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Klinische Anästhesie280 Originalia
Original Articles Clinical Anaesthesia
© Anästh Intensivmed 2024;65:280–288 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Schlüsselwörter
Anästhesiologie – Palliativ-
medizin – Umfrage
Keywords
Anaesthesiology – Palliative
Care – Survey
1 Klinik für Anästhesiologie, Medizinische
Fakultät, RWTH Aachen University
(Direktor: Prof. Dr. R. Rossaint)
2 Institut für Arbeits-, Sozial- und
Umweltmedizin, Medizinische Fakultät,
RWTH Aachen University
(Direktor: Prof. Dr. T. Kraus)
3 EU/FH Hochschule für Gesundheit /
Soziales / Pädagogik, Campus Köln
(Geschäftsführende Direktorin:
Prof. Dr. rer. pol. C. Kurscheid)
4 Klinik für Palliativmedizin, Universitäts-
medizin Göttingen (Kommissarische
Direktorin: Dr. G. Benze)
5 Klinik für Anästhesiologie und Inten-
sivmedizin, Stiftung Herzogin Elisabeth
Hospital, Braunschweig
(Chefarzt: Prof. Dr. C. Wiese)
Palliative care: What role can we and do we want to assume
for ourselves as anaesthesiologists? A survey among members
of the DGAI / BDA Palliative Care Working Group
V. Peuckmann-Post1,2 · U. Junker3 · F. Nauck4 · C. Wiese5
Palliativmedizin: Welche
Rolle können und wollen
wir in der Anästhesiologie
für uns einnehmen?
Eine Umfrage unter
Mitgliedern des gemeinsamen
wissenschaftlichen Arbeits-
kreises Palliativmedizin
des BDA und der DGAI
Zitierweise: Peuckmann-Post V, Junker U, Nauck F, Wiese C et al: Palliativmedizin: Welche Rolle
können und wollen wir in der Anästhesiologie für uns einnehmen? Eine Umfrage unter Mitgliedern
des gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitskreises Palliativmedizin des BDA und der DGAI.
Anästh Intensivmed 2024;65:280–288. DOI: 10.19224/ai2024.280
Zusammenfassung
Die Palliativmedizin wurde als fünfte
Säule der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V.
(DGAI) etabliert. Welche Rolle Anäs-
thesist:innen im Hinblick auf die Ver-
sorgung von Patient:innen mit palliativ-
medizinischem Bedarf haben, ist jedoch
bislang nicht klar.
Methode
Ad-hoc-Umfrage unter Mitgliedern des
gemeinsamen wissenschaftlichen Ar -
beitskreises Palliativmedizin des Berufs-
verbands Deutscher Anästhesisten e. V.
(BDA) und der DGAI per E-Mail am
22.08.2022 zur Rolle der Anästhesiolo-
gie in der Palliativmedizin. Die Rück-
meldungen auf die einzige Frage „Gibt
es eine Herzensangelegenheit, die Ihrer
Ansicht nach hier unbedingt genannt
werden sollte?“ wurden qualitativ nach
Mayring [1] analysiert.
Ergebnisse
Es antworteten 11 von 39 registrierten
Adressat:innen. Die drei Hauptkatego-
rien waren (1) Selbstverständnis der be -
rufl ichen Aufgabe im Hinblick auf Pal-
liativmedizin, (2) palliativmedizinische
Qualifikation bzw. palliativmedizinische
Aus- und Weiterbildung und (3) Wirk-
samkeit anästhesiologischer Tätigkeit mit
Blick auf die Palliativmedizin. Es wurden
zahlreiche Aspekte anästhesiologischer
Kompetenz hinsichtlich Palliativmedizin
berichtet. Auf Weiterbildungs- und Qua-
lifizierungsbedarf von Anästhesist:innen
sowie das Schaffen notwendiger politi-
scher Strukturen wurde hingewiesen.
Schlussfolgerung
Zukünftige Initiativen sollten konkrete
Empfehlungen zur Rolle von Anästhe-
siolog:innen im Hinblick auf die Pallia-
tivmedizin im klinischen Alltag sowie in
der interdisziplinären Zusammenarbeit
beinhalten. Weiter- und Qualifizierungs-
konzepte sollten geprüft werden.
Summary
Palliative care was established as the
fifth pillar of the German Society for
Anaesthesiology and Intensive Care Me-
dicine e. V. (DGAI). However, which role
anaesthetists may play regarding the
care of patients with palliative care
needs, is not clear yet.
Method
An ad hoc email survey among mem-
bers of the scientific working group
“palliative me dicine” of the Association
of German Anaesthetists e.V. (BDA) and
DGAI on Aug. 22, 2022, about the role
of anaesthesiology in palliative medicine.
The response to the single question ”Is
there a matter close to your heart that in
your view should be mentioned here?”
were analysed qualitatively according to
Mayring [1].
Results
Eleven of 39 registered addressees re-
sponded. The three main categories were
(1) self-perception of the professional
task regarding palliative care (2) pallia-
tive care qualifications or palliative care
training and continuing education, and
(3) the effectiveness of anaesthesiology
activities with regard to palliative care.
Numerous aspects of anaesthesiological
Interessenkonflikt
Die Autorinnen und Autoren geben an, dass
keine Interessenkonflikte bestehen.
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competence concerning palliative care
were reported. The need for further
training and qualification of anaesthe-
siologists as well as the creation of ne-
cessary political structures were pointed
out.
Conclusion
Future initiatives should include speci fic
recommendations on the role of anaes-
thesiologists concerning palliative care
in everyday clinical practice and
interdis-
ciplinary collaboration. Further training
and qualification concepts should be
examined.
Einleitung
Die Palliativmedizin wurde im Jahr 2023
als fünfte Säule und eigene Sektion der
Anästhesiologie in der DGAI etabliert
(„AINSP-Konzept“). Konsensus- und Po -
sitionspapiere interdisziplinärer Fachge -
sellschaften sowie weitere Publikationen
fordern die Integration der Palliativme-
dizin auch in die Akutmedizin, Intensiv -
medizin und Anästhesiologie [2–5]. In
diesem Beitrag sollen die Rückmeldun-
gen und Ergebnisse einer Kurzumfrage
zur Rolle der Anästhesiologie in Bezug
auf die Palliativmedizin aus dem ge -
meinsamen wissenschaftlichen Arbeits-
kreis „Palliativmedizin“ (AK Palliativme-
dizin) der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V.
(DGAI) und des Berufsverbandes Deut-
scher Anästhesisten e. V. (BDA) präsen-
tiert werden.
Methodik
Für den Hauptstadtkongress Anästhesio-
logie und Intensivmedizin (HAI 2022)
wurde zur Vorbereitung auf den wis-
senschaftlichen Vortrag „Die Rolle der
Anästhesiologie in der Palliativmedizin –
Welche Rolle können und wollen wir für
uns einnehmen?“ in der Hauptsitzung
„Palliativmedizin goes Anästhesiologie“
eine Umfrage im AK Palliativmedizin
der DGAI und des BDA per E-Mail am
22.08.2022 durchgeführt. Teilnehmende
antworteten auf die einzige Frage „Gibt
es eine Herzensangelegenheit, die Ihrer
Ansicht nach hier unbedingt genannt
werden sollte?“ per E-Mail. Personen-
bezogene oder -sensible Daten wurden
nicht abgefragt. Rückmeldungen per
E-Mail wurden qualitativ nach Mayring
[1] analysiert. Die Ethikkommission der
Uniklinik RWTH Aachen University sah
„keine ethischen und berufsrechtlichen
Bedenken gegen das Forschungsvorha-
ben“ (EK-23-317).
Ergebnisse
Es antworteten 11 von 39 registrierten
Adressat:innen. Wir identifizierten 3
Hauptkategorien, 8 Subkategorien und
18 Sub-Subkategorien. Die Ergebnisse,
von denen eine Auswahl hier aufgeführt
werden soll, sind in Tabelle 1 im An-
hang gezeigt.
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Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
Die drei Hauptkategorien teilten sich
wie folgt auf:
(1) Selbstverständnis der beruflichen
Aufgabe im Hinblick auf Palliativ-
medizin
(2) palliativmedizinische Qualifikation
bzw. palliativmedizinische Aus- und
Weiterbildung
(3) Wirksamkeit anästhesiologischer
Tätigkeit mit Blick auf die Palliativ-
medizin.
Beim Selbstverständnis der beruflichen
Aufgaben von Anästhesist:innen im Hin -
blick auf Palliativmedizin wurden ver-
schiedene Aspekte zur Identifizierung
des Therapieziels und von ärztlichem
Handeln genannt und Handeln gemäß
den Werten der Patient:innen dem Han -
deln aufgrund von Machbarkeit gegen-
übergestellt.
„Haben wir noch das „richtige“ Be-
handlungsziel vor uns?“ „Handeln wir
gemäß den Werten bzw. dem Auftrag
des Patienten?“ „Oder tun wir Dinge
allein, weil wir sie tun können, seien
sie
sinnvoll oder nicht?“ Dabei wurde be-
tont, ein „palliatives Behandlungsziel
nicht als Niederlage oder „Aufgeben“
aufzufassen“. Als Voraussetzung wurde
eine professionell-personelle Ausstat-
tung mit palliativer Expertise gefordert:
„Jede Anästhesieabteilung sollte MA mit
der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin
und Ethikberatung haben.“
Die palliativmedizinische Qualifika
tion /
Aus- und Weiterbildung von Anäs the-
sist:innen betraf unter verschiedenen
Aspekten die fünf Säulen der Anästhe-
siologie (AINSP). Der Gedanke, dass
Anästhesist:innen „täglich mit palliativen
Patienten konfrontiert“ werden, zog sich
durch viele Aspekte. Dabei kamen die
breite anästhesiologische Kompetenz,
die die „Werkzeuge“ zur Adressierung
der palliativmedizinischen Herausforde-
rungen bietet, sowie „auch das Wissen
um die Grenzen dieser Medizin“ zur
Sprache.
Sorgen bereitete, ob die Aus- und Wei-
terbildung von Anästhesist:innen die
Anforderungen erfüllen kann: „Geben
wir unseren jungen Kollegen das nötige
Rüstzeug mit?“, fragte eine Person. Ein
weiterer Kommentar bezüglich der
Not -
wendigkeit der Übernahme von allge-
meiner Palliativversorgung „an vielen
Stellen“ durch die Anästhesiologie be -
tonte konkret die notwendige Qualifi-
zierung von Anästhesisti:innen: „Dazu
bedarf es einer guten, auf die Lehre im
Studium aufbauenden Qualifizierung,
die
nicht nur in Palliativkursen wie der Kurs -
weiterbildung Palliativmedizin er worben
wird, sondern auch in der Praxis.“ Bei -
spiele wie „Rotationen auf Palliativ-
stationen oder in SAPV(Spezialisierte
Ambulante Palliativversorgung)-Teams“
wurden genannt.
Dabei wurde als wichtige Frage zur
Politik der Berufsverbände identifiziert:
„Erhalten wir die nötige Rückendeckung
unserer Fachgesellschaften?“ und gefor-
dert, „palliativmedizinische Inhalte […]
ebenso zu optimieren und „ernst zu
nehmen“, wie wir es in den anderen
Bereichen bereits geschafft haben“.
Im Hinblick auf die verschiedenen Kom -
munikationsebenen im klinischen Alltag
wurde das eigene Team, die Kommu-
nikation mit Patient:innen und Ange-
hörigen sowie die interdisziplinäre Zu -
sammenarbeit identifiziert. Dabei wurde
u. a. „ein interprofessionelles Arbeiten
auf Augenhöhe“ als wichtig erachtet
und hergeleitet, dass „die Fähigkeit zu
angemessener Kommunikation, die in
der Palliativmedizin in der Regel selbst-
verständlich(er) ist“ etwas ist, „von der
alle Säulen unseres Faches profitieren
würden“.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit und
Kommunikation waren ebenfalls wich-
tige Aspekte in der Kategorie Wirksam-
keit anästhesiologischer Tätigkeit mit
Blick auf die Palliativmedizin und be-
leuchteten erneut auch die Bereiche der
„AINS“. Skizziert wurde: „Die Anästhesie
sollte zum einen eine Screeningaufgabe
haben (in der Anästhesieambulanz),
um einen palliativmedizinischen Bera-
tungsbedarf (insbesondere Vorausverfü-
gungen) festzustellen“. Auch wurde der
Wunsch geäußert, die „Intensivmedizin
als einen Ort der Palliativmedizin [zu]
fokussieren“ sowie „eigenständig pallia-
tivmedizinische Kompetenzen (auf der
Intensivstation) [zu] haben, um Thera
pie -
zielentscheidungen und Perspektivge -
spräche anbieten zu können“. Beispiele
für Notfallmedizin beinhalteten
Kompe-
tenz „bei der Entscheidung
„palliativ
oder kurativ“ und „[…] in der Schmerz-
therapie bei palliativen Symptomkom-
plexen“.
Aus Versorgungsperspektive wurde die
Notwendigkeit einer Integration von
Notfallmedizin und Spezialisierter Am -
bulanter Palliativversorgung (SAPV)
sowie der Zeitpunkt der Integration von
Palliativmedizin in die Akutmedizin als
problematisch thematisiert. Es wurde
festgestellt: „Darüber hinaus fehlen Kon-
zepte, um zwischen SAPV und der Akut-
medizin (Rettungsdienst und Notarzt)
besser zu kooperieren“ und „Problema-
tisch ist weiterhin, dass Spezialisierte
Palliativversorgung von der Akutmedizin
nicht oder zu spät eingebunden wird.“
Diskussion
Gemäß dem AINSP-Konzept wird die
Palliativmedizin seit dem Jahr 2023
als
fünfte Säule der Anästhesiologie durch
die Sektionsbildung in der DGAI deut-
lich gestärkt. Aktuelle Konsens- und
Positionspapiere interdisziplinärer Fach -
gesellschaften sowie weitere Publika-
tionen fordern die Integration der Pal-
liativmedizin auch in die Akutmedizin,
Intensivmedizin und Anästhesiologie
[2–5]. Die konkrete anästhesiologische
Rolle in Bezug auf Palliativmedizin
aus
anästhesiologischer Perspektive ist je-
doch bislang nicht deutlich benannt.
In dieser Umfrage, die zur Klärung bei-
tragen sollte, wurden die palliativmedi-
zinischen Aspekte für Anästhesist:innen
deutlich: Kompetenzen und Schnitt-
stellen wurden sowohl innerhalb der
bislang klassischen Bereiche Anästhesie,
Intensivmedizin, Notfallmedizin und
Schmerzmedizin gesehen als auch in
der direkten interdisziplinären Zusam-
menarbeit und Versorgung palliativme-
dizinischer Patient:innen. Gleichzeitig
wurde jedoch auch Bedarf an palliativ-
medizinischer Aus- und Weiterbildung
von Anästhesist:innen, Optimierung von
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Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
Strukturen interdisziplinärer Zusammen-
arbeit und die Notwendigkeit politischer
Rückendeckung wahrgenommen. Die
Integration der Palliativmedizin in die
Akut- bzw. Notfallmedizin wurde teil-
weise als unzureichend geregelt wahr -
ge nommen und das Einbeziehen der
Entscheidungskompetenz von Anäs the -
sist:innen in vielen Bereichen auf Au-
genhöhe gefordert.
Stärken der Anästhesiologie
und deren Bedeutung für die
Palliativmedizin
Für die Entwicklung der Palliativmedizin
in Deutschland wird der Anästhesiologie
eine relevante Rolle zugeschrieben [6].
Zu den Stärken der Anästhesiologie
im Hinblick auf die Palliativmedizin
gehören u. a. die Kompetenz zur inter-
disziplinären Zusammenarbeit [7], eine
umfassende Kompetenz zur klinischen
Einschätzung von Patient:innen aufgrund
der anästhesiologischen Tätigkeit in ei-
nem breiten Versorgungsspektrum sowie
die Expertise im Umgang mit Analge -
tika, hierunter auch starken Opioiden.
Diese Inhalte sind wichtige Bausteine
und Kompetenzen besonders im klini-
schen Umgang mit Patient:innen in der
Palliativmedizin.
Definition Palliativmedizin: Von
welchen „Palliativpatient:innen“
sprechen wir in der Anästhe -
siologie?
Lange auf „End of life“-Themen redu -
ziert, wird die Palliativmedizin entspre-
chend der Definition der Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) inzwischen zu -
nehmend differenzierter wahrgenommen
(Infobox). Palliativmedizin bezieht sich
also auch auf Patient:innen mit Erkran-
kungen in einem frühen Stadium. Es ist
jedoch davon auszugehen, dass das Ver-
ständnis von Palliativmedizin weiterhin
heterogen sein wird, wie die Publikation
zu einer international konsentierten De -
finition von Palliativmedizin zeigte [8].
Wenn man davon ausgeht, dass Pallia -
tivmedizin entsprechend dieser Defini-
tion sogar den Krankheitsverlauf positiv
beeinflussen kann, so könnte beispiels-
weise auch eine Beratung zu Thera-
pieentscheidungen in den Bereich der
Anästhesiologie fallen – beispielsweise
bei der Prämedikation oder auf der
Intensivstation.
Schnittstelle Prämedikation
Patient:innen, die aufgrund einer fortge-
schrittenen Erkrankung palliativmedizi-
nisch mitbetreut werden, zeigen oft fluk-
tuierende Symptome. Daher kann eine
gute klinische Einschätzung des ganzen
Menschen – über die Funktion eines ein-
zelnen Organs hinaus – entscheidend für
die prognostische Einschätzung und
somit weitere Therapie sein. Da auch Pa-
tient:innen mit palliativmedizinischem
Bedarf im Gesundheitssystem behandelt
und innerhalb der Anästhesiologie regel -
haft gesehen und klinisch eingeschätzt
werden, stellt beispielsweise die anäs-
thesiologische Prämedikation ein mög-
liches Portal für weitere diagnostische
Abklärungen weiterer Fachkliniken (Kon-
sile) und klinische Einschätzungen dar.
Palliativmedizinischer Expertise inner-
halb der Anästhesiologie könnte hier
eine besondere Aufgabe zukommen [3].
Schnittstelle Notfallmedizin
Wiese et al. befragten spezialisierte am-
bulante Palliativteams zur Versorgung
palliativer Notfälle und stellten u. a.
Defizite hinsichtlich der Versorgung in
palliativen Notfallsituationen fest [9].
Die Autor:innen forderten eine Diskus-
sion zu Optimierungen in der Koope-
ration zwischen ambulanten Palliativ -
diensten und Rettungsdiensten sowie
in der Aus- und Weiterbildung des not-
fallmedizinischen Personals. Darüber
hinaus sollte genauer festgelegt werden,
was überhaupt ein „palliativer Notfall“
ist bzw. anhand welcher palliativmedizi-
nischer Kriterien Notärzt:innen eine sol-
che Situation identifizieren sollten. Eine
einheitliche Dokumentation („Notfall-“
oder „Palliativausweis“) bzw. eine Inte -
gration dieser Information im Hinblick
auf die Digitalisierung wäre wünschens-
wert.
Schnittstelle Intensivmedizin
Zur Therapiebegrenzung bzw. Thera-
piezieländerung und Therapieentschei-
dungsfindung gab es in den letzten
Jahren einige Publikationen im Hinblick
auf die Intensivmedizin und Relevanz
Infobox
Deutsche Übersetzung der WHO Definition „Palliativmedizin“ [1]
Palliativmedizin / Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von
Patient:innen und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer
lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch orbeugen und Lindern von
Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen
sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.
Palliativmedizin:
• ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen
• bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an
• beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes
• integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung
• bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod
zu gestalten
• bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung der Patient:innen und in der
Trauerzeit
• beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patient:innen und ihrer Familien zu
begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig
• fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv
beeinflussen
• kommt frühzeitig* im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen
Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie z. B. Chemotherapie oder
Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplika-
tionen besser zu verstehen und zu behandeln.
*Hinweis: “early“ wird zunehmend mit „rechtzeitig“ übersetzt.
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Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
in der Anästhesie, inklusive Dokumen-
tationshilfen [2,3,10]. Ein positives Er -
gebnis im Zusammenhang mit palliativ-
medizinischen Interventionen auf der
Intensivstation konnte in einem Review
nachgewiesen werden [11,12]. Das opti-
male Modell eines hinzugezogenen pal-
liativmedizinischen Teams – konsultativ,
integrativ oder ggf. die Kombination
beider Modelle – muss allerdings noch
etabliert werden. Da die Studien bislang
vor allem aus Nordamerika stammen,
mag eine direkte Übertragbarkeit auf
unser Gesundheitssystem limitiert sein.
In einer retrospektiven Analyse wurde
dokumentiert, dass der palliativmedi-
zinische Bedarf intensivmedizinischer
Patient:innen die Aufnahmekapazität
der Palliativstation überstieg [13]. Das
bedeutet, dass die auf den Intensivsta-
tionen tätigen Ärzt:innen über palliativ-
medizinische Expertise verfügen sollten,
um ihre Patient:innen angemessen ver-
sorgen zu können. Neben Beratung von
Patient:innen und deren Familien sind
hier auch Kompetenzen hinsichtlich
ethischer Fragestellungen erforderlich.
Herausforderungen in unzurei-
chender Aus- und Weiterbildung
und politischen Strukturen
Während Publikationen zur periope -
rativen Betreuung von Palliativpa-
tient:innen in der Anästhesiologie die
hohen Herausforderungen an kommuni-
kative Fähigkeiten von Anästhesist:innen
betonen [14], benennen Bundesärzte-
kammer (BÄK) [15] und DGAI [16]
palliativmedizinische Inhalte in der Wei -
terbildung Anästhesiologie recht spär-
lich: Sucht man beispielsweise nach
Stichpunkten wie „Kommunikation“,
„Gespräch“ oder „palliativ“, finden sich
folgende Inhalte: Im „(Muster-)Logbuch“
der BÄK zur „Facharzt-Weiterbildung
Anästhesiologie“ wird der „Erwerb von
Kenntnissen, Erfahrungen und Fertig-
keiten in der ärztlichen Gesprächsfüh-
rung einschließlich der Beratung von
Angehörigen“ als zu dokumentierender
Weiterbildungsinhalt genannt. Es wird
jedoch nicht weiter differenziert, wie
eine „Gesprächsführung“ gestaltet sein
kann, und das Wort „Kommunikation“
ist nicht zu finden. Im „Fachlich empfoh-
lenen Weiterbildungsplan für den / die
Facharzt / Fachärztin für Anästhesiologie“
der DGAI hingegen lässt sich das Wort
„Gespräch“ nicht finden, und die Suche
nach dem Wort „Kommunikation“ fin -
det hier lediglich unter dem Punkt
„Grundlagen der Behandlung chroni-
scher Schmerzen“ folgenden Hinweis:
„die unterschiedlichen Kommunikati-
onstechniken kennen“. Es wird nicht spe -
zifiziert, welche Kommunikationstech-
niken gemeint sein sollen.
Im Klinikalltag dienen Oberärzt:innen
oder erfahrene Kolleg:innen als Vorbild.
Hier wäre es wünschenswert, ein kon-
kretes Curriculum zur Ausbildung in
Kommunikation von Anästhesist:innen
zu entwickeln. Weitere Qualifizie
rungs-
möglichkeiten beinhalten die „Zusatz-
weiterbildung Palliativmedizin“ oder
Hospitationen / Rotationen auf einer Pal -
liativstation, soweit vorhanden.
Die „Vereinbarung über die Zusammen-
arbeit bei der operativen Patientenver-
sorgung“ des Berufsverbandes Deutscher
Anästhesisten und des Berufsverbandes
der Deutschen Chirurgen kann ein Hin-
dernis für ein Begegnen auf Augenhöhe
in der Entscheidungsfindung und im
weiteren klinischen Prozedere darstellen
[17]. Bereits existierende interdiszipli-
näre „runde Tische“ wie ein Tumorboard
oder auch die seit 2009 empfohlene
„Surgical Safety Checklist“ der WHO
[18] zeigen, dass Begegnungen auf
Augenhöhe in der interdisziplinären
Zusammenarbeit möglich und sinnvoll
sind. So stellten die Autor:innen bei der
Durchsicht von 20 Studien eine Reduk -
tion perioperativer Letalität und Morbi-
dität sowie Verbesserung der interdiszi-
plinären Kommunikation fest. Sie zogen
das Fazit: „Es ist wichtig, diese Check-
liste nicht nur als Liste von Inhalten,
sondern als Instrument zur Verbesserung
von Kommunikation, Teamarbeit und
Sicherheitskultur im Operationssaal zu
verstehen und einzusetzen“.
In der Literatur finden sich darüber
hinaus differenzierte Konzepte, wie ein-
zelne klinische Fachbereiche innerhalb
des Gesundheitssystems ineinander ver-
flochten sein sollten, damit Patient:innen
mit palliativem Bedarf möglichst von
Beginn einer Erkrankung an gut im Sinne
einer ausreichenden Symptomkontrolle
begleitet werden können [19].
Limitationen
Terminologisch war die Unterscheidung
zwischen Aus- und Weiterbildung nicht
immer klar zu differenzieren. Teilweise
wurden beide Begriffe in einem Satz ge-
nannt („die Aus- und Weiterbildung von
Anästhesisten“). Beide Begriffe bezogen
sich in der Regel auf Anästhesist:innen,
nicht auf Studierende. Vermutlich war
daher vor allem die fachärztliche Wei-
terbildung gemeint. Anzumerken bleibt
jedoch, dass es auch um das Erlernen
grundlegender Fertigkeiten wie der Kom-
munikation mit Patient:innen ging. In
diesem Sinne erscheint es auch gerecht-
fertigt, von einer (grundlegenden) „Aus-
bildung“ zu sprechen, auch wenn hier
Ärzt:innen und Fachärzt:innen gemeint
sein könnten. In der Kategorisierung
wurde daher die gemeinsame Nennung
„Aus- und Weiterbildung“ gewählt.
Die Umfrage war nur einem kleinen
Kreis von Anästhesist:innen zugänglich,
dem gemeinsamen „Arbeitskreis Pallia-
tivmedizin“ der DGAI und des BDA.
Die zahlreich genannten Themen zeigen,
dass die Durchführung einer solchen
Umfrage in einem größeren Teilnehmen-
denkreis sinnvoll wäre. Auch wenn ei-
nige Teilnehmende das Themenspektrum
inhaltlich gesättigt sahen („eigentlich ist
alles gesagt“), könnte so womöglich ein
noch größeres Spektrum an Themen und
Einschätzungen hinsichtlich der Rolle
von Anästhesist:innen in Bezug auf die
Palliativmedizin erfasst werden.
Fazit
• Diese Ad-hoc-Umfrage einer
Expert:innengruppe zeigte ein
großes Spektrum an Wahrnehmung
verschiedener Bereiche, in denen
anästhesiologische Kompetenz
hinsichtlich Palliativmedizin gesehen
wurde.
• Relevante Themen betrafen
alle AINS-Säulen. Insbesondere
die rechtzeitige Integration der
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Original Articles
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Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
Palliativmedizin in die Akutmedizin
(Notfallmedizin), die Prämedikation
und die Intensivmedizin wurden
genannt.
• Es wurde ein Aus- und Weiterbil-
dungsbedarf von Anästhesist:innen
hinsichtlich der Palliativmedizin
gesehen. Weiterbildungs- und Quali-
fizierungskonzepte sollten geprüft
werden.
• Als Voraussetzung für eine Umset -
zung palliativmedizinischer Kom pe -
tenzen wurde das Schaffen politi -
scher Strukturen mit einem Begegnen
auf Augenhöhe in der interdiszipli-
nären Zusammenarbeit bzw. das
Schaffen von politischem Rückhalt
gefordert. Zukünftige Initiativen
sollten
konkrete Empfehlungen
zur Rolle der Anästhesiologie im
klinischen Alltag sowie in der
interdisziplinären Zusammenarbeit
beinhalten.
Danksagung
Dank geht an die Teilnehmenden aus
dem AK Palliativmedizin, die mit ihren
Beiträgen die Themen zur Analyse gene-
rierten.
Literatur
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1415–1425
12. Metaxa V, Anagnostou D, Vlachos S,
Arulkumaran N, Bensemmane S, van
Dusseldorp I, et al: Correction to:
Palliative care interventions in intensive
care unit patients. Intensive Care Med
2022;48(4):516
13. Lustig K, Elsner F, Krumm N, Klasen M,
Rolke R, Peuckmann-Post V: Transition
from intensive care to palliative care:
A retrospective analysis of 102 con-
sultation requests. Anaesthesiologie
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14. Lassen CL, Abel R, Eichler L, Zausig YA,
Graf BM, Wiese CH: Perioperative care
of palliative patients by the anesthetist:
medical, psychosocial and ethical chal-
lenges. Anaesthesist 2013;62(8):597–608
15. Bundesärztekammer. (Muster-) Logbuch:
Dokumentation der Weiterbildung
gemäß (Muster-)Weiterbildungsordnung
(MWBO) über die Facharztweiterbildung
Anästhesiologie. In: Bundesärztekammer,
editor. 2011
16. DGAI: Fachlich empfohlener Weiterbil-
dungsplan für den/die Facharzt/
Fachärztin für Anästhesiologie. 2020
17. Vereinbarung über die Zusammenarbeit
bei der operativen Patientenversorgung
des Berufsverbandes Deutscher
Anästhesisten und des Berufsverbandes
der Deutschen Chirurgen. Anästh
Intensivmed 1982;23:403–405
18. Fudickar A, Horle K, Wiltfang J, Bein B:
The effect of the WHO Surgical Safety
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communication. Dtsch Arztebl Int
2012;109(42):695–701
19. Hui D, Hoge G, Bruera E: Models of
supportive care in oncology. Curr Opin
Oncol 2021;33(4):259–266.
Korrespondenz-
adresse
Dr. med. Vera
Peuckmann-Post,
PhD
Klinik für Anästhesiologie
Uniklinik RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen, Deutschland
Tel.: 0241 80800
E-Mail: vpeuckmann@ukaachen.de
ORCID-ID: 0000-0002-1994-6483
Originalia 287
Original Articles
© Anästh Intensivmed 2024;65:280–288 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
Tabelle 1
Qualitative Analyse der Antworten auf die Frage „Gibt es eine Herzensangelegenheit, die Ihrer Ansicht nach hier unbedingt genannt werden sollte?“
Haupt-
kategorie
Subkategorie Sub-Subkategorie Ankerzitat
Selbstverständnis der beruflichen Aufgaben von Anästhesistinnen und Anästhesisten im Hinblick auf Palliativmedizin
Identifizierung des Therapieziels
und ärztliches Handeln
„Haben wir noch das „richtige“ Behandlungsziel vor uns?“
Handeln gemäß den
Werten der Patient:innen
„Handeln wir gemäß den Werten bzw. dem Auftrag der Patientinnen und
Patienten?“
Handeln aufgrund
Machbarkeit
„Oder tun wir Dinge allein, weil wir sie tun können, seien sie sinnvoll oder
nicht?“
Therapiebegrenzung als
ärztliche Aufgabe
„[…] ein palliatives Behandlungsziel nicht als Niederlage oder „Aufgeben“
aufzufassen und um jeden (für den Patienten mitunter leidvollen) Preis
vermeiden zu wollen, sondern auch als eine vornehme ärztliche und
pflegerische Aufgabe.“
Palliativversorgung „[…] dass durch die Anästhesie (zumindest ärztlich und pflegerisch) mit
ihren vielen Bereichen in erster Linie und an vielen Stellen die allgemeine
Palliativversorgung (APV) übernommen wird oder werden muss.“
Ausstattung mit palliativer
Expertise
„Jede Anästhesieabteilung sollte MA mit der Zusatzbezeichnung Palliativ-
medizin und Ethikberatung haben.“
Palliativmedizinische Qualifikation / Aus- und Weiterbildung von Anästhesistinnen und Anästhesisten
Palliativmedizin als fünfte Säule
der Anästhesie (AINSP)
„Meine Herzensangelegenheit ist es darüber hinaus, die Palliativmedizin
generell als fünfte Säule der Anästhesie zu etablieren.“
Tägliche palliativmedizi-
nische Anforderungen
anästhesiologischer
Tätigkeit
„[…] werden Anästhesisten täglich mit palliativen Patienten konfrontiert: in
der Anästhesie bei palliativen Eingriffen, in der Intensivmedizin bei der Frage
„weiterbehandeln oder nicht“, in der Notfallmedizin und der Notfallambu-
lanz bei der Entscheidung „palliativ oder kurativ“ und in der Schmerztherapie
bei palliativen Symptomkomplexen.“
Kompetenz zur
Therapiebegrenzung /
Therapiezieländerung
aufgrund von breitem
Interdisziplinärem Wissen
„Anästhesie. Intensivmedizin. Notfallmedizin. Ich liebe diese Fachgebiete.
Sie sind zu Recht eine Medizin des „Höher, Schneller, Weiter“. Damit haben
wir die passenden Werkzeuge auch schwerstes körperliches Leid unter
widrigen Umständen zu lindern. Und wir haben auch das Wissen um die
Grenzen dieser Medizin: Wann es ein „nicht zu hoch, nicht zu schnell, nicht
zu weit“ geben muss, damit es den schwerkranken und sterbenden Patienten
besser geht. So können wir Alternativen bieten zur um sich greifenden
Tötungshilfe, indem wir durch Aufklärung die Angst vor dem erbärmlichen
Sterben verringern.“
Anforderung an Aus- und
Weiterbildung von Anästhe-
sist:innen
Anästhesiologie „Geben wir unseren jungen Kollegen das nötige Rüstzeug mit, um die damit
verbundenen hohen Anforderungen an Ausbildung und Motivation zu
erfüllen?“
Palliativmedizinische
Versorgung (APV, SPV)
„[…] dass durch die Anästhesie (zumindest ärztlich und pflegerisch) mit
ihren vielen Bereichen in erster Linie und an vielen Stellen die allgemeine
Palliativversorgung (APV) übernommen wird oder werden muss. Dazu bedarf es
einer guten, auf die Lehre im Studium aufbauenden Qualifizierung, die nicht
nur in Palliativkursen, wie der Kursweiterbildung Palliativmedizin erworben
wird, sondern auch in der Praxis. Dazu sind auch Rotationen auf Palliativstati-
onen oder in SAPV-Teams für Anästhesist*innen hilfreich. Nur einige wenige
Anästhesist*innen oder Pflegende aus der Intensivmedizin wechseln dann
später zum Teil ganz in die spezialisierte Palliativversorgung (SAPV).“
Fortsetzung auf der nächsten Seite
Anhang 1
288 Originalia
Original Articles
© Anästh Intensivmed 2024;65:280–288 Aktiv Druck & Verlag GmbH
Klinische Anästhesie
Clinical Anaesthesia
Tabelle 1
Qualitative Analyse der Antworten auf die Frage „Gibt es eine Herzensangelegenheit, die Ihrer Ansicht nach hier unbedingt genannt werden sollte?“
Haupt-
kategorie
Subkategorie Sub-Subkategorie Ankerzitat
Politik der Berufsverbände
Gleichwertige Behand-
lung / mehr Unterstützung
der Palliativmedizin
„[…] wenn wir es schaffen, die palliativmedizinischen Inhalte in der
anästhesiologisch-notfallmedizinisch und intensivmedizinischen Aus- und
Weiterbildung ebenso zu optimieren und „ernst zu nehmen“ wie wir es in
den anderen Bereichen bereits geschafft haben. Also eine stärkere Unter-
stützung in genau diesen Bereichen…“
Politische Rückendeckung
als Aufgabe der Fach -
gesellschaften
„Erhalten wir die nötige Rückendeckung unserer Fachgesellschaften?“
Kommunikation
Kommunikationsebenen
im klinischen Alltag:
- Team
- Patient:innen und
Angehörige
- interdisziplinär
„[…] besonders den jungen Kolleg/inn/en ein besseres Rüstzeug für Kom -
munikation im Team, mit Patienten und Angehörigen und den Kolleg/inn/en
der zuweisenden und mitbehandelnden Fächer an die Hand zu geben.“
„Insbesondere die Fähigkeit zu angemessener Kommunikation, die in der
Palliativmedizin in der Regel selbstverständlich(er) ist, ist etwas von der alle
Säulen unseres Faches profitieren würden (Prämedikation, Notarzt,
Akutschmerzdienst… ).“
„Ein interprofessionelles Arbeiten auf Augenhöhe, Entscheidungen bei denen
das Team wirklich einbezogen wird…“
„Bereitschaft zur kritischen Reflexion – u.a. durch Supervision“
Wirksamkeit Anästhesiologischer Tätigkeit mit Blick auf die Palliativmedizin
Fachbereiche
Anästhesie OP „in der Anästhesie bei palliativen Eingriffen“
Anästhesie Ambulanz /
Prämedikation
„Die Anästhesie sollte zum Einen eine Screeningaufgabe haben (in der
Anästhesieambulanz), um einen palliativmedizinischen Beratungsbedarf
(insbesondere Vorausverfügungen) festzustellen […]“
Intensivmedizin „[…] ich möchte den Bereich der Intensivmedizin als einen Ort der
Palliativmedizin fokussieren.“
„[…] eigenständig palliativmedizinische Kompetenzen (auf der Intensivstati-
on) haben, um Therapiezielentscheidungen und Perspektivgespräche
anbieten zu können.“
Notfallmedizin „[… ]in der Notfallmedizin und der Notfallambulanz bei der Entscheidung
„palliativ oder kurativ“ […]“
Schmerztherapie „[…] und in der Schmerztherapie bei palliativen Symptomkomplexen.“
Interdisziplinäre Zusammen-
arbeit
Integration von
Notfallmedizin und
Spezialisierter Ambu-
lanter Palliativversorgung
(SAPV)
„Optimierung der notfall- und palliativmedizinischen Zusammenarbeit“;
„Darüber hinaus fehlen Konzepte, um zwischen SAPV und der Akutmedizin
(Rettungsdienst und Notarzt) besser zu kooperieren.“
Zeitpunkt der Integration
von Palliativmedizin in
die Akutmedizin
„Problematisch ist weiterhin, dass Spezialisierte Palliativversorgung von der
Akutmedizin nicht, oder zu spät eingebunden wird.“
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