Und die Bibel hat doch recht: Ein Prophet gilt nirgend weniger als in seinem Vaterlande. Auch Kassandra wurde von den Trojanern für wunderlich oder schlicht verrückt angese-hen. Da darf es einen nicht wundern, daß Karl Jaspers' neues Buch hierzulande zwar heftig diskutiert, aber gerade von denen nicht ernst genommen wird, die es am meisten angeht: die Regierenden, der Bundestag und überhaupt
... [Show full abstract] alle, die in der Bundesrepublik politische Ver-antwortung tragen. Vielleicht lesen sie es nicht einmal, da ja der Bundeskanzler erst unlängst bei der Eröffnung des Olaf-Gulbransson-Mu-seums in Tegernsee wieder einmal gegen die ewigen Kritiker gewettert hat, diese "erbärm-lichen Kreaturen, die ein geistloses Geschäft betreiben, grundsätzlich herabwürdigen und alles, was dem Volk noch Wert geben könnte, negativ darstellen". Schlimme Leute sind das fürwahr, und zu ihnen gehört eben auch Karl Jaspers, auf den man, schließlich gehört man ja zum Volk der Dichter und Denker, als Philosophen stolz ist. Aber als politischer Prophet? Da wagt dieser Mann doch hinzuschreiben: "Es ist fast unbe-greiflich, daß die Mehrzahl der Politiker und die Bevölkerung nicht merken, was da ge-schieht, und nicht einmal die meisten derjeni-gen, die selber daran mitwirken (wie vor 1933)." Es ist in der Tat unbegreiflich. Der Dort-munder Parteitag der SPD, der hinsichtlich der Deutschlandpolitik endlich einige positive An-sätze gebracht hat, hat sich andererseits gegen nur 20 Stimmen für die Notstandsgesetze aus-gesprochen. Es ist, als ob alle die vielen Argu-mente, die gegen diese Gesetze von wohlunter-richteten Juristen, Physikern, Wirtschaftsfach-leuten und anderen seit Jahren vorgebracht worden sind, in den Wind geredet wurden.