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zbw Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
Leibniz Information Centre for Economics
Berthold, Norbert; Brischke, Marita; Stettes, Oliver
Working Paper
Betriebliche Bündnisse für Arbeit - eine empirische
Untersuchung für den deutschen Maschinen- und
Anlagenbau
Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre,
Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik, Universität Würzburg, No. 68
Provided in Cooperation with:
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrstuhl für
Volkswirtschaftslehre, insbes. Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik
Suggested Citation: Berthold, Norbert; Brischke, Marita; Stettes, Oliver (2003) : Betriebliche
Bündnisse für Arbeit - eine empirische Untersuchung für den deutschen Maschinen- und
Anlagenbau, Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre,
Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik, Universität Würzburg, No. 68
This Version is available at:
http://hdl.handle.net/10419/32510
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Betriebliche Bündnisse für Arbeit
Eine empirische Untersuchung für den
deutschen Maschinen- und Anlagenbau
Norbert Berthold
Marita Brischke
Oliver Stettes
Wirtschaftswissenschaftliche Beiträge
des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre,
Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik
Prof. Dr. Norbert Berthold
Nr. 68
2003
Sanderring 2 • D-97070 Würzburg
Betriebliche Bündnisse für Arbeit
Eine empirische Untersuchung für den
deutschen Maschinen- und Anlagenbau
Dieses Forschungsvorhaben wurde gefördert von der
IMPULS-Stiftung
Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und
die Informationstechnik
Norbert Berthold
Marita Brischke
Oliver Stettes
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik
Sanderring 2
D-97070 Würzburg
Tel.: 0931-312925
Fax: 0931-312774
Email:
norbert.berthold@mail.uni-wuerzburg.de
marita.brischke@mail.uni-wuerzburg.de
oliver.stettes@mail.uni-wuerzburg.de
1
Inhalt
1 Einführung: Betriebliche Bündnisse für Arbeit als Übergang zu einer
Dezentralisierung der Tarifpolitik .......................................................................3
2 Der Ausgangspunkt: Betriebliche Bündnisse für Arbeit in der
wissenschaftlichen Diskussion...........................................................................5
3 Betriebliche Bündnisse für Arbeit im deutschen Maschinen- und
Anlagenbau...............................................................................................................8
3.1 Konzeptionelle Grundlagen............................................................................8
3.2 BBfA – Herausforderungen in einem veränderten betrieblichen
Umfeld ..............................................................................................................8
3.2.1 Erhöhter Anpassungsdruck durch die fortschreitende
Globalisierung.......................................................................................8
3.2.2 Erhöhter Anpassungsdruck durch den Strukturwandel ...............10
3.2.3 Erhöhter Anpassungsdruck durch den technischen
Fortschritt ............................................................................................11
3.3 Die Inhalte von bBfA......................................................................................13
3.3.1 Wandel in der Arbeits- und Fertigungsorganisation und
Technologie........................................................................................13
3.3.2 Wandel in den Entgeltsystemen......................................................15
3.3.3 Wandel in den Arbeitszeitsystemen................................................18
3.4 Institutionelle Regelungen der Arbeitsmarktordnung und ihre
Auswirkungen auf bBfA.................................................................................20
3.4.1 Die Tarifordnung ................................................................................20
3.4.2 Der Kündigungsschutz......................................................................23
3.4.3 Die Betriebsverfassung.....................................................................24
3.5 Hypothesen über unterschiedliche Formen bBfA .....................................26
3.5.1 Anpassungsbündnisse......................................................................26
3.5.2 Präventionsbündnisse.......................................................................27
4 Auswertung der Untersuchung.........................................................................28
4.1 Methodische Grundlagen der Befragung ...................................................28
4.2 Inhaltliche Struktur der Befragung...............................................................28
4.3 Struktur der Auswertungsstichprobe...........................................................29
4.4 Betriebliche Bündnisse für Arbeit: allgemeine Ergebnisse und
strukturelle Unterschiede..............................................................................30
2
4.4.1 Der allgemeine Verbreitungsgrad betrieblicher Bündnisse
für Arbeit und der Einfluss allgemeiner
Unternehmensmerkmale ..................................................................30
4.4.2 Die Motive und der Anlass für den Abschluss betrieblicher
Bündnisse für Arbeit..........................................................................34
4.4.3 Motive und Anlass für den Abschluss von Präventions- und
Anpassungsbündnissen....................................................................36
4.4.4 Inhalte betrieblicher Bündnisse für Arbeit......................................39
4.4.4.1 Bündnisfeld: Vereinbarungen zum Entgelt -
allgemeine Trends..............................................................39
4.4.4.2 Bündnisfeld: Vergütung bei Anpassungs- und
Präventionsbündnissen......................................................42
4.4.4.3 Bündnisfeld - Vereinbarungen zur Arbeitszeit:
allgemeine Trends..............................................................45
4.4.4.4 Arbeitszeitzugeständnisse bei Anpassungs- und
Präventionsbündnissen......................................................48
4.4.4.5 Bündnisfeld - Begleitende Maßnahmen:
allgemeine Tendenzen.......................................................49
4.4.5 BbfA – Formen, Erfahrungen und Wirkungen...............................52
4.4.5.1 Verhandlungspartner, Verhandlungsdauer,
rechtliche Form und Laufzeit des bBfA ...........................52
4.4.5.2 Fördernde und hemmende Einflussfaktoren beim
Abschluss eines betrieblichen Bündnisses für
Arbeit.....................................................................................56
4.4.5.3 Wirtschaftliche Ergebnisse betrieblicher Bündnisse
für Arbeit: allgemeine Ergebnisse....................................59
4.4.5.4 Wirtschaftliche Ergebnisse in Anpassungs- und
Präventionsbündnissen......................................................61
5 Fallstudien betrieblicher Bündnisse für Arbeit.............................................69
5.1 Die Wohlhaupter GmbH................................................................................62
5.2 Die Manz Automation AG ...........................................................................624
5.1 Die Homag AG...............................................................................................62
5.1 Die Leitz GmbH & Co. KG..........................................................................627
6 Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen....................................................69
7 Anhang.....................................................................................................................74
Fragebogen Betriebliche Bündnisse für Arbeit...................................................75
8 Literaturverzeichnis..............................................................................................82
3
1 Einführung: Betriebliche Bündnisse für Arbeit als
Übergang zu einer Dezentralisierung der Tarifpolitik
Seit Mitte der 90er Jahre versuchen Politiker, Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände, dem Problem der steigenden Arbeitslosigkeit durch ein
gemeinsam angestrebtes „Bündnis für Arbeit“ zu begegnen. Im Zentrum der
Diskussion gilt das Verhältnis von Tarifpolitik und Beschäftigungssicherung als
das am meisten umkämpfte Gebiet. Als wichtige makroökonomische
Einflussgrößen gehören insbesondere die Höhe von Löhnen und Gehältern
und die Dauer der Arbeitszeit zu den zentralen Konfliktfeldern. Der
ursprüngliche Vorschlag zu einem Bündnis für Arbeit sah vor, dass die
Gewerkschaften in moderate Lohnabschlüsse einwilligen, wenn die
Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie im Gegenzug 300.000
zusätzliche Einstellungen zusagen. Auf Verbandsebene stieß dieses
beschäftigungspolitische Tarifangebot auf strikte Ablehnung. Nach einem
weiteren Anlauf im Herbst 1998 bildete es den Bezugspunkt für weitere
Kontroversen zwischen den beteiligten politischen Akteuren. Auch der
neuerliche Versuch im Frühjahr 2002, einen Konsens über eine
beschäftigungsorientierte Tarifpolitik im Zuge eines politisch angestrebten
Bündnis für Arbeit zu finden, scheiterte.
Diese Initiativen beruhten jedoch auf einem fundamentalen Missverständnis
über die Mechanismen auf den Arbeitsmärkten, denn Arbeitsplätze entstehen
nur dann, wenn bezahlbare Arbeit vorhanden ist. Arbeit wird bezahlbar, wenn
Produkte und Dienstleistungen zu attraktiven Konditionen angeboten werden,
wenn sie einen Kundennutzen signalisieren und wenn schließlich die
erforderliche Kaufkraft vorhanden ist. Arbeit ist folglich kein Ergebnis
politischer Entscheidungen, sondern das Ergebnis der Marktkräfte. Die
ordnungspolitische Aufgabe des Staates liegt lediglich darin, die optimalen
Rahmenbedingungen für die Schaffung von wettbewerbsfähigen
Arbeitsplätzen bereitzustellen, nicht hingegen selbst Arbeit zu schaffen. Der
einfachste Weg durch die Bereitstellung staatlicher Arbeitsplätze verbietet sich
in Zeiten, in denen die Staatsquote reduziert werden muss, um den privaten
Sektor von der Steuer- und Abgabenlast zu befreien, und die öffentliche
Verschuldung an ihre Nachhaltigkeitsgrenzen stößt. Die Gewerkschaften
forderten jedoch vom Staat verbindliche Zusagen für zusätzliche Arbeitsplätze.
Die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen, obliegt jedoch einzig den
Tarifvertragsparteien bzw. Unternehmen und Arbeitnehmern. Gleichgerichtete
Forderungen der Gewerkschaften an die Arbeitgeberverbände laufen jedoch
ebenfalls fehl, da verbindliche Arbeitsplatz- oder Ausbildungszusagen lediglich
die Geschäftsleitung eines einzelnen Unternehmens leisten kann.
Die Idee von einem Bündnis für Arbeit hat sich zunehmend in die Betriebe
verlagert. Wir nennen sie heute betriebliche Bündnisse für Arbeit (bBfA).
Dieser Begriff hatte eine Vielzahl von Vorreitern. Die krisengeschüttelten
frühen 90er Jahre waren durch eine steigende Zahl an
Unternehmensinsolvenzen und konkursbedrohten Unternehmen
gekennzeichnet. Bis weit ins Jahr 1993 hinein gab es bei den Gewerkschaften
4
noch keine konkreten Überlegungen darüber, wie die Tarifpolitik einen Beitrag
zur Entlastung der Betriebe und damit zur Verringerung der Arbeitslosigkeit
leisten könnte. Der Anspruch auf die faktische Umsetzung der 35-Stunden-
Woche stand auf der gewerkschaftlichen Agenda an oberster Stelle. Die
Szenerie änderte sich schlagartig, als die Volkswagen AG im Herbst 1993 zur
Vermeidung des Abbaus von 30.000 Arbeitsplätzen die Einführung der 4-
Tage-Woche ohne Lohnausgleich binnen weniger Wochen in einem
Haustarifvertrag mit der IG Metall vereinbarte. Ein vergleichbares Abkommen
schloss die IG Bergbau mit dem Steinkohlebergbau. In den Gewerkschaften
entwickelte sich daraufhin rasch eine intensive Diskussion. Die Bereitschaft
wuchs, unter bestimmten Voraussetzungen den Lohnausgleich für eine
Arbeitszeitverkürzung zur Disposition zu stellen (vgl. Bispinck, 2002, S. 18).
Der Druck auf Gewerkschaftsfunktionäre nahm zu, für Unternehmen in
wirtschaftlichen Notlagen durch Härte- bzw. Notfallklausen die Möglichkeit zu
schaffen, für einen bestimmten Zeitraum von den Normen des Tarifvertrages
abzuweichen. Die strikte Einhaltung tarifvertraglicher Entgelt- und
Arbeitszeitregelungen konnte krisengeschüttelten Unternehmen nicht ohne
Konsequenzen für die Beschäftigung weiter zugemutet werden.
Diesen ersten Entwicklungstendenzen einer Dezentralisierung der Tarifpolitik
folgten eine Reihe betrieblicher Flexibilisierungsvereinbarungen hinsichtlich
Lohn- und Arbeitszeitregelungen, die nicht ausschließlich in den
Definitionsbereich von Härte- bzw. Notfallklauseln gehörten. Der begrifflichen
Vielfalt waren keine Grenzen gesetzt, Bündnis für Arbeit, Beschäftigungspakt,
Standortsicherungsvertrag, Wettbewerbsbündnis, firmenspezifisches Bündnis
für Arbeit, Bündnis für Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit umfassten
den Variantenreichtum. Teilweise waren diese Vereinbarungen durch
Öffnungsklauseln sanktioniert, andere wurden im Rahmen von
Haustarifverträgen geschlossen. Gleichzeitig wurde die Bedeutung des
Flächentarifvertrages durch die sich umgreifende Tarifflucht zunehmend in
Frage gestellt (vgl. Lesch, 2001, S. 11). Mit einer teilweisen und vorsichtigen
Öffnung der Tarifverträge verfolgten die Gewerkschaften vorrangig das Ziel,
eine weitere Erosion des Flächentarifvertrags aufzuhalten. Tarifvertragliche
Öffnungsklauseln stellten lediglich eine defensive beschäftigungspolitische
Strategie dar, nicht eine offensive neue Beschäftigungsverhältnisse
schaffende (Lesch, 2001, S. 39).
Der tarifpolitische Handlungsbedarf ist deshalb auch keinesfalls ausgeschöpft.
Zum einen bieten die zeitlich befristeten Abweichungen für Betriebe mit
Ertragsproblemen häufig kein ausreichendes und zudem kein dauerhaftes
Entlastungspotential. Zu den Ausnahmen zählen bspw. Öffnungsklauseln in
der ostdeutschen Bauwirtschaft und der Chemischen Industrie. Ein Manko
besteht zum anderen darin, dass die Öffnungsklauseln in der Regel erst dann
in Anspruch genommen werden dürfen, wenn eine wirtschaftliche Notsituation
bereits eingetreten ist und die Tarifvertragsparteien zustimmen. Derartig
beschränkte Öffnungsklauseln erlauben dann aber häufig keine wirksamen
Maßnahmen mehr, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden (SVR, 1996, Tz
325).
5
Die angestoßene Diskussion um die Reformbedürftigkeit der deutschen
Arbeitsmarktordnung im Zuge bBfA kommt auch in der Regierungserklärung
zur Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder zum Ausdruck. Dort heißt es:
„Ebenso wie ich die Forderung an die Tarifparteien gerichtet habe,
Öffnungsklauseln zu schaffen, damit betriebliche Bündnisse entstehen
können, muss ich die Forderung an die Wirtschaft richten, die gegebene
Zusage einzuhalten. Wenn nicht, werden wir auch in diesem Bereich zu einer
gesetzlichen Regelung kommen müssen.“
Vor diesem Hintergrund scheint sich auch in den Köpfen der politischen
Akteure zunehmend die Einsicht durchzusetzen, dass bBfA einen
Bedeutungswandel der betrieblichen gegenüber der tariflichen
Regelungsebene im deutschen System industrieller Beziehungen einläuten.
Der Reformbedarf der deutschen Arbeitsmarktordnung wird offensichtlich.
Bislang leidet jedoch die politische Diskussion um bBfA an einem
Erkenntnisdefizit:
1. Welche betrieblichen Notwendigkeiten kommen in den Abschlüssen bBfA
zum Ausdruck?
2. Welchen Anforderungen muss eine moderne Arbeitsmarktordnung
genügen, damit sie ihrem ordnungspolitischen Auftrag gerecht wird, die
optimalen Rahmenbedingungen für die Schaffung wettbewerbsfähiger
Arbeitsplätze bereitzustellen.
Zielsetzung dieser umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung ist es
somit, einen zusätzlichen Beitrag zu einem besseren Verständnis bBfA zu
leisten und aus diesem besseren Verständnis den erforderlichen
wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf einer Reform der Arbeitsmarktordnung
zu gewinnen.
Dazu ist es zunächst erforderlich, einen Einblick in die wissenschaftliche
Diskussion zu geben und der Frage nachzugehen, was wir heute aus der
wissenschaftlichen Perspektive über bBfA wissen und in welchen Bereichen
vor allem noch Wissenslücken bestehen. Aus diesen Erkenntnissen wird
anschließend ein systematischer Rahmen zur Einordnung bBfA entwickelt, der
gleichzeitig die Ausgangsbasis für die Unternehmensbefragung der Mitglieder
des VDMA bildet. Anschließend werden die Untersuchungsergebnisse
ausführlich dargestellt. Zur ihrer Ergänzung werden beispielhaft vier
Fallstudien vorgestellt. Aus den Ergebnissen der Untersuchung werden
sodann die notwendigen wirtschaftspolitischen Reformbereiche der
Arbeitsmarktordnung mit ihren Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt.
2 Der Ausgangspunkt: Betriebliche Bündnisse für Arbeit
in der wissenschaftlichen Diskussion
Erste Informationen über das Phänomen bBfA konnten aus einzelnen
Fallstudien gewonnen werden. Besonders hervorzuheben ist in diesem
6
Zusammenhang die Übersicht der Deutschen Gesellschaft für
Personalführung (DGfP 1998). Der Arbeitskreis Personalwirtschaft erarbeitete
sechs Fallbeispiele, welche die Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten bBfA
widerspiegeln sollten. Schon in diesem Sammelband kommt zum Ausdruck,
dass Handlungsnotwendigkeiten und Inhalte bBfA eine breites Spektrum
umfassen (vgl. DGfP 1998, S. 41). Dies zeigte sich vor allem in den
unterschiedlichen Anlässen, in denen die veränderten Anforderungen aus
Globalisierung und Strukturwandel ihren Niederschlag fanden. Dazu zählten
Standortentscheidungen, Standortsicherung, Strukturkrise der Branche,
umfassende Verbesserungsprozesse, um sich raschen Veränderungen des
Marktumfeldes flexibel anpassen zu können, oder die Liberalisierung ehemals
regulierter Märkte. Die Mehrzahl der Vereinbarungen zielte auf eine
nachhaltige Verbesserung der Beschäftigungssicherheit. Die implementierten
Maßnahmen unterschieden sich je nach Anlass. Sie reichten von
produktivitätssteigernden Arbeitszeitflexibilisierungen bis hin zu einer
strategische Neuausrichtung der Unternehmensorganisation. Die Fallstudien
ebneten den Weg zu Folgeuntersuchungen und dienten gleichzeitig als
Hilfestellung für Unternehmen, die mit ähnlichen Herausforderungen
konfrontiert waren.
Ein ähnliches Bild skizziert auch der Sammelband von Ackermann und
Kammüller (Ackermann/Kammüller 1999). Neben fünf Fallbeispielen enthält er
eine erste empirische Untersuchung von bBfA (Ackermann/Vollmer 1999). An
der Befragung beteiligten sich 108 Mitgliedsfirmen des VDMA (Baden-
Württemberg) und des VMI (Nordwürttemberg-Nordbaden). Die Untersuchung
ergab erste Aufschlüsse über Zielsetzungen, Inhalte, Leistungen und
Gegenleistungen der Bündnispartner. Die zentralen Ergebnisse dieser Studie
bezogen sich vorrangig auf die Ziele und Inhalte bBfA. Ein Bündnis für Arbeit
wird charakterisiert durch das gemeinsame Ziel, Arbeitsplätze zu sichern bzw.
neue zu schaffen. Bei den befragten Unternehmen standen die Ziele
langfristige Standortsicherung, Arbeitszeitflexibilisierung und (Lohn-)
Kostenreduzierung im Vordergrund. Hinsichtlich der Inhalte dominierten die
arbeitszeitorientierten Maßnahmen. Um Arbeitsplätze zu sichern und die
Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sollte eine Flexibilisierung der Arbeitszeit
Schwankungen des Arbeitsanfalls ausgleichen, eine Arbeitszeiterhöhung
ohne Lohnausgleich und ein Verzicht auf Überstundenzuschläge die
Personalkosten reduzieren (vgl. Ackermann/Vollmer 1999, S. 203). Die
Autoren vermieden jedoch allgemeine Handlungsempfehlungen für
Unternehmen und betonten lediglich den informativen Charakter ihrer
Untersuchung (Ackermann/Vollmer 1999, S. 203).
Umfassendere empirische Untersuchungen wurden von Seifert (Seifert 2000
und 2002) sowie Mauer und Seifert (Mauer/Seifert 2001) durchgeführt. Die
Ergebnisse basieren auf repräsentativen Erhebungen im Rahmen der WSI-
7
Betriebsrätebefragung von 1999/2000.1 Die Zielsetzungen der drei Studien
waren einerseits, den Verbreitungsgrad bBfA festzustellen, und andererseits,
strukturcharakteristische Merkmale zwischen verschiedenen Bündnissen
herauszufiltern. Rund 30% der Betriebe hatten eine Vereinbarung zur
Beschäftigungs- bzw. Standortsicherung abgeschlossen. Aus den
Untersuchungen wurde deutlich, dass bBfA nicht nur in Krisenbetrieben
existierten, sondern selbst in prosperierenden Betrieben mit guter
Auftragslage, mit steigenden Umsätzen und mit Ertragszuwächsen, um
Arbeitskosten zu senken, die Produktivität zu erhöhen und die Beschäftigung
nachhaltig zu sichern. Die Autoren vermuteten einen nachweisbaren Einfluss
der wirtschaftlichen Lage auf die Inhalte der Bündnisvereinbarung und
erhofften, auf die spezifischen Problemlagen zugeschnittene Strategiemuster
identifizieren zu können. Ihre Analyse konnte zunächst allgemeine Tendenzen
herauskristallisieren. BBfA wurden relativ unabhängig vom
gesamtwirtschaftlichen Konjunkturzyklus geschlossen und fanden in weiten
Teilen der Wirtschaft Verbreitung. Die Bündnisvereinbarungen setzten sich
aus vielschichtigen Maßnahmepaketen zusammen. Die Betriebsräte machten
Zugeständnisse sowohl bei der Arbeitszeit als auch beim Einkommen und
signalisierten ihre Zustimmung zu organisatorischen oder qualifikatorischen
Maßnahmen, welche die Voraussetzungen für Beschäftigung und
Wettbewerbsfähigkeit schaffen sollten. Im Gegenzug verpflichteten sich die
Arbeitgeber zur Aufrechterhaltung von Beschäftigungsverhältnissen und
Standorten. Die Vereinbarungen dienten der direkten oder indirekten
Sicherung von Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
Die Betriebe beschritten aber in Abhängigkeit von ihrer Ertragslage
unterschiedliche Wege. In Unternehmen mit stagnierender oder rückläufiger
Auftragslage wurden Arbeitsvolumen und Einkommen eher reduziert.
Dagegen wurden in Betrieben mit guter wirtschaftlicher Lage vorrangig
arbeits- und betriebszeitverlängernde Vereinbarungen getroffen. Die Autoren
bewerteten die zunehmende Verbreitung bBfA in Betrieben mit einer guten
wirtschaftlichen Lage als kritisch. Aus ihrer Perspektive ging der
Ausnahmecharakter verloren, der für sie in existenz- und
beschäftigungsbedrohenden Krisensituationen begründet war. Die
zunehmende Dezentralisierung der Tarifpolitik beurteilten die Autoren negativ,
befürchteten sie in deren Folge die Degenerierung tariflichvertraglicher
Normen zu bloßen Orientierungswerten.
Die Diskussion der wissenschaftlichen Literatur lässt folgendes Fazit zu:
1. Eine einheitliche Begriffsbildung steht noch aus.
2. Bis heute existiert keine systematische Differenzierung zwischen
unterschiedlichen Bündnistypen.
1 Die Ergebnisse basieren auf 1.390 auswertbaren Fragebögen aus dem privatwirtschaftlichen
Bereich mit Ausnahme des Bergbaus und der chemischen Industrie. Befragt wurden die
Interessenvertretungen in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten.
8
3. Die Untersuchungen waren zwar hilfreich für die unternehmerische Praxis,
indem sie Orientierungsbeispiele lieferten, Handlungsempfehlungen für die
Politik konnten jedoch nicht entwickelt werden.
3 Betriebliche Bündnisse für Arbeit im deutschen
Maschinen- und Anlagenbau
3.1 Konzeptionelle Grundlagen
Vor diesem Hintergrund verfolgt diese Studie das Ziel, die bestehenden
Wissenslücken über bBfA zu füllen. Das bedeutet erstens, eine einheitliche
Definition bBfA zu entwickeln. Zweitens soll sie über allgemeine Ergebnisse
bBfA hinaus neue Informationen über charakteristische Merkmale und Struktur
verschiedener Bündnistypen gewinnen. Eine systematische Differenzierung
unterschiedlicher Notwendigkeiten für den Abschluss bBfA leistet drittens
einen wertvollen Beitrag für die Wirtschaftspolitik, indem sie das Verständnis
über bBfA erweitert und die Voraussetzungen schafft, adäquate Leitlinien für
eine Reform der Arbeitsmarktordnung zu formulieren.
Dazu ist es zunächst erforderlich, einen systematischen Rahmen mit
konsistenten Hypothesen über unterschiedliche Handlungsmuster bBfA zu
entwickeln. Der erste Schritt widmet sich der Frage, welche spezifischen
Problemlagen im unternehmerischen Umfeld vorherrschen und warum sich die
Unternehmen dazu veranlasst sehen, ein bBfA abzuschließen. Anschließend
wird in einem zweiten Schritt der Frage nachgegangen, wie die Unternehmen
den Problemlagen begegnen und welche Maßnahmen die Betriebe als
Anpassungsinstrumente wählen. Daran schließt sich als dritte Frage an, ob
sich unterschiedliche Handlungsmuster identifizieren lassen und welche
Hypothesen in diesem Zusammenhang formuliert werden können. Schließlich
stellt sich viertens die Frage, ob und auf welche Weise die arbeitsrechtlichen
Rahmenbedingungen den Abschluss bBfA beeinflussen.
3.2 BBfA – Herausforderungen in einem veränderten
betrieblichen Umfeld
3.2.1 Erhöhter Anpassungsdruck durch die fortschreitende
Globalisierung
Seit Mitte der 70er Jahre haben sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten
gravierend verändert. Die Verflechtung der internationalen Güter- und
Kapitalmärkte ist kontinuierlich vorangeschritten und hat zu einer höheren
Bestreitbarkeit der Märkte geführt. Mehr als früher ist heute der Weltmarkt der
relevante Markt für Unternehmen. Entscheidungen über die Auswahl von
Beschaffungsquellen, über Absatzgebiete sowie über Standorte für die
Produktion oder die Forschung und Entwicklung werden im internationalen
Kontext gefällt. Internationale Liefer- und Kundenbeziehungen erhöhen die
Anfälligkeit der Ertragslage der Unternehmen gegenüber negativen
9
konjunkturellen Entwicklungen in anderen Weltregionen. Die
Anpassungslasten nehmen zu.
Die Welt ist näher zusammengerückt. Den Unternehmen eröffnen sich neue,
lukrativere Märkte. Gleichzeitig sind den Unternehmen neue
wettbewerbsfähige Konkurrenten, vor allem aus Südostasien, erwachsen (vgl.
Grömling 1998, S. 24). Die Internationalisierung der Märkte in den letzten
zehn bis 15 Jahren hat den globalen Wettbewerb forciert und in Deutschland
eine intensive Standortdebatte ausgelöst (Beyfuß et al. 1997, S. 10). Deutsche
Kosten stehen im globalen Preiskampf. Die adäquate Antwort auf diese
Herausforderung verlangt jedoch mehr als bloße Kostendisziplin in den
Unternehmen. Die sozialen Sicherungssysteme geraten unter Druck, die
steigenden Lohnnebenkosten belasten den Faktor Arbeit zusätzlich. Der
Weltmarkt verlangt strukturelle Veränderungen an den Stellen, wo verkrustete
soziale Strukturen den Konkurrenzbedingungen des Weltmarktes nicht mehr
entsprechen. „Deutsche Kosten“ finden ihre Benchmark auf dem Weltmarkt
(vgl. Altvater 1997, S. 13ff.).
Viele Unternehmen versuchen im intensiveren Kostenwettbewerb, durch
kostensenkende Maßnahmen preisgünstige Produkte anbieten zu können,
damit Marktanteile gehalten werden können. Diesen Weg verfolgt man häufig
in ausgereiften Produktmärkten, die im Zuge der Internationalisierung der
Gütermärkte einem besonders intensiveren Kosten- und Preiswettbewerb
ausgesetzt sind. Der gestiegene Preisdruck zwingt die Betriebe, ihre
bestehende Kostenstrukturen auf den Prüfstand zu stellen. Die im
internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten in Deutschland erweisen sich
für viele Unternehmen als entscheidender Wettbewerbsnachteil.
Bis Anfang der 90er Jahre begegnete man den Herausforderungen eines
intensiveren Preiswettbewerbs mit Standortverlagerungen und massivem
Personalabbau, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wieder
herzustellen. Standortverlagerungen ins Ausland sollten dazu beitragen, von
günstigeren Kostenstrukturen ausländischer Produktionsstandorte zu
profitieren. Der technische Fortschritt erleichterte den Personalabbau als
Anpassungsstrategie, indem er die Automatisierung der Arbeitsabläufe
vorantrieb. Die Betriebe versuchten auf diese Weise, die Bedeutung der
Arbeitskosten zurückzudrängen. Jedoch ist zunehmend die Einsicht gereift,
dass die Verlagerung von Wertschöpfungsaktivitäten an ausländische
Standorte nicht immer die erfolgreichste Strategie ist, sondern auch mit
schwierig abzuschätzenden Risken behaftet sein kann (vgl. Zahn 1996, S. 6).
Gleichzeitig mussten die Betriebe einen umfassenden Personalabbau mit
erheblichen Zusatzkosten durch die Aufstellung von Sozialplänen und
Produktivitätseinbrüchen erkaufen, wenn unverzichtbares Know-how verloren
ging und das Betriebsklima beeinträchtig wurde (vgl. DGfP 1998, S. 51).
Mit dem Abschluss von bBfA versuchen die Unternehmen, neue Wege
einzuschlagen. Die Zielsetzungen richten sich vorrangig darauf, die
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen, die Produktivität
des Unternehmens zu erhöhen, die Arbeitskosten zu reduzieren, um den
10
Standort mittel- bis langfristig zu sichern und die Beschäftigungsperspektiven
nachhaltig zu verbessern.
3.2.2 Erhöhter Anpassungsdruck durch den Strukturwandel
Die fortschreitende Internationalisierung der Märkte durch den zunehmenden
internationalen Handel und das international immer mobilere Kapital tragen
dazu bei, dass sich der strukturelle Wandel rasanter vollzieht. Ein
voranschreitender Strukturwandel ist zunächst das Kennzeichen für jede
dynamische Volkswirtschaft. Die Unternehmen stehen jeden Tag auf dem
Prüfstand und müssen ihre Positionen gegen ihre Konkurrenten behaupten.
Eine funktionierende Marktwirtschaft kennt deshalb keine Besitzstände. Neue
Ideen, Konzepte und Wettbewerber bedrohen ständig das Althergebrachte.
Mit dem Strukturwandel ist eine ständige Reallokation der Produktionsfaktoren
verbunden, die zu einer höheren Effizienz und einem wachsenden
Sozialprodukt führt (vgl. Grömling 1998, S. 12). Er eröffnet Chancen und bietet
Perspektiven. Der Strukturwandel in Deutschland in den 50er und 60er Jahren
mit der Umschichtung von Ressourcen aus der Landwirtschaft in die
produktivere Industrie bildete die Grundlage für das Wirtschaftswunder der
Nachkriegszeit. Eine derartige Entwicklung zeigt sich auch in anderen
Weltregionen. Südostasien ist das herausragende Beispiel der letzten
Jahrzehnte für die Wohlfahrtsgewinne, die durch einen Strukturwandel vom
Agrar- in den Industriesektor entstehen (Young 1995).
Der strukturelle Wandel zwischen den Sektoren ist jedoch nicht beendet.
Heutzutage vollzieht sich der intersektorale Strukturwandel von der Industrie-
zur Dienstleistungsgesellschaft. Die sogenannte Tertiarisierung hat in den
letzten Jahren am stärksten zum wirtschaftlichen Wachstum beigetragen. Der
Anteil des Dienstleistungssektors an der gesamtwirtschaftlichen
Wertschöpfung nimmt kontinuierlich zu Lasten der Industrie zu. Der Wandel
zur Dienstleistungsgesellschaft schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder.
Der Beschäftigtenanteil der Dienstleistungsbranchen liegt mittlerweile bei
knapp zwei Drittel und entlastet den Arbeitsmarkt von Arbeitsplatzeinbußen im
Produzierenden Gewerbe. Dagegen ist der Anteil der Industrie an der
gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung mittlerweile wieder auf das Niveau von
1882 gefallen.
Der Strukturwandel vollzieht sich aber auch innerhalb der Wirtschaftszweige,
das heißt intrasektoral. Der intrasektorale Strukturwandel verändert die
Tätigkeitsprofile. In der Industrie lassen sich mittlerweile über die Hälfte der
Tätigkeiten dem Dienstleistungssektor zuordnen (vgl. Grömling 1998, S. 120).
Auch die sektorübergreifende Vorleistungsverflechtung nimmt mehr und mehr
zu. Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sind in vielfältiger Weise
wechselseitig über Vorleistungen und übergreifende Problemlösungskonzepte
verknüpft. Das Markenzeichen für die inter- und intrasektorale Arbeitsteilung
ist die zunehmende Konzentration auf Kernkompetenzen in Form von
Outsourcing. Eine weitere Facette des intrasektoralen Strukturwandels ist ein
stetiger Substitutionsprozess von Arbeit durch Kapital. In allen Branchen
11
werden vermehrt intelligente Vorleistungen und informationsintensive
Technologien eingesetzt. Arbeit wird nicht nur durch andere
Produktionsfaktoren ersetzt, auch die Anforderungen an die Qualifikationen
der Arbeitnehmer nehmen zu.
Der intersektorale Strukturwandel ist mit einem dauerhaften Niedergang
bestimmter Branchen verbunden. Die Unternehmen sind mit einer sukzessiv
rückläufigen Nachfrage konfrontiert. Die Motive für einen Abschluss eines
bBfA können vor dem Hintergrund von Branchenkrisen in dem Abbau von
Arbeitsreserven, einer Steigerung der Produktivität und der Reduzierung von
Arbeitskosten liegen. Der intrasektorale Strukturwandel stellt für Unternehmen
die Ausgestaltung ihrer Produktions- und Arbeitsprozesse auf den Prüfstand.
Die Auslagerung von Teilen der Wertschöpfungskette aus dem
Unternehmensverbund, der Zusammenschluss von Betriebsteilen oder mit
anderen Unternehmen sowie die Wahl eines geeigneten Standortes können
den Abschluss eines bBfA verursachen.
3.2.3 Erhöhter Anpassungsdruck durch den technischen Fortschritt
Der technische Fortschritt wird vor allem durch die neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien (IuK) vorangetrieben. Seit Mitte der 70er Jahre
verändern Automatisierung und Informatisierung in hohem Tempo
Produktions- und Arbeitsprozesse. Die Kosten der Raumüberwindung, vor
allem für Informationsflüsse, sind erheblich gefallen.2 Informationen und
Wissen können in Sekundenschnelle weltweit ausgetauscht werden. Die Zeit
wird mehr und mehr zum limitierenden Faktor wirtschaftlichen Handelns.
Verzögerte Reaktionen auf Veränderungen im betrieblichen Umfeld können zu
ernsten Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit und Ertragslage der
Unternehmen führen. Durch den globalen Austausch von Wissen und Ideen
hat die Innovationsdynamik zugenommen. Deutsche Unternehmen stehen vor
der Herausforderung sich dem Innovationswettbewerb zu stellen. Die
Konzentration der Innovationsaktivität in Deutschland auf sogenannte
Medium-Tech-Sektoren bzw. auf Sektoren, in denen eine dominierende
Technologie in einem kumulativen sukzessiven Verbesserungsprozess
optimiert wird (Legler/Licht/Spielkamp 2000), ist ein Indiz dafür, dass deutsche
Unternehmen vieler Orts auf die neuen Herausforderungen lediglich reagieren,
statt als Vorreiter die technologische Entwicklung voranzutreiben.
Die deutsche Industrieforschung hat in den meisten Bereichen lange Zeit die
Forschung und Entwicklung in Spitzentechnologien vernachlässigt. Ihre Stärke
lag in den letzten Jahrzehnten vorwiegend in der kompetenten Anwendung,
Umsetzung und Weiterentwicklung von, zu einem nicht unerheblichen Teil
2 Nach Angaben der Weltbank sanken beispielsweise die Kosten für ein Drei-Minuten-
Telefongespräch von New York nach London in Preisen von 1990 von 250 US-$ (1930), 50 US-
$ (1950) auf 3,32 US-$ im Jahr 1990. Auch die Kosten der Informationsverarbeitung fielen von
1 US-$ pro Instruktion im Jahr 1975 um den Faktor 100 auf einen Cent im Jahr 1994 (Siebert
1996, S. 1).
12
importierten, Spitzenforschungsergebnissen. Der wirtschaftliche Erfolg auf den
internationalen Märkten gab deutschen Unternehmen lange Zeit Recht.
Günstige Einkommens und Beschäftigungsperspektiven versprachen in der
Vergangenheit insbesondere Sektoren hochwertiger Technologien (Chemie-,
Elektroindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau), in denen die angestammten
Kompetenzen mit neuen Spitzentechnologien kombiniert wurden und zu einer
sukzessiven Verbesserung bestehender Produkte und Verfahren beitrugen
(vgl. BMBF, 2002, S. 42).
Dieser Weg führt jedoch nicht mehr weiter. Der internationale
Innovationswettbewerb wird in Zukunft zunehmend durch Brüche
gekennzeichnet und nicht durch eine kontinuierliche Entwicklung. Sinkende
Informations- und Transportkosten und die zunehmende Liberalisierung des
Welthandels haben die Wahlmöglichkeiten der Kunden dramatisch erhöht. Der
Strukturwandel vollzieht sich immer schneller und die Lebenszyklen von
Produkten verkürzen sich drastisch. Deutsche Unternehmen müssen nicht nur
rasch und flexibel auf veränderte Kundenwünsche reagieren, sondern die
Veränderungen aktiv betreiben und mitgestalten. Durch neue Produkte oder
Produktionsverfahren realisierte Wettbewerbsvorteile müssen permanent neu
kreiert werden. Verbesserte, neue Problemlösungen, die für Kunden Mehrwert
stiften, sind deshalb das einzig wirksame Mittel zur Differenzierung im
Wettbewerb und zur nachhaltigen Sicherung von Wettbewerbsvorteilen,
Arbeitsplätzen und Einkommen.
IuK-Technologien können global verflochtene Transaktionen effizient
koordinieren. Die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens kann
räumlich getrennt werden. Diese neue Teilbarkeit hat den Standortwettbewerb
verschärft. In der Vergangenheit waren einzelne Bereiche und Abschnitte
einer Wertschöpfungskette vor einer Verlagerung geschützt, weil der gesamte
Leistungserstellungsprozess an einem Standort erfolgen musste.
Synergieeffekte waren lokal beschränkt. Die Wahl eines Produktionsstandorts
implizierte eine „Alles-oder-Nichts-Entscheidung“ (vgl. Grömling 1998, 29).
Heutzutage muss jedes Glied einer Wertschöpfungskette permanent
beweisen, dass der gegebene Standort auch künftig der optimale ist. Die
Folge ist eine funktionsräumliche Arbeitsteilung. Die einzelnen regionalen
Standorte spezialisieren sich auf solche Produktionsschritte, bei denen sie
gegenüber allen anderen einen relativen Kosten- bzw. Produktivitätsvorteil
aufweisen. Globalisierung und technischer Fortschritt gehen mit einer
räumlichen Dezentralisierung der Arbeits- und Fertigungsprozesse einher. Die
neuen IuK-Technologien erlauben die zeitnahe Führung und Kontrolle
dezentraler Einheiten trotz deren Autonomie. Sie verringern die Bedeutung
des sogenannten Herrschaftswissens, indem sie die Verbreitung von
Informationen und Wissen vorantreiben. Die Teilnahme aller betrieblichen
Akteur am Informations- und Wissenskreislauf im Unternehmen ist die Basis
für den unternehmerischen Erfolg in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld.
Moderne IuK-Techniken beschleunigen den Kreislauf der Informationen.
Die neuen IuK-Technologien verändern ferner die
Qualifikationsanforderungen, die Kooperationsformen und die Arbeitsinhalte
13
auf Seiten der Beschäftigten (vgl. Meier 1999, S. 8ff.). Umfassende
Fähigkeiten der Mitarbeiter in der Produktion, der Verwaltung, bei der
Ausbildung, in der Kundenbetreuung und Produktentwicklung werden durch
die Integration von Aufgabengebieten und Teamarbeit wichtiger. Diese
Tendenz gefährdet nachhaltig die Einkommens- und
Beschäftigungsperspektiven von gering- und spezifisch qualifizierten
Arbeitnehmern. Neue Kooperationsformen, dezentralere
Organisationsstrukturen und flachere Hierarchien führen zur Aufgabe der
strengen funktionalen Arbeitsteilung in einem Betrieb und verstärken den
Bedarf an sehr gut qualifizierten Mitarbeitern, welche imstande sind, integrierte
Arbeitsaufgaben zu lösen und auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.
Im Zuge des technischen Fortschritts steht eine Geschäftsleitung vor der
Herausforderungen, die Automatisierung von Arbeitsabläufen voranzutreiben,
die Innovationskraft zu stärken und die Arbeitsorganisation auf ein
dynamisches Umfeld einzustellen. Der nachhaltige Erfolg eines Betriebes
hängt maßgeblich von der Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit der
Mitarbeiter ab.
3.3 Die Inhalte von bBfA
Globalisierung, Strukturwandel und technischer Fortschritt erzeugen
unterschiedliche Problemlagen in den Unternehmen, denen
Geschäftsleitungen und Belegschaften durch den Abschluss bBfA
entgegentreten. Eine Absenkung der Arbeitskosten mit Hilfe moderater
Lohnabschlüsse ist nur unter bestimmten Rahmenbedingungen die
erfolgreiche Anpassungsstrategie. Darüber hinaus ist in vielen Fällen eine
Modernisierung oder sogar eine vollständige Neuausrichtung des
Unternehmens erforderlich. In Abhängigkeit von den
unternehmensspezifischen Anforderungen werden sich die Maßnahmen
unterscheiden, wie ein Betrieb das allgemeine Ziel, die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu realisieren versucht.
Sie können in drei Bereiche untergliedert werden:
1. Veränderungen in der Arbeitsorganisation
2. Veränderungen im Entgeltsystem
3. Veränderungen im Arbeitszeitsystem
3.3.1 Wandel in der Arbeits- und Fertigungsorganisation und
Technologie
Die Neuausrichtung von Unternehmen ist ohne simultane Restrukturierung der
Arbeitsprozesse nicht möglich. In vielen Unternehmen, in denen eine
Erneuerung ein ernsthaftes Anliegen ist, kann ein Abwenden von
bürokratischen Strukturen und ein Hinwenden zu flexiblen Strukturen
beobachtet werden (vgl. Zahn 1996, S. 19). Die Geschäftsleitung sucht nach
14
Instrumenten, die eine permanente Rückkoppelung zwischen
Marktentwicklungen und dem Handeln im Unternehmen fördern.
Unternehmerisches Denken und Handeln der Mitarbeiter, die Orientierung
aller Arbeits- und Fertigungsprozesse an den Bedürfnissen des Kunden sind
umfassende Antworten auf grundlegend veränderte Geschäftsanforderungen,
die sich vor allem durch eine höhere Variabilität und damit auch durch eine
höhere Unsicherheit auszeichnen.
In Zeiten grundlegenden Wandels erweist sich das Handeln in gewohnten
Strukturen und das Denken in alten Bahnen vieler Orts als Hindernis. Die
hierarchische Arbeitsorganisation, das dominante und bewährte
Unternehmensmodell des Zwanzigsten Jahrhunderts, offenbart Schwächen in
einem Umfeld permanenten Wandels. Organisationsmodelle auf der Basis von
Geschäftseinheiten und Projektteams sind hierfür die adäquate Alternative.
Sie bieten Vorteile in Bezug auf Autonomie, Identität und Flexibilität. Ihr
Funktionieren hängt im Wesentlichen vom Handeln der Unternehmensführung
im Verbund mit der Identifikation und dem Engagement der Mitarbeiter ab (vgl.
Zahn 1996,S. 20).
Bis Mitte der 80er Jahre stand bei der Modernisierung eines Betriebes der
Einsatz neuer Technologien im Vordergrund. Der Fokus hat sich seither von
der Technikzentrierung auf die Einführung neuer Managementmethoden
(Lean Management, Business Reengineering, Total Quality Management), der
Umsetzung neuer Formen der Arbeitsorganisation und die Abschöpfung der
Potentiale verschoben, welche in den Mitarbeitern des Unternehmens ruhen.
Die sich weitgehend selbststeuernde kleine Arbeitsorganisation wird zur
Plattform, auf welcher Mitarbeiter und Technik eine Symbiose bilden, keine
Antipoden. IuK-Technologien sind die Grundlage für flexible Informations-,
Planungs- und Steuerungssysteme und fördern selbstgesteuertes, innovatives
Handeln. Die Informationssysteme gewähren einen schnellen Zugang zu den
im Unternehmen vorhandenen produkt- und prozessbezogenen
Problemlösungskompetenzen sowie zu aktuellen Informationen über Markt-
und Wettbewerbsveränderungen. Sie steuern den unabdingbaren
Wissenstransfer quer über die Funktionen und Abteilungen sowie entlang der
gesamten Wertschöpfungskette sowohl innerhalb eines Unternehmens als
auch zwischen eigenständigen Betrieben. Die Dezentralisierung von
Entscheidungskompetenzen und Verantwortlichkeiten erschließt und verbindet
die Wissensquellen in der Unternehmung. In relativ selbständigen,
eigenverantwortlichen und selbstorganisierten Einheiten (Arbeitsgruppen)
handeln die Mitarbeiter unternehmerisch, denn die steigende Komplexität von
Aufgaben und Arbeitsabläufen steht einer zentralen Planung und Steuerung
der Prozesse entgegen. Sie ist nur noch in den Feldern effektiv, in denen sie
der Abstimmung zwischen selbständig arbeitenden kleineren Einheiten und
der Sicherung des Unternehmenszieles dient.
Der Grad der Arbeitsteilung in den Unternehmen verringert sich wieder.
Hierarchie werden aufgebrochen. Die „funktionale Hierarchie-Organisation“
wandelt sich in eine „prozessorientierte[n] Organisation mit dezentralen
Verantwortungsbereichen“ um, welche vorrangig auf die Bedürfnisse der
15
Kunden ausgerichtet ist (Adenauer et al., 1999, 29). Für die Entwicklung von
Produkten und Komponenten werden Teams zusammengestellt, denen
Mitarbeiter aus den jeweiligen relevanten Fachbereichen, Marketing,
Entwicklung, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Produktion, Rechnungswesen
und Einkauf angehören. Eine flexible Organisation geht im Grunde genommen
weit über den innerbetrieblichen Bereich hinaus, sie bezieht die Zulieferer und
selbst den Handel als wichtige Schnittstelle zum Kunden mit ein. Der
technische Fortschritt ermöglicht die Entstehung sogenannter virtueller,
grenzenloser Unternehmensstrukturen (Picot 1998). Sie manifestieren sich in
Form von Netzwerken und Modulen aus Unternehmen,
Unternehmenseinheiten, Teams und einzelnen Arbeitsplätzen.
In der betrieblichen Arbeitsorganisation schlägt sich diese Entwicklung in der
Einrichtung von Gruppenarbeit, Qualitätszirkeln sowie der zunehmenden
Verbreitung von Kaizen3, Job Enlargement, Job Enrichment und Job Rotation
nieder. Die Aufgabenfelder der Mitarbeiter erweitern sich. Ein Arbeitnehmer in
der Produktion übernimmt zusätzlich auch Instandhaltungs- und logistische
Tätigkeiten sowie vielfach die Qualitätskontrolle der gefertigten Teile. (Teil-)
Autonome Arbeitsgruppen erarbeiten Vorschläge zur Optimierung der
Arbeitsprozesse und regeln unter Umständen die Urlaubs- und
Freischichtplanung. Sie erhalten als Ganzes eine Arbeitsaufgabe, führen diese
in Eigenregie auf Basis gemeinsam mit der Geschäftsführung formulierter
Zielvereinbarungen für die Gruppe und die einzelnen Beschäftigten aus und
tragen schließlich gemeinsam die Verantwortung für das Ergebnis.
Mit den Veränderungen in der Arbeitsorganisation und in den
Managementmethoden ändern sich automatisch auch die herkömmlichen
beruflichen Aufstiegsmuster. Der Aufstieg auf einer internen Karriereleiter
weicht dem Wechsel in zeitlich begrenzte Team- oder Projektleiterpositionen.
Dies erfordert ein neues Selbstverständnis von Karriere. Damit verändern sich
auch die Anforderungen, welche das Entgeltsystem erfüllen muss, um die
Mitarbeiter zu motivieren, damit sie im Interesse des Unternehmens handeln.
3.3.2 Wandel in den Entgeltsystemen
Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks und der damit
verbundenen Forderung nach der Ausrichtung aller unternehmerischen
Teilbereiche auf den Erfolg des Unternehmens stellt sich auch für die
Mitarbeiter vermehrt die Frage, welchen Beitrag sie zur Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit leisten können. Im Rahmen eines Entgeltsystems, in
dem Kosten- und Motivationsfragen untrennbar miteinander verknüpft sind,
ergeben sich generell zwei Möglichkeiten zur Steigerung der
3 Kaizen ist ein Verfahren aus der japanischen Fertigungstechnik. Der Begriff steht für ein
kontinuierliches Innovationsmanagement, d.h. sowohl Führungskräften als auch jedem
einzelnen Mitarbeiter obliegt die Aufgabe, permanent in allen Unternehmensbereichen nach
Möglichkeiten zur Qualitätsverbesserung, zur Kosteneinsparung und zur Arbeitssicherheit zu
suchen.
16
Wettbewerbsfähigkeit: 1. die Senkung der Personalkosten und 2. die
Steigerung der Produktivität des Unternehmens durch effektive
Leistungsanreize.
Der internationale Wettbewerbsdruck betonte in der Vergangenheit vor allem
Gesichtspunkte, welche eine pauschale Senkung der Arbeitskosten im Auge
hatten. Heutzutage stehen die flexible Ausrichtung der Personalkosten an die
wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie der Einsatz effektiver
Anreizinstrumente im Mittelpunkt des Interesses (vgl.
Fempel/Reichmann/Böhm 2002, S. 18). Es hat sich zunehmend die
Erkenntnis durchgesetzt, dass einer Senkung der Personalkosten,
insbesondere in einem Innovationsumfeld, natürliche Grenzen gesetzt sind,
wenn hierdurch nicht leistungsstarke und für den Unternehmenserfolg wichtige
Mitarbeiter verloren gehen sollen. Neben den direkten Kosten- und
Leistungszielen rückt ferner die Förderung und Sicherung der
Beschäftigungsfähigkeit in den Mittelpunkt der Personalpolitik. Sie vermeidet
erstens Entlassungen und die damit verbundenen Sozialplankosten (vgl.
Fempel/Reichmann/Böhm 2002, S. 18). Zweitens sichert und fördert sie die
Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter und die Loyalität der Belegschaft.
Drittens erhöht sie die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber für neue
qualifizierte Mitarbeiter.
Die Entstandardisierung der Vergütung verbindet die beiden Anforderungen
an moderne Entgeltsysteme Effektivität und Flexibilität. Damit bei gegebenem
Budget sich die gewünschte Anreizwirkung beim Mitarbeiter zeigt, ist es
notwendig, die Leistungen gezielt an den Wünschen einzelner Mitarbeiter oder
Mitarbeitergruppen auszurichten und nicht mehr nach dem
„Gießkannenprinzip“ einheitlich an alle Mitarbeiter zu vergeben. Die
Flexibilisierung der Personalkosten koppelt die Vergütungen an die
wirtschaftliche Lage des Unternehmens und ermöglicht eine Reduzierung der
Arbeitskosten ohne Veränderung des Personalbestands. Löhne und
Arbeitskosten sinken in solchen Fällen, in denen die wirtschaftliche Lage des
Unternehmens sich abschwächt. In ertragsstarken Jahren kompensiert die
Beteiligung an den erwirtschafteten Erträge die Lohnzurückhaltung der
Mitarbeiter in anderen Jahren. Ein flexibles Lohnsystem impliziert eine
betriebsinterne Versicherungslösung zwischen Unternehmen und Belegschaft
zur Sicherung von Arbeitsplätzen mit einer Art Beitragsrückerstattung im
Erfolgsfall.
Die Flexibilisierung der Personalkosten setzt voraus, dass das Gewicht der
fixen Vergütungskomponenten zugunsten variabler Lohnbestandteile reduziert
wird, um eine automatische Anpassung der Arbeitskosten an die
wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu ermöglichen. Die Aufwendungen
für Personal verlieren auf diese Weise teilweise ihren bisherigen
Fixkostencharakter. Eine Substitution fixer Vergütungsbestandteile durch
variable impliziert keineswegs eine Absenkung der Gesamtentlohnung. Im
Gegenteil, flexible Entgeltsysteme eröffnen den Arbeitnehmern unabhängig
von der kurzfristigen Ertragslage ihres Unternehmens die Aussicht auf mittel-
und langfristig günstigere Einkommensperspektiven, da sie die
17
Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes und damit die Beschäftigungssicherheit
erhöhen.
Die Koppelung der Vergütung der Mitarbeiter an deren individueller Leistung
oder der Leistung ihres Teams fördert die Bindung und Rekrutierung
leistungsstarker und motivierter Mitarbeiter. Leistungsorientierte
Entgeltkomponenten sind für sich genommen nichts Neues, sich flexibel
ändernde Aufgaben eines Mitarbeiters und nicht antizipierte
Herausforderungen erzwingen jedoch eine Neuformulierung des
Leistungsbegriffes. Flachere Hierarchien gehen einher mit größeren
Entscheidungsspielräumen für viele Mitarbeiter. Formen der Gruppenarbeit
erfordern ebenfalls eine Neujustierung des Begriffes Mitarbeiterleistung. Die
Effektivität eines leistungsorientierten Entgeltsystems hängt von seiner
Transparenz ab. Werden die Mitarbeiter in die Auswahl und Festlegung der
Kriterien für die Leistungsbeurteilung miteingebunden, steigt nicht nur die
Transparenz des Entgeltsystems, sondern auch die Akzeptanz der Mitarbeiter.
Während ein Zuwachs der monetären Leistungen bei nettobezogener
Betrachtung den Mitarbeitern wegen der hohen Abgabenlast keinen Nutzen
stiftet, bietet eine Entstandardisierung betrieblicher Leistungen ferner die
Möglichkeit, jene Entgeltformen auszuwählen, welche den Bedürfnissen und
der finanziellen Situation des betroffenen Mitarbeiters am besten entsprechen.
Die Wahl des Mitarbeiters zwischen verschiedenen gleichwertigen Geld- und
Sachleistungen erhöht den individuellen Nutzen und optimiert kostenneutral
die Anreizwirkung.
Die adäquate Ausgestaltung des Entgeltsystems fördert auch die
Beschäftigungsfähigkeit des Mitarbeiters, indem es Qualifizierungsaktivitäten
belohnt. Da sich in vielen Branchen die Produkte und Dienstleistungen der
Wettbewerber immer stärker angleichen und Innovationen nicht lange
unkopiert bleiben, ist es häufig nur mit Hilfe eines gut ausgebildeten
Mitarbeiterstamms möglich, ein besonderes Profil und stabile
Kundenbeziehungen aufzubauen (vgl. Weiss 1997). Die Verbesserung der
Beschäftigungsfähigkeit ist deshalb nicht nur im Interesse der
Beschäftigungssicherung, sondern stellt gleichzeitig einen wichtigen Faktor
zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dar. Die Anzahl
geeigneter Mitarbeiter mit den gewünschten Qualifikationen auf dem externen
Arbeitsmarkt ist häufig begrenzt. Das Unternehmen muss offene Stellen über
den internen Arbeitsmarkt besetzen. Die notwendigen Qualifikationen und
Kenntnisse müssen die Mitarbeiter durch Qualifizierungsmaßnahmen im
Unternehmen und an externen Bildungseinrichtungen erwerben. Das
Entgeltsystem setzt adäquate Anreize, dass die Arbeitnehmer ihre Fähigkeiten
selbständig und gezielt aufbauen und damit die eigene
Beschäftigungsfähigkeit verbessern (Then 2000). Es honoriert das
Engagement und die Bereitschaft, das eigene Wissen mit den Kollegen zu
teilen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass einzig das Unternehmen für die
Arbeitsplatzsicherheit verantwortlich ist, sondern auch der Mitarbeiter. Ihm
obliegt die Verpflichtung, die notwendigen Qualifikationen und Fertigkeiten für
angebotenen Stellen auch zu erwerben.
18
3.3.3 Wandel in den Arbeitszeitsystemen
Die Ausgestaltung der Arbeitszeit entsprechend den betriebsspezifischen
Anforderungen und die Schaffung von zeitlichen Flexibilitätspotentialen sind
wesentliche Maßnahmen zur Sicherung der betrieblichen Wirtschaftlichkeit
und Reaktionsfähigkeit. In Zeiten sich schnell ändernder Marktanforderungen
stellen flexible Öffnungs- und Dienstleistungszeiten sowie Just-in-time
Produktion entscheidende Wettbewerbsfaktoren dar. Die betriebliche
Arbeitszeitgestaltung wurde deshalb im Vergleich zum Entgelt relativ schnell
als ein wichtiger Ansatzpunkt für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
des Betriebes entdeckt.
Flexible Arbeitszeitmodelle erhöhen die Reaktionsfähigkeit des
Unternehmens, wenn Schwankungen im Auftragseingang oder Störungen in
der Produktion auftreten (vgl. Kraetsch/Trinczek 1998, S. 340). Die
Entwicklung neuer Logistikkonzepte mit damit verbundenen Veränderungen in
der Arbeitsorganisation schafft die Voraussetzung, dass durch den Einsatz
flexibler Arbeitszeitmodelle sich die Liefergeschwindigkeit beschleunigt, die
Termintreue erhöht und schneller auf Kundenwünsche eingegangen werden
kann. Ferner sparen innovative Arbeitszeitmodelle Kosten ein und erhöhen auf
diese die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Der Großteil der Unternehmen versuchte in der Vergangenheit, mit
Überstunden, Zuschlagszahlungen, dem Einsatz von Aushilfskräften und
befristeten Verträgen, sowie mit Kurzarbeit und Entlassungen die nötige
Flexibilität zu erreichen (vgl. Bertelsmann Stiftung et al. 2001, S.91). In vielen
Fällen erwies sich das bestehende Arbeitszeitkonzept jedoch als nicht
hinreichend flexibel. Die Hauptproblematik stellt sich weniger bei
überraschend hoher Nachfrage, sondern vor allem bei Auftragseinbrüchen, in
deren Folge die Kapazitätsauslastung sinkt. Der resultierende
Personalüberhang verursacht dann Kosten, denen keine Erträge
gegenüberstehen. Eine zeitflexible Anpassung der Produktion an die
Auftragslage führt zu einer Kostenentlastung, da sie Lagerbestände reduziert
und Durchlaufzeiten verkürzt (vgl. Kraetsch/Trinczek 1998, S. 341).
Gleichzeitig ermöglichen flexible Arbeitszeiten eine bessere Auslastung von
kapitalintensiven Arbeitsplätzen. Je höher die Kapitalintensität eines
Arbeitsplatzes ist, desto wichtiger wird die Ausweitung der
Maschinenlaufzeiten, um die Fixkosten pro produzierter Einheit zu senken. Die
schneller werdenden Innovationszyklen bei den Fertigungstechnologien
erzwingen eine möglichst rasche Amortisation des Anlagekapitals. Die
Ausdehnung der Maschinenlaufzeiten und damit auch der Betriebszeiten
durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit bietet somit die Möglichkeit, die
Sachkapitalrendite zu verbessern.
Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter seit den 70er Jahren zunehmend den
Wunsch nach einer höheren Zeitsouveränität äußern (Hinrichs 1992; Grawert
1995). Von Beschäftigtenseite wird vielfach Interesse nach einer Abkehr von
starren Arbeitszeiten bekundet, um die beiden Lebenswelten Beruf und
Familie bzw. Freizeit besser aufeinander abzustimmen. Dieses Interesse wird
19
vor allem von weiblichen Beschäftigten geäußert, die Kinder zu betreuen
haben und sich in ihrer (Arbeits-) Zeitgestaltung z.B. nach den Öffnungszeiten
von Kindergärten oder Schulen richten müssen. Zunehmend äußern auch
Männer einen Bedarf an flexiblen Arbeitszeitstrukturen. Bei dem Wunsch nach
Zeitsouveränität geht es aber nicht nur um die Lage der Arbeitszeit, sondern
auch, je nach Lebensentwurf und biographischer Phase, um deren Dauer.
Zwar sprechen gegenwärtig alle Befunde dafür, dass das betriebliche
Interesse an flexiblen Arbeitszeiten nicht ohne weiteres in Einklang mit den
individuellen Arbeitszeitpräferenzen der Beschäftigten zu bringen ist (vgl.
Kilz/Reh 1996, S. 146), gleichwohl sind manche Unternehmen zunehmend
sensibilisiert gegenüber der demotivierenden Gefahr einer systematischen
Lücke zwischen realen Zeitstrukturen und Zeitinteressen der Beschäftigten.
Das Streben nach Arbeitszeitflexibilisierung und die damit verbundene
Entkoppelung der individuellen Arbeitszeiten von den Betriebszeiten ist ferner
die Reaktion der Unternehmen auf die sukzessive Verkürzung der
tarifvertraglichen Wochen- und Jahresarbeitszeit. Die Betriebe sehen sich
verstärkt dazu veranlasst, eine Neugestaltung betrieblicher Arbeitszeitmodelle
zu forcieren, um Wettbewerbsfähigkeit und Erreichbarkeit trotz geringeren
Arbeitszeitvolumens zu erhalten. Je kürzer die Arbeitszeiten, desto dringlicher
erscheint zahlreichen Arbeitgebern eine Reform tradierter
Normalarbeitszeitmuster (vgl. Kraetsch/Trinczek 1998, S. 342). Dabei hat sich
das arbeitszeitpolitische Instrumentarium seit den 80er Jahren drastisch
erweitert. Die traditionellen Formen einer Flexibilisierung von Arbeitszeiten wie
Schichtarbeit, Überstunden, Teilzeitarbeit oder Gleitzeit wurden um zahlreiche
neue Arbeitszeitmodelle ergänzt. Grundsätzlich stehen den Betrieben je nach
unternehmensspezifischen Bedürfnissen drei Formen der
Arbeitszeitflexibilisierung zur Verfügung.
Die erste Möglichkeit besteht in einer Veränderung des betrieblichen
Arbeitszeitvolumens. Zur Erhöhung des betrieblichen Arbeitszeitvolumens
stehen langfristig die Einführung von Schichtarbeit, kurzfristig die Einführung
von Wochenendarbeit bzw. Feiertagsarbeit und vor allem die Anordnung von
Überstunden und Sonderschichten bereit. Für eine Reduzierung des
Arbeitszeitvolumens steht das Instrument Kurzarbeit zur Verfügung. In
verschiedenen Tarifbezirken eröffnen Tarifverträge die Möglichkeit, die
Arbeitszeit für den ganzen Betrieb oder einzelne Betriebsteile dauerhaft oder
befristet und ohne vollen Lohnausgleich zu verringern (vgl. Kraetsch/Trinczek
1998, S. 344). Das bekannteste Beispiel hierfür dürfte die Vereinbarung der
Volkswagen AG sein (Promberger u.a. 1996).
Die zweite Möglichkeit besteht in einer Variabilisierung eines gegebenen
Arbeitszeitvolumens. Hierunter fallen die Zeitmodelle, die in der Öffentlichkeit
vorrangig mit dem Begriff der Arbeitszeitflexibilisierung verbunden werden.
Diese werden häufig auch als „neue Formen der Arbeitszeitflexibilisierung“
bezeichnet. Dazu gehören die Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, deren
ausgeprägteste Form Jahres- oder mitunter Lebensarbeitszeitmodelle
darstellen, kapazitätsorientierte variable Arbeitszeiten bzw. Arbeit auf Abruf,
neue Formen der Saisonarbeit und eine systematische Urlaubsplanung, die
20
darauf abstellt, die Urlaubszeiten der Mitarbeiter vorzugsweise in
auftragsschwachen Jahreszeiten zu platzieren.
Die dritte Möglichkeit besteht in einer Differenzierung individueller
Arbeitszeiten. Für eine größerer Differenzierung individueller Arbeitszeiten,
also der vermehrten Zuweisung unterschiedlicher arbeitsvertraglich
verankerter Arbeitszeitvolumina an Beschäftigte, sprechen unterschiedliche
Gründe: Zum einen wird darauf verwiesen, dass zunehmend Arbeitsplätze
existieren, die hohe Investitionen in die betriebliche Aus- und Fortbildung der
Arbeitskräfte verlangen, deren Amortisation durch längere Arbeitszeiten
gesichert wird. Der Mangel an geeigneten Fachkräften erfordert häufig die
längere Einbindung der bereits beschäftigten Spezialisten in Fertigung,
Verwaltung und Vertrieb in die Arbeits- und Fertigungsprozesse. Parallel
hierzu werden in letzter Zeit aber auch verstärkt Formen der Reduzierung der
Arbeitszeit, also der Differenzierung nach unten thematisiert. Dazu zählen die
schon länger praktizierten Formen der Teilzeitarbeit, daneben seit neuerem
Job-Sharing oder der gleitende Übergang in den Ruhestand.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die
verschiedenen Formen der Arbeitszeitflexibilisierung in der betrieblichen
Praxis nicht gegenseitig ausschließen, sondern eine Bandbreite von
Variations- und Kombinationsmöglichkeiten eröffnen, mit welcher die Betriebe
ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden können.
3.4 Institutionelle Regelungen der Arbeitsmarktordnung und
ihre Auswirkungen auf bBfA
3.4.1 Die Tarifordnung
Die Lohnentwicklung muss der Produktivitäts- und Auftragsentwicklung in
einem Unternehmen angemessen folgen, damit sich negative Schocks im
betrieblichen Umfeld nicht in einem Abbau von Arbeitsplätzen niederschlagen.
Wenn die Wertschöpfung eines Arbeitnehmers sinkt, weil sich die Produkte
eines Unternehmens nicht mehr zu den bisherigen Konditionen am Markt
absetzen lassen oder die Qualifikationen des Mitarbeiters aufgrund des
technischen Forschrittes ihren Wert für den Betrieb verlieren, muss auch der
Lohn sinken. In kurzer Sicht sind mit der Flexibilisierung der Vergütungen zwei
Vorteile verbunden. Ein Arbeitnehmer kann auf seinem angestammten
Arbeitsplatz verweilen, wenn seine gefallene Wertschöpfung noch immer
höher ist als in einem alternativen Beschäftigungsverhältnis. Zweitens
gewinnen Mitarbeiter und Betrieb die notwendige Zeit, die berufliche, regionale
und sektorale Mobilität zu erhöhen oder die Durststrecke zu überbrücken. Eine
Flexibilisierung der Löhne führt automatisch zu einer Differenzierung der
Verdienste, weil einzelne Wirtschaftssektoren, Unternehmen, berufliche
Qualifikationen und damit einzelne Beschäftigte in unterschiedlichem Maße
von den Anpassungslasten betroffen sind. Differenzierte Löhne spiegeln sich
in einer flexiblen Lohnstruktur wider. Mittel- und langfristig erhalten die
Arbeitnehmer auf diesem Wege nicht nur das Signal, dass sie sich
21
umorientieren müssen, eine flexible Vergütungsstruktur zeigt ihnen vor allem,
wie sie sich umorientieren müssen, um die Chancen aus Globalisierung,
Strukturwandel und technischen Fortschritt für sich persönlich zu nutzen.
Im internationalen Vergleich haben sich die sektorale, regionale und
qualifikatorische Lohnstruktur nicht hinreichend flexibel auf die strukturellen
Verschiebungen der Nachfrage nach Arbeitskräften ausgerichtet. Sie sind
relativ starr geblieben. Trotz aller Dementis der Tarifvertragsparteien sind
Tarifverträge in der derzeitigen Form offenkundig noch nicht in der Lage, eine
adäquate Lohnflexibilisierung und Entgeltdifferenzierung zu gewährleisten.
Pilotabschlüsse in bestimmten Branchen oder Tarifbezirken bilden die
Messlatte für die Lohnverhandlungen in anderen Sektoren und Regionen. Der
Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nivelliert die Lohnstruktur und
verneint unterschiedliche ökonomische Knappheiten. Langfristig haben sich
die Lohnabschlüsse vorrangig an der Inflationsrate oder der
gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung orientiert und nicht an den
sektoralen, regionalen und betrieblichen Gegebenheiten.
Damit bleibt vielen die Einsicht in die Notwendigkeit zur beruflichen (Weiter-)
Qualifizierung oder zum räumlichen Wechsel des Arbeitsplatzes verschlossen.
Die starre Lohnstruktur suggeriert den Arbeitnehmern erstens, dass sich Aus-
und Fortbildung als Investition in die eigene Zukunft nicht in barer Münze
auszahlen, und zweitens, dass ihre alten Qualifikationen mit einer
Wertschöpfung verbunden sind, welche sie durch Globalisierung, technischen
Fortschritt und Strukturwandel längst verloren haben. Die Institution
Flächentarifvertrag steht trotz mancher Öffnungsklausel der erforderlichen
betrieblichen Lohndifferenzierung im Wege. Die Tarifverdienste laufen seit
Beginn der 90er Jahre den Effektivverdiensten davon, die sogenannte
Lohndrift ist negativ. Der Spielraum, Tariferhöhungen bei einer günstigen
Geschäftsentwicklung durch betriebliche Zusatzvergütungen anzureichern, hat
sich erheblich verkleinert. Dies betrifft jedoch nicht nur Unternehmen, welche
an einen Flächentarifvertrag gebunden sind. Die faktische Reichweite der
Vereinbarungen geht noch weit über die rechtliche hinaus.
Lohnvereinbarungen in einem Firmentarifvertrag und viele Arbeitsverträge in
tarifungebundenen Unternehmen orientieren sich an den
Verbandsabschlüssen. Fast 85 Prozent aller Beschäftigten (2002) in
Westdeutschland fallen damit direkt oder indirekt in die Ägide eines
Tarifvertrages. Für mehr und mehr Betriebe verliert der Tarifvertrag seine
Fähigkeit, auf Veränderungen im unternehmerischen Umfeld durch den
Abschluss bBfA adäquat reagieren zu können. Der Grund liegt darin, dass die
deutsche Arbeitsmarktordnung auf überbetriebliche Verhandlungen, bei den
zentralen Parametern der Arbeitsbeziehung, Arbeitszeit und Entgelt
ausgerichtet ist. Die Notwendigkeit dezentraler Lösungen ist jedoch ein Beleg
dafür, dass diese Regelungsgegenstände durch bBfA zunehmend den
betriebsspezifischen Bedürfnissen angepasst werden müssen.
Die rechtlichen Grundlagen der Tarifautonomie sind im Tarifvertragsgesetz
(TVG) geregelt. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände oder einzelne Arbeitgeber (§ 2, 1 TVG). Die Tarifbindung
22
(§ 3, 1 TVG) besteht nur für ihre Mitglieder, d.h. Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften sowie das Unternehmen, das einen Firmentarifvertrag
vereinbart. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Betriebe, die Mitglieder eines
tariffähigen Arbeitgeberverbandes sind, bei der Entlohnung ihrer
gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer an die Lohnvereinbarungen des
Tarifvertrages gebunden sind. Nun besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass
mit den einzelnen nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten
abweichende Regelungen bezüglich einer untertariflichen Entlohnung
getroffen werden können. Eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern
derselben Qualifikationsgruppe ist jedoch häufig aus betrieblicher Sicht nicht
wünschenswert, da diese die Wanderungsbereitschaft gut qualifizierter
Arbeitnehmer fördert. Zudem macht es für das Unternehmen wenig Sinn, von
dieser rechtlichen Möglichkeit Gebrauch zu machen, da die betreffenden
Beschäftigten, gegebenenfalls unmittelbar nach ihrer Einstellung durch den
nachträglichen Gewerkschaftsbeitritt den Regelungen des geltenden
Tarifvertrages unterliegen (vgl. Fitzenberger/Franz 1999, S. 439).
Die betriebliche Regelungssperre (§ 77, 3 BetrVG) und der Tarifvorrang (§ 87
BetrVG) schirmen den Flächentarifvertrag vor kollektiven abweichenden
Regelungen im Rahmen bBfA ab. Zentrale Aspekte bBfA können nicht durch
eine Betriebsvereinbarung festgelegt werden, sofern sie Arbeitsbedingungen
betreffen, welche durch einen Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise
geregelt werden. Dazu zählen nicht nur die Höhe der Löhne und der
wöchentlichen Arbeitszeiten, sondern auch zum Beispiel Aspekte der
Entgeltgestaltung, Entgeltfortzahlung, Rationalisierungsschutz, Ansprüche auf
Urlaub, Altersversorgung, Kündigungsschutz oder Qualifizierung sowie
Gesichtspunkte der Arbeitszeitflexibilisierung. Die betriebliche
Regelungssperre wird außer Kraft gesetzt, wenn eine tarifvertragliche
Öffnungsklausel Möglichkeiten für abweichende Regelungen auf
Betriebsebene vorsieht (§ 77, 3 BetrVG).
Erschwerend kommt hinzu, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit die
Durchschlagskraft des Flächentarifvertrages ohne Rücksicht auf etwaige
ökonomische Zwänge verschärft hat. Tarifverträge legen zwingend
Mindestarbeitsbedingungen für die tarifgebundenen Arbeitnehmer fest. Davon
abweichende, insbesondere einzelvertragliche abweichende Vereinbarungen
sind nach § 4 Abs. 3 TVG nur zulässig, falls sie für den einzelnen
Arbeitnehmer günstiger sind, i.e. das sogenannte „Günstigkeitsprinzip“. Die
derzeitige Interpretation des Günstigkeitsprinzips durch die Arbeitsgerichte
billigt jedoch nur zwei Fälle, in denen von Günstigkeit aus Sicht des
Arbeitnehmers auszugehen ist. Die Vergütung wird bei konstanter Arbeitszeit
über das Niveau des Tarifvertrages angehoben oder die Arbeitszeit bei
gleichem Entgelt verkürzt. Ein sogenannter Sachgruppenvergleich zwischen
unterschiedlichen Regelungsgesichtspunkten ist nicht zulässig. Dies hat zur
Folge, dass eine nicht durch eine Öffnungsklausel sanktionierte Lohnkürzung
zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes stets dem Vorbehalt unterliegt, bei
Klage der Gewerkschaft als Verletzung des Günstigkeitsprinzips selbst für den
Fall gewertet zu werden, dass die Belegschaft freiwillig eine Lohnkonzession
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einräumt. Eine Unternehmensleitung ist vor diesem Hintergrund gezwungen,
abweichende Vereinbarungen mit jedem einzelnen Beschäftigten individuell
auszuhandeln.
Man könnte einwenden, dass sich Unternehmen den Fesseln der
Tarifautonomie durch den Verbandsaustritt entziehen könnten. Der
Handlungsspielraum ist auch hier durch die Laufzeit der Tarifbindung (§ 3, 3
TVG) eingeschränkt, d.h. die Tarifgebundenheit bleibt solange bestehen bis
der Tarifvertrag endet. Zudem bewirkt die Nachwirkungspflicht des
Tarifvertrages (§ 4, 5 TVG), dass die tarifvertraglichen Regelungen trotz
Auslaufens eines Tarifvertrages weitergelten, bis sie durch eine andere
Abmachung ersetzt werden. Ferner verhindert § 77, 3 BetrVG selbst für
tarifungebundene Unternehmen die Möglichkeit, auf kollektiver Ebene im
Betrieb die Löhne zu vereinbaren. Dem einzelnen Betrieb stehen nur zwei
Alternativen bei der Lohnfindung zur Verfügung. Erstens die Geschäftsführung
verhandelt im Rahmen von Einzelarbeitsverträgen die Löhne separat mit
jedem Mitarbeiter aus. Diese Möglichkeit scheidet i.d.R. aufgrund des hohen
administrativen Aufwandes aus. Ein einzelnes Unternehmen kann zweitens
dann nur noch mit einer Branchengewerkschaft direkt verhandeln. In diesem
Fall verschiebt sich die Verhandlungsmacht aber deutlich zugunsten der
Gewerkschaft, gerade für kleine und mittlere Betriebe. Da eine Gewerkschaft
im Gegensatz zu Belegschaftsvertretungen streikberechtigt ist, muss das
Unternehmen damit rechnen, dass die Vereinbarungen des
Firmentarifvertrages ungünstiger ausfallen als die Regelungen des
Flächentarifvertrages. Eine Eskalation verteilungspolitischer Konflikte auf
betriebliche Ebene durch Streiks und Aussperrungen bedroht zudem eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit von Belegschaft und Geschäftsleitung in der
Zukunft. Die Konfliktkosten der Arbeitskämpfe können vor diesem Hintergrund
mit einer zunehmenden Dezentralisierung der Tarifverhandlungen steigen (vgl.
Rosdücher 1997, S. 464).
3.4.2 Der Kündigungsschutz
Der Kündigungsschutz in Deutschland zählt zu den strengsten in der
westlichen Welt. Diese Einschätzung bezieht sich weniger auf die Länge der
Kündigungsfrist, die Höhe potentieller Abfindungen oder die Existenz eines
Begründungszwangs, sondern insbesondere auf den Umfang und die
Folgeerscheinungen der Verfahrensvorschriften. Durch den Kündigungsschutz
sinkt die Fluktuation der Mitarbeiter in einem Betrieb. Entlassungen werden
durch Abfindungen, durch Gehaltszahlungen während der Kündigungsfrist und
durch Kosten für die Abwicklung der Kündigung verteuert. Ein Unternehmen
berücksichtigt aber die höheren Trennungskosten bereits bei der
Einstellungsentscheidung. Sie fällt vorsichtiger aus. Die durchschnittliche
Betriebszugehörigkeit liegt in Deutschland deshalb höher als in Ländern mit
einem geringen Kündigungsschutz. Die Geschwindigkeit, in der Arbeitsplätze
abgebaut und geschaffen werden, verlangsamt sich.
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Der Kündigungsschutz wirkt deshalb grundsätzlich ambivalent, die Nachteile
treten jedoch insbesondere in einem betrieblichen Umfeld zu Tage, in dem
Globalisierung, technischer Fortschritt und Strukturwandel eine Anpassung
der Konditionen der Arbeitsbeziehungen erfordern oder die Unsicherheit über
die künftige Ertragsentwicklungen erhöhen. Unrentable Arbeitsplätze können
auch durch den strengsten Kündigungsschutz nicht dauerhaft gesichert
werden. Im Extremfall muss eine Unternehmung Konkurs anmelden.
Ersatzarbeitsplätze stehen jedoch dann nicht in ausreichendem Maße zur
Verfügung, da das Einstellungsverhalten der Unternehmen reservierter ist. Die
Chancen sind erheblich geringer, nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes eine
neue Beschäftigung zu erhalten.
Ein Mindestmaß an Arbeitsplatzsicherheit durch einen gesetzlichen
Kündigungsschutz ist unumgänglich und schützt den Arbeitnehmer vor
willkürlichen Entlassungen. Die Mitarbeiter werden insbesondere dann an
einem hohen Bestandsschutz interessiert sein, wenn sie Qualifikationen
erwerben, welche sie nur auf ihrem aktuellen Arbeitsplatz nutzen können.
Problematisch ist der Kündigungsschutz in den Fällen, in denen notwendige
betriebliche Anpassungsmaßnahmen übermäßig verteuert oder blockiert
werden. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die Verpflichtung des
Arbeitgebers, sozialen Gesichtspunkten bei der Entlassungsentscheidung
vorrangig Geltung einzuräumen, als Flexibilisierungshindernis anzusehen. Die
Anpassungsbereitschaft der Arbeitsplatzbesitzer wird von zwei Seiten in die
Zange genommen. Erstens suggeriert der hohe Kündigungsschutz den
Beschäftigten eine Arbeitsplatzsicherheit, welche in einem unsicheren Umfeld
mit intensivem Wettbewerb auf bestreitbaren Märkten nicht mehr existiert. Die
Bereitschaft nimmt ab, Zugeständnisse bei Lohnfragen und Aspekten der
betrieblichen Arbeitsbeziehung einzugehen. Zweitens erhöht sich der
Widerstand der Arbeitsplatzbesitzer gegen die notwendige Lockerung der
Schutzbestimmungen, denn das steigende Entlassungsrisiko bei nicht mehr
zeitgemäßen Lohn- und Arbeitszeitregelungen gefährdet die gewohnten
Besitzstände.
Der Kündigungsschutz in Deutschland ist Richterrecht. Dieses Richterrecht
hat zunehmend an Bedeutung für die Dynamik auf den Arbeitsmärkten
gewonnen. Je stärker die Justiz bei ihren Urteilen die Belange des einzelnen
Arbeitnehmern gegenüber den wirtschaftlichen Notwendigkeiten im Betrieb
gewichtet, desto negativer schlägt sich der Kündigungsschutz auf die
Personalpolitik nieder.
3.4.3 Die Betriebsverfassung
Wenn dezentrale Anpassungsstrategien die Voraussetzung dafür sind, dass
Unternehmen im Einvernehmen mit ihren Beschäftigten die Chancen von
Globalisierung, technischem Fortschritt und Strukturwandel nutzen können,
müssen Geschäftsleitung und Mitarbeiter gemeinsam Problemlösungen
entwerfen. Der Mitbestimmung im Betrieb kommt eine besondere Bedeutung
zu, wenn die Anpassungslasten erfolgreich bewältigt werden sollen.
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Entscheidungsprozesse müssen nicht nur schneller durchlaufen werden, sie
müssen sich vor allem an den Stellen vollziehen, wo die relevanten
Informationen vorliegen. Die Arbeitnehmer müssen für diese wichtige Funktion
über die erforderlichen Kompetenzen verfügen und hinreichend für diese
Aufgabe qualifiziert sein. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass ihre
Entscheidungen im Interesse des Betriebes und im Einklang mit den
Interessen seiner Eigentümer gefällt werden. Die Mitarbeiter müssen die
Bereitschaft aufweisen, eigene Besitzstände aufzugeben, damit neue Wege in
der Beschäftigungs- und Lohnpolitik gegangen werden können.
In Deutschland wird die betriebliche Mitbestimmung durch Gesetz geregelt. In
einem stabilen betrieblichen Umfeld haben Betriebsverfassung und
unternehmerische Mitbestimmung sowohl der Geschäftsführung als auch der
Belegschaft eine verlässliche Grundlage geschaffen, um die
Arbeitsbeziehungen zum Wohle beider Parteien zu regeln. Insbesondere in
Unternehmen, welche sich durch einen hohen Grad funktioneller
Arbeitsteilung und eine hierarchische Organisation auszeichnen, kann ein
Betriebsrat die Interessenkonflikte zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft
entschärfen helfen. Der sinkende Verbreitungsgrad der Institution Betriebsrat
hat jedoch zwei potentielle Defizite der betrieblichen Mitbestimmung in
Deutschland aufgedeckt. Eine Interessenvertretung durch einen Betriebsrat ist
erstens mit einer Zentralisierung und Bürokratisierung der
Entscheidungsprozesse in den Betrieben verbunden. Unternehmen laufen
daher Gefahr, dass sich notwendige Anpassungsmaßnahmen durch lange,
starre Informations- und Entscheidungswege verzögern. Zweitens kann die
geltende Betriebsverfassung die Besitzstände der Mitarbeiter zementieren,
statt deren Anpassungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit zu fördern.
Wenn Arbeitsplätze, Qualifikationen oder bestimmte Tätigkeiten,
Vereinbarungen über Arbeitszeiten oder Lohnmodalitäten durch
Strukturwandel, Globalisierung und technischem Fortschritt auf den Prüfstand
geraten, kann bei gegenwärtiger Ausgestaltung der gesetzlichen
Mitbestimmung der Betriebsrat instrumentalisiert werden, um notwendige
Investitions- und Organisationsentscheidungen zu behindern oder sogar zu
blockieren.