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Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung 18, 2024 // 64
Mord und Totschlag – Überlegungen zum Potenzial der Film-
musik in Horror- und Thrillerfilmen, das Moralempfinden des
Publikums zu beeinflussen
Susanne Hardt
Einleitung
Laut einer Statistik von Bo McCready (2019) werden insbesondere seit der
Jahrtausendwende immer mehr Horror- und Thrillerfilme produziert und
scheinen somit aktuell deutlich beliebter zu sein als noch vor einigen Jahr-
zehnten. Auch in der Filmmusikforschung gibt es bereits zahlreiche Studien
zum Einsatz der Musik in diesen Genres, wie u. a. Finks Untersuchungen zu
acht Filmen des Regisseurs Alfred Hitchcock (2006) oder den von Lerner
herausgegebenen Sammelband Musik in the Horror Film: Listening to Fear
(2010). Selbst in einer Studie von Hoeckner et al. wurde eine der in der Un-
tersuchung verwendeten Musikkategorien als »Thriller Music« bezeichnet
(Hoeckner et al. 2011, 148). In dieser Studie konnte nachgewiesen werden,
dass der Einsatz unterschiedlicher Arten von Musik nicht nur die Wahrneh-
mung einer gezeigten Szene (vgl. Marshall und Cohen, 1988), sondern auch
die konkrete Wahrnehmung des mentalen Zustandes einer Filmfigur beein-
flusst. Es ist somit anzunehmen, dass Filmmusik auch auf die Wahrnehmung
anderer filmischer Elemente, wie z. B. einzelner Handlungen, einen großen
Einfluss ausübt.
Zugleich sind innerhalb der vergangenen Jahrzehnte immer mehr genrespezi-
fische Gestaltungselemente zu beobachten, wie z. B. die Konzeption unter-
schiedlicher, klar definierbarer Handlungslinien (vgl. Kloppenburg 2020,
419; Kümpel 2010, 150), oder auch gängige Zuordnungen von bestimmten
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musikalischen Elementen zu bestimmten Thematiken oder Szenentypen1. In-
nerhalb der Filmmusikbranche ist die Existenz und intuitive Anwendung ei-
nes solchen musikalischen Vokabulars schon lange bekannt und wird nicht
nur als gängige Arbeitspraxis, sondern sogar als eine Grundlage für das Ver-
ständnis einer gezielt zu erzeugenden Wirkung von Filmmusik gesehen. Nicht
nur, dass schon Anfang des 20. Jahrhunderts Skalenregister, d. h. Sammlun-
gen von nach ihrer Eignung für unterschiedliche szenische Kontexte sortierte
Musikausschnitte veröffentlicht wurden (vgl. Erdmann, Becce und Brav
1927), auch heute noch ist das Erlernen dieser ästhetischen Sprache ein wich-
tiger Bestandteil der Ausbildung zum/zur Filmkomponierenden. So schreibt
z. B. der Filmkomponist Enjott Schneider:
Kunst – damit sie auch als Sprache fungieren kann und ihren Adressa-
ten erreicht – braucht immer ein Zeichenrepertoire, das ästhetisch ver-
abredet und bekannt ist. Diese Stereotypen sind jedoch lebendig und
bleiben einem ständigen Prozeß der Neudefinition unterworfen
(Schneider 2011, 53).
Bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit solchen Stereotypen (›filmmu-
sikalische Topologien‹) stehen besonders zwei zusammenhängende Aspekte
im Vordergrund: die konkrete Gestaltung der filmmusikalischen Sprache und
deren individuelle Auswirkung im jeweiligen szenischen Kontext auf das
Publikum. Mithilfe der Untersuchung dieser Sprache lässt sich nicht nur ein
besseres Verständnis für die Gestaltungsweise von Filmen einer bestimmten
zeitlichen Periode, sondern auch für die in dieser Zeit ausgebildeten Rezep-
tionsgewohnheiten und deren (gegenstandsbezogene) Kontexte gewinnen. Da
1 Vgl. z. B. Schneider (2011, 112): »Gibt es im Bild eine ärmlich kleine Hütte, ist es
freilich ein Unterschied, ob der enge Raum auch musikalisch aufgegriffen wird oder
ob ein riesiger psychischer Innenraum (großes Orchester, geweitete Frequenzlage,
harmonische Weitläufigkeit) als räumlicher Kontrapunkt […] fungieren soll«; oder
auch Kümpel (2010, 125): »[…] das Englisch Horn, ist eines der ganz wichtigen In-
strumente in der Filmmusik […]. Mit diesem Instrument wurden schon unzählige Lie-
besszenen untermalt.«
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Film ein komplexes, in seiner Produktion aufwendiges Medium ist, ist anzu-
nehmen, dass hier häufiger eine allgemeinverständliche ›Erzählsprache‹ ge-
nutzt wird als beispielsweise bei rein auditiven oder rein visuellen Kunstfor-
men. Zurzeit hat zudem ein Großteil unserer Gesellschaft über vielfältige
Streamingdienste Zugriff auf eine Vielzahl an Filmen. Die unterschiedlichen
Algorithmen dieser Plattformen, welche Nutzern, basierend auf deren Rezep-
tionsverhalten, ähnliche Filme vorschlagen, machen jedoch die Beschäfti-
gung mit solchen Gestaltungsmustern umso notwendiger, da diese die allge-
meinen Rezeptionsgewohnheiten auf eine zielgerichtete Art formen und wei-
terentwickeln.
Die beiden Filmgenres Horror und Thriller zeichnen sich schon rein dem Na-
men nach durch ihre beabsichtigte Wirkung auf das Publikum aus und er-
scheinen daher besonders geeignet, um eine solche stereotype Erzählweise in
Hinblick auf einen Zusammenhang zwischen konkreter filmmusikalischer
Gestaltung und Wirkung zu studieren (vgl. Heimerdinger 2012, 4; Hentschel
2020; Stollberg 2023, 15). Innerhalb dieser beiden Filmgenres ist ein Hand-
lungselement, das zum Standardrepertoire der filmischen Erzählweise zählt,
z B. das Töten einzelner Filmfiguren. Schon seit den 1950er Jahren ist der
Mord im Thriller alltäglich (vgl. Seeßlen 1995, 119), und im Horrorgenre
zählen ohnehin »öffentliche Hinrichtungen, Gladiatorenkämpfe, der Touris-
mus der feinen Damen zu den Kriegsschauplätzen, […] [und] das Jahrmarkts-
vergnügen der an Puppen simulierten Folterungen und Hinrichtungen« (Seeß-
len und Jung 2006, 95) zu typischen Handlungselementen.
Jedoch ist hierbei ein filmübergreifend genutztes Gestaltungsmuster hinsicht-
lich der unterschiedlichen Gestaltung der extradiegetischen Filmmusik im
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Kontext unterschiedlicher Tötungsszenen2 zu beobachten, welches im Fol-
genden exemplarisch anhand mehrerer aktueller Thriller- und Horrorfilme
vorgestellt wird. Das Ziel dieses Artikels ist es nicht, die alltägliche Darstel-
lung von Gewalt und Tötung im Film allgemein zu thematisieren oder zu kri-
tisieren. Stattdessen wird diskutiert, wie ein darauf basierendes genrespezifi-
sches Gestaltungsmuster Hör- und Sehgewohnheiten (gegebenenfalls auf
lange Sicht) prägen kann und inwieweit auf diese Weise auch andere Bereiche
des alltäglichen Lebens beeinflusst und sogar Manipulationen durch den ge-
zielten Einsatz von bestimmter Musik ermöglicht werden könnten.
Hintergrund
Rezeptionsgewohnheiten entstehen durch die Ausprägung bestimmter Muster
im Wahrnehmungsprozess, insbesondere aufgrund von regelmäßiger Wieder-
holung. Dieses Phänomen hat seinen Ursprung in der Kommunikation der
Neuronen unseres Gehirns: »What fires together, wires together« (Shatz
1992, 64). Die Funktionsweise unseres Gehirns beeinflusst nicht nur das Trai-
ning bestimmter Fähigkeiten (vgl. z. B. Hinshaw 1991), sondern sie versetzt
uns durch dessen multidirektionale Wirkungsweise außerdem in die Lage, ak-
tiv Einfluss auf viele Bereiche unseres Lebens zu nehmen, wie z. B. auf unser
momentanes emotionales Befinden (vgl. Sivananthan et al. 2024; Raab &
Green 2005; Strack et al. 1988). Die auf diesen und weiteren Erkenntnissen
basierende Theorie der verkörperlichten Wahrnehmung3 geht davon aus, dass
sowohl unsere Wahrnehmung als auch unser Denken und unser Handeln mit-
einander verbunden sind und sich jeweils gegenseitig beeinflussen können
2 Im Folgenden wird absichtlich der neutralere Begriff ›Tötung‹ anstelle von ›Mord‹
verwendet, um den rein visuellen Inhalt der beschriebenen Filmszenen nicht mit einer
rechtlichen Wertung im Sinne der Gesetzgebung zu vermischen.
3 Engl. ›Embodied Cognition Theory‹ (vgl. u. a. Wellsby und Pexman 2014; Foglia und
Wilson 2013).
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(vgl. u. a. Schmidt 2021; Hu et al. 2014; Waller 2014). Übertragen auf die
Ausgangsidee einer zu beobachtenden stereotypen Filmgestaltung ist somit
anzunehmen, dass der regelmäßige Konsum modellhaft gestalteter Medien
nicht nur unsere jeweilige momentane Wahrnehmung beeinflusst, sondern die
so antrainierten und erlernten Bedeutungskomplexe auch Einfluss auf andere
Bereiche unseres Lebens nehmen. Je nach Ausprägung und Art der zugrun-
deliegenden Konnotationen von Gestaltungsmitteln und deren inhaltlicher
Kontextualisierung könnten somit auch gezielte Manipulationen der Wahr-
nehmung durch den Einsatz eben dieser Gestaltungsmittel in anderen Kon-
texten erzeugt werden, welche nicht nur der Dramaturgie und unterhaltsamen
Publikumsbeeinflussung im Rahmen einer fiktionalen Filmerzählung dienen.
Es gibt bereits eine Vielzahl an Studien im Bereich der Filmmusikforschung,
welche sich entweder mit einem Zusammenhang zwischen Dramaturgie und
Filmmusikgestaltung unabhängig von einem bestimmten Genrekontext (vgl.
Rudolph 2022; Lederer 2022; Rabenalt 2020) oder mit der allgemeinen Mu-
sikgestaltung in (Horror- und Thriller-)Filmen beschäftigen, d. h. ohne den
dramaturgischen Kontext detailliert zu berücksichtigen (vgl. Hentschel 2020,
2017, 2011; Heimerdinger 2012, 2007; Lerner 2010; Fink 2006; Kümpel
2008; Murphy 2014). Andere Studien, die sowohl eine dramaturgische Ver-
gleichbarkeit ihres gewählten Filmkorpus voraussetzen als auch die filmmu-
sikalische Gestaltung dazu in Relation setzen, beziehen sich nicht auf Horror-
oder Thrillerfilme oder dafür relevant erscheinende filmische Elemente (vgl.
Lehmann 2018, 2013).
Im Rekurs auf die eingangs erwähnte Studie von McCready zur gestiegenen
Beliebtheit von Horror- und Thrillerfilmen ist davon auszugehen, dass der
regelmäßige Konsum von medialen Produktionen dieser beiden Genres die
Rezeptionsgewohnheiten des Publikums mitformt und beeinflusst. Zudem
zählt es zu den Eigenarten insbesondere dieser Genres, durch das Spiel mit
den Erwartungen des Publikums ihre individuelle Wirkung zu entfalten: »the
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horror film is one of the very few film genres named after an emotion and
besides the thriller, the only one containing an intended effect in its name.«
(Heimerdinger 2012, 4). Es ist daher anzunehmen, dass typische Handlungs-
elemente, die Teil dieser stereotypen narrativen Strukturen dieser beiden Gen-
res sind, ebenso wie deren (dramaturgisch intendierte) Kontextualisierung ei-
nem immer größeren Publikum bekannt sind und auch außerhalb von media-
len Produktionen dieser beider Genres assoziativ angesprochen werden kön-
nen. Dieses Prinzip machen sich beispielsweise Horrorkomödien zunutze, um
mit den zunächst durch genretypische Trigger ausgelösten und anschließend
gebrochenen Erwartungen des Publikums Komik anstelle von Grusel zu
erzeugen.
Jedoch können solche gezielt hervorgerufenen Assoziationen bestimmter fil-
mischer Gestaltungselemente nicht nur zum Erzeugen von Komik genutzt
werden. Frank Hentschel beschreibt am Ende seiner Studien zu Musik in Hor-
rorfilmen ab 1980 die Tendenz, »Horrorfilme als Parabeln mit moralischen
Botschaften zu konzipieren« (Hentschel 2011, 220). Das heißt, anstelle der
bloßen Darstellung von Gewalt, wie sie laut Hentschel Horrorfilmen vor 1980
eigen ist, enden neuere Produktionen dieses Genres häufig mit dem finalen
Tod des Antagonisten – wahlweise durch Unfall, Notwehr oder sogar das ak-
tive Zutun des jeweiligen Protagonisten. Letzteres beschreibt der Regisseur
Bernard Rose in einem von Hentschel zitierten Audiokommentar in Bezug-
nahme auf Actionfilme wie folgt: »Helden sind in diesen Filmen tatsächlich
meistens Menschen, die andere Menschen in scheinbar legitimer Weise töten
–, während im Horrorfilm Sympathie mit den Opfern hergestellt [wird]«
(ebd., 230). Viele moderne Horrorfilme machen sich allerdings beide hier be-
schriebenen Aspekte zunutze, indem sie zunächst den Leidensweg eines Op-
fers oder einer Gruppe an Opfern darstellen, welcher schließlich als Legiti-
mation für die abschließende (versuchte) Tötung des Antagonisten dient.
Seeßlen beobachtet dieses Phänomen bereits in Thrillerfilmen der 1950er
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Jahre, in denen »[d]ie Identifikation der Zuschauer […] eindeutig verlagert
[war] auf die unschuldigen Opfer« (Seeßlen 1995, 119) – ein Prinzip, welches
sich als typisches Gestaltungsmuster dieses Genres bis heute gehalten hat:
»Strafe und Opfer scheinen beinahe sehnsüchtig erwartet, so schwer wiegen
die Verfehlungen beim Aufstieg, so endlos ist der Höllentrip des sozialen und
kulturellen Abstiegs« (ebd., 274). Die moralische Konnotation dieser unter-
schiedlichen Tötungen wird auch durch Heimerdingers Aussage deutlich, ein
zentrales Thema im Horrorfilm sei der »ewige Kampf zwischen Gut und
Böse« (Heimerdinger 2012, 4). Es werden also einerseits im Verlauf des
Films Tötungen durch den Antagonisten als schreckliche Gräueltaten präsen-
tiert, die das Publikum als verwerflich und abscheulich wahrnehmen soll,
während andererseits der (vermeintliche) Tod des Antagonisten am Ende des
Films eher ein Gefühl der Erleichterung auslösen soll, um zu signalisieren,
dass die Gefahr nun gebannt und die zuvor erlebten schrecklichen Ereignisse
(endgültig) überstanden sind. Dieses dramaturgische Prinzip sowie die
dadurch unweigerlich erzeugte unterschiedliche moralische Wertung der Tö-
tung unterschiedlicher Filmcharaktere durch das Publikum wird durch den
Einsatz unterschiedlich gestalteter Filmmusiken unterstützt: einerseits im
Kontext der Tötung als ›neutral‹ oder ›gut‹ charakterisierter Filmcharaktere
durch den Antagonisten und andererseits im Kontext des Todes des Antago-
nisten selbst. Im Folgenden wird dieses Gestaltungsprinzip exemplarisch an-
hand einiger aktueller Horror- und Thrillerfilme genauer betrachtet.
Beispielanalysen
In dem Horrorfilm THE NUN (USA 2018, Corin Hardy) beispielsweise treten
als Protagonisten eine junge Novizin und ein Priester gegen einen christlichen
Dämon als Antagonisten an. Letzterer reißt zu Beginn des Films eine der bei-
den letzten noch lebenden Nonnen eines Klosters in die Dunkelheit, treibt
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anschließend die andere in den Suizid und zerschmettert in einer späteren
Szene die restlichen ehemaligen Nonnen des Klosters im Innenraum der Ka-
pelle.4 All diese Szenen sind unterlegt mit unterschiedlich gestalteter extra-
diegetischer Filmmusik ohne bestimmbares harmonisch-tonales Zentrum,
zum Teil sogar ohne bestimmbare Tonhöhen, sondern überwiegend geräusch-
und effektbasiert. Während der ersten Tötung einer Nonne erklingt z. B. eine
laute Fläche aus scheinbar chaotisch durcheinander spielenden Streichern und
Blechbläsern, welche den Schockmoment der Tötung unterstützen soll
(00:03:36–00:03:43). Während des Suizids der zweiten Nonne (00:05:23–
00:05:28) hört man das Leitmotiv des Dämons, eine von einem Männerchor
gesungene kurze Melodie, die hauptsächlich auf Tonwiederholungen des To-
nes d basiert5, zwischenzeitlich zum Ton es ausweicht und schließlich wieder
auf d endet. Das Leitmotiv wird untermalt von einer auf zeitgenössischen
Spieltechniken und Glissandi basierenden Streicherfläche, verschiedenen
perkussiven Effekten und einem undefinierbaren Blechbläsercluster. In der
dritten Tötungsszene, in welcher der Dämon gleich mehrere Nonnen in der
Kapelle zerschmettert (01:05:40–01:05:55), erklingt ebenfalls extradiegeti-
sche Filmmusik ohne bestimmbares harmonisch-tonales Zentrum, welche
sich aus einem undefinierbaren Blechbläsercluster, einer Glissando-Strei-
cherfläche und verschiedenen synthetischen und Soundeffekten zusammen-
setzt. Umgangssprachlich könnte man somit in allen drei Szenen von einem
Gebrauch atonaler Musik zur Untermalung der Tötungen sprechen, so wie es
u. a. bereits ein entsprechender Eintrag im Lexikon der Filmmusik vermuten
lässt: »[Atonalität ermöglicht] in der Musik neue Ausdruckswerte wie Schre-
cken, Trauer und Verzweiflung« (Holtsträter 2012, 49; vgl. hierzu auch Hei-
merdinger 2012). Jedoch ist diese Beschreibung nach der Schönberg’schen
4 Hierbei ist unklar, ob es sich eher um einen Rückblick oder um eine Vision der jungen
Novizin handelt, die das Geschehen aktiv mitzuerleben scheint.
5 Das Motiv erinnert somit an den von Hentschel beschriebenen Topos für Geisterge-
sänge in Opern des 18. und 19. Jhd., vgl. Hentschel (2023, 202–207).
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Definition6 nicht ganz zutreffend, daher werden im Folgenden solche und
ähnlich gestaltete Musiken ohne bestimmbares harmonisch-tonales Zentrum
als ›dissonant‹ bezeichnet. Am Ende des Films wird der Dämon von der jun-
gen Novizin besiegt, zerfällt unter lautem Getöse zu Staub und wird zugleich
von einem gigantischen Wasserstrudel in die Tiefe gerissen (01:26:37–
1:27:10). Diese Szene wird untermalt vom dramatischen Gesang eines ge-
mischten Chors, der von Streichern und Blechbläsern unterstützt wird. Es er-
klingen mehrere Mollakkorde, von denen insbesondere der e-Moll-Akkord
sehr präsent ist: Auf den Beginn in e-Moll folgt ein c-Moll-Akkord, welcher
wieder zurückkehrt zu e-Moll, gefolgt von d-Moll, der wiederum zu e-Moll
zurückgeführt wird. Diese Akkorde sind zum Teil durch zusätzliche Töne an-
gereichert, wie z. B. eine große None in der Oberstimme des ersten e-Moll-
Akkordes. In diesem Fall sind somit nicht nur einzelne Akkorde, sondern
auch ein eindeutiges harmonisch-tonales Zentrum (e) auszumachen, weshalb
diese und ähnlich gestaltete Musiken im Folgenden als ›konsonant‹ beschrie-
ben werden.
Während also sämtliche Tötungsszenen, in denen der Antagonist des Films
Täter ist, mit dissonanter Musik untermalt werden, wird die Szene seines ei-
genen Todes, welcher von der Protagonistin verschuldet ist, mit konsonanter
Musik untermalt.7 Diese Zuordnung (dissonante Klänge – böse / konsonante
Klänge – gut) hat bereits eine lange Tradition, wie z. B. die regelmäßige Ver-
wendung des dissonanten Intervalls ›Tritonus‹ in diabolischen und satani-
schen Kontexten zeigt (vgl. Gramann 1984, 52f.), und sie ist auch von ihrer
6 Atonale Musik sei dem Begriff nach Musik, welche ohne Töne komponiert ist (vgl.
Schönberg 1966, 407).
7 Auch Heimerdinger schreibt im Kontext nicht-tonal angelegter Musik im Film von
einer »Atmosphärischen Oppositionsbildung in Filmen mit überwiegend funktions-
harmonischer Musik« (2007, 105) und ordnet deren innerfilmische Wirkung somit als
kontrastierend zu tonal bzw. konsonant gestalteter Musik ein. Den Einsatz von Clus-
tern und geräuschhaften Klängen beobachtet sie allerdings nur im Zusammenhang mit
dem »Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion« (ebd., 105; vgl. auch
ebd., 106), was im Falle der hier beschriebenen Filme nicht zutrifft.
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unterschiedlichen emotionalen Wirkungsweise her bekannt: »Melodies com-
posed to sound joyful, dull, and peaceful were tonal, while angry melodies
could be atonal« (Gabrielsson 2009, 144, bzw. Thompson and Robitaille
1992).8
Die Zuordnung von dissonanter und konsonanter Musik zu diesen beiden un-
terschiedlichen Kontexten von Tötungsszenen findet sich nicht nur in aktuel-
len Horrorfilmen mit übernatürlichen oder anderweitigen Fabelwesen als An-
tagonisten, sondern auch in Horrorfilmklassikern wie TEXAS CHAINSAW MAS-
SACRE (USA 1974, Tobe Hooper). Hentschel schreibt dazu in einem eigens
diesem Film gewidmeten Kapitel: »Der vollständige Verzicht auf herkömm-
liche musikalische Klänge trägt in substanzieller Weise dazu bei, die Atmo-
sphäre des grundsätzlich Perversen, Zerrütteten und Morbiden hervorzuru-
fen« (Hentschel 2011, 68). Das bedeutet, dass von konsonanter Musik in der
Originalverfilmung gar kein Gebrauch gemacht wird. Neben diversen Neuin-
terpretationen und -verfilmungen dieser Geschichte innerhalb der letzten
50 Jahre erschien zuletzt die gleichnamige Fortsetzung TEXAS CHAINSAW
MASSACRE (USA 2022, David Blue Garcia), deren Handlung einige Jahre
nach der Fabel des ursprünglichen Films spielt und inhaltlich an diese an-
knüpft. Auch in der Neuverfilmung wurde größtenteils auf verstörende
Klänge und Geräusche anstelle herkömmlicher Musik zurückgegriffen, so
insbesondere bei diversen Tötungsszenen, in denen der Killer Leatherface im
Verlauf des Films unterschiedliche Filmcharaktere umbringt. Umso auffälli-
ger wirkt die Szene am Ende des Films, in der die beiden Schwestern und
Protagonistinnen des Films schließlich Leatherface zu töten scheinen, indem
8 Eine mögliche Erklärung für die unterschiedliche Wahrnehmung dissonanter und kon-
sonanter Musik könnte der unterschiedliche Grad der Vertrautheit damit sein (vgl.
Huron 2016; Lamont und Greasley 2016): Konsonante Musik dominiert nicht nur
elektronische Kinderspielzeuge, Handyklingeltöne, Werbespots und Straßenbahnsig-
nale, sondern wird z. B. auch alltäglich in großen Supermarktketten gespielt. Disso-
nant gestaltete Musik hingegen, wie sie im Rahmen der hier präsentierten Filmszenen
gefunden wurde, ist im alltäglichen Leben kaum vertreten und somit den meisten
Menschen weit weniger vertraut.
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sie ihn mit seiner eigenen Kettensäge aufschlitzen und mit einer Schrotflinte
beschießen, sodass er schließlich in einem großen Wasserbecken versinkt und
darin zu sterben scheint. Während dieser Tötungsszene schälen sich plötzlich
definierbare Tonhöhen aus all den verzerrten Klängen heraus, welche konso-
nante Intervalle aus langgezogenen Tönen einer äolischen Skala bilden
(01:10:35–1:12:02), und vermitteln so ein Gefühl der Erleichterung darüber,
dass der Schrecken nun überstanden und der bislang unauffindbare Killer nun
scheinbar doch besiegt wurde.9
Der Film RED HIDING HOOD (USA 2011, Cathrine Hardwicke) macht sich die-
ses dramaturgische Prinzip sogar in Hinblick auf einen zeitweise auftretenden
›Nebenantagonisten‹ zunutze: Neben dem Werwolf, welcher von Beginn des
Films an als der Hauptgegner präsentiert wird, taucht hier im Verlauf des
Films ein Priester auf, dessen Spezialgebiet die Jagd, Identifikation und Tö-
tung von Werwölfen ist. Dieser verhält sich jedoch gegenüber den unter den
Werwolfsangriffen leidenden Dorfbewohnern sehr grausam, indem er ein-
zelne von ihnen foltert und tötet, um so an Informationen über den Werwolf
zu gelangen. Als ihm schließlich der Werwolf eine Hand abbeißt und er somit
von diesem ›infiziert‹ wurde und selbst zum Werwolf zu werden droht, wird
er von einem seiner eigenen Wachsoldaten getötet. Während in den Szenen,
in welchen der Priester oder der Werwolf andere Filmcharaktere töten, disso-
nante, clusterbasierte extradiegetische Filmmusik zur Untermalung der Tö-
tungsszene eingesetzt wird, erklingt in den Momenten, in denen sowohl der
Priester als auch schließlich der Werwolf selbst getötet werden, konsonant
gestaltete Filmmusik: Eine Quint-/Quart-Klangfläche basierend auf den Tö-
nen d und a im ersten Fall und eine von Streichern und Blechbläsern domi-
nierte c-Moll-basierte Klangfläche im zweiten Fall. Auf diese Weise wird in
9 Allerdings wiegt die Musik das Publikum hier in falscher Sicherheit, da der Killer in
der letzten Szene des Films doch wieder auftaucht und eine der zwei Protagonistinnen
mit der Kettensäge tötet (01:13:28–1:13:40).
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beiden Sterbeszenen der zwei Antagonisten ein Gefühl der Erleichterung über
die ›Erlösung‹ von diesen Charakteren vermittelt.
In dem Film HOSTEL: PART III (USA 2011, Scott Spiegel) wird dieses Prinzip
noch deutlicher sichtbar. Hier werden von einer Untergrundorganisation zur
Belustigung reicher Schaulustiger der Reihe nach unterschiedliche Mitglieder
eines Junggesellenabschieds auf unterschiedliche Art zu dissonanter extradie-
getischer Filmmusik gefoltert und getötet (01:01:30–1:03:24). In dieser Szene
wird einer der Männer an einen Stuhl gefesselt, von einer als Catwoman mas-
kierten Frau mit einer Armbrust zunächst mehrfach nicht tödlich attackiert
und schließlich erschossen. Dazu erklingt eine auf verschiedenen syntheti-
schen, perkussiven und Effektklängen basierende, atonale Musik im geraden
Metrum. Eine vergleichbare musikalische Untermalung mit zusätzlichen
Streichern und Blechbläsern ist in einer Szene kurz darauf zu beobachten, als
einigen Gefangenen die Flucht gelungen ist und sich dabei einer der Wärter
und ein Flüchtender gegenseitig töten (01:14:01–1:14:20). Die Szenen hinge-
gen, in denen eindeutig nur Charaktere innerhalb der Untergrundorganisation
(egal, ob Wärter oder Anführer) getötet werden, sind mit eindeutig konsonan-
ter Musik unterlegt, so z. B. die Szene, in welcher die Gefangenen flüchten
und einer von ihnen einen Wärter umbringt (01:11:15–1:11:33). Der Gefan-
gene attackiert den Wärter mit einem Elektroschocker zu einem auf e-Moll
basierenden Streichermotiv mit zusätzlichen perkussiven Klängen. Eine
ebenfalls rhythmisch-flächig gestaltete Musik, dieses Mal basierend auf es-
Moll, untermalt die Szene, in der die beiden Hauptverantwortlichen der Or-
ganisation in einer Parallelmontage getötet werden (01:19:40–1:19:46). Hier
spielen Streichinstrumente zwei unterschiedliche ostinate Motive, kombiniert
mit verschiedenem Schlagwerk. Als in der letzten Szene des Films auch noch
der Verräter der Gruppe zur Rechenschaft gezogen und mithilfe eines Rasen-
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mähers getötet wird, übertönen die Motorengeräusche des Rasenmähers lei-
der sämtliche andere Geräusche auf der Tonspur, sodass hier nicht ermittelt
werden kann, ob überhaupt extradiegetische Filmmusik eingesetzt wird.
In der Horrorkomödie HAPPY DEATH DAY (USA 2017, Christopher Landon)
wird die Tötung eines Serienmörder durch die Protagonistin regelrecht hero-
isch dargestellt, obwohl sich schlussendlich herausstellt, dass dieser gar nicht
der Hauptantagonist des Films ist: In dem Moment, in dem die Hauptfigur
ihm mit einer Pistole mehrfach aus sicherer Distanz in die Brust schießt
(01:19:49–1:20:01), löst sich eine laute Streicher- und Blechbläserfläche ba-
sierend auf den Tönen e und h zu einem strahlenden C-Dur-Akkord auf und
eine abwärtsgeführte im Tremolo gespielte Melodie in den Streichern illus-
triert, wie der leblose Körper des Mannes schließlich an der Wand hinab zu
Boden rutscht. Die Sterbeszene der tatsächlichen Antagonistin10 ist hier aller-
dings – im Gegensatz zu den bislang genannten Beispielen – mit einem dis-
sonanten Cluster in Streichern und Blechbläsern unterlegt (01:26:30–
1:26:45). Möglicherweise soll auf diese Weise der Schock einer anderen Stu-
dentin untermalt werden, welche vor dem Haus Musik hört und erschrocken
aufschreit, als der Körper der Antagonistin zu ihren Füßen auf der Terrasse
zerschellt und sie selbst mit deren Blut bespritzt wird. Der Wechsel zu kon-
sonanter Filmmusik, die ein ›Happy Ending‹ ankündigt und die Auflösung
des Filmkonflikts versinnbildlicht, erfolgt erst nach diesem Aufschrei.
Eine ähnlich ›verzögerte‹ musikalische Auflösung ist auch im Falle des Films
A NIGHTMARE ON ELM STREET (USA 2010, Samuel Bayer) zu beobachten: Als
die Protagonistin Nancy dem Antagonisten Freddy Kruger die Machete in den
Bauch stößt, erklingt zunächst noch ein dissonantes Streichercluster, welches
10 Sie wird von der Protagonistin aus dem Fenster gestürzt, während sie sich panisch
Krümel ihres eigenen vergifteten Muffins vom Mund zu wischen versucht.
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dann leiser wird und schließlich in einen einzelnen, lang gehaltenen Violinton
mündet, als Freddy Kruger stirbt und zu Boden fällt (01:27:50–1:28:04).
In dem Film THE UNHOLY (USA 2021, Evan Spiliotopoulos) sind der Tod des
Dämons und damit die Auflösung des Filmkonflikts schließlich nicht nur mit
dissonanter Musik unterlegt, sondern die musikalische Auflösung in konso-
nante Musik erfolgt erst deutlich nach der Sterbeszene des Antagonisten.
Letztere (01:27:13–1:27:26) wird von einem dissonanten Cluster in Strei-
chern und Chor mit einzelnen unzusammenhängenden Klaviertönen unter-
malt. Die Ursache könnte in diesem Fall sein, dass der Dämon sich nur ver-
sehentlich selbst auslöscht, indem er seine eigene Tochter – eine Protagonis-
tin des Films – tötet, welche sich vor einen anderen Protagonisten stellt, um
diesen vor dem Angriff des Dämons zu beschützen. Die Musik bezieht sich
hier also vermutlich eher auf den tragischen Tod der Protagonistin, anstatt die
damit verbundene Auflösung des Filmkonflikts durch den gleichzeitigen Tod
des Antagonisten mit konsonanter Musik zu unterstreichen.
Fazit und Ausblick
Die hier vorgestellten Beispielanalysen lassen vermuten, dass in Bezug auf
die Vertonung verschiedener Tötungsszenen in aktuellen Thriller- und Hor-
rorfilmen von einer filmmusikalischen Topologie gesprochen werden kann:
Während die Tötung verschiedener als ›neutral‹ oder ›gut‹ charakterisierter
Filmfiguren überwiegend mit dissonanter Musik untermalt wird, wird die
(versuchte) Tötung von (Neben-)Antagonisten mit konsonanter Musik unter-
legt. Dahinter verbirgt sich vermutlich in erster Linie die narrative Intention,
die Auflösung des Filmkonflikts in dem Moment, in dem sie eintritt (oder
einzutreten scheint)11, mithilfe von konsonanter Musik zu verdeutlichen und
11 Wie bei den Beispielanalysen erwähnt, gibt es Filme, welche die Tötung des Antago-
nisten nur vortäuschen, um zum Schluss bei der unerwarteten Rückkehr desselben
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den Zuschauenden ein Gefühl der Erleichterung und Erlösung zu vermit-
teln.12 Jedoch ist zu befürchten, dass die so vermittelte Kopplung von konso-
nanter Musik im Falle von in moralischer Hinsicht ›zu befürwortenden‹ Tö-
tungsszenen und von dissonanter Musik im Falle von ›verabscheuungswürdi-
gen‹ Tötungsszenen mittlerweile so regelmäßig filmübergreifend genutzt
wird, dass eine entsprechende Zuordnung auch außerhalb des jeweiligen nar-
rativen Kontextes zu erwarten ist. So schreibt z. B. auch Lehmann (1994):
Die Situation mit ihren zeitlichen, räumlichen und personalen Konstan-
ten liefert die Ausgangsinformationen, die eine reine Kategorisierung
der aktuellen Situation durch den Hörer ermöglichen. Aus diesen Infor-
mationen und aktuell bestehenden Bedürfnissen wird, sofern ein Mu-
sikwunsch besteht, die Funktion (intendierte Wirkung) der Musik ab-
geleitet. Es ist denkbar, daß die Funktion der Musik im Sinne einer
Wert-Erwartungs-Theorie unter Rückgriff auf vergangene Erfahrung
(musikalische Wirkung) bestimmt wird. Eine bekannte Situation-Funk-
tion (SF) Verbindung führt zum Rückgriff auf den ›Erfahrungsschatz‹
von Verhaltensmustern, die aus früheren Rezeptionssituationen hervor-
gegangen sind. Sofern aktuelle und vergangene Rezeption positiv erlebt
und bewertet werden, ist eine zunehmende Gewohnheitsbildung bei der
Auswahl der Präferenz- und Rezeptionsmuster anzunehmen (Lehmann
1994, 123f.).
Übertragen auf den hier beschriebenen Fall der zwei unterschiedlichen Arten,
filmische Tötungsszenen zu vertonen, bedeutet das konkret: Es ist zu vermu-
ten, dass durch den Einsatz konsonanter und dissonanter Musik in moralisch
unterschiedlich gewichteten Tötungsszenen in Thriller- und Horrorfilmen Re-
zeptionsgewohnheiten geprägt werden, die eine moralische Manipulation des
einen umso größeren Schockmoment zu erzeugen: »Der Horror will, das ist seine Art
von Happy Ending, nicht so sehr auf die Vernichtung des Bösen hin (wir wissen sehr
genau, dass es wiederkehren muss), als auf seine Demaskierung« (Seeßlen 2006, 96;
Hervorhebung im Original).
12 Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich hier um eine rein zufällige Wirkung han-
delt; so beobachtet auch Heimerdinger in Hinblick auf den Einsatz von Neuer Musik
in Filmen, »[d]ass die betreffenden Werke bzw. Werkausschnitte meist in genau die-
sem Sinne eingesetzt werden, d. h. in dem Bewusstsein, welche Wirkung sie entfalten
und wie sie verstanden werden können« (2007, 119; Hervorhebung im Original).
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Publikums auch außerhalb eines gegebenen dramaturgischen Kontextes er-
möglichen könnten. Während somit die kontextlose Darstellung körperlicher
Gewalt mithilfe von unterlegter konsonanter Musik bei Zuschauenden ver-
mutlich eher die Assoziation hervorruft, der tötende Charakter sei der Prota-
gonist und der getötete der Antagonist, löst die gleiche Szene mithilfe von
unterlegter dissonanter Musik bei Zuschauenden möglicherweise eher die ge-
genteilige assoziative Rollenzuordnung aus. Diese Erkenntnis könnte ein
vielversprechender Ansatzpunkt sein, um einen Zusammenhang zwischen der
konkreten musikalischen Gestaltung von Filmmusik und dem Moralempfin-
den des Publikums in Tötungsszenen ohne diegetische Kontextualisierung zu
untersuchen, da mit dem Tod des Antagonisten zumeist ein Gefühl der Er-
leichterung verbunden ist und somit Tötungsszenen, die mit konsonanter Mu-
sik unterlegt sind, womöglich eher als ›moralisch vertretbar‹ wahrgenommen
werden. Zwar ist zum aktuellen Zeitpunkt bereits bekannt »[d]aß Musik auch
externe, ihr fremde und äußerliche Funktionen erfüllen kann und auf diese
Weise zur Manipulation von Menschen missbraucht werden kann« (Rinderle
2011, 272).13 Jedoch lässt sich ein konkreter Zusammenhang zwischen musi-
kalischer Gestaltung und moralischen Bewertungen derzeit weder beweisen
noch widerlegen, da es noch keine systematischen Untersuchungen hierzu
gibt (vgl. Rinderle, 151 und 278). Basierend auf den im vorliegenden Beitrag
präsentierten Überlegungen, wird daher derzeit von der Autorin eine empiri-
sche Studie konzipiert und durchgeführt, welche eine mögliche Beeinflus-
sung des Publikums bei kontextlosen Tötungsszenen durch unterschiedlich
gestaltete extradiegetische Filmmusik überprüfen soll. Sollte die Studie die
Hypothese bestätigen, wäre dies nicht nur ein erster Schritt in Richtung eines
13 Rinderle bezieht sich hier zwar in erster Linie auf eine missbräuchliche Verwendung
bestimmter Musikstücke und -genres für politische Zwecke, jedoch kann dieses Ar-
gument auch auf den Einsatz von Musik im Film übertragen werden – zumal auch in
diesem Kontext oft von verschiedenen ›Funktionen‹ der Filmmusik die Rede ist.
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wissenschaftlichen Nachweises zwischen musikalischer Gestaltung und un-
terschiedlicher moralischer Bewertung, sondern auch ein wichtiger Hinweis
auf eine unbewusst stattfindende Konditionierung durch den regelmäßigen
Konsum von dramaturgisch, visuell und musikalisch vergleichbar gestalteten
aktuellen Filmproduktionen.
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Hardt, Susanne: Mord und Totschlag – Überlegungen zum Potenzial der Filmmusik in Horror-
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Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung (ISSN 1866-4768)
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