntary. During one week in the lessons and breaks at school each participating pupil gets an auricle and is allowed to speak into it, what s/he maybe cannot utter otherwise. Pre-investigations that took place in 2006 in Sofia/Bulgary, Neuquen/Argentine, Stuttgart/Germany and Vaasa/Finland showed, that the utterings of the children in these countries differ a lot. The material is transcribed and analyzed according to the Documentary Method (Bohnsack 2003). The pupils signify the `Auricle´ as a spy, as a friend, a pedagogue, as an enemy, a stinking thing, a joyful toy etc. The identifications follow the course of their thoughts and experiences in the classroom and testify diverse habits, tacit interactions, power relations, suppressed or open feelings, taboos etc.
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Der vorliegende Band versammelt Beiträge zum Alltag des Schulessens, die alle im Rahmen eines Forschungsprojektes entstanden sind, das die ethnografische Erfassung, Dokumentation und Analyse der Praxisvollzüge der Schulverpflegung zum Ziel hatte. Alle Autor_innen waren an der Feldforschung in Schulen und/ oder an der anschließenden Auswertung der Daten beteiligt, wenn auch mit jeweils eigenen empirischen und theoretischen Schwerpunktsetzungen. Die Texte sind als eigenständig-abgeschlossene Beiträge konzipiert und damit für sich allein lesbar und verstehbar.
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Die vorliegende Studie präsentiert eine empirisch-explorative Untersuchung zu Gütekriterien qualitativer Forschung insbesondere aus dem Gebiet der Psychologie, zu deren Relevanz und Verbindlichkeit in der Publikationspraxis. Als Ausgangspunkt diente ein Katalog für Publikationsstandards von ELLIOTT, FISCHER und RENNIE (1999). Mit der Analyse von 68 Artikeln ließ sich aufzeigen, dass in Publikationen qualitativer Forschungsprojekte der Darstellung der Methodik häufig große Aufmerksamkeit galt, ebenso ethischen Fragen. Die Diskussion der Befunde wurde jedoch oft monoperspektivisch geführt und nur selten wurden methodische und projektspezifische Entscheidungen sowie Probleme und Grenzen der Designs erörtert. Die Anzahl erfüllter Kriterien erwies sich als abhängig vom Umfang der betreffenden Publikation: je länger die Publikation, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass eine hohe Anzahl an Qualitätskriterien erfüllt wurde. Ein Zusammenhang zwischen der Anzahl erfüllter Kriterien und der Publikationsform (Periodika vs. Herausgeber/innenband) ließ sich – mit einer Ausnahme – nicht feststellen: Artikel, die in fachspezifischen Zeitschriften publiziert wurden, wiesen meist keine höheren Standards der Wissenschaftlichkeit auf als Beiträge in Sammelbänden. Das methodische Vorgehen und die Befunde der eigenen Untersuchung werden einer kritischen Prüfung unterzogen; die Grenzen und die Möglichkeiten von Folgeuntersuchungen werden aufgezeigt.
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Eine besondere Herausforderung stellt sich der qualitativen empirischen Sozialforschung durch das erklärte Ziel einer methodisch angeleiteten Refl exion der vielfältigen, in einen Forschungsprozess eingehenden perzeptiven Interpretationsleistungen. Hier soll gezeigt werden, dass sich dazu insbesondere das Verfahren einer »phänomenologischen Reduktion« eignet. Im Anschluss wird ein Forschungsinstrument, die »Öhrchen-Installation«, sowie eine Definition »künstlerischer Feldforschung« vorgestellt und an einem Beispiel veranschaulicht, die das methodische Vorgehen einer »phänomenologischen Reduktion« unterstützen. Phänomenologie als eine Methode der qualitativ empirischen Sozialforschung Versteht man die sozialwissenschaftliche Forschung als die empirische Überprüfung eines Sets von bereits im Vorfeld einer Untersuchung getroffenen Entscheidungen, durch die ein Forschungsgegenstand bestimmt wird, so hat dies in Hinblick auf komplexe Themen keinen Bestand. Henri Piéron gibt dazu die folgende Begründung: »[…] zahlreiche Fakten zeigen, dass die perzeptiven Interpretationen [bereits schon, A.K.] der primären Sinnesdaten eine bemerkenswerte Plastizität aufweisen und dass ein und dasselbe Material je nach den Umständen sehr unterschiedliche Perzeptionen hervorruft.«
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Eine Forschergruppe, die den Begriff ‚Neue Medien‘ in der Formulierung ihres Themas verwendet, tut gut daran, sich über diesen Begriff Gedanken zu machen und sich darüber zu verständigen, wie sie ihn gebrauchen will. Dies kann allerdings nicht einfach wie bei einem wissenschaftlichen Terminus geschehen, dem man im Rahmen einer geschlossenen Theorie präzisierende Bedeutungskomponenten zuweisen könnte. Eine vorab vorgenommene exakte Begriffsbestimmung würde den Gegenstand insofern verfehlen, als das Konzept der ‚Neuen Medien‘ nicht erst durch die Wissenschaft konstituiert wird, sondern bereits in der ‚natürlichen Sprache‘ gegeben und zunächst in diesem Sinne zu rekonstruieren ist. Es handelt sich allerdings nicht um einen Ausdruck der Alltagssprache, an den man mit entsprechendem Allgemeinwissen anknüpfen und den man durch Präzisierungen schärfen könnte. Statt dessen liegt hier ein Begriff des öffentlichen Diskurses vor, der allmählich den Charakter eines ‚Schlagworts‘ erhalten hat. Schlagwörter dienen der simplifizierenden Verdichtung von komplexen Sachverhalten, die sie ‚schlaglichtartig‘ verdeutlichen sollen, und werden mit evaluativen und emotionalen Komponenten in persuasiven Zusammenhängen zur Mobilisierung bzw. Beschwichtigung eingesetzt; wobei sie vieles notwendig im Vagen belassen, so daß sie auch mit wechselnden Inhalten gemeint und verstanden werden können (vgl. Schippan, 1992; Bachem, 1979). Zu ihrem besseren Verständnis kommt es darauf an, möglichst sorgfältig die jeweiligen Problemkontexte zu explizieren, um ihre impliziten Bedeutungskomponenten zu kontrollieren.
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Bevor wir mit dem Diskurs beginnen, sehen Sie bitte den Vorspann und die unterlegten Szenen des Kinder-Kultfilms (Haupt-Zielgruppe: 8- bis 16jährige) „Wayne’s World“, der 1992 in den USA entstanden ist. Die Regisseurin Penelope Spheeris hat lange Zeit für die Werbung gearbeitet und sie in diesem Kinder-Kultfilm ironisch-zitierend inszeniert. Wir sehen in den wenigen, schnell geschnittenen Szenen eine Menge Werung (von ‚Noah’s Arche‘ bis zur „Keramik, die wächst“), ein junges Liebespaar beim Zappen, die Entdeckung des Bürgerkanals 10, in dem „Wayne’s World“ gegeben wird, eine Zitatmischung aus Alltagsjargon („das geht voll auf die Plomben“) und Werbeermunterung („das kapiert jeder”), Besuch eines Talk- und Showgastes, der die neue Erfindung des „Saug-Schneiders“ vorführt, immer wieder dazwischengeschnitten die Backstage-Szenerie der Technik, die die Medieninszenierung möglich macht, „die Jungs, die ihre eigene Show im Keller machen“ (und damit beginnt die Success-Story der beiden Boys, und wir sehen dies nicht nur, sondern hören dies alles in einem übersteigerten Sound- und Gesprächstrack in der überdrehten Form der Selbst- und Fremdanpreisung (von „saukomisch“ über „absolut brillant“ bis zu „überraschend exzellent“).
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Die Gegenüberstellung von „qualitativ“ und „quantitativ“, welche als zentrale Leitdifferenz die Auseinandersetzung in der empirischen Sozialforschung wesentlich bestimmt, erscheint methodologisch wenig begründet. Zentrale Differenzen lassen sich eher mit der Gegenüberstellung von rekonstruktiven und standardisierten Verfahren fassen. Das Buch stellt drei Wege rekonstruktiver Sozialforschung mit ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten vor: das Narrative Interview, die Objektive Hermeneutik und vor allem die Dokumentarische Methode. Es werden grundlegende Anforderungen diskutiert, welche an Methodologie und Forschungspraxis rekonstruktiver Sozialforschung zu stellen sind. Im Zentrum steht die vom Verfasser selbst entwickelte Dokumentarische Methode in ihren methodologischen Grundlagen und forschungspraktischen Verfahrensweisen im Bereich der Textinterpretation (insbesondere der Gesprächsanalyse und Gruppendiskussion) sowie der Bild- und Videointerpretation. Dieser Titel ist auf verschiedenen e-Book-Plattformen (Amazon, Libreka, Libri) auch als e-Pub-Version für mobile Lesegeräte verfügbar.