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Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens. Eine sonderpädagogische Methode?

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Abstract

Direkte Instruktion ist eine stark lehrerinnenzentrierte Methode der Förderung, in welcher mehrere Instruktionen vorstrukturiert sind und direkt zum Lernziel führen. Direkte Instruktion ist kleinschrittig und direkt auf eine Strategie oder konkrete Fertigkeiten (Skills) gerichtet. Während in englischsprachigen Ländern direkte Instruktion zu den Standards der Sonderpädagogik gehört, wird dieser Ansatz im deutschsprachigen Diskurs um Didaktik kaum adressiert. Wir möchten für diese Methode eine Position beziehen und die Anwendung sowie den praktischen Ansatz aus Sicht der sonderpädagogischen Schwerpunkte Lernen und Geistige Entwicklung diskutieren.
Alle Urheberrechte liegen beim Verband Sonderpädagogik e. V. – Veröentlichung und Wiedergabe sind nur mit Genehmigung des Rechteinhabers gestattet.
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Zusammenfassung
Zeitschrift für Heilpädagogik
75., 2024
Seite 336 – 346
Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens.
Eine sonderpädagogische Methode?
Markus GebhardtPeter Zentel
Direkte Instruktion ist eine stark lehrerinnenzentrierte Methode der Förderung, in welcher
mehrere Instruktionen vorstrukturiert sind und direkt zum Lernziel führen. Direkte
Instruk tion ist kleinschrittig und direkt auf eine Strategie oder konkrete Fertigkeiten (Skills)
gerichtet. Während in englischsprachigen Ländern direkte Instruktion zu den Standards
der Sonderpädagogik gehört, wird dieser Ansatz im deutschsprachigen Diskurs um Didaktik
kaum adressiert. Wir möchten für diese Methode eine Position beziehen und die Anwendung
sowie den praktischen Ansatz aus Sicht der sonderpädagogischen Schwerpunkte Lernen und
Geistige Entwicklung diskutieren.
Hospitiert man im Unterricht in einer US-amerikanischen Schule in den sonderpädagogischen
Schwerpunkten Geistige Entwicklung oder Lernen, beobachtet man mit großer Wahrscheinlich-
keit Lehrerinnen und Lehrer, die konsequent die Methode der direkten Instruktion anwenden. Es
ist dort üblich, in regelmäßigen Abständen den individuellen Lernstand systematisch zu erfassen
und gezielte, eng geführte Förderungen meist unter Nutzung von sogenanntem Prompting mit
einzelnen Schülerinnen und Schülern oder Kleingruppen durchzuführen. Unter Prompting sind
Hinweise zu verstehen, die den Schülerinnen und Schülern helfen, die richtige Antwort zu finden.
Prompts können verbal, gestisch oder physisch sein. In deutschen Unterrichtsräumen sind solche
Maßnahmen dagegen selten bis kaum zu beobachten. Dieser anekdotische Befund zeigt sich auch
in der Literatur: Während im deutschsprachigen Raum insbesondere konstruktivistische Ansätze
den didaktischen Diskurs zur Inklusion und Sonderpädagogik bestimmt haben (Heimlich, 2004;
Reich, 2014; Fischer 2008), sind im englischsprachigen Raum eher instruktionale Ansätze in der
Sonderpädagogik vorherrschend (Archer & Hughes, 2010, Chiang & Kemp, 2019; Browder et al.,
2014; Ford, 2013).
Je nach didaktischer Ausrichtung kann man unterscheiden, ob Methoden mehr instruktionale
oder konstruktivistische Elemente beinhalten. Inhalte möglichst gut darzustellen, vorzumachen,
zu zeigen, zu erklären und zu üben, ist der instruktionale Ansatz. Beim konstruktivistischen
Ansatz steht der Lernprozess im Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler können anhand
einer gestellten Aufgabe oder eines Problems mehrere Lösungswege finden und ausprobieren.
Beide Ansätze sind zwar gegensätzlich, ergänzen sich aber im Lernen und sind für die Schule
bedeutsam.
Die Methode der direkten Instruktion (direct instruction), auch häufig als explizite oder
systematische Instruktion beschrieben, gehört im internationalen Raum zum didaktischen
Standard in den sonderpädagogischen Schwerpunkten Lernen und Geistige Entwicklung. Direkte
Instruktion umfasst das Scaffolding, die logische Strukturierung von Lerninhalten, die explizite
Vorgabe dessen, was gelernt werden soll, und die Bereitstellung der notwendigen Unterstützung
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und Hilfestellung, wenn die Schülerinnen und Schüler beginnen, neue Informationen zu lernen
und anzuwenden (Sweller et al., 2007).
Im deutschsprachigen Sprachraum gehört das Konzept nicht zum Standardwissen der
Sonderpädagogik (Wember, 2008) und wird in der Praxis eher unbewusst und nicht systematisch
angewendet. Nach einer kurzen Blütezeit von behavioralen Methoden in den 60er und
70er Jahren (Josef, 1968; Bach, 1979), die getragen war von einem großen pädagogischen
Optimismus bezüglich der Wirkung solcher Verfahren (Speck, 2018), wurden sie für den
Kontext der Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung als nicht ausreichend und
von nebensächlicher Bedeutung klassifiziert (Speck, 2018). Zwar wurde direkte Instruktion in
sonderpädagogischen Lehrwerken weiterhin vorgestellt (Wember, 2007; Lebens & Lauth, 2014),
eine breite Forschung und Ausbildung in dieser Methode ist nicht ersichtlich.
Nach internationalen Unterrichtsvergleichsstudien gelten direkte Unterrichtsformen allerdings
als besonders effektiv (Hattie, 2013). Es handelt sich dabei um
„… ein anspruchsvolles Unterrichtsarrangement, das aus mehreren Phasen besteht, die auf-
einander aufbauen und jeweils gut vorbereitet werden müssen. Dabei spielen das Üben der
Schülerinnen und Schüler sowie die differenzierte Rückmeldung der Lehrkraft an die einzel-
nen Schülerinnen und Schüler eine entscheidende Rolle“ (Schnack, 2014, S.6).
Konstituierende Teile solcher Unterrichtsformen sind eine gute Planung, eine kontrollierte
Durchführung, die in der Regel kleinschrittig aufgebaut ist, und unmittelbares, differenziertes
Feedback an die Schülerinnen und Schüler. Ziel ist dabei, dass Wissensinhalte sicher und mit
einem hohen Automatisierungsgrad von Schülerinnen und Schülern abgerufen werden können
(Grosche & Grünke, 2011).
Grundsätzlich sind diese Verfahren dem vom Lehrerinnen und Lehrern gesteuerten Unterricht
zuzuordnen.
„Dem vom Lehrer gesteuerten Unterricht entsprechen darbietende Lehrverfahren, erarbeiten-
der Unterricht im Wechselspiel von Lehrerfragen und Schülerantworten sowie Übungs- und
Anwendungsaufgaben. Dem mehr auf die Lernenden zentrierten Unterricht entsprechen ent-
deckenlassende Lehrverfahren, Kooperation von Lernenden sowie Planspiele, Simulations-
spiele und Projekte. In dem einen Extrem ist vom Lernenden eher rezeptives (aufnehmendes)
Lernen gefordert, im anderen Extrem dagegen aktives, mehr oder minder selbstgesteuertes
Lernen. Entsprechend ist auch die Rede von einem direktiven und einem nicht-direktiven
Unterrichtsstil“ (Klauer & Leutner, 2012, S.96).
Wegweisend für Methoden der direkten Unterweisung sind die Arbeiten von Siegfried Engelmann,
der in den 1960er Jahren den Begriff der Direkten Instruktion (DI) geprägt und mit Kollegen
das DISTAR-Programm entwickelte hat (Engelmann et al., 1988). Nach seinen Vorstellungen
sollten DI-Lehreinheiten so aufgebaut sein, dass Fertigkeiten schrittweise eingeführt werden, so
dass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, diese Fertigkeiten zu erlernen und an-
zuwenden, bevor sie neue Fertigkeiten lernen müssen. Deshalb bestehen nur zehn Prozent jeder
Unterrichtsstunde aus neuem Material, die restlichen 90 Prozent jeder Lektion dienen der Wieder-
holung und Anwendung von Fähigkeiten, die die Schülerinnen und Schüler bereits gelernt haben,
aber noch üben müssen, um sie zu beherrschen. Fertigkeiten und Konzepte werden zunächst
isoliert gelehrt und dann mit anderen Fertigkeiten zu anspruchsvolleren, übergeordneten Anwen-
dungen integriert (Engelmann & Carmine, 2017). Engelmann hat spezifische, lehrgangsartige
Skripts entwickelt, die in spezifischen Domänen bei einem spezifischen Lernstand eingesetzt wer-
den können. Auf den Seiten des National Institute for Direct Instruction wird der Ansatz erläutert.
Außerdem finden sich Fördermaterialien und Erkenntnisse aus der Forschung zu DI (www.nifdi.
org). Rosenshine (1987) fasst „direct instruction“ deutlich weniger spezifisch als „eine systemati-
sche Lehrmethode, bei der der Schwerpunkt auf dem Vorgehen in kleinen Schritten, der Überprü-
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fung des Verständnisses der Schüler und der aktiven und erfolgreichen Beteiligung aller Schüler
liegt“ (ebd., S.34).
Zur Unterscheidung des engen vom weiter gefassten Ansatz wird der enge Begriff mit Großbuch-
staben (DI) geschrieben, während die direkte Instruktion nach einem weiten Verständnis mit
Kleinbuchstaben abgekürzt wird. Der Begriff wird mittlerweile eher im Sinne Rosenshines als
Bezeichnung lehrerinnengeleiteten Unterrichts verwendet. Lebens und Lauth (2014) definieren
direkte Instruktion demzufolge als „… ein Lernen, das zwar stark von der Lehrkraft gelenkt wird,
sich aber sehr eng an den Lernvoraussetzungen und den Lernfortschritten der Schülerin bzw. des
Schülers orientiert“ (ebd., S.419).
In dieser allgemeinen Form wird der Ansatz des Unterrichts auch als explizite oder systematische
Instruktion bezeichnet. Allerdings unterliegt diese Gleichsetzung einer begrifflichen Unschärfe.
Denn betrachten wir die Begriffe genauer, zeichnen sich im Detail Unterschiede ab. Nach Carnine,
Kollege und Kolleginnen (2004) ist Unterricht explizit, wenn Lehrerinnen oder Lehrer den Schü-
lerinnen und Schülern klar und deutlich mitteilen, wie etwas zu tun ist.
Dagegen steht impliziter Unterricht für schülerinnengesteuerten Unterricht und bezieht sich auf
ein entdeckendes, konstruktivistisches bzw. minimal angeleitetes Modell von Lernen. In diesem
impliziten Modell hat der Lehrer oder die Lehrerin eine eher lenkende Rolle, die manchmal auch
als „Guide-on-the-side“ bezeichnet wird, während die Schülerinnen und Schüler von Anfang an
mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Explizit bezieht sich demnach sowohl
auf das zugrundliegende Curriculum als auch auf die Methode, mit der die Inhalte vermittelt
werden.
Systematisch bedeutet nach Hempenstall (2016), dass die Aufmerksamkeit auf die Details des
Unterrichtsprozesses gerichtet ist. Der Unterricht basiert auf einer logischen Analyse der Fähig-
keiten der Schülerinnen und Schüler, die mit einer systematisch erarbeiteten optimalen Abfolge
ausgearbeiteter kleinschrittiger Lernbausteine in Verbindung gebracht werden. Der Begriff der
Systematik kann sich also sowohl auf das Curriculum bzw. den Lernstoff beziehen, die mehr oder
weniger systematisch aufgebaut sein können, als auch auf die Methode der Vermittlung, die mit
einem systematischen Assessment in Verbindung stehen sollte.
Nach diesem Verständnis kann Unterricht systematisch ohne explizit sein. So können Lehrerin-
nen und Lehrer ein Thema systematisch erschließen und entsprechendes Unterrichtsmaterial dif-
ferenziert vorbereiten. Die Verantwortung für den Lernprozess kann jedoch den Schülerinnen und
Schülern übertragen werden. Die Unterrichtsplanung und -vorbereitung könnte also systematisch
sein, die Unterrichtsdurchführung jedoch nicht. Umgekehrt ist es auch möglich, dass Unterricht
explizit, aber nicht systematisch ist, wenn Lehrerinnen und Lehrer Inhalte vorgeben und den
Unterricht eng leiten, ohne dabei aber auf eine systematische Planung zurückzugreifen, sondern
eher „aus dem Stegreif“ unterrichten. Im oben beschriebenen Konzept der „Direct Instruction“
nach Engelmann kommen Systematik und Explizitheit zusammen. Sowohl der Lehrstoff als auch
die Form der Vermittlung sind bis ins Detail systematisiert und geplant.
Die wesentliche theoretische Wurzel direkter Instruktion ist der Behaviorismus, der seinen
Ursprung in den Werken Burrhus Skinners hat. Der Behaviorismus versucht das gesamte mensch-
liche Verhalten durch seine funktionalen Beziehungen zu Umweltereignissen zu erklären (Skin-
ner, 1999). Wichtige Merkmale behavioristischer Methoden sind das Verstärken von erwünsch-
tem Verhalten durch Lob und das Vermeiden von Strafe. Lob und positive Verstärkung werden in
die kleinschrittig aufgebauten Lerneinheiten implementiert. Klauer wendete diese Lerntheorie
schwerpunktmäßig im programmierten Unterricht für die Sonderschule (1964) und Didaktik der
Vorsorge (1975) an. In der Geistigbehindertenpädagogik war es unter anderem Josef (1968), der
den programmierten Unterricht als Unterrichtsmethode aufgegriffen hat. In späteren Lehrwerken
Behaviorismus
als Wurzel direkter
Instruktion
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finden sich meist unter dem Stichwort „Lernen Schritt für Schritt“ vergleichbare Ansätze (Fischer,
1981; Wendeler, 1993). Mittlerweile werden von mehreren Buchautoren jedoch kognitivistische
Begründungen als Grundlage für direkte Methoden verwendet, die Befunde zu kognitiven Syste-
men einbeziehen, wie das Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin (1968), das Modell des
Arbeitsgedächtnisses von Baddeley und Hitch (1974) oder die Cognitive Load Theory von Sweller,
van Merriënboer und Paas (1998). An der Vorgehensweise hat sich grundsätzlich nichts geändert,
allerdings werden beim Einsatz der Methoden kognitive Aspekte der Informationsverarbeitung
beachtet (Reinmann, 2012). Für lernende Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten in der
Informationsverarbeitung erscheint die Cognitive Load Theory besonders relevant. Sie setzt sich
mit Prozessen der Informationsverarbeitung unter Berücksichtigung der begrenzten Kapazität
des Arbeitsgedächtnisses auseinander und versucht Hinweise dahingehend zu geben, wie dieser
„Flaschenhals des Lernens“ sinnvoll in Lehr-Lernplanungen berücksichtigt werden kann. Das
bedeutet, es wird eine Brücke geschlagen zwischen psychologischen Prozessen der Informations-
verarbeitung und didaktischen Entscheidungen hinsichtlich der Wahl geeigneter Methoden.
Zentrale Annahmen der Cognitive Load Theory sind
die Begrenzung des Arbeitsgedächtnisses,
die Differenzierung unterschiedlicher kognitiver Belastungen sowie
die Zusammenfassung von gelernten Inhalten zu Schemata im Langzeitgedächtnis.
Nach der Cognitive Load Theory werden gelernte Inhalte im Langzeitgedächtnis als Schemata
(Patterns) gespeichert. Schemata sind
„…abstrakte kognitive Strukturen zur Repräsentation von Wissen über Aufgabenkategori-
en, in denen sowohl Strukturmerkmale der Aufgabe als auch eine für die Aufgabe geeignete
Lösungsprozedur gespeichert sind“ (Tibus 2008, 85).
Zur Bildung von Schemata müssen relevante Einzelelemente im Arbeitsgedächtnis aktiv gehalten
werden, ehe sie zu einer Einheit, einem Schema zusammengefasst werden können. Dieses wird im
Langzeit gedächtnis gespeichert und entlastet das Arbeitsgedächtnis. Je öfter ein Schema aus dem
Langzeitgedächtnis abgerufen wird, desto automatisierter läuft der Vorgang ab, was Ressourcen
schonend wirkt. Daher ergänzen sich zielgerichtete Instruktionen in der Praxis meist sehr gut
mit der Cognitive Load Theory und es kann geschlussfolgert werden, dass ein solches Vorgehen
insbesondere auch bei Kindern mit Lernschwierigkeiten sinnvoll erscheint.
Direkte Instruktion wirkt auf der individuellen Ebene und wird auch auf dieser überprüft. Auch
wenn beispielsweise Engelmanns „Direct Instruction“ als Methode sowohl für individuelle Unter-
weisung als auch als Gruppenunterricht konzipiert wurde, ist das Sicherstellen des Lernfort-
schritts jeder einzelnen Lernerin und jedes einzelnen Lerners ein wesentliches Merkmal (Engel-
mann, 1980). Im Konzept von Engelmann wird der Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler
in der Regel durch eine sehr präzise und systematische Methode der Lernstandsmessung erfasst.
Diese Methode basiert auf einem engen Feedback-System, das sicherstellt, dass jede Schülerin
und jeder Schüler das Lernmaterial vollständig versteht, bevor sie zum nächsten Schritt oder zur
nächsten Lektion übergehen. Während jeder Lektion werden häufig Fragen gestellt oder kurze
Übungen durchgeführt, um zu überprüfen, ob die Schülerinnen und Schüler den aktuellen
Inhalt verstanden haben. Engelmann betont die Bedeutung von sofortigem, gezieltem Feedback,
um eventuelle Missverständnisse oder Fehler zu korrigieren. Im Ansatz der „Direct Instruction“
wird darüber hinaus das sogenannte „Mastery Learning“ (Engelmann, 1980) angewendet. Das
bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler eine Lektion erst dann als abgeschlossen betrachten,
wenn sie die Ziele dieser Lektion vollständig beherrschen. Wenn eine Schülerin oder ein Schü-
ler das Lernziel nicht erreicht, wird zusätzliche Unterstützung angeboten, um sicherzustellen,
dass das Verständnis verbessert wird, bevor zur nächsten Lektion übergegangen wird. Engelmann
legt großen Wert auf eine präzise Diagnose und stetige Kontrolle des Lernfortschritts. Dadurch
soll sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler das erforderliche Wissen und die
erforder lichen Fähig keiten erlernen und der Unterricht effektiv auf die individuellen Bedürfnisse
zugeschnitten werden kann (Engelmann, 1980).
Direkte Instruktion
ist nicht mit
Frontalunterricht
gleichzusetzen
Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens. Eine sonderpädagogische Methode?
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Wie oben bereits angedeutet stehen sich in Bezug auf mögliche Vermittlungsmethoden zwei Rich-
tungen gegenüber bzw. kennzeichnen den Möglichkeitsraum, in dem sich Unterricht voll ziehen
kann. In Bezug auf die Wahl der Vermittlungsmethode, aus der die Extrinsic Cognitive Load
resul tiert, sollten Methoden gewählt werden, die das Arbeitsgedächtnis möglichst wenig belas-
ten, möglichst viel Kapazität für die kognitive Schemabildung offen zu lassen. Kirschner, Sweller
und Clark (2006) gehen, basierend auf empirischen Erkenntnissen, davon aus, dass darbietender
Unter richt das Arbeitsgedächtnis grundsätzlich weniger belastet als entdeckendes Lernen. Im ent-
deckenden Unterricht müssen Schülerinnen und Schüler einen gegebenen Problemraum nach
problem relevanten Informationen durchsuchen. Jede problemorientierte Suche stellt hohe Anfor-
derungen an das Arbeitsgedächtnis. Außerdem trägt diese Belastung des Arbeits gedächtnisses
nicht zur Akkumulation von Wissen im Langzeitgedächtnis bei: Während das Arbeits gedächtnis
für die Suche nach Problemlösungen genutzt wird, steht es nicht zur Verfügung und kann nicht
zum eigentlichen Lernen der anvisierten Lerninhalte verwendet werden. Wie Sweller, Mawer und
Howe (1982) zeigen konnten, ist es möglich, auch über längere Zeiträume hinweg entdeckend
zu lernen, ohne dass das Langzeitgedächtnis in Bezug auf das gewählte Thema nachvollziehbar
verändert wird. Besonders ungünstig sind entdeckende Verfahren für Schülerinnen und Schüler
ohne Vorwissen im Themenbereich. Da sie keinen direkten Zugang zu einer gut entwickelten
und vernetzten Wissensbasis im Langzeitgedächtnis haben, müssen sie versuchen, komplexe und
neuartige Informationen innerhalb der begrenzten Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses aufzu-
nehmen und zu verarbeiten. Das führt zu einer kognitiven Überlastung, was effizientes Lernen
behindert, Fehler evoziert und die Gefahr der Frustration steigert (Kirschner et al., 2006). Im
Gegen satz dazu können Schülerinnen und Schüler mit Vorwissen ihre Fähigkeiten und Fertig-
keiten aus ihrem Langzeitgedächtnis zu einem Thema ableiten. Sie können auf ihr Wissen
zurück greifen und es beim Lernen nutzen, um Probleme zu lösen. Sie sind deshalb besser in
der Lage, Lösungen mit minimaler Anleitung oder Unterstützung zu „entdecken“. Die Befunde
aus dem Bereich von Schülerinnen und Schülern aus Allgemeinen Schulen legen nahe, dass
entdeckende Lernformen dann ihr Potenzial entfalten, wenn vorher auf instruktionistischem
Weg entsprechendes Vor wissen erworben wurde. Entdeckende und instruktionale Lernformen
sollten deshalb als sich ergänzende, verschränkte Methoden verstanden werden (Barron & Dar-
ling-Hammond, 2010), die erst im Zusammenspiel ihr volles Potenzial entfalten (de Jong et al.
2023). Dies gilt insbesondere für Kinder mit Lernschwierigkeiten, welche ansonsten bereits an
der Methode und nicht am Inhalt scheitern. Direkter Unterricht ermöglicht es den Lehrerinnen
und Lehrern, Informationen klar und korrekt zu vermitteln, kann aber für die Schülerinnen
und Schüler demotivierend wirken, insbesondere wenn die Methode für die Schülerin oder den
Schüler zu kleinschrittig oder langatmig ist. Auch hier kommt es auf die individuelle Passung an.
Ein entdeckender Unter richt kann Schülerinnen und Schüler begeistern, Lerninhalte vertiefen
und soziale Kompetenzen fördern. Freies entdeckendes Lernen ohne Grundlagen führt jedoch
unter Umständen zu Fehl interpretationen und bei Überforderung und damit auch zu Frustration.
Indem entdeckendes Lernen und direkte Instruktion miteinander kombiniert werden, können die
Vorteile beider Ansätze genutzt werden. Mit direkter Instruktion kann eine solide Wissensgrund-
lage gebildet werden, indem wesent liche Informationen vermittelt werden. Darauf aufbauend
kann entdeckendes Lernen den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihr eigenes Wissen zu
konstruieren und tiefgreifende Fragen zu erforschen.
Direkte Instruktion umfasst die einzelnen Methoden Scaffolding, die logische Strukturierung von
Lerninhalten, die explizite Vorgabe von Lerninhalten und Methoden, sowie die Bereitstellung not-
wendiger Unterstützung und Hilfestellung. Das traditionelle Ablaufschema für direkte Instruktion
besteht aus drei Schritten (Fisher & Frey, 2013), wonach zuerst die richtige Lösung präsentiert
wird („I do it“), danach ein gemeinsames, begleitetes Anwenden folgt („We do it“). Der dritte und
letzte Schritt umfasst das eigenständige Anwenden und Verstetigen („You do it“). Mittlerweile wird
dieses Schema aber als zu vereinfacht gesehen und von einer flexiblen Modellierung der Inter-
vention zur bestmöglichen Unterstützung gesprochen. Meist werden diese Methoden mit einer
einfachen, begleitenden formativen Diagnostik oder Lernverlaufsdiagnostik (Gebhardt, 2023) als
Data-Sheets aufgesetzt, auf denen zuerst die Base-Line und in der Folge dann der Lernfortschritt
Entdeckendes Lernen
und
Direkte Instruktion
Direkte Instruktion im
Kontext von Schülerin-
nen und Schülern mit
sonderpädagogischem
Unterstützungsbedarf
in den Bereichen
Lernen und
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dokumentiert wird. Die Daten können Informationen über die Anzahl der richtig gelösten Auf-
gaben, die Zeit für bestimmte Aufgaben oder andere Leistungskennzahlen enthalten (Collins,
2012).
Zu den zentralen Methoden direkter Instruktion gehören sogenannte Prompts, also Hinweisreize
oder Unterstützungen, die beim Lernen eingesetzt werden, um einem Schüler dabei zu helfen,
eine bestimmte Fähigkeit oder ein Verhalten zu erlernen oder zu verbessern. Prompts können ver-
bal, visuell, physisch oder gestenbasiert sein und dienen dazu, den Schüler schrittweise zu führen
und ihm beim Aufbau neuer Fertigkeiten zu helfen (Browder et al., 2014). Es gibt verschiedene
Arten von Prompts, die je nach den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Schülers
eingesetzt werden können:
Verbale Prompts sind mündliche Anweisungen oder Hinweise, die Schülerinnen und Schülern
das richtige Verhalten oder die richtige Antwort vorgeben oder erklären.
Visuelle Prompts sind Bilder, Diagramme, Grafiken oder andere visuelle Hilfen, die Informa-
tionen geben oder eine Handlung verdeutlichen.
Physische Prompts sind die körperliche Unterstützung oder Berührungen, um Schülerinnen
und Schüler durch eine Handlung zu führen oder die korrekte Ausführung zu zeigen.
Gestenbasierte Prompts beinhalten das Zeigen oder Deuten durch Gesten, um eine Anleitung
zu geben oder auf etwas hinzuweisen (Shepley et al., 2019).
Prompts werden normalerweise nach einem „Least-to-Most“-Ansatz eingesetzt, was bedeutet,
dass zuerst die weniger invasive oder einschränkende Art von Prompt verwendet wird (Shepley et
al., 2019). Wenn Schülerinnen und Schüler jedoch Schwierigkeiten haben, kann allmählich zu
stärkeren oder direktiveren Prompts übergegangen werden. Das Ziel ist es, die Abhängigkeit von
externen Hilfen zu verringern, während Schülerinnen und Schüler eine Fertigkeit schrittweise
eigen ständig erlernen. Die effektive Verwendung von Prompts erfordert eine sorgfältige Anpas-
sung an die Bedürfnisse jeder Schülerin und jedes Schülers, um sicherzustellen, dass die Hilfe-
stellungen angemessen sind und den Lernprozess unterstützen, ohne zu überfordern (Collins,
2012).
Die Anwendungsmöglichkeiten von direkter Instruktion sind nach Archer und Hughes (2010)
immer dann gegeben, wenn Unterstützung notwendig ist:
Review: Voraussetzungen und Kenntnisse überprüfen.
Presentation: Lernziele angeben, neues Material in kleinen Schritten präsentieren, Verfahren
modellieren, Beispiele und Nicht-Beispiele geben, klare Sprache verwenden und vom Thema
nicht abweichen.
– Guided Practice: Häufige Antworten fordern, hohe Erfolgsraten sicherstellen, rechtzeitiges
Feedback, Hinweise und Hilfestellungen bieten und Schüler üben lassen, bis die zu lernende
Aufgabe mit Unterstützung sicher ausgeführt wird.
Corrections and Feedback: Wenn sich kein Erfolg einstellt, muss erneut unterrichtet werden
(Schritt zwei „Presentation“).
Independent Practice: Anfangsübungen begleiten und Schüler üben lassen, bis sie die Fähig-
keiten beherrschen.
Wöchentliche und monatliche Überprüfungen.
Von zentraler Bedeutung in der direkten Instruktion ist die Strukturierung des Lernmaterials.
Es spielt eine entscheidende Rolle bei der effektiven Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten.
Strukturiertes Material hilft dabei, den Lernprozess zu organisieren und zu optimieren. So wird
der Lernstoff in gut organisierte und leicht verständliche Abschnitte unterteilt. Durch die klare
Präsentation von Informationen in Schritten oder Abschnitten wird der Lernprozess für die Schü-
lerinnen und Schüler vereinfacht, da sie nicht von überflüssigen oder verwirrenden Details über-
wältigt werden (Engelmann & Carmine, 2017). Damit ist in der Regel die schrittweise Steigerung
der Komplexität verbunden. Dies ist besonders wichtig, wenn es darum geht, schwierige Konzepte
oder Fähigkeiten zu vermitteln. Indem der Lernstoff in aufeinander aufbauenden Schritten prä-
Strukturierung des
Lernmaterials
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sentiert wird, können die Schülerinnen und Schüler jedes Konzept verstehen, bevor das nächste
Konzept bearbeitet wird (Collins, 2011). Strukturiertes Material umfasst ferner klare Anleitungen
und Handlungsanweisungen und ist grafisch strukturiert, jedoch auf das Wesentliche reduziert.
Dies hilft den Schülerinnen und Schülern, genau zu verstehen, was von ihnen erwartet wird,
und minimiert potenzielle Missverständnisse. Klare Anleitungen fördern ein effektives Lernen,
da die Schülerinnen und Schüler wissen, wie sie die Aufgaben angehen sollen. Strukturiertes
Material erleichtert überdies die Überprüfung des Verständnisses von Schülerinnen und Schü-
lern. Lehrkräfte können spezifische Fragen oder Aufgaben einbauen, um sicherzustellen, dass die
Schülerinnen und Schüler den Stoff richtig verstanden haben, bevor sie zum nächsten Schritt
übergehen (Browder et al., 2020).
Insgesamt hilft strukturiertes Material in der direkten Instruktion, den Lernprozess effizienter
und effektiver zu gestalten. Es bietet eine klare Struktur, klare Anleitungen und gezielte Aktivi-
täten, die das Lernen fördern und sicherstellen, dass die Schülerinnen und Schüler die Lernziele
erreichen (Trump et al., 2020). Die Strukturierung des Materials spielt beispielsweise im TEACCH-
Konzept eine herausragende Rolle (Häußler, 2022).
Ein wesentlicher Unterschied zwischen einer konstruktiven und einer instruktiven Didaktik ist
der Umgang mit Fehlern. Das Scheitern an anspruchsvollen Aufgaben wird in der traditionellen
Fachdidaktik nicht kritisch gesehen, sondern als Herausforderung und als anspruchsvolle Auf-
gabe, welche auch als Einführung dienen kann. So sieht Wittmann (2003) Mathematik als die
Kunst, Muster zu erkennen, welche im Unterricht anhand einer spielerischen Auseinandersetzung
elementar mathematischer Fragestellungen ohne unmittelbaren Lebensbezug vorkommen. Die
Kinder sollen die Aufgaben „knacken” und frei probieren. Dieser konstruktivistische Ansatz steht
im Programm Mathe 2000 im Vordergrund. Auch in den sonderpädagogischen Schwerpunkten
Lernen und Geistige Entwicklung wird vielfach von einer positiven Fehlerkultur gesprochen (z.B.
Fischer, 2008). Direkte Instruktion dagegen vermeidet oder ignoriert Fehler. Der Unterricht ist so
angelegt, dass Schülerinnen und Schüler insbesondere in der Einführung möglichst keine Fehler
machen können. Hintergrund ist, dass keine falschen Strukturen aufgebaut werden sollen, die
später nur mühsam wieder reduziert werden müssen und einen schnellen Lernfortschritt ver-
hindern. Sollten Fehler in Übungen vorkommen, wird mittels Prompts das gewünschte Verhalten
bzw. die richtige Antwort verstärkt. Einem Fehler kommt so keine eigene Bedeutung zu. Er wird
nicht überhöht oder an sich thematisiert, sondern der Blick wird auf das Ziel gelegt. Dies ist kein
grundsätzliches Verneinen von Fehlern im Lernprozess. Der Fehler wird eher als Resultat eines
falschen Stimulus (zu schwere Aufgaben, zu wenig Hilfe) gesehen.
Während im konstruktivistischen Lernen das eigene Erschließen der Lösung als Kern definiert
wird, sieht ein instruktives Lernen das erlernte Wissen oder Verhalten als Resultat an. Im Unter-
richtsalltag ist daher die Frage, in welcher Phase und Methode der Fehler gemacht werden kann
oder darf. In der Phase des Kompetenz-, Skill- oder Wissensaufbaus mittels Instruktion, der
Guided Practise und eigenen Übungen sollten möglichst keine Fehler gemacht werden. In einer
darauffolgenden konstruktiven Phase des transfer- und problembasierten, entdeckenden Lernens
ist es dagegen von großer Bedeutung, durch Fehler das Verständnis und die Kompetenzen der
Schülerinnen und Schüler zu verbessern.
Wie bereits dargestellt haben eng geführter Unterricht und vor allem lerntheoretisch motivierte
Methoden im deutschsprachigen, sonderpädagogischen Diskurs einen schweren Stand. Zwar wird
von empirisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen die Wirksamkeit betont (Wember, 2007),
aber instruktionistische Verfahren werden als zu kurzgefasste Didaktik gesehen. Insbesondere im
Bereich der Pädagogik bei geistiger Behinderung werden auf Effizienz ausgerichtete instruktio-
nale Verfahren kritisch gesehen, obwohl diese Personengruppe wirksame Unterstützung in einer
komplexen Welt benötigt. Gründe für die skeptische Haltung können in der geisteswissenschaft-
lichen Tradition der Disziplin liegen (Kuhl & Euker, 2016), weshalb die Personengruppe eher
individuell-ganzheitlich verstanden wird und weniger empirisch (Fischer 2008). Ferner können
Umgang mit Fehlern
Rezeption direkter
Instruktion im
deutschsprachigen
Raum
Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens. Eine sonderpädagogische Methode?
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Fazit und
Implementation
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Einflüsse konstruktivistischer Lerntheorien konstatiert werden (Wagner, 2016), die vorstruktu-
rieren und kontrolliert durchgeführten Unterrichtsverläufen kritisch gegenüberstehen. Zuletzt
kann auch die Orientierung an der Kulturhistorischen Schule – und damit einhergehend ei-
nem Verständnis von Lernen als Handlung (Feuser, 1989; Pitsch & Thümmel, 2011) – dazu bei-
getragen haben, dass lerntheoretisch begründete Unterrichtsformen weniger im Blick sind. So
kann beispielhaft Speck (2018) für eine durchaus vorherrschende ablehnende Haltung in der
Sonder pädagogik angeführt werden. Er zieht Freiräume, Kreativität und Eigenständigkeit im
Lernen einer an Effektivität ausgerichteten und zumindest temporär die Freiheit einschränkende
Methode vor:
„Inzwischen ist klar geworden, dass die bloße Orientierung an Effektivität nicht ausreicht. Es
ist eben nicht von nebensächlicher Bedeutung, wie stark die Kinder an direkte Systeme ge-
bunden werden, ob die Freiräume für individuelle, kreative Gestaltungen des eigenen Lebens
gewahrt werden, und wie sich eine solche Voll-Technisierung auf das begegnende Verhalten
der Lehrerin oder des Lehrers ihren Kindern gegenüber auswirkt” (Speck, 2018, S.223f.)
Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob der temporäre Ausschluss von Freiheit und Freiraum die
Vermeidung einer höchst effektiven Methode rechtfertigt. Ebenso erleben Kinder Situationen des
Scheiterns, wenn die Lernsituation nicht direktiv und adaptiv ist. Dies kann insbesondere in der
inklusiven Schule die Teilhabe und auch das Wohlbefinden stark einschränken. Letztlich ist –
auch ethisch – zu prüfen, wie hoch der Preis ist, der von den Schülerinnen und Schülern gezahlt
wird, wenn sie zwar nicht in ihrer Lernfreiheit eingeschränkt werden, dafür aber deutlich größere
Schwierigkeiten haben, eine bestimmte Kompetenz systematisch und sicher aufzubauen (Zentel
& Froschauer, 2022).
Direkte Instruktion ist in den beiden sonderpädagogischen Schwerpunkten Lernen und Geistige
Entwicklung keine Unbekannte. Sowohl in einzelnen Lehrwerken als auch in der Praxis ist
das Konzept zumindest in Teilen bekannt. Allerdings hat sie bei weitem nicht den Stellenwert,
der ihr im internationalen Raum zugewiesen wird. Mit diesem Beitrag möchten wir unserem
Wunsch Ausdruck verleihen, direkte Instruktion im Kanon der Methoden der Lern- und
Geistigbehindertenpädagogik stärker zu berücksichtigen und konsequent im Zusammenspiel
mit komplementären, schülerzentrierten Methoden zielführend einzusetzen. Aktuell werden
viele Elemente von direkter Instruktion, wie die didaktische Reduktion, Kleinschrittigkeit und
Scaffolding als Teil des Unterrichts unsystematisch eingesetzt. Wirksam sind diese Methoden
aber insbesondere dann, wenn das dahinterliegende Konzept bekannt
und im Schulalltag implementiert ist. Direkte Instruktion stammt aus
der empirischen Bildungsforschung, welche in den USA einen starken
Einfluss auf die sonderpädagogische Praxis hat. Dies ist in Deutschland
eher weniger der Fall.
Für eine erfolgreiche Implementation in Theorie und Praxis muss der
Frage noch stärker nachgegangen werden, welche Wissensformen von
welchen Zielgruppen besonders effektiv mittels direkter Instruktion
gelernt werden können. Dabei sollten noch stärker aktuelle Erkenntnisse
aus der empirischen Bildungsforschung berücksichtigt werden. Dort, wo
noch Erkenntnisse fehlen, müssten diese im Rahmen von empirischer
Forschung gewonnen werden.
Im Kontext der Mathematik beispielsweise gilt es herauszufinden, ob
Schülerinnen und Schüler von bestimmten Instruktionsmethoden
besonders profitieren und wie diese Methoden an die individuellen
Bedürf nisse und Fähigkeiten der Schüler angepasst werden können.
Schülerinnen und Schüler können durch direkte Instruktion beim
Erlernen grundlegender mathematischer Operationen wie Addition und
Subtraktion besonders gut unterstützt werden (Bouck et al., 2020). Es
Schlüsselwörter
Direkte Instruktion, explizite Instruktion, systematische
Instruktion, sonderpädagogischer Unterricht, Inklusive
Didaktik
Abstract
Direct Instruction is a teacher-centered method of teach-
ing in which several instructions are pre-structured and
lead directly to a learning goal. Direct instruction is small-
step and aimed directly at a strategy or concrete skill.
While direct instruction is one of the standards of special
education in English-speaking countries, this approach is
hardly addressed in German-speaking didactic discourse.
We would like to take a position for this method and dis-
cuss the application as well as the practical approach
from the perspective of learning disability and intellec-
tual disability
Keywords
Direct Instruction, explicit instruction, systematic instruc-
tion, special education instruction, inclusive learning
Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens. Eine sonderpädagogische Methode?
Alle Urheberrechte liegen beim Verband Sonderpädagogik e. V. – Veröentlichung und Wiedergabe sind nur mit Genehmigung des Rechteinhabers gestattet.
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bedarf jedoch weiterer Forschung, um zu verstehen, wie dieses Wissen in verschiedenen Bildungs-
kontexten und für verschiedene mathematische Wissensarten angewendet werden kann. Zudem
müssen Faktoren wie das Alter der Schüler, der Grad der Behinderung und die spezifischen Lern-
ziele im Mathematikunterricht stärker berücksichtigt werden als dies bisher in der in der Regel
eng geführten Forschung der Fall ist.
Durch eine systematische Untersuchung dieser Aspekte kann die Unterrichtspraxis evidenzbasiert
weiterentwickelt werden. Empirische Bildungsforschung sollte dabei nicht nur die Wirksamkeit
von Instruktionsmethoden, sondern auch von Kontextfaktoren berücksichtigen und verstehen,
die zu erfolgreichem Lernen im Einzelfall führen.
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Prof. Dr. Peter Zentel
Lehrstuhl für Sonderpädagogik
Förderschwerpunkt geistige Entwicklung einschließlich inklusiver Pädagogik,
Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Markus Gebhardt
Lehrstuhl für Sonderpädagogik
Förderschwerpunkt Lernen einschließlich inklusiver Pädagogik
Ludwig-Maximilians-Universität München
Direkte Instruktion als Methode des individuellen Lernens. Eine sonderpädagogische Methode?
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Article
Full-text available
We systematically reviewed more than 25 years of applied research examining the system of least prompts response prompting procedure with individuals with disabilities. We identified 123 peer-reviewed studies including 413 participants receiving instruction with the system of least prompts. A total of 252 experimental designs were evaluated, with 51 designs indicating a functional relation and the presence of 154 demonstrations of effect across 91 individuals. Our data indicate that the system of least prompts is an evidenced-based practice for teaching chained responses related to community, self-care, and vocational skills to individuals with moderate intellectual disability who are 13 years of age or older. In addition, we present and discuss a method for analyzing and aggregating data from single-case studies to account for noneffects and publication bias when identifying if an intervention meets standards as an evidence-based practice.
Article
Full-text available
There is great debate over including students with disabilities, in particular students with learning disabilities, in inclusive classrooms. Several strategies are available to support educating students with learning disabilities in inclusive classrooms including: co-teaching, differentiated instruction, and peer-mediated instruction and interventions. Theory suggests the practice of inclusion is congruent with social justice, but evidence suggests mixed results regarding academic achievement typically occur. However, results of providing separate pullout instructional services are not necessarily more likely to achieve desired results. Therefore, educators will need to make placement decisions considering the resources available in their school, in addition to the skill level of the students they work with, in order to make proper decisions regarding least restrictive environment. Doing so puts the student at the center of educational planning rather than ideological belief.
Book
Vorwort Die PISA-Untersuchungen, die öffentliche Diskussion der Hattie-Studie und die verstärkt empirische Ausrichtung der deutschsprachigen Bildungswissenschaft und Pädagogik bereiteten den Boden, auf dem sich das Konzept der Evidenzbasierten Pädagogik und Praxis in der deutschen Bildungslandschaft zu etablieren beginnt. Diese Entwicklung ging auch an der Sonderpädagogik nicht spurlos vorüber. Schon 2003 wiesen Runow und Borchert darauf hin, dass Grund- und Förderschullehrkräfte kaum in der Lage sind, die empirisch ermittelte Effektivität von Fördermethoden zu beurteilen, und forderten eine Umorientierung der gängigen Praxis. Auch Grünke (2006) plädiert dafür, die empirische Wirksamkeitsforschung bei der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen stärker zu beachten. Die erste explizite Diskussion von Begriff und Konzept der Evidenzbasierten Praxis (EbP) in Zusammenhang mit sonderpädagogischer Förderung dürfte allerdings von Nußbeck (2007) stammen. Seitdem sind einige Publikationen zu dieser Thematik erschienen. So fand in den Jahren 2012 und 2013 in der Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete ein reger Diskurs zur Evidenzbasierung von Sprachheilpädagogik und Logopädie statt. Interessanterweise ist es mit Blick auf die Förderung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung der kommunikative Bereich (in der Form von Unterstützter Kommunikation), in dem das Konzept der EbP erstmals aufgriffen wurde (Nußbeck, 2013; Schlosser & Wendt, 2008). Allerdings sind dies bisher die unseres Wissens einzigen Beiträge der deutschen Geistigbehindertenpädagogik zur Frage der Evidenzbasierung von Unterricht und Förderung. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind mehrschichtig und werden in Kapitel 1 dieses Buchs diskutiert. Für uns ist die Verwendung von wirksamkeitsüberprüften Konzepten, Methoden und Materialien, soweit dies möglich ist, eine Frage der Verantwortung gegenüber den Menschen, mit denen wir pädagogisch arbeiten. Dies war es auch, was uns zu dieser Herausgabe motivierte, die den Anspruch hat, den Diskussionsstand zum Thema Evidenzbasierung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung zusammenzufassen. Der Aufbau des Buches ist denkbar einfach. Teil I besteht aus zwei grundlegenden, in die Thematik einführenden Kapiteln. Teil II befasst sich mit verschiedenen Förder- und Unterrichtsbereichen. Die Auswahl der Bereiche richtete sich nach der Bedeutsamkeit, aber auch danach, ob bereits ein Mindestmaß an evidenzbasierten Förderansätzen vorliegt. Genau dieses Doppelkriterium führte dazu, dass der sprachlich-schriftsprachliche Bereich mit vier Kapiteln leicht überrepräsentiert ist. Bei der Benennung der Personengruppe haben wir den Terminus «intellektuelle Beeinträchtigung» gewählt. Dies geschieht in der Absicht, eine größere Vergleichbarkeit und Anschlussfähigkeit an den international inzwischen gebräuchlichen Begriff Intellectual Disability herzustellen. Unser definitorisches Verständnis von intellektueller Beeinträchtigung orientiert sich an internationalen Gepflogenheiten. Nach diesem Verständnis ist eine intellektuelle Beeinträchtigung charakterisiert durch schwerwiegende Einschränkungen in den Bereichen der Intelligenz (IQ < 70) und des adaptiven Verhaltens (AAIDD, 2010; Schalok, Luckasson & Shogren, 2007). Alternativ wird aber in diesem Sammelwerk, bei vorhandenem Schulbezug, auch der schulrechtliche Begriff «Förderschwerpunkt geistige Entwicklung» verwendet. Wir möchten uns ganz herzlich bei allen bedanken, die an der Entstehung dieses Buchs beteiligt gewesen sind, und hoffen, dass es bei Wissenschaftlern, aber auch bei Praktikern auf Interesse stößt. Jan Kuhl & Nils Euker Literatur AAIDD – American Association on Intellectual and Developmental Disabilities (2010). Intellectual Disability – Definition, Classification, and Systems of Support (11th ed.). Washington, DC: American Association on Intellectual and Developmental Disabilities. Grünke, M. (2006). Zur Effektivität von Fördermethoden bei Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen. Kindheit und Entwicklung, 15, 239–254. Nußbeck, S. (2007). Evidenz-basierte Praxis – ein Konzept für sonderpädagogisches Handeln? Sonderpädagogik, 37, 146–155. Nußbeck, S. (2013). Evidenzbasierte Praxis in der Unterstützten Kommunikation. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 82, 11–21. Runow, V. & Borchert, J. (2003). Effektive Interventionen im sonderpädagogischen Arbeitsfeld – ein Vergleich zwischen Forschungsbefunden und Lehrereinschätzungen. Heilpädagogische Forschung, 29, 189–203. Schalock, R. L., Luckasson, R. A. & Shogren, K. A. (2007). The renaming of mental retardation: Understanding the change to the term intellectual disability. Intellectual and Developmental Disabilities, 45, 116–124. Schlosser, R. W. & Wendt, O. (2008). Evidence-based Practice in der Unterstützten Kommunikation bei Menschen mit geistiger Behinderung. In S. Nußbeck, A. Biermann & H. Adam (Hrsg.), Sonderpädagogik der geistigen Entwicklung (S. 665–682). Göttingen: Hogrefe.
Book
Alle Kinder und Jugendlichen sind auf Bildung und Erziehung und einen theoriegeleiteten und didaktisch und methodisch qualitativ hochwertigen Unterricht in der Schule angewiesen. Dies gilt besonders für Kinder und Jugendliche (mit geistiger Behinderung), die nicht (so) schnell und erfolgreich lernen und einen umfänglichen Förderbedarf in allen Lern- und Lebensbereichen aufweisen. Was aber meint und beinhaltet schulische Bildung, und welche individuellen Ausgangs- und sozialen Lebensbedingungen können diesen Prozess einschränken und "be-hindern"? Ergeben sich daraus besondere didaktische und methodische Erfordernisse? Und welche übergreifenden Prinzipien können einen Unterricht leiten, so dass Schüler mit ganz unterschiedlichen subjektiven Interessen und Erfahrungen sich aktiv entwickeln und (ihre) Welt erschließen können?
Article
There are two broad processes that people can use when attempting to solve a problem. The first of these is a means-ends strategy in which attempts are made to reduce differences between a given problem state and a goal or subgoal. Moves are generated by the goal or subgoals. The second is a history-cued process in which people use previous moves to generate subsequent moves. It is suggested that a means-ends strategy tends to reduce transfer effects. A history-cued strategy may facilitate rule induction, which in turn may be an important contributing factor to transfer. A series of four experiments using hybrid problems that are soluble either by rule induction or by means-ends analysis supported the above suggestion. Two additional experiments indicated that with respect to the "insoluble problem effect," the use of history-cued strategy was, of itself, insufficient to induce transfer effects. In order for transfer to occur, the structure of the problems and the manner in which they were presented had to be such as to ensure that problem solvers perceived a close relation between problems.