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Digitale Fortschritte in der Gesichtsweichteilrekonstruktion: Von manuellen
Methoden zu Künstlicher Intelligenz
Svenja Preuß und Dirk Labudde
Hochschule Mittweida - University of Applied Sciences
Abstract
Der Artikel behandelt die Entwicklung der Gesichtsweichteilrekonstruktion (GWR) von analogen zu digitalen
Methoden. Letztere umfassen seit geraumer Zeit auch Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI), welche als
vielversprechender Ansatz zur Verbesserung von Genauigkeit und Effizienz hervorgehoben werden. Die Integration
von Maschinellem Lernen, mit Erweiterung der Datengrundlage unter Einbezug von CT- und MRT-Daten, eröffnet neue
Perspektiven für die GWR.
1. Motivation und Anfänge der Gesichtsweichteilrekonstruktion
In einem hypothetischen Szenario wird eine Leiche unbekannter Identität aufgefunden, welche sich bereits im
Stadium der Skelettierung befindet, ein Prozess, der durch natürliche Verwesungsprozesse und Fäulnis in
Gang gesetzt wurde. Dieses Phänomen ist das Ergebnis von mikrobieller Aktivität und Umweltfaktoren, die
das einst vorhandene Weichteilgewebe sukzessive abgebaut haben. In Anbetracht dieser Situation steht eine
zentrale Herausforderung im Raum die Identifikation des Verstorbenen. Traditionelle
Identifikationsmethoden wie die Analyse von Fingerabdrücken erweisen sich in diesem Kontext als nicht
anwendbar, da das Fehlen von Weichteilgewebe diese Ansätze ausschließt. Auch die Anwendung moderner
Techniken wie DNA-Untersuchungen und die Analyse des Zahnstatus lassen die Identität des Verstorbenen
weiterhin im Unklaren, da kein Vergleichsmaterial zur Verfügung steht. In diesem Kontext stellt ein Fachgebiet,
welches im deutschsprachigen Raum meist als Gesichtsweichteilrekonstruktion (GWR) bezeichnet wird, die
letzte Möglichkeit dar, dem unbekannten Toten wieder ein Gesicht zu geben. Dieses wissenschaftliche Gebiet
befasst sich mit der Rekonstruktion des äußeren Erscheinungsbildes einer Person anhand des Schädels.
Hierbei wird meist zwischen der forensischen GWR und GWR im archäologischen Kontext unterschieden. Die
forensische GWR hat vorrangig das Ziel, ein möglichst präzises Abbild des Individuums zu rekonstruieren. Die
dabei entstehenden Bilder sollen anschließend für den Identifikationsprozess der betreffenden Person
genutzt werden. In einem archäologischen Kontext liegt der Fokus bei der Rekonstruktion nicht mehr auf der
Identifikation der Person. Meist ist diese, bei Rekonstruktion historisch wichtiger Persönlichkeiten, sogar
bereits bekannt. Vielmehr strebt man eine sinnbildhafte Darstellung des Menschen und seiner Kultur zu
Lebzeiten an. [1]
Die ersten 3D-Rekonstruktionen von Gesichtern wurden durch analoge, manuelle Modellierungen aus Ton
oder anderem geeigneten Material direkt auf dem Schädel oder einer Replik desselben realisiert [2]. Hierbei
stehen diverse Methoden zur Verfügung, wobei sich viele dieser Methoden auf Gewebedicken, die an präzisen
anatomischen Punkten im Gesicht gemessen und dann durch Weichteilmarkierungen repräsentiert werden,
stützen [3]. Alternativ basieren andere Verfahren auf einer muskulären Rekonstruktion des Gesichts, indem
spezifische Gesichtsmuskeln und deren Verbindungen zu den Knochenstrukturen berücksichtigt werden [3].
Darüber hinaus existieren auch Varianten, welche die beschriebenen Methoden kombinieren [3]. Zusätzlich
zum Schädel werden anthropologische Informationen zum biologischen Profil des unbekannten Toten in den
Rekonstruktionsprozess integriert [1, 2]. Diese Informationen beinhalten das geschätzte Alter, das Geschlecht,
die geografische Herkunft und andere individuelle Merkmale, die auf einer präzisen Auswertung der
Schädelform [2] sowie einer erweiterten DNA-Analytik [1, 4] basieren.
2. Digitale Methoden der Gesichtsweichteilrekonstruktion
Durch die Digitalisierung wurde die Gesichtsweichteilrekonstruktion mithilfe von 3D-Computergraphik
signifikant weiterentwickelt. Sie ermöglicht zunächst die Digitalisierung des Schädels als digitales,
dreidimensionales Modell. Dies stellt einen ersten Schritt zur Lösung der Problematik des direkten Anbringens
von Material auf den originalen Schädel dar [1]. Demnach kann nun von einem Schädel mittels moderner
bildgebender Verfahren, beispielsweise mittels Computertomographen (CT), Fotogrammmetrie oder
Laserscanner, ein digitales Abbild angefertigt werden [1]. Infolgedessen erlaubt die Verwendung von 3D-
Grafiksoftware eine äquivalente Modellierung der Gesichtsweichteile im Vergleich zu den herkömmlichen
analogen Methoden direkt auf dem digitalen Modell des Schädels [1], wodurch es nicht notwendig ist, das
Original aufwendig zu replizieren. Zusätzlich entstand ein hohes Interesse daran, mittels digitaler Methoden
die Genauigkeit und Geschwindigkeit der analogen Methoden weiter zu verbessern [2]. Seitdem hat sich ein
breites Spektrum an Methoden zur GWR im digitalen Raum entwickelt. Die digitalen Methoden integrieren
sowohl 2D-Techniken, beispielsweise die Superimposition von frontalen Schädelaufnahmen eines
Individuums mit frontalen Aufnahmen potenzieller Vermisster [5], als auch 3D-Verfahren, wobei der Fokus in
dieser Untersuchung auf den letztgenannten Methoden liegt. Diese sollen zur besseren Strukturierung in drei
Kategorien eingeteilt werden manuelle Methoden, semi-automatisierte Methoden und automatisierte
Methoden. Im Weiteren wird für jede dieser Kategorien ein exemplarisches Beispiel näher erörtert. Ziel ist es,
ein tieferes Verständnis dieser Klassifizierung zu vermitteln und einen kleinen Einblick in das Spektrum
digitaler Methoden der GWR zu geben.
2.1 Manuelle Methoden – Modellierung in einer 3D-Grafiksoftware
Manuelle Ansätze setzen auf die Prinzipien der analogen GWR und überführen diese in den digitalen Kontext.
3D-Grafiksoftware ermöglicht die Modellierung von sogenannten 3D-Meshes, welche eine dreidimensionale
Abbildung geometrischer Objekte darstellen. Ein 3D-Mesh setzt sich aus einer Vernetzung von Punkten, den
sogenannten Vertices, zusammen und definiert die Struktur eines dreidimensionalen Modells durch
Eckpunkte, Kanten und Flächen. Jeder Vertex repräsentiert einen Punkt im Raum, während die Kanten diese
Punkte miteinander verbinden, um die Form des Objekts zu beschreiben. Die Flächen des Meshs entstehen
durch die Verbindung der Kanten zu Polygonen wie Dreiecken oder Vierecken. Durch die Subdivision des
Meshes in zusätzliche Vertices und Polygone kann der Detailgrad des Modells erhöht werden. [6]
Moraes, Miamoto und Melani [8] geben eine umfassende Beschreibung zur Umsetzung einer
Gesichtsweichteilrekonstruktion in der Open-Source Grafiksoftware Blender [7]. Das beschriebene Vorgehen
umfasst zunächst, nach erfolgter Digitalisierung des Schädels und Import in die Grafiksoftware, das Setzen
von Pfeilen definierter Länge auf die Schädeloberfläche. Diese Pfeile bilden das Äquivalent zu den
Weichteilmarkern im analogen Raum. Die Längen richten sich nach denselben Tabellen wie bei der analogen
Rekonstruktion, welche individuell für Alter, Geschlecht, geografische Herkunft und Gewicht, sofern bekannt,
sind. Die Pfeile werden von dem Bearbeiter manuell gesetzt und ihre Längen eingestellt. [8]
Teilweise existieren hier bereits Verfahren, welche automatisch die entsprechenden Tabellen importieren, und
die Pfeile vorinitialisieren. Dies beschleunigt den Prozess, da die Längen bereits voreingestellt sind und nicht
manuell angepasst werden müssen. [1]
Unter Anwendung konventioneller analoger Rekonstruktionsverfahren werden Skizzenlinien genutzt, um die
Ausrichtung sowie Form der Augen, der Nase, der Lippen und der Augenbrauen zu erfassen. Die ungefähre
Profilform des Gesichts entsteht durch die Verbindung der Scheitelpunkte der Weichteilmarker. Der
Modellierungsprozess beginnt mit der Positionierung von Augäpfeln anhand vordefinierter Vorlagen. Zur
Umsetzung wird ein zusätzliches Kugel-Mesh um den Schädel erstellt, das diesen vollständig umschließt. Das
Kugel-Mesh wird anschließend auf die Schädelform verkleinert, wobei die Vertices an die nächstgelegene
Position auf der Schädelfläche verschoben werden. Der Rekonstruktionsprozess setzt sich iterativ fort, wobei
die abstrakte Form durch wiederholtes Aufteilen und Modellieren geformt und geglättet wird, bis die
muskuläre Struktur auf dem Schädel nachgebildet ist. Das Muskel-Mesh wird kopiert und als Ausgangspunkt
für die Modellierung der Hautschicht verwendet. Durch erneutes Aufteilen, Formen und Glätten entsteht die
Hautschicht, orientiert an der lateralen Zeichnung und angebrachten Weichteilmarkern. Ein generisches
Gesichtsmodell wird zur Ergänzung der Lippen, der Ohren und des Nackens an das aktuelle Modell angepasst.
Individuelle Anpassungen wie Haare, Falten und Narben können sowohl manuell als auch mithilfe von
Templates erfolgen. [8]
2.2 Semi-automatisierte Methoden – „Warping“ eines generischen Meshes anhand
geometrischer Morphometrie
Semi-automatisierte Methoden integrieren Verfahren, welche Teilschritte des Rekonstruktionsprozesses
ing (dt. Verzerren,
Verformen, V
Strukturen, oft im Zusammenhang mit geometrischen Transformationen, um Veränderungen oder
Anpassungen in der Form zu erreichen.
[9] nutzen eine Kombination aus geometrischer Morphometrie und statistischen Modellen,
um ein generisches 3D-Mesh eines Gesichts so zu deformieren, dass es auf den entsprechenden Schädel
passt. Zunächst platziert der Benutzer manuell 78 Landmarken auf dem Schädel an vordefinierten Positionen
oder bestimmt die Koordinaten dieser Landmarken und übermittelt sie dem Programm. Nach diesem
manuellen Schritt erfolgt die automatisierte Rekonstruktion. Die Weichteildicken werden auf die definierten
Knochen-Landmarken projiziert, äquivalent zu Weichteilmarkern, basierend auf Anwenderangaben wie Alter,
Geschlecht, geografischer Herkunft und Gewicht, als Korpulenz bezeichnet. Bei fehlenden Angaben werden
durchschnittliche Werte angenommen, wobei der Fehler in der Weichteildicken-Schätzung im Schnitt bei 2,2
mm liegt. Zusätzlich zu den Knochen-Landmarken werden die Positionen sensorischer Landmarken
automatisch geschätzt, die spezifische anatomische Punkte im Gesicht repräsentieren. Diese sensorischen
Landmarken werden verwendet, um die Position und Form der Gesichtsorgane zu approximieren. Für die
Anpassung des generischen Gesichtsmeshs an den Schädel entwickelten die Autoren einen eigenen Prozess,
der in zwei Hauptphasen unterteilt ist - eine globale Verzerrung und eine lokale Verzerrung. Die globale
Verzerrung erfolgt durch aufeinanderfolgende Translationen und Rotationen auf die Quelllandmarken und
das generische Gesicht, um sie bestmöglich mit den geschätzten Zielmarken abzustimmen. Dies ermöglicht
die Ausrichtung des synthetischen Gesichts auf den Ziel-Schädel. Die lokale Verzerrung erfolgt ausschließlich
auf den sensorischen Landmarken, um eine präzisere Formanpassung zu erreichen, wobei die
durchschnittlichen Abstände zwischen gemessenen und geschätzten Orientierungspunkten etwa 4,39 mm
betragen. Nach dieser Methode können individuelle Merkmale wie Haare, Falten und Narben manuell
angepasst werden. [9]
Die Platzierung der Weichteilmarker bleibt trotz der automatischen Abschätzung der Weichteildicke ein
manueller Prozess. Die Modellierung der Weichteile und Gesichtsorgane ist vollständig automatisiert, basiert
jedoch lediglich auf einer Schätzung mithilfe eines generischen Meshes. Der abschließende Schritt der
Individualisierung erfolgt erneut auf manueller Basis.
2.3. Automatisierte Methoden – Generierung eines Gesichtsraums mithilfe von PCA
Automatisierte Methoden beinhalten keine manuellen Schritte, wie das Setzen von Landmarken oder die
Modellierung von Weichteilen. Häufig entfernen sich diese Methoden zunehmend von der ursprünglichen
analogen Vorstellung und berücksichtigen nicht explizit Weichteilmarker, Muskelansätze und ähnliches.
Turner et al. [10] konzipieren einen spezifischen Gesichtsraum (Face Space), indem sie die
Hauptkomponentenanalyse (engl. Prinicipal Component Analysis, PCA) auf das Spektrum von Schätzungen des
untersuchten Gesichts anwenden. Die Methode basiert auf Informationen einer Anzahl von bekannten
Gesichtern aus einer Datenbank. Das Ziel besteht darin, eine Deformation zu bestimmen, die bei Anwendung
auf ein bekanntes Gesicht eine Annäherung an ein zu untersuchendes Gesicht erzeugt. Hierbei soll die
Deformation die Weichteilstruktur des bekannten Gesichts übertragen und gleichzeitig Abweichungen
aufgrund unterschiedlicher Skelettstrukturen anpassen. Die notwendige Deformation kann durch eine
Transformation bestimmt werden, die den bekannten Schädel auf den zu untersuchenden Schädel abbildet.
Durch Anwendung dieses Prozesses mit einer geeigneten Teilmenge bekannter Schädel entsteht eine Menge
von Schätzungen für den unbekannten Schädel. Diese Schätzungen werden anschließend durch eine eigens
definierte Vektordarstellung repräsentiert, die die Variation der Weichteildicken innerhalb der Bevölkerung
unabhängig von der Skelettstruktur abbilden soll. Der Ursprung des Koordinatensystems liegt in der Mitte der
Kopfbasis, wobei die Z-Achse zur Kopfoberseite zeigt, die X-Achse zur linken Kopfseite und die Y-Achse zur
Kopfvorderseite. Mittels dieser Darstellung wird eine PCA auf der Menge der Schätzungen durchgeführt, um
einen Gesichtsraum zu generieren. Dieser Raum bildet das wahrscheinlichste Gesicht und die Variation des
Gesichts innerhalb der Population ab, wobei der Durchschnitt den Ursprung bildet. Eine horizontale
Verschiebung repräsentiert eine Veränderung der Gesichtsbreite, während eine vertikale Verschiebung
subtilere Merkmale der Wangen und des Halses erfasst. Durch Hinzufügen von a priori Wissen, etwa zu
Schädelausmaßen oder biologischem Profil, kann die Auswahl einer geeigneten Datengrundlage bekannter
Gesichter zur Generierung des Gesichtsraums spezifiziert werden, wodurch genauere Ergebnisse erzielt
werden können. Falls keine Vorkenntnisse vorliegen, wird ähnlich der vorherigen Methode ein
durchschnittliches Gesicht angenommen. [10]
3. Erweiterung mittels KI
Häufig wird bei digitalen Methoden, insbesondere wenn sie automatisiert sind oder automatisierte Teilschritte
beinhalten, an Künstliche Intelligenz (KI) gedacht. Die oben beschriebenen Verfahren beinhalten jedoch noch
keine Algorithmen, welche unter den Begriff der KI fallen könnten. Die fortschreitende Integration von KI in
verschiedene Disziplinen hat bedeutende Fortschritte in der Bearbeitung komplexer Probleme ermöglicht. In
diesem Zusammenhang eröffnet die Anwendung von KI-Technologien im Bereich der forensischen
Anthropologie neue Dimensionen der Gesichtsweichteilrekonstruktion. Sie verspricht nicht nur die Steigerung
der Rekonstruktionsgenauigkeit und Beschleunigung des gesamten Identifikationsprozesses, sondern auch
die Möglichkeit einer gesteigerten Objektivität und Umsetzung einer Standardisierung. Vanezis et al. [2]
betrachten in ihrer Arbeit die Abhängigkeit der Rekonstruktionsgenauigkeit von der Geschicklichkeit,
Erfahrung sowie dem subjektiven Bias des Rekonstrukteurs kritisch und äußern die Hoffnung, mit digitalen
Methoden die Genauigkeit verbessern und den Prozess beschleunigen zu können [2]. Teilweise ist von einer
Stephan [11] zitiert eine der frühen Studien, in der zwei
Rekonstrukteure beauftragt wurden, an demselben Schädel eine Rekonstruktion durchzuführen [11]. Die
Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass signifikante Unterschiede in den resultierenden Rekonstruktionen
festzustellen waren [11]. KI zeichnet sich durch Objektivität aus, da sie auf vordefinierten Algorithmen basiert.
Ihre konsistente Ausgabengewissheit bleibt unverändert, unabhängig vom Anwender und der temporalen
Zwischenperiode bei wiederholter Eingabe identischer Daten. Diese inhärente Eigenschaft betont die
gleichförmige und stabile Charakteristik von KI-Entscheidungsprozessen, was in verschiedenen Domänen, von
datengetriebener Analyse bis hin zu automatisierten Abläufen, von erheblichem Nutzen ist. Eine Arbeit von
Nguyen et al. [12] zeigt bereits, dass es auch mit einem geringen Dateninput von 209 Datenpunkten möglich
ist, mittels eines Deep Learning Ansatzes auf Grundlage der Gesichtsform auf den darunterliegenden
spezifischen Schädel zu schließen [12]. Dies bildet den entgegengesetzten Ansatz zur
Gesichtsweichteilrekonstruktion. Ein erster Ansatz zur Gesichtsweichteilrekonstruktion mittels linearer
Regression stellen Paysan et al. [13] in ihrer Arbeit vor [13]. Lineare Regression ist eine grundlegende Technik
im Bereich des Maschinellen Lernens (ML), bei der versucht wird, die Beziehung zwischen einer oder mehreren
Eingabevariablen und Ausgangsvariablen durch Anpassung einer linearen Gleichung zu modellieren. Die
Ergebnisse von Paysan et al. [13] zeigen, dass die Rekonstruktionsergebnisse mit einer mittleren absoluten
Abweichung (engl. Mean Absolute Error, MAE) von 2,85 mm im Allgemeinen nah am Originalgesicht liegen [13].
Allerdings glauben sie daran, dass unter anderem mithilfe anspruchsvollerer Methoden des Maschinellen
Lernens die Ergebnisse weiter verbessert werden könnten [13]. Durch die Integration komplexerer
Algorithmen des Maschinellen Lernens und fortgeschrittener 3D-Modellierungstechniken wird angestrebt, an
diesem Punkt anzusetzen und den Forschungsstand auf diesem Gebiet weiter voranzutreiben.
Die Erforschung komplexer Fragestellungen, insbesondere im Kontext KI, erfordert eine fundierte Grundlage
in Form umfangreicher und hochwertiger Daten. Zahlreiche methodische Ansätze, die bereits
vielversprechende Ergebnisse demonstriert haben, betonen, dass eine Erweiterung der Datenbasis
wahrscheinlich eine weitere Verbesserung der Resultate, mit feineren und individuelleren Details, bewirken
kann [10, 12, 13]. Um eine effektive Rekonstruktion zu ermöglichen, bei der individuelle Merkmale erfasst und
abgebildet werden, ist demnach eine umfassende Anzahl von Individuen erforderlich. Der erste essenzielle
Schritt dieser Arbeit besteht daher darin, einen Datensatz zu erstellen, der sowohl quantitativ als auch
qualitativ den Anforderungen entspricht (siehe Abbildung 1: Bereich Datensatzgenerierung. In modernen
digitalen Methoden der GWR bilden zahlreiche Veröffentlichungen eine Grundlage für die Verwendung von
Daten der Computertomographie (CT) [9, 10, 12], teils erweitert durch Informationen der
Magnetresonanztomographie (MRT) [13]. Diese Methoden zeigen, dass eine präzise Extraktion sowohl des
Schädels als auch der äußersten Weichteilschicht durch den Einsatz von speziellen Filtern, welche auf
Pixeldichtewerten beruhen [12], möglich ist [6]. Die Extraktion dieser anatomischen Strukturen ist
entscheidend für weiterführende Analysen und Rekonstruktionen. Um eine Datengrundlage zu schaffen und
eine umfassendere Perspektive zu gewährleisten, wird vermehrt auf die Nutzung von CT-Daten gesetzt.
Abbildung 1 Konzeptioneller Ablauf der KI-gestützten GWR. Hinweis: Für diese Abbildung standen zunächst nur CT-
Daten von Oberkiefer bis Kopfscheitelpunkt zur Verfügung. Quelle der CT-Daten: InVesalius[14]
Ist es möglich mittels Methoden der Künstlicher Intelligenz ein Modell zu trainieren und zu optimier, welches es
ermöglicht präzise Gesichtsweichteilvorhersagen automatisiert durchzuführen?
Hauptforschungsfrage
Jedoch soll ebenfalls die Integration von MRT-Daten zur Erweiterung der Datengrundlage untersucht werden.
Im nächsten Schritt sollen verschiedene Methoden des Maschinellen Lernens miteinander verglichen und in
Bezug auf die spezifische Forschungsaufgabe optimiert werden. Hierbei sind zahlreiche Fragestellungen zu
klären, darunter die Auswahl geeigneter ML-Modelle und die Entwicklung angemessener Fehlerfunktionen
sowie Metriken (siehe Abbildung 1: Bereich Modellerstellung und Training. Das übergeordnete Ziel besteht
darin, KI so zu trainieren, dass sie eigenständig und ausschließlich auf Basis von Schädeldaten sowie
optionalen Zusatzinformationen zum biologischen Profil (wie Geschlecht, Alter, geografische Herkunft, BMI
etc.) in der Lage ist, individuelle Gesichtsweichteile im 3D-Raum präzise zu rekonstruieren. Die optionalen
Zusatzinformationen müssen für den Trainingsprozess in die Datengrundlage integriert werden und könnten
aus Patienteninformationen extrahiert werden. Zur Vorhersage unbekannter Schädel in späteren Phasen ist
es notwendig, diese Informationen durch anthropologische Untersuchungen oder die Anwendung der DNA-
Analytik zu gewinnen. Dieser ganzheitliche Forschungsansatz vereint eine interdisziplinäre Herangehensweise,
hochmoderne Bildgebungstechniken und fortschrittliche Methoden des Maschinellen Lernens, um einen
bedeutenden Fortschritt im Bereich der automatisierten Gesichtsweichteilrekonstruktion zu erzielen.
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Joachim; Notni, Gunther und Süße, Herbert: Pattern Recognition, DAGM 2009. Lecture Notes in
Computer Science, 5748, Berlin, Heidelberg: Springer, 232 241.
[14] InVesalius (2007-2024): Downloads, [online] https://invesalius.github.io/download.html [27.02.2024].