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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung? Ein Querschnitt habitueller Dispositionen zur Studienwahl zukünftiger Kindergarten- und Primarlehrpersonen

Authors:

Abstract

Wie werden aus ehemaligen Schüler:innen im Verlauf des Studiums Lehrer:innen? Der Band enthält quer- und längsschnittliche Untersuchungen zur ethnografischen Längsschnittstudie «TriLAN», in der 19 Studierende durch ihr dreijähriges BA-Studium begleitet wurden. Zum Gegenstand qualitativer Analysen werden Interviews zu biografischen Ausgangslagen, Lehrveranstaltungen, Praktika und weitere Formate der Lehrer:innenbildung. An diesen Daten wird herausgearbeitet, wie Studierende zu Lehrer:innen (gemacht) werden und welchen Einfluss Institutionen der Lehrer:innenbildung auf studentische Selbstverhältnisse nehmen. (DIPF/Orig.)
Ulmcke, Adrian
Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung? Ein Querschnitt
habitueller Dispositionen zur Studienwahl zukünftiger Kindergarten- und
Primarlehrpersonen
Leonhard, Tobias [Hrsg.]: Lehrer:in werden. Trajektorien in den Lehrberuf. Bad Heilbrunn : Verlag Julius
Klinkhardt 2025, S. 41-63. - (Studien zur Professionsforschung und Lehrer:innenbildung)
Quellenangabe/ Reference:
Ulmcke, Adrian: Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung? Ein Querschnitt habitueller
Dispositionen zur Studienwahl zukünftiger Kindergarten- und Primarlehrpersonen - In: Leonhard, Tobias
[Hrsg.]: Lehrer:in werden. Trajektorien in den Lehrberuf. Bad Heilbrunn : Verlag Julius Klinkhardt 2025,
S. 41-63 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-328796 - DOI: 10.25656/01:32879; 10.35468/6161-02
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-328796
https://doi.org/10.25656/01:32879
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Adrian Ulmcke
Studien- und Berufswahl als implizite
Passungsherstellung?
Ein Querschnitt habitueller Dispositionen
zur Studienwahl zukünftiger Kindergarten-
und Primarlehrpersonen
Zusammenfassung
Im Beitrag wird die Bedeutung habitueller Dispositionen für die Studien-
wahl angehender Kindergarten- und Primarlehrpersonen in der Schweiz aus
einer praxeologisch-strukturtheoretischen Perspektive untersucht. Mittels Se-
quenzanalytischer Habitusrekonstruktion wurden die narrativ-episodischen
Eingangsinterviews der TriLAN-Studie (Trajektorien in den Lehrberuf Adres-
sierungspraktiken und Narrationen im Studium zur Kindergarten- und Primar-
lehrperson) rekonstruiert und durch die Kontrastierung der Fälle eine Typologie
der impliziten Passungsherstellung aufgestellt. Es wird argumentiert, dass eine
implizite Passungsherstellung in Gestalt der vier aufgestellten Typen ein zent-
rales Erzeugungsprinzip der Studienwahlpraxis von Lehrpersonen im Kontext
heterogener Berufsbiographien darstellt. Die Ergebnisse erweitern nicht nur das
Verständnis der Studien- und Berufswahl von Lehrpersonen, sondern fundieren
auch die weitere Untersuchung habitueller Dispositionen im Studienverlauf.
Schlagwörter: Primarschule; Lehrer:innenbildung; Professionalisierung; Sequen-
zanalytische Habitusrekonstruktion; Studienwahl; Studierendenhabitus
Summary
is article examines the signicance of habitual dispositions for the study
choices of prospective kindergarten and primary school teachers in Switzer-
land from a praxeological-structural theoretical perspective. Using sequence-
analytical habitus reconstruction, the narrative-episodic initial interviews of the
TriLAN study (Trajectories into teaching) were reconstructed and a typology of
implicit t was established by contrasting the cases. It is argued that an implicit
creation of t in the form of the four established ideal types represents a central
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generative principle of the study choice practice of teacher students in the con-
text of heterogeneous professional biographies. e results not only expand the
understanding of teachers’ study and career choices, but also provide a basis for
further investigation of habitual dispositions in the course of studies.
Keywords: career choice; primary school; teacher professionalism; sequence-
analytical habitus reconstruction; student habitus; teacher education
1 Einleitung
Im Studienjahr 2022/23 waren an schweizerischen Pädagogischen Hochschulen
23.412 Studierende immatrikuliert, wobei 4.961 Neueinschreibungen zu ver-
zeichnen waren. Mehr als die Hälfte der immatrikulierten PH-Studierenden (n =
11.939, 51%) absolvierte dabei entweder einen Studiengang zur Kindergarten-/
Unterstufenlehrperson oder einen Studiengang zur Primarlehrperson. In diesem
Studienjahr entschieden sich sogar beinahe zwei Drittel (n = 3.262, 66%) aller
neu immatrikulierten Studierenden für diese Studiengänge. (BFS, 2023)
Diese Zahlen veranschaulichen nicht nur die Bedeutung, die die Studiengänge zur
Kindergarten-/Unterstufe und zur Primarlehrperson an schweizerischen Pädago-
gischen Hochschulen einnehmen, ihr Steigen und Fallen wird gerade in Hinblick
auf den gegenwärtigen und prognostizierten Lehrpersonenmangel in der Schweiz
diskutiert und die naheliegende Frage nach der Studien- und Berufswahl gestellt
(Keller-Schneider & Schneider Boye, 2023).
Die Studien- und Berufswahl von Lehrpersonen wurde bereits aus unterschiedli-
chen theoretischen Perspektiven beforscht. Sie lässt sich beispielsweise unter der
Bedingung der Persönlichkeit (vgl. Mayr, 2014), im Zusammenhang von Moti-
ven (vgl. Rothland, 2014a) oder als Folge einer rational-choice (vgl. Becker et al.,
2009) verstehen. Darüber hinaus sind Arbeiten entstanden, welche die Berufs-
wahl von Lehrpersonen mit Bezug auf den Habitus nach Bourdieu (1979) aus
praxeologischer Perspektive untersuchen (vgl. Heyer, 2016; Holzmayer, 2023;
Košinár, 2024b; Maschke, 2013).
Die ersten drei Perspektiven kommen ohne die Existenz eines sozialen Raumes
aus, welcher im praxeologischen Ansatz berücksichtigt wird. Leonhard hebt die
Potenziale einer solchen praxeologischen Perspektive auf die Lehrpersonenbil-
dung hervor und stellt fest, dass die Untersuchung der «‹Tat-Sachen› der Lehr-
personenbildung noch nicht ausgeschöpft» (2018, S. 87) ist. Ein sicherlich noch
weiter auszuschöpfendes Forschungsdesiderat ist es, den Fragenkomplex der Stu-
dienwahl nicht nur in individuell-psychologischen Voraussetzungen zu fundieren,
sondern die Studienwahl im Kontext eines Feldübergangs zu denken.
Infolgedessen hat der vorliegende Beitrag zum Ziel, den im TriLAN-Sample ver-
tretenen schweizerischen Kontext der Lehrer:innenbildung darzustellen und die
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damit einhergehenden heterogenen Herkunftsfelder zu beleuchten. Dies erfolgt
zunächst durch einen vergleichenden Überblick über die formale Zusammenset-
zung des Samples. Im Anschluss wird, aufbauend auf der praxeologisch-struk-
turtheoretischen Perspektive, der Versuch unternommen, die habituellen Dispo-
sitionen der ‹ersten Tat-Sache› zu rekonstruieren, nämlich der Entscheidung für
ein Studium des Lehrberufs, welche sich gewissermassen am Rand des Feldes der
Lehrer:innenbildung ereignet. Konkret lässt sich die Frage stellen, welche habi-
tuellen Dispositionen sich in Bezug auf die Studienwahl zukünftiger Lehrperso-
nen der Kindergarten-, Unter- und Primarstufe im Feldübergang rekonstruieren
lassen.
Um diese Frage zu beantworten, werden folgend (1.) die theoretischen Bezüge
und der Forschungsstand aufgezeigt, wonach (2.) das methodische Vorgehen
unter Verwendung der Sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion dargelegt
wird. Darauf wird (3.) ein einordnender Überblick über das TriLAN-Sample ge-
geben, die im kontrastiven Fallvergleich entstandene Typologie einer impliziten
Passungsherstellung dargelegt und diese an empirischen Beispielen plausibilisiert
sowie exemplarisch die Rekonstruktion einer zentralen Disposition illustriert.
Schliesslich werden (4.) die Ergebnisse in Abgrenzung zur Motivforschung und
in ihrer Relevanz für die praxeologisch-strukturtheoretische Professionalisierungs-
forschung diskutiert.
2 eoretischer Rahmen und Forschungsstand
Die folgend dargelegten theoretischen Bezüge beschränken sich im gegebenen
Umfang dieses Beitrags auf die Motivforschung und den praxeologischen Ansatz
im Zusammenhang des Studiums zukünftiger Lehrpersonen. Die Motivforschung
dient als Kontrastfolie, durch die veranschaulicht werden kann, wie der praxeo-
logische Ansatz über einen individuell-psychologischen hinaus zu gehen vermag.
2.1 Studien- und Berufswahl aus Sicht der Motivforschung
Nicht nur vor der Kulisse eines Lehrpersonenmangels (vgl. Keller-Schneider &
Schneider Boye, 2023) stellt sich die Frage nach Merkmalen von Lehrerinnen
und Lehrern und deren Gründen für die Berufswahl. Sie wird auch mit Hinblick
auf die Professionalisierung diskutiert. Die Erforschung von Berufswahlmotiven
bietet einen Zugang zu diesem Fragenkomplex an (Scharfenberg, 2020, S. 13).
Vielleicht gerade wegen einer langen Forschungstradition sind die Forschungsfor-
mate heterogen. Es nden sich qualitative und quantitative Untersuchungen, wo-
bei der Schwerpunkt klar auf einer quantitativen Methodologie liegt. In Reviews
der Studienlage sind die Ergebnisse insbesondere mit Blick auf die Primarstufe
jedoch recht homogen (vgl. Rothland, 2014a; Rothland, 2014b; mit Bezug auf
zukünftige Primarlehrpersonen Rothland, 2022; Scharfenberg, 2020; im inter-
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nationalen Vergleich Scharfenberg et al., 2022). Grundsätzlich lassen sich die
Motive in extrinsische und intrinsische unterscheiden. Scharfenberg stellt mit
Rothland fest, dass «trotz unterschiedlicher Anlagen der einzelnen Studien (…),
sich die Befunde zum Hauptmotiv für die Wahl des Lehrberufs im Wesentlichen
[entsprechen]: Das Interesse bzw. die Freude an der Zusammenarbeit mit Kin-
dern und Jugendlichen ist der am häugsten genannte Grund in der Mehrzahl
der Untersuchungen. Generell dominieren die intrinsischen und hier insbeson-
dere personen- und beziehungsorientierte Motive» (Rothland, 2014a, S. 355),
«während das Feld und die Bedeutung der extrinsischen Motive heterogener aus-
fällt» (Scharfenberg, 2020, S. 49). Die folgende kompakte Auistung entstammt
einem «Inventar regelmäßig vorkommender Studien- und Berufswahlmotive»,
welches Scharfenberg (2020, S. 49.) aufgestellt hat:
Eine wichtige Gruppe von Motiven mit Bezug auf Kinder und Jugendliche ndet
sich in der «Arbeit mit Kindern und Jugendlichen», dem «Zusammensein mit
Kindern und Jugendlichen» und der «Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit
besonderen Bildungsvoraussetzungen». Zu fachbezogenen Motiven lassen sich
das «fachliche Interesse», die «Freude am Unterrichten» und das Ergreifen eines
«anspruchsvollen und abwechslungsreichen Beruf[s]» zusammenfassen. Darüber
hinaus wird die «gesellschaftliche Relevanz» als altruistisches Motiv genannt und
weitere Motive bestehen in der «biographischen Erfahrung» und dem «Lehramt
als Traumberuf». Zudem ndet sich als Motiv die «selbstbestimmte Tätigkeit»,
das «Gehalt», die «beruiche Sicherheit», «Freizeit», der «gesellschaftliche Status»,
sowie die «Vereinbarkeit von Beruf und Familie», die «Karrieremöglichkeiten»,
eine «Polyvalenz des Studiums», die «Kürze des Studiums», die «niedrigen Stu-
dienanforderungen», aber auch eine generelle «Interesselosigkeit an der Studien-
bzw. Berufsentscheidung», schliesslich auch das Motiv des «Studiums als Notlö-
sung» und «externe Einüsse» von Familie, Freunden und Vorbildern. In Bezug
auf gängige Vorurteile zu Motivlagen bei Lehrpersonen in der Primarschule zeigt
Rothland (2022) noch im Vergleich variablenzentrierter und personenzentrierter
Ansätze, dass sich die motivationalen Grundlagen über verschiedene Lehrämter
bzw. Zielstufen hinweg nicht grundlegend unterscheiden, sondern die grössten
Unterschiede innerhalb der jeweiligen Gruppen auftreten. Studierende einer Ziel-
stufe können damit nicht als homogene Gruppe betrachtet werden. Es sei also
«Zeit, sich vom Klischee der kindorientierten Grundschullehrerin zu verabschie-
den – und von dem dominant fachorientierten Gymnasiallehrer ebenso!» (Roth-
land, 2022, S. 110).
Die skizzierten expliziten Sinngehalte und die Vielfalt der Motive nden sich
grundsätzlich auch in den durchgeführten Interviews der vorliegenden Studie
wieder. Die in diesem Beitrag dargelegten Studienergebnisse und theoretischen
Bezüge sollen jedoch eine über die Kennzeichnung von Motivlagen hinausgehen-
de Perspektivierung der Studienwahl ermöglichen.
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2.2 Studien- und Berufswahl aus habitueller Perspektive
Der Habitus ist laut Bourdieu ein System inkorporierter Denk-, Wahrnehmungs-
und Handlungsschemata, welche «dank analogischer Übertragung» und «dia-
lektisch geschaenen Korrekturen» sowie der im Laufe der Biograe gebildeten
«Systeme dauerhafter Dispositionen» als «Erzeugungs- und Strukturierungsprin-
zip von Praxisformen und Repräsentationen» dienen (Bourdieu, 1979, S. 165.).
Die Erzeugung dieser Schemata ist immer auf ein Feld bezogen. Felder sind nach
Bourdieu «autonome Sphären, in denen nach jeweils besonderen Regeln ‹gespielt›
wird» (Bourdieu, 1992b, S. 187). Ein Feld hört damit dort auf, wo die ‹Regeln›
des (Spiel-)Feldes und deren implizite Anforderungen nicht mehr gelten. Der
Habitus lässt sich dann als «Spiel-Sinn» (Bourdieu, 1992b, S. 84) verstehen, der
darin besteht, die im Feld geltenden ‹Regeln› zu beherrschen und ist somit relati-
onal konzipiert. Habituelle Dispositionen werden sozial hervorgebracht und sind
gleichzeitig als inkorporierte Strukturen auf objektive Strukturen eines Feldes be-
zogen. Der Habitus lässt sich zudem als «System von Grenzen» (Bourdieu, 1992a,
S. 33) verstehen. «Da der Habitus eine unbegrenzte Fähigkeit ist, in völliger
(kontrollierter) Freiheit Hervorbringungen – Gedanken, Wahrnehmungen, Äu-
ßerungen, Handlungen – zu erzeugen, die stets in den historischen und sozialen
Grenzen seiner eigenen Erzeugung liegen, steht die konditionierte und bedingte
Freiheit, die er bietet, der unvorhergesehenen Neuschöpfung ebenso fern wie der
simplen mechanischen Reproduktion ursprünglicher Konditionierungen» (Bour-
dieu, 1993, S.103). Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, in dieser
bedingten Freiheit auch die Studien- und Berufswahl zukünftiger Lehrpersonen
zu betrachten.
Die Wahl des Lehrberufs ist insofern besonders, als dass jede Lehrperson auch
einmal Schülerin oder Schüler war. Folgt man der Typologie der Schülerhabitus
von Helsper, würde der Lehrberuf für einen Schülerhabitus der «Schulfremdheit»
und der «Bildungsexzellenz» bzw. der «schulischen Souveränität und Leichtigkeit»
(Helsper, 2018, S. 30f.) nicht in Frage kommen,1 jedoch würden «Schulgläubige»
wie der «Schülerhabitus des Status- und Leistungsstrebens» und der «Schülerha-
bitus der schulischen Bildungsnotwendigkeit» eine hohe Anschlussfähigkeit besit-
zen (Helsper, 2019, S. 62).
Maschke (2013) untersucht mit Blick auf einen «Habitus unter Spannung» die Ent-
scheidungsndung für ein Studium und die Bewältigungsstrategien im Studium
von Lehramtsstudierenden in den Fächern Kunst und Physik. Sie identiziert eine
aktive und eine passive Prozessstruktur. Die aktive Prozessstruktur ndet sich bei
Studierenden, die ihre Interessen und Begabungen reektieren, um ein «optimales
1 In der Studie von Helsper (2018) wird der schweizerische Kontext nicht berücksichtigt. Košinár
(2024, S. 31) weist darauf hin, dass im Zusammenhang zusätzlicher Wege in den Lehrberuf die
Exklusion bestimmter Schülerhabitus wahrscheinlich nicht mehr in der beschriebenen Weise ge-
geben ist.
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Passungsverhältnis» zum Beruf zu nden. Im «Bemühen um Konstruktion einer
Passung (von Beruf und Selbst) wird in einigen Fällen die Nähe zur Altersgruppe
der SchülerInnen herausgestellt» und «teils ießen in die Reexionen positive und
emotional bedeutsame Erfahrungen mit den eigenen LehrerInnen ein, die vor al-
lem eine ‹pädagogisch-menschliche› Seite vermitteln». Zudem wird «die beruiche
Entscheidung für das Lehramt bzw. für den Beruf des Lehrers/der Lehrerin (…)
über das Motiv der Weitergabe von persönlichen Erfahrungen und allgemeinen
(sozialen) Aspekten der Vermittlung bzw. des Unterrichtens begründet» (Maschke,
2013, S.306f.). Dagegen zeigt sich eine passive Prozessstruktur im Fehlen eines
«Reexionsprozesses von eigenen Interessen und Begabungspotenzialen» und der
Wahl des Lehramtsstudiums und des Studienfachs im «Ausschlussverfahren». «In
einigen Fällen wird die Befürchtung formuliert, den Anforderungen als LehrerIn
nicht gerecht werden zu können oder eine allgemeine Angst vor der Konfrontation
mit den zukünftigen SchülerInnen. Teils ießen negativ konnotierte Erfahrungen
mit den eigenen LehrerInnen ein» (Maschke, 2013, S. 307). Die aktive und passi-
ve Prozessstruktur bildet als begriiche Unterscheidung eine erste Grundlage zur
Untersuchung der Frage, in welchen Qualitäten eine Passungsherstellung erfolgen
kann.
Heyer untersucht die Studienwahl ausgehend von der Biograe mit Bezug auf
den Habitus von Musiklehramtsstudierenden. Als gemeinsame Orientierungen
tauchen eine «ambitionierte Musikpraxis» mit Abgrenzungs- und Abhebungsten-
denzen sowie eine ausgeprägte Oenheit in der Frage auf, ob der Lehrberuf in der
Zukunft tatsächlich ausgeübt wird (2016, S. 209f.). Das fachliche Herkunftsfeld
und das Selbstverständnis als Musiker:innen scheint im Fall zukünftiger Musik-
lehrpersonen damit einen besonders prägenden Einuss auf den Studierenden-
habitus zu haben.
Košinár (2024b) untersucht die Bedeutung biographischer Erfahrung für die Stu-
dienentscheidung und Studieneingangsphase mit Hilfe der Dokumentarischen
Methode (z. B. Bohnsack, 2017; Nohl, 2009). Sie identiziert den Studieneintritt
als konjunktives, phasenspezisches Entwicklungsproblem, welches entlang ver-
schiedener Rahmungen des Studiums bearbeitet wird. Es ndet sich die Rahmung
des Studiums als «berufsbiographische Schlussfolgerung», «biographische Selbst-
verständlichkeit» oder die «Berufsentscheidung» (Košinár, 2024b, S. 193). Was
in dem vorliegenden Beitrag als Passungsherstellung konzipiert wird, lässt sich im
methodologischen Zusammenhang der dokumentarischen Methode analog zur
Bearbeitung des bezeichneten phasenspezischen Entwicklungsproblems verste-
hen. Zudem nden sich zwischen den in diesem Beitrag herausgearbeiteten Typen
Parallelen mit den Orientierungen bei Studieneintritt im Beitrag von Košinár,
welche später in der Diskussion dargelegt werden.
Holzmayer betrachtet die Berufswahl als «eine Frage der Passung von Habitus und
Feld» (2023, S. 217). Dazu rekonstruiert er den berufsbezogenen Habitus von
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drei Studierenden einer österreichischen Pädagogischen Hochschule im Studien-
gang der Volksschule (entspricht der Grundschule bzw. Primarstufe) mit Hilfe
der Sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion (Kramer, 2018, 2019; Pallesen
& Kramer, 2023). Als Ergebnis ndet sich ein «grundlegend konformistischer,
instrumenteller, pragmatischer, bzw. resignierender berufsbezogener Habitus» so-
wie ein «familienzentrierter berufsbezogener Habitus», der «sich an der Stabilität,
Sicherheit und Geborgenheit orientiert» und «ein Typus des idealistischen berufs-
bezogenen Habitus». Holzmayer verortet deren habituelle Dispositionen entlang
einer Reihe von Dimensionen. Diese sind in Bezug auf die beruiche Entschei-
dungsndung «konventionell» vs. «progressiv», in berufsbezogener Orientierung
«pragmatisch» vs. «idealistisch», in antizipierter beruicher Involviertheit «Be-
ruf vs. Berufung», in der Ausrichtung des antizipierten Lehrer:innenhandelns
«schüler:innenzentriert» vs. «inhaltszentriert», orientiert an «pädagogischer Nähe»
vs. «pädagogischer Distanz». Sie weisen in der «subjektiven Passung zur objektiven
Anforderungslogik des Herkunftsfeldes» eine «Transformation» oder «Reproduk-
tion» auf oder lassen in «subjektiver Passung zur objektiven Anforderungslogik des
Berufsfeldes» eine «minimale Passung» oder eine «maximale Passung» erkennen.
(Holzmayer, 2023, S. 221–248)
Holzmayer weist zudem darauf hin, dass «besonders unter dem Aspekt des
(nicht-)doxischen Feldübergangs die Berufswahl Volksschullehrer:in einen wei-
teren Blick wert [ist]. Inwiefern wird der Beruf als subjektiver (sogenannter) so-
zialer Auf- bzw. Abstieg gelesen und wie werden dabei die Verhältnisse zwischen
Herkunfts- und Ankunftsfeld gesehen? Besonders eine komparative Betrachtung
von Studierenden mit formalem Bildungsaufstieg, Bildungsabstieg und Bildungs-
reproduktion (besonders durch Lehrer:innenkinder) könnte tieferen Einblick
in die unterschiedlich antizipierte illusio des Feldes geben.» (Holzmayer, 2023,
S. 257). An Aspekten dieses von Holzmayer aufgeworfenen Fragenhorizontes,
insbesondere an dem Desiderat der Beforschung von Feldübergängen, setzt der
vorliegende Beitrag an und führt die Untersuchung habitueller Dispositionen der
Studien- und Berufswahl von Lehrpersonen fort. Jedoch werden hier nicht wie bei
Holzmayer (2023) berufsbezogene Dispositionen ins Zentrum der Rekonstrukti-
on gerückt, sondern der modus operandi der Studienwahlerzählung. Passung soll
in diesem Beitrag ausdrücklich nicht als verobjektivierte Passung zwischen Habi-
tus und Feld verstanden werden, sondern als Qualität subjektiver Überzeugtheit
in der Passungsherstellung. Im Gegensatz zu den beschriebenen Studien steht im
vorliegenden Beitrag also die Frage nach dem modus operandi der Passungsherstel-
lung im Kontext von Feldübergängen im Fokus.
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2.3 eoretische Herleitung der Studien- und Berufswahl als implizite
Passungsherstellung
Die Berufswahl im Spiegel einer besonderen Passung zu untersuchen gelingt Rolfs
(2001) in seiner Arbeit über «die Passung zwischen Person und Umwelt in Be-
ruf und Studium». Im Zentrum der psychologisch gelagerten Studie stehen mit
Rückgri auf Holland (1997) «Interessentypen». Holland geht davon aus, dass
durch eine Art wiederholende Einübung die Interessen der Eltern auf die Kinder
übergehen und sich so auch beruiche Interessen vererben, die als entscheidendes
Kriterium für die Berufswahl gelten. Holland (1997) unterscheidet hierbei die
Typen «praktisch-technisch», «wissenschaftlich», «künstlerisch-sprachlich», «sozi-
al», «unternehmerisch» und «konventionell» und stellt die «Kongruenzhypothese»
auf, die darin besteht, dass die Berufswahl im Sinne eines positiven Berufserlebens
dann gelingt, wenn die Interessen möglichst zu dem Anforderungsprol des Be-
rufs passen. Rolfs (2001) überträgt diesen Zusammenhang auf das Erleben und
Lernverhalten im Studium.
Ein weiterer Bezug zur Passung im Rahmen der Motivforschung ndet sich bei
Ulich (2004). Er unterscheidet im Forschungskontext der Berufswahlmotive von
Lehramtsstudierenden zwischen einer «sicheren» und einer «unsicheren» Berufs-
entscheidung und stellt diese in den Zusammenhang mit unterschiedlichen Mo-
tiven. Wie die Nicht-Passung bei Unsicherheit und die Passung bei Sicherheit
hergestellt wird, wird bei Ulich (2004) nicht beantwortet.
Dass eine Berufsentscheidung auch immer eine Entscheidung für einen Lebensstil
ist, verdeutlicht Heinz (2000, S. 168f.) in Rückgri auf eine Kritik des Rational-
Choice-Ansatzes, die Elster (1989a, 1989b) formuliert hat. Der Rational-Choice-
Ansatz könne eine Entscheidung für einen Lebensstil nicht abbilden, denn diese
komplexen Entscheidungen könnten immer nur über eine oder wenige Variablen
optimiert werden, ohne rational alle relevanten Variablen durchdenken zu kön-
nen. Selbst der Versuch einer solchen Optimierung geschehe immer im Rückgri
auf «frühere Interessen, Anregungen, Umstände – also auf dem Weg einer biogra-
phischen Konstruktion» (Heinz, 2000, S. 169). Zudem gelte:
«Bei Lebensentscheidungen gibt es keine sichere Prognose über die Folgen der verschie-
denen Alternativen auf das spätere Leben. Erst wenn die Auswirkungen des Handelns,
die Folgen der Entscheidung sich entfalten, können daraus Konsequenzen gezogen wer-
den. Dies bedeutet, dass eine Handlungstheorie, die auf eine prognosefeste Rangfolge
von Präferenzen vertraut, unrealistisch ist. In Lebensläufen geht es vielmehr darum zu
handeln, um daraus zu lernen, und weniger darum zu lernen, um optimale Entscheidun-
gen zu treen.» (Heinz, 2000, S.171)
Kramer und Helsper (2010, S. 103) kennzeichnen die unterschiedlichen Blick-
winkel rationalistischer und implizit-sozialisatorischer Zugänge mit Bezug auf
Georg (2006), Vester (2006), Kramer et al. (2009) und Maaz et al. (2010) als
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«Paradigmenstreit zwischen Boudon und Bourdieu». Während Boudon (1974)
Bildungsentscheidungen als rationale Kosten-Nutzen-Kalkulationen versteht,
führt Bourdieu Bildungsentscheidungen auf die implizit-vorreexive Wirkung
des sozialisatorisch erworbenen Habitus zurück (Bourdieu, 1987; Bourdieu &
Passeron, 1971). Obwohl Boudon (1974) schon über eine Betrachtung rein
ökonomischer Faktoren oder isolierter Motive hinausgeht und in der Erfolgs-
wahrscheinlichkeit der Kinder in Abhängigkeit vom sozialen Status der Eltern
primäre und im tradierten, schichtspezischen Entscheidungsverhalten sekun-
däre Herkunftseekte unterscheidet (Becker & Lauterbach, 2010, S. 15.), sind
Bildungsentscheidungen im Modell von Boudon individueller, rationaler Ver-
antwortlichkeit zugerechnet (Kramer, 2011, S. 137) und vernachlässigen damit
eine Eingebundenheit der ‹Entscheidungen› in den sozialen Raum. Die Perspek-
tive Bourdieus liege darin, «die Modellierung Boudon’s um[zu]kehren und vom
Kopf auf die Füße [zu] stellen. Die entscheidende Dierenz besteht dabei darin,
dass sowohl die primären Eekte wie auch die sekundären Eekte in der Model-
lierung Boudon’s bei Bourdieu Ausdrucksgestalten auf einer sekundären Ebene
sind, die aus der gleichen primären (schichtspezischen) Hervorbringungslogik
[des Habitus; Ergänzung des Autors] resultieren» (Kramer, 2011, S. 137f.).
Die Argumentation der Reproduktion der Berufswahl operationalisiert durch «In-
teressen» (Rolfs, 2001) oder «Lebensstil» (Heinz, 2000) verwendet Begriichkei-
ten, die auch im von Bourdieu prominent in «Die feinen Unterschiede» (1987)
herausgearbeiteten Zusammenhang von Milieu, Habitus und «Geschmack» eine
zentrale Rolle spielen. Nach Bourdieu sind «Interessen» oder im Nexus der Stu-
dien auch «Motive» keine Ursachen von Praxis, sondern Ausdrucksgestalten eines
Habitus.
Der Habitus enthält für das jeweilige ‹Spiel› eines Feldes einen «Anlage-Sinn»,
ein «Gespür für das richtige Anlegen kultureller Investitionen» (Bourdieu, 1987,
S. 151), wie dies die Aufnahme eines Studiums (z. B. zur Primarlehrperson) ist.
Der Habitus als «Anlage-Sinn» besitzt damit auch ein antizipatorisches Moment,
dass sich die Investition in ein spezisches Studium ‹auszahlt› und nicht in einer
‹Krise› endet. Durch die «‹Auswahl›, die er zwischen Orten, Ereignissen, Personen
des Umgangs trit, schützt sich der Habitus vor Krisen und kritischer Befragung,
indem er sich ein Milieu schat, an das er so weit wie möglich vorangepaßt ist»
(Bourdieu, 1993, S. 114). Zu diesem Milieu oder Feld gehört auch der Glaube
der Beteiligten, dass das ‹Spiel› im Feld einen Sinn hat und die Beteiligten bereit
sind weiter ‹mitzuspielen› oder in der Begriichkeit eines «Anlage-Sinns» weiter
in das ‹Spiel› zu investieren. Diesen geteilten Glauben nennt Bourdieu «Illusio»
(Bourdieu, 1998, S. 139.).
In Anschluss an Holzmayer (2023, S. 255f.) lässt sich die Studien- und Berufswahl
als Antizipation der Passung zwischen habituellen Dispositionen und antizipier-
ten Anforderungen des Studiums bzw. des späteren Berufsfeldes verstehen. Dabei
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muss von einer «doppelte Antizipation» ausgegangen werden, die darin besteht,
sich bei der Studien- und Berufswahl zu den Anforderungen des Herkunftsfeldes
und des Studiums bzw. Berufsfeldes in Beziehung zu setzen.
Im hier vorliegenden Beitrag erfolgt diesbezüglich eine besondere Perspektivie-
rung. Da die beschriebene Antizipation dem habituellen «Anlage-Sinn» folgt, lässt
sich dieser als modus operandi der Passungsherstellung in der Studien- und Berufs-
entscheidung rekonstruieren. Insofern vollzieht sich die Passungsherstellung im-
plizit. Ein Vorteil einer solchen theoretisch-forschungskonzeptionellen Wendung
ist, dass sich die Frage nach einer Passungsherstellung ohne die Kontrastierung
an einer spekulativen Feldkonzeption beantworten lässt. Zudem lassen sich so
in der Kontrastierung der einzelnen Fälle auch klarer die habituellen Dispositio-
nen rekonstruieren, die sonst in der ‹Selbstverständlichkeit› einer Feldkonzeption
aufgegangen wären. Daher verstehe ich die Studien- und Berufswahl als implizite
Passungsherstellung, welche folgend auch empirisch fundiert wird.
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Datenerhebung
Der vorliegende Beitrag untersucht die im Rahmen des Projektes TriLAN vor
bzw. kurz nach Beginn des dreijährigen Bachelor-Studienganges zur Lehrperson
der Kindergarten-, Unter- und Primarstufe von den Feldforscherinnen am je-
weiligen Standort durchgeführten narrativ-episodischen Einzelinterviews (Flick,
2011) mit allen 20 Studienteilnehmenden. Die Interviews umfassen die oen
gestaltete Erzählauorderung «Erzähl doch mal, wie es dazu kommt, dass du
jetzt an der Hochschule zu studieren anfängst» sowie immanente Nachfragen zur
Ersterzählung und exmanente Fragen zu familialer Herkunft, der Schulzeit, Er-
fahrungen mit eigenen Lehrpersonen, Positionierungen zum antizipierten Studi-
um und Praktikum und dem Verständnis der Lehrer:innenrolle. Zudem wurden
formale Daten zu Geburtsdatum und -ort, besuchten Schulen, einer möglichen
Berufsausbildung, Konfession, Familienstand, Geschwistern, Kindern, Hobbies
und sonstigem Engagement erhoben.
3.2 Datenauswertung
Die Sequenzanalytische Habitusrekonstruktion (Kramer, 2018, 2019; Pallesen
& Kramer, 2023) bietet sich gerade dann als Methode an, wenn wie in diesem
Beitrag der Habitus in genetisch-strukturalistischer Weise verstanden wird und
damit implizite handlungsleitende Dispositionen als latentes Hervorbringungs-
prinzip studentischer Praxis im Querschnitt rekonstruiert werden sollen. Die Me-
thode basiert grundlegend auf dem sequenzanalytischen Vorgehen der Objektiven
Hermeneutik (Oevermann, 2000), welche gegenstandbezogen geschärft auch pra-
xeologische Annahmen der Dokumentarischen Methode (z. B. Bohnsack, 2017;
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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung?
| 51
Nohl, 2009) in das Repertoire aufnimmt. Der Habitus ist jedoch weiterhin «auch
als wissenssoziologisches Konzept nur strukturtheoretisch zu denken» und bleibt
damit «an die Perspektive eines sich individuierenden Falls gebunden» (Kramer,
2018, S. 244). Die Rekonstruktion wird als abduktive Operation verstanden, die
nur sequenzanalytisch gelingen kann.
Zur Vorbereitung der Auswertung mit Hilfe der Sequenzanalytischen Habitusre-
konstruktion wurden zunächst die 20 umfangreichen Interviews inhaltsanalytisch
gesichtet und systematisiert. Es wurden Erönungssequenzen, Sequenzen mit
hoher Erzähldichte und propositionalem Gehalt sowie Fokussierungsmetaphern
identiziert, die im Zentrum der folgenden Rekonstruktion stehen. Jeweils fallin-
tern wurden die relevanten Passagen sequenziert und sequenzanalytisch interpre-
tiert. Über Vergleichshorizonte wurde der modus operandi der Bearbeitung der
Anforderungslogik der Studien- und Berufsentscheidung in positiven und nega-
tiven Gegenhorizonten erschlossen. Daraus liessen sich Hypothesen zum modus
operandi als Hervorbringungsprinzip der Studienwahl in Bezug auf implizite,
handlungsleitende Wissensbestände ableiten. Durch die Hinzunahme weiterer
Sequenzen des gleichen Falls wurden die Hypothesen zum spezischen modus
operandi falsiziert, bis sich eine Hypothese in der Prüfung der wiederum nächs-
ten Sequenz bewährt hatte und sich diese für den betrachteten Fall als Ausdruck
eines praxisleitenden Hervorbringungsprinzip plausibel darlegen liess. Erst nach
dem fallinternen Abschluss dieses Rekonstruktionsprozesses in allen Fällen erfolg-
te ein Fallvergleich und in der Kontrastierung der Fälle wurde eine Typologie der
Studienwahl als implizite Passungsherstellung im Feldübergang aufgestellt (zum
Vorgehen Kramer, 2019).
Der Vergleich mit Studienwahlmotiven gelingt über die Betrachtung expliziter
Sinngehalte in den positiven und negativen Gegenhorizonten der habituellen
Dispositionen. Diese lassen sich u. a. mit Hilfe einer QDA-Software übersicht-
lich darstellen und auswerten. Durch die Oenheit der Erzählauorderung und
auch der immanenten und exmanenten Fragen wurden Motive nicht systematisch
erhoben. Sie wurden nur erfasst, wenn sie in der selbstläugen Erzählung thema-
tisch wurden. Dies schränkt die Aussagekraft der Motivnennungen auch in Bezug
auf die für eine quantitative Auswertung geringe Fallanzahl ein. Eine Einordnung
des Samples und ein bedingter Vergleich mit Studien der Motivforschung ist den-
noch möglich. Da der Untersuchungsfokus dieses Beitrags auf einer qualitativen
Analyse liegt, ist die Auswertung in Bezug auf Motive als Ergänzung zu betrachten
und auch im Sinne einer Kontrastierung zu verstehen. Der vorliegende Beitrag
dient vor allem dazu, die Befunde der verschiedenen Analysen zur Studienwahl
zueinander in Beziehung zu setzen.
Die Studienwahl kann mit Blick auf die in Kapitel 2.2 dargelegten theoretischen
Bezüge als Gelenkstelle vom schulischen bzw. beruichen Feld in das Feld des
Studiums verstanden werden. Gleichzeitig lässt sich die Studienwahl als erste
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Anforderungslogik eines Studiums bezeichnen, die zum einen durch den in der
Biograe erworbenen Habitus präformiert ist. Zum anderen können darin zum
Ausdruck kommende habituelle Dispositionen für das Studium rekonstruiert
werden. Durch die Erzählzwänge des Gestaltschliessungs-, Kondensierungs- und
Detaillierungszwangs (Schütze, 1976, S. 224f.) wird durch die Erzählauorde-
rung eine konsistente Plausibilisierung des So-Geworden-Seins des bevorste-
henden Studienbeginns zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten
Hochschule evoziert. Die Studienwahl wird darin als solche plausibel, wenn eine
doppelt antizipierte Passung (Kapitel 2.3) hergestellt werden kann. Die Erzäh-
lung des So-Geworden-Seins des Studienbeginns kann damit als Passungserzäh-
lung gedeutet werden, in der ein spezischer Habitus implizit zum Ausdruck
kommt. Die Forschungsfrage lässt sich in diesem methodologischen Kontext
präzisieren und kann nun lauten: Durch welche habituellen Dispositionen wird
die Passung implizit hergestellt?
4 Ergebnisse
4.1 Vergleichende Charakterisierung des TriLAN Samples
Die folgende Charakterisierung des Samples steht in keinem methodologischen
Zusammenhang zur qualitativen Auswertungsmethode der sequenzanalytischen
Habitusrekonstruktion. Er ermöglicht aber im Rahmen des TriLAN Bandes mehr
Transparenz über das TriLAN Sample, was gerade auch im Vergleich zu Studien
ausserhalb der Schweiz von Interesse sein kann. Das Sample besteht zu Beginn der
Studie aus 20 Studierenden mit 15 Studentinnen (75%) und 5 Studenten (25%).
Das entspricht etwa den Verhältnissen von 80% Frauenanteil und 20% Männer-
anteil an schweizerischen Pädagogischen Hochschulen im Bereich der Kindergar-
ten- und Unterstufe zu Beginn der Studie im Studienjahr 2020/21 (BFS, 2023).
Eine Studierende ist zum Zeitpunkt des Eingangsinterviews unter 20 Jahre alt.
14 Studierende sind 20 bis 30 Jahre alt. Zwischen 30 bis 40 Jahren sind 2 Stu-
dierende, über 40 Jahre sind drei Studierende alt. Der Anteil an Studierenden,
von denen mindestens ein Elternteil im Lehrberuf tätig ist oder war, beträgt im
Sample 45%. Im Vergleich zu einem bei Rothland et al. (2015) zu ndenden
Überblick diverser Studien zur Berufsvererbung ist dies relativ hoch. So ndet
beispielsweise Kühne (2006) im Vergleich mit anderen Akademikern eine Berufs-
vererbungsrate von 24,3% bei Grund- und Volksschullehrern (27,7% bei Ärzten,
10% bei Ingenieuren, 7,9% bei Juristen und 7,1% bei Architekten). Hörl ndet
2008 unter österreichischen Lehramtsstudierenden eine Rate von 32% und bei
schweizerischen Primarlehrkräften stellen Herzog et al. (2007) fest, dass von 18%
der Primarlehrkräfte die Mutter und ebenfalls von 18% der Vater im Lehrberuf
arbeitet. Da das TriLAN-Sample mit 20 Teilnehmenden eine im Vergleich zu
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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung?
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quantitativen Studien kleine Fallzahl hat, ist der Vergleich der Verhältnisse nur
einordnend zu verstehen und beansprucht keine Repräsentativität. Der Vergleich
zeigt aber auch, dass das Sample keine totale Ausnahmekohorte darstellt.
Die Wege ins Studium zur Lehrperson an einer Pädagogischen Hochschule sind
in der Schweiz vielfältig. Sie ist mit einer gymnasialen Maturität ohne weitere
Prüfung in den Zielstufen Kindergarten-/Unterstufe, Primarstufe und Sekundar-
stufe I möglich. Je nach Fachmaturität oder Berufsmaturität ist der Zugang zum
Studium durch eine zusätzliche Prüfung erreichbar (vgl. Leemann et al., 2021,
S. 193).
Im TriLAN Sample sind alle diese Wege ins Studium vertreten. Über eine Berufs-
matur verfügen acht Studierende, über die Fachmatur verfügen fünf Studierende
und über die gymnasiale Maturität sechs Studierende, wovon drei Studierende
die Maturität als Erwachsene an einer Maturitätsschule erworben haben. Eine
Studierende besitzt ein Fachabitur aus Deutschland.
Ein anderes Studium begonnen haben zuvor schon zehn Studierende, wovon vier
Studierende das Studium abgeschlossen haben. Ausbildungsadäquat beruich tätig
waren zwölf Studierende.
4.2 Fallvergleich und Kontrastierung habitueller Dispositionen der
Studienwahl
Grundlegend fällt auf, dass bei allen Studierenden des Samples die Frage nach
dem Studienbeginn in der Logik einer Berufswahl beantwortet wird. Dies mag
nicht weiter überraschen, ist mit der Studienwahl im Fall des Lehrberufs gleich-
zeitig schon die beruiche Tätigkeit so konkret festgelegt, wie in wenigen Stu-
diengängen. Gleichzeitig lässt sich darin ein Spezikum der schweizerischen
Lehrer:innenbildung erkennen. Košinár (2024a, S. 41) weist darauf hin, dass das
Studium traditionell praxisnah aufgebaut ist und das wissenschaftliche Studium
an Pädagogischen Hochschulen erst auf eine 20jährige Geschichte zurückschauen
kann. Ungeachtet in welcher Logik diese Disposition begründet ist, impliziert
sie eine Studierendenpraxis, die sich eher an einer Berufsausbildung als an einem
(fach-)wissenschaftlichen Studium orientiert.
Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der beiden zuvor vorgestellten
Analysen dargestellt. Zuerst wird auf Motive Bezug genommen, wonach die Ty-
pologie einer impliziten Passungsherstellung zur Studienwahl dargelegt und an
Interviewausschnitten plausibilisiert wird.
Werden die explizit geäusserten Sinngehalte in positiven und negativen Gegen-
horizonten als Motive gedeutet, bringen 15 Studierende den Wunsch mit Kin-
dern zu arbeiten zum Ausdruck, wobei meist eine Begründung der spezischen
Altersstufe erfolgt: In Abgrenzung zu jüngeren Kindern, deren Betreuung einen
fachlichen Anspruch vermissen lässt und in Abgrenzung zu älteren Kindern, de-
nen es an Motivation mangeln würde bzw. die Prägungsarbeit nicht mehr in dem
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Masse wirksam sei. Kinder der Kindergarten- und Unterstufe seien im Vergleich
zu anderen Kindern vor allem «härzig». Eine weitere zentrale Orientierung ist bei
13Studierenden der Wunsch, «etwas weiterzugeben» oder «etwas mitzugeben».
Dieser Wunsch wird in unterschiedlicher Ausprägung durch eine Orientierung an
altruistischer Sinnhaftigkeit, einer besonderen Bedeutsamkeit und Wirksamkeit
des Berufs sowie einer erfüllenden Reziprozität als «etwas zurückkriegen» beglei-
tet. Wiederum 13 Studierende äussern das Motiv einer «ganzheitlichen» Betrach-
tung der Kinder im Umgang mit deren individuellen Bedürfnissen. Einen fachli-
chen Vermittlungsanspruch äussern sieben Studierende. Extrinsische Motive wie
eine Vermeidung des Drucks des vorausgegangenen Berufsfeldes, ein Gewinn an
Flexibilität, familienfreundliche Arbeitszeiten und nanzielle Sicherheit werden
in 14Fällen genannt. Bei sechs Studierenden ndet sich der Wunsch, sich durch
das Studium und den Beruf weiterzuentwickeln. Diese Orientierungen zeigen
eine grosse Übereinstimmung mit Befunden zur Berufswahl von Grundschullehr-
person bei Rothland (2022, S. 109), wo sich eine pädagogische Motivation, der
Wunsch mit Kindern zusammenzuarbeiten und etwas zu vermitteln als zentrale
Motive nden. Als zentrale Motive erweisen sich eine pädagogische Motivation,
der Wunsch mit Kindern zusammenzuarbeiten und etwas zu vermitteln.
Mit Blick auf die impliziten Sinngehalte der Studienwahlerzählungen und in der
Kontrastierung der 20 Fälle lassen sich acht Typen impliziter Passungsherstellung
bestimmen. Zum einen zeigt sich entweder, dass der Wechsel des (beruichen)
Feldes als ein Abstieg oder Aufstieg gedeutet wird. Wenn keine Auf- oder Abstiegs-
erzählung vorliegt, lassen sich zwei unterschiedliche Bezüge zum antizipierten
Feld des Studiums und der Schule feststellen. Im Rückgri auf Erzählungen zur
eigenen Schulzeit lässt sich zwischen Oppositionellen unterscheiden, die gegen ei-
nen subjektiv erlebten Status Quo antreten und ‹es besser machen› wollen und
Konformen, die sich eigene Lehrer:innen zum Vorbild nehmen und eine besondere
Anität zur Logik des Feldes der Schule zum Ausdruck bringen.
Zum anderen lässt sich in einer zweiten Ebene rekonstruieren, ob die Passung der
Studienwahl, im Sinne einer wahrgenommenen Entscheidungssicherheit hoch
oder gering ist, was unter anderem entweder in einer dierenzierten Zugewandt-
heit oder einer diusen Beiläugkeit in der Bezugnahme auf das Feld des Studi-
ums und der Schule zum Ausdruck kommt.
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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung?
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Abb. 1: Implizite Passungsherstellung im Feldübergang zum Studium
Die Abbildung orientiert sich in der Platzierung der Idealtypen in der Logik
des Feldübergangs an den Herkunftsfeldern. So kommt in den Erzählungen von
Absteigenden ein Verlust von ökonomischem oder kulturellem Kapital zum Aus-
druck (vgl. Bourdieu, 1987, S. 212f.), der in den Erzählungen explizit als Abstieg
‹von oben› verhandelt wird. Absteigende müssen sich aus Notwendigkeit oder
aufgrund einer wahrgenommen fehlenden Passung zu vorherigen beruichen
Feldern mit zuvor mitgeführten Abgrenzungen nach unten ‹anfreunden›. Die
Oenlegung der neuen Berufswahlentscheidung vor der Familie wird als heikler
Moment erlebt und eine entsprechende Erleichterung zum Ausdruck gebracht,
wenn die Familie die Entscheidung unterstützt, wie in folgenden Sequenzen
deutlich wird:
DAV 2: also so er [Vater des Studierenden] ist auch sehr erfolgreich in seinem Job -- und
dann ehm und ja ich meine Lehrer sein ist jetzt - eigentlich nicht so etwas - leis-
tungsorientiertes
I: mhm
DAV: sage ich jetzt mal es ist so - man wird Lehrer und dann - ist es das eigentlich und
dann -- macht man einfach den Job aber man kann nicht irgendwie Cheehrer
werden oder so
I: mhm
DAV: sie sind man ist einfach Lehrer
I: mhm
DAV: also sein Vater war auch Lehrer - muss man sagen und deswegen wahrscheinlich
hat es ihm auch so zugesagt
2 Willkürliche zweite Pseudonymisierung abgekürzt auf drei Buchstaben.
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I: mhm
DAV: und das ist dann so ja das war ein schöner Moment eben hat er gesagt ist ein guter
Job für mich und ein Job mit Zukunft also -- ja
Es nden sich gerade im Fall einer ‹Notlösung› weiterhin Orientierungen des fa-
miliären oder vorausgegangen beruichen Feldes, die einer hohen Passungsher-
stellung im Weg stehen. So wird in einem Fall der Lehrberuf delegitimiert:
CHK: - und hatte mich aber nie für den Lehrerberuf wirklich interessiert -- da mein
Vater immer so einen tollen Spruch gebracht hat ein Lehrer kommt nie aus der Schule
raus --- und ich muss ihm Recht geben irgendwo
Eine zentrale Disposition von Aufsteigenden liegt in dem Streben nach Möglich-
keiten, Freiheit und einer Aufhebung erfahrener Einschränkungen. Aus dem Fall
einer Aufsteigenden, die den bisherigen Aufstieg als andauernde Passungskrise
erlebt hat und nun im Feld einer Pädagogischen Hochschule Passung erfährt,
stammt folgende Sequenz:
KIM: - und ehm wo ich nicht das Gefühl habe also ich habe das Gefühl - doch da
gehöre ich dazu das ist noch ein Punkt also an der [Maturitätsschule] hatte ich
immer Gefühl ich dürfe eigentlich gar nicht da sein
I: mhm
KIM: also ich hatte immer das Gefühl ich bin eigentlich am falschen Ort es steht mir
wie nicht zu
Konforme Dispositionen zeigen eine armative Haltung gegenüber der Schule
als Institution und überwiegend positive Erfahrungen mit eigenen Lehrpersonen.
JOH: mhm also meine beide Eltern sind Lehrer - zwar nicht von Kindern sondern
von Berufslehrer und Hauswirtschaftslehrerin also von Erwachsenen und ich bin ein-
fach schon immer gerne in die Schule gegangen - wenn man mal die drei Jahre «Sek»
(Sekundarschule) ausser Acht lässt (lacht) aber sonst bin ich immer gerne in die Schule
gegangen ich habe auch– ich habe es immer super gehabt mit meinen Lehrern sogar gar
während der «Sek» (Sekundarschule) wo ich– wo ich nicht so super unterwegs war also
ich habe eigentlich ein super Schulbild
Oppositionelle Dispositionen kommen meist zum Ausdruck, wenn Bezüge auf die
eigene Schulzeit vorgenommen werden und darin entweder enttäuschte Erwar-
tungen oder Abgrenzungen zu eigenen Lehrpersonen deutlich werden:
NIR: und ich hatte jetzt auch noch nie so einen Lehrer wo ich sagen müsste wow ich
möchte so werden ich hatte mehr Lehrer wo ich manchmal fand das mache ich besser
das mache ich auch mal besser
Ausdrücke hoher Passung nden sich beispielsweise als Schlussfolgerungen einer
Passungsprüfung:
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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung?
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GRE: und dann - habe ich wirklich gemerkt nein das ist jetzt wirklich genau das was
ich möchte
Kommt eine geringe Passung zum Ausdruck nden sich Sequenzen wie:
MIA: aber ehm ich meine ich bin erst seit vier Wochen da und bin mir schon von An-
fang an nicht so sicher
Die Distinktionslinie zwischen hoher und geringer Passung verläuft häug entlang
des Vorliegens von Vorerfahrungen und den in den Vorerfahrungen fundierten
Antizipationen. Neben Vorerfahrungen dient auch die Orientierung am Lehrbe-
ruf eines Elternteils als Quelle der Passungsherstellung. Bei hoher Passung wird
diese selbstreferenziell hergestellt, bei geringer Passung wird diese hauptsächlich
fremdreferenziell von anderen zugeschrieben oder erscheint als Notlösung.
Insbesondere bei Oppositionellen lässt sich die Frage stellen, wie eine Passungs-
herstellung (dennoch) gelingen kann. Über den Großteil des Samples hinweg,
also auch im Fall von Oppositionellen, ndet sich eine geteilte Vermittlungs- und
Kindorientierung in Form einer idealistischen intergenerationalen Bildungsbedeut-
samkeit als zentrale, verbindende Disposition, welche eine Passungsherstellung er-
möglicht. Im Folgenden wird exemplarisch eine Rekonstruktion dieser zentralen
Dispositionen dargestellt.
4.3 Exemplarische Rekonstruktion der Kind- und Vermittlungsorientierung
Die Interviewerin fragt zuvor, was «Lehrerin sein» für ELC persönlich bedeutet.
ELC: - (einatmen) ja es ist eben sicher ehm– also erstens bin ich ja wirklich gerne mit
Kindern zusammen und dann ist es einfach auch das- das das den Kindern etwas mit auf
den Weg mitgeben also jetzt nicht nur inhaltlich sondern vielleicht auch persönlich - ich
habe das Gefühl das - (stockend) und eben - und auch den Kindern ein gu - das Ziel wäre
ja auch den Kindern etwas Gutes mitzugeben -- und ehm - etwas Prägendes - und «grad
äbe» (eben) auf dieser Stufe nd ich’s - nde ich es schon sehr wichtig oder
Der Beginn der folgenden Konkretisierung wird als Ausdruck einer identitätsbe-
zogenen Grundsatzfrage mit hoher Tragweite durch das Einatmen bedeutungs-
auadend hinausgezögert und mit «ja es ist eben sicher» als selbstverständliche
Gewissheit gerahmt. Als besonders grundlegend für die Lehrerinnenidentität wird
die Zuneigung zu Kindern und damit ein diuser, näheorientierter, sympathie-
geleiteter Adressatenbezug eingeführt. Als Kern des «Lehrerin-Seins» erweist sich
nach einem Ringen um die richtige Formulierung der metaphorisch-sprichwört-
liche Ausdruck «etwas mit auf den Weg mitgeben». Im «Mitgeben» ndet sich ein
bedeutender Indikator einer spezischen Vermittlungsorientierung. Es entspringt
einer Logik der altruistischen Vorsorge und damit einem zentralen pädagogischen
Impetus. Das wohlmeinende «Mitgeben» kommt zudem ohne ein «Annehmen»
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oder ein «Anwenden» der Adressaten aus. Die Vermittlung wird nicht als voraus-
setzungsvoll, transformativ oder gar als paradoxe Aufgabe gekennzeichnet, son-
dern rein additiv. In dem unbestimmten «etwas» wird die Beliebigkeit des Mit-
gegebenen deutlich. Implizite Anforderung an das «etwas» ist jedoch, dass es für
das Bestreiten des Weges potenziell nützlich ist und diesen Nutzen über den «(Le-
bens-)Weg» langfristig behält. Lehrer-Sein organisiert sich in der Logik dieser ha-
bituellen Disposition nicht um Wissen, sondern um Lehre, also die Vermittlungs-
tätigkeit. «Inhalte» sind darin kein eigenständiger Zweck. Sie sind Mittel zum
Zweck, solange sie zum «Mitgeben» ‹taugen›. Diese Hypothese wird in der weite-
ren Sequenz noch bestätigt, da mit «nicht nur inhaltlich» die Inhalte in ihrer De-
fektivität und Ergänzungsbedürftigkeit in ihrem Geltungsanspruch als wichtiges
«etwas» für das «Mitgeben» herabgesetzt werden. Etwas «persönlich» mitzugeben,
verweist auf eine über entfremdete, isolierte Inhalte hinausgehende Vermittlungs-
qualität. Diese zeichnet sich durch den Anspruch einer Persönlichkeitsbildung
und einer damit verbundenen Vermittlung von Werten oder Überzeugungen aus.
In dieser Vermittlungsauassung ist damit auch eine Bildungs- oder Erziehungs-
aufgabe wesentlich, die jedoch in additiver Weise leichtgängig, widerspruchs- und
koniktfrei entworfen ist. Das Gefühl der Relevanz und Bedeutsamkeit dieser
Aufgabe ist mit «nde ich es schon sehr wichtig» in ein Geschmacksurteil geklei-
det. Die Qualität des «etwas» wird darauf weiter mit «etwas Gutes mitzugeben»
und «etwas Prägendes» expliziert. Im «Guten» werden Horizonte von Moral und
wiederum der Nützlichkeit aufgerufen. «Etwas Prägendes» verweist auf eine er-
höhte Bedeutsamkeit und Langfristigkeit des Mitgegebenen und verstärkt die Les-
art einer Persönlichkeitsbildung. Schliesslich wird der spezische Adressatenbezug
zu Kindern in der gesteigerten Bedeutsamkeit dieser Aufgabe bei Schülerinnen
und Schülern der Kindergarten- und Unterstufe fundiert.
In anderen Fällen der gleichen Disposition ndet sich auch der Ausdruck «etwas
weitergeben». Dieser lässt sich analog rekonstruieren, jedoch enthält «etwas wei-
tergeben» zusätzlich die Logik intergenerationaler Bewahrung, der selbst für «gut»
befundenen Bildungsgüter.
Es kommt zusammengefasst eine habituelle Disposition zum Ausdruck, die aus
einem idealistischen pädagogischen Impetus heraus einen Bildungsauftrag ablei-
tet, der sich an beliebigen Inhalten mit hohem Prägungspotenzial entfaltet und
durch eine Zuschreibung besonderer Bedeutsamkeit auszeichnet. Es wird darin
eine spezische Bildungsorientierung deutlich, die in ihrer Selbstverständlichkeit
leicht übersehen wird. Der Glaube an die Bedeutsamkeit von (Persönlichkeits-)
Bildung und bestimmter Bildungsgüter ist hier ein zentrales Erzeugungsprinzip
der Passungsherstellung und damit eine tragende Säule des Glaubens daran, dass
im Sinne Bourdieus (1998, S. 139.) das ‹Spiel› im Feld einen Sinn hat und sich
die Beteiligten dafür entscheiden in diesem Spiel ‹mitzuspielen›. Erst wenn diese
habituelle Disposition im Feld des Studiums auf eine homologe Illusio trit, hat
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Studien- und Berufswahl als implizite Passungsherstellung?
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sich der Anlage-Sinn ‹ausgezahlt›. Dass dies aber noch keine ‹ausgemachte Sache›
ist, wird in der folgenden Diskussion elaboriert.
5 Diskussion und Fazit
Das Ergebnis dieses Beitrags besteht in einer Typologie zur impliziten Passungsher-
stellung als Erzeugungsprinzip der Studien- und Berufswahl sowie einer exemplari-
schen Rekonstruktion der habituellen Disposition einer idealistischen intergenera-
tionalen Bildungsbedeutsamkeit als zentrale Säule einer geteilten Illusio, die auch in
häug genannten Motiven wie «Zusammensein mit Kindern und Jugendlichen»,
der «Freude am Unterrichten» und der «gesellschaftliche[n] Relevanz» (Scharfen-
berg 2020, 49.) zum Ausdruck kommt. Im gesamten Sample spiegelt sich die
Vielfalt weiterer Motive (vgl. Rothland, 2014a; Rothland, 2022; Scharfenberg,
2020; Scharfenberg et al., 2022) wider. Die Motive erscheinen im Rahmen der Ty-
pologie der impliziten Passungsherstellung nunmehr jedoch als Ausdrucksgestalten
eines spezischen «Anlage-Sinns» (vgl. Bourdieu, 1987, S. 151).
Es lässt sich zudem ein Vergleich zu Ergebnissen der Studie von Košinár (2024b,
S. 193) zur Bedeutung biograscher Erfahrung beim Studieneintritt anstellen.
Absteigende lassen auch die Orientierung an einer «Berufserkundung zur Passungs-
bestimmung im Modus der Notwendigkeit» oder eine «bewusste Berufsentschei-
dung als positiver Gegenhorizont zur bisherigen Berufstätigkeit» erkennen. Im
Typ der Aufsteigenden ndet sich die Orientierung einer «Berufserkundung zur
Passungsbestimmung im Modus der Möglichkeit / Option». Die «Berufserkun-
dung auf dem Weg in den (schon lange) anvisierten Lehrberuf ist eine Orientie-
rung bei Konformen, wie auch die «Bewusste Berufsentscheidung nach kritischer
Prüfung der biographischen Selbstverständlichkeit». Oppositionelle lassen eine
«Bewussten Berufsentscheidung zur Setzung eines positiven Gegenhorizontes zur
negativen Schulzeit» erkennen.
Die habituelle Disposition einer idealistischen intergenerationalen Bildungsbe-
deutsamkeit kann nun nicht nur in Hinblick auf die implizite Passungsherstellung
zur Studien- und Berufswahl, sondern auch in Bezug auf eine professionelle päda-
gogische Praxis nach dem strukturtheoretischen Professionsansatz befragt werden.
Kramer und Pallesen stellen (2018, S. 47f.) eine Heuristik der Kernanforderungen
eines professionellen Lehrerhabitus auf. Diese besteht (a) in der «Anforderung zur
Anregung, Wahrnehmung und Begleitung von Bildungsprozessen über paradoxe
Kriseninterventionen» als «Handlungsanforderung der Wissens- und Normen-
vermittlung», (b) in der «Herstellung und [dem] Aufrechterhalten pädagogischer
Arbeitsbündnisse», (c) in der «Fähigkeit zum Fallverstehen» und (d) in der Anfor-
derung einer «grundlegenden Reexionsbereitschaft und -fähigkeit».
Betrachtet man «etwas mitgeben» unter dem Anspruch von (a) in «der Fähig-
keit zum Einsatz paradoxer Kriseninterventionen im Sinne der Anbahnung von
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Lern- und Bildungsprozessen» (Hericks, 2015, S. 6), so muss eine Dierenz zum
schlichten und krisenfreien Konzept des idealistisch wohlmeinenden «Mitgebens»
festgestellt werden. Auch der unter dem Anspruch von (b) notwendig erscheinen-
de Bezug auf Kinder der Kindergarten- und Unterstufe mit einem im «härzig»-
Faktor enthaltenen anthropologischen Entwurf besonderer Leichtgängigkeit und
Bedeutsamkeit der Vermittlungsaufgabe, muss sich im konkreten Feld noch in
einer Antinomie von Nähe und Distanz bewähren (vgl. Kowalski, 2020). Es lässt
sich vielleicht annehmen, dass die rekonstruierte habituelle Disposition im Feld
der Kindergarten-, Unter- und Primarstufe auf eine homologe geteilte Illusio
trit, jedoch ist dies auch von dem im jeweiligen Feld herrschenden Professiona-
litätsverständnis abhängig. Besonderer Vorzug des im Beitrag fokussierten theore-
tischen Zugangs ist es, schon die in der Studienwahl zum Ausdruck kommenden
habituellen Dispositionen in ihrer Relevanz für den späteren Lehrberuf untersu-
chen zu können.
Zentral ist für diesen Beitrag und das vorliegende Sample, dass die Studierenden
dem schweizerischen Studienkontext entsprechend mit einer erheblichen Alters-
dierenz und mit unterschiedlichen oder – wie meist impliziert – gar keinen be-
ruichen Erfahrungen in das Studium einsteigen. Es erscheint im Hinblick auf
weiteres Erkenntnispotenzial lohnenswert, die Kontinuierlichkeit des Übergangs
«vom Schüler- zum Lehrerhabitus» (Helsper, 2019) nicht nur durch die praxeolo-
gisch deskriptive Untersuchung eines Studierendenhabitus zwischen Schüler- und
Lehrerhabitus (Ulmcke & Liu in diesem Band), sondern auch vor dem Hinter-
grund heterogener biograscher Verläufe – nicht nur bei regulär Studierenden,
sondern beispielsweise auch bei Quereinsteigenden – konzeptionell aufzubrechen
und in der vorliegenden Heterogenität zu berücksichtigen. Wie sich die Studi-
enwahl im Feldübergang vollzieht, konnte dieser Beitrag entlang einer Typologie
impliziter Passungsherstellung zeigen.
Literatur
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Autor
Ulmcke, Adrian, M.Ed.
Universität Basel, Institut für Bildungswissenschaften
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Qualitativ-rekonstruktive Professions-
forschung sowie Schulforschung
E-Mail:adrian.ulmcke@unibas.ch
doi.org/10.35468/6161-02
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Den Fokus des Sammelbandes bildet eine Professionalisierungsforschung mittels der Dokumentarischen Methode, die sich mit der sozialen Praxis des Lehramtsstudiums und den impliziten Wissensbeständen von Lehramtsstudierenden beschäftigt. Zentral ist die Frage, welchen Beitrag die Dokumentarische Methode zur professionalisierungsbezogenen Forschung hinsichtlich des Lehramtsstudiums leistet, d.h. welches erkenntnisgenerierende Potenzial, aber auch welche entsprechenden Limitationen mit diesem Zugang einhergehen. Ziel ist es, das Feld sowie die Genese und Veränderung von berufsbezogenen Wissensbeständen von Lehramtsstudierenden zu umreißen und den Diskurs darüber zu fördern. Enthalten sind grundlagentheoretische Beiträge, nach Forschungsbereichen gegliederte Aufsätze zu empirischen Studien sowie ein umfassendes Studienreview, das mit der Dokumentarischen Methode operierende Studien bezogen auf das Lehramtsstudium systematisch in Bezug auf Potenziale und Limitationen betrachtet. Insgesamt liefert der Band Einblicke in methodologische und methodische Erkenntnisse und Fragen zur praxeologischen Untersuchung von pädagogischer Professionalität und Professionalisierung. (DIPF/Orig.)
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Der Sammelband bündelt empirische und theoretische Beiträge zur Frage nach Möglichkeiten, Grenzen und Paradoxien der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden am Beginn ihres Studiums. Hierbei finden sowohl erziehungswissenschaftliche als auch fachdidaktische Perspektiven Berücksichtigung. Die Beiträge fokussieren auf Vollzugslogiken in Interaktionen sowie auf Orientierungen von Studierenden und verschiedenen Akteur:innen der Lehrer:innenbildung und zeigen das facettenreiche und komplexe Geschehen der Einsozialisation in das Lehramtsstudium auf. (DIPF/Orig.)
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Der gegenwärtige und prognostizierte Lehrpersonenmangel stellt die Bildungsverwaltung und die Schulen vor Herausforderungen. Bei steigenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern und den demografisch bedingten Pensionierungen zahlreicher Lehrpersonen war im Mai 2023, das heisst kurz vor den Sommerferien, eine Vielzahl von Stellen noch unbesetzt. Weitere, auch in den Medien diskutierte Gründe, die supponieren, Lehrpersonen seien überfordert und würden den Beruf verlassen, lassen sich empirisch nicht belegen. Statistiken und Befunde zeigen vielmehr, dass die Kündigung einer Anstellung zum Wechsel des Pensums, der Schule oder der Funktion oder für einen Unterbruch genutzt wird und somit insgesamt mit dem Verbleib im Schuldienst einhergeht. Doch der Bedarf an Lehrpersonen kann mit den Abgängerinnen und Abgängern der Pädagogischen Hochschulen nicht gedeckt werden, trotz steigender Studierendenzahlen. Weitere Massnahmen sind erforderlich. Der Beitrag beabsichtigt, Fakten darzulegen sowie Mythen und Leerstellen zu identifizieren.
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Menschen wollen Lehrer:innen werden, weil sie gerne mit Kindern arbeiten möchten!? Abseits von rationalen Gründen steht in der vorliegenden Studie die Hinterbühne der Berufswahl im Zentrum. Pierre Bourdieus Konzepte von Habitus, Feld und deren kulturelle Passung sind dabei leitend. Mit Hilfe der an Bourdieu anschließenden Methode der Sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion wird der Habitus von Studierenden im Lehramt Primarstufe sichtbar. Ebenso kommen dabei ihr Berufsbild und das antizipierte Lehrer:innenhandeln zum Vorschein. Erkennbar wird dadurch eine notwendige doppelte Passung im Berufswahlprozess: einer Passung zur Anforderungslogik des Herkunftsfeldes als auch zur Anforderungslogik des angestrebten beruflichen Feldes. Damit wird die Berufswahlforschung in ein neues Licht gerückt.
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Zusammenfassung Die vorliegende Studie untersucht die Studien- und Berufswahlmotive von Studierenden des Grundschullehramts aus Deutschland, der Schweiz, Schweden, Rumänien und China auf Grundlage der STeaM/I-Datensätze, vergleicht sie mit den Motiven von Lehramtsstudierenden für weiterführende Schulen und setzt sie in den Kontext mit länderspezifischen strukturellen Bedingungen und Berufsbildern. Ausgehend von einem Vergleich intrinsischer, extrinsischer und pragmatischer Motive zeigen sich länderspezifische Unterschiede. Insgesamt zeigen intrinsische Motive die höchsten Ausprägungen, wobei dem chinesischen Motivprofil mit einer verhältnismäßig niedrigen intrinsischen und einer verhältnismäßig hohen pragmatischen Motivation eine Sonderrolle zukommt. Während die deutschen Befragten neben intrinsischen auch verhältnismäßig hohe extrinsische Motive aufweisen, die sich mit den Vorteilen einer Verbeamtung in Beziehung bringen lassen, messen schwedische Befragte insbesondere der gesellschaftlichen Relevanz und Schweizer Studierende biographischen Erfahrungen sowie dem Motiv des Lehramts als Traumberuf eine im Vergleich zu den anderen Ländern jeweils besonders hohe Bedeutung zu. Demgegenüber fallen die schulartspezifischen Unterschiede sowohl länderübergreifend als auch länderspezifisch gering aus. Während die generellen schulartspezifischen Tendenzen bisherige Forschung bestätigen, zeigen sich im Ländervergleich Relativierungen, etwa hinsichtlich der geringeren Rolle fachlicherMotive für Grundschul-lehramtsstudierende. Die Ergebnisse geben Hinweise auf den Einfluss struktureller Bedingungen innerhalb der einzelnen Untersuchungsländer auf die Studien- und Berufswahl von Lehramtsstudierenden – etwa hinsichtlich Gehaltsstruktur oder Fachlichkeit der Ausbildung – und lassen Implikationen auf die Professionalisierung von Lehrkräften zu, etwa hinsichtlich der Notwendigkeit, biographische Erlebnisse als Motivation für die Berufswahl angemessen zu reflektieren.
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Einerseits sind die Erwartungen an Grundschullehrkräfte hoch. Andererseits wird immer wieder eine spezifische pädagogische Professionalität von Grundschullehrkräften bezweifelt. Tatsächlich existiert eine Zusammenstellung von Anforderungen und Kompetenzen, die speziell für Grundschullehrkräfte gelten, bislang nicht. Während im professionstheoretischen Diskurs vorrangig Herausforderungen für und Anforderungen an die Professionalität von Lehrkräften der Sekundarstufe diskutiert und empirisch erschlossen zu werden scheinen, geraten im grundschulpädagogischen Diskurs methodisch- didaktische Fragen sowie strukturelle Rahmenbedingungen in den Blick, ohne dabei die Konsequenzen für das Handeln von Grundschullehrkräften zu fassen und professionstheoretisch zu rahmen. Ziel dieses Bandes ist es daher, die beiden Diskurse stärker miteinander zu verbinden und die Professionalisierung von Grundschullehrkräften aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick zu nehmen.
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Gesamtgesellschaftliche Geschlechterungleichheiten spiegeln sich auch in dem Berufsfeld der Pädagogik wider. Der Sammelband befasst sich mit fortbestehenden und neuen Problemlagen in pädagogischen Berufen aus professionsgeschichtlicher, bildungssystematischer und berufssoziologischer Perspektive. Dabei zeigt sich die Verwobenheit von Berufsgeschichte und Geschlechterverhältnissen, aus der sich auch Erkenntnisse für die Professionsentwicklung ableiten lassen.
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Ausgehend von der Annahme, dass sich gerade die für die Sach- und Fachvermittlung handlungsleitenden Wissensbestände vor allem auf die eigenen biografischen Erfahrungen und auf das eigene Mittun im Feld zurückführen lassen, rückt die Bedeutung habitueller Dispositionen sowohl für das unterrichtliche Handeln als auch für die Professionalisierung von Lehrer*innen in den Fokus. In unserem Beitrag möchten wir das Verfahren der Sequenzanalytischen Habitusrekonstruktion als Möglichkeit eines methodischen Zugriffs auf diese impliziten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster vorstellen, die wir als ein zentrales Generierungsprinzip von (sport-)pädagogischer Praxis verstehen. Dazu geben wir zunächst einen Einblick in die habitus- und praxistheoretische Perspektive Bourdieus, die sich in erster Linie als relationaler Zugriff auf die Praxis und deren Anforderungsstrukturen konzipieren lässt, um darauf aufbauend die einzelnen Verfahrensschritte der Methode zu erläutern. Anhand eines Ausschnittes aus einem Interview mit einem Sportlehrer als Protokoll und Ausdrucksform unterrichtlicher Praxis rekonstruieren wir exemplarisch den Hervorbringungsmodus sportunterrichtsbezogener Orientierungen. Damit lassen sich zentrale inkorporierte Prinzipien unterrichtlicher Praxis aufzeigen, die in ihrer einseitigen Ausrichtung auf Leistung, Effizienz und Optimierung zumindest für den Bereich der Vermittlung eine Professionalisierungsbedürftigkeit andeuten.
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Wissenssoziologie und Dokumentarische Methode Die hier ausgearbeiteten und erläuterten Kernbegriffe der Praxeologischen Wissenssoziologie sind wesentliche Grundlage der Dokumentarischen Methode. Der Band versteht sich als Beitrag zur Praxistheorie, die in Bezug zur qualitativ-empirischen Forschung gestellt wird. Die Wissenssoziologie des Klassikers Karl Mannheim wird so in Bezug zu Ethnomethodologie, Sozialphänomenologie, Kultursoziologie und Interaktions-/Identitätstheorie weiterentwickelt. Eine wichtige Grundlegung für alle, die mit der Dokumentarischen Methode arbeiten.