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ARTIKEL
https://doi.org/10.1007/s41682-024-00176-5
Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik (2024) 8:325–356
„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende
Wahrnehmungen in Deutschland lebender Jüdinnen
und Juden zum politisch-islamischen Antisemitismus
als Problem und Debatte
Heiko Beyer · Bjarne Goldkuhle · Niklas Herrberg · Melanie Reddig
Eingegangen: 1. März 2024 / Überarbeitet: 2. Juli 2024 / Angenommen: 5. Juli 2024 / Online publiziert:
16. September 2024
© The Author(s) 2024
Zusammenfassung Die vorliegende Mixed-Methods-Studie untersucht die unter-
schiedlichen Perspektiven in Deutschland lebender Jüdinnen und Juden zum Thema
des politisch-islamischen Antisemitismus sowie zur gesellschaftlichen Debatte um
„importierten Antisemitismus“. Anhand eines Survey-Experiments (n= 295) zeigt
der Beitrag zunächst, dass die Bedrohung als weniger gravierend wahrgenommen
wird und die Differenzierung zwischen „Muslimen“ und „radikalen Muslimen“ zu-
nimmt, je stärker die konkrete persönliche Betroffenheit im Vergleich zur allgemei-
nen Problemwahrnehmung angesprochen wird. Insbesondere links eingestellte und
höher gebildete Befragte unterscheiden hinsichtlich der Bedrohungswahrnehmun-
gen stärker zwischen „Muslimen“ und „radikalen Muslimen“. Die qualitativen In-
terviews offenbaren eine kritische Haltung gegenüber der Debatte um „importierten
Antisemitismus“, weisen jedoch gleichzeitig auf das reale Problem des politisch-is-
lamischen Antisemitismus hin. Die gesellschaftliche Debatte wird oft als moralische
Selbstvergewisserung rechter und linker Gruppen betrachtet, wobei rechte Gruppen
ihren eigenen Antisemitismus auf Muslimas und Muslime projizieren und linke
Gruppen Antisemitismus nur als rechtsextremes Phänomen betrachten, wodurch der
politisch-islamische Antisemitismus ausgeblendet werde. Die Befragten assoziieren
Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen und die davon ausgehende Bedro-
hung eher mit einer radikalen Auslegung des Islam als mit der islamischen Religion
oder der muslimischen Gemeinschaft als solcher.
Schlüsselwörter Antisemitismus · Jüdische Studien · Hasskriminalität ·
Islamismus · Mixed-Methods
Heiko Beyer · Bjarne Goldkuhle · Niklas Herrberg · Melanie Reddig
Institut für Sozialwissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
E-Mail: beyerh@hhu.de
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„Imported antisemitism“? Differentiated perceptions of jews living in
Germany regarding political-islamic antisemitism as a problem and
debate
Abstract The present mixed-methods study examines the diverse perspectives of
Jews living in Germany on the issue of political-Islamic antisemitism, as well as the
societal debate surrounding “imported antisemitism.” Based on a survey experiment
(n=295), the study first demonstrates that the perceived threat is seen as less severe
and that the distinction between “Muslims” and “radical Muslims” increases the
more the focus shifts from general problem awareness to specific personal experi-
ences. In particular, respondents with left-leaning political views and higher levels
of education tend to differentiate more strongly between “Muslims” and “radical
Muslims” in their perception of threats. The qualitative interviews reveal a critical
stance towards the debate on “imported antisemitism” while simultaneously pointing
to the real problem of political-Islamic antisemitism. The societal debate is often
perceived as a form of moral reassurance for both right- and left-wing groups, with
right-wing groups projecting their own antisemitism onto Muslims, and left-wing
groups viewing antisemitism exclusively as a right-wing extremist phenomenon,
thereby overlooking political-Islamic antisemitism. The respondents tend to asso-
ciate antisemitism among Muslims and the resulting threat more with a radical
interpretation of Islam than with the Islamic religion or the Muslim community as
a whole.
Keywords Antisemitism · Jewish studies · Hate crimes · Islamism · Mixed
methods
1 Einleitung
Mit dem Überfall der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, dem rund
1200 Menschen zum Opfer fielen und bei dem etwa 200 Geiseln in den Gazastrei-
fen entführt wurden, stellt sich eine bis dahin in der deutschen Öffentlichkeit immer
wieder verdrängte Frage mit neuer Virulenz: Wie groß ist das Problem des politisch-
islamischen Antisemitismus (PIA)1für hier lebende Jüdinnen und Juden? Innerhalb
der ersten drei Wochen nach dem Hamas-Massaker registrierte das Bundeskriminal-
amt über 2000 antisemitische Straftaten, darunter mehrere hundert Gewaltstraftaten
(Gann 2023). Jüdische Kinder konnten in Berlin aufgrund der Bedrohungslage nicht
die Schule besuchen (DPA 2023) und Häuser von Jüdinnen und Juden wurden mit
1*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes „Auswirkungen des radikalen Islam auf jüdisches Leben
in Deutschland (ArenDt)“ entstanden, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
unter dem Förderzeichen 01UG2034 gefördert wurde.
Unter dem Begriff des politisch-islamischen Antisemitismus (PIA) verstehen wir eine soziale Bewegung,
die die Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel hat und sich dabei auf eine politische Ideologie bezieht, in
der eine Politisierung der islamischen Religion und eine Religionisierung des Politischen angestrebt wird
(vgl. Tibi 2021; Seidensticker 2014; Rohe 2010). Eine ausführlichere Diskussion zum PIA-Begriff und
ähnlichen Konzepten findet sich in Abschn. 2.
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Davidsternen markiert (Marina 2023). In Berlin-Neukölln verteilte die inzwischen
vom Innenministerium verbotene Gruppe Samidoun Süßigkeiten, um die Anschläge
zu feiern (Frhlich et al. 2023). In Essen wurde eine pro-palästinensische Demons-
tration von Islamisten angemeldet und dominiert (Wernicke 2023).
Schon vor dem Angriff der Hamas hatte die Anzahl der antisemitischen Straftaten
seit 2001 über die letzten Jahre hinweg stetig zugenommen (Brandt 2023)–derbis-
herige Höchstwert, der im Jahr 2021 mit 3027 Straftaten registriert wurde, wird im
Jahr 2023 aller Voraussicht nach bei Weitem übertroffen2. Die überwiegende Mehr-
heit der im Jahr 2022 verübten Taten (2185) hat einen rechtsextremen Hintergrund.
Beim zweithäufigsten Tatmotiv (67 Fälle) handelte es sich den Behörden zufolge
um „ausländische Ideologien“ (BMI 2023). In Betroffenenbefragungen verteilt sich
die zugeschriebene Motivlage deutlich anders: So berichteten 41 % der antisemitisch
verbal belästigten und 60% der körperlich angegriffenen deutschen Jüdinnen und
Juden in der Befragung der Fundamental Rights Agency (FRA) aus dem Jahr 2018
einen „islamistischen Hintergrund“ und 20% der antisemitisch verbal belästigten
bzw. 17% der körperlich angegriffenen einen rechtsextremen Hintergrund (Beyer
und Liebe 2020).3Da es sich bei der FRA-Befragung um keine repräsentative Erhe-
bung handelt, sind Selektionseffekte nicht auszuschließen, die zu einer Verzerrung
der Werte führen könnten. Dennoch verdeutlicht dieser Kontrast, dass das Problem
des PIA möglicherweise innerhalb der jüdischen Gemeinschaft stärker wahrgenom-
men wird als von den Strafverfolgungsbehörden, die zudem mit vergleichsweise
unspezifischen Kategorien wie „ausländischer“ oder „religiöser Ideologie“ arbeiten.
Repräsentative Meinungsbefragungen stützen eher die These, dass bestimmte For-
men des Antisemitismus, vor allem israelbezogener aber auch tradierter Antisemi-
tismus, unter Muslimas und Muslimen verbreiteter ist als in der nicht-muslimischen
Bevölkerung (Öztürk und Pickel 2022). Gleichzeitig wird innerhalb der öffentli-
chen Debatte das Problem des Antisemitismus nicht selten einseitig auf Muslimas
und Muslime projiziert. Insbesondere rechtspopulistische Akteurinnen und Akteure
sowie Parteien verwenden dabei das Narrativ des „importierten Antisemitismus“,
welches suggeriert, dass Antisemitismus erst durch die großen Migrationsbewegun-
gen der letzten 10 Jahre in Deutschland zu einem Problem geworden sei. Mehr oder
weniger explizit wird dabei auf muslimische Migrantinnen und Migranten, speziell
aus dem nordafrikanischen Raum, verwiesen. Zwar sind in diesen Ländern antisemi-
tische Einstellungen sehr weit verbreitet (Öztürk und Pickel 2022). Der Begriff des
„importierten Antisemitismus“ kaschiert jedoch nicht nur die verschiedenen Erschei-
nungsformen des Antisemitismus in der nicht-migrantischen Bevölkerung, indem er
das Problem externalisiert, sondern er verhindert auch eine tiefergehende Analyse
der Ursachen und Mechanismen des PIA.
2Die Zahlen des BMI für das Jahr 2023 lagen zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes noch nicht vor.
3Leider lassen sich die offiziellen des Bundeskriminalamtes bzw. des BMI nur bedingt mit jenen von
Betroffenenbefragungen vergleichen, weil die staatlich erfassten Straftaten nur sehr allgemein in die Ka-
tegorien „ausländische Ideologien“ und „religiöse Ideologien“ sowie „rechte“ und „linke“ Hintergründe
eingeteilt werden. Da die zugrundeliegende Motivation antisemitischer Straftaten nicht immer ermittelt
werden kann, bleibt diese Kategorisierung in erheblichem Maße spekulativ.
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328 H. Beyer et al.
Insgesamt dürfte eine der größten Aufgaben der Antisemitismusforschung darin
bestehen, sich von den öffentlich-diskursiven (d.h., politisierten) Schismen nicht be-
einflussen zu lassen und stattdessen mittels theoretischer, konzeptueller und metho-
discher Expertise die Motive und die Verbreitung des PIA zu untersuchen. Während
für den ersten Bereich inzwischen wichtige theoretische und historische Beiträge er-
schienen sind (Benz und Wetzel 2007; Holz und Kiefer 2010;Kiefer2006; Küntzel
2003), gibt es bisher nur wenige Studien, die sich dem Phänomen empirisch nähern
(Öztürk und Pickel 2022; Arnold und König 2019;Jikeli2015). Noch wenigere
Studien berücksichtigen dabei die Perspektiven der vom PIA (potenziell) betroffe-
nen Jüdinnen und Juden, obgleich nur diese darüber Auskunft geben können, wie
stark sie sich durch antisemitische Übergriffe bedroht fühlen sowie welche Grup-
pen sie konkret als bedrohlich empfinden. Solche subjekt-bezogenen Studien sind
zwar nicht zwangsläufig „objektiver“ als Einstellungsbefragungen oder behördliche
Statistiken, aber sie ermöglichen einen erweiternden Blick auf das Phänomen.
Unser Artikel folgt zwei Fragestellungen. Zum einen interessiert uns, wie in
Deutschland lebende Jüdinnen und Juden das Problem des PIA einschätzen und
welche Bedrohung ihrer Meinung nach konkret von Muslimen im Allgemeinen
und radikalen Muslimen im Besonderen ausgeht. Ob und wie stark diesbezüglich
zwischen Muslimen und radikalen Muslimen unterschieden wird, soll mitteln ei-
nes Survey-Experimentes (n= 295) ermittelt werden. Zum anderen fragen wir, wie
Jüdinnen und Juden die kontrovers diskutierte Thematik eines Antisemitismus un-
ter Muslimas und Muslimen, welche oftmals unter dem Begriff des sogenannten
„importierten Antisemitismus“ verhandelt wird, wahrnehmen und deuten. Zur Be-
antwortung dieses zweiten Fragekomplexes wurden insgesamt 21 leitfadengestützte
Interviews mit in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden ausgewertet. Die Trian-
gulation von quantitativen und qualitativen Erhebungs- und Auswertungsverfahren
ermöglicht es, die jeweiligen Stärken der beiden methodischen Paradigmen zu nut-
zen und damit gleichzeitig die entsprechenden Schwächen zu kompensieren. So
können wir einerseits mittels des experimentellen Designs kausale Zusammenhän-
ge zwischen zugeschriebener Tätergruppe und Bedrohungswahrnehmung ermitteln
und andererseits die Hintergründe jener Zuschreibungen rekonstruieren (vgl. Pickel:
519f.).
Unser Beitrag gliedert sich folgendermaßen: Zunächst geben wir einen Überblick
über den aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand zum PIA und ge-
hen dabei insbesondere auf Forschung zur Perspektive von Jüdinnen und Juden ein.
Letzterer Forschungsbereich hat sich in den letzten Jahren verstärkt herauskristalli-
siert und ergänzt inzwischen immer häufiger die klassische Einstellungsforschung
zu Antisemitismus. Allerdings ist PIA in diesen Studien nur teilweise in die Be-
trachtung einbezogen worden. Unser Beitrag will helfen, diese Lücke zu schließen.
Im zweiten Teil stellen wir zu diesem Zweck zunächst die Ergebnisse eines Survey-
Experimentes vor. Wir unterscheiden hier zwischen zwei möglichen Tätergruppenzu-
schreibungen, „Muslimen“ und „radikalen Muslimen“, sowie drei Dimensionen der
möglichen Betroffenheit: der Wahrnehmung des allgemeinen Problems des PIA, der
Einschätzung der allgemeinen Bedrohung für Jüdinnen und Juden durch Muslime
bzw. radikale Muslime und dem Empfinden der persönlichen Bedrohung durch diese
beiden Gruppen. Im darauffolgenden Teil vertiefen wir die empirische Betrachtung
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 329
mithilfe der qualitativen Interviews. Abschließend diskutieren wir die Ergebnisse im
Gesamtblick und beziehen sie auf die bisherige Forschung zum Thema politisch-
islamischer Antisemitismus.
2 Forschung zu jüdischen Erfahrungen und Wahrnehmungen des
politisch-islamischen Antisemitismus
2.1 Zum Begriff des Politisch-Islamischen Antisemitismus
Darüber, dass für den Islamismus bzw. den Politischen Islam der Antisemitismus
ein konstitutives Element darstellt, sind sich viele Antisemitismusforscherinnen und
-forscher einig (Wetzel 2010; Benz und Wetzel 2007;Holz2005). Die begriffliche
Bezeichnung des Phänomens, das wir hier als „politisch-islamischen Antisemitis-
mus“ (PIA) bezeichnen, ist im Gegensatz zum Phänomen an sich, jedoch recht
umstritten. So kursieren im wissenschaftlichen Diskurs unter anderem Begriffe wie
„muslimischer“, „islamischer“, „islamisierter“ oder „islamistischer Antisemitismus“
(Kiefer 2002,2006; Küntzel 2003; Öztürk und Pickel 2022). Matthias Küntzel weist
zum Beispiel auf den ideologischen Transfer zwischen Nationalsozialisten und der
arabischen Welt hin, bei der Passagen aus dem Koran eine wichtige Rolle für die
Anschlussfähigkeit des Ressentiments spielen (Küntzel 2019,2003), so etwa die
Episode über Mohammeds Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus Medina. Auf-
grund dieser Dogma-bezogenen Anknüpfungspunkte sei der Begriff „islamischer
Antisemitismus“ angemessen. Weniger auf ideologische Inhalte bezieht sich der
Begriff des „muslimischen Antisemitismus“. Stattdessen wird damit die deskrip-
tive Verbreitung unterschiedlicher Formen des Antijudaismus und Antisemitismus
unter Muslimas und Muslimen bezeichnet (vgl. Öztürk und Pickel 2022). Michael
Kiefer (2006) lehnt sowohl den Begriff des „muslimischen“ als auch des „islami-
schen Antisemitismus“ als „irreführend“ ab, da der Antisemitismus in muslimischen
Gesellschaften letztlich mit dem modernen Antisemitismus, der im christlich-euro-
päischen Kontext entstanden ist, identisch sei. Er spricht sich stattdessen für die
Bezeichnung „islamisierter Antisemitismus“ aus, da dieser dem Umstand gerecht
werde, dass der tradierte europäische Antisemitismus lediglich oberflächlich durch
islamische Quellen, z.B. Passagen aus dem Koran, „überformt“ worden sei (Kiefer
2006:300). Konkret sind Kiefer und Holz (2010) zufolge antisemitische Narrati-
ve für den „Islamismus“ insbesondere deshalb so anschlussfähig, weil der Anti-
semitismus (1.) Jüdinnen und Juden als Hauptschuldige für die Zerstörung einer
vorgeblich heilen vormodernen Gemeinschaft ausmacht und ihnen dabei (2.) be-
zugnehmend auf klassische Verschwörungstheorien wie die „Protokolle der Weisen
von Zion“ die Macht zuschreibt, die Weltpolitik und -wirtschaft ihren Interessen
gemäß zu manipulieren. Die Jüdinnen und Juden übernehmen dabei (3.) die Figur
eines „Dritten“ („tertium non datur“; vgl. Holz 2005), d. h. sie scheinen der binären
Einteilung in religiöse, nationale und ethnische Wir- und Fremdgruppen zu wider-
sprechen und werden vielmehr als „genuin trans-national, transrassisch bzw. trans-
religiös und im gleichen Atemzug und aus dem gleichen Grund heraus national,
rassisch bzw. religiös“ (Holz und Kiefer 2010: 123) wahrgenommen. Schließlich
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330 H. Beyer et al.
werde (4.) im „Islamismus“ die Zugehörigkeit zur religiösen und nationalen Wir-
Gruppe so miteinander ideologisch verknüpft, dass sowohl nationalistische als auch
religiöse Narrative des modernen Antisemitismus benutzt werden können, um na-
tionale und religiöse Identitätskonstruktionen („wir Muslime“, „wir Araber“, „wir
Palästinenser“) zu stützen.
Um den ideologischen Gehalt stärker in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken,
verwenden wir den Begriff des „politisch-islamischen Antisemitismus“ (PIA). Als
Ideologie umfasst der Politische Islam sowohl tradierte religiöse Vorurteile gegen-
über dem Judentum als auch spezifisch moderne Elemente, allen voran Verschwö-
rungsnarrative, die ökonomische und politische Prozesse, kapitalistische Kommo-
difizierung, imperiale Expansion und den Aufstieg und Fall des Nationalstaats als
Prinzip sozialer und politischer Einheit (vgl. Arendt 1973) erklären sollen. Als Ideo-
logie übernimmt der PIA ähnliche Funktionen wie der europäische Antisemitismus
im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert: Er bietet eine Erklärung für und
potenzielle Mittel gegen sozialen Wandel, ermöglicht die Projektion tabuisierter
Selbstanteile und dient der Konstruktion von homogenen Kollektividentitäten, na-
tionalen wie religiösen (Beyer 2015). So identifiziert der PIA „das Jüdische“ mit
diversen Phänomenen von „Modernisierung“ wie „Dekadenz“, „Materialismus“, Ka-
pitalismus und Kosmopolitismus. Der Islam repräsentiert in diesem manichäischen
Weltbild Tugendhaftigkeit, Tradition, Glauben, Gemeinschaft. Politisch-islamischer
Antisemitismus besteht in nuce somit aus einer auf religiöse Motive zurückgreifen-
den anti-modernen Deutung globaler und lokaler, wirtschaftlicher wie politischer
Probleme und erkennt in „den Juden“ die Ursache dieser Probleme.
Insbesondere seit der Gründung Israels im Jahr 1948 stellt der sogenannte
„Nahostkonflikt“ eine Projektionsfläche tradierter antisemitischer Ressentiments
innerhalb des Politischen Islam dar. In unterschiedlichen Formen werden Jüdinnen
und Juden wie auch der Staat Israel als „jüdischer Staat“ (Poliakov 2022)zum
Hauptfeind aller Muslimas und Muslimen weltweit erklärt, der mit allen Mitteln,
vor allem auch terroristischer Gewalt, bekämpft werden müsse. Hierbei werden,
wie am Neuentwurf der Hamas Charta von 2017 zu erkennen, nationalistisch-
palästinensische und pan-islamische Narrative miteinander verwoben (Hroub 2017).
2.2 Empirische Forschung zum Politisch-Islamischen Antisemitismus
Die empirische Erforschung des gegenwärtigen PIA in Deutschland ist bisher noch
sehr fragmentiert. Einige Untersuchungen geben aber Auskunft über die Verbreitung
des Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen. Fischer und Wetzels (2024) zei-
gen anhand bevölkerungsrepräsentativer Daten, dass antisemitische Einstellungen
insbesondere bei Muslimas und Muslimen mit fundamentalistischem Religionsver-
ständnis verbreitet sind und zwischen 2021 und 2023 generell unter Muslimas und
Muslimen anstiegen. Öztürk und Pickel kommen zu dem Ergebnis, dass insbesonde-
re israelbezogener teilweise aber auch traditioneller Antisemitismus unter Muslimas
und Muslimen in Deutschland besonders verbreitet ist (Öztürk und Pickel 2022:
211). Gleichzeitig weisen die Autoren darauf hin, dass Zustimmungswerte zu Anti-
semitismus unter Muslimas und Muslimen in Deutschland geringer ausfallen als in
den islamischen Herkunftsgesellschaften. Auch Sina Arnold (2023) kam im Zuge
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 331
einer Sekundäranalyse verschiedener Studien der letzten Jahre zu dem Ergebnis,
dass Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen in Deutschland deutlich weiter
verbreitet ist als in der Gesamtgesellschaft. Dies bezieht sich sowohl auf klassischen
Antisemitismus wie auch auf israelbezogenen Antisemitismus. Einzig in Bezug auf
sekundären Antisemitismus ist die Zustimmung unter Muslimas und Muslimen ähn-
lich hoch oder geringer ausgeprägt als in der Gesamtbevölkerung. Die auffallend
hohen Zustimmungswerte zu klassischem wie auch insbesondere zu israelbezoge-
nem Antisemitismus erklärt Sina Arnold zum einen mit dem Antisemitismus der
Herkunftsstaaten, zum anderen aber auch mit grundsätzlich autoritären Einstellun-
gen von Muslimas und Muslimen in Deutschland (Arnold 2023). Weitere Studien
der letzten Jahre (Arnold und König 2019; Friedrich und Storz 2022) untersuchten
gesondert das Vorkommen von Antisemitismus bei Menschen mit Migrationshin-
tergrund. Aussagen über die Verbreitung von Antisemitismus unter Muslimas und
Muslimen lassen sich auf dieser Grundlage allerdings nur bedingt treffen.
2.3 Subjektbezogene empirische Antisemitismusforschung
In der deutschen empirischen Antisemitismusforschung wurden die Perspektiven
von Jüdinnen und Juden auf Antisemitismus im Allgemeinen und PIA im Beson-
deren für lange Zeit weitestgehend ausgeblendet. Erst in den letzten Jahren ist ein
Wandel zu erkennen, im Zuge dessen diese Leerstelle der Antisemitismusforschung
adressiert und langsam geschlossen wird. Der 2017 veröffentlichte Studienbericht
„Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ (vgl. Zick et al. 2017),
verfasst vom Expertenrat Antisemitismus, stellt einen wichtigen Meilenstein in die-
ser Hinsicht dar. In Rückgriff auf Daten aus einer standardisierten Erhebung sowie
mittels ausführlichen Einzelinterviews ermöglicht die Studie einen ersten ausführli-
chen Überblick über die Wahrnehmungen, Deutungen sowie Handlungskonsequen-
zen von mit Antisemitismus konfrontierten Jüdinnen und Juden in Deutschland.
In allen der 31 narrativ-biografischen Interviews sei berichtet worden, dass man
in den kommenden Jahren eine islamistische Radikalisierung durch zugewanderte
Geflüchtete befürchte, jedoch Antisemitismus auch von anderen Gruppen ausgehe
(Zick et al. 2017, S. 79).
Die in den letzten Jahren zu beobachtende subjektbezogene Erweiterung der An-
tisemitismusforschung wird auch durch die Arbeit verschiedener Beratungsstellen,
wie der auf Bundes- und Länderebene tätigen Recherche- und Informationsstelle
Antisemitismus (RIAS) oder unterschiedlichen Beratungsstellen in Trägerschaft jü-
discher Einrichtungen, ermöglicht. Studien dieser Stellen explorieren und vertiefen
unterschiedliche Facetten des Problems, dokumentieren die Entwicklungen in den
Bundesländern (Reimer-Gordinskaya und Tzschiesche 2021;Hauseretal.2020;
Ziemer et al. 2020) und untersuchen Antisemitismuserfahren in verschiedenen Kon-
texten, beispielsweise im Sozialraum Schule (Chernivsky und Lorenz 2020). Auch
der Wandel von Betroffenenperspektiven im Zuge politischer und kultureller Er-
eignisse wie dem von der Hamas verübten Massaker am 07.10.23 (Bundesverband
RIAS 2023) oder der documenta fifteen (RIAS Hessen 2023) wurden von Recher-
che- und Meldestellen untersucht. Gerade die von RIAS mit über 150 Jüdinnen
und Juden geführten Interviews dokumentieren, dass Jüdinnen und Juden in ganz
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332 H. Beyer et al.
unterschiedlichen Sozialräumen mit politisch-islamischem Antisemitismus konfron-
tiert sind. Nicht zuletzt die wahrgenommene Intensivierung dieses Problems, welche
die dort interviewten Jüdinnen und Juden auch mit der verstärkten Migrationsbewe-
gung aus islamisch geprägten Ländern zwischen 2014 und 2016 alltagstheoretisch
erklären (Bundesverband RIAS 2023), geben Anlass zu einer weiterführenden und
vertiefenden Auseinandersetzung, die wir im Folgenden leisten wollen.
Es stellen sich für uns in Anknüpfung an die geschilderten Untersuchungen zwei
grundlegende Fragen: Inwiefern unterscheiden die real oder potenziell von PIA
betroffenen in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zwischen Muslimas und
Muslimen im Allgemeinen und ideologisierten „radikalen“ Muslimas und Muslimen
im Besonderen, wenn sie Bedrohungsgefühle empfinden und äußern? Und welchen
Blick haben sie auf die Debatte um den sogenannten „importierten Antisemitismus“?
Die erste der beiden Fragen werden wir zunächst mittels eines Survey-Experimentes
und im zweiten Schritt auf der Basis von problemzentrierten Interviews zu beantwor-
ten versuchen. Letztere sollen zudem dazu dienen, der zweiten Frage nachzugehen
und die Perspektiven auf die öffentliche Auseinandersetzung über das Phänomen des
Antisemitismus unter muslimischen Migrantinnen und Migranten nachzuzeichnen.
3 Ein Survey-Experiment zur Differenzierung von
Bedrohungswahrnehmungen
3.1 Design
Wir gehen im ersten Teil unseres Beitrags den Fragen nach, welche Bedrohungs-
wahrnehmungen unter in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden bezüglich des
politischen Islam existieren und inwiefern Jüdinnen und Juden bei ihrer Problemdia-
gnose zwischen Muslimas und Muslimen und Anhängerinnen und Anhängern des
politischen Islam differenzieren. Bezugnehmend auf den im letzten Abschnitt be-
schriebenen Zusammenhang zwischen PIA und Antisemitismus vermuten wir, dass
Jüdinnen und Juden stärkere Bedrohungswahrnehmungen bezüglich PIA-Anhän-
gerinnen und Anhängern als gegenüber Muslimas und Muslimen im Allgemeinen
äußern (Hypothese H1). Wir kontrollieren diesen Zusammenhang für verschiede-
ne Bedrohungsszenarien und Persönlichkeitsmerkmale. Dabei verwenden wir für
die Operationalisierung des Begriffs „politischer Islam“ die Formulierung „radika-
le Muslime“, weil dieser eher der lebensweltlichen Wahrnehmung der Befragten
entsprechen dürfte als der etwas sperrige sozialwissenschaftliche Begriff des „poli-
tischen Islam“, auch wenn letzterer genauer ist.
Bei der im folgenden vorgestellten Studie handelt es sich um ein Survey-Experi-
ment, bei dem mittels eines Fragebogensplits zwei unterschiedliche Experimental-
gruppen gebildet wurden (between-subject design). Die Experimentalgruppen un-
terscheiden sich hinsichtlich des Wordings der drei vorgelegten Items, die nach
der allgemeinen und persönlichen Problem- und Bedrohungseinschätzung fragen:
Fragebogenvariante A nennt „Muslime“ und Variante B „radikale Muslime“ als
potenzielle Tätergruppen. Insgesamt sollen drei unterschiedliche Dimensionen der
Betroffenheit von Antisemitismus abgebildet werden. Wir baten in Deutschland le-
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 333
benden Jüdinnen und Juden um ihre Einschätzung zu (a) dem allgemeinen Problem
mit Antisemitismus unter (radikalen) Muslimen, (b) der allgemeinen Bedrohung für
Juden durch (radikale) Muslime sowie (c) der persönlichen Bedrohung durch (radi-
kale) Muslime. Die Frage nach dem Problem des Antisemitismus unter (radikalen)
Muslimen verweist auf die allgemeinste Ebene und macht keine Aussagen über die
persönliche Betroffenheit. Item b thematisiert eine abstrakte Bedrohung für die Per-
son, insofern diese sich selbst als Jüdin/Jude definiert und damit potenziell betroffen
sein könnte. Das letzte Item verweist explizit auf die persönliche Bedrohung.
3.2 Stichprobe
Die Daten der hier präsentierten Teilstudie wurden von Mai 2022 bis Februar 2023
mittels einer Online-Umfrage unter in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden
erhoben. Insgesamt nahmen 370 Personen an der Umfrage teil, von denen 295 den
Fragebogen vollständig bis zum Ende ausfüllten. Der Zugang zum Feld erfolgte in
einem mehrstufigen Verfahren: Zu Beginn haben wir 36 zufällig ausgewählte jüdi-
sche Gemeinden in Deutschland kontaktiert und sie gebeten, randomisiert per E-Mail
Einladungen zur Umfrage an einen Teil ihrer Mitglieder zu versenden. Ursprünglich
sollte durch die doppelte Zufallsauswahl die Repräsentativität der Stichprobe gesi-
chert werden. Parallel dazu wurde das jüdische Studierendenwerk ELES gebeten,
die Umfrage über den Emailverteiler mit aktuellen und ehemaligen Stipendiatin-
nen und Stipendiaten zu verteilen, um auch Nicht-Gemeindemitglieder zu erfassen.
Aufgrund niedriger Rücklaufquoten auf Seiten der Gemeinden und unvollständiger
Mitglieder-E-Mail-Listen der Gemeinden wurde zunächst die Gemeindestichprobe
auf alle jüdischen Gemeinden sowie andere jüdische Institutionen in Deutschland
ausgeweitet sowie eine Incentivierung implementiert (eine Lotterie, bei der jede:r
zehnte Teilnehmer:in 100 C gewinnen konnte). Für die letzten beiden Monate der
Studie haben wir zusätzlich eine Anzeige auf der Website der Jüdischen Allgemeinen
geschaltet. Die Befragung konnte auf Deutsch, Englisch und Russisch beantwortet
werden.4
Die Stichprobe ist aufgrund unbekannter Mechanismen der Selbstselektion nicht
repräsentativ für die jüdische Bevölkerung in Deutschland. Im Vergleich zu offiziel-
len statistischen Daten über die Mitglieder deutscher jüdischer Gemeinden (ZWST
2023) ist die Stichprobe etwas jünger, die Geschlechterverteilung ist hingegen na-
hezu identisch. Da in unserer Stichprobe auch Personen auftauchen, die nicht in
jüdischen Gemeinden gemeldet sind, übersteigt die Inferenzpopulation jedoch die
Mitglieder jüdischer Gemeinden. Über die Grundgesamtheit der in Deutschland le-
benden Jüdinnen und Juden gibt es keine sozio-demografischen Daten, was auch
bedeutet, dass keine entsprechende Gewichtung durchgeführt werden kann. Da es
sich um eine experimentelle Studie handelt, steht die Ermittlung deskriptiver Para-
meter nicht im Zentrum, wodurch eventuelle Selbstselektionsmechanismen keinen
489,5% (n= 331) der Befragten hat die Befragung auf Deutsch durchgeführt, 5,9 % (n= 22) auf Russisch
und 4,6% (n= 17) auf Englisch. Eine Übersetzung ins Hebräische wurde aufgrund des Kostenaufwandes
und der Überlegung, dass der überwiegende Anteil der israelischen Migrant:innen, die vor allem durch
eine hebräische Fragebogenversion adressiert worden wären, ausreichende Englischkenntnisse besitzt.
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334 H. Beyer et al.
Tab . 1 Univariate Maße der abhängigen und unabhängigen Variablen
nM S MD Min Max Item
Allgemeines
Problem
283 4442 0,776 5 1 5 Unter (radikalen) Muslimen gibt es ein großes Problem mit
Antisemitismus
Allgemeine
Bedrohung
292 4086 1,063 4 1 5 Inwiefern geht Ihrer Meinung nach von (radikalen) Musli-
men eine Bedrohung für in Deutschland lebende Jüdinnen
und Juden aus?
Persönliche
Bedrohung
293 3355 1,403 4 1 5 Ich habe Angst vor (radikalen) Muslimen
Keine Erfahrung
mit AS
280 0,325 0,469 0 0 1 Beleidigung, Vandalismus oder physische Gewalt aufgrund
AS: nein
Erfahrung mit
nicht-isl. AS
280 0,386 0,488 0 0 1 Ja, aber ohne „islamisches Motiv“
Erfahr mit isl. AS 280 0,289 0,454 0 0 1 Ja, mit „islamischem Motiv“
Bildung 284 15,567 2,797 17 8 20 Bildungsjahre
Links-Rechts-
Selbsteinst
265 4,287 1,699 4 1 10 Links-Rechts-Selbsteinstufung
Großstadt 295 0,695 0,461 1 0 1 Lebt in Großstadt
Gemeindemitglied 295 0,739 0,440 1 0 1 Mitglied einer jüdischen Gemeinde
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 335
gravierenden Einfluss auf die Robustheit der experimentellen Ergebnisse haben, so
lange die Stichprobe ausreichend heterogen ist.
Die Stichprobe besteht zu 45% aus Personen, die sich als männlich und 55%, die
sich als weiblich identifizierten. 6% der Befragten waren 18–21 Jahre alt, 26,4 %
22–30 Jahre alt, 19,7 % 31–40 Jahre alt, 11,9 % 41–51 Jahre alt, 13,2 % 51–60 Jahre
alt, 12,5 % 61–70 Jahre alt, 8,5% 71–80 Jahre alt und 2% älter als 80 Jahre. Der
Mittelwert der absolvierten Bildungsjahre liegt bei 15,57 (s = 2,78) und jener der
Links-Rechts-Selbsteinschätzung (Skala von 1= links bis 10= rechts) bei 4,29 (s=
1,70), wobei die Werte 9 und 10 insgesamt nur von 0,8 % angekreuzt wurden. Rund
70% der Befragten wohnen in Großstädten. 73,9% der Befragten waren Mitglied in
einer jüdischen Gemeinde. Von den Gemeindemitgliedern lebten 78,1% in den alten
Bundesländern, 11,2% in den neuen Bundesländern und 10,7% in Berlin. Von den
Nicht-Mitgliedern kennen wir das Bundesland des Wohnortes nicht. Die univariaten
Verteilungen der Variablen finden sich in Tab. 1.
Die abhängigen Variablen des Survey-Experiments bilden drei Items, mittels de-
rer die Befragten auf einer fünfstufigen Skala ihre Einschätzung zum allgemeinen
Problem des bzw. der allgemeinen und persönlichen Bedrohung durch Antisemitis-
mus unter (radikalen) Muslimen abgeben konnten.
Der aggregierte Mittelwert der beiden Aussagen, „unter Muslimen“ und „unter
radikalen Muslimen“ gebe es „ein großes Problem mit Antisemitismus“, liegt bei
4,442 (s = 0,776; n= 283), jener der Aussagen zur „Bedrohung für in Deutschland
lebende Jüdinnen und Juden“ durch „Muslime“ bzw. „radikale Muslime“ bei 4,086
(s = 1,063; n= 283) und beim Item zur persönlichen Bedrohung, das heißt der „Angst
vor Muslimen“ bzw. „radikalen Muslimen“ bei 3,355 (s= 1,403; n= 293). Anhand
dieser recht hohen Mittelwerte ist ersichtlich, dass Bedrohungswahrnehmungen ins-
gesamt eine große Rolle spielen, wobei die persönliche Bedrohung deutlich niedriger
ausgeprägt ist als die allgemeine Problemwahrnehmung.
Neben den Kontrollvariablen Alter, Bildung, Links-Rechts-Selbsteinstufung,
Großstadtwohnsitz und Gemeindezugehörigkeit (siehe Tab. 1) wurde die bisherige
Erfahrung mit antisemitischen Übergriffen im Allgemeinen und mit „islamischem
Motiv“ im Besonderen erfasst und als relevante Moderatorvariable aufgenommen:
Nur 33% der Befragten haben noch keine Erfahrungen mit Antisemitismus ge-
macht, während 29 % Antisemitismus mit „islamischem Motiv“ und 39% mit
einem anderem ideologischen oder religiösen Hintergrund erlebt haben.
3.3 Ergebnisse des Survey-Experiments
Bereits der Vergleich der univariaten Auswertungen, die aufgrund der erwähnten
Limitationen nicht-zufallsbasierter Stichproben nicht repräsentativ für die jüdische
Bevölkerung in Deutschland sind, deuten darauf hin, dass die konkrete Formu-
lierung der Fragen einen Einfluss auf die Bewertung durch die Befragten besitzt.
Wie an den in Tab. 2berichteten Verteilungen erkennbar ist, nehmen die Befragten
auf allen drei Dimensionen radikale Muslime als bedrohlicher wahr als Muslime
im Allgemeinen. Es gibt nur wenige Befragte, die bezüglich des Antisemitismus
unter Muslimen kein großes Problem erkennen. Ging es explizit um „radikale Mus-
lime“, stimmten sogar 71,3% des Sub-Samples der Aussage „voll und ganz“ zu
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336 H. Beyer et al.
Tab . 2 Relative Wahrscheinlichkeiten der Experimentalvariablen
Stimme über-
haupt nicht
zu
Stimme eher
nicht zu
Weder noch Stimme eher
zu
Stimme voll
und ganz zu
n
0,8 3,8 11,3 43,6 40,6 133
Unter (radikalen#) Muslimen"gibt es ein großes Problem mit Antisemitismus
1,3 0,0 1,3 26,0 71,3 150
Gar keine
Bedrohung
Eher geringe
Bedrohung
Mittelgroße
Bedrohung
Eher große
Bedrohung
Sehr große
Bedrohung
n
1,4 14,0 28,7 25,9 30,1 143
Inwiefern geht Ihrer Meinung nach von folgenden Gruppen eine Bedrohung für in Deutschland lebende
Jüdinnen und Juden aus? (radikale#) Muslime"
1,3 3,4 8,7 20,8 65,8 149
Stimme über-
haupt nicht
zu
Stimme eher
nicht zu
Weder noch Stimme eher
zu
Stimme voll
und ganz zu
n
23,0 27,3 20,9 22,3 6,5 139
Ich habe Angst vor (radikalen#) Muslimen"
5,8 8,4 9,7 29,9 46,1 154
Anmerkungen: Relative Wahrscheinlichkeiten der Teilstichproben; obere Zeile: „Muslime“, untere Zeile:
„radikale Muslime“; gepoolte Häufigkeiten in Tab. 4im Anhang
(gegenüber 40,6% bei „Muslimen“). Ähnlich ist die Verteilung auch hinsichtlich
der Frage nach (radikalen) Muslimen als Bedrohung für die Gruppe der Jüdinnen
und Juden. Nur wenige Befragte sehen keine oder eine nur geringe Bedrohung, die
von (radikalen) Muslimen ausgeht. Auch hier unterscheiden sich aber die relativen
Häufigkeiten zwischen den Sub-Samples besonders stark unter jenen, die eine sehr
große Bedrohung wahrnehmen (30,1% bzgl. „Muslime“ gegenüber 65,8 % bzgl.
„radikale Muslime“). Dieselbe Tendenz lässt sich schließlich auch in Bezug auf die
persönliche Bedrohung bzw. Angst vor (radikalen) Muslimen beobachten, wobei die
relativen Wahrscheinlichkeiten im Kontroll-Sub-Sample („Muslime“) gleichmäßiger
verteilt sind als in der Treatment-Gruppe („radikale Muslime“). Lediglich 6,5% der
Befragten stimmen der Aussage „Ich habe Angst vor Muslimen“ „voll und ganz“
zu. Im Sub-Sample mit Treatment dagegen fällt die allgemeine Zustimmung zur
Aussage „Ich habe Angst vor radikalen Muslimen“ deutlich größer aus. Hier stim-
men 46,1% der Aussage „voll und ganz“ zu. Mit zunehmender Konkretion bzw.
Nähe zur persönlichen Lebenswelt nimmt die Bedrohungswahrnehmung insgesamt
im Mittel ab (siehe auch Tab. 1sowie Tab. 4im Anhang).
Um die Stärke zwischen den einzelnen Stimuli zu vergleichen, berechnen wir av-
erage treatment effects (ATE). Da die Zuweisung zur Treatment- und Kontrollgruppe
randomisiert wurde, können wir den ATE auf eine einfache, oder „naive“, Weise be-
rechnen, indem wir die Mittelwerte der Experimentalgruppen jeweils voneinander
subtrahieren: E(Y(1)– Y(0)). Die Mittelwertunterschiede und Konfidenzintervalle
schätzen wir mit bivariaten linearen OLS-Regressionsmodellen. Tab. 3enthält die
Ergebnisse der drei Regressionsmodelle.
Interpretieren lassen sich diese Werte als Skalenabweichung, wenn das Treatment
vorgelegt wurde, also wenn das Wording „radikale Muslime“ statt nur „Muslime“
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 337
Tab . 3 Average treatment effects und 95 % Konfidenzintervalle
b
ATE CI 2,5 % CI 97,5 %
Allgemeines Problem 0,465 0,290 0,638
Allgemeine Bedrohung 0,771 0,542 0,999
Persönliche Bedrohung 1,401 1,120 1,681
ATE entspricht dem per bivariaten linearen Regressionsmodell (OLS) geschätzten Parameter; 95 %-Konfi-
denzintervalle basierend auf T-Tests der OLS-Modelle
lautete. Der 1
ATE (a) für das erste Item, „Unter (radikalen) Muslimen gibt es ein
großes Problem mit Antisemitismus“ beläuft sich auf 0,465 (CI95 = 0,290 | 0,638; n=
283). Für das Item „Inwiefern geht Ihrer Meinung nach von (radikalen) Muslimen
eine Bedrohung für in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden aus?“ ermitteln wir
einen deutlich höheren 1
ATE (b) von 0,771 (CI95 = 0,542 | 0,999; n= 292). Noch höher
ist der Effekt, wenn es sich um die persönliche Angst vor „(radikalen) Muslimen“
handelt. Hier finden wir einen 1
ATE (c) von 1,401 (CI95 = 1,120 | 1,681; n= 293).
Es zeigt sich demnach, dass nicht nur die mittlere Bedrohungswahrnehmung sinkt,
je konkreter und persönlicher die Bedrohung ist, sondern dass auch die Differen-
zierung bezüglich der potenziellen Tätergruppe zunimmt. Kriminologische Studien
(Hirtenlehner 2006; Obergfell-Fuchs und Kury 2009; Reuband 2009) stützen den
ersten Befund, indem sie entsprechende Unterschiede zwischen allgemeiner und
persönlicher Kriminalitätsfurcht nachweisen. Die allgemeine Kriminalitätsfurcht ist
in der Regel stärker ausgeprägt als die persönliche. Allerdings lässt sich auf Basis
dieser Literatur nicht ohne weiteres erklären, warum die Befragten stärker zwischen
radikalen und „normalen“ Muslimen differenzieren, wenn sie persönlich betrof-
fen sind. Um diesem Problem auf dem Grund zu gehen, wollen wir im folgenden
mögliche Moderatoreffekte prüfen und aufzeigen, bei welchen Gruppen die Treat-
menteffekte besonders stark ausgeprägt sind. Solche conditional average treatment
effects (CATEs) werden in der Regel mit Interaktionstermen in Regressionsmodel-
len modelliert. Dieses Vorgehen wird in der neueren Literatur zur Kausalanalyse
durchaus kritisch gesehen (Green und Kern 2012), weil es verlangt, sich auf weni-
ge selektiv ausgewählte Interaktionsvariablen zu beschränken und weil hier in der
Regel parametrische Annahmen gemacht werden, die häufig nicht zutreffen.
Aus diesem Grund verwenden wir Bayesian Additive Regression Trees (BART)
um die CATE zu schätzen (Chipman et al. 2010; Hill 2012). Es handelt sich dabei
um ein nicht-parametrisches Verfahren, das wesentliche Vorteile gegenüber parame-
trischen Verfahren besitzt. So können nicht-lineare Zusammenhänge erkannt, Inter-
aktionseffekte zwischen Treatment und anderen relevanten Survey-Variablen elegant
und robust ermittelt werden, unter anderem weil mit BART ,automatisch‘ für ein
umfassendes Set an Drittvariablen kontrolliert werden kann (Green und Kern 2012).
Die hier präsentierten Effekte wurden mit den Standardeinstellungen der Funkti-
on bartc des R Pakets bartCause geschätzt, das mit dem Modell von Hill (2012)
arbeitet. Zunächst schätzen wir ein ps-BART-Modell, das die Wahrscheinlichkeit,
dem Treatment zugewiesen zu werden, den sogenannten „propensity score“ Pr(Z=
1jX), berechnet (Hahn et al. 2020). Im zweiten Schritt berechnet die Funktion ein
„response model“ Y=f(z, x)+ ε,indemzdie Treatmentvariable und xdie Modera-
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338 H. Beyer et al.
(a) allgemeines Problem (b) allgemeine Bedrohung (c) persönliche Bedrohung
individual CATE (Häufigkeiten)
(x
1
) Links-Rechts-Selbsteinstufung
(x
2
) Bildung
(x
3
) Alter
(x
4
) Großstadt (türkis)
(x
5
) Gemeindemitgliedschaft (türkis)
Abb. 1 a–cErgebnisse der multivariaten ps-BART-Modelle pro abhängiger Variable; alle Modelle ent-
halten die Moderatoren x1–x6 sowie den propensity score des Treatment-Modells; oberste Zeile: Häufig-
keitsverteilung der Heterogenität der Vorhersage des iCATE; Moderatoren x1–x3: LOESS prediction plots
der iCATE mit 95 % uncertainty bounds; Moderatoren x4–x6: Dichteplots des CATE pro kategorialen
Moderator
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 339
torvariablen repräsentieren und die Fehler ε„independent and identically distributed
(iid)“ Zufallsvariablen mit N(0,σ2) sind. Das „response model“ imputiert die kon-
trafaktischen Werte via BART und schätzt darauf basierend die CATE. In allen
Modellen verwenden wir die priors des R-Pakets dbarts (Dorie et al. 2023) und die
folgenden Spezifikationen: 1000 burn-ins, 1000 posteriore Ziehungen nach burn-in
und maximal 50 Bäume.
Zunächst können wir anhand der drei Diagramme der obersten Zeile in Abb. 1,die
die Häufigkeitsverteilungen der individuellen CATE (iCATE) darstellen, erkennen,
dass insbesondere bei Item b, der Bedrohung für in Deutschland lebende Jüdinnen
und Juden durch (radikale) Muslime, eine vergleichsweise starke Streuung der indi-
viduellen Effekte vorliegt. Hier ist die Heterogenität der Treatmenteffekte innerhalb
der Stichprobe besonders hoch. Doch auch die anderen beiden Plots legen nahe,
dass die Treatmenteffekte durchaus individuell variieren. Lässt sich hinter dieser
heterogenen Verteilung eine Systematik erkennen? Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir die LOESS prediction plots (Carnegie et al. 2019) und die density plots
betrachten, die für die metrischen respektive kategorialen Variablen die Verteilung
der iCATE abbilden.
Einige interessante und bemerkenswerte Unterschiede lassen sich auf diese Weise
erkennen: So zeigt sich bezüglich der politischen Selbsteinschätzung, dass vor allem
sehr links eingestellte Personen stärker zwischen Muslimen und radikalen Musli-
men unterscheiden. Dieser Effekt ist besonders im zweiten Experimental-Treatment
deutlich, welches nach der allgemeinen Bedrohungswahrnehmung fragt. Ebenfalls
in diesem Modell zeigt sich ein weitestgehend linearer Bildungseffekt: mit steigen-
der Bildung erhöhen sich die Treatmenteffekte, was bedeutet, dass höher gebildete
Personen stärker zwischen Muslimen und radikalen Muslimen unterschieden. Diese
beiden Befunde könnte man folgendermaßen interpretieren: Links eingestellte und
höher gebildete Befragte Jüdinnen und Juden unterscheiden stärker zwischen „Mus-
limen“ und „radikalen Muslimen“, weil sie sensibler für potenziell als rassistisch
wahrgenommene Verallgemeinerungen sind und diese vermeiden wollen. Im Fall
des ersten Items, der allgemeinen Problemwahrnehmung, scheint sich allerdings ein
konkaver Bildungseffekt abzuzeichnen: Die höchsten Treatmenteffekte findet man
hier im mittleren Bildungsbereich. Scheinbar sind nicht nur vergleichsweise niedrig
gebildete, sondern auch hoch gebildete Befragte häufig der Ansicht, dass Antisemi-
tismus nicht nur ein Problem unter radikalen Muslimen, sondern unter Muslimen im
Allgemeinen darstellt. Alter nimmt in den Modellen genauso wenig eine Moderator-
Rolle ein wie die Variablen Großstadt und Gemeindemitgliedschaft. Im Durchschnitt
leicht niedrigere CATE finden sich bei Personen, die bereits Erfahrungen mit isla-
misch motiviertem Antisemitismus gemacht haben (blaue Kurve) im Vergleich zu
Personen, die noch keine Erfahrungen mit irgendeiner Form des Antisemitismus
gemacht haben (rote Kurve), zumindest was die allgemeine Problemwahrnehmung
anbetrifft. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Erfahrung mit politisch-islami-
schen Antisemitismus, zumindest was die Einschätzung des grundlegenden Problems
anbetrifft, auf die Bewertung der gesamten Gruppe der Muslimas und Muslime aus-
strahlt. Allerdings lässt sich aufgrund der geringen Unterschiede daraus kaum ein
klarer Befund ableiten.
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340 H. Beyer et al.
Das Survey-Experiment hat einige interessante Ergebnisse zutage gefördert: Ins-
besondere die Tendenz, dass sich sowohl die Zustimmung verringert als auch der
ATE erhöht, wenn die Bedrohung auf die eigene Person bezogen wird, aber auch die
genannten Bildungs- und politischen Einstellungseffekte, geben Anlass, dem Phä-
nomen noch tiefer auf den Grund zu gehen. Dies soll nun im zweiten Schritt unseres
empirischen Teils geschehen, in dem die unterschiedlichen Perspektiven von Jüdin-
nen und Juden auf den kontroversen Begriff des „importierten Antisemitismus“, der
in öffentlichen Auseinandersetzungen schnell synonym mit einem Antisemitismus
unter Muslimas und Muslimen verwendet wird, mithilfe von 21 qualitativ-problem-
zentrierten Interviews rekonstruiert wird.
4 Qualitative Studie: Die Perspektive von Jüdinnen und Juden auf die
gesellschaftliche Kontroverse um „importierten Antisemitismus“
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der größeren Fluchtbewegungen nach Deutsch-
land und Europa in den Jahren 2014 bis 2016 wird in der deutschen Öffentlichkeit
eine kontroverse Debatte um „importierten Antisemitismus“ geführt. Der Begriff
des „importierten Antisemitismus“ suggeriert, „Antisemitismus in erster Linie eine
Konsequenz von Einwanderung sei und quasi mitmigriert“ (Öztürk und Pickel 2022,
S. 212). Die Verwendung des Begriffs steht für die Annahme, dass der zurzeit in
Deutschland herrschende Antisemitismus auch, wenn nicht sogar primär, auf die
Einwanderung von Migrantinnen und Migranten aus muslimischen Ländern zurück-
geführt werden kann, die antisemitische Denkmuster aus ihren Herkunftsländern mit
nach Deutschland bringen. Die Gegenposition kritisiert diese Annahme dagegen als
Teil rassistischer Diskurse gegenüber Muslimas und Muslimen und Abwehrreaktion
der extremen Rechten gegenüber Antisemitismusvorwürfen.
Mit unserer qualitativen Teilstudie knüpfen wir an diese Kontroverse an und
fragen danach, wie Jüdinnen und Juden, als die primär von Antisemitismus Betrof-
fenen, auf diese Kontroverse um „importierten Antisemitismus“ blicken und diese
bewerten. Welche Deutungen lassen sich hier systematisierend explizieren?
Im Zeitraum vom Oktober 2021 bis Februar 2023 wurden insgesamt 21 qualitativ-
problemzentrierte Interviews mit Jüdinnen und Juden aus ganz Deutschland geführt,
die jeweils eine Länge von einer bis eineinhalb Stunden haben und in Orientierung
am gängigen Verfahren „Talk in qualitative Research“ (TiQ) transkribiert wurden.
Die sich auf einen Leitfaden stützenden teilstandardisierten Interviews hatten zum
Ziel, sich dem Erleben und inbesondere dessen Deutung durch die Betroffenen an-
zunähern, und beinhalten auch Passagen, in denen sich die Interviewten explizit zum
Thema des „importierten Antisemitismus“ äußern. Als Erzählaufforderung dient die
offene Frage: „Was denken Sie über die Thematik des ,importierten Antisemitis-
mus‘?“. Dabei verwenden wir den Begriff des „importierten Antisemitismus“ nicht
als analytische Kategorie, sondern die Verwendung des Begriffs und die Kontro-
verse um ihn ist Gegenstand der Analyse, insofern der Begriff in der öffentlichen
Debatte um Antisemitismus von Migrantinnen und Migranten eine zentrale Stellung
einnimmt.
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 341
Bei der Analyse orientierten wir unser Vorgehen an der Grounded Theory Metho-
dologie (GTM) nach Strauss und Corbin (1998). Für die GTM ist die enge Verzah-
nung von Erhebung und Auswertung kennzeichnend, die in einem spiralförmigen
Forschungsprozess sich stetig wechselseitig informieren. Geschlecht, Alter, Migrati-
onserfahrung sowie Elternschaft (um die Antisemitismuserfahrungen im Sozialraum
Schule zumindest mittelbar abzubilden) waren hierbei die initialen Kontrastierun-
gen unseres Samplings. Im Verlauf der Analyse integrierten wir zudem ostdeut-
schen oder westdeutschen Wohnort, Bildungsgrad sowie Stadt-Land-Unterschiede
als weitere Kontrastmöglichkeiten, um möglichst unterschiedliche Perspektiven der
Analyse erheben zu können. Auch die Kontaktaufnahme über unterschiedliche Wege
zielte darauf ab, ein möglichst kontrastreiches Sample zu ermöglichen. Die Rekrutie-
rung der Interviewten fand hier sowohl über Kontakt zu jüdischen Gemeinden oder
jüdischen Organisationen wie dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) als
auch der Kontaktaufnahme zu Privatpersonen, die nicht mit jüdischen Einrichtungen
affiliiert waren, statt.
Die Auswertung erfolgte simultan mittels einer Codierung relevanter Transkript-
passagen, die primär von einer Person durchgeführt und in regelmäßigen Abständen
im Forschungsteam diskutiert wurden. Die Phase des offenen Kodierens war darauf
ausgerichtet, relevante Problemdeutungen bezüglich „importierten Antisemitismus“
zu identifizieren und deren Vielfalt zu erfassen. Im Weiteren arbeiteten wir die Rela-
tionen zwischen den verschiedenen Deutungen heraus und validierten abschließend
unsere bisherige Interpretation im erneuten Rückgriff auf das Datenmaterial.
Als Interpretationsheuristik diente uns hierbei der Begriff des Deutungsmusters.
Alltagstheoretische Deutungen und das sich dabei zeigende implizite Wissen wird als
Form „kollektiven Wissens“ (Plaß und Schetsche 2001) gefasst, insofern Jüdinnen
und Juden nicht nur individuell vor Antisemitismus als einem relevanten Handlungs-
problem stehen, sondern vielmehr gemeinsam von diesem betroffen sind. Deutungs-
muster stellen „sozial(e), mit Anleitungen zum Handeln verbundene Interpretationen
der äußeren Welt und der inneren Zustände“ dar, die sich „von anderem Alltags-
wissen hinsichtlich ihres Modellcharakters, Handlungsbezug und Verbreitungsgrad“
(Plaß und Schetsche 2001, S. 523) unterscheiden. Da derartige Deutungen gera-
de auch implizite Wissensbestände umfassen, griffen wir im Verlauf der Analyse
bei ausgewählten Passagen zudem auf sequenzanalytische Interpretationsverfahren
zurück. Wir orientierten uns hierbei sowohl an den eher fallintern vergleichenden
Verfahren der strukturalen Hermeneutik (Oevermann 1995), die gerade auf Gedan-
kenexperimente zurückgreift, als auch auf komparative Sequenzanalysen in Anleh-
nung an Bohnsack (2013), in der auf empirische Vergleichshorizonte verschiedener
Fälle zurückgegriffen wird.
Im Folgenden wird deutlich werden, dass die Interviewten die Konfliktlinien der
öffentlichen Kontroverse um „importierten Antisemitismus“ nicht nur reproduzie-
ren, auch wenn sie an diese anknüpfen. Durch die sequenzanalytische Auswertung
zeigt sich, dass das Thema „importierter Antisemitismus“ von den interviewten Jü-
dinnen und Juden auf zwei Ebenen behandelt wird. Zum einen beziehen sie sich auf
die gesellschaftliche Debatte: „Importierter Antisemitismus“ ist ein Diskursobjekt,
welches von politisch rechten und linken Lagern unterschiedlich aufgeladen wird,
jedoch aus Sicht der Interviewten von beiden Seiten aus unproduktiv und selbstzen-
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342 H. Beyer et al.
triert thematisiert wird. Auf der anderen Seite wird „importierter Antisemitismus“
von den Interviewten aber auch als reales Problem begriffen. Jüdinnen und Juden
deuten dabei die Problemursachen in differenzierter Art und Weise. Es geht nicht
darum, Antisemitismus zu einem allgemeinen Problem zugewanderter Muslime zu
erklären, sondern darum, alltagstheoretische Ursachen zu bestimmen, die erklären
können, warum sich der Antisemitismus, den man in dieser Hinsicht erlebt, über-
haupt in dieser Art und Weise äußert. Mit diesen Ursachendeutungen können wir
die bereits im vorherigen Teil deduktiv getroffene Unterscheidung von „Muslimen“
und „radikalen Muslimen“ mittels einer eingegrenzten Fallanalyse untermauern und
weiter ausdifferenzieren.
Demgemäß wird sich die folgende Ergebnisdarstellung nur kurz mit der Deutung
des „importierten Antisemitismus“ als gesellschaftlicher Debatte befassen – unser
Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, welche Ursachenbestimmungen und Differen-
zierungen Jüdinnen und Juden thematisieren, sofern sie über ihre reale Antisemitis-
musbetroffenheit vor dem Hintergrund des Begriffs des „importierten Antisemitis-
mus“ reflektieren.
Für das Verständnis unserer Interpretationsergebnisse ist es wichtig, zu berück-
sichtigen, dass wir im Folgenden keine Aussagen über die Häufigkeiten der un-
terschiedlichen Deutungen treffen. Bezugspunkt unserer Analyse ist ausschließlich
die Exploration der Varianz der Perspektiven von Jüdinnen und Juden, mit dem
Anspruch, entscheidende Eckpunkte der jeweiligen Deutungen des Themas „impor-
tierter Antisemitismus“ systematisch darzustellen.
4.1 „Importierter Antisemitismus“ als gesellschaftlich geführte Debatte
Die von uns interviewten Jüdinnen und Juden nehmen die Debatte um „importier-
ten Antisemitismus“ als polarisiert wahr. Der zentrale Gegensatz wird dabei entlang
einer politischen Rechts-Links-Achse gesehen. Die AfD, Konservativen oder Po-
pulisten seien dabei diejenigen, die die Debatte von rechts führten, während die
Partei die Linke oder linksgerichtete Intellektuelle als Akteure der Links-Achse aus-
gemacht werden. Die rechte Position wird dabei von den Interviewten oftmals als
ein „Fingerzeig“ auf Muslimas und Muslime gedeutet: „Die Muslime“ würden von
rechts als Gruppe bestimmt, von der primär Antisemitismus ausgehe. Spiegelbildlich
werden linke Positionen als Kritik an dieser These gedeutet, insofern in der Linken
eine Problematisierung der Antisemitismusexternalisierung auf Muslimas und Mus-
lime zentrales Motiv sei. Dies könne allerdings zu dem Problem führen, dass in der
Linken Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen generell nicht in den Blick
genommen werde.
Interviewte, die sich mit der Debattenführung in der politischen Rechten ausein-
andersetzen, deuten diese vor allem als eine unehrliche Kritik, die am Kern des aktu-
ellen Antisemitismusproblems vorbeigehe: Nicht ein Antisemitismus, der Jüdinnen
und Juden von allen Seiten trifft und nicht auf ein gesellschaftliches Milieu reduziert
werden sollte, stehe im Mittelpunkt der rechten Problematisierung, sondern allein
Muslimas und Muslime würden für Antisemitismus in Deutschland verantwortlich
gemacht. Ferner wird von den interviewten Jüdinnen und Juden infrage gestellt,
dass es den rechten Akteuren in dieser Debatte überhaupt um eine genuine Kritik
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 343
an dieser Erscheinungsweise des Antisemitismus gehe. Die Kritik am „importierten
Antisemitismus“ erfolge auch als Mittel zur moralischen Selbstvergewisserung, wel-
che nicht zuletzt mit einer Schuldabwehr des eigenen Antisemitismus einherginge.
Die Interviewten sehen die Kritik an Muslimas und Muslimen als Ausdruck des
Bedürfnisses, die eigene weiße Weste zu demonstrieren, oder als Möglichkeit, Wäh-
lerstimmen zu erhalten. Zusammengenommen verweisen diese Deutungen darauf,
dass Jüdinnen und Juden nicht nur das falsche Bild von Antisemitismus kritisieren,
sondern grundlegender die Motivation der rechten Debattenführung infrage stellen.
Es gehe den rechten Akteuren nicht um die Unterstützung der betroffenen Jüdin-
nen und Juden, sondern vielmehr um eine Instrumentalisierung dieser für eigene
Zwecke:
„Da (habe) ich wieder das Gefühl halt, dass man das gerne instrumentalisiert.
Also ,oh nein, wir kümmern uns um unsere Juden. Weil wie schlimm ist es, dass
sie Probleme in unserem Land bekommen, aber nicht durch uns, aber durch
jemand anderen.‘ (...) So, also es geht gar nicht“ (Interview 6).
Auch die Debattenführung in der Linken problematisieren einige Interviewpartner
in grundlegender Weise. Es existiere eine bornierte Perspektive auf Antisemitismus,
die Antisemitismus nur selektiv anspräche. Der eigene Antisemitismus, aber auch
der Antisemitismus von Muslimas und Muslimen, werde in der Linken zum Ana-
thema. Wenn die Linke von Antisemitismus spreche, würde dieser per Definition als
Antisemitismus von rechts verstanden. Wie schon die politische Rechte thematisiere
auch die Linke nicht die Vielfältigkeit des aktuellen Antisemitismus und verfehle
damit in ihrer Kritik den Kern der Sache. Ebenfalls würde auch die Linke Antise-
mitismuskritik als Mittel der moralischen Selbstvergewisserung verwenden, wobei
sie nicht auf „die Muslime“ abziele, sondern sich die eigene Moral durch Kritik an
der Rechten vergewissere:
„Da fehlt oft die Selbst- die Fähigkeit, sich selbst kritisch zu sehen. (...) Dass
sie die eigenen Antisemiten in erster in erster Linie bekämpfen. Dann kann
ich es Ihnen auch glauben, wenn sie der AfD gegenüber kritisch sein wollen.
Dann kann ich es ihnen glauben. Und momentan glaube ich es ihnen nicht. (...)
Unehrlich ist ein sehr gutes Wort dafür. Genau. ,Bei uns? Nein, bei uns nicht.‘
Man hört immer wieder diese Sachen mit der, diese Floskeln mit der AfD und
der Verfassungsschutz, dass sie da überwacht wird und so. Ja, die Linke aber
auch“ (Interview 3).
Die Debatte um „importierten Antisemitismus“, der in inhaltlicher Hinsicht zwar
äußerst polarisiert ist, erleben die interviewten Jüdinnen und Juden so trotzdem
als einen Diskurs, der vor allem von Nicht-Juden für Nicht-Juden zur moralischen
Selbstvergewisserung geführt werde und sich letztlich nicht nach den Bedürfnissen
der unmittelbar Betroffenen richte. Jüdinnen und Juden kommen in diesem Streit, der
innerhalb der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft geführt werde, nicht als Akteure
und Subjekte vor, sondern oftmals als bloße Instrumente, die für linke und rechte
Akteure aus Eigennutz herangezogen werden. Wird „importierter Antisemitismus“
als gesellschaftlich geführte Debatte gedeutet, herrschen demgemäß vor allem ent-
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344 H. Beyer et al.
täuschte und resignative Perspektiven vor, die die Debatte oftmals als unproduktiv
und im Angesicht eines allseitigen Antisemitismus als wenig zielführend kritisieren.
4.2 „Importierter Antisemitismus“ als reales Problem
Der Begriff des „importierten Antisemitismus“ wird von unseren Interviewten auch
aufgegriffen, wenn sie über ein aus ihrer Sicht real existierendes Problem unter zuge-
wanderten Muslimas und Muslimen sprechen, welches in gebührend differenzierter
Art und Weise angesprochen, kritisiert und bekämpft werden müsse.
Die Deutungen der Jüdinnen und Juden gehen von ihrer eigenen Betroffenheit
aus. Wir können hierbei zwei Formen der Betroffenheit unterscheiden. Zum einen
drückt sich die Betroffenheit von Antisemitismus, der im Deutungsakt mit dem
Begriff des „importierten Antisemitismus“ in Verbindung gebracht wird, durch die
unmittelbare Konfrontation in der eigenen alltäglichen Lebenswelt aus. Am eigenen
Leib Erlebtes wird reflexiv typisiert:
„Und es ist so, okay, ganz ehrlich, es ist ein Problem, es ist nicht sonderlich
neu. Meine erste bewusst wahrgenommene antisemitische Erfahrung war von
jemandem, der als Kind nach Deutschland migriert ist auch, aus Marokko. Also
dieses wo halt gesagt wurde, du bist so n Heuchler und Lügner, wie kannst du
nur, kannst du Israeli sein“ (Interview 6).
Zum anderen müssen die Interviewten nicht persönlich oder direkt adressiert mit
Antisemitismus konfrontiert werden, um betroffen zu sein. Es ist auch möglich,
dass sie mittelbar mitbekommen, dass das jüdische Kollektiv in Deutschland an-
tisemitisch angegriffen wird und sie durch die Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv
oder antizipierter Zurechnung zu diesem durch andere erleben, dass sie selbst auch
mitgemeint sind. Ereignisse, die in den Medien aufgegriffen werden, oder, welche
einem von anderen erzählt werden, können hier angeführt werden. Ein Interview-
ter betont in diesem Sinne, dass er „Antisemitismus der zugewanderten Muslime“
(Interview 16) aus „direkten Erzählungen von anderen jüdischen Menschen“ (ebd.)
mitbekomme. Er bezieht sich hier auf seine jahrzehntelange Erfahrung im Kontext
„einer Gesellschaft für (christlich-jüdische) Zusammenarbeit“ (ebd.). Das Einladen
„muslimischer Geistlicher“ (ebd.) sei früher unproblematisch gewesen, die Gegen-
wart sähe allerdings anders aus:
„Das ist heute oft sehr schwierig. (...) Aber was ich eben immer wieder höre,
ist, dass mir einer sagt, ich würd ja so gern kommen, aber unsere Jungen, die
machen mir dann das Leben so schwer, dass ich mich (.) nicht zum Konvent
traue. Und was es natürlich auch gibt, ist dieser handgreifliche Antisemitismus,
dass es immer wieder Vorfälle, Berlin, auch Düsseldorf, auch München gibt, in
denen Juden handgreiflich belangt werden“ (Interview 16).
Die bei solchen Schilderungen simultan erfolgenden Ausdeutungen und alltags-
theoretischen Erklärungen des Problems fallen höchst heterogen aus und ergeben ein
differenziertes Bild. Antisemitismus unter zugewanderten Muslimas und Muslimen
wird auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt.
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 345
Eine wichtige Erklärungsperspektive nimmt dabei die Annahme ein, dass derar-
tiger Antisemitismus durch sozialisatorische Umstände entsteht. Importierter Anti-
semitismus wird als „kulturelle(r) Antisemitismus“ (Interview 12) verstanden, „den
die beigebracht (be)kommen haben“ (ebd.). Eine interviewte Person theoretisiert,
dass insbesondere das Aufwachsen mit einem unhinterfragten Antisemitismus in
der Gegenwart Schwierigkeiten bereiten könne, diesen wieder abzulegen:
„Sondern die wurden halt aufgewachsen, also die sind aufgewachsen mit diesen
ganzen Falschinformationen. Und natürlich haben die die geglaubt, weil die
waren klein und dann ist das einfach so passiert“ (Interview 12).
Die „Sozialisationshypothese“ der Interviewten darf jedoch nicht als simple
Wenn-Dann-Feststellung begriffen werden. Die Interviewpartner argumentieren
vielmehr in differenzierter Art und Weise. Für die interviewte Person 12 beinhal-
tet Sozialisation einerseits eine Altersdimension und andererseits die Dimension
des kontinuierlichen Lernens: Wer als junger Mensch und somit implizit als be-
einflussbarer Mensch permanent mit antisemitischen Inhalten konfrontiert sei,
übernehme diese wenig überraschend unhinterfragt. Eine ganz ähnliche Verbindung
sieht Interviewter 6, wenn er davon spricht, dass „Jugendliche (...) einfach nur das
nachsprechen was sie kennen“ (Interview 6) und „überhaupt nicht in irgendeiner
Form eine Reflexion ihres Verhaltens“ (ebd.) aufweisen würden.
Der Staat Israel stellt dabei hinsichtlich sozialisatorischen Erklärungen einen zen-
tralen Bezugspunkt dar, insofern verschiedene Interviewte schildern, dass dieser für
einige (zugewanderte) Muslimas und Muslime als erlerntes Feindbild und Projek-
tionsfläche fungiere. Für manche Interviewpartner ist die Sozialisation in islamisch
geprägten Ländern eine wichtige Ermöglichungsbedingung, die schnell zu israel-
feindlichen Bildern führen könne. Ein Interviewter berichtet von folgender Begeg-
nung:
„Ich habe vor kurzem auch mit einem Flüchtling aus Syrien, der auch mit der
Welle zwanzig fünfzehn gekommen ist, gesprochen. Und er hat äh mir auch
selbst erzählt, dass äh es in der Schule, besonders ab der siebter Klasse, sagt er,
da war kein einziger Tag, wo man nicht etwas Schlechtes über Israel berichtet
hat. Und er selbst stammt aus so gebildeter Familie und sagte, erkonnte, weil äh
er negativ zu Assad und seinem Regime eingestellt war, hat er äh die Schlüsse
gezogen, wenn die das so schlimm über Israel, dann muss das nicht alles richtig
sein, ja. Und hier in Deutschland, also er hat das äh differenzierte ausgewogene
Sicht, das hat mir sehr gefreut, dass sowas ist, aber es scheint doch ziemlich
schwierig diese junge Leute dann umzustimmen, ja“ (Interview 10).
Für den Interviewten erklärt sich der verfestigte israelbezogener Antisemitismus
über die schulische Sozialisation. Hierbei ist allerdings entscheidend, dass Soziali-
sation nicht einen Automatismus zur Inkorporierung antisemitischer Vorstellungen
impliziert. Der Interviewte greift die Erklärung des Geflüchteten auf, dass die kriti-
sche Haltung des Elternhauses – also einer weiteren Sozialisationsinstanz – gegen-
über dem herrschenden Regime eine reflexive Distanz zum schulisch vermittelten
Antisemitismus ermöglichte. Eine Interviewte folgt diesem Erklärungsmuster, wenn
sie ausführt, dass „aber nicht jeder Araber (...) gegen Israel oder gegen einen Ju-
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346 H. Beyer et al.
den“ (Interview 1) sei, gleichwohl „die meisten da so sozialisiert wurden in ihren
arabischen Herkunftsländern“ (ebd.). Dabei macht sich gleichfalls Reflexion als Ge-
gengewicht zum sozialisatorisch bedingten Hass auf Israel und Jüdinnen und Juden
stark, da es aber auch Zugewanderte gebe, die „darüber nachdenken“ (ebd.) können
und so „keine Antisemiten“ (ebd.) seien.
Die Bezugnahme auf israelbezogenen Antisemitismus als relevante Antisemitis-
musform unter (zugewanderten) Muslimas und Muslimen erfolgt allerdings nicht
ausschließlich im Rahmen sozialisatorischer Erklärungen. Manche Interviewte le-
gen zur Erklärung des importierten Antisemitismus den Fokus stärker unmittelbar
auf den Nahostkonflikt, was die sozialisatorische Erklärung zwar nicht ausschließt,
diese jedoch in den Hintergrund treten lässt. Der reale Konflikt zwischen Israel
und den Palästinenserinnen und Palästinensern wird hier zum argumentativen Aus-
gangspunkt, da „Menschen mit den Konflikten, die sie aus dem Nahen Osten hatten,
dann quasi nach Deutschland kommen und dann die Konflikte hier weiter ausleben“
(Interview 2). Die Feindschaft, die Zugewanderte aus dem Nahen Osten gegenüber
Israel empfinden, gehe auf die Jüdinnen und Juden in Deutschland über, da „es
vielleicht nicht Israelis, aber (...) Juden (gibt), dann wird das einfach eins zu eins
übertragen“ (ebd.).
Der Nahostkonflikt muss dabei allerdings nicht die Genese des israelbezoge-
nen Antisemitismus erklären. Für einen Interviewten ist der Konflikt vielmehr ein
zentraler Anlass, der „ausgenutzt“ (Interview 3) werde, um bereits bestehenden
„Judenhass“ (ebd.), der in „mehreren islamischen Ländern in der Kultur ziemlich
eingebettet“ (ebd.) ist, zu legitimieren. Der Nahostkonflikt wird in dieser Deutung
eher zu einem „vorgeschobenen Vorwand“ (Interview 13), der beispielsweise von
Menschen, die in Moscheen „einfach Hass predigen“ (Interview 11) wollen, ausge-
nutzt werde.
Auf der anderen Seite kann der Nahostkonflikt ein Grund für Interviewte da-
für sein, partiell Verständnis für Palästinenserinnen und Palästinenser aufbringen zu
können. Eine Interviewte, welche in der politischen Bildungsarbeit gegen Antisemi-
tismus aktiv ist, berichtet von folgender Begegnung:
„Und dann ist es natürlich dieser Konflikt ein Teil ihrer Biografie. (...) Weil
ich kann es nachvollziehen, ich kann es verstehen. Ich bin nicht ihrer Meinung,
aber wenn ich zum Beispiel – da kam ein Mann zu uns, der Palästinenser ist, der
in Gaza aufgewachsen und ich kenne niemanden, der in Gaza aufgewachsen ist.
Und der war hier drei Stunden, ich habe nur ausgefragt, weil es so interessant
für mich war. Und ein Stück weit kann ich seine Einstellung verstehen. Ich
finde es nicht gut, dass wenn ich ihn zum Beispiel auf Hisbollah oder Hamas
anspreche, dass er dann ab- abblockt und sagt dann nichts. Also es kann nicht
sein, dass nur Israeli schlecht sind, ja. Das finde ich wiederum etwas einseitig.
Aber trotzdem grundsätzlich höre ich erst mal allen zu“ (Interview 14).
Auch ein anderer Interviewter reflektiert den Nahostkonflikt dahingehend, dass
er versucht, die Perspektive „palästinensischer Jugendlicher“ (Interview 4) zu über-
nehmen. Hierbei kommt er zum Schluss, dass man vor dem Hintergrund dieses
„regionalen Konfliktes“ (ebd.) nicht erwarten könne, dass diese Jugendliche ein
„zionistisches oder pro-israelisches Narrativ übernehmen“ (ebd.) würden. Zwar sei-
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 347
en die Narrative dieser „mehrheitlich muslimischen-arabischen Jugendlichen (...)
voller Vorurteile, voller YouTube-Verschwörungstheorien“ (ebd.), gleichzeitig ha-
be er jedoch durch einen befreundeten Konfliktpädagogen die Erfahrung gemacht,
dass diese Jugendlichen „sobald sie das Gefühl hatten, sie konnten ihre Sichtweisen
teilen, auch zugänglich für Gegenargumente waren“ (ebd.).
Eine weitere alltagstheoretische Erklärung bezieht sich auf die Ausdeutung spe-
zifischer Gruppenkonstellationen, in denen sich Menschen in ihrem Alltag bewegen.
Hier wird Antisemitismus mit Lebenssituationen erklärt, in denen unwiderspro-
chen Kontakt zu antisemitischen Stereotypen in unterschiedlichen Sozialräumen und
Gruppenkonstellationen besteht. Ein Interviewter hält dazu fest:
„Und dass es vielleicht auch durch gewisse Erdogan-DITIB-Moscheen, sich
das verstärkt hat wahrscheinlich. Und dass es natürlich Leute gibt, die die dann
irgendwie sich nicht auskennen und nicht verstehen und das von zu Hause nicht
anders kennen, und das irgendwie so gelernt haben und das dann noch im Inter-
net sehen und sich dann irgendwie unter Freunden da hochstacheln. Und dann
ist das irgendwie klar“ (Interview 5).
Eine andere Interviewte ist der Ansicht, dass auch Erfahrungen von Mobbing
an Schulen, welche erstmal nicht unmittelbar mit der Thematik Antisemitismus
verknüpft sein muss, die Zuwendung zu „extremistischen Gruppen“ (Interview 8)
befördern kann.
Zudem wird den digitalen Sozialräumen als Faktor für die Entstehung und Ver-
festigung antisemitischer Einstellung große Relevanz beigemessen. Allerdings ist
anzumerken, dass hierbei oftmals die Grenze zwischen den alltagstheoretischen Er-
klärungen, die spezifisch Ursachen des „importierten Antisemitismus“ ausdeuten
und solchen, die allgemein das Auftreten von Antisemitismus in verschiedenen ge-
sellschaftlichen Milieus erklären, verschwimmt. Darüber hinaus werden von den
Interviewten aber auch Kommunikationsmedien ausgemacht, die eine spezifische
Rolle beim „importierten Antisemitismus“ spielten, da sie antisemitische Narrative
bedienen und vermehrt von Migrantinnen und Migranten, welche aus „Maghreb-
Staaten, aus der Türkei, dann so aus dem Orient stammen“ (Interview 10), rezipiert
würden:
„Es reicht eine solche Schlagzeile, (...) viele schauen auch so türkisches Fernse-
hen und Al Jazeera und so weiter und da sind wahrscheinlich die Schlagzeilen
noch drastischer als beim ZDF, ja“ (ebd.).
Dem spezifischen Medienkonsum, der Einbindung in bestimmte Gruppen, der
Sozialisation in islamisch geprägten Herkunftsländern oder der Bezug zum Nahost-
konflikt steht in Bezug auf die deutsche Gesellschaft Integration als weiterer Ein-
flussfaktor gegenüber. Insbesondere das Scheitern von Integration führt aus der Sicht
einiger Interviewter dazu, dass die zuvor inkorporierten antisemitischen Vorstellun-
gen weiterhin Bestand haben. Integration wird dabei in differenzierter Hinsicht the-
matisiert, insofern die Interviewten verschiedene Dimensionen von Integration in die
deutsche Gesellschaft ansprechen. Für Interviewte 2 steht eine „Werteintegration“
im Vordergrund, bei welcher sie sich wünsche, dass „man nicht einfach die Leute
nur alimentiert, wenn sie da sind, sondern tatsächlich auch integriert“ (Interview 2).
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348 H. Beyer et al.
In „Schulen, (...) Erwachsenenbildung, (...) (und) Sprachkursen“ (ebd.) müsse man
Migrantinnen und Migranten „auf die westliche Welt hier vorbereiten“ (ebd.). Im
Rahmen des Lernens über dieses „Wertesystem“ (ebd.) müssen dabei auch „innerli-
che Konflikte“ (ebd.) angesprochen werden, wobei die Interviewte „antiisraelische
Bilder“ (ebd.) und „Männlichkeitsbilder“ (ebd.) in diesem Zusammenhang konkret
benennt:
„Dass man das alles neu sortiert und schüttelt und reflektiert und anerkennt,
und aber auch überdenkt und wieder neu aufbaut, damit sie dann auch hier
glücklich werden können und nicht nur Parallelgesellschaften bilden müssen“
(Interview 2).
Die Interviewte versteht Integration als beidseitigen Prozess, der sowohl die Be-
reitstellung von Integrationsmöglichkeiten seitens der Mehrheitsgesellschaft fordert,
als auch den Migrantinnen und Migranten Verantwortung zuschreibt, durch Ausein-
andersetzung mit dem „westlichen Wertesystem“ ihren mitgebrachten Antisemitis-
mus zu reflektieren.
Für einen weiteren Interviewten, der selbst nach Deutschland migriert ist, spielt
auch der Aspekt der „sprachlichen Integration“ eine wichtige Rolle. Der muslimische
Glaube ist für ihn unproblematisch, mit „Freunde(n) oder Freundinnen, die auch so
orthodox muslimisch sind“ (Interview 3), zugleich aber auch „hier grundsätzlich
integriert sind“ (ebd.) könne er sich „nach wie vor sehr gut verständigen“ (ebd.).
Diese Sozialbeziehungen seien für ihn unproblematisch:
„Aber es gibt auch Leute, die hier wirklich geboren oder mindestens aufge-
wachsen sind und schlechteres Deutsch sprechen als meine Wenigkeit. Und da
kann man schon verschiedene Phänomene beobachten, die die mit einem sol-
chen Hintergrund Hand in Hand gehen“ (Interview 3).
Fehlende Sprachkenntnis erscheint dem Interviewten so als Indikator für ein gan-
zes Cluster an Einstellungen, die er als problematisch ansieht. Gleichzeitig können
wir hier beobachten, dass der Interviewte klar zwischen integrierten und nicht-in-
tegrierten Muslimas und Muslimen unterscheidet, wobei explizit Religiosität bzw.
„der Islam“ nicht als Einflussfaktor für mangelhafte Integration angesehen wird. Im
weiteren Verlauf des Interviewgesprächs wird ersichtlich, dass für den Interviewten
zu den mit sprachlicher Integration verbundenen Faktoren auch die Integration in
den deutschen Arbeitsmarkt gehört. Die berufliche Einbindung von Migrantinnen
und Migranten führe einerseits dazu, dass sie sich während der Arbeitszeit „profes-
sionell“ (ebd.) verhalten müssten und Antisemitismus dort nicht äußern. Zugleich ist
der Interviewte aber auch der Ansicht, dass es bei guter Integration und Ausbildung
an einem „deutschsprachigen Arbeitsplatz“ (ebd.) eher weniger zu Problemen mit
Antisemitismus komme.
Ein anderer Interviewter deutet das Problem des „Antisemitismus der zugewan-
derten Muslime“ (Interview 16) eher in Hinsicht auf die Nicht-Realisation von Le-
benschancen nach Ankunft in Deutschland. Das Ausbleiben persönlichen Erfolgs
nach der Immigration deutet er als Teil des Problems:
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 349
„Hängt natürlich auch damit zusammen, dass so manche junge Muslime eben
nicht den erfolgreichen Weg gegangen sind und sie sich irgendwie profilieren
wollen. Und wenn man es nicht geschafft hat, im Leben sich positiv zu pro-
filieren, dann profiliert man sich halt negativ in Feindschaft gegen irgendwas,
irgendwen. Das war ja letztlich bei den Nazis nicht anders, die sich einen Ur-
feind ausgesucht haben und damit, ja, nicht erfolglos waren“ (Interview 16).
Auffällig bei der Analyse von Integration als Faktor, der Antisemitismus entge-
genwirke, ist, dass diese Deutungen mit anderen Interviewpassagen in einen unmit-
telbaren Konflikt geraten. Während hier die deutsche Mehrheitsgesellschaft mit der
Hemmung und dem Abbau antisemitischer Einstellungen in Verbindung gebracht
werden, wird in anderen Passagen sehr deutlich auf die Normalität von Antise-
mitismus in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft hingewiesen. Dies kann
als Hinweis aufgegriffen werden, dass Deutungsmuster nicht als geschlossene und
perfekt abgestimmte Wissensformationen misszuverstehen sind, sondern je nach Re-
levanzsetzung gewisse Widersprüche aushalten können.
Bei vergleichender Zusammenfassung dieser verschiedenen Erklärungen und
Deutungen zeigt sich deutlich eine differenzierte Problemsicht. Die qualitative In-
terviewstudie unterstreicht, dass zum einen für die interviewten Jüdinnen und Juden
nicht gleich „jeder Araber“ (Interview 1) ein Antisemit ist. Zum anderen können
wir zeigen, dass auch bei diejenigen, die aus Sicht der Interviewten antisemitische
Einstellungen aus ihren Herkunftsländern mitbringen, die jeweiligen Hintergrün-
de, Biografien und soziokulturellen Bedingtheiten in vielfältiger Weise gedeutet
und eingeordnet werden. Hierbei ist nicht zuletzt wichtig anzusprechen, dass die
Interviewten kaum vom Einflussfaktor der Religion – namentlich des Islams –
sprechen. Neben zurückhaltenden Verweisen auf fehlende Expertise hinsichtlich
der religiösen Quellen des Judenhasses wird in diesem Zusammenhang zumeist
eher von einer propagandistischen Verwendung religiöser Motive gesprochen, die
auf einer spezifischen Interpretation des Korans beruhen. Die Interviewten trennen
so implizit zwischen islamischer Lehre, die allenfalls eine islamistische Deutung
zulassen, und der islamistischen Propaganda, aus der sich Antisemitismus speisen
würde. Interviewter 10 ist sich in diesem Zusammenhang nicht sicher, „ob diese
Jugendliche jetzt wirklich wegen Koran gegen Juden sind“ (Interview 10). Vielmehr
sei die „Propaganda in diesen Ländern und Familien“ (ebd.) für den Antisemitismus
verantwortlich zu machen. Zwar mag es Stellen im Koran geben, „die Juden nicht
sehr schmeichelhaft darstellen“ (ebd.), er glaube aber, „dass viele Jugendliche (...)
(den) Koran gar nicht (kennen)“ (ebd.), sodass er nicht denke, dass der Koran „jetzt
Grund“ (ebd.) für den Antisemitismus sei.
4.3 Der Umgang mit „importierten Antisemitismus“
Vor dem Hintergrund dieser differenzierten Problemverständnisse möchten wir ab-
schließend noch kurz auf die Deutung des Umgangs mit „importierten Antisemi-
tismus“ als einem realen Problem eingehen. Die Deutungen gehen nämlich oftmals
mit unterschiedlichen Vorstellungen und Wünschen hinsichtlich der Problembear-
beitung einher. Unsere Interviewten unterscheiden an dieser Stelle zwei Formen des
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350 H. Beyer et al.
Erlebens, aus denen sie unterschiedliche Konsequenzen ableiten. Die Differenzie-
rung geschieht hier implizit anhand der Beurteilung des jeweiligen Gewaltpotentials
einer antisemitischen Äußerung oder Handlung.
Zum einen erleben die Interviewten Antisemitismus, den sie der Gruppe der zuge-
wanderten Muslimas und Muslime zurechnen, auf subtile und/oder nicht gewaltsame
Art und Weise. Dies kann sich durch einseitige Perspektiven oder Anspielungen auf
den Nahostkonflikt ausdrücken. Auch stereotype Judenbilder werden von den Inter-
viewten zu einem gewissen Grad dazugezählt, beispielsweise wenn ein muslimischer
Gesprächspartner sich über die jüdische Identität seines Gegenübers überrascht zei-
ge und ausdrücke, dass er bisher dächte, Jüdinnen und Juden müssten Muslimas
und Muslime entweder konvertieren oder ermorden. Umgangsstrategien sollten hier
laut Einschätzung der Interviewten auf eine Verständigung abzielen. Dialogisch und
lösungsorientiert könnten beispielsweise Begegnungen zwischen Jüdinnen und Ju-
den sowie Muslimas und Muslimen geschaffen werden, die Ängste und Vorurteile
abbauen. Auch politische Bildung und Aufklärungsarbeit sind hier Formen des Um-
gangs, die die Interviewten vorschlagen – eine an Werten orientierte Integration,
wie wir sie bereits weiter oben angesprochen haben, wäre hierfür ein Beispiel. Eine
Interviewte führt hierzu aus, dass Menschen, die „aus Staaten kommen, wo die Kin-
wo die Menschen eigentlich von klein auf lernen: Der Jude ist unser Feind“ (Inter-
view 12), nur durch einen langen Bildungsprozess sich ändern lassen. Sie reflektiert
auf ihre eigene Position, dass diese zwar aus eigenem „Idealismus“ (ebd.) komme,
sie aber nur „durch Begegnungen und Bildung“ (ebd.) eine Möglichkeit sehe, gegen
die antisemitische Indoktrination anzukämpfen.
Bei offenen und gewaltsamen Artikulationsformen von Antisemitismus durch
zugewanderte Muslimas und Muslime fordern die Interviewten dagegen konsequen-
tere Reaktionen, die oftmals auch gerade einen konsequenten Umgang vonseiten des
deutschen Staates beinhalten sollten. Offen und gewaltsam sei „importierter Antise-
mitismus“ beispielsweise dann, wenn er sich auf israelfeindlichen Demonstrationen
in Parolen äußert, die zum Massenmord an Jüdinnen und Juden aufrufen. Auch Aus-
schreitungen und Angriffe auf jüdische Einrichtungen, wie sie sich beispielsweise
im Mai und Juni 2021 in deutschen Städten ereigneten, werden als äußert gewaltsa-
me Ausdrucksformen typisiert. Neben diesen kollektiven Ausdrucksformen rechnen
die Interviewpartner ferner auch individuell verübte Übergriffe und tätige Angriffe
in diese Kategorie mit hinein. Ein als notwendig angesehener konsequenter Umgang
sollte hier einerseits präventiv den Ausbau von Schutzmaßnahmen jüdischer Einrich-
tungen beinhalten. Andererseits müsse auch polizeiliche Repression und juristische
Konsequenzen im Nachgang antisemitischer Gewalt in noch konsequenterer Weise
als bisher eingesetzt werden:
„Also wenn jetzt Gesetze gebrochen wird auf solchen Demonstrationen, dass
dann muss die Polizei halt durchgreifen, ja. Das, und wenigstens Präzedenzfälle
schaffen, ja, dass das nicht geduldet wird, ja. (...) wenn man da bekämpfen will,
dann muss man wirklich hart durchgreifen. Das hat auch der Innenminister
gesagt, und so weiter. Aber oft da sind nur anteilsmäßig wenige Polizisten, die
große Anzahl von Teilnehmern, und die haben auch Angst, ja“ (Interview 10).
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 351
5 Fazit und Diskussion
Die hier vorliegende Mixed-Methods-Studie hatte sich zum Ziel gesetzt, zwei Fra-
gen zu beantworten. Erstens wollten wir herausfinden, welche Bedeutung Jüdinnen
und Juden dem Problem des PIA zurechnen, und inwiefern sie dabei zwischen
„Muslimen“ auf der einen Seite und „radikalen Muslimen“ auf der anderen Seite
differenzieren. Zweitens interessierte uns die diskursive Metaebene dieses Problem-
komplexes, das heißt die Sicht der jüdischen Interviewpartnerinnen und Interview-
partner auf die Debatte um Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen, die unter
dem Topos „importierter Antisemitismus“ geführt wird.
Das Survey-Experiment hat bezüglich der ersten Fragestellung gezeigt, dass sich
zum einen die allgemeine Bedrohungs- und Problemwahrnehmung verringert und
zum anderen die Differenzierung zwischen „Muslimen“ und „radikalen Muslimen“
erhöht, wenn es um konkretere Bedrohungsszenarien bzw. persönliche „Angst“ geht.
Letztere bezieht sich weitestgehend auf die Gruppe „radikale Muslime“, oder in un-
serer Terminologie auf den ideologischen politisch-islamischen Antisemitismus. All-
gemeine „Probleme“ mit Antisemitismus werden hingegen der muslimischen Com-
munity als solcher zugeschrieben, was sich angesichts der höheren Zustimmungs-
raten und geringeren Treatmenteffekte so interpretieren ließe, dass die Mitglieder
dieser Community den Antisemitismus in den eigenen Reihen nicht angemessen an-
dressieren, nicht aber von allen dieser Mitglieder deshalb eine Gefahr für Juden und
Jüdinnen im Allgemeinen und die Befragten im Besonderen ausgeht. Dass insbe-
sondere links eingestellte und höher gebildete Befragte bezüglich der allgemeinen
Bedrohung für Jüdinnen und Juden stärker zwischen „Muslimen“ und „radikalen
Muslimen“ unterscheiden, dürfte wiederum sehr wahrscheinlich so zu deuten sein,
dass diese Gruppen als rassistisch wahrgenommene Verallgemeinerungen vermeiden
wollen.
Das qualitative Interviewmaterial hat zutage gefördert, dass zwar einerseits der
instrumentelle Charakter der Debatte um „importierten Antisemitismus“ kritisiert,
aber andererseits durchaus der politisch-islamische Antisemitismus als reales Prob-
lem wahrgenommen wird. Die gesellschaftliche Debatte um „importierten Antisemi-
tismus“ erweist sich aus der Sicht von Jüdinnen und Juden nicht selten als Versuch
rechter wie linker Gruppen, sich moralisch selbst zu vergewissern. Während man
an rechten Gruppen kritisiert, dass diese sich vom eigenen Antisemitismus frei-
sprechen, indem dieser ausschließlich auf (zugewanderte) Muslimas und Muslime
projiziert wird, ist bei der Debattenführung in linken Gruppen zu beobachten, wie
hier Antisemitismus ausschließlich als rechtsextremes Phänomen verstanden wird,
wodurch politisch-islamischer Antisemitismus aus dem Blick gerät. Neben dieser
Problematisierung des gesellschaftlichen Diskurses wiesen die interviewten Perso-
nen gleichzeitig auf den in vielen muslimisch geprägten Herkunftsländern virulenten
Antisemitismus hin. Antisemitismus unter Muslimas und Muslimen sowie auch die
Bedrohung, die von ihm ausgeht, werden von den Befragten dementsprechend eher
mit einer radikalen Auslegung des Islam assoziiert als mit der islamischen Religion
oder der muslimischen Community als solcher. Die Radikalität der Auslegung des
Islam erweist sich für Jüdinnen und Juden als von Antisemitismus Betroffene daher
durchweg als entscheidend für die Einschätzung antisemitischer Bedrohungen.
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352 H. Beyer et al.
Unsere Ergebnisse der beiden Teilstudien zum politisch-islamischen Antisemi-
tismus liefern wichtige Beiträge einer subjektorientierten Antisemitismusforschung,
die Perspektiven und Wahrnehmungen von Jüdinnen und Juden in die Betrachtung
des Phänomens einbezieht. Da es sich beim PIA neben rechtsextremem Antise-
mitismus um eine der virulentesten Erscheinungsformen des gegenwärtigen Anti-
semitismus handelt, wie die Ereignisse des 7. Oktober und die auf ihn folgenden
physischen und verbalen Angriffe auf Jüdinnen, Juden und jüdische Einrichtungen
belegen, sollte das Phänomen stärker empirisch erforscht werden. Eine Dimensi-
on, neben Einstellungsbefragungen und Inhalts- und Diskursanalysen, stellen die
Berichte der vom PIA Betroffen dar. Mit dieser Perspektive sind jedoch auch Ein-
schränkungen verbunden: Ganz grundsätzlich können so nur bedingt Aussagen über
das tatsächliche Bedrohungspotential und noch weniger Erkenntnisse über die ideo-
logische Struktur des PIA gewonnen werden. Zwar zeigen unsere Umfragedaten,
dass zirka die Hälfte aller Befragten, die schon Erfahrungen mit antisemitischen
Vorfällen gemacht hat, diese als „islamisch“ motiviert wahrgenommen haben (ins-
gesamt ca. 29 % aller Befragten), aber da es sich sowohl um eine nicht-repräsentati-
ve Stichprobe als auch eine subjektive Einschätzung handelt, muss dieser Wert mit
Vorsicht interpretiert werden. Selbstselektionsmechanismen, die vor allem von PIA
betroffene Personen zur Umfrage geführt haben könnten, sind zwar unwahrschein-
lich, weil das Thema der Befragung sehr allgemein gefasst wurde, aber gänzlich
auszuschließen sind sie nicht. Zudem sind die Gründe für die Zuschreibung des Mo-
tivs „islamisch“ sehr heterogen und dürften nicht immer zwischen palästinensisch-
nationalistisch und islamisch unterscheiden – wobei diese Unterscheidung auch in
der Praxis immer stärker verschwimmt, wie unter anderem die Neuformulierung der
Hamas Charter von 2017 (Hroub 2017)belegt.
Bezüglich der qualitativen Ergebnisse der Studie muss berücksichtigt werden,
dass zwischen den alltagstheoretischen Verständnissen der Interviewpartnerinnen
und Interviewpartner und der wissenschaftlichen Begriffsbildung eine Kluft exis-
tieren kann. Die Analyse der Perspektiven von Jüdinnen und Juden trägt dazu bei,
zu verstehen, wie Betroffene Antisemitismus deuten und sich zu den öffentlichen
Kontroversen um Antisemitismus positionieren. Sie darf nicht als wissenschaftliche
Ursachenforschung über die Hintergründe von Antisemitismus missverstanden wer-
den. Auch ist zu betonen, dass die interpretative Herausarbeitung unterschiedlicher
Deutungen und Verständnisse von Jüdinnen und Juden in Hinsicht auf „importierten
Antisemitismus“ keine quantifizierbaren Aussagen über diesbezügliche Verteilun-
gen ermöglicht – sie ist als Exploration verschiedener Sichtweisen zu verstehen, die
lediglich einen Einblick in die jeweilige Deutungsvielfalt gewährt.
Neben den Schwächen der einzelnen Verfahren und Daten, sollten auch die allge-
meinen Nachteile von Mixed-Methods-Studien reflektiert werden (vgl. Pickel 2009,
S. 522): Insbesondere die Frage, inwiefern beide Datenquellen und folgerichtig die
Ergebnisse der unterschiedlichen Teilstudien überhaupt kommensurabel sind, muss
im Rahmen von Triangulationsprojekten gestellt werden. In unserem Fall geben
die quantitativen Daten Aufschluss über Verteilung und Häufigkeit von Erfahrungen
und Bedrohungswahrnehmungen im Kontext von PIA. Das Interviewmaterial fokus-
siert dagegen eher auf z.T. höchst subjektive Interpretationen, Gefühle und Gedan-
ken zum Thema „importierte Antisemitismus“. Dabei stellt das beiden Teilstudien
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„Importierter Antisemitismus“? Differenzierende Wahrnehmungen in Deutschland lebender... 353
zugrunde liegende theoretisches Konzept des politisch-islamischen Antisemitismus
sicher, dass trotz unterschiedlicher methodischer Zugänge dennoch Dimensionen
desselben Komplexes erforscht werden und – unter Berücksichtigung verschiedener
Auswertungsverfahren – in der Interpretation aufeinander bezogen werden können.
Die im Interviewmaterial zutage geförderten Einschätzungen zum „importierten An-
tisemitismus“ als realem Problem und Debatte zeichnen dabei ein innerhalb der
jüdischen Community bestehendes (durchaus heterogenes) Stimmungsbild zum ak-
tuellen gesellschaftlichen Klima in Bezug auf Antisemitismus unter Muslimas und
Muslimen. Insofern können die Befunde aus der qualitativen Teilstudie zugleich
wichtige Hinweise für die Interpretation der Survey-Daten liefern, für die der jewei-
lige gesellschaftliche bzw. diskursive Kontext, in dem sich auch z.B. Bedrohungs-
wahrnehmungen ausbilden, nicht zu vernachlässigen ist. So erwies sich das Mixed-
Methods-Design im Zuge der Auswertung als äußerst fruchtbar, den Komplex des
PIA aus jüdischen Perspektiven zu beleuchten.
Schon diese Auseinandersetzung mit den methodischen Limitationen unserer em-
pirischen Studien zu den Perspektiven von Jüdinnen und Juden unterstreicht die Not-
wendigkeit weiterer Forschung. Die Aussagekraft zukünftiger Erhebungen ist dabei
nicht nur von deren jeweiliger (statistischen oder typologischen) Repräsentativität
abhängig, sondern ist zugleich angehalten, sich weiter mit der Herausforderung eines
methodisch kontrollierten Fremdverstehens auseinanderzusetzen. Unserem Erachten
nach scheint hier auf der einen Seite gerade relevant, die Beziehung zwischen der
bereits bestehenden Begriffsbildung der Antisemitismusforschung und den Begriffs-
verwendungen derjenigen, die von Antisemitismus im Alltag betroffen sind, weiter
Tab . 4 Relative Wahrscheinlichkeiten der Gesamtstichprobe
Stimme über-
haupt nicht
zu
Stimme eher
nicht zu
Weder noch Stimme eher
zu
Stimme voll
und ganz zu
n
1,1 1,8 6,0 34,3 56,9 283
Unter (radikalen) Muslimen gibt es ein großes Problem mit Antisemitismus
Gar keine
Bedrohung
Eher geringe
Bedrohung
Mittelgroße
Bedrohung
Eher große
Bedrohung
Sehr große
Bedrohung
n
1,4 8,6 18,5 23,3 48,3 292
Inwiefern geht Ihrer Meinung nach von folgenden Gruppen eine Bedrohung für in Deutschland lebende
Jüdinnen und Juden aus? (radikale) Muslime
Stimme über-
haupt nicht
zu
Stimme eher
nicht zu
Weder noch Stimme eher
zu
Stimme voll
und ganz zu
n
14,0 17,4 15,0 26,3 27,3 292
Ich habe Angst vor (radikalen) Muslimen
Anmerkung: Relative Wahrscheinlichkeiten der Gesamtstichprobe
K
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354 H. Beyer et al.
zu reflektieren. Auf der anderen Seite besteht eine Herausforderung zukünftiger Er-
hebungen darin, die affektive Dimension der Erfahrung von Antisemitismus und
seine Konsequenzen stärker in die soziologische Forschung über Antisemitismusbe-
troffene miteinzubeziehen.
Nicht erst das Massaker vom 07. Oktober und die Welle antisemitischer Taten in
seinem Nachgang, sondern schon die in den letzten Jahren durch politisch-islami-
schen Antisemitismus motivieren Angriffe auf Jüdinnen und Juden unterstreichen
die Dringlichkeit, die (zu) lange ausgeblendeten Perspektiven von Jüdinnen und
Juden stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Normativ muss dieser Bereich der Anti-
semitismusforschung, gerade wenn es zur Thematisierung des politisch-islamischen
Antisemitismus kommt, dabei der von Jüdinnen und Juden vorgebrachten Kritik
Rechnung tragen, dass ihre Perspektiven in der anhaltenden öffentlichen Ausein-
andersetzung oftmals ausgeblendet werden oder nur dann prominent zur Sprache
kommen, wenn es den eigenen Standpunkten gemäß opportun erscheint.
6 Anhang
Förderung Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes „Auswirkungen des radikalen Islam auf jüdisches
Leben in Deutschland (ArenDt)“ entstanden, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) unter dem Förderzeichen 01UG2034 gefördert wurde.
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