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Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals
auf die Lesekompetenz
Ein Vergleich der PISA 2000-Daten aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz
The Influence of Social and Cultural Capital on Reading Achievement
A Comparison of Germany, France, and Switzerland Using PISA 2000 Data
Monika Jungbauer-Gans*
Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Konradstr. 6, D-80801 München
Zusammenfassung: In diesem Beitrag werden die Ursachen von Leistungsunterschieden bei Schülerinnen und Schülern
anhand von Daten der PISA-Studie für Deutschland, die Schweiz und Frankreich untersucht. Als Determinanten von
Leistungsunterschieden stehen vor allem das soziale und kulturelle Kapital der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt
der Betrachtungen. Es wird untersucht, ob die Wirkungen von sozialem und kulturellem Kapital den Einfluss des sozio-
ökonomischen Status und der Bildung der Eltern auf die Lesekompetenz erklären können und welche Merkmale des in-
stitutionellen Kontextes in den drei untersuchten Ländern zu einem besseren Ausgleich herkunftsbedingter Benachtei-
ligungen führen. Die Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass nur ein Teil des Effektes der sozioökonomischen Her-
kunft durch kulturelles und soziales Kapital erklärt wird. Die Ergebnisse sprechen damit sowohl für das „cultural repro-
duction model“ von Pierre Bourdieu als auch für die Kompensationsthese von James S. Coleman. Der Vergleich der drei
Länder zeigt, dass die institutionellen Rahmenbedingungen des französischen Schulsystems am besten geeignet sind, un-
gleiche familiäre Voraussetzungen auszugleichen. Am stärksten wirken sich Unterschiede der sozioökonomischen und
ethnischen Herkunft, sowie des sozialen und kulturellen Kapitals in Deutschland aus.
1. Einleitung
Selten wurden die Ergebnisse einer sozialwissen-
schaftlichen Studie so intensiv diskutiert wie die Er-
gebnisse der internationalen PISA-Studie. Das rela-
tiv schlechte Abschneiden von Schülerinnen und
Schülern einiger Industrienationen hat in Schulen
und Medien, aber auch in der Bildungspolitik und
der Bildungsforschung für großen Wirbel gesorgt.
Bei der Suche nach Lösungen wird der Blick auf die
Bildungssysteme anderer Länder geworfen (vgl.
z.B. Arbeitsgruppe „Internationale Vergleichsstu-
die“ 2003). Aber allzu häufig werden Vorschläge
zur Veränderung des Schulsystems oder der Unter-
richtsformen ohne einen Beleg für deren Wirksam-
keit propagiert.
In diesem Beitrag wird deshalb die Frage nach den
Ursachen der Leistungsunterschiede beispielhaft an
den Daten der Länder Deutschland, Schweiz und
Frankreich vertieft. Diese drei Länder wurden aus-
gewählt, weil sich die Bildungssysteme in einigen
Merkmalen unterscheiden, woraus man Hinweise
auf möglicherweise bedeutsame institutionelle Fak-
toren ableiten kann. Um die institutionellen Struk-
turen der Bildungssysteme im Detail untersuchen
zu können, wurde nur eine geringe Anzahl von Län-
dern in diesen Vergleich aufgenommen. Der inhalt-
liche Schwerpunkt der Analyse liegt auf dem fami-
liären Umfeld, dessen Einfluss in verschiedene
Dimensionen differenziert werden kann. Das fami-
liäre Umfeld umfasst folgende Dimensionen: den
sozioökonomischen Status und das Bildungsniveau
der Eltern, die ethnische Herkunft, das soziale Ka-
pital und das kulturelle Kapital der Familie. Durch
den Ländervergleich ist es möglich zu untersuchen,
ob diese Dimensionen von unterschiedlicher Rele-
vanz in den verschiedenen, institutionellen Kontex-
ten der Schulsysteme sind.
Die bereits veröffentlichten bivariaten Analysen der
PISA-Daten haben gezeigt, dass der sozioökonomi-
sche Status der Familie die Kompetenzunterschiede
der Schülerinnen und Schüler stark beeinflusst und
dass dieser Einfluss in Deutschland am stärksten ist.
Die Steigung des sozialen Gradienten (bezogen auf
die Lesekompetenz) liegt in der Schweiz an vierter
© Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397 375
* Für wertvolle Kommentare zu einer früheren Fassung
dieser Arbeit möchte ich Norman Braun, Peter Kriwy, Jo-
achim Savelsberg und den anonymen Gutachtern der ZfS
herzlich danken.
Stelle und in Frankreich an achtzehnter Stelle der
Rangreihe der 32 beteiligten Länder (Baumert/
Schümer 2001: 390).
Im Folgenden wird insbesondere die Wirkung von
sozialem und kulturellem Kapital der Familie auf
die Leistungen und Kompetenzen der Kinder unter-
sucht.
1
Pädagogische Fragestellungen, die die Wir-
kung von individuellen, kognitiven, motivationalen
und sozialen Lernvoraussetzungen, die individuelle
Verarbeitung und den vermittelnden Einfluss von
Unterrichtsprozessen thematisieren, werden ebenso
bewusst ausgeklammert wie Prozesse des schu-
lischen Kontextes (z.B. Klassenzusammensetzung).
Damit soll allerdings nicht der Eindruck erweckt
werden, dass diese Prozesse unwichtig seien. Bereits
im berühmten Coleman-Report (Coleman et al.
1966) wurde bei der Untersuchung der Ursachen
ethnischer Unterschiede bei Schülerleistungen auf
die immense Bedeutung des Klassenkontextes und
dessen ethnischer Zusammensetzung hingewiesen.
Der Ausschluss pädagogischer und kontextueller
Determinanten erfolgt mit der Begründung, dass
man angesichts der hohen Bedeutung der sozialen
Herkunft zunächst fragen sollte, welche Faktoren
auf der Seite der Eltern unter Kontrolle anderer Ein-
flussfaktoren von Bedeutung für die Leistungsunter-
schiede sind. In weiteren Studien wäre dann zu
untersuchen, welche pädagogischen und kontext-
bezogenen Maßnahmen geeignet sind, familiäre Be-
nachteiligungen zu kompensieren und gleichzeitig
einen höheren Leistungsstandard zu erreichen. Bei
diesen Studien müsste vor allem berücksichtigt wer-
den, wie familiäre Voraussetzungen mit institutio-
nellen und kontextuellen Aspekten interagieren.
Im empirischen Teil dieses Beitrags wird die Lese-
kompetenz als abhängige Variable untersucht. Ma-
thematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse
werden nicht betrachtet, da die Einflüsse der
sozioökonomischen Herkunft, des kulturellen Ka-
pitals und des sozialen Kapitals auf sie, wie einige
Vergleichsanalysen gezeigt haben, nicht grundsätz-
lich anders sind. Nennenswerte Unterschiede erga-
ben sich – das sei hier erwähnt – vor allem beim
Einfluss des Geschlechts: Mädchen zeigen im
Durchschnitt bessere Leseleistungen, aber schlech-
tere Mathematik- und Naturwissenschaftsleistun-
gen (vgl. Stanat/Kunter 2001).
Im Folgenden werden zunächst theoretische Über-
legungen zum Einfluss des kulturellen und sozialen
Kapitals auf die Schülerleistungen angestellt (Ab-
schnitt 2). Zur Fundierung des Ländervergleichs
werden zentrale Merkmale der Bildungssysteme he-
rausgearbeitet (Abschnitt 3). Im Anschluss daran
werden die für die empirischen Analysen verwende-
ten Daten, Operationalisierungen und statistischen
Methoden erläutert und Informationen über die
Verteilungen der Variablen gegeben (Abschnitt 4).
Die empirischen Analysen (Abschnitt 5) unter-
suchen in einem ersten Schritt die Bruttoeffekte des
sozioökonomischen Status und des Bildungsniveaus
der Eltern, der ethnischen Herkunft, des sozialen
Kapitals sowie des kulturellen Kapitals auf die Le-
sekompetenz in den drei Ländern. Im zweiten
Schritt wird geprüft, ob der Einfluss der sozialen
Herkunft vom sozialem Kapital vermittelt wird. Ob
die Verfügung über kulturelles Kapital der Mecha-
nismus ist, über den die sozioökonomische Her-
kunft die Schulleistungen beeinflusst, wird in einem
dritten Schritt untersucht. In der abschließenden
Diskussion werden weitere Forschungsfragen auf-
geworfen und die Ergebnisse der Analysen vor dem
Hintergrund möglicher bildungspolitischer Maß-
nahmen bewertet (Abschnitt 6).
2. Kulturelles und soziales Kapital
Um den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schü-
lern zu erklären, werden in der Literatur verschie-
dene theoretische Ansätze diskutiert. Diese lassen
sich grob klassifizieren in sozialstrukturelle Ansät-
ze, die die von der sozioökonomischen Lage ge-
prägten Ressourcen der Herkunftsfamilie unter-
suchen, in pädagogische Ansätze, die die Lehr- und
Lernprozesse in der Schule und in der Familie beto-
nen, und schließlich in kognitionspsychologische
Ansätze, die den Einfluss von kognitiven Grund-
fähigkeiten („Intelligenz“) thematisieren. Im Folgen-
den werden insbesondere die beiden theoretischen
Konstrukte „kulturelles Kapital“ und „soziales Ka-
pital“ als Ursachen von Leistungsunterschieden be-
trachtet, die der ersten Gruppe zuzurechnen sind.
2.1 Kulturelles Kapital
Der Begriff „kulturelles Kapital“ wurde von Pierre
Bourdieu (1983, 1977) geprägt. Kulturelles Kapital
wird in einem unbewussten Prozess in der primären
und sekundären Sozialisation erworben durch den
376 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
1Bei der Analyse der TIMSS-Daten (Dritte Internationale
Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie) hat sich ge-
zeigt, dass der familiäre Hintergrund den stärksten Ein-
fluss auf die Leistungsfähigkeit der getesteten Schülerin-
nen und Schüler hat. Wirksam sind hier vermutlich der
familiäre Einfluss in der vorschulischen Erziehung, die Un-
terstützung durch die Familienmitglieder in der Schulzeit
und möglicherweise auch ererbte Fähigkeiten (Wößmann
2003).
Kontakt mit Personen, die über kulturelles Kapital
verfügen (Madigan 2002). Im Prozess seiner Aneig-
nung spielen die im Elternhaus vermittelten Einstel-
lungen, Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungs-
schemata eine besondere Rolle. Die Eltern prägen
bei Kindern einen ihrer Sozialschicht entsprechen-
den Habitus. Bourdieu (1983) unterschiedet drei
Dimensionen von kulturellem Kapital: inkorporier-
tes, objektiviertes und institutionalisiertes. Inkorpo-
riertes kulturelles Kapital wird in persönlicher Bil-
dungsarbeit erworben und kann am ehesten als
kognitive Kompetenz und ästhetischer Geschmack
beschrieben werden. Objektiviertes kulturelles Ka-
pital besteht im Besitz von Büchern, Kunstwerken
etc. und ist verbunden mit der kognitiven Fähigkeit,
sich Bücher und Kunstwerke anzueignen. Institutio-
nalisiertes kulturelles Kapital schließlich drückt
sich aus im Erwerb und Besitz von Diplomen,
Zeugnissen und Zertifikaten.
In der Sekundärliteratur gibt es die Wahrnehmung,
dass Bourdieu das Konzept des kulturellen Kapitals
vor allem mit Blick auf die französische Gesell-
schaft entwickelt hat: „Bourdieu also indicates that
this concept of cultural capital was intended to re-
flect the peculiarities of the French context …“ (La-
reau/Weininger 2003: 579). Bourdieu betont im
Vorwort der deutschen Ausgabe zu seinem Buch
„Die feinen Unterschiede“, dass das Buch deut-
schen Lesern auf Grund des Gegenstandes (einer
„Art Ethnographie Frankreichs“), seiner Form und
Darstellungsweise und seiner Intention als ‚sehr
französisch‘ erscheinen wird (Bourdieu 1982: 11).
Aber er stellt auch heraus, dass bestimmte Aspekte
eher die These nahelegen, dass in dem Buch sozio-
logische Phänomene von eher universeller Gültig-
keit analysiert werden: Das Modell der Wechselbe-
ziehungen von ökonomisch-sozialen Bedingungen
und Lebensstilen „scheint mir über den partikula-
ren Fall hinaus Geltung zu besitzen, und zwar für
alle geschichteten Gesellschaften“ (Bourdieu 1982:
12). Auch wenn sich die konkrete inhaltliche Aus-
prägung dessen, was unter kulturellem Kapital ver-
standen wird, je nach Kulturkreis und Sprach-
gemeinschaft unterscheidet, die grundsätzliche
Bedeutung des Phänomens wird dadurch nicht in
Frage gestellt.
Neben dem kulturellen wirken sich auch das öko-
nomische und soziale Kapital auf den sozialstruktu-
rellen Status des Individuums aus (Bourdieu 1983).
Die drei Sorten von Kapital können ineinander
transformiert werden und dienen einander gegen-
seitig als Verstärker. Beispielsweise ist ökonomi-
sches Kapital in der Familie erforderlich, um die
Kinder für die Dauer der Ausbildung freizustellen
und ihnen die nötige Zeit zu geben, Fähigkeiten
und Kenntnisse sowie die entsprechenden Zertifika-
te von möglichst prestigereichen Einrichtungen zu
erwerben. Zertifikate sind ein symbolisches Gut,
das sich in einen entsprechenden Sozialstatus und
in Einkommen tauschen lässt.
Durch die Verknüpfung und Korrelation der ver-
schiedenen Kapitalarten erfolgt eine Kumulation
von Vor- bzw. Nachteilen in den verschiedenen so-
zialen Klassen. Bildungskapital und Kenntnisse auf
kulturellen Gebieten korrelieren hoch (Bourdieu
1982: 39). Vor allem in der familiären Sozialisation
wird kulturelles Kapital intergenerationell tradiert.
Gleichzeitig führt die in der Familie erworbene Ver-
trautheit mit hochkulturellen Inhalten zu Vorteilen
in der Schule (DiMaggio 1982, Rosigno/Ainsworth-
Darnell 1999): Lehrer kommunizieren leichter mit
Schülern, die über ein hohes kulturelles Kapital ver-
fügen. Sie widmen ihnen mehr Aufmerksamkeit
und nehmen sie als intelligenter wahr. Hieraus kann
die Hypothese abgeleitet werden, dass das kulturel-
le Kapital den Einfluss der sozioökonomischen Her-
kunft auf den Schulerfolg vermittelt, also ein Me-
chanismus ist, der die Korrelation von sozialer
Klasse oder Schicht mit Schulleistungen erklärt
(Bourdieu 1977, Bourdieu/Passeron 1977). Die un-
gleichheitstradierende Funktion der Schule wird je-
doch durch die Betonung von Leistungskriterien
verschleiert. Dadurch bewirkt das kulturelle Kapi-
tal eine Reproduktion der Sozialstruktur bei gleich-
zeitiger Legitimation von ungleichen Chancen
durch eine vordergründig meritokratische, schu-
lische Bewertung.
Diese Argumentation Bourdieus wurde von DiMag-
gio (1982) als „cultural reproduction model“ be-
zeichnet. Bourdieus These stellte dieser das so ge-
nannte „cultural mobility model“ gegenüber, das
einen von der sozioökonomischen Herkunft unab-
hängigen Einfluss des kulturellen Kapitals auf den
Schulerfolg annimmt. Kulturelles Kapital kann un-
ter dieser Perspektive sogar zur Kompensation her-
kunftsgeprägter Nachteile eingesetzt werden und
sollte sich demzufolge bei Schülern aus niedrigeren
sozialen Schichten stärker auf den Schulerfolg aus-
wirken.
Eine Reihe von empirischen Studien hat verschiede-
ne Annahmen der Modelle geprüft (vgl. Überblick
bei Lareau/Weininger 2003). Eine zentrale Frage
hierbei ist, ob das kulturelle Kapital den Einfluss
der sozioökonomischen Herkunft auf den Schul-
erfolg vermittelt (cultural reproduction model) oder
einen eigenständigen Effekt darstellt (cultural mo-
bility model). Die Studien kommen überwiegend zu
dem Ergebnis, dass sich der Effekt von sozioöko-
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 377
nomischer Herkunft (Bildung und beruflicher Sta-
tus der Eltern) verringert, wenn kulturelles Kapital
in den Analysen berücksichtigt wird (DiMaggio/
Mohr 1985, DeGraaf 1988, Rosigno/Ainsworth-
Darnell 1999, DeGraaf et al. 2000). Dies spricht ei-
nerseits für die Vermittlungsthese des cultural
reproduction model, aber auch für die Kompensa-
tionsthese des cultural mobility model, da beide Fak-
toren häufig gleichzeitig signifikant sind. Die bei-
den Modelle unterscheiden sich auch im Hinblick
auf die angenommene Korrelation zwischen sozio-
ökonomischer Herkunft und kulturellem Kapital:
Während das cultural reproduction model von ei-
ner hohen Korrelation ausgeht, ist beim cultural
mobility model keine Korrelation vorausgesetzt.
Die Ergebnisse empirischer Analysen zeigen zum
Teil eine niedrige Korrelation zwischen der Bildung
der Eltern und dem kulturellen Kapital von Schü-
lern (DiMaggio 1982), zum Teil eine hohe Korrela-
tion zwischen hochkulturellen Orientierungen und
Lebensstilen von Eltern und Kindern (Rössel/Be-
ckert-Zieglschmidt 2002). Überzeugende Evidenz
fand sich für die Wirksamkeit der mikropolitischen
Prozesse in der Schule: Lehrerbewertungen korre-
lieren bei Kontrolle der sozioökonomischen Her-
kunft, des kulturellen Kapitals und der Familien-
struktur positiv mit den Schulleistungen (Rosigno/
Ainsworth-Darnell 1999). Studien, die die Frage
untersuchen, ob kulturelles Kapital eher Kindern
aus niedrigeren oder aus höheren sozialen Schich-
ten zu Gute kommt, bestätigen das cultural mobili-
ty model mit der These, dass kulturelles Kapital
eher dem ersteren nützt (DeGraaf et al. 2000).
In weiteren Studien wurden die Auswirkungen von
elterlichem und eigenem kulturellen Kapital auf die
Bildungsbeteiligung und den Bildungserfolg diffe-
renziert (vgl. z. B. Aschaffenburg/Maas 1997, Rös-
sel/Beckert-Zieglschmidt 2002). Dabei wurde in
unterschiedlichen Ländern ein nicht sehr starker,
aber signifikanter Effekt des kulturellen Kapitals
der Eltern und ein stärkerer Effekt des kulturellen
Kapitals der Schülerinnen und Schüler auf die Bil-
dungsbeteiligung festgestellt (vgl. zusammenfassend
Aschaffenburg/Maas 1997: 574).
2
Aschaffenburg
und Maas (1997) kommen mit amerikanischen Da-
ten zu dem Ergebnis, dass Schülerinnen und Schü-
ler, die bereits über kulturelles Kapital verfügen,
sich solches auch im Verlauf der Schulkarriere
schneller weiter aneignen, dass frühes kulturelles
Kapital bei späteren Übergängen unwichtiger wird
und dass die Einflüsse des elterlichen kulturellen
Kapitals im Zeitverlauf abnehmen. Am Wichtigsten
ist das kulturelle Kapital im amerikanischen Schul-
system beim Übergang von der High School zum
College. Die Autoren folgern, dass dieses nicht nur
in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten
wichtig sei, wo ein hoher sozialer Status weniger
mit der Teilhabe an hochkulturellen Formen zu tun
hat.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, welche
Dimensionen kulturellen Kapitals sich am stärksten
im Bildungsprozess auswirken. DeGraaf et al.
(2000) belegen empirisch, dass in den Niederlan-
den, wo sie im Gegensatz zu Italien und Frankreich
eine geringe curriculare Bedeutung hochkultureller
Inhalte annehmen, vor allem das elterliche Lesever-
halten, nicht jedoch die Teilnahme an hochkulturel-
len Veranstaltungen (Museums-, Theater-, Ballett-
oder Opernbesuche) von Einfluss auf den Bildungs-
erfolg ist (vgl. auch DeGraaf 1988).
2.2 Soziales Kapital
Bourdieu (1983: 190f.) versteht soziales Kapital
als „… die Gesamtheit der aktuellen und potenziel-
len Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaf-
ten Netzes von mehr oder weniger institutionali-
sierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder
Anerkennens verbunden sind; oder, anders aus-
gedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die
auf Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“. Wel-
che Bedeutung soziales Kapital für den Erwerb von
Bildung bzw. Humankapital hat, wurde von James
S. Coleman (1988, 1990) herausgearbeitet. In der
Studie „High School and Beyond“ waren er und
seine Koautoren (Coleman et al. 1982) beim Ver-
gleich von Schulleistungen in öffentlichen und pri-
vaten Schulen zu dem überraschenden Ergebnis ge-
kommen, dass die Schülerinnen und Schüler von
katholischen Privatschulen besser abschnitten und
dass die Angehörigen von Minoritäten in diesen
Schulen wesentlich bessere Leistungen zeigten als
378 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
2Eine gemeinsame Berücksichtigung des kulturellen Kapi-
tals der Eltern und der Kinder in einer Modellgleichung ist
allerdings problematisch, da sie hoch korrelieren, wie die
Analysen der sozialen Reproduktion des kulturellen Kapi-
tals beweisen. Aus diesem Grund ist die Folgerung von
Rössel und Beckert-Zieglschmidt, dass die Lebensstile der
Eltern keinen, aber die Lebensstile der Schülerinnen und
Schüler sehr wohl einen Effekt auf die Schulnoten haben,
partiell in Frage zu stellen. Darüber hinaus kann man bei
dieser Studie anmerken, dass die gewählte Operationali-
sierung des kulturellen Kapitals als Lebensstil nicht ziel-
führend ist, da mit der Differenzierung von Lebensstilen
und Milieus eine „Entvertikalisierung der Alltagsästhe-
tik“, wie Rössel/Beckert-Zieglschmidt (2002: 500) selbst
formulieren, impliziert ist.
in öffentlichen Schulen. Bei der Suche nach den Ur-
sachen für dieses Ergebnis stieß er auf Unterschiede
in der sozialen Einbindung. Coleman (1988) argu-
mentiert, dass in stabilen, relativ geschlossenen so-
zialen Netzwerken, in die die Eltern und die Schule
eingebunden sind, Informationen besser aus-
getauscht und ein förderliches disziplinäres Klima
hergestellt werden können. Die gegenseitige Unter-
stützung und das disziplinäre Klima sind dem Er-
werb von Kenntnissen und Fertigkeiten dienlich. In
Anlehnung an Granovetter (1985) betont Coleman
(1990), dass soziale Beziehungen wichtig sind für
die Schaffung von Vertrauen und bei der Durch-
setzung von Normen. Einseitige Vorleistungen
beruhen auf der Erwartung einer angemessenen
Gegenleistung, also dem Vertrauen in die Hilfs-
bereitschaft des anderen. Coleman definiert sozia-
les Kapital über seine Funktionen. Es gewinnt für
den einzelnen Akteur an Wert durch die verschie-
denartigen Ressourcen, auf die über soziale Bezie-
hungen zugegriffen werden kann. Coleman geht
nicht wie Bourdieu von einem engen Zusammen-
hang zwischen ökonomischen oder kulturellen
Ressourcen und sozialem Kapital aus. Vielmehr
kann aus seinen Ausführungen und Forschungs-
ergebnissen eine Kompensationsthese abgeleitet
werden: Geeignetes soziales Kapital ist in der Lage,
spezifische Benachteiligungen (z. B. von Minder-
heitenangehörigen) auszugleichen.
Das im Anschluss an die geschilderten theoreti-
schen Überlegungen entwickelte theoretische Mo-
dell wird in Abbildung 1 im Überblick dargestellt.
Aus den theoretischen Überlegungen und vorliegen-
den empirischen Evidenzen können folgende Hypo-
thesen abgeleitet werden: Die sozioökonomische
Herkunft beeinflusst Schülerleistungen positiv. Kul-
turelles und soziales Kapitel der Schülerinnen und
Schüler wirken sich ebenfalls positiv auf die Leis-
tungsergebnisse aus.
Kulturelles und soziales Kapital werden, wie oben
argumentiert, vom sozioökonomischen Hintergrund
der Familie bestimmt. Das Modell in Abbildung 1
sieht deshalb den sozioökonomischen Status und
das Bildungsniveau der Eltern sowie die ethnische
Herkunft als Einflussfaktoren auf das kulturelle und
soziale Kapital an. Bei den empirischen Analysen
wird deshalb geprüft, ob der Einfluss des sozioöko-
nomischen und ethnischen Hintergrundes auf die
Leistungsergebnisse durch die Berücksichtigung von
sozialem und kulturellem Kapital erklärt wird (cul-
tural reproduction model und Kumulationsthese)
oder daneben als eigenständiger Faktor besteht (cul-
tural mobility model und Kompensationsthese).
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 379
Abb. 1 Theoretisches Modell (vereinfachte Darstellung von Abbildung 1.3 in Baumert et al. 2001: 33)
Grundsätzlich wird angenommen, dass individuelle
Lernvoraussetzungen und schulische Lernprozesse
zusätzlich als interagierende Determinanten wirk-
sam sind. Dieser Bereich wird allerdings in diesem
Beitrag ausgeklammert, was durch die graue Schat-
tierung dieses Feldes in Abbildung 1 angedeutet
wird.
3. Bildungssysteme Frankreichs,
Deutschlands und der Schweiz
In diesem Abschnitt werden solche Merkmale der
Schulsysteme in den drei untersuchten Ländern dar-
gestellt, die von Relevanz für ungleiche Bildungs-
chancen sozialer Gruppen sein könnten.
3
Auf eine
umfassende Darstellung der Bildungssysteme wird
hier verzichtet. Einer Beschreibung der Bildungssys-
teme Deutschlands und der Schweiz ist voraus-
zuschicken, dass die institutionellen Strukturen der
beiden Länder auf Grund ihrer föderalen Struktur
eine erhebliche Heterogenität aufweisen, die den
Vergleich auf Landesebene erschwert.
Von zentraler Bedeutung für die Ungleichheit von
Bildungschancen ist die Art der Differenzierung des
Schulsystems und die Art und Weise sowie der
Zeitpunkt der Selektion in die verschiedenen Bil-
dungswege (vgl. Krymkowski 1991). Unter Diffe-
renzierung soll die Aufgliederung der Bildungswege
nach Leistungsniveaus („stratification“, „tra-
cking“) schon während der Pflichtschulzeit (Sekun-
darstufe I) verstanden werden. Je früher die Selek-
tion in die Bildungswege stattfindet, desto größer ist
der Einfluss der Eltern und mithin die Chance, dass
sich die soziale Herkunft auf die Wahl des Bildungs-
ganges auswirkt (ebd.). Es ist anzunehmen, dass die
Jugendlichen bei Bildungsentscheidungen zu einem
späteren Zeitpunkt im Lebenslauf größeren Einfluss
haben und ihre Möglichkeiten durch gesammelte
Erfahrungen einschätzen können, aber auch durch
die Entwicklung von Berufswünschen beeinflussen
wollen. Eine weitere Frage ist, welchen Anteil El-
ternentscheidungen bei der Wahl des Bildungsweges
haben und welchen Anteil Beurteilungen durch
Lehrer. Tendenziell ist davon auszugehen, dass eine
elternunabhängige Entscheidung weniger zur Tra-
dierung einer schichtspezifischen Bildungsbetei-
ligung beiträgt. Allerdings ist im Zweifel schwer
auszumachen, ob die Lehrerentscheidung wirklich
unabhängig von der sozialen Herkunft der Schüle-
rinnen und Schüler erfolgt.
Grundsätzlich gilt, dass Bildung im kollektiven Be-
wusstsein Frankreichs einen sehr hohen Stellenwert
hat, der erstens auf das in der Aufklärung begrün-
dete Sendungsbewusstsein zurückzuführen ist und
eng mit der französischen Sprache, Literatur und
Philosophie verbunden ist (Hörner 2002). Zweitens
spielt auch das Gleichheitsprinzip (égalité) eine
zentrale Rolle, das der Schule eine hohe gesell-
schaftliche Bedeutung beimisst als einer (scheinbar)
meritokratischen Kriterien genügende Verteilungs-
instanz sozialer Positionen. Das französische Schul-
wesen ist diesen Grundsätzen folgend horizontal
gegliedert, d.h. nicht nur in der Grundschule, son-
dern auch in der vierjährigen Sekundarstufe I (collè-
ge, 6. bis 9. Jahrgangsstufe) werden alle Kinder und
Jugendlichen gemeinsam unterrichtet. Erst von der
8. Jahrgangsstufe an gibt es angepasste Lehrplan-
varianten für schwächere Schüler. Allerdings fun-
giert die Wahl der ersten Fremdsprache als eine
verdeckte Leistungsdifferenzierung, da Deutsch (ge-
genüber Englisch und Spanisch) als schwierige, fle-
xionsreiche Sprache meist von leistungsbewussten
und sozial besser gestellten Eltern gewählt wird
und die Fremdsprache Grundlage für die Klassen-
zusammenstellung ist.
In Deutschland herrscht in der Sekundarstufe I eine
nach Leistungsniveaus differenzierte Typenvielfalt:
Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Gesamt-
schule, ferner Mittelschule, Sekundarschule und
Regelschule, die in einzelnen ostdeutschen Ländern
eingeführt wurden und sowohl Haupt- wie auch
Realschulabschlüsse anbieten (Döbert 2002). Je
nach Bundesland erfolgt der Übergang in diese
Schulen in der 5. oder 7. Jahrgangsstufe, je nach-
dem, ob eine Orientierungsstufe (5./6. Klasse) ein-
geführt, ob der Beginn der Realschule auf die 5.
Klasse vorverlagert oder die Grundschule auf 6 Jah-
re verlängert wurde. Klammert man die in den
westdeutschen Ländern unterschiedlich stark ver-
tretenen, integrierten Gesamtschulen aus, so findet
man in drei ostdeutschen Ländern ein zweiglied-
riges und in den übrigen Ländern ein dreigliedriges
Schulsystem. Die Entscheidung für einen Schultyp
treffen formal die Eltern. Wird ein vorausgesetztes
380 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
3In der Literatur werden eine Reihe von Merkmalen dis-
kutiert, die das Leistungsniveau und die Leistungshetero-
genität in Ländern beeinflussen (vgl. Arbeitsgruppe Inter-
nationale Vergleichsstudie 2003). In der Internationalen
Vergleichsstudie wurden aufgelistet: (1) der Umgang mit
Kindern mit Migrationshintergrund und der Umfang der
Ganztagsbetreuung, (2) der Aufbau des Schulsystems, ins-
besondere die Dauer gemeinsamer Unterrichtung von Kin-
dern aller Leistungsniveaus und die Organisation der Leh-
rerbildung und (3) die Steuerung des Schulsystems, wobei
vor allem die Kombination von Dezentralisierung, d.h.
Abkehr von einer Input-Steuerung und größere Schul-
autonomie, mit externer Evaluation betont wurde.
Leistungsniveau nicht erreicht, können Aufnahme-
prüfungen absolviert werden. Darüber hinaus gel-
ten in fast allen Ländern die ersten drei bis sechs
Monate in den weiterführenden Schulen als Pro-
bezeit, an deren Ende über den Verbleib an der
Schule entschieden wird.
Die kulturelle Besonderheit der Schweiz ist die Vier-
sprachigkeit des Landes, die sich auch in den Tradi-
tionen der Gestaltung der Bildungssysteme in den
Kantonen niederschlägt (Gretler 2002). Die unter-
schiedlichen kulturellen Traditionen machen sich
beispielsweise bemerkbar in den Anteilen der Kin-
der, die den Kindergarten besuchen (niedriger in
deutsch-schweizer Kantonen), am Anteil der Klas-
senwiederholer (ebenfalls niedriger in der Deutsch-
Schweiz) oder an der Dauer des Hochschulstudi-
ums (kürzer in der französischsprachigen Schweiz).
In der Schweiz dauert die Sekundarstufe meist drei
Jahre oder, bei kürzerer Primarstufe, vier oder fünf
Jahre (Gretler 2002, Dittli/Sturny-Bossart 1991). In
einigen Kantonen ist sie gesamtschulartig oder als
Orientierungsstufe organisiert; in den meisten je-
doch in zwei oder drei getrennte Züge mit unter-
schiedlichen Leistungsanforderungen gegliedert.
Der Zeitpunkt der formalen Selektion in leistungs-
differenzierte Bildungsgänge liegt in Frankreich
also bei Beginn der 10. Jahrgangsstufe und in
Deutschland und der Schweiz je nach Bundesland
oder Kanton – mit Ausnahme von Gesamtschulen –
erheblich früher bei Beginn der 5. oder 7. Jahr-
gangsstufe. Durch die spätere Einschulung sind die
Schweizer Schüler allerdings um ein Jahr älter als
die deutschen in diesen Jahrgangsstufen (vgl. auch
Buchmann et al. 1993).
4
Ein Einfluss der sozialen Herkunft ist nicht nur bei
Bildungsentscheidungen und Übergängen möglich,
sondern auch während ablaufender Lernprozesse.
Je zeitlich umfassender schulische Bildungsprozesse
sind und je geringer der Anteil der elterlichen Be-
treuung, desto geringer sind herkunftsbedingte
Ungleichheiten im Leistungsniveau. Auf allen Bil-
dungsstufen bestehen Möglichkeiten der Kompen-
sation familiär bedingter Benachteiligungen (z. B.
bei Sprachdefiziten ausländischer Kinder). Je früher
im Lebensalter die Vorschule einsetzt und je größer
der Anteil der Altersjahrgänge, der in die Vorschule
integriert ist, desto geringer sollte der Einfluss der
sozialen Herkunft sein. In Bildungssystemen mit
Ganztagskindergarten bzw. Ganztagsschule befin-
den sich Kinder und Jugendliche länger in der Ob-
hut von Erzieherinnen und Lehrerinnen, so dass der
elterliche Einfluss hier geringer sein dürfte als in
Halbtagseinrichtungen.
Die zeitlich umfassendste Beschulung findet man in
Frankreich. Hier gilt bereits die Elementarstufe
(école maternelle) als Teil des Bildungssystem; sie
beginnt im Alter von zwei Jahren (Hörner 2002).
Die Betreuungsquote der über 3-jährigen beträgt
99 %. École maternelle und Schule sind als Ganz-
tagseinrichtungen konzipiert. In Deutschland gehen
nennenswerte Anteile der Altersjahrgänge im Alter
von drei Jahren in den Kindergarten, während jün-
gere Kinder relativ selten in Einrichtungen (Krip-
pen) zu finden sind. Kindergärten wie auch Schulen
sind überwiegend Halbtagseinrichtungen. Im Zuge
politischer Maßnahmen zur Verbesserung des Leis-
tungsniveaus deutscher Schüler fördert das Bundes-
ministerium für Bildung seit kurzem die Einrich-
tung von Ganztagsschulen, so dass sich der Anteil
der Kinder und Jugendlichen in Ganztagseinrich-
tungen erhöhen wird. In der Schweiz beginnt der
Kindergarten erst ab 4 bis 5 Jahren und die Ein-
schulung erfolgt (ein Jahr später als in Frankreich
und Deutschland) mit 7 Jahren. Dagegen ist der
Umfang des pro Woche erteilten Unterrichts mit ei-
ner Kombination aus Halb- und Ganztagsunter-
richt höher als in Deutschland. Mit den Daten der
PISA-Studie errechnen sich für Frankreich 926 Zeit-
stunden à 60 Minuten pro Jahr, für die Schweiz 767
Stunden und für Deutschland 684 Stunden (eigene
Berechnung).
5
Eine weitere Dimension, die den Einfluss der sozia-
len Herkunft auf den Bildungserfolg alterieren
könnte, ist die Art der Lehrerbildung. Hier soll die
Überlegung angestellt werden, dass eine akademi-
sche Ausbildung umfangreichere pädagogische
Kenntnisse vermittelt und die Erzieherinnen und
Lehrkräfte über breitere didaktische Kenntnisse ver-
fügen, die geeignet sind, Benachteiligungen aus-
zugleichen.
Die umfassendste Akademisierung der Erzieher-
und Lehrerausbildung findet man in Frankreich.
Bereits die Ausbildung der Vorschulerzieher („pro-
fesseur de l’école maternelle“) findet an Hoch-
schulen statt (Hörner 2002). In Deutschland setzt
die akademische Ausbildung auf der Ebene der
Lehrkräfte für die Primarstufe ein (Döbert 2002),
während in der Schweiz bislang sogar die Primar-
stufenlehrer eine Fachschulausbildung an Lehrer-
bildungs-Instituten absolvierten. Der Eintritt in
die Lehrerausbildung für die Primarstufe erfolgt
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 381
4Aber auch in Deutschland wird ein hoher Anteil der Kin-
der erst mit sieben Jahren eingeschult (Wößmann 2003).
5Die Arbeitsgruppe Internationale Vergleichsstudie
(2003) führt für Frankreich 928 und für Deutschland 850
Stunden vorgesehene Unterrichtszeit an.
bereits nach Ende der Pflichtschulzeit, setzt also
keine Maturität voraus. In der Schweiz gibt es je-
doch derzeit in vielen Kantonen Bestrebungen, die
Lehrerausbildung durch die Gründung Pädago-
gischer Hochschulen zu akademisieren (vgl. z. B.
Erziehungsdirektion Bern „Projekt Pädagogische
Hochschule“, www.erz.be.ch/ph/ vom 25.08.
2003).
Die politische Steuerung des Bildungssystems sollte
sich zumindest indirekt auf die Ungleichheit der Bil-
dungschancen auswirken. Wenn eine Outputsteue-
rung durch regelmäßige Leistungevaluationen, Be-
ratung von Schulen und zentralen Prüfungen dazu
führt, dass Anreize gesetzt werden, benachteiligte
Gruppen zu fördern, um ein besseres Gesamtergeb-
nis zu erzielen, dann sollte dies zu einem Abbau un-
gleicher Bildungschancen beitragen. Unter Input-
steuerung wird in diesem Zusammenhang die
Steuerung durch Curricula und Verordnungen etc.
verstanden.
Das Bildungsministerium in Paris ist das zentrale
Steuerungsorgan des französischen Bildungssystems
(Arbeitsgruppe Internationale Vergleichsstudie
2003: 65). Evaluationen und Schulinspektoren die-
nen der Bewertung und Förderung von Schulen. Al-
lerdings wird kritisiert, dass Inspektionen vor allem
für personalpolitische Entscheidungen genutzt wer-
den, während Beratung und Unterstützung von
Schulen zu kurz kommen. In Deutschland werden
Schulen formell durch Rechts- und Verwaltungsvor-
schriften und inhaltlich durch Lehrpläne gesteuert.
Kontrolle, Beratung und Weisung erfolgt durch den
Schulrat (Döbert 2002: 99f.). In einzelnen Ländern
(Baden-Württemberg) gibt es in Folge der Diskus-
sion um die Ergebnisse der PISA-Studie Bestrebun-
gen, die inhaltliche Steuerung mittels Curriculum
durch die Definition von Leistungsstandards zu er-
setzen. In der Schweiz regeln die Parlamente, Regie-
rungen und Erziehungsdirektionen in den Kantonen
das Schulsystem (Gretler 2002: 474). Die Kantone
erlassen die Lehrpläne, wobei die Lehrerschaft ein
starkes Mitspracherecht hat. Nur für bestimmte
Schularten (Maturitätsschulen und Berufsschulen)
bzw. einige Regionen gibt es gesamtschweizerische
bzw. kantonsübergreifende Rahmenlehrpläne. Zur
Beurteilung des Unterrichts werden Inspektoren
eingesetzt, wobei im Zuge von Reformen die Auto-
nomie von Schulen erhöht wird und Selbst- und
Fremdevaluationen der Bildungseinrichtungen
wichtiger werden (Gretler 2002). Zusammenfas-
send kann man sagen, dass die politische Steuerung
in Frankreich stärker outputorientiert ist, während
die Steuerung in Deutschland und der Schweiz noch
stark inputgeprägt ist.
Direkter als die allgemeine politische Steuerung des
Schulsystems dürften sich konkrete Programme zur
Förderung von benachteiligten Gruppen auf die
Kompensation von Leistungsdefiziten auswirken.
Aus diesem Grund soll untersucht werden, wie um-
fangreich derartige Maßnahmen in den betrachte-
ten Ländern sind.
In Frankreich wurden Anfang der 80er Jahre „zo-
nes d’éducation prioritaires“ (ZEP) an sozialen
Brennpunkten eingeführt, um durch positive Dis-
kriminierung dem Prinzip der Chancengleichheit zu
genügen (Hörner 2002). Ein Bündel von pädagogi-
schen und schulorganisatorischen Maßnahmen
wurde entwickelt, um Handicaps zu diagnostizie-
ren, flexible Leistungsdifferenzierung und Förder-
pädagogik anzuwenden. Diese Maßnahmen zeitig-
ten großen Erfolg. Schwächere oder ausländische
Schüler mit ungenügenden Sprachkenntnissen wer-
den in Sonderklassen gefördert, damit sie Anschluss
an die Regelklassen erlangen. In Deutschland gibt
es kein vergleichbar breit verankertes Förderpro-
gramm, sondern vereinzelte Förderkurse. Im Zuge
jüngster Reformen werden allerdings Maßnahmen
zur individuelleren Förderung bildungsbenachtei-
ligter Kinder, insbesondere von Kindern mit Migra-
tionshintergrund diskutiert (Döbert 2002: 109).
Mit Ausnahme von Sonderklassen, Sonderschulen
und Fördereinrichtungen für behinderte Kinder
oder speziellen Klassen für Fremdsprachige in ein-
zelnen Kantonen gibt es in der Schweiz keine mit
französischen Programmen vergleichbaren, um-
fangreichen Maßnahmen zur Förderung von Be-
nachteiligten (Gretler 2002: 480).
Will man die Ergebnisse des Ländervergleichs auf
einen einfachen Nenner bringen, so deuten alle dis-
kutierten Kriterien darauf hin, dass die soziale Se-
lektivität des Bildungswesens in Frankreich gerin-
ger ist als in Deutschland und in der Schweiz. Im
einzelnen wird vermutet, dass sich die sozioöko-
nomische Stellung und Bildung der Eltern sowie die
ethnische Herkunft in Frankreich weniger stark auf
die Leistungen auswirken als in den beiden anderen
Ländern. Auf Grund der umfassenderen Beschu-
lung in Frankreich wird erwartet, dass hier das fa-
miliäre soziale Kapital weniger deutlich, das schu-
lische soziale Kapital jedoch stärker zu Buche
schlägt. Im Hinblick auf das kulturelle Kapital wird
vermutet, dass es in Frankreich einen weniger star-
ken Effekt auf die Leistungsergebnisse hat.
Im Hinblick auf den Umfang der Beschulung, die
Steuerung des Bildungswesens und den Umfang von
Förderprogrammen für benachteiligte Schülerinnen
und Schüler unterscheiden sich Deutschland und
die Schweiz relativ wenig. Der Zeitpunkt der Selek-
382 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
tion in die verschiedenen Bildungswege lässt ver-
muten, dass die Einflüsse des elterlichen Hinter-
grundes in Deutschland etwas stärker sind, wäh-
rend der Umfang der Akademisierung der
Lehrerbildung ein umgekehrtes Ergebnis erwarten
lässt. Die anderen besprochenen Merkmale der Bil-
dungswesen legen die Hypothese nahe, dass der El-
terneinfluss in Deutschland und der Schweiz ähn-
lich ist.
4. Daten und Methoden
Die Analysen dieses Beitrags basieren auf den Da-
ten der PISA 2000-Studie. Daten und technische In-
formationen zu den Datensätzen können über die
Homepage der OECD (Organisation für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung) bezogen
werden.
4.1 Datenerhebung
Die PISA-Studie (Programme for International Stu-
dent Assessment) wird von der OECD als Teil des
Indikatorenprogramms durchgeführt und von den
Mitgliedstaaten gemeinschaftlich getragen (Bau-
mert et al. 2001). Im Jahr 2000 fand die erste Erhe-
bung statt, deren Schwerpunkt bei der Erfassung
der Lesekompetenz lag. An der Erhebung waren 32
Staaten (darunter 28 Mitgliedstaaten der OECD)
beteiligt. In den Jahren 2003 und 2006 waren bzw.
sind weitere Erhebungen geplant, in denen jeweils
einer der beiden anderen Leistungsbereiche, mathe-
matische und naturwissenschaftliche Grundbil-
dung, ausführlicher als in der ersten Welle erhoben
werden.
Zielgruppe der PISA-Studie war die Alterskohorte
der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler (Sib-
berns/Baumert 2001). Die Stichprobenziehung er-
folgte zweistufig. Auf der ersten Stufe wurde eine
mehrfach geschichtete Klumpenstichprobe aus den
Schulen gezogen (nach Schulformen, Bundeslän-
dern und Anzahl der Neuntklässler bzw. 15-Jäh-
rigen der jeweiligen Schule geschichtet). Insgesamt
waren in Deutschland 219, in der Schweiz 282 und
in Frankreich 177 Schulen einbezogen. Im letzten
Schritt wurden die Untersuchungseinheiten in den
Schulen bestimmt. In Deutschland wurden 5073, in
der Schweiz 6100 und in Frankreich 4673 Schüle-
rinnen und Schüler getestet.
4.2 Operationalisierung und deskriptive
Ergebnisse
In Tabelle 1 werden die Mittelwerte bzw. Anteile
der Variablen in den drei untersuchten Ländern be-
richtet (zu den Variablen und Methoden vgl. OECD
2003 und Adams/Wu 2003). Die Daten wurden
hierfür mit dem „final student weight“ gewichtet,
das die Vorgehensweise des Auswahlverfahrens und
das Antwortverhalten der ausgewählten Schülerin-
nen und Schüler korrigiert.
6
Die Ergebnisse können
also auf die entsprechenden „Populationen“ der
15-jährigen in den Ländern übertragen werden. Die
in der Tabelle berichteten Fallzahlen entsprechen je-
doch der Stichprobengröße.
4.2.1 Sozioökonomischer Status und Bildung
der Eltern
Der sozioökonomische Status der Eltern wurde an-
hand der Berufsbezeichnung ermittelt. Die Berufe
der beiden Eltern wurden mit dem ISCO-Code (In-
ternational Standard Classification of Occupations)
verschlüsselt. Damit kann die Berufsbezeichnung in
den „PISA International Socio-Economic Index of
Occupational Status“ (ISEI nach Ganzeboom/Trei-
man 1996) oder auch in die gebräuchlichen Presti-
gescores umgerechnet werden. Mit den PISA-Daten
stehen sowohl der sozioökonomische Status der
Mutter, als auch der des Vaters oder der höchste
der beiden zur Verfügung. In verschiedenen Modell-
tests wurde ermittelt, dass eine getrennte Betrach-
tung beider Indikatoren eine größere Erklärungs-
kraft hat als ein gemeinsamer Indikator.
7
Die Bildung der Eltern wurde mit der „Internatio-
nal Standard Classification of Education“ (ISCED)
der OECD klassifiziert, um eine internationale Ver-
gleichbarkeit der Abschlüsse zu gewährleisten. Un-
terschieden wurden folgende Kategorien: Level 1:
nur Primarbildung (Klasse 1 bis 4); Level 2: nur Se-
kundarstufe I (Klasse 5 bis 8); Level 3 A: Sekundar-
stufe II mit einem Abschluss, der zum Eintritt in die
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 383
6Die disproportionale Verteilung der ausgewählten Schu-
len, die Mehrstufigkeit der Stichprobe und die variieren-
den Beteiligungsraten in den Schulen machen in deskripti-
ven Analysen eine Gewichtung der Daten erforderlich
(Sibberns/Baumert 2001). Die mit den Daten zur Ver-
fügung gestellten Gewichtungsfaktoren rechnen die Stich-
probe auf die Populationsgrößen der einzelnen Länder
hoch.
7Leider kann mit den internationalen PISA-Daten nicht
die Variable der Erikson-Goldthorpe-Portocarero-Klassen
(EGP) berechnet werden (wie in Baumert/Schümer 2001),
da Informationen über Weisungsbefugnisse nur in
Deutschland erhoben wurden.
384 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
Tabelle 1 Deskriptive Statistiken (gewichtet mit Populationsgewichten; Fallzahlen der ungewichteten Daten;
Datenquelle: PISA 2000 Daten)
Variable Land Mittelwert/
Anteil
Standard-
abweichung
Min Max N
Mutter Sozioökonomischer Index (ISEI) Frankreich
Deutschland
Schweiz
42,6
43,1
42,2
17,3
14,6
14,3
16
16
16
90
90
90
3735
4408
4913
Vater Sozioökonomischer Index (ISEI) Frankreich
Deutschland
Schweiz
44,1
44,3
45,6
16,9
16,6
17,6
16
16
16
90
90
90
3943
4603
5604
Bildung Mutter ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
Frankreich
Deutschland
Schweiz
25,4
40,5
50,4
23,1
34,5
20,0
4362
4460
5677
Bildung Vater ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
ISCED 3 B/C
ISCED 3 A
Frankreich
Deutschland
Schweiz
30,3
38,0
43,0
30,2
36,7
23,3
4157
4245
5574
Testsprache nicht Muttersprache
Darunter:
andere offizielle Sprache
nationaler Dialekt
Frankreich
Deutschland
Schweiz
5,1
7,9
18,9
4,0
1,2
4493
4617
5887
Geburtsland der Schüler im Ausland Frankreich
Deutschland
Schweiz
3,5
11,3
14,1
4623
4985
6035
Geburtsland beider Eltern im Ausland Frankreich
Deutschland
Schweiz
11,8
15,2
20,4
4594
4978
5994
Kernfamilie Frankreich
Deutschland
Schweiz
74,7
74,5
77,5
4627
5051
6041
Zahl der älteren Geschwister Frankreich
Deutschland
Schweiz
1,97
1,84
1,86
1,04
0,91
0,96
0
0
0
4
4
4
4369
4517
5547
Kommunikation mit Eltern (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
0,16
-0,24
-0,25
0,94
0,89
0,88
-3,65
-3,65
-3,65
1,20
1,20
1,20
4616
4989
6026
Familiäre Unterstützung
bei Hausaufgaben (WLE)
Frankreich
Deutschland
Schweiz
0,04
-0,07
-0,02
1,00
0,97
0,97
-1,49
-1,49
-1,49
3,35
3,35
3,35
4611
4950
5995
Schlechtes disziplinäres Klima
in der Schule (WLE)
Frankreich
Deutschland
Schweiz
0,05
-0,10
-0,30
1,06
1,02
1,04
-2,92
-2,92
-2,92
2,96
2,96
2,96
4609
4992
6057
Leistungsdruck (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
-0,34
-0,02
-0,27
0,99
0,99
0,98
-4,35
-4,35
-4,35
2,75
2,75
2,75
4609
4992
6053
Tertiärstufe berechtigt (in Deutschland Abitur oder
Fachabitur, in der Schweiz Maturität oder Berufs-
maturität und in Frankreich baccalauréat); Level
3 B: Berufsabschlüsse und Level 3 C: Anlernausbil-
dung, Anlehre. Für die Analysen wurden zwei
Dummy-Variablen gebildet, die einen Vergleich von
Personen mit beruflichen Abschlüssen (Level 3 B/C)
bzw. Personen mit (Fach-/Berufs-)Abitur (Level
3 A) mit den Personen ermöglicht, die höchstens Le-
vel 2 erreicht haben (Referenzgruppe).
4.2.2 Ethnische Herkunft
Die ethnische Herkunft wird bei den Analysen in
diesem Beitrag mit drei Indikatoren berücksichtigt.
(1) Der zentrale Indikator ist die Frage, ob zu Hau-
se die Sprache, in der der Leistungstest bearbeitet
wurde, oder aber eine andere Sprache gesprochen
wird. Ist die Testsprache nicht die Muttersprache,
so erfordert die Bearbeitung der Aufgaben im
Durchschnitt mehr Zeit, und es kann zu Fehlern
kommen, die durch Defizite in der Sprachbeherr-
schung begründet sind. Darüber hinaus ist zu ver-
muten, dass Kinder mit ungenügendem Sprachver-
ständnis dem Unterricht, der üblicherweise in der
Testsprache abgehalten wird, nicht so gut folgen
können, sodass der Kompetenzerwerb darunter lei-
det. (2) Als zweiten Indikator für die ethnische Her-
kunft kann die Information verwendet werden, ob
der getestete Schüler bzw. die Schülerin im Ausland
geboren wurde. (3) Ob beide Eltern (also nicht nur
ein Elternteil) im Ausland geboren wurden, soll als
dritter Indikator der ethnischen Herkunft dienen.
Bei den beiden letzten Indikatoren kann nicht diffe-
renziert werden, ob die Geburtsländer der Kinder
bzw. Eltern ein benachbartes Land mit der gleichen
Landessprache oder ein Land mit anderer Sprache
sind. In der Schweiz gibt es einen relativ hohen An-
teil von Schülerinnen und Schülern, deren Mutter-
sprache nicht die Testsprache ist und die selbst
(bzw. deren Eltern) im Ausland geboren wurden
(vgl. Tabelle 1). Da in der Schweiz andererseits rela-
tiv viele Ausländer leben, deren Muttersprache eine
der Landessprachen ist, ist es sinnvoll, alle drei In-
dikatoren der ethnischen Herkunft parallel zu un-
tersuchen.
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 385
Tabelle 1 Fortsetzung
Variable Land Mittelwert/
Anteil
Standard-
abweichung
Min Max N
Zugehörigkeitsgefühl (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
-0,14
0,18
0,20
0,94
1,07
1,06
-3,40
-3,40
-3,40
2,33
2,33
2,33
4539
5026
5997
Kulturgegenstände (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
-0,30
-0,02
-0,08
1,00
0,98
0,99
-1,65
-1,65
-1,65
1,15
1,15
1,15
4626
4983
6037
Zahl der Bücher 0–49
50–250
über 250
0–49
50–250
über 250
0–49
50–250
über 250
Frankreich
Deutschland
Schweiz
33,9
43,7
22,4
29,0
43,8
27,7
30,1
41,4
28,5
4394
4959
5972
Bildungsrelevante Ressourcen (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
0,16
0,33
0,29
0,89
0,77
0,81
-5,93
-5,93
-5,93
0,76
0,76
0,76
4637
5051
6068
Kulturelle Kommunikation (WLE) Frankreich
Deutschland
Schweiz
0,27
-0,14
0,01
0,92
0,95
0,98
-2,20
-2,20
-2,20
2,72
2,72
2,72
4601
4974
6019
Besuch kultureller Veranstaltungen
(WLE)
Frankreich
Deutschland
Schweiz
-0,36
0,01
0,07
0,94
0,96
0,98
-1,28
-1,28
-1,28
2,93
2,93
2,93
4581
4958
5982
4.2.3 Soziales Kapital
Bei der Auswahl von Indikatoren für soziales Kapi-
tal wird eine Differenzierung zwischen familiärem
sozialen Kapitel (vier Indikatoren) und schulischem
sozialen Kapital (drei Indikatoren) vorgenommen.
(1) Familienstruktur. Dass Alleinerziehende im
Durchschnitt weniger Zeit für ihre Kinder haben
und ihnen weniger Unterstützung zuteil werden las-
sen können als ein Elternpaar, ist unbestritten. Als
Indikator für die Familienstruktur wird eine Varia-
ble verwendet, die angibt, ob das Kind in einer
sogenannten Kernfamilie oder in einer anderen Fa-
milienform (v.a. Alleinerziehende sowie sonstige
Formen) lebt. (2) Zahl der älteren Geschwister. Da
die elterliche Aufmerksamkeit bei einer höheren
Zahl von Kindern auf mehr Kinder aufgeteilt wer-
den muss, könnte sich die Zahl der Geschwister
negativ auf die Schülerleistungen auswirken (vgl.
dazu bereits Tillmann/Meier 2003, ferner Rosigno/
Ainsworth-Darnell 1999, de Graaf 1988). In der
PISA-Studie wurde gefragt, wie viele ältere, gleich-
altrige und jüngere Geschwister in der Familie vor-
handen sind. Da vor allem ältere Geschwister in
Konkurrenz um die knappe Zeit der Eltern treten,
wird in den Analysen nicht die Gesamtzahl, son-
dern die Zahl älterer Geschwister berücksichtigt.
8
(3) Kommunikation mit den Eltern. Die Schülerin-
nen und Schüler wurden gefragt, wie häufig sie mit
ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten über ihre
Situation in der Schule sprechen, wie häufig sie ge-
meinsame Mahlzeiten einnehmen und wie häufig
die Eltern sich Zeit nehmen, um mit ihnen zu spre-
chen. Aus diesen drei Indikatoren wurde ein
„weighted likelihood estimate“-Index (WLE) er-
rechnet (Warm 1985). WLE-Indizes haben einen
internationalen Mittelwert von Null und eine Stan-
dardabweichung von 1. (4) Familiäre Unterstüt-
zung. Eine weitere Dimension des sozialen Kapitals
ist die Unterstützung durch Familienangehörige bei
den Schularbeiten. Aus der Frage, „Wie häufig un-
terstützen dich folgende Personen bei den Hausauf-
gaben oder anderen Arbeiten für die Schule?“ wur-
de ein WLE-Index zur familiären Unterstützung bei
den Hausaufgaben errechnet, der die Unterstützung
von Mutter, Vater und Geschwistern zusammen-
fasst.
9
Schulisches soziales Kapital besteht (1) im diszipli-
nären Klima an der Schule, das die Grundlage für
einen vertrauensvollen Umgang der Schüler und
Lehrer miteinander sowie für den erfolgreichen Ver-
lauf von Lernprozessen bildet. Der WLE-Index
wurde aus verschiedenen Items zum Schüler- und
Lehrerverhalten und zum Lärmpegel in der Klasse
errechnet. (2) Leistungsdruck. Dass ein hoher Leis-
tungsdruck negativ mit Leistung in der Schule kor-
reliert, wird in der pädagogischen Forschung he-
rausgestellt (vgl. Eder/Lang 2002). Hier wird
zudem argumentiert, dass von einem überdurch-
schnittlich hohen Leistungsdruck ein negativer Ein-
fluss auf das soziale Kapital der Schülerinnen und
Schüler ausgeht, der die Konkurrenz unter den
Schülerinnen und Schülern erhöht und damit eine
Zusammenarbeit in Teams erschwert. Aus diesen
Gründen wird ein negativer Effekt von Leistungs-
druck auf die Leistungsergebnisse angenommen.
Der WLE-Index wurde gebildet aus den Items: Leh-
rer/in … „will, dass wir uns richtig anstrengen“,
„sagt, dass wir eigentlich besser sein könnten“, „ist
unzufrieden, wenn wir nachlässig arbeiten“ und
„Schüler/innen müssen viel lernen“. (3) Positiv hin-
gegen sollte der Effekt des Zugehörigkeitsgefühls
auf die Leistungsergebnisse sein. Hier wurden Items
zu einem WLE-Index zusammengefasst, die folgen-
de Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler
wiedergeben: fühle mich als Außenseiter (umge-
polt), kann leicht Freunde finden, fühle mich dazu-
gehörig, fühle mich fehl am Platz (umgepolt), bin
beliebt und fühle mich einsam (umgepolt).
4.2.4 Kulturelles Kapital
(1) Besitz an Kulturgütern. Als erster Indikator für
das kulturelle Kapital der Familie wurde ein Index
berechnet, der anzeigt, wie viele der folgenden Ge-
genstände im Besitz der Familie sind: Bücher mit
klassischer Literatur, Bücher mit Lyrik oder Kunst-
gegenstände (z.B. Gemälde). (2) Zahl der Bücher.
Ein zweiter Indikator für den kulturellen Hinter-
grund der Familie ist die Zahl der im Haus vorhan-
denen Bücher. Das vorgegebene Kategoriensystem
wurde zu drei Ausprägungen zusammengefasst. (3)
Bildungsrelevante Ressourcen. Um schulische Lern-
prozesse zu fördern, sind einige Ressourcen im fa-
miliären Umfeld hilfreich. In der PISA-Studie wurde
erhoben, ob die Familie ein Lexikon besitzt, ob die
Kinder einen ruhigen Platz zum Lernen besitzen, ob
sie einen eigenen Schreibtisch haben, ob sie Lehr-
bücher besitzen und ob es einen Computer in der
Familie gibt. Aus diesen Indikatoren wurde wieder
ein WLE-Index gebildet. (4) Kulturelle Kommuni-
kation. Als vierter Indikator für das kulturelle Ka-
386 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
8Zum Vergleich wurden Analysen mit der Gesamtzahl
der Geschwister angestellt, bei denen sich geringere Effek-
te zeigten.
9In der ursprünglichen Skale bedeutete 1 „nie oder fast
nie“, 2 „ein paar Mal im Jahr“, 3 „etwa einmal im Mo-
nat“, 4 „mehrmals im Monat“ und 5 „mehrmals in der
Woche“.
pital der Familie soll der kommunikative Austausch
über gesellschaftliche Themen verwendet werden.
Bei der Befragung der Schülerinnen und Schüler
wurden folgende Items erhoben: Diskussion mit
den Eltern über politische oder soziale Themen,
Diskussion über Bücher, Filme oder Fernsehsendun-
gen und gemeinsames Hören von klassischer Mu-
sik. (5) Besuch kultureller Veranstaltungen. Als
fünfter Indikator für das kulturelle Kapital der
Schülerinnen und Schüler wird die Häufigkeit des
Besuchs kultureller Veranstaltungen gewertet. Er-
fragt wurde, wie häufig die Schülerinnen und Schü-
ler ein Museum, eine Kunstgalerie, eine Oper, ein
Ballett, ein klassisches Konzert oder eine Theater-
vorstellung besucht haben.
10
4.3 Leistungsstandards in den beteiligten Ländern
(deskriptive Ergebnisse)
Das Ziel der Kompetenzmessung in PISA ist die Er-
fassung von Basiskompetenzen, die sich in authenti-
schen Anwendungssituationen bewähren (Baumert
et al. 2001). Demgegenüber ist nicht beabsichtigt,
curricular definierte Bildungsinhalte zu erfassen,
was angesichts der Vielfalt der Curricula in den be-
teiligten Ländern auch einer Quadratur des Kreises
gleichen würde. Die Lesekompetenz wird als fä-
cherübergreifende Schlüsselqualifikation aufgefasst
und besteht in dem Vermögen „… geschriebene
Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu
reflektieren …“. Im Einzelnen geht es darum, ver-
schiedene Arten von Texten zu lesen und verschie-
dene Arten von Leseaufgaben auszuführen (Infor-
mationen herauszusuchen, Interpretationen zu
entwickeln und über Inhalte und Form der Texte zu
reflektieren).
Die Modelle zur Bestimmung der individuellen
Leistungswerte beruhen auf der Item Response
Theory, die auch Probabilistische Testtheorie ge-
nannt wird (Köller et al. 2001). Durch diese Metho-
de lassen sich Personen, die unterschiedliche Auf-
gaben bearbeitet haben, auf einer gemeinsamen
Skala abbilden. Da die Schülerinnen und Schüler in
PISA nicht alle Aufgaben bearbeiten mussten (Mul-
ti-Matrix-Sampling), wurde das eindimensionale
Rasch-Modell, das bekannteste Modell der Pro-
babilistischen Testtheorie, zur Berechnung der Leis-
tungswerte verwendet. In der Probabilistischen
Testtheorie werden die Maße für die Schülerleistun-
gen als eine latente Variable betrachtet, die nicht di-
rekt beobachtet werden kann. Die beobachteten
Antworten sind Indikatoren für diese latente Varia-
ble.
Für jeden Kompetenzbereich wurden zwei Arten
von Schätzern ermittelt: ein „weighted likeli-
hood“-Schätzer (WLE) nach Warm (1985) und ein
Satz von so genannten „plausible values“. Die plau-
sible values sollten zur Berechnung von Statistiken
für das Populationsniveau verwendet werden, die
„weighted-likelihood“-Schätzer für Individualana-
lysen. Da es im Folgenden um die Analyse von Ein-
flussfaktoren auf das individuelle Leistungsniveau
geht, dienen die „weighted-likelihood“-Schätzer für
die Schülerleistungen als abhängige Variable.
Die (gewichteten) Mittelwerte der Gesamtskala für
Lesen betragen bei einem OECD-Durchschnitt von
500 Punkten in Deutschland 484 Punkte, in der
Schweiz 494 Punkte und in Frankreich 505 Punkte
(Artelt et al. 2001: 107). Die höchsten Werte im Le-
sen erzielten die Schülerinnen und Schüler aus Finn-
land (546), Kanada (534) und Neuseeland (529).
Den größten Einfluss auf die Lesekompetenz hat
die kognitive Grundfähigkeit, gefolgt vom Lern-
strategiewissen, von der Decodierfähigkeit und
schließlich vom Leseinteresse (Artelt et al. 2001:
129).
In bivariaten Analysen wurde nachgewiesen, dass
die soziale Herkunft einen substanziellen Einfluss
auf die Lese-, Mathematik- und Naturwissen-
schaftskompetenz hat (Baumert/Schümer 2001). Ju-
gendliche aus Familien der oberen und unteren
Dienstklasse (EGP-Sozialschicht) unterscheiden
sich kaum in ihren Kompetenzen, aber der Abstand
von Jugendlichen aus der Klasse der Routinedienst-
leistungen und den Arbeiterklassen ist erheblich.
Besonders benachteiligt sind Jugendliche aus Zu-
wandererfamilien. Für den Leistungsrückstand von
Migrantenkindern ist weniger die Schichtzuge-
hörigkeit als die Beherrschung der Sprache verant-
wortlich. Im internationalen Vergleich sind die Un-
terschiede in der Lesekompetenz zwischen den
Angehörigen des unteren und oberen Viertels der
Sozialstruktur (gemessen am höchsten Sozialstatus
der beiden Eltern, HISEI) in Deutschland mit 111
Testpunkten am größten, dicht gefolgt von der
Schweiz mit 106 Punkten Differenz (Baumert/Schü-
mer 2001: 385). Frankreich weist im Vergleich die-
ser drei Länder die geringste sozialstrukturelle Dif-
ferenz mit 84 Punkten auf. Am geringsten sind die
sozialen Unterschiede in der Lesekompetenz in Ja-
pan (27), Korea (33), Island (50) und Finnland
(53).
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 387
10 Auf Grund der Frageformulierung wäre es möglich,
dass die Befragten auch schulische Veranstaltungen hier
mitgezählt haben. Da die Frage jedoch im Fragenblock
zum Elternhaus platziert ist, liegt der Fokus eher auf au-
ßerschulischen Freizeitaktivitäten.
5. Ergebnisse
Zunächst werden die Bruttoeffekte der sozioöko-
nomischen und ethnischen Herkunft sowie von
sozialem und kulturellem Kapital auf die Lesekom-
petenz untersucht, bevor der Frage nachgegangen
wird, ob sich die Effekte in den Ländern signifikant
unterscheiden.
In der ersten Spalte von Tabelle 2 wird die Richtung
des hypothetisch angenommenen Einflusses angege-
ben. Die berufliche Stellung der beiden Elternteile,
die als Indikator für den sozioökonomischen Status
der Eltern verwendet wird, korreliert signifikant
positiv mit der Lesekompetenz der Schülerinnen
und Schüler. Der sozioökonomische Index der Mut-
ter hat in allen drei Ländern einen etwas schwäche-
ren Effekt als der Effekt des sozioökonomischen In-
dex des Vaters. Die Indikatoren der Bildung der
beiden Elternteile haben ebenfalls den erwarteten
positiven Bruttoeffekt auf die Lesekompetenz, wo-
bei sich die Hochschulreife stärker positiv auswirkt
als eine berufliche Ausbildung.
Die ethnische Herkunft hat sehr deutliche Effekte
auf das Abschneiden im Lesetest. Sowohl die Tat-
sache, dass der Test nicht in der Muttersprache ab-
solviert werden konnte, also auch das Geburtsland
der Schüler und ihrer Eltern wirken sich hoch-
signifikant negativ auf die erreichte Punktezahl
aus.
11
Welchen Einfluss hat das soziale Kapital in Familie
und Schule auf die Lesekompetenz? Wächst ein
Kind in einer sogenannten Kernfamilie auf, sind die
Leistungen besser als in anderen Familienformen.
Je mehr ältere Geschwister eine Schülerin oder ein
Schüler haben, desto schlechter sind die Leistungen.
Hier bestätigt sich offensichtlich Colemans Hypo-
these, die die Konkurrenz um die knappen Zeitres-
sourcen der Eltern als Begründung anführt (vgl.
auch Tillmann/Meier 2003). Je häufiger soziale In-
teraktionen und Kommunikation mit den Eltern
stattfinden, desto höher ist die Lesekompetenz. Ent-
gegen der Hypothese wirkt sich familiäre Unterstüt-
zung bei den Hausaufgaben nicht förderlich aus,
sondern hat sogar einen negativen Effekt.
12
Wie ist
dieses Ergebnis zu erklären? Ein Grund könnte sein,
dass die Eltern und älteren Geschwister die Auf-
gaben lösen, ohne dass sich damit der nötige Lern-
effekt bei den Schülern einstellt. Es wäre auch
denkbar, dass intensive elterliche Bemühungen um
die Hausaufgaben eher Ausdruck von Misstrauen
und hoher Kontrollorientierung sind und zu fehlen-
der Autonomie auf Seiten der Schüler führen. Diese
Erklärung wird gestützt durch Studien zur Lernmo-
tivation, die zeigen, dass mehr als zwei Drittel der
Eltern die Hausaufgabenbetreuung nur suboptimal
und weitere 19 % mit sehr ungünstigen, überbehü-
tenden oder vernachlässigenden Strategien gestalten
(Exeler/Wild 2003: 15). Autonomieunterstützende
Hilfen und am Lernprozess, nicht am Ergebnis ori-
entierte Haltungen der Eltern korrelieren positiv
mit einem hohen Interesse und einer identifizieren-
den Lernmotivation bei den Schülern (Wild/Remy
2002).
Um die Frage der Bedeutung elterlicher Betreuung
mit den PISA-Daten zu untersuchen, wurden – ne-
ben Frankreich – weitere Länder mit Ganztags-
schulen analysiert. In Ländern mit Ganztagsschu-
len sollte der negative Effekt der elterlichen
Hausaufgabenbetreuung weniger stark ausgeprägt
sein, da die überwiegende Betreuungsarbeit in der
Schule geleistet wird. Aber in allen betrachteten
Ländern (Norwegen, Finnland und Kanada) fand
sich ein konsistent negativer Effekt der familiären
Unterstützung bei den Hausaufgaben auf die Lese-
kompetenz (Ergebnisse nicht in Tabellenform
berichtet). Gegen die Hypothese, dass Ganztags-
unterricht die familiäre Unterstützung kompen-
siert, spricht auch das Ergebnis, dass der Umfang
der Schulstunden pro Jahr nicht mit dem Umfang
der Unterstützung korreliert. Möglicherweise ist
die Erklärung für dieses unerwartete Ergebnis ein
Kausalitätsproblem, dem man mit Längsschnitt-
daten auf die Spur kommen könnte: Leistungs-
schwache Schülerinnen und Schüler benötigen
388 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
11 Die bei Baumert und Schümer (2001: 395) berichteten
Punktedifferenzen für Schülerinnen und Schüler aus Fami-
lien mit und ohne Migrationshintergrund sind bei der
Sprache deutlich höher, beim Geburtsland der Eltern je-
doch niedriger als die hier berichteten Werte (vgl. b-Koef-
fizienten in den Tabellen). Diese Abweichungen sind in
der Verwendung von Plausible Values für die Schätzung
der deskriptiven Werte bei Baumert und Schümer (2001)
begründet, während hier die weighted likelihood estima-
tors zum Einsatz kamen (Köller et al. 2001: 521).
12 Dass bei diesem Index ein Vercodungsfehler vorliegt, ist
angesichts der gleichlautenden Bezeichnungen der Aus-
prägungen in Fragebogen und Ursprungsitems und der
positiven Korrelation des Index mit den Ursprungsitems
unwahrscheinlich. Der Frage, ob sich familiäre Unterstüt-
zung bei allen Gruppen negativ auswirkt, wurde durch die
Analyse von Interaktionseffekten nachgegangen. Lediglich
bei Schülern, deren Muttersprache nicht die Testsprache
ist, wirkt sich familiäre Unterstützung positiv auf die Lese-
kompetenz aus. Bei anderen Interaktionsvariablen (mit
Geburtsland des Schülers oder seiner Eltern, Geschlecht
des Schülers, Bildung der Eltern oder sozioökonomischer
Status der Eltern) konnte kein Effekt gefunden werden.
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 389
Tabelle 2 Bivariate OLS-Regressionen zu den Determinanten der Lesekompetenz (ungewichtet; Datenquelle: PISA
2000 Daten)
Hypothese Deutschland Schweiz Frankreich D – CH D – F CH – F
Mutter Sozioökonomischer Index + 1,85***
7,6 %
1,75***
6,8 %
1,41***
7,7 %
0,78 3,48 2,74
Vater Sozioökonomischer Index + 2,02***
11,4 %
1,80***
10,3 %
1,59***
9,0 %
2,02 3,75 1,98
Mutter Bildung ISCED 3 A (Abitur) a)
Mutter Bildung ISCED 3 B/C
(berufl. Ausb.) a)
+ 89,28***
50,98***
9,9 %
70,88***
58,06***
10,4 %
63,23***
20,91***
9,4 %
3,51
-1,59
5,16
6,14
1,70
8,46
Vater Bildung ISCED 3 A (Abitur) a)
Vater Bildung ISCED 3 B/C
(berufl. Ausb.) a)
+ 62,71***
17,12***
6,7 %
66,37***
55,87***
9,2 %
60,01***
21,05***
7,8 %
-0,72
-8,47
0,54
-0,79
1,37
7,83
Testsprache ist Fremdsprache b) – -97,05***
6,1 %
-78,38***
9,6 %
-62,14***
2,2 %
-2,91 -4,19 -2,34
Schüler im Ausland geboren – -71,53***
5,0 %
-80,25***
7,9 %
-45,75***
0,8 %
1,54 -3,01 -4,24
Beide Eltern im Ausland geboren – -77,84***
7,5 %
-79,98***
10,4 %
-47,43***
2,7 %
0,44 -5,34 -6,29
Familienstruktur: Kernfamilie c) + 21,75***
0,8 %
14,69***
0,4 %
21,03***
0,9 %
1,57 0,16 -1,46
Zahl der älteren Geschwister – -19,36***
2,9 %
-11,82***
1,2 %
-16,92***
3,6 %
-3,47 -1,15 2,64
Kommunikation mit Eltern (WLE) + 8,31***
0,5 %
10,00***
0,8 %
11,60***
1,3 %
-0,80 -1,54 -0,79
Familiäre Unterstützung
bei Hausaufgaben (WLE)
+ -14,09***
1,8 %
-4,50***
0,2 %
-18,09***
3,8 %
-4,89 2,00 7,33
Schlechtes disziplinäres Klima
in Schule
– -9,71***
1,0 %
-9,58***
1,0 %
-1,91
0,0 %
-0,07 -4,14 -4,35
Leistungsdruck – -10,48***
1,1 %
-9,27***
0,9 %
-5,95***
0,4 %
-0,64 -2,29 -1,77
Zugehörigkeitsgefühl + 6,08***
0,4 %
11,63***
1,6 %
5,21**
0,3 %
-3,11 0,44 3,43
Kulturgegenstände (WLE) + 28,97***
7,7 %
23,80***
5,9 %
30,43***
10,7 %
2,76 -0,76 -3,73
50 bis 250 Bücher d)
Über 250 Bücher d) + 59,78***
105,63***
14,7 %
54,65***
92,10***
13,0 %
50,07***
80,03***
11,3 %
1,17
2,84
2,18
5,06
1,11
2,56
Bildungsrelevante Ressourcen (WLE) + 29,60***
4,2 %
26,49***
4,8 %
27,67***
7,0 %
1,25 0,78 -0,56
Kulturelle Kommunikation (WLE) + 24,26***
5,4 %
24,74***
6,0 %
21,37***
4,5 %
-0,25 1,42 1,75
Besuch kultureller Veranstaltungen
(WLE)
+ 30,66***
8,9 %
22,29***
4,9 %
24,90***
6,4 %
4,45 2,91 -1,38
Unstandardisierte Koeffizienten; korrigiertes R² in Prozentangaben; Ländervergleich: t-Werte.
a) Referenzgruppe: ISCED 1–2; b) Referenzgruppe: Testsprache ist Muttersprache; c) Referenzgruppe: Alleinerziehende, Großfamilie, Sons-
tige; d) Referenzgruppe: 0 bis 49 Bücher.
* 5 %-Signifikanzniveau; ** 1 %-Signifikanzniveau; *** 0,1 %-Signifikanzniveau.
häufiger Unterstützung (und nicht: „Unterstützung
führt zu schlechten Leistungen“). Das hieße, dass
insbesondere leistungsschwache Schülerinnen und
Schüler von ihren Eltern und Geschwistern unter-
stützt werden, während dies bei den anderen nicht
nötig ist. Eine Berücksichtigung von Schulnoten
im Regressionsmodell sollte – unter der Annahme,
dass Schulnoten die Leistungsfähigkeit valide ab-
bilden – in diesem Fall dazu führen, dass sich die-
ser Effekt erheblich reduziert, wenn nicht sogar
umdreht. Leider sind in den internationalen PISA-
Daten nur für Frankreich Informationen zur
Schulnote vorhanden. Berücksichtigt man die No-
te im Französischunterricht, reduziert sich der Ko-
effizient der Hausaufgabenunterstützung etwas,
bleibt aber immer noch hochsignifikant. Selbst
wenn alle erhobenen Noten (in Mathematik und
Naturwissenschaft) zur Kontrolle eingeschlossen
werden, wirkt sich die familiäre Unterstützung
hochsignifikant negativ auf die Lesekompetenz
aus.
13
Ob Unterstützung bei schulischen Aufgaben
eher ein Zeichen von „gut gemeinter“, aber kon-
traproduktiver Hilfe, als ein Zeichen wirksamer
Unterstützung ist, müsste in künftigen Studien ge-
prüft werden. Den Erwartungen entsprechend
mindern ein schlechtes disziplinäres Klima und
Leistungsdruck in der Schule die Lesekompetenz,
während sich ein hohes Zugehörigkeitsgefühl posi-
tiv auswirkt.
Der Interpretation der Ergebnisse zu den Indi-
katoren des kulturellen Kapitals ist vorauszuschi-
cken, dass sich alle Variablen wie erwartet positiv
auf die Lesekompetenz auswirken. Je mehr
Kulturgegenstände in einer Familie verfügbar sind,
je mehr Bücher und bildungsrelevante Ressourcen
vorhanden sind, desto besser ist der erreichte
Testwert. Auch die Kommunikation mit den Eltern
über kulturelle Themen und der Besuch kultureller
Veranstaltungen haben einen positiven Effekt.
Beim Vergleich der strukturellen Merkmale der Bil-
dungssysteme in den drei betrachteten Ländern war
die Hypothese aufgestellt worden, dass die Merk-
male des französischen Bildungssystems einen ge-
ringeren Einfluss der sozioökonomischen und eth-
nischen Herkunft sowie des familiären sozialen und
kulturellen Kapitals auf den Bildungserfolg nahele-
gen. Um diese Hypothese zu prüfen wird ermittelt,
ob sich die geschätzten Koeffizienten signifikant
zwischen den drei Vergleichsländern unterschei-
den.
14
Für diese These spricht, dass die Einflüsse der be-
ruflichen Stellung der Mutter und des Vaters in
Deutschland und in der Schweiz größer sind als in
Frankreich (vgl. Tabelle 2: t-Werte). Hat die Mutter
Abitur, dann hat das in Deutschland einen stärke-
ren Einfluss auf die Lesekompetenz als in Frank-
reich; eine berufliche Ausbildung der Mutter wirkt
sich sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz
stärker aus als in Frankreich. Die berufliche Ausbil-
dung des Vaters hat den stärksten Effekt in der
Schweiz, während sich Deutschland und Frankreich
nicht signifikant unterscheiden.
Die Bruttoeffekte der im Elternhaus gesprochenen
Sprache und der Geburtsländer der Schülerinnen
und Schüler sowie ihrer Eltern haben in der
Schweiz und in Deutschland signifikant höhere Be-
träge als in Frankreich. Offenbar schlagen in Frank-
reich die relativ stark ausgebauten Programme zur
Förderung von benachteiligten Gruppen hier posi-
tiv zu Buche. Dieses Ergebnis bestätigt ebenfalls die
These, dass sich vorgängige Unterschiede im fran-
zösischen Schulsystem weniger stark auswirken.
Die Hypothese, dass das familiäre soziale Kapital
in Frankreich die Schulleistungen weniger beein-
flusst als in anderen Ländern, kann mit den Ergeb-
nissen nicht bestätigt werden: die Familienstruktur
hat in allen drei Ländern nicht signifikant unter-
schiedliche Wirkungen, die Zahl der älteren Ge-
schwister wirkt sich in Frankreich stärker negativ
aus als in der Schweiz. Angesichts der Tatsache,
dass in Frankreich Ganztagsunterricht vorherrscht,
überrascht vor allem das Ergebnis, dass die elterli-
che Unterstützung hier den höchsten Effekt im Län-
dervergleich hat. Ebenfalls entgegen der Hypothese,
dass das schulische soziale Kapital in Frankreich
umso gravierendere Auswirkungen habe, zeigen die
Daten, dass sich ein schlechtes disziplinäres Klima
und Leistungsdruck in Frankreich weniger bemerk-
bar machen als in Deutschland. Im Vergleich von
Frankreich und der Schweiz sprechen die stärkeren,
390 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
13 Parallele Analysen mit den Daten aus Österreich bestä-
tigen dieses Resultat in noch deutlicherer Weise. Für
Deutschland und die Schweiz gibt es keine geeigneten In-
formationen im internationalen Datensatz.
14 Als Testgröße wird dazu folgender t-Wert errechnet:
T= b1–b2
√s2
b1+s2
b2
______
wobei mit βdie Regressionskoeffizienten und mit s deren
Standardabweichungen bezeichnet werden. Der Index un-
terscheidet jeweils die beiden Vergleichsländer. Da ange-
nommen wird, dass die Werte der Länder jeweils unab-
hängig voneinander sind, wird auf die Berücksichtigung
der Kovarianz der beiden Koeffizienten in der Formel ver-
zichtet.
positiven Auswirkungen des Zugehörigkeitsgefühls
und die stärkeren, negativen Auswirkungen des dis-
ziplinären Klimas in der Schweiz gegen diese These.
Dass das kulturelle Kapital im Kontext des franzö-
sichen Schulsystems geringere Auswirkungen auf
die Leistungen hat, wird bei der Zahl der Bücher im
elterlichen Haushalt größtenteils bestätigt; auch der
Besuch kultureller Veranstaltungen wirkt sich in
Deutschland stärker positiv auf die Schulleistungen
aus. Aber die Zahl der Kulturgegenstände hat in
Frankreich eine größere Bedeutung als in der
Schweiz. Die anderen t-Werte für den Vergleich mit
Frankreich zeigen keine signifikant unterschiedli-
chen Koeffizienten an.
Der Vergleich Deutschlands und der Schweiz hat
zum Ergebnis, dass die berufliche Stellung des Va-
ters und die Bildung der Mutter in Deutschland ei-
nen stärkeren Einfluss haben, während eine berufli-
che Ausbildung des Vaters in Deutschland
signifikant weniger stark die Leistung der Kinder
beeinflusst als in der Schweiz. Auf einen geringeren
Einfluss des familiären Hintergrundes in der
Schweiz deuten auch die geringere Relevanz der
Muttersprache, der Zahl der älteren Geschwister
und der familiären Unterstützung bei den Hausauf-
gaben hin. Dass sich das Zugehörigkeitsgefühl in
der Schweiz stärker positiv bemerkbar macht als in
Deutschland, ist möglicherweise auf den größeren
Umfang der Schulstunden zurückzuführen. Der Be-
sitz von Kulturgegenständen und Büchern sowie
der Besuch kultureller Veranstaltungen wirken sich
in Deutschland ebenfalls stärker auf die Leistung
aus. Zusammenfassend kann man sagen, dass die
familiäre Situation die Lesekompetenz in Deutsch-
land nicht wie vermutet ähnlich, sondern stärker
beeinflusst als in der Schweiz. Für die Schweiz gilt
allerdings wie auch für Deutschland, dass detaillier-
tere Analysen auf der Ebene von Kantonen bzw.
Bundesländern angestellt werden sollten, die der
Heterogenität der institutionellen Regelungen bes-
ser gerecht werden.
Kommen wir zur zentralen Forschungsfrage: Wir-
ken sich der sozioökonomische Status und die Bil-
dung der Familie vor allem vermittelt über das so-
ziale und kulturelle Kapital auf die Leseleistung
aus? Um diese Frage zu prüfen, wird zunächst ein
Modell mit allen Variablen der sozioökonomischen
und ethnischen Herkunft geschätzt, das dann je-
weils mit den Variablen des sozialen und kulturel-
len Kapitals ergänzt wird. Bei der Spezifizierung
der Modelle taucht allerdings das Problem auf, dass
die Variablen der einzelnen Blöcke zum Teil hoch
miteinander korrelieren. Im Fall der sozioökonomi-
schen Herkunft wird allerdings aus theoretischen
Gründen darauf verzichtet, einzelne Variablen aus
dem Modell zu nehmen.
15
Zur Repräsentation der
ethnischen Herkunft wurde lediglich die Variable
„Testsprache“ in das Modell aufgenommen, da die
drei Variablen relativ hoch miteinander korrelieren.
Bei den Indikatoren zum sozialen Kapital ist die
Korrelation der Kommunikation mit den Eltern
und der familiären Unterstützung bei den Hausauf-
gaben relativ hoch, so dass auf erstere Variable im
gemeinsamen Modell verzichtet wird. Im Bereich
des kulturellen Kapitals finden sich besonders hohe
Korrelationen zwischen dem Besitz von Kultur-
gegenständen und einigen anderen Variablen dieses
Blockes. Aus diesem Grund wurden Kulturgegen-
stände aus dem gemeinsamen Modell entfernt. An-
dere, vereinzelte Korrelationen führen nicht zu ver-
fälschenden Ergebnissen, so dass die Variablen im
Modell belassen werden können.
Die Erklärungskraft des Modells der sozioöko-
nomischen Herkunft (vgl. Modelle 1 in Tabelle 3)
ist in der Schweiz mit 16,8 % erklärter Varianz am
größten, gefolgt von Deutschland mit 14,3 % und
schließlich Frankreich mit 13,4 %. Ergänzt um den
Indikator für die ethnische Herkunft erhöht sich
das korrigierte R² in der Schweiz auf 20,4 %, in
Deutschland auf 15,6 % und in Frankreich auf
13,8 % (Modelle 2).
Der Effekt der beruflichen Stellung (sozioökonomi-
scher Index) der beiden Elternteile verringert sich in
Deutschland deutlich und in Frankreich in gerin-
gem Umfang, wenn das soziale Kapital im Modell
berücksichtigt wird, während der Effekt in der
Schweiz nahezu unverändert bleibt (Modelle 3).
Die Effekte der Dummy-Variablen zur Bildung der
Eltern verhalten sich in allen Ländern recht unein-
heitlich, so dass keine eindeutige Interpretation
möglich ist. Der negative Effekt der Muttersprache
auf die Lesekompetenz reduziert sich relativ stark
in Deutschland und etwas in der Schweiz, verstärkt
sich aber geringfügig in Frankreich bei Berücksich-
tigung des sozialen Kapitals.
Die Indikatoren des sozialen Kapitals behalten mit
einer Ausnahme (Zugehörigkeitsgefühl in Deutsch-
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 391
15 Korrelationen zwischen 0,31 und 0,54 finden sich in
den einzelnen Ländern zwischen den Variablen der sozio-
ökonomischen Herkunft und der Bildung der Eltern, so
dass im Vergleich zu den Bruttoeffekten verringerte Effek-
te in den gemeinsamen Modellen nicht überinterpretiert
werden sollten, sondern ein Zeichen von Statuskonsistenz
eines Elternteils bzw. Statushomogamie zwischen den El-
ternteilen sind. Das Analyseinteresse richtet sich auf die
Veränderung dieser Koeffizienten bei Berücksichtigung
von sozialem und kulturellem Kapital.
392 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
Tabelle 3 Einfluss der sozioökonomischen und ethnischen Herkunft und des sozialen Kapitals auf die Lesekompetenz (OLS-Regressionen; ungewichtet; Datenquelle: PISA
2000 Daten)
Deutschland Schweiz Frankreich
(1) (2) (3) (1) (2) (3) (1) (2) (3)
Mutter Sozioökonomischer Index 0,84***
(7,10)
0,74***
(6,16)
0,65***
(5,26)
0,80***
(7,73)
0,62***
(5,97)
0,65***
(6,14)
0,53***
(5,43)
0,52***
(5,28)
0,46***
(4,65)
Vater Sozioökonomischer Index 1,19***
(11,7)
1,04***
(9,56)
0,86***
(7,84)
1,12***
(12,42)
0,99***
(11,5)
0,97***
(10,56)
0,82***
(7,85)
0,78***
(7,46)
0,72***
(6,92)
Mutter Bildung ISCED 3 A (Abitur) a) 28,87***
(7,0)
21,18***
(5,2)
21,33***
(5,2)
24,60***
(6,65)
20,31***
(5,52)
21,14***
(5,62)
8,60*
(2,16)
7,66
(1,90)
6,77
(1,68)
Mutter Bildung ISCED 3 B/C (berufl. Ausb.) a) 37,56***
(7,46)
32,76***
(6,42)
33,40***
(6,469
26,39***
(6,1)
25,45***
(5,84)
26,75***
(6,3)
25,66***
(6,42)
24,01***
(5,96)
24,80***
(6,17)
Vater Bildung ISCED 3 A (Abitur) a) 5,64
(1,42)
1,12
(0,28)
-1,32
(0,33)
23,41***
(6,30)
20,29***
(5,49)
18,08***
(4,78)
10,53**
(2,77)
9,46*
(2,47)
9,99**
(2,0)
Vater Bildung ISCED 3 B/C (berufl. Ausb.) a) 13,78**
(2,96)
14,78**
(3,16)
17,99***
(3,80)
15,82**
(3,45)
17,26***
(3,81)
15,81**
(3,42)
17,14***
(4,11)
17,97***
(4,28)
19,27***
(4,61)
Testsprache ist Fremdsprache b) -77,11***
(8,23)
-64,35***
(6,96)
-49,34***
(13,36)
-47,01***
(12,15)
-37,59***
(4,43)
-38,18***
(4,48)
Familienstruktur: Kernfamilie c) 21,36***
(5,66)
14,21***
(4,29)
18,90***
(5,37)
Zahl der älteren Geschwister -10,11***
(5,52)
-3,92*
(2,53)
-5,82***
(3,67)
Familiäre Unterstützung bei Hausaufgaben (WLE) -13,91***
(8,53)
-10,52***
(7,48)
-16,50***
(10,84)
Schlechtes disziplinäres Klima in Schule -6,60***
(4,34)
-6,40***
(4,83)
0,02
(0,1)
Leistungsdruck -6,93***
(4,34)
-5,10***
(3,62)
-4,57**
(2,99)
Zugehörigkeitsgefühl -1,41
(0,99)
6,10***
(4,77)
3,51*
(2,24)
Konstante 391,95***
(58,10)
415,53***
(58,65)
430,19***
(49,75)
397,85***
(81,85)
422,72***
(81,23)
416,66***
(61,59)
435,45***
(84,45)
440,34***
(83,74)
442,60***
(63,33)
Korr R² 14,3 15,6 20,6 16,8 20,4 22,6 13,4 13,8 18,8
N 3510 3318 2953 4322 4230 3813 3051 2972 2738
Unstandardisierte Koeffizienten; t-Werte in Klammern.a) Referenzgruppe: ISCED 1–2; b) Referenzgruppe: Testsprache ist Muttersprache; c) Referenzgruppe: Alleinerziehende, Großfamilie, Sonstige.
* 5 %-Signifikanzniveau; ** 1 %-Signifikanzniveau; *** 0,1 %-Signifikanzniveau.
land) in allen drei Ländern die bereits in den biva-
riaten Analysen (Tabelle 2) besprochenen Effekte.
Die erklärte Varianz erhöht sich in der Schweiz um
2,2 %-Punkte, in Deutschland und in Frankreich
um jeweils 5,0 %-Punkte durch die Berücksichti-
gung des sozialen Kapitals.
In allen drei Ländern reduzieren sich die Effekte der
Indizes des beruflichen Status und der Bildung der
Eltern auf die Leseleistung, wenn das kulturelle Ka-
pital in den Modellen berücksichtigt wird (Modelle
3 in Tabelle 4). Einzelne Indikatoren haben keinen
statistisch signifikanten Effekt mehr: Dies sind die
berufliche Bildung des Vaters in Deutschland und
der Schweiz sowie das Abitur des Vaters in Frank-
reich. Der größte Teil der Koeffizienten ist aller-
dings weiterhin signifikant von null verschieden.
Die erklärte Varianz erhöht sich durch die Berück-
sichtigung des kulturellen Kapitals in der Schweiz
um 5,1 %-Punkte, in Deutschland um 5,8 %-Punk-
te und am stärksten in Frankreich um 7,0 %-Punk-
te. Sämtliche Indikatoren des kulturellen Kapitals
haben einen signifikanten bis hochsignifikanten,
positiven Einfluss auf die Lesekompetenz.
In allen drei Ländern reduzieren sich die Effekte der
ethnischen Herkunft in Modell (3) gegenüber Mo-
dell (2), d. h. bei Kontrolle des kulturellen Kapitals.
Dies lässt darauf schließen, dass ein Teil der eth-
nischen Unterschiede in der Lesekompetenz durch
ein geringeres kulturelles Kapital der ethnischen
Minderheiten zu erklären sind. Vergleicht man den
Bruttoeffekt der Testsprache (Tabelle 2) mit den in
Tabelle 3 und 4 berichteten Werten, dann sieht
man, dass sich der Betrag der Koeffizienten durch
die Berücksichtigung der sozioökonomischen Her-
kunft in allen betrachteten Ländern schon relativ
stark verringert hatte (Modelle 2). Die Leseleistung
von Angehörigen ethnischer Minderheiten leidet al-
so sowohl stärker unter einer geringeren sozioöko-
nomischen Herkunft als auch unter einem geringe-
ren kulturellen Kapital. In Deutschland und in der
Schweiz wird ein Teil der Nachteile von Schülerin-
nen und Schülern mit anderer Muttersprache auch
durch Defizite im sozialen Kapital erklärt.
Zusammenfassend kann man partiell von einem in-
tervenierenden Effekt des kulturellen Kapitals spre-
chen, und zwar – gemessen an der zusätzlich erklär-
ten Varianz – am stärksten in Frankreich. Die
Ergebnisse zur Analyse des sozialen Kapitals spre-
chen weniger für einen intervenierenden Effekt. Da-
rüber hinaus wird jedoch ein eigenständiger Effekt
des sozioökonomischen Status der Eltern und der
Bildungs- und ethnischen Herkunft nachgewiesen.
Das bedeutet, dass soziales und kulturelles Kapital
den Einfluss der sozioökonomischen und eth-
nischen Herkunft auf die Leistungsergebnisse nicht
bzw. nicht vollständig erklären können.
Diskussion
Dieser Beitrag hatte zwei grundsätzliche Fragestel-
lungen: (1) Können soziales und kulturelles Kapi-
tal herkunftsbedingte Benachteiligungen bei Schul-
leistungen erklären? (2) Welche Bedingungen des
institutionellen Kontextes tragen eher dazu bei,
die ungleichen Ausgangsbedingungen zu kompen-
sieren?
Die Ergebnisse der empirischen Analysen lassen
keine eindeutige Entscheidung für das cultural re-
production model bzw. die Kumulationsthese
Bourdieus oder das cultural mobility model bzw.
die Kompensationsthese Colemans zu. Der Einfluss
der sozioökonomischen Herkunft reduziert sich,
bleibt aber weiterhin zum Teil bedeutsam, wenn
die Indikatoren des sozialen und kulturellen Kapi-
tals im Modell berücksichtigt werden. Man kann
also sowohl von einem Vermittlungseffekt des so-
zialen und vor allem des kulturellen Kapitals als
auch von einem jeweils eigenständigen Effekt der
sozioökonomischen Herkunft und des sozialen und
kulturellen Kapitals ausgehen. Offenbar sind Ku-
mulations- und Kompensationsprozesse gleichzei-
tig wirksam.
Unter der Annahme, dass die theoretischen Kon-
strukte in valider Weise erfasst wurden, lässt sich
aus den Modellschätzungen folgern, dass die Leis-
tungsergebnisse am besten durch das kulturelle Ka-
pital und die sozioökonomische Herkunft erklärt
werden (höchste R²-Werte in den bivariaten Model-
len). Das soziale Kapital bestimmt die Leistungsdif-
ferenzen in relativ geringem Umfang und der
stärkste Effekt (familiäre Unterstützung bei den
Hausaufgaben) widerspricht zudem der Hypothese.
Dass das soziale Kapital relativ geringe Erklärungs-
beiträge liefert, könnte aber auch an einer unzurei-
chenden Operationalisierung liegen. An Colemans
Definition von sozialem Kapital kritisierte Leu
(1997), dass sie die produktive Rolle von Konflik-
ten ausblende, dass Sozialisation weitgehend als
Weitergabe von Erwachsenenkultur verstanden
werde, dass sie im Widerspruch zu Auffassungen ei-
ner pluralistischen Gesellschaft stehe und dass Be-
ziehungen unter Gleichaltrigen ausgeblendet wer-
den. Er schlägt demgegenüber ein Konzept der
wechselseitigen Anerkennung zur Operationalisie-
rung von sozialem Kapital vor, das emotionale Zu-
wendung, grundsätzliche Gleichberechtigung und
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 393
394 Zeitschrift für Soziologie, Jg. 33, Heft 5, Oktober 2004, S. 375–397
Tabelle 4 Einfluss der sozioökonomischen und ethnischen Herkunft und des kulturellen Kapitals auf dieLesekompetenz (OLS-Regressionen; ungewichtet; Datenquelle:
PISA 2000 Daten)
Deutschland Schweiz Frankreich
(1) (2) (3) (1) (2) (3) (1) (2) (3)
Mutter Sozioökonomischer Index 0,84***
(7,10)
0,74***
(6,16)
0,48***
(4,8)
0,80***
(7,73)
0,62***
(5,97)
0,44***
(4,73)
0,53***
(5,43)
0,52***
(5,28)
0,31**
(3,19)
Vater Sozioökonomischer Index 1,19***
(11,7)
1,04***
(9,56)
0,66***
(6,15)
1,12***
(12,42)
0,99***
(11,5)
0,70***
(7,91)
0,82***
(7,85)
0,78***
(7,46)
0,58***
(5,75)
Mutter Bildung ISCED 3 A (Abitur) a) 28,87***
(7,0)
21,18***
(5,2)
19,16***
(4,68)
24,60***
(6,65)
20,31***
(5,52)
15,00***
(4,20)
8,60*
(2,16)
7,66
(1,90)
2,66
(0,68)
Mutter Bildung ISCED 3 B/C (berufl. Ausb.) a) 37,56***
(7,46)
32,76***
(6,42)
23,94***
(4,82)
26,39***
(6,1)
25,45***
(5,84)
18,36***
(4,33)
25,66***
(6,42)
24,01***
(5,96)
13,79***
(3,50)
Vater Bildung ISCED 3 A (Abitur) a) 5,64
(1,42)
1,12
(0,28)
1,73
(0,45)
23,41***
(6,30)
20,29***
(5,49)
14,76***
(4,12)
10,53**
(2,77)
9,46*
(2,47)
6,33
(1,71)
Vater Bildung ISCED 3 B/C (berufl. Ausb.) a) 13,78**
(2,96)
14,78**
(3,16)
7,59
(1,66)
15,82**
(3,45)
17,26***
(3,81)
5,17
(1,17)
17,14***
(4,11)
17,97***
(4,28)
11,24**
(2,75)
Testsprache ist Fremdsprache b) -77,11***
(8,23)
-62,03***
(6,76)
-49,34***
(13,36)
-44,20***
(12,21)
-37,59***
(4,43)
-34,46***
(4,17)
50 bis 250 Bücher c) 25,26***
(6,39)
17,85***
(5,45)
23,12***
(6,83)
Über 250 Bücher c) 40,23***
(8,75)
30,41***
(7,78)
32,64***
(7,70)
Bildungsrelevante Ressourcen (WLE) 7,38**
(3,16)
9,40***
(5,46)
10,65***
(6,3)
Kulturelle Kommunikation (WLE) 8,45***
(4,90)
9,28***
(6,27)
4,99**
(2,88)
Besuch kultureller Veranstaltungen (WLE) 12,92***
(7,70)
9,21***
(6,47)
11,04***
(6,84)
Konstante 391,95***
(58,10)
415,53***
(58,65)
422,02**
(57,99)
397,85***
(81,85)
422,72***
(81,23)
431,25***
(80,47)
435,45***
(84,45)
440,34***
(83,74)
452,05***
(80,58)
Korr R² 14,3 15,6 21,4 16,8 20,4 25,6 13,4 13,8 20,8
N 3510 3318 3235 4322 4230 4122 3051 2972 2817
Unstandardisierte Koeffizienten; t-Werte in Klammern.
a) Referenzgruppe: ISCED 1–2; b) Referenzgruppe: Testsprache ist Muttersprache; c) Referenzgruppe: 0 bis 49 Bücher. * 5 %-Signifikanzniveau; ** 1 %-Signifikanzniveau; *** 0,1 %-Signifikanz-
niveau.
soziale Wertschätzung messen soll. Diese Diskus-
sion weist darauf hin, dass die Operationalierung
von sozialem Kapital trotz oder gerade wegen
seiner jüngst inflationären Verwendung für unter-
schiedlichste Phänomene der Mikro- und Makro-
ebene besser auf den Anwendungsbereich zuge-
schnitten werden sollte. Anregungen hierfür
können nicht zuletzt in Colemans theoretischen
Ausführungen und seinen empirischen Studien ge-
funden werden. Man könnte z. B. die soziale Kohä-
sion der Eltern einer Schule oder einer Schulklasse
oder das soziale Klima in der Schule stärker ein-
beziehen. Ausgeklammert blieben bisher auch Indi-
katoren des sozialen Kapitals in der peer group. Ei-
ne Dimension, die sich theoretisch ebenfalls mit
dem Begriff des sozialen Kapitals fassen lässt und in
den vorliegenden Analysen nicht berücksichtigt
wurde, ist der soziale Kontext des Lernumfeldes.
Mehrebenenanalysen, die Merkmale der Klasse und
der Schule, wie beispielsweise die soziale Zusam-
mensetzung der Schülerschaft integrieren, erschei-
nen lohnenswert und bilden den möglicherweise in
der Altersgruppe der 15-jährigen dominierenden
peer-Einfluss auf deren soziales Kapital besser ab.
Die präsentierten Ergebnisse warfen zwei Fragen
für die künftige Forschung auf: Aus welchem
Grund korreliert die familiäre Unterstützung nega-
tiv mit dem erzielten Testwert? Welche institutio-
nellen Bedingungen sind dafür verantwortlich, dass
herkunftsbedingte Ungleichheiten in der Schweiz
besser bewältigt werden können als in Deutsch-
land? Um diese Frage zu klären, sind einerseits de-
tailliertere Analysen des Bildungssystems auf der
Ebene von Kantonen bzw. Bundesländern erforder-
lich, andererseits eine vertiefte, interdisziplinäre
Theorieentwicklung zur Erklärung der Wirkung
des institutionellen Kontextes in den mikropoliti-
schen Prozessen im Bildungswesen.
Bildungspolitische Maßnahmen sollten vor allem
den Abbau herkunftsbedingter Leistungsunterschie-
de zum Ziel haben. Dass sich familiär bedingte Un-
gleichheiten in Frankreich am wenigsten auf die er-
zielten Leistungsergebnisse auswirken, kann an der
späteren Selektion in leistungsdifferenzierte Bil-
dungswege, am größeren Umfang der Beschulung,
der stärkeren Akademisierung der Lehrerbildung,
der stärker outputorientierten Steuerung des Bil-
dungswesens und auch an den ausgebauten Förder-
programmen für benachteiligte Gruppen liegen. Ein
Ansatz zur Reform des Bildungswesens wäre des-
halb die Ausdehnung der in Kindergarten und Schu-
le verbrachten Zeit durch die Einführung von
Ganztagsbetreuung, die geeignet erscheint, Soziali-
sationsleistungen von den Eltern bzw. der Mutter
auf die Vorschule bzw. Schule zu verlagern.
16
Da-
mit werden mehr Möglichkeiten eröffnet, benach-
teiligte Kinder und Jugendliche zu fördern (vgl. Veil
2002). Durch eine frühzeitige Einschulung in die
école maternelle konnten vor allem Migrantenkin-
der bessere Schulerfolge in der Grundschule erzie-
len. Flankiert sein muss diese Maßnahme durch ei-
ne Professionalisierung der Erzieherausbildung, die
auf der Einführung universitärer Bildungsgänge für
diesen Beruf beruht. Die Erstausbildung sollte er-
gänzt werden durch eine kontinuierliche Weiterbil-
dung, pädagogisch vertretbare Arbeitsbedingungen
und nicht zuletzt mit einer besseren Honorierung
der in diesem Beruf Tätigen (Fritzen-Herkenhoff
2001). Eine weitere Maßnahme wäre die stärkere
Integration von Eltern in die Arbeit der Einrichtun-
gen (ebd.: 34).
17
Dieser Vorschlag muss allerdings
kritisch gesehen werden vor dem Hintergrund (1)
bestehender sozioökonomischer Segregation von
Wohnvierteln bzw. Schulen vor allem in größeren
Städten, (2) der Frage, ob nur Mütter oder auch Vä-
ter diese Zusatzleistungen erbringen und (3) der
Frage, ob Eltern in jedem Fall die notwendigen pä-
dagogischen Qualifikationen mitbringen – was
nicht zuletzt angesichts der oben dargestellten Wir-
kung der familiären Hausaufgabenbetreuung be-
zweifelt werden kann.
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Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 395
16 Die Einführung von Ganztagsschulen wird bereits
durch das Bildungsministerium forciert. Die Bemühungen
sollten aber auch auf den Vorschulbereich ausgedehnt
werden.
17 Es gibt Beispiele, die eine positiv bewertete Integration
von Eltern in die Schularbeit zeigen, die aber sehr singulä-
ren Charakter haben; vgl. Eimer 2002.
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Wößmann, L., 2003: Familiärer Hintergrund, Schulsys-
tem und Schülerleistungen im internationalen Ver-
gleich. Aus Politik und Zeitgeschichte B 21–22/2003:
33–38.
Summary: Based on the data acquired in the PISA survey of Germany, Switzerland, and France, this article examines the
causes of differences in achievement among school students. We focus on social and cultural capital as determinants of
differences in achievement. This paper examines how the effects of social and cultural capital may contribute to an ex-
planation of the extent to which socio-economic status, the secondary education of the parents, and ethnic origin influ-
ence reading achievement. A second question asks which of the three educational systems reduces social inequalities in
achievement to the greatest extent and which characteristics of the institutional context may be responsible for this. The
results show that only part of the socioeconomic differences in achievement can be explained by differences in the social
and cultural capital of the family. Consequently, the results confirm Pierre Bourdieu’s cultural reproduction model as
well as James S. Coleman’s compensation thesis. This comparison of the results in Germany, Switzerland, and France
shows that the institutional context of the French educational system is the best suited of the three to deal with unequal
conditions in the family.
Monika Jungbauer-Gans: Einfluss des sozialen und kulturellen Kapitals auf die Lesekompetenz 397