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Lehrerbildung auf dem Prüfstand © Verlag Empirische Pädagogik
2024, 17. Jahrgang, Heft 1, S. 44-59 https://doi.org/10.62350/RSJK9950
Andrea Kleeberg-Niepage, Johanna Degen, Thomas Fischer, Martin Förster
& Anton Perzy
„Meine Traumvorstellung wäre es natürlich, der
coole, lockere, lässige Lehrer zu sein“: Subjektive
Perspektiven von Lehramtsstudierenden auf den
Lehrer*innenberuf
Lehramtsstudierende beginnen ihr Studium mit bestimmten Vorstellungen vom Beruf, in denen sich eigene
Schulerfahrungen, Annahmen über Lehr- und Lernprozesse und gesellschaftliche Diskurse zu einem kom-
plexen Lehrer*innenbild verbinden. Die darin enthaltenen subjektiven Perspektiven angehender Leh-
rer*innen auf den Beruf sind noch wenig beforscht, aber für die subjektiven Begründungen der Studienwahl
und die spätere Berufszufriedenheit hochrelevant. In diesem Beitrag werden anhand qualitativer Interviews
das Lehrer*innenbild von Lehramtsstudierenden zu Studienbeginn herausgearbeitet und besonders die Be-
deutung der eigenen Schulerfahrungen sowie die zukunftsbezogenen Selbstkonzeptionen fokussiert. Die
Analyse zeigt bedeutsame Spannungsfelder zwischen Ansprüchen und Erwartungen der Studierenden und
gesellschaftlichen und bildungswissenschaftlichen Diskursen zum Lehrer*innenberuf. Ein besseres Verständ-
nis des Lehrer*innenbildes und der damit verbundenen Aushandlungsprozesse sowie deren Thematisierung
im Studium kann dazu beitragen, Studierende besser auf berufliche Anforderungen und immanente Wider-
sprüche vorzubereiten.
Schlagwörter: Berufsvorstellungen – Lehramtsstudierende – Lehrer*innenbild – subjektive Perspektiven
"Of course, my dream is to be the cool, relaxed, easy-
going teacher": Subjective perspectives of student
teachers on the teacher profession
Student teachers begin their studies with specific ideas about their desired profession, in which personal
experiences from their own school career, assumptions about teaching and learning, and social discourses
combine to a complex teacher image. The therein included subjective perspectives of prospective teachers
have been little res earched to date, but are likely to be highly relevant for the subjective reasons for program
selection and later work satisfaction. Through qualitative interviews, this article analyses the teacher image
of student teachers at the beginning of their studies, emphasizing personal school experiences as well as
future-related self-conceptions. The analysis highlights significant areas of tension between students' per-
sonal aspirations and expectations and social and educational discourses on the teaching profession. A
better understanding of the teacher image and associated dynamics can help to better prepare students for
professional demands and inherent contradictions.
Keywords: ideas about the profession – student teachers – subjective perspectives – teacher image
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 45
1 Einleitung
Aussagen wie ‚Ich hatte mal eine Lehrerin, die hat mich echt begeistert‘ sind typisch,
wenn man Lehramtsstudierende nach ihren Gründen für ihre Studien- bzw. Berufs-
wahl fragt. Daran wird deutlich, dass ihre Vorstellungen hinsichtlich des zukünftigen
Berufs nicht nur auf gesellschaftlichen Leitbildern vom Lehrer*innenberuf basieren.
Vielmehr – das unterscheidet den Lehrer*innenberuf von vielen anderen Berufen –
sind diese auch durch eigene, langjährige Erfahrungen als Schüler*in geprägt (Her-
zog & Makarova, 2014; Ulich, 1996). Aus diesen Erfahrungen resultieren nicht nur
konkrete Vorstellungen über den Lehrer*innenberuf z. B. hinsichtlich der Arbeitsan-
forderungen, sondern auch darüber, durch welche Merkmale gute oder gegebenen-
falls auch schlechte Lehrer*innen charakterisiert sind.
Zur Studienmotivation von Lehramtsstudierenden liegen zahlreiche Forschungsar-
beiten vor (u. a. Eder, Gniewosz, Bach, Hoffmann & Katstaller, 2020; König,
Drahmann & Rothland, 2018; Rothland, 2014), welche auf die große Bedeutung
intrinsischer Motive verweisen (z. B. mit Kindern und Jugendlichen arbeiten zu wol-
len), obgleich auch extrinsische Motive (z. B. die Sicherheit des Arbeitsplatzes) eine
bedeutende Rolle spielen (u. a. Billich-Knapp, Künsting & Lipowsky, 2012; Heine,
Willich, Schneider & Sommer, 2008). Auch die wissenschaftliche Forschung zu mög-
lichen Merkmalen einer ‚guten Lehrperson‘, ist umfangreich, wenn auch kontrovers
(Herzog & Makarova, 2014; Terhart, 2007; Weinert, 1996). Mit welchen subjektiven
Vorstellungen vom Lehrer*innenberuf Lehramtsstudierende ihr Studium beginnen,
war hingegen bislang kaum Gegenstand von Forschung (Fischer, 2020), Ausnahmen
finden sich beispielsweise bei Arnon und Reichel (2007) oder Harder (2014). Dabei
scheinen gerade diese Vorstellungen durch die Integration von persönlichen Erfah-
rungen sowie selbstbezogenen Passungsüberlegungen als Teil des Lehrer*innenbil-
des relevant, um die subjektiven Perspektiven der Studierenden im Kontext der
Studien- bzw. Berufswahl nachvollziehen zu können und mögliche Widersprüche
frühzeitig zu erkennen.
Unter Lehrer*innenbild verstehen wir ein komplexes Konstrukt bestehend aus eige-
nen Erfahrungen mit Lehrkräften und Schule, den teilweise daraus abgeleiteten Vor-
stellungen darüber, was ,gute‘ Lehrpersonen (und weniger ‚gute‘) charakterisiert,
allgemeinem Wissen und Annahmen über Lehr- und Lernprozesse sowie gesell-
schaftlichen Diskursen zum Lehrer*innenberuf. Es bezieht sich einerseits auf den Be-
ruf Lehrer*in und andererseits auf die Lehrperson als solche, mit bestimmten Eigen-
schaften und Fähigkeiten. Darin enthalten sind auch Überzeugungen, denen eine
zentrale Rolle in der beruflichen Entwicklung zur Lehrkraft zugesprochen werden
(Paetsch, Mann, Mehler & Drechsel, 2021; Wild & Möller, 2020). Das Lehrer*innen-
bild geht u. E. aber insofern darüber hinaus, dass neben kognitiven (z. B. Wissen
über den Beruf) und behavioralen (z. B. Unterrichtsstrategien von Lehrkräften aus
46 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
der eigenen Schulzeit) auch affektive (z. B. Sympathien) und motivationale (z. B. der
Anspruch, es selbst besser machen zu wollen), sowie zukunftsbezogene Selbstkon-
zeptionen (z. B. Wie würde ich als Lehrer*in es machen? Was erwarte ich von mir als
zukünftige Lehrkraft?) einfließen. Letztere lassen sich als possible selves verstehen,
als mentale Projektion der eigenen Person in die Zukunft, die auf Basis früherer Er-
fahrungen die Handlungen, Emotionen und Motivation in der Gegenwart anleiten
(Dunkel & Anthis, 2001; Markus & Nurius, 1986; Oyserman & Fryberg, 2006).
Auf Basis von an der Europa-Universität Flensburg (EUF) erhobenen explorativen
qualitativen Interviews mit 21 Studienanfänger*innen werden in diesem Beitrag die
zu Studienbeginn mitgebrachten Vorstellungen vom Lehrer*innenberuf herausge-
arbeitet und diskutiert. Besonders relevant und bislang wenig erforscht erscheint die
Bedeutung der eigenen Schulerfahrungen für diese Vorstellungen sowie die in den
zukunftsbezogen Selbstkonzeptionen hinsichtlich des Berufs deutlich werdenden
subjektiven Erwartungen, Ansprüche, Hoffnungen und Befürchtungen. Ziel ist ein
besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen erfahrungs- und vorstellungs-
basierten subjektiven Perspektiven und den daraus resultierenden Aushandlungs-
prozessen im Kontext der Studien- bzw. Berufsentscheidung. Die Thematisierung
der damit einhergehenden Spannungsfelder im Studium kann dazu beitragen, Stu-
dierende besser auf die beruflichen Anforderungen vorzubereiten und einen reflek-
tierten Umgang mit Widersprüchen und Herausforderungen zu unterstützen.
2 Vorstellungen von Lehramtsstudierenden vom
Lehrer*innenberuf
In die Vorstellungen vom Lehrer*innenberuf – nicht nur von Lehramtsstudierenden
– fließen unter anderem gesellschaftliche und bildungspolitische Debatten (z. B. zu
den Aufgaben von Lehrkräften), idealisierte oder kritisierte Prototypen aus Medien
und öffentlichem Diskurs und konkrete wie verallgemeinerte Erfahrungen mit Lehr-
kräften ein (Herzog & Makarova, 2014; Kramer, 2022; Moreno, 2020; Ulich, 1996).
Insbesondere die erstgenannten Aspekte dürften zumindest teilweise von den Er-
gebnissen der erziehungswissenschaftlichen und pädagogisch-psychologischen
Forschung zum Lehrer*innenberuf geprägt sein.
Diese stellt sich seit gut 150 Jahren die Frage nach den notwendigen menschlichen
und handwerklichen Voraussetzungen, welche für Lehrkräfte die Bewältigung der
komplexen, teilweise widersprüchlichen und sich stetig verändernden Anforderun-
gen sicherstellen (Cramer, 2019; Grunder, 1996; Weinert, 1996). Dabei steht oft die
Frage im Raum, wodurch eine ‚gute Lehrperson‘ gekennzeichnet sei, wobei das Ver-
ständnis von ‚gut‘ sich mit den wandelnden Erwartungen an Lehrkräfte ebenfalls
historisch verändert (Kiel & Weiss, 2022). Da sich Annahmen zu bestimmten Persön-
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 47
lichkeitsmerkmalen, die ‚gute Lehrpersonen‘ bereits mitbringen (die Idee des ‚gebo-
renen Lehrers‘), empirisch nicht bestätigen ließen, wandte sich die pädagogisch-
psychologische Forschung verstärkt dem Wissen und den Überzeugungen von
Lehrkräften sowie deren Belastungserleben und ihrer Anpassungsfähigkeit zu (Wild
& Möller, 2020) und nahm damit scheinbar beeinflussbare Facetten der Lehrperson
in den Blick.
Ebenso wie die erziehungswissenschaftliche Unterrichtsforschung ist auch die päda-
gogisch-psychologische Forschungsrichtung seit rund zwei Dekaden vielfach durch
eine Outputorientierung charakterisiert1, d. h. es werden weniger die Person oder
die subjektiven Perspektiven der Lehrkraft als vielmehr die Leistungen der Schü-
ler*innen in den Blick genommen. Die Bedingungen für gute Schulleistungen, z. B.
bestimmte Aspekte der Unterrichtsqualität (Helmke, 2022), sind dann Gegenstand
der Forschung und resultieren beispielsweise in Kompetenzlisten als Professions-
standards für Lehrer*innen, wie z. B. die KMK-Standards für Deutschland (Kultus-
ministerkonferenz, 2004). Aus dieser Forschung resultiert ein fast mechanistisches
Bild des Lehrer*innenberufs, in dem die Lehrkraft auf Basis eines entsprechenden
Bauplans (Kompetenzen) prognostizierbare Ergebnisse (gute Schüler*innenleistun-
gen) liefert und nach Möglichkeit nicht kaputtgeht (keinen Burn-out erleidet). Prob-
lematisiert wird dieses Bild selten, wenn z. B. Krautz (2019) das damit verbundene
Verständnis von Schule und Unterricht harsch „als einfaches kybernetisches Regel-
system” (S. 76) kritisiert, in dem Lehrkräfte technologisch (anhand evidenzbasierten
Wissens) gesteuert werden und nicht mehr unterrichten, sondern Aufgaben stellen
(für weitere kritische Anmerkungen siehe Korthagen, 2004 und Terhart, 2007).
Diese Einschätzung wird auch durch die Ergebnisse einer eigenen Recherche der
Beitragstitel in fünf deutschsprachigen Fachzeitschriften aus dem Bereich der
Unterrichts- und Lehrer*innenforschung (Psychologie in Erziehung und Unterricht,
Pädagogische Psychologie, Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Zeitschrift
für Erziehungswissenschaft, Zeitschrift für Bildungsforschung) zwischen 2000 und
2022 gestützt. Diese ergab, dass im Gegensatz zu den Themen ‚Schule‘ oder ‚Unter-
richt‘ kein einziger Beitrag die Frage nach der ‚Lehrperson‘ explizit im Titel führte.
Auch wenn in den Artikeltexten ein entsprechender Bezug gegeben sein könnte,
weist das Fehlen im Titel u. E. darauf hin, dass das Thema in den vergangenen zwei
Dekaden wenig prominent war. Die Lehrperson wird nur adressiert, wenn es z. B. um
verschiedene diagnostische Kompetenzen und deren Effekte auf Leistungen oder
1 Teile der erziehungswissenschaftlich-rekonstruktiven Unterrichtsforschung untersuchen durchaus Unter-
richtsprozesse und Lehrer*innenha ndeln sowie deren soziale Genese j enseits einer Dichotomie von Input -
oder Outputorientierung, diese dominieren u. E. aber nicht den bildungswissenschaftlichen Diskurs zum
Lehrer*innenberuf.
48 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
Entwicklungen von Schüler*innen bzw. spezifischer Schüler*innengruppen geht
(z. B. Karst, Schoreit & Lipowsky, 2014; Stang & Urhane, 2016) – was wiederum auf
ein outputorientiertes Interesse an der an Schüler*innenleistungen gemessenen
Effektivität des Lehrer*innenhandelns verweist.
Mit welchen Berufsvorstellungen Studierende mit dem Studien- bzw. Berufsziel
Lehramt ihr Studium beginnen, ist im Gegensatz zu den zahlreichen fragebogen-
basierten Studien zu ihren (intrinsischen und extrinsischen) Motiven deutlich selte-
ner Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen. Allerdings werden hier die
Studierenden häufig nicht allgemein, sondern spezifisch nach ihren Vorstellungen
von einer ‚guten‘ oder auch ‚idealen‘ Lehrperson gefragt. Damit wird eher auf Nor-
mative als auf persönliche Erfahrungen oder subjektive Perspektiven rekurriert. Ent-
sprechend formulieren die Befragten meist hinreichend bekannte Eigenschaften,
z. B. Empathie und Geduld oder Fähigkeiten, wie z. B. Fachwissen und Verantwor-
tungsübernahme (Arnon & Reichel, 2007; Harder, 2014; Murphy, Delli & Edwards,
2004; Popa, 2018). Ergänzend zeigt sich allerdings, dass für die Studierenden per-
sönliche Eigenschaften und fachliche Kompetenzen der Lehrkraft eine Einheit bilden,
sich ergänzen und somit gleichermaßen bedeutsam sind. Zudem machen besonders
Arnon und Reichel (2007) darauf aufmerksam, dass die gesellschaftliche Funktion
von Lehrkräften als Akteur*innen, welche soziale Veränderungen mitgestalten, kaum
von den Befragten thematisiert wird. Eine der wenigen Studien, welche zumindest
laut Titel die Vorstellungen von Lehramtsstudierenden über ihren Beruf direkt adres-
siert (Dietrich & Latzko, 2016), fokussiert diese letztlich weder allgemein noch
spezifisch, sondern untersucht anhand verschiedener Fragebögen die Passung zwi-
schen den Voraussetzungen der Studierenden und den Anforderungen des Berufs
bzw. des Studiums.
Somit lässt sich bilanzieren, dass das Lehrer*innenbild von Lehramtsstudierenden
und ihre subjektiven Vorstellungen insbesondere hinsichtlich der Facetten persönli-
cher Schulerfahrungen und zukunftsbezogener Selbstkonzeptionen sowie deren
Bedeutung für die Berufswahl in der Forschung zum Lehrer*innenberuf bisher kaum
eine Rolle spielt.
3 Das Lehrer*innenbild von Studienanfänger*innen
3.1 Sample und Auswertung
Um sich dem Lehrer*innenbild von Lehramtsstudierenden, besonders ihren eigenen
Erfahrungen und zukunftsbezogenen Selbstkonzeptionen hinsichtlich des Berufs
anzunähern, wurden im Herbstsemester 2021-22 an der Europa-Universität Flens-
burg 21 leitfadengestützte Interviews (Gläser & Laudel, 2010) mit Studienanfän-
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 49
ger*innen (5 Männer, 16 Frauen2 im Alter von 19-25 Jahren, Durchschnitt: 20 Jahre)
geführt. Gefragt wurde nach ihren Gründen für die Wahl eines Lehramtsstudiums,
ihren Vorstellungen von einer guten Lehrkraft und dem späteren Berufsalltag,
eventuellen Berufs-Vorbildern und den für die Bewältigung der Aufgaben nötigen
Fähigkeiten und Eigenschaften sowie nach der eigenen, zukünftigen Rolle als Lehr-
kraft3. Alle Interviews wurden transkribiert und mit der qualitativen Inhaltsanalyse
nach Mayring (2015) ausgewertet (Zusammenfassung und induktive Kategorienbil-
dung). Hierbei werden die Aussagen in mehreren Schritten paraphrasiert, verdichtet,
abstrahiert, um zunächst vorläufige und dann abschließend finale und abstraktere
Kategorien zu bilden, in denen das Datenmaterial bezogen auf die Forschungsfrage
rekonstruiert wird. Mit dem vorläufigen Kategoriensystem wurde das Gesamtmate-
rial mittels MAXQDA systematisch gesichtet, bevor die finale Benennung und Defi-
nition der (insgesamt 11) Kategorien erfolgten. Für diesen Beitrag werden diejeni-
gen Kategorien fokussiert, in denen die Aspekte des Lehrer*innenbildes thematisch
zentral sind4 (Abb. 1).
Abbildung 1: Kategorien zum Lehrer*innenbild
2 Das Geschlechterverhältnis entspricht etwa dem des BA-Studiengangs Bildungswissenschaften an der EUF,
laut Studierendenstatistik im Herbstsemester 2021-22 waren im gesamten Studiengang rund 29 Prozent
der Studierenden männlich und 71 Prozent weiblich.
3 Wir bedanken uns bei den Studierenden des Forschungsseminares im MA-Studiengang Sekundarschule
an der EUF für das Führen und Transkribieren der Interviews.
4 Neben den für das Lehrer*innenbild relevanten ließen sich z. B. auch Kategorien zum Thema Studien-
motivation bilden.
“Ic h weiß , man muss s ehr viel vor bereite n und auch
sehr viel nachar beiten fü r die U nterric htsstunde. ”
(F17, w, 20)
“Das s irgendei n Schü ler mic h nicht ma g oder so ( …) ,
als o, momentan würde ich sagen, dass ich das schon
sehr persönlic h nehmen würde, abe r das darf st du als
Lehr er na türli ch nic ht tun. ” (F20, m, 24)
“
Ich glaube , man könnte auch s olche Themen wie
Rassismus minimieren , wenn es ganz tolle Lehrer
gibt und sie auch Anerkennung e rfahre n für ihre n
Beruf .“ (F7, w, 25)
„
Meine damalige Mathelehrerin hat mich total
aufge geben. “ (F18, w, 19)
Datenbeispiele
Kategorien
1Beruf Lehrer*in:
antizipierte normative
Erwar tungen
2Das Normativ der ‚guten ‘
Lehrkraft
4Die eigene n Erfahrunge n
mit Lehrkräften
3Beruf und Gesellsc haft
Mein
Lehrer*-
innen bi ld
5Zukunft sbezo genen
Selbstprojektionen
“
Ich wäre ei n Erdmännc hen. Erdmännchen s ind
super teamfähig , die pa ssen auf einander a uf, die
geben a ufei nander Acht und das ist so e ine Gr uppe,
richtig eine Familie. ” (F6, w, 21)
50 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
Die Kategorien 1 und 2 umfassen im Wesentlichen Normative hinsichtlich der Be-
rufstätigkeit als Lehrkraft und der dafür nötigen Eigenschaften und Fähigkeiten einer
Lehrperson (z. B. Geduld und Empathie). Nur an wenigen Stellen werden hier
persönliche Ansprüche und Bedürfnisse und damit subjektive Perspektiven sichtbar
(z. B. der Wunsch, von Schüler*innen gemocht zu werden). Die in Kategorie 3 zusam-
mengeführten gesellschaftlichen Kontextualisierungen des Lehrer*innenberufs
durch die Befragten sind insgesamt selten. Die hier aufscheinende Kritik an einer zu
geringen gesellschaftlichen Anerkennung des Berufs kann ebenfalls auf persönliche
Bedürfnisse der Befragten verweisen (z. B. der Wunsch nach Respekt und Achtung).
Die subjektiven Perspektiven, resultierend aus den eigenen Erfahrungen mit Lehr-
kräften und den zukunftsbezogenen Selbstkonzeptionen hinsichtlich des angestreb-
ten Berufs, werden allerdings vor allem in den Antworten der Kategorien 4 und 5
deutlich. Diese sollen im Folgenden daher ausführlich vorgestellt werden.
3.2 Die eigenen Erfahrungen mit Lehrkräften
Der eigene Bildungsweg und die konkreten Erfahrungen mit Schule und Lehrkräften
wurden aus Sicht der Befragten maßgeblich von Vorbildern oder abschreckenden
Beispielen geprägt.
„Eine Lehrerin fand ich noch ganz schön cool, die war so
Mathelehrerin und die hat irgendwie so auch immer das gemacht, was
sie gesagt hat. Wenn sie gesagt hat, das mach ich bis nächste
Woche, hat sie's auch gemacht und irgendwie fand ich das cool“
(F4, w, 20).
„Wir hatten also in der Schule auch selber Lehrer, die waren immer
sehr distanziert und mir persönlich tat das nicht so gut, also wir
hatten eben auch Lehrer, die waren dann eher sehr fürsorglich auch
und das hat auf jeden Fall mir persönlich viel geholfen auch“ (F15,
w, 20).
Charakteristisch für positive Leitbilder des Lehrer*innenberufs sind aus Sicht der In-
terviewten Verlässlichkeit, gut erklären und motivieren zu können, die Schüler*innen
gut auf die weiterführende Schule vorzubereiten, Engagement und gute Unterrichts-
vorbereitung sowie eine eher fürsorgliche als distanzierte Haltung gegenüber den
Schüler*innen. Bei solchen Lehrkräften scheint eine zugewandte, anleitende und
verantwortungsbewusste persönliche Haltung mit fachlichen und didaktischen
Kompetenzen einherzugehen. Für Schüler*innen resultieren daraus Vertrauen in die
Lehrkraft, Spaß am Unterricht bzw. am Fach, wachsendes Selbstvertrauen und letzt-
lich gute Leistungen.
„Kinder wurden nach Hause geschickt, weil sie ihre Hefte vergessen
haben in der dritten Klasse und angeschrien und das war eine
ganz/also ich hatte wirklich Angst vor dieser Lehrerin“ (F6, w,
21).
„Meine damalige Mathelehrerin hat mich total aufgegeben. Also, ich
war einfach nicht so gut in Mathe. […] Die hat mich nicht mehr
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 51
mitgezogen. Ihr war es auch egal, was man hatte. Und dann war die
irgendwie pädagogisch total inkompetent und irgendwann habe ich
dann selber mir das immer eingeredet und hatte kein Bock mehr drauf
und die hat mich halt so fallen lassen. [..]. Dann habe ich die
Schule gewechselt, hatte einen Lehrer, der war richtig cool,
richtig gut, hat mir eine 3 gegeben und ich war endlich wieder da“
(F18, w, 19).
Als negative Erfahrungen mit Lehrkräften erinnern sich die Befragten an übermäßige
Strenge und den Eindruck, aufgegeben worden zu sein, was im Rückblick als be-
ängstigend und abwertend erlebt wurde. Deutlich wird die als Schüler*in erfahrene
Hilflosigkeit und Abhängigkeit, wenn die Lehrer*in-Schüler*in-Beziehung misslingt.
Daraus resultierten für die Studierenden schlechte Noten, Lustlosigkeit, Minderwer-
tigkeitsgefühle oder Ängste sowie eine starke Motivation, als zukünftige Lehrkräfte
selbst anders agieren zu wollen. Auch anhand der negativen Beispiele zeigt sich das
Zusammenfallen von persönlicher Haltung und fachlicher Kompetenz. Wird erstere
als distanziert, abweisend und desinteressiert wahrgenommen, erscheinen auch
letztere unzureichend, worunter nicht zuletzt die Leistungen der Schüler*innen lei-
den.
3.3 Von Hirten und Erdmännchen – Zukunftsbezogene
Selbstkonzeptionen
Danach gefragt, wie sie sich selbst mit bereits vorhandenen oder noch zu erwerben-
den Fähigkeiten als zukünftige Lehrer*innen sehen, entwerfen die Studienanfän-
ger*innen verschiedene Typen von Lehrkräften.
„Ich sehe mich eher als Mentorin […]. Also ich hoffe natürlich,
dass meine Schüler*innen mich als Vertrauensperson sehen, also
dass sie sich auch trauen mit persönlichen, schulischen aber auch
privaten Problemen zu mir zu kommen. […]. So dass wir zusammen den
Unterricht gestalten können und ich sag dann immer gerne, ich will
nicht nur die Lehrerin vor der Klasse sein, sondern ich möchte die
Lehrerin in der Klasse sein. Also ich weiß, das klingt jetzt alles
sehr, sehr persönlich und natürlich ist mir hier auch klar, dass
so eine gewisse Distanz einfach die Grundlage ist, also der goldene
Mittelweg sozusagen“ (F19, w, 20).
Tragfähige Beziehungen zu den Schüler*innen aufzubauen, vertrauenswürdig, offen
und zugewandt zu sein, sind dabei zentrale Aspekte. Deutlich wird, dass die Schule
für die Befragten keine Insel des fachlichen Lernens ist, sondern ein sozialer Raum,
in dem auch Anliegen und Herausforderungen aus anderen Lebensbereichen, z. B.
dem Elternhaus, hereingetragen werden. Um eine solche Beziehung zu den Schü-
ler*innen aufbauen zu können, ist es den Befragten wichtig, als Mensch sichtbar zu
bleiben, nicht hinter einer beruflichen Rolle zu verschwinden bzw. diese menschlich
auszugestalten und dies auch in den Vordergrund zu stellen. Zugleich ist Flexibilität
und Kreativität gefragt, um (neue) Lösungen für Probleme zu entwickeln – dass sich
52 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
diese Lösungen entwickeln lassen, steht für die Befragten außer Frage. Der Wunsch,
als vertrauenswürdige Bezugsperson wahr- und angenommen und als Mensch jen-
seits der beruflichen Funktion wertgeschätzt zu werden, verweist auf die Konzeption
der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung als reziprokem Prozess. In diesem wer-
den Lernen, Unterricht und letztlich Schule gemeinsam gestaltet, Schüler*innen sind
ein anerkanntes Gegenüber und auch die Lehrkraft wird als Mensch wahrgenommen
und respektiert. Fachliche oder Leistungsaspekte treten in diesen zukunftsbezoge-
nen Selbstkonzeptionen auffällig hinter den sozialen Anliegen zurück.
“Meine Traumvorstellung wäre es natürlich, der coole, lockere,
lässige Lehrer zu sein. […] Aber ich habe jetzt auch aufgrund
meiner neuen Erfahrungen auch schon gemerkt, dass das eben nicht
so leicht kombinierbar ist…diese Balance zwischen Nähe und
Distanz. Dass man das halt erst mal irgendwie richtig hinkriegen
muss” (F10, m, 21).
“Also ich würde auf jeden Fall sagen, vielleicht humorvoll
beziehungsweise locker, aber auch mit Grenzen. Also ich glaube ich
wäre jetzt nicht die übertrieben strenge Lehrerin, wo alle Angst
haben und sich gar nicht trauen zu melden so. Also ich glaube ich
werde schon versuchen, dass ich mit denen auf eine Ebene komme,
auch mal einen Witz loslasse oder so, aber eben in einem gewissen
Rahmen” (F8, w, 19).
Die Vorstellung, als Lehrkraft humorvoll, locker und witzig zu agieren bzw. von den
Schüler*innen so wahrgenommen zu werden, mag zum einen auf die eigenen Er-
fahrungen als Schüler*in verweisen, wo solche Lehrkräfte sich einiger Beliebtheit
erfreut haben oder eine Wunschvorstellung waren. Zum anderen wird hier erneut
deutlich, wie bedeutsam die Anerkennung ihrer späteren Schüler*innen für die Be-
fragten ist. Gleichwohl erscheint es den Studierenden wichtig, auf Rahmungen,
Begrenzungen und die Balance zwischen Nähe und Distanz zu verweisen. Diese Ver-
weise lassen sich sowohl als das Wissen um und die wahrgenommene Notwendig-
keit von bestimmten schulischen Regeln verstehen, die die Vermittlung sicherstellen
sollen, als auch als Anspruch, ungeachtet einer schüler*innenzugewandten Haltung
in einer herausgehobenen Rolle respektiert zu werden.
“Ja, also ich würde mich vielleicht als eine Art Hirten
beschreiben. Also ein Hirte, der auf seine Schäfchen aufpasst. In
dem Sinne also die Schäfchen als Schüler, sie in gewisser Art und
Weise großzieht, sich um sie kümmert, sie in die richtige Richtung
lenkt” (F10, m, 21).
Im Interview wurden die Studierenden auch gefragt, welche Metapher aus ihrer Sicht
dem Lehrer*innenberuf am besten entspricht. Berufliche Gleichnisse wie Hirte,
Trainer, Kapitän oder Coach zeigen eine Vorstellung vom Lehrer*innenberuf als
Teamwork, bei der allerdings ein Chef gebraucht wird. Dieser leitet auf der Basis
eines Wissensvorsprungs aber auch eines höheren Ranges seine Teammitglieder an
und führt sie auf den richtigen Weg, durch schwierige Fahrwasser oder auch zum
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 53
Sieg. Die genannten beruflichen Positionen verweisen erneut auf die Vorstellung
einer anerkannten und respektierten Position im späteren Lehrer*innenberuf und
hier zudem auch bzw. deutlicher auf das damit verbundene hierarchische Gefälle
zwischen Lehrkraft und Schüler*innen. Eine andere Gruppe beruflicher Gleichnisse –
Gärtner*innen, Erzieher*innen, Krankenpfleger*innen – betonen hingegen Fürsorge,
Wachstum und Heilung. Auch hier besteht ein Wissensvorsprung seitens der
Lehrkraft, der Prozess scheint aber ergebnisoffener und stärker von Ermöglichungs-
spielräumen als von bereits bekannten und vermeintlich richtigen Wegen gekenn-
zeichnet. Eine Lehrkraft in dieser Vorstellung ist eher Begleiter*in, die die Schü-
ler*innen wachsen lässt und Hindernisse aus dem Weg räumt.
“Ich wäre ein Erdmännchen. Erdmännchen sind super teamfähig, die
passen aufeinander auf, die geben aufeinander Acht und das ist so
eine Gruppe, richtig eine Familie” (F6, w, 21).
Einige Interviewte versuchten sich hierbei – teilweise humoristisch – auch an Tier-
vergleichen, in denen jedoch durchaus tiefere Sinnebenen zutage treten. Gruppen-
tiere wie Erdmännchen oder Affen gelten als gewitzt und gemeinschaftsorientiert
und sind zugleich hierarchisch geprägt: Aufgaben und Rollen sind klar verteilt, die
Gruppe funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Für eine solche Lehrkraft
steht die Gemeinschaft im Vordergrund, in der jede*r Schüler*in eine wichtige Rolle
spielt. Eine andere Gruppe von Tieren – Elefant, Löwe, Wal – ist in ihrem jeweiligen
Habitat nicht von natürlichen Feinden bedroht und damit unantastbar. Eine solche
Vorstellung betont eher die Herausgehobenheit und Autorität der Lehrkraft gegen-
über den Schüler*innen, die gleichwohl mit Erfahrung geführt und durch Stärke
beschützt werden.
„So als Tier würde mir jetzt der Schmetterling einfallen. So im
Laufe des Studiums, dann noch quasi die Raupe zu sein und später,
wenn man fertig ist, dann der Schmetterling“ (F3, w, 20).
Eine weitere Gruppe an Tiermetaphern – Chamäleon, Eule, Giraffe – verweist stärker
auf persönliche Wünsche und Erwartungen hinsichtlich des angestrebten Berufs.
Hier verfügt die Lehrkraft jeweils über besondere Fähigkeiten (Anpassung, Über-
blick, Weisheit), die für Tätigkeit bedeutsam sind. Der Schmetterling ist zudem nicht
nur Ergebnis eines langen Prozesses, sondern wird auch für seine Schönheit, Filigra-
nität und Leichtigkeit bewundert.
4 Den Lehrer*innenberuf neu denken? Spannungsfelder,
Risiken und Potenziale in den Berufsvorstellungen von
Lehramtsstudierenden
Werden angehende Lehrkräfte zu den Gründen für ihre Berufswahl und ihren Vor-
stellungen vom Lehrer*innenberuf gefragt, zeigen sich jenseits normativer Überle-
gungen zum Lehrer*innenberuf oder einer ‚guten‘ Lehrkraft subjektive Perspektiven
54 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
auf den zukünftigen Beruf und immanente eigene Ansprüche, Erwartungen, Hoff-
nungen und Ängste. Zugleich wird die soziale Rahmung der Aushandlungsprozesse
im Kontext der Studien- bzw. Berufswahl deutlich. Dabei zeigen sich verschiedene
Spannungsfelder.
Zum einen sind die Vorstellungen der Befragten vom Lehrer*innenberuf deutlich
von einer Inputperspektive getragen (vgl. auch Rothland, 2022), in der empathische,
zugewandte, führungssichere und sozial engagierte Lehrkräfte mit den Schüler*in-
nen in einem sozialen und reziproken Prozess gemeinsam bedeutsame Lernerfah-
rungen generieren. Diese Perspektive steht in Kontrast zu großen Teilen der gegen-
wärtigen Forschung zum Lehrer*innenberuf, welche durch einen outputorientierten
Blick auf (gute) Schüler*innenleistungen dominiert ist und die auch Teile des gesell-
schaftlichen und bildungspolitischen Diskurses prägt. In diesem Diskurs ist die Lehr-
kraft zwar als Produzent*in dieser Leistungen wichtig, ihre sozialen Ansprüche,
Erwartungen und ihr Selbstverständnis im Beruf interessieren hingegen kaum. Da
der Fokus auf gute Leistungen den zukünftigen Lehrkräften während ihrer eigenen
Schulzeit mit Sicherheit nicht verborgen blieb, ist die Abwesenheit dieses Aspekts in
ihren Vorstellungen vom Lehrer*innenberuf bemerkenswert. Dies könnte darauf ver-
weisen, dass für sie das Erreichen guter Leistungen entweder nachrangig ist oder in
der Verantwortung der Schüler*innen liegt. Die von ihnen entworfene Bedeutsam-
keit einer schüler*innenzentrierten Haltung von Lehrkräften scheint aber eher auf
ein Grundvertrauen hinzuweisen, dass (gute) Leistungen sich schon einstellen wer-
den, wenn der Unterricht nur gut gestaltet wird, die Beziehungen zwischen Schü-
ler*innen und Lehrer*innen tragfähig sind und der gemeinsame Schulalltag von
Vertrauen und Freude getragen wird.
Zum anderen wird in den Vorstellungen ein Spannungsfeld zwischen der persönli-
chen Haltung der Lehrkraft und ihren fachlichen Fähigkeiten deutlich. Für die Be-
fragten ist die persönliche Haltung die Basis für die fachlichen Fähigkeiten: empa-
thischen, schüler*innenorientierten Lehrkräften gelingen Vermittlung und Anlei-
tung, distanzierten oder sogar abweisenden Lehrkräften hingegen nicht. Entspre-
chend entwerfen sie sich selbst als zugewandte und vertrauensstiftende zukünftige
Lehrer*innen, die sich eventuellen Problemen lösungsorientiert stellen, was erneut
auf das oben bereits skizzierte Grundvertrauen hinweist. Schule wird hierbei als ein
sozialer Beziehungsort konzipiert, der von gegenseitigem Respekt, Empathie und
Zuversicht gekennzeichnet ist. Ein solcher Entwurf von Schule steht zumindest teil-
weise in Widerspruch zu ihren eigenen Schulerfahrungen, in denen auch Enttäu-
schungen, Abwertungen und Ängste deutlich werden. Er lässt sich mit Kramer (2022)
als idealisierter Gegenentwurf bzw. als Reproduktion früherer Wünsche und daher
als Anliegen deuten, künftigen Schüler*innen solche Erfahrungen zu ersparen. Zu-
gleich zeigt sich in den Vorstellungen ein ganzheitliches, humanistisches Bild vom
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 55
Lehrer*innenberuf, der sich der Logik von zu vermessenen Einzelfähigkeiten entzieht
und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden in den Mittelpunkt stellt.
Die auch biografisch begründeten eigenen Ansprüche, Erwartungen und Bedürf-
nisse, die in den Vorstellungen der Befragten vom Lehrer*innenberuf deutlich
werden, ermöglichen das Verstehen und den Nachvollzug der persönlichen Ent-
scheidungen für Studium und Beruf, die eben nicht (nur) auf Passungsüberlegungen
beruhen. Hierbei streben die Befragten nach Anerkennung, sowohl als Berufsperson
als auch als Subjekt, nach erfüllenden sozialen Beziehungen und nach Bedeutsam-
keit vor allem für das Leben der Schüler*innen und deren Zukunft.
In den zukunftsbezogenen Selbstentwürfen der Studierenden stehen die sozialen
und relationalen Aspekte (Gergen, 2015) klar im Vordergrund. Die angehenden
Lehrkräfte entscheiden sich für einen sozialen, einen Beziehungsberuf, den sie damit
gar ein Stück weit neu denken und aus einer unmittelbaren Verwertungslogik lösen.
Dies scheint alles andere als naiv, sondern vielmehr zukunftsweisend, angesichts im-
mer komplexer werdender gesellschaftlicher Herausforderungen, für die vielfältige,
kreative und nicht zuletzt humane Lösungen gefunden werden müssen. Für eine
Schule, die Kinder und Jugendliche beim Verstehen und Angehen dieser Herausfor-
derung unterstützt und in der sie vor allem sozial gebildet werden, stehen, so scheint
es, die künftigen Lehrkräfte schon bereit.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Funktion von Bildung, Schule
und damit des Lehrer*innenberufs, die in der praktischen Durchführung durchaus in
Widerspruch zu den eigenen Anliegen stehen können, werden allerdings auch in
den Vorstellungen unserer Befragten vom Beruf kaum thematisiert (vgl. auch Arnon
& Reichel, 2007). Vielmehr wird ein Lehrer*innenbild skizziert, in dem die Lehrkraft
alle Herausforderungen mittels des eigenen Engagements überwinden kann. Hier
zeigen sich letztlich doch noch Überschneidungen zur outputorientierten Perspek-
tive gegenwärtiger Diskurse zum Lehrer*innenberuf. In beiden Fällen ist es vorrangig
oder allein die Lehrkraft, die für das Erreichen der jeweiligen Ziele in der Verantwor-
tung steht. Bleiben Widersprüche (z. B. die Selektionsfunktion von Schule vs. der
Anspruch, alle Schüler*innen mitzunehmen) und die Rahmenbedingungen aber un-
reflektiert, sind eventuelle Lösungen individueller Natur – z. B. erhöhtes Engagement
ungeachtet eigener Ressourcen oder Dienst nach Vorschrift ungeachtet der Bedürf-
nisse der Schüler*innen – nicht selten eine lose-lose-Situation. Denn je stärker sich
die eigenen Erwartungen an den Beruf und die damit verbundenen Ziele von der
vorgefundenen beruflichen Praxis unterscheiden und je kleiner der wahrgenom-
mene Handlungsspielraum, desto größer das Risiko eines Drop-Outs sowie gesund-
heitlicher Belastungen (Ulich, 1996). Damit gehen nicht zuletzt den Schüler*innen
Lehrkräfte verloren, die – wie in den eigenen Schulerfahrungen der Befragten deut-
lich wird – einen entscheidenden Unterschied machen können.
56 Kleeberg-Niepage, Degen, Fischer, Förster & Perzy
5 Fazit und Ausblick
Im Lehrer*innenbild von Lehramtsstudierenden zu Beginn ihres Studiums, beson-
ders in den Facetten der eigenen Schulerfahrungen und in den zukunftsbezogenen
Selbstkonzeptionen hinsichtlich des Berufs, tritt neben einem spezifischen Berufs-
bild auch die Subjektivität der Befragten und ihre Bedeutung für die Studien- und
Berufswahl in den Vordergrund. Deutlich werden die persönlichen Wünsche und
Ansprüche, Erwartungen, Hoffnungen und Ziele der Befragten, sowohl hinsichtlich
des angestrebten Berufs als auch im Hinblick auf die eigene Person und ihr Selbst-
verständnis. Dass die Vorstellungen eher inputorientiert, individualisiert und manch-
mal auch idealistisch ausfallen, dass Schule eher als sozialer und relationaler und
weniger als Leistungsort entworfen und überdies der gesellschaftliche Rahmen und
dessen Möglichkeiten bzw. Einschränkungen kaum thematisiert wird, sind wichtige
Befunde für die Lehrer*innenbildung.
Diese muss künftige Lehrkräfte auf die vielfältigen, sich stetig wandelnden und er-
weiternden Anforderungen des Berufs vorbereiten und dabei auch den Widersprü-
chen zwischen den mitgebrachten Vorstellungen vom Lehrer*innenberuf sowie
deren Genese und der beruflichen Realität mit ihren konfligierenden Erwartungen
stärker und vor allem explizit Rechnung tragen. Hierbei kann es u. E. nicht einfach
um einen Abbau ‚unrealistischer Ideale‘ gehen, sondern vielmehr darum, die sub-
jektiven Begründungen und die darin enthaltende Ansprüche an (z. B. eine Verän-
derung von) Schule zu reflektieren und konstruktiv zu nutzen – nur so lassen sich
Lehrkräfte gewinnen, die es auch langfristig mit den komplexen Herausforderungen
von Schule aufnehmen wollen und können. Geschieht dies nicht, bleiben die eige-
nen Vorstellungen im Widerspruch zur beruflichen Realität, entstehen bereits im
Studien- und spätestens im Berufsverlauf vermeidbare Konflikte, Unzufriedenheit
und psychische Belastungen. Potenzielle Konfliktfelder bereits zu Beginn des Studi-
ums zum Gegenstand von ergebnisoffenen Debatten zu machen, könnte sowohl
dazu beitragen, organisationalen bzw. systemischen Reibungsverlusten und indivi-
duellen Belastungen präventiv zu begegnen als auch gemeinsam die strukturellen
Herausforderungen von Schule und Unterricht zu fokussieren.
Für die künftige Forschung bedeutsam wären nicht nur verstärkte Bemühungen um
die Erfassung der subjektiven Perspektiven der Studierenden auf den Lehrer*innen-
beruf insgesamt, sondern auch die Frage, ob und wie sich diese Vorstellungen und
auch die persönlichen Ansprüche und Erwartungen während des Studiums verän-
dern (lassen) - was Wideen, Mayer-Smith und Moon (1998) vor einem Vierteljahr-
hundert verneinten - und in diesem Zusammenhang z. B. auch, welches Lehrer*in-
nenbild die Curricula in Lehramtsstudiengängen transportieren.
Subjektive Perspektiven von Lehramtsstudierenden 57
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Autor*innen
Prof. Dr. Andrea Kleeberg-Niepage, Europa-Universität Flensburg, Interdisziplinäres
Institut für Umwelt-, Sozial- und Humanwissenschaften, Abteilung Psychologie
Dr. Johanna L. Degen, Europa-Universität Flensburg, Interdisziplinäres Institut für
Umwelt-, Sozial- und Humanwissenschaften, Abteilung Psychologie
Dr. Thomas Fischer, Europa Universität Flensburg, Institut für Erziehungswissen-
schaften, Abteilung Empirische Bildungsforschung
Martin Förster, M. A., Europa Universität Flensburg, Institut für Gesellschaftswissen-
schaften und Theologie, Abteilung Zentrale Methodenlehre
Dr. Anton Perzy, Europa-Universität Flensburg, Interdisziplinäres Institut für Um-
welt-, Sozial- und Humanwissenschaften, Abteilung Psychologie
Korrespondenz an: andrea.kleeberg-niepage@uni-flensburg.de