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Stefan Kraus1
Thomas Trefzger1
1Universität Würzburg
PUMA : Optiklabor – eine WebAR-Anwendung
zur Unterstützung der Optiklehre
Hintergrund
Augmented Reality (AR) ist spätestens seit Applikationen wie
„Pokémon-Go“ ein bekannter Begriff für die Verschmelzung
von Realität und virtuellen Elementen. Auch gibt es inzwischen
viele Projekte, bei denen AR in der Lehre eingesetzt wird. Diese
Studie geht in zwei Aspekten einen Schritt weiter: Zum einen
wird rein auf Webtechniken gesetzt, um die Installation einer
Applikation auf den Endgeräten der Schülerinnen und Schüler
zu umgehen. Dies erhöht die Einsatzfähigkeit der Applikation
immens, da wenig Speicherplatz und keine Installationsrechte
benötigt werden. Zum anderen wird hier kein Realversuch
durch Augmentierung mit zusätzlichen Inhalten angereichert, sondern ein low-cost-Labor für
Schule und heimischen Schreibtisch konzipiert. Unter dem Begriff „WebAR-Simulation“
wird im Rahmen der Arbeitsgruppe Physikunterricht mit Augmentierung (PUMA) des Lehr-
stuhls für Physik und ihre Didaktik der Universität Würzburg (Frank, et al., 2023) eine Optik-
Simulation entwickelt, die durch Augmentierung ein signifikant realistischeres haptisches Er-
lebnis bietet, als reine Bildschirmexperimente. So erhalten die Nutzerinnen und Nutzer „Mar-
ker“, welche sie auf den Tisch legen. Auf dem Bildschirm des mobilen Endgeräts werden in
das Kamerabild an Stelle der Marker Gegenstände eingeblendet, wie aus Optik-Experimen-
tierkästen bekannt.
Ziel der WebAR-Simulation ist nicht, das klassische Realexperiment zu ersetzen. Vielmehr
soll es möglich sein, Versuche ohne großen Kosten- und Materialaufwand durchführen zu
können. Dabei sind die Schülerinnen und Schüler nicht wie in anderen Simulationen auf feste
Rahmenbedingungen eingeengt, sondern können spielerisch an die durchaus komplexen Mo-
delle herangeführt werden. Durch das Einblenden von Zusatzinformationen und das händische
Verschieben der Marker ist ein gänzlich neues Begreifen des Versuchs möglich. Auch können
Parameter wie die optische Dichte während des Versuchs geändert und die Folgen live beo-
bachtet werden. Die AR-Simulation kann unabhängig von der Ausstattung der Schule auch
jederzeit zu Hause mit dem eigenen Gerät genutzt werden. (Kraus & Trefzger, 2023)
Forschungsfragen
FF1: Wie nutzen und bewerten Lehrende und Lernende eine webbasierte Augmented Reality
Simulation im Bereich der Optik der Sekundarstufe 1 inner- und außerhalb des Unter-
richts?
FF2: Auf welche Weise wirkt der Einsatz einer webbasierten Augmented Reality Simulation
im Bereich der Optik auf Präkonzepte und motivational-affektive Merkmale von Schü-
lerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1?
FF3: Inwiefern entspricht eine webbasierte AR-Simulation auf der Basis von AR.js den tech-
nischen Anforderungen des Unterrichts in einer 8. Klasse in Bezug auf Nutzererfahrung,
Technikaffinität und Plattformunabhängigkeit?
Abb. 1 PUMA : Optiklabor
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Studie
Ziel der Studie ist die Forschung zum Einsatz einer WebAR-Simulation im Physikunterricht
und die gleichzeitige Entwicklung der dabei eingesetzten Applikation nach der Methode De-
sign-Based-Research. In mehreren Iterationen soll dabei eine Web-Anwendung entstehen,
die nach aktuellen Erkenntnissen und neu gewonnen Daten sinnstiftend, problemlos und kos-
tenlos im Optikunterricht eingesetzt werden kann. Währenddessen wird sowohl auf der Seite
der Lehrkräfte, als auch auf der der Schülerinnen und Schüler beleuchtet, wie sich die Vorteile
einer WebAR-Simulation gewinnbringend im Optikunterricht nutzen lassen und wie gut die
Technik unter Praxisbedingungen funktioniert. Bei der Auswertung wird es insbesondere da-
rum gehen, welche der Erkenntnisse über das beforschte Produkt hinaus Gültigkeit besitzen.
Das hier vorgestellte Studiendesign liegt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des zuständi-
gen Kultusministeriums zum Zeitpunkt der Tagung vor und ist bis zur endgültigen Genehmi-
gung als Arbeitsdokument im Entwurfsstadium zu verstehen.
Testinstrumente
Zunächst werden von Lehrenden wie Lernenden Basisgrößen erhoben, die bei der Einord-
nung der Ergebnisse helfen sollen. So geben sie beispielsweise Alter, Vorerfahrungen mit AR,
technische Ausstattung und Schulart an, die Schülerinnen und Schüler zusätzlich die gewählte
Ausbildungsrichtung und die Lehrkräfte die technische Ausstattung der Schule an. Hinzu
kommt insbesondere der Zugang zu WLAN wie auch die Verfügbarkeit von mobilen Endge-
räten im Unterricht.
Die Technikaffinität wird mithilfe des etablierten „Affinity for Technology Interaction“
(ATI) Tests eingeordnet (Franke, Attig, & Wessel, 2019). Dieser mit neun Items kurze Fra-
gebogen ist allgemein formuliert und wird so auch in anderen Bereichen verwendet.
Sowohl vor als auch nach der Unterrichtsreihe wird das Fachwissen zur Optik im Konzepttest
Strahlenoptik und Abbildungen (KTSO-A) geprüft (Hettmansperger, Müller, Scheid, Kuhn,
& Vogt, 2021). Dieser geht insbesondere auf die Lichtausbreitung, die Bildentstehung und das
Strahlenmodell bzw. die Bildkonstruktion im Kontext „Abbildungen an der Sammellinse“ ein.
Regelmäßig wird auch die Nutzererfahrung untersucht. Dabei wird der vielfach erprobte „U-
ser Experience Questionaire“ (UEQ+) verwendet (Schrepp & Thomaschewski, 2019). In einer
verkürzten Version betrachtet er die Dimensionen Attraktivität, Stimulation und Nützlichkeit
nach jeder Benutzung der Web-Applikation. Dadurch, dass bei jeder Nutzung der fachliche
Kontext verknüpft wird, können Zusammenhänge zwischen Nutzererfahrung und dem behan-
delten Inhalt beforscht werden. Am Ende der Unterrichtsreihe führen alle Nutzerinnen und
Nutzer die verlängerte Variante mit den zusätzlichen Feldern Visuelle Ästhetik, Intuitive Be-
dienung und Wertigkeit durch.
In den letzten Jahren wurde zunehmend die Aussagekraft des Geschlechts zur Erklärung grup-
penspezifischer Erscheinungen in Zweifel gezogen. Ein alternatives Konzept ist die Katego-
risierung in sogenannte „Brain Types“, die sich durch Stärken im empathisierenden und/oder
systematisierenden Denken auszeichnen (Greenberg, Warrier, Allison, & Baron-Cohen,
2018). Auch der dazu gehörige Fragebogen mit 28 Items wird von allen Teilnehmenden ein-
malig zu Beginn der Unterrichtssequenz ausgefüllt.
Während aufgrund recht einfachen Inhalts die Erwartungen in einen großen Fachwissenszu-
wachs durch die Nutzung der AR-Applikation gedämpft sind, ist es durchaus denkbar, dass
sich affektive Faktoren gerade in dieser Anfangsphase des Physikunterrichts beeinflussen
lassen. Natürlich lässt sich argumentieren, dass der Einsatz eines neuen Mediums immer kurz-
zeitig steigernde Effekte hat. Deshalb wird der Kontrollgruppe kein strikt vorgegebener, wenig
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repräsentativer Unterricht erteilt, sondern ein Unterricht, wie ihn die Lehrkräfte aus ihrer ei-
genen Erfahrung mit ihrem Feingefühl und ihrer Erfahrung gestalten würden. Zudem ist die
Unterrichtssequenz mit etwa acht Wochen groß genug, um Kurzzeiteffekte größtenteils zu
eliminieren (Clark, 1983). Für die Messung der affektiven Faktoren wird ein Fragebogen aus
der Chemiedidaktik angepasst (Habig, 2017). Dieser umfasst die Dimensionen Fachinteresse,
Sachinteresse, intrinsische und extrinsische Motivation, physikbezogenes Selbstkonzept,
Selbstwirksamkeitserwartung in der Physik und wertbezogenes, individuelles Interesse.
Um die Daten besser einordnen zu können, führen die Lehrkräfte ein kategorisiertes Unter-
richtstagebuch. Die hier hinterlegten Informationen wie Inhalt der Stunde, genutzte Methode
und Zeitpunkt im Unterrichtsverlauf werden über eindeutige Nutzercodes mit den Durchfüh-
rungen verknüpft.
Auch die technische Weiterentwicklung gehört zum iterativen Prozess des Design-Based-Re-
search. Daher werden bei jeder Nutzung der WebAR-Applikation technische Daten über den
genutzten Browser, das Betriebssystem und die Dauer der Nutzung hinterlegt. Über die Uhr-
zeit der Nutzung lässt sich der Einsatz im Unterricht von der am Nachmittag unterscheiden.
Studiendesign
Die geplante Studie baut sich aus zwei relativ ähnlichen Phasen auf. Beide beginnen mit der
Information und Werbung von Lehrkräften durch überregionale Onlinefortbildungen. Nach
der Klärung aller nötigen Einwilligungen füllen die Teilnehmenden die Fragebögen zu Basis-
daten, Technikaffinität, Braintype und Ausstattung durch.
Phase I konzentriert sich auf FF1 und lässt den Lehrkräften daher freie Hand beim Einsatz der
WebAR-Applikation. Dabei dokumentieren die Lehrkräfte vor jeder Durchführung ihre Inten-
tionen und Erwartungen. Nach den Durchführungen wird jeweils die Nutzererfahrung aufge-
zeichnet. Am Ende der Phase I werden die Lehrkräfte in Interviews zu ihren Erfahrungen be-
fragt. Die ersten Auswertungen werden zur Gestaltung der Phase II und ersten Überarbeitung
verwendet. Zudem ist es hilfreich für Phase II, wenn sich die Lehrkräfte für das folgende
Schuljahr mindestens zwei 8. Klassen wünschen.
Phase II beginnt wiederum mit Online-Fortbildungen zur weiteren Verbreitung. Möglichst
sollen nun nur Lehrkräfte mit mind. zwei Klassen teilnehmen. Der Prätest wird um die Tests
Schülervorstellungen und affektive Merkmale erweitert. Anschließend werden die Klassen
zufällig einer AR und einer Kontrollgruppe zugelost. Durch das Losverfahren wird verhindert,
dass bei der Auswahl der Klassen Vorwissen der Lehrkraft miteingeht. Jede Lehrkraft unter-
richtet im Anschluss mindestens eine Klasse aus der Treatment- und eine aus der Kontroll-
gruppe. Dadurch soll die Lehrkräftevariable vermindert werden. Die Kontrollgruppe erhält
den Unterricht so, wie ihn die Lehrkraft auch unabhängig der Studie durchführen würde.
Dadurch soll mit ausreichend großer Stichprobe ein echter Vergleich zum konventionellen
Unterricht möglich werden. Die Treatmentgruppe wird nun eine fest vorgegebene Anzahl von
Übungen des PUMA : Optiklabors durchführen. Dokumentiert wird dies weiterhin mit einem
Unterrichtstagebuch und Fragebögen zur Nutzererfahrung. Am anschließenden Post-Test neh-
men alle Schülerinnen und Schüler teil und füllen wiederum den Fachwissenstest und den
Fragebogen zu affektiven Merkmalen aus. Auch nach Phase II sind Interviews geplant, um
noch mehr über die Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer zu lernen.
Zuletzt erfolgt die Auswertung, eine weitere Überarbeitung der Materialien aufgrund der ge-
wonnenen Erkenntnisse und die Bereitstellung des digitalen Schülerübungskastens
„Puma : Optiklabor“.
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Literatur
Clark, R. (1983). Reconsidering research on learning from media. Review of Educational Research 53(4),
445-459.
Frank, F., Kraus, S., Kreikenbohm, A., Schwanke, H., Stolzenberger, C., & Trefzger, T. (2023). Das Projekt
PUMA (Physik-Unterricht Mit Augmentierung). Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft (DPG) Hannover 2023 (Poster). doi:10.13140/RG.2.2.19624.14081
Franke, T., Attig, C., & Wessel, D. (2019). A Personal Resource for Technology Interaction: Development
and Validation of the Affinity for Technology Interaction (ATI) Scale. : International Journal of
Human–Computer Interaction 35, 456-467. doi:10.1080/10447318.2018.1456150
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Habig, S. (2017). Systematisch variierte Kontextaufgaben und ihr Einfluss auf kognitive und affektive
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Hettmansperger, R., Müller, A., Scheid, J., Kuhn, J., & Vogt, P. (2021). KTSO-A: Konzepttest Strahlenoptik -
Abbildungen. Entwicklung eines Konzepttests zur Erfassung von Konzepten der Lichtausbreitung,
Streuung und der Entstehung reeller Bilder im Bereich der Strahlenoptik. Progress in Science
Education (PriSE) Vol. 4 No. 1, 11-35. doi:10.25321/prise.2021.1015
Kraus, S., & Trefzger, T. (2023). WebAR-Techniken unterstützen die Optik-Lehre. 49. Jahrestagung der
Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP), (S. 865-868). Aachen.
Schrepp, M., & Thomaschewski, J. (2019). Eine modulare Erweiterung des User Experience Questionnaire.
doi:10.18420/muc2019-up-0108
Schwanke, H., & Trefzger, T. (2023). Augmented Reality in Schülerversuchen – Entwicklung und
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& T. Trefzger, Die Zukunft des MINT-Lernens: Digitale Tools und Methoden für das Lehren und
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Stolzenberger, C., Frank, F., Trefzger, T., Wilhelm, T., & Kuhn, J. (2023). Spannung mit PUMA :
Spannungslabor. Physik in unserer Zeit 54, S. 44-45. doi:10.1002/piuz.202370109
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