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GeoAgenda 2024/1 35
Autres contributions / Andere Beiträge
Focus / Fokus GeoAgenda 2024/1
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Balance zwischen dystopischen
Zukunftsszenarien und utopischen
Beispielen
Wir versuchen, diese Rückmeldungen zu den
häug traurigen bzw. honungslosen Themen des
Geographieunterrichts in den laufenden Lehrver-
anstaltungen vermehrt zu berücksichtigen und auf-
zugreifen. In Lektionen zu komplexen, oft auch be-
lastenden Themen wie Klimawandel oder Flucht, die
Emotionen wie Angst oder Ohnmachtsgefühle auslö-
sen können, sprechen wir diese Aspekte vermehrt an
und versuchen auch Möglichkeiten aufzuzeigen, wie
diese vermieden oder zumindest abgeschwächt wer-
den können. Dazu stellen wir auch «positive Beispie-
le» im Sinne von Jahnkes «kleinen Utopien» (2023) vor.
Die gewählten Beispiele sollen dabei die Tragweite
oder möglichen Konsequenzen der Lektionsthemen
nicht bagatellisieren. Die Balance zu nden zwischen
dystopisch-lähmenden Zukunftsszenarien einerseits
und utopisch-honungsvollen Beispielen mit einer
möglicherweise verharmlosenden Wirkung anderer-
seits, sehen wir als grosse Herausforderung – auch
für unseren Unterricht mit angehenden Geographie-
lehrpersonen.
Referenzen
Jahnke, H. (2023): Utopische Bildung. In: Nöthen, E., & V.
Schreiber (Hrsg.): Transformative Geographische Bildung. Ber-
lin: Springer, S. 179-186.
Reinventing Society (2023): Infothek für Realutopien, Zugri
22.12.2023, https://realutopien.info/.
Schaller, S.; Zeddies, L.; Scheub, U. und Vollmar, S. (2023):
Zukunftsbilder 2045 – Eine Reise in die Welt von morgen.
oekom Verlag, München, 174 Seiten.
Abbildung 4: Das Stadt-Panorama Nürnbergs in einer kreativen Visualisierung einer grünen
und lebenswerten Zukunft mit mehr Mut zur Nachhaltigkeit.
Quelle: Zukunftsvision #329, Buntes Amt für Zukunft, CC BY-NC-SA 4.0 https://realutopien.
info/visuals/zukunftsvision-bazn-329/
Abbildung 3: Visualisierung aus dem Projekt E-Bike-City, eine Vision, wie Städte aussehen
könnten, wenn sie die Hälfte ihres Strassenraums für Fussgänger*innen, Radfahrer*innen
und E-Biker*innen bereitstellen.
Quelle: D-BAUG, ETH Zürich / Mattership https://ebikecity.baug.ethz.ch/
Team GTT
Andreas Linsbauer, Sara Landolt, Carlotta Reh, Lara Landolt, Itta
Bauer und Holger Frey (von links nach rechts) bilden das Team
der Abteilung Geography Teacher Training (GTT) am Geogra-
phischen Institut der Universität Zürich. Die Abteilung GTT ist u.a.
verantwortlich für die Organisation und Gestaltung der fachwis-
senschaftlichen Ausbildung in Geographie für angehende Lehr-
personen auf der Sekundarstufe I. Neben der Lehre forschen die
Autor*innen zu «Geographies of Young People and Education»,
«Hazards and Risks in Mountains» und «Climate and Glacier
Change in Communication». https://www.geo.uzh.ch/gtt
Es reicht nicht aus, Lehrpersonen mit
mehr Wissen auszustatten
Bildung gilt als entscheidendes Element zur Vor-
bereitung junger Menschen auf klima- und umwelt-
bezogene Herausforderungen. Wie genau zur Verant-
wortungsübernahme in der schulischen Klimabildung
abseits von der Vermittlung von naturwissenschaft-
lichen Grundlagen (z.B. das Strahlungsgleichgewicht
verstehen) und der Änderung von individuellem Ver-
halten (z.B. das Licht ausschalten) angeregt werden
soll, bleibt jedoch meist unklar. Um (angehende) Lehr-
personen auf die Herausforderung des Unterrichtens
von komplexen und kontroversen Lerninhalten vor-
zubereiten, reicht es nicht aus, sie lediglich mit mehr
Fachwissen auszustatten. Über das Wissen hinaus
wirken weitere Faktoren wie subjektive Überzeu-
gungen der Lehrkräfte zum Klimawandel, sowie das
Vorhandensein von gesellschaftlichen Kontroversen
auf ihre curricularen Entscheidungen ein. Die Studie
Global Warming's Four Teacher Types and their inten-
tion to teach controversial aspects of climate change
zeigt, dass es eine erweiterte Perspektive erfordert,
die über das traditionelle Bildungsverständnis hin-
ausgeht und inter- und transdisziplinärer Ansätze in-
tegriert.
Klimatypen und zielgerichtete Kommu-
nikation in der Bildung
Maibach et al. (2011, siehe Abbildung 1) teilen Bür-
ger:innen aufgrund ihrer Überzeugungen, politischen
Präferenzen und ihres Verhaltens gegenüber dem Kli-
mawandel in sechs Einstellungstypen ein: «alarmed»
(beunruhigt), «concerened» (besorgt), «cautious» (zu-
rückhaltend), «disengaged» (distanziert), «doubtful»
(zweifelnd) und «dismissive» (abweisend). Da jeder
dieser Typen eine spezische Kommunikationsstrate-
gie erfordert, werden in unserer Studie unterschied-
liche Sichtweisen angehender Lehrpersonen zum
Unterrichten klimabezogener Themen untersucht.
Klima- und Umweltbildung:
Ansätze für die
Lehrer:innenbildung
Geschrieben von
Petra Breitenmoser,
Manuela
Keller-Schneider,
Kai Niebert
Global Warming’s Six Americas, von Michael Sloan
(Quelle: https://climatecommunication.yale.edu/about/projects/global-warmings-six-americas/)
GeoAgenda 2024/1 37GeoAgenda 2024/1
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Ergebnisse und Implikationen der Studie
Im Datenmaterial der neun befragten angehen-
den Lehrpersonen konnten die vier klimabezogenen
Einstellungstypen, «alarmed», «concerned», «cauti-
ous» und «doutful», identiziert, und Implikationen
für die Lehr:innenbildung abgeleitet werden:
Der Typ «alarmed» zeichnet sich durch individuel-
les Engagement, z.B. als Verbrauchende aus. Folglich
ist es angebracht, diesen Typ spezisch in seiner Rolle
als Bürger:in anzusprechen, wobei ein kritisches Ver-
ständnis komplexer globaler Probleme im Sinne einer
emanzipatorischen und transformativen Bildung
aufgebaut wird. Anstatt sich einseitig auf das Ver-
mitteln von Werten und individuellem Verhalten zu
konzentrieren und damit die Verantwortung für nach-
haltige Transformation auf das Individuum zu legen,
muss in der Lehrpersonenbildung ein transdiszipli-
näres Verständnis entwickelt und gefördert werden.
Zur Umsetzung im Unterricht benötigen angehende
Lehrpersonen für den Umgang mit Kontroversen
vertieftes fachliches und fachdidaktisches sowie pä-
dagogisch-psychologisches Wissen. Massnahmen für
den öentlichen Raum und didaktische Umsetzungen
im Rahmen der Global Citizenship Education können
Orientierung und Sicherheit im Umgang mit dem The-
ma bieten.
Der Typ «concerned» äussert grosse Unsicherheit
im Umgang mit kontroversen Themen im Unterricht
und bevorzugen eine neutrale Haltung. Best-Practice-
Beispiele und Lehrmaterialien können helfen, Sicher-
heit in der didaktischen Handhabung von Kontrover-
sen zu gewinnen. Diese bieten Unterstützung aus der
wissenschaftlichen Perspektive des Klimawandels,
indem sie soziale, ökonomische und politische Aspek-
te des Themas im Klassenzimmer zielgruppengerecht
und diskursiv verknüpfen.
Der Typ «cautious» hingegen ist nur mässig en-
gagiert und nicht zum Handeln bereit. Die Beschäf-
tigung mit dem Thema zielt daher weniger auf indi-
viduelle Verhaltensänderung als vielmehr auf eine
gesteigerte individuelle Relevanz ab, beispielsweise
durch narrative Kommunikation, um fachliches und
pädagogisches Wissen aufzubauen. Insbesondere für
die «cautious» und «doubtful» hilft die Auseinander-
setzung mit eigenen und anderen politischen Ideen
und Werten im Rahmen des Aufbaus von Fachwis-
sens dabei zu erkennen, welche Aspekte des Themas
wissenschaftlich anerkannt sind und welche gesell-
schaftliche und politische Verhandlungsprozesse er-
fordern. Dazu benötigt es nicht nur eine Auseinander-
setzung mit dem Konzept der Bildung für Nachhaltige
Entwicklung und den Nachhaltigkeitszielen der UNO,
sondern auch mit der Global Citizenship Education
und Medienkompetenz durch die Thematisierung von
Inhalten aus verschiedenen Quellen.
Pluralistische Reexion und kritische
Auseinandersetzung in der Klimabildung
Um zukünftige Schüler:innen befähigen zu kön-
nen, sich an gesellschaftlichen Transformationspro-
zessen zu beteiligen, braucht es einen kritischen,
oenen und ganzheitlichen Ansatz: Kognitive und af-
fektive Elemente müssen in der Umwelt- und Klima-
bildung kombiniert werden. So reicht es nicht aus, nur
inhaltliches und pädagogisches Wissen mit Fokus auf
individuelles Handeln zu vermitteln. Lehrpersonen
müssen befähigt werden, Kontroversität und Unsi-
cherheit im Unterricht aufzunehmen, ohne die Schü-
ler:innen zu gängeln. Dazu müssen sie lernen, Bewer-
tungskompetenz zu vermitteln, um ihre Schüler:innen
zu befähigen, «naturwissenschaftliche Fakten» mit
Werten in Beziehung zu setzen. Unsere Resultate be-
tonen die Wichtigkeit einer pluralistischen, reektie-
renden und kritischen Auseinandersetzung mit Emo-
tionen sowie den eigenen normativen Werten und
Überzeugungen, auch in der Lehrer:innenbildung.
Diese sind eng mit den wissenschaftlichen, sozialen,
ökonomischen und politischen Aspekten des Themas
verknüpft und relevant für verschiedene Zielgruppen.
Unsere Erkenntnisse unterstützen den Schritt
hin zu einer zielgruppenspezischen Kommunikation
in der Lehrpersonenbildung. Angesichts der hetero-
Mit dem Ziel, Strategien für eine eektive Klimakommunikation für ver-
schiedene Zielgruppen in den USA zu entwickeln, wurde 2008 der Fra-
mework «Global Warming's Six Americas» entwickelt (Maibach et al.,
2011) und seitdem zweimal jährlich mit einer online-basierten Umfrage
erhoben. Dieser Ansatz unterteilt die US-Öentlichkeit anhand von
Überzeugungen, Einstellungen, politischen Präferenzen und Verhal-
tensweisen bezüglich des Klimawandels in sechs einheitliche und kon-
sistente Gruppen («alarmed», «concerned», «cautious», «disengaged»,
«doubtful» und «dissmissive»). Vergleichbare Analysen zu klimabezoge-
nen Einstellungstypen in anderen Ländern, z.B. für Deutschland (Metag
et al. 2015) zeigten ebenfalls, dass die Öentlichkeit im Allgemeinen
ein hohes Mass an Klimabewusstsein aufweist und sich durch unter-
schiedliche Muster in der Informationsnutzung und Aufgeschlossen-
heit gegenüber klimabezogenen Informationen auszeichnet. Im Unter-
schied zu den vergleichbaren Untersuchungen in den USA, Australien
oder Indien, fehlt in Deutschland die Gruppe der «dismissive», welche
den Klimawandel ausdrücklich bestreiten und sich Klimaschutz vehe-
ment widersetzen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Klimabezogene Einstellungstypen in den USA 2008 und
2023 (nach Leiserowitz et al. 2023) und in Deutschland 2011
(nach Metag et al. 2015).
genen Bedingungen können gezielte Lernangebote
geschaen werden, um Lehrpersonen entsprechend
ihren Voraussetzungen und den Anforderungen zum
Umgang mit kontroversen Themen im Unterricht vor-
zubereiten. Zukünftige Forschungsprojekte müssen
die Wirkung unterschiedlicher Lehransätze in ver-
schiedenen Zielgruppen weiter erforschen, um die
professionelle Entwicklung von Lehrpersonen opti-
mal zu unterstützen.
Literatur:
Breitenmoser, P., Keller-Schneider, M., & Niebert, K. (ein-
gereicht). Global Warming's Four Teacher Types and their in-
tention to teach controversial aspects of climate change
Leiserowitz, A., Maibach, E., Rosenthal, S., Kotcher, J., Goddard,
E., Carman, J., Verner, M., Ballew, M., Marlon, J., Lee, S., Myers,
T., Goldberg, M., Badullovich, N., & Thier, K. (2023). Global
Warming’s Six Americas, Fall 2023. Yale University and George
Mason University. New Haven, CT: Yale Program on Climate
Change Communikation.
Maibach, E. W., Leiserowitz, A., Roser-Renouf, C., & Mertz, C. K.
(2011). Identifying like-minded audiences for global warming
public engagement campaigns: An audience segmentation an-
alysis and tool development. PloS One, 6(3), e17571. doi.
org/10.1371/journal.pone.0017571
Metag, J., Füchslin, T., & Schäfer, M. S. (2015). Global warming's
ve Germanys: A typology of Germans' views on climate
change and patterns of media use and information. Public
understanding of science, 26(4), 434–451. doi.
org/10.1177/0963662515592558
Petra Breitenmoser
Geographin, Klimawissenschaftle-
rin und Primarlehrerin. Lehrt und
forscht in der Lehrer:innenbildung
im Bereich Fachdidaktik Natur,
Mensch, Gesellschaft, Klimawan-
del und Nachhaltigkeit.
petra.breitenmoser@uzh.ch
Manuela Keller-Schneider
Professorin für Professionsfor-
schung und Lehrer:innenbidlung
mit Schwerpunkten zur Professio-
nalisierung in unterschiedlichen
Berufsphasen und Kontexten.
Kai Niebert
Professor an der Universität Zü-
rich im Bereich der Didaktik der
Naturwissenschaften und der
Nachhaltigkeit und Präsident des
Deutschen Naturschutzrings.
«6-Americas-Cartoons-Slide» ist: Global Warming’s Six Americas, von Michael Sloan
(Quelle: https://climatecommunication.yale.edu/about/projects/global-warmings-six-americas/)