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Wirtschaftsdienst 2024 | 12
820
Kommentar
Abwrackprämie
Schön gerechnet
Nach dem Aus der Ampelkoalition Anfang November
2024 befindet sich Deutschland früher als geplant im
Wahlkampf. Dabei spielt die wirtschaftliche Situation und
insbesondere auch die Krise in der Automobilindustrie
eine herausragende Rolle. Insbesondere bei Elektroau-
tos sind die Absatzzahlen im Jahr 2024 eingebrochen, in
der Politik wird daher jetzt wieder über eine Abwrackprä-
mie für Verbrennerfahrzeuge diskutiert. Das Verschrot-
ten eines Diesel- oder Benzinautos soll beim Kauf eines
E-Autos mit ansehnlichen Prämien honoriert werden.
Passend dazu veröentlichte das International Council
on Clean Transportation (ICCT) im Oktober 2024 eine
Studie, die einer solchen Abwrackprämie eine positive
Wirkung bescheinigt: Dadurch würde mehr CO2 einge-
spart als bei sogenannten E-Fuels und dies außerdem
zu erheblich geringeren Kosten. Das Institut beziert die
Vermeidungskosten pro Tonne Kohlendioxid-Äquivalent
(CO2e) auf 313 Euro bei Dieselfahrzeugen und 255 Euro
bei Benzinern (bei Kaufprämien von bis zu 6.000 Euro bei
Dieselfahrzeugen und bis zu 3.000 Euro bei Benzinern).
Die Vermeidungskosten bei E-Fuels werden dagegen mit
910 Euro/t (in Deutschland produziert) bzw. 619 Euro/t
(aus Brasilien importiert) angegeben. Über die Studie
wurde in der Presse vielfach berichtet, zumeist unkritisch
mit dem Tenor „Abwrackprämie besser als E-Fuels“. Ein
genauerer Blick in die Publikation zeigt jedoch relativ
schnell, dass bei der Berechnung der Vermeidungskos-
ten der Abwrackprämie von sehr optimistischen Annah-
men ausgegangen wurde, bei den E-Fuels dagegen von
sehr pessimistischen.
Laut ICCT wird bis 2030 von 8 Mio. stillgelegten Fahr-
zeugen durch die Abwrackprämie ausgegangen, davon 7
Mio. Dieselfahrzeuge und 1 Mio. Benziner. Die Abwrack-
prämie pro Dieselfahrzeug beträgt zwischen 2.000 und
6.000 Euro, diejenige für Benziner 2.000 bis 3.000 Euro,
die Gesamtkosten werden auf 35 Mrd. Euro geschätzt.
Die CO2e-Einsparung wird nur für 2030 angegeben und
soll dann 11 Mio. t betragen. Es ist aus der Studie nicht
ersichtlich, unter welchen genauen Annahmen (z. B. zum
Strommix oder zur Lebensdauer der Batterien) die CO2e-
Einsparung berechnet wurde. Rechnet man die Gesamt-
kosten von 35 Mrd. Euro auf 8 Mio. Fahrzeuge um, so
DOI: 10.2478/wd-2024-0211
Wirtschaftsdienst, 2024, 104(12), 820
JEL: L62, L91, Q56
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ergibt sich aus den angegebenen Vermeidungskosten
jedenfalls eine angenommene CO2e-Einsparung von ca.
14,3 t pro Fahrzeug. Dies erscheint angesichts der Ergeb-
nisse vergleichbarer Untersuchungen sehr viel.
Eine Studie des Vereins Deutscher Ingenieure e.V. aus dem
Jahr 2023, in der auch die CO2-Emissionen der Produktion
berücksichtigt wurden, kommt auf eine CO2e-Einsparung
eines rein batteriebetriebenen Elektroautos von 12,8 t ge-
genüber einem Benziner und knapp 9 t gegenüber einem
Diesel (jeweils bei einer angenommenen Laufleistung von
200.000 km). Dies ergäbe bei den prognostizierten 7 Mio.
durch die Abwrackprämie ersetzten Dieselfahrzeugen ei-
ne Gesamtersparnis von 63 Mio. t CO2e und bei 1 Mio. er-
setzten Benzinern noch einmal knapp 13 Mio. t, insgesamt
also 76 Mio. t eingespartes CO2e. Die für die Prämie veran-
schlagten Gesamtkosten von 35 Mrd. Euro würden dem-
nach durchschnittlichen Vermeidungskosten von mehr
als 460 Euro/t entsprechen – also ca. 50 % mehr, als vom
ICCT veranschlagt. An dieser Stelle hat die ICCT-Studie
also oensichtlich sehr optimistisch gerechnet.
Bei den E-Fuels ist die Studie dagegen eher pessimistisch
und geht von Vermeidungskosten von 619 bis 910 Euro/t
aus. Diese Beträge liegen deutlich über den Werten, wel-
che die (durchaus E-Fuel-kritische) Studie von Ueckerdt
et al. (2021) berechnet: Demnach betragen die Vermei-
dungskosten bei den E-Fuels derzeit (also in den Ver-
suchsanlagen) ca. 800 bis 1. 200 Euro pro Tonne CO2, bei
entsprechender Steigerung der Produktionsmengen künf-
tig geschätzt ca. 20 bis 270 Euro/t – womit der vom ICCT
behauptete Ezienzvorteil der Abwrackprämie gegenüber
E-Fuels verschwinden würde. Hinzu kommt noch, dass
Elektroautos ja bereits jetzt (und auch nach Wegfall der
Kaufprämie) mit Milliardenbeträgen subventioniert werden
(insbesondere Steuervorteile, aber auch Förderung von
Ladeinfrastruktur). Diese Förderung ergibt noch einmal
Vermeidungskosten von bis zu 1.300 Euro/t, die zu der Ab-
wrackprämie hinzukämen.
Fazit: Auf EU-Ebene wurde kürzlich ein „Recht auf Repa-
ratur“ beschlossen, auf der Website des Bundesumwelt-
ministeriums liest man dazu: „Damit soll eine Umkehr ge-
schaen werden: Weg von der Wegwerfgesellschaft hin zu
einer Gesellschaft, die Produkte wertschätzt.“ Vor diesem
Hintergrund erscheint es geradezu absurd, dass nun wie-
der über eine Prämie für die Verschrottung funktionsfähi-
ger Kraftfahrzeuge diskutiert wird. Sinnvoll ist dies sicher
nicht, und wie gezeigt muss man schon sehr optimistisch
rechnen, um eine solche Abwrackprämie sogar als ezi-
ente Klimapolitik anzusehen.
Prof. Dr. Achim Lerch
FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Kassel
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