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MARCO MAGIRIUS / DANIEL SCHERF / MICHAEL STEINMETZ
Mehrdeutigkeit im Literaturgespräch gelingend
bearbeiten: Beobachtungen zum Unterricht zu
Bronskys Scherbenpark in vier Lerngruppen der
Sekundarstufe 1
Abstract
In der Literaturdidaktik wird häufig argumentiert, dass eine starke Lenkung des Gesprächs
durch die Lehrperson mit der Mehrdeutigkeit literarischer Gegenstände inkompatibel wäre.
Besonders häufig werden solche Gespräche abgelehnt, bei denen die Lehrperson im Vorfeld
spezifische und eindeutige Verstehensziele plant, die von den Lernenden lediglich nachzuvoll-
ziehen sind. Mit unserem Konzept des Lernunterstützenden Literaturgesprächs reagieren wir
auf diese verkürzte Sicht auf lenkendes Lehrer*innenhandeln. Mit einer Fallstudie zeigen wir,
welche Formen lenkenden Gesprächshandelns eine gelingende Begegnung mit literarischer
Mehrdeutigkeit ermöglichen – und welche Formen einer gelingenden Begegnung eher abträg-
lich sind.
1 | Einleitung: Mehrdeutigkeit im Literaturgespräch bearbeiten
In der Literaturdidaktik wird seit über 30 Jahren intensiv über das Gespräch debattiert. Unserer
Wahrnehmung nach werden lehrer*innengelenkte Kommunikationsformate bis heute tenden-
ziell abgelehnt, wofür es Gründe gibt, die u. a. mit dem Rahmenthema dieser Ausgabe der
Zeitschrift Leseräume zusammenhängen: mit der Mehrdeutigkeit literarischer Texte.
Wir möchten zu Beginn des Beitrags die Gesprächsformate, die in diese Debatte einge-
bracht wurden, skizzenhaft in ihrer Unterschiedlichkeit darstellen. Im Rahmen dieser Darstel-
lung wollen wir zeigen, welche denkbaren Formate bisher kaum berücksichtigt worden sind,
obwohl es sich lohnt, über sie zu diskutieren. Einem unseres Erachtens bisher zu wenig beach-
teten Format möchten wir uns im Anschluss vertieft widmen: einem von der Lehrperson vor-
strukturierten Gespräch, dessen Verstehensziel ebenso wie der Weg dorthin zwar vorüberlegt,
aber nicht vorab festgelegt ist (vgl. Brüggemann et al. 2015, 224 f., Brüggemann et al. 2017,
64 f., Magirius et al. 2021). Diesem Format entspricht unser Konzept des Lernunterstützenden
Literaturgesprächs (ebd.).
Im Folgenden möchten wir eine Fallstudie vorstellen. Mit dieser zeigen wir anhand empi-
rischer Unterrichtsdaten ein lenkendes Gesprächshandeln der Lehrkraft, das den Schüler*innen
Raum zur Diskussion eröffnet, von der Initiative der Lernenden profitiert und auf diese Weise
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eine gelingende Begegnung mit literarischer Mehrdeutigkeit ermöglicht. Anschließend legen
wir dar, welches Handeln einer gelingenden Begegnung abträglich ist.
Mit dem vorliegenden Beitrag schließen wir an die GeföLit-Studien an, die zum Ziel haben,
Qualitätsdimensionen gesprächsförmigen Literaturunterrichts zu bestimmen. Für diese Studien
wurden 15 Unterrichtsstunden in Gymnasial- und Gesamtschulklassen der Klassenstufen 6 bis
9 videografiert. Neben den Transkripten der Unterrichtsstunden, die jeweils rund 80 Minuten
dauerten und in denen jeweils ein literarischer Text verhandelt wurde, liegen darüber hinaus
Fragebogen- und Testergebnisse der Schüler*innen vor. Nach ersten qualitativ-rekonstruktiven
Analysen der Daten (z. B. Harwart et al. 2020) konzentrierten sich Magirius et al. (2021; 2022)
auf die Auswertung jener Stunden des Datensets, in denen der literarische Text Der blaue Falke
von Jürg Schubiger besprochen wurde, der insbesondere parabolische Lesarten nahelegt. Aus-
gehend von diesen Untersuchungen wurde das Konzept des Lernunterstützenden Literaturge-
sprächs entwickelt (Magirius et al. 2021; 2023a; 2023b).
Im Literaturunterricht der Sekundarstufe I sind Texte wie Der blaue Falke, die interpreta-
torisch herausfordernd sind und auf eine parabolische Lesart drängen, vermutlich eher selten
anzutreffen. Im vorliegenden Beitrag widmen wir uns daher den Unterrichtsstunden des Daten-
sets, in denen ein Auszug eines realistischen Jugendromans im Mittelpunkt steht, der nicht
zwingend auf parabolische Lesarten hin angelegt ist. Auf diese Weise überprüfen wir, inwiefern
mit dem Konzept des Lernunterstützenden Literaturgesprächs auch dann zwischen gelunge-
nen und weniger gelungenen Unterrichtsgesprächen unterschieden werden kann, wenn inter-
pretatorisch weniger herausfordernde Texte behandelt werden. Nach der Darlegung der theo-
retischen Grundlagen gehen wir in diesem Sinne analog zu Magirius et al. (2021, in dieser
Zeitschrift) vor: Auch hier beginnen wir mit der forscherseitigen Einschätzung von vier Unter-
richtsstunden. Danach zeigen wir anhand der Schüler*innenfragebögen, dass die von uns fa-
vorisierte Unterrichtsstunde auch jene ist, nach der die Schüler*innen den literarischen Text
und das Gespräch am besten bewerten.
2 | Mehrdeutigkeit im Literaturgespräch bearbeiten –
Verbreitete literaturdidaktische Annahmen und
Blindstellen einer Debatte
Als Konsens der literaturdidaktischen Debatte zu Unterrichtsgesprächen lässt sich ausmachen,
dass das sogenannte fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch mit der in den literarischen
Gegenständen angelegten Mehrdeutigkeit prinzipiell inkompatibel ist. Schließlich bereiten
Lehrpersonen im Vorfeld solcher Gespräche – so die verbreitete Annahme – spezifische (und
eindeutige) Verstehensziele vor, die von den Lernenden erreicht werden sollen. Eine verbreitete
Kritik am fragend-entwickelnden Vorgehen lautet demnach, dass Lernende derart eng zu sol-
chen Zielen geführt werden, dass die literarische Mehrdeutigkeit nicht erfahren und eine eigen-
ständige Beschäftigung mit dem literarischen Text eher verhindert als gefördert wird. Beispiels-
weise vertrat Fritzsche (1994) die Position, dass ein gelenktes Unterrichtsgespräch gemeinhin
mit einer vereindeutigenden Lesart des Textes einhergehe, da die Schüler*innen auf das „in-
haltlich [...] und sprachlich Erwartete“ (ebd., 180) hinorientiert würden, wodurch sie die Lehr-
kraft auf die von ihr favorisierte Deutung hinsteuere (vgl. ebd., 182). Kommunikationsformen
des Literaturunterrichts, die eher mit der Mehrdeutigkeit des literarischen Textes kompatibel
erscheinen und folglich im Diskurs positiv bewertet werden, weisen eine schülerorientierte Of-
fenheit des Gesprächs auf (vgl. zusammenfassend Härle 2004, 108). Diese Offenheit wird durch
ein im Vergleich zum fragend-entwickelnden Lenken eher zurückhaltendes Agieren der Lehr-
kraft ermöglicht.
In der Zusammenschau literaturdidaktischer Beiträge aus dem deutschen Sprachraum
(etwa Heizmann et al. 2020) wird weiterhin deutlich, dass hier Gespräche über Literatur in den
Blick genommen werden, in denen literarische Texte gedeutet werden. Dass Gespräche über
Literatur in unterrichtlichen Zusammenhängen tatsächlich eine deutende Absicht verfolgen –
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und damit literarische Texte als systematisch indirekte, mehrdeutige und unbestimmte Gegen-
stände (vgl. Zabka 2006, 82 f., Magirius et al. 2021) verhandelt werden –, liegt allerdings gar
nicht auf der Hand. Befunde aus der angloamerikanischen Forschung (vgl. Nystrand und Gamo-
ran 1997) sowie Fallstudien aus der deutschsprachigen Forschung zum Literaturunterricht in
der nicht-gymnasialen Sekundarstufe legen vielmehr nahe, dass das literale, insbesondere das
sogenannte ‚inhaltssichernde‘ Verstehen der Texte – wie der Nachvollzug des Plots samt Figu-
renarsenal – im Vordergrund der gesprächsförmigen Auseinandersetzung stehen (vgl. Gölitzer
2008, Harwart et al. 2020, Magirius et al. 2023). Die Mehrdeutigkeit der Texte tritt dem gegen-
über in den Hintergrund. Solche Gespräche zielen folglich kaum auf die Interpretation literari-
scher Texte ab.
Nicht zuletzt lässt sich anhand der vorliegenden literaturdidaktischen Forschung nach-
zeichnen, dass Dimensionen als zusammengehörig gesetzt werden, die eigentlich analytisch
voneinander unabhängig sind: Lehrer*innenlenkung und Eindeutigkeit einerseits, Schüler*in-
nenorientierung und Mehrdeutigkeit andererseits (vgl. Brüggemann et al. 2015, 224 f., Brüg-
gemann et al. 2017, 64 f.). Schließlich sind auch folgende Verknüpfungen denkbar: Ein Ge-
spräch, dessen Gesprächsthemen von der Lehrkraft vorausgeplant sind und auf das die Lehr-
kraft lenkend einwirkt, muss nicht zwingend in einem a priori feststehenden Interpretationsre-
sultat münden. Ein solches Gespräch wäre dann zugleich gelenkt und offen. Ein anderes
Gespräch, das schüler*innenorientiert in dem Sinne ist, dass sein thematischer Verlauf den
Gesprächsinteressen der Schüler*innen folgt, kann jedoch die Mehrdeutigkeit des Textes über-
gehen, zum Beispiel, weil sich im Gespräch eine Lesart des Textes als unumstößlich erweist,
da den Schüler*innen die Fähigkeit fehlt, diese Lesart textbezogen infrage zu stellen und kon-
kurrierende Alternativen zu generieren (vgl. Härle 2004, 109). Ein solches Gespräch ist dann
zwar schüler*innenorientiert, aber in Hinblick auf das Interpretationsergebnis einsinnig, bis-
weilen sogar unangemessen vereindeutigend (vgl. Magirus et al. 2022, 5 f.).
Wir haben es in der Debatte also mit Verkürzungsfiguren zu tun. Es wurde in einseitiger
Weise ein unseres Erachtens recht praxisferner Typus aufgewertet. Gleichzeitig hat man leh-
rer*innenzentriertes Vorgehen abgewertet – und es mit einem textunangemessen vereindeuti-
genden Gesprächshandeln in eins gesetzt.
Die These, dass gerade lehrer*innenzentriertes Kommunikationshandeln Schüler*innen
dabei unterstützen kann, unsachgemäße Vereindeutigungen zu reflektieren und idealerweise
zu überwinden, haben wir bereits in einem anderen Zusammenhang ausgeführt (vgl. Magirius
et al. 2021): Schüler*innen brauchen im interpretativen Gespräch über Literatur häufig eine
Lehrkraft, die aktiv in das Gespräch eingreift – und dabei kompetent sowohl die Bedürfnisse
der Schüler*innen als auch den mehrdeutigen und dadurch deutungsbedürftigen literarischen
Gegenstand im Blick hat.
Unser Modell des Lernunterstützenden Literaturgesprächs reagiert auf diese Notwendig-
keit, indem es beschreibt, was Lehrkräfte bei der Vorbereitung und Durchführung von textbe-
zogenen Gesprächen leisten müssen: Ihnen kommt die Aufgabe zu, im Vorfeld des Gesprächs
klärungswürdige Fragen zu antizipieren und die Schüler*innen bei der kollaborativen Beant-
wortung dieser Fragen zu unterstützen.
3 | Das Lernunterstützende Literaturgespräch: durch
unterstützte Erörterung klärungswürdiger Fragen zu
High-Level-Comprehension von Literatur
Im Folgenden stellen wir unser Konzept des Lernunterstützenden Literaturgesprächs vor, in-
dem wir dessen zwei Säulen Klärungswürdigkeit (3.1) und Konstruktive Lernunterstützung
(3.2) skizzieren, um dann mittels der Begriffe Low-Level-Comprehension und High-Level-Com-
prehension (3.3) die Bearbeitung der Phänomenbereiche literaler Eindeutigkeit und systemati-
scher literarischer Mehrdeutigkeit zu unterscheiden.
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3.1 | Klärungswürdigkeit
Herzstück unserer Modellierung ist das Konzept der Klärungswürdigkeit (vgl. Magirius et al.
2021). Damit beschreiben wir textbezogene Fragen, die in einem Lernunterstützenden Litera-
turgespräch idealerweise bearbeitet werden. Ob und in welchem Maß eine textbezogene Frage
als klärungswürdig bezeichnet werden kann, hängt von folgenden drei Kriterien ab: a) Strittig-
keit, b) Überprüfbarkeit und c) Klärungsbedarf.
A | Strittigkeit
Eine Frage ist für uns strittig, „wenn sie einen Wettstreit konkurrierender Antworten ermög-
licht, der durch eine irreduzible Ambiguität des literarischen Textes ausgelöst wird“ (vgl.
ebd., 2). Fragen z. B. zum Figureninventar oder zur Handlung sind dieser Vorstellung nach
zumeist nicht strittig; zwar können derartige Fragen einen Wettstreit konkurrierender Ant-
worten auslösen, dieser lässt sich aber in der Regel durch die literalen Bedeutungspoten-
ziale des Textes eindeutig entscheiden. Wann und wo trifft Faust auf Gretchen, welchen
Beruf übt Gregor Samsa aus oder wer reitet so spät durch Nacht und Wind? All das sind
unstrittige Fragen, auf die wahre oder falsche Antworten gegeben werden können. Anders
verhält es sich mit folgenden Fragen: Warum verliebt sich Faust ausgerechnet in Gretchen,
warum ist Gregor Samsa auf einmal ein Käfer und wieso sieht nur der Knabe den Erlkönig?
Auf diese Fragen lassen sich keine eindeutig wahren oder falschen Antworten geben – sie
sind hinsichtlich ihres potenziellen Antwortspektrums strittig. Die Beantwortung solcher
Fragen erfordert Deutung im Sinne einer interpretatorischen „Entscheidung, etwas, was
nicht mehr eindeutig ist, so oder so zu sehen“ (Matuschek 2013, 21).
B | Überprüfbarkeit
Eine Frage nennen wir überprüfbar, „wenn die Möglichkeit besteht, potenzielle Antworten
anhand inhaltlicher und formensprachlicher Bedeutungspotenziale als mehr oder weniger
textangemessen zu qualifizieren“ (Magirius et al. 2012, 4). Dieses Kriterium fragt danach,
ob die potenziellen Antworten am Text – auf der Grundlage dessen Inhalts und sprachlicher
Gestalt – gestützt oder angefochten werden können. Wir unterscheiden zwischen nicht
überprüfbaren Fragen, eingeschränkt überprüfbaren Fragen und vollständig überprüfbaren
Fragen.
Nicht überprüfbare Fragen lassen sich nicht auf der Basis der Bedeutungspotenziale des
Textes beantworten, z. B. wie viele Geliebte hatte Faust vor seinem Verhältnis mit Gretchen,
wie oft hat Gregor Samsa seine Großmutter besucht oder wo kommen Vater und Sohn
gerade her. Es ist in diesen Fällen kaum möglich, potenzielle Antworten auf diese Fragen
mithilfe des Textes zu stützen oder anzuzweifeln.
Vollständig überprüfbar sind dagegen Fragen, deren Antworten sich am Text als eindeutig
falsch oder eindeutig richtig qualifizieren lassen. Hierin gehören die schon oben erwähnten
unstrittigen Fragen, z. B. zum Figureninventar oder zur Handlung. Eingeschränkt überprüf-
bar nennen wir Fragen, deren potenzielle Antworten sich als mehr oder weniger angemes-
sen qualifizieren lassen. Wenn Fragen eingeschränkt überprüfbar sind, fungieren verschie-
dene Textelemente als Indizien (und nicht als Beweise) für oder wider die gegebenen Ant-
worten. Auf die Frage „Wer hat in Die Judenbuche den Juden Aaron ermordet?“ ließen sich
Indizien für die Täterschaft Friedrichs finden, aber eben auch Indizien für die Täterschaft
anderer Figuren, wodurch Friedrich entlastet wird.
Wie verhalten sich Strittigkeit und Überprüfbarkeit zueinander? Im Falle strittiger Fragen
liegt vollständige Überprüfbarkeit per definitionem nicht vor, ansonsten wäre ja kein Wett-
streit konkurrierender Antworten auf der Grundlage der irreduziblen Ambiguität des Tex-
tes denkbar. Es ist aber durchaus möglich, bestimmte Antworten auf strittige Fragen text-
seitig zu widerlegen, und so – wie Umberto Eco (vgl. 2008, 128) ausführt – schlechte von
besseren Deutungen zu unterscheiden. Auf die strittige Frage „Wer hat in Die Judenbuche
den Förster Brandis ermordet?“ ließe sich die Antwort „Friedrich“ eindeutig widerlegen. Wer
es aber wirklich war, ist nicht ganz klar; einige potenzielle Antworten, insbesondere „Si-
mon“, lassen sich nicht widerlegen (aber auch nicht klar beweisen). Genau so ist es in der
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Regel bei strittigen Fragen: Falsifizieren lassen sich nicht alle potenziellen Antworten, son-
dern nur einige.
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Auch wenn manche strittigen Fragen ein Antwortspektrum nahelegen,
das ein starkes Falsifikationspotenzial hat,
2
sind strittige Fragen in der Regel nicht vollstän-
dig überprüfbar. Da eingeschränkte Überprüfbarkeit bei der Arbeit mit literarischen Texten
der Regelfall ist, sprechen wir von überprüfbaren Fragen, wenn sie eingeschränkt oder
vollständig überprüfbar sind.
C | Klärungsbedarf
Unser drittes Kriterium fragt danach, ob „die textbezogene Frage und der Drang, diese zu
klären“ (Magirius et al. 2021, 6) von den Schüler*innen selbst ausgeht. Häufig entsteht der
Drang, etwas zu klären, wenn ein kognitiver Konflikt vorliegt, z. B. ein zu lösendes Ver-
ständnisproblem, oder die Einsicht besteht, dass etwas Gelesenes unklar ist. Klärungsbe-
darf liegt dann vor, wenn Lernende ihren Klärungsbedarf explizit – z. B. in Form einer text-
bezogenen Frage – artikulieren. Dass Klärungsbedarf lernpsychologisch gesehen ein wich-
tiger Motor für Aushandlungs- und Klärungsprozesse im Literaturgespräch ist, ohne den
aufwändige Verstehensprozesse schwer anzubahnen sind, leuchtet unmittelbar ein. Es gibt
aber eine Reihe von Fragen, die nicht von den Schüler*innen ausgehen, aber dennoch für
das Verständnis des Textes unerlässlich sind. In diesem Fall ist es Aufgabe der Lehrperson,
„den aus fachlicher Sicht vorliegenden Klärungsbedarf in einen tatsächlichen Klärungsbe-
darf der Lernenden zu transformieren“ (ebd., 7).
Wie lässt sich mit den genannten drei Kriterien die Klärungswürdigkeit einer Frage bestimmen?
Wir definieren wie folgt: Eine Frage ist dann und nur dann klärungswürdig, wenn sie 1) über-
prüfbar und strittig ist oder wenn sie 2) überprüfbar und klärungsbedürftig ist oder wenn sie
3) alle drei Kriterien erfüllt. Überprüfbarkeit ist also als einziges der drei Kriterien eine notwen-
dige Bedingung. Strittigkeit und Klärungsbedarf sind nicht notwendig, mindestens eines dieser
beiden Kriterien muss aber erfüllt sein, damit Klärungswürdigkeit vorliegt.
3.2 | Konstruktive Lernunterstützung (Support)
Gemäß unserer Modellierung Lernunterstützender Literaturgespräche ist es Aufgabe der Lehr-
person, anhand der genannten Kriterien klärungswürdige Fragen zu ermitteln, entweder anti-
zipierend in der Vorbereitung oder situativ reagierend im Gespräch. Das Konzept der Klärungs-
würdigkeit hilft demnach bei der Auswahl von Fragen, die es im Literaturgespräch zu verhan-
deln gilt.
Darüber hinaus ist die Lehrperson angehalten – und das ist die zweite Säule unserer Mo-
dellierung –, den Prozess der Klärung klärungswürdiger Fragen anzustoßen, konstruktiv zu
begleiten und konsequent zu verfolgen. Die Bearbeitung von klärungswürdigen Fragen lässt
sich als Bewältigung einer „Problemlösesituation“ (Fritzsche 1994, 189) auffassen. In Anleh-
nung an Arbeiten aus der Aufgabenforschung (vgl. Winkler 2011, Heins 2017, Steinmetz 2020)
modellieren wir dementsprechend wünschenswertes Lehrer*innenhandeln als konstruktive
Lernunterstützung (Support), die den Problemlöseprozess begleitet (vgl. Magirius et al. 2021,
2022, i. V.). Konstruktive Lernunterstützung zu gewähren, kann unter anderem bedeuten, die
Schüler*innen im Problemlöseprozess auf relevante Textsignale zu fokussieren (fokussierender
Support), in diesen Wissensbestände einzuspielen, die schüler*innenseitig nicht vorliegen (de-
klarativer Support) und/oder sicherzustellen, dass der Problemlöseprozess angemessen struk-
turiert und vollständig verläuft (prozeduraler Support; zur Unterscheidung von Supportformen
vgl. Steinmetz 2020, 101–117).
1
Insofern kann man sagen, dass einzelne Antworten auf strittige Fragen (= Deutungen) vollständig überprüfbar sind,
nicht aber, dass das gesamte Antwortpotenzial einer strittigen Frage vollständig überprüfbar ist.
2
Das wird z. B. häufig in Bezug auf Kafkas Texte angenommen. Walter Benjamin bemerkt mit Blick auf Kafkas Türhüter-
legende, dass Kafka „alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen“ (Benjamin 1934/1981,
22) habe; mit anderen Worten: Ein Großteil der Antworten auf strittige Fragen (= Deutungen) bei Kafka ist Benjamin zufolge
falsifizierbar.
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3.3 | High Level Comprehension und Low Level Comprehension von
Literatur
Im Rahmen unseres Konzepts der Klärungswürdigkeit lassen sich zwei Rezeptionsweisen in
Bezug auf literarische Texte unterscheiden, die im Literaturunterricht gleichermaßen bedeut-
sam sind:
Auf der einen Seite steht eine Rezeptionsweise, die literarische Texte (etwa in Abgren-
zung zu pragmatischen Texten) in ihren literaturspezifischen Eigenheiten betrachtet. In der
Literaturdidaktik ist entsprechend von einem „ästhetischen Lesemodus“ (Graf 2004, 107), ei-
nem „literarischen Lesemodus“ (Pieper 2016, 132) oder einer „literarischen Lesehaltung“ (Ro-
sebrock 2018, 19) die Rede (vgl. Magirius et al. 2023, 77). Eine solche Rezeptionsweise wird in
der Regel als Bedingung angenommen, um Texte „als fiktionale, poetisch geformte und mehr-
deutige Gebilde“ (Steinmetz 2020, 4) zu rezipieren. Als besondere literarische Verstehensan-
forderung, auf die diese Lesemodi reagieren, lässt sich die Bewältigung von systematischer
Unbestimmtheit, Indirektheit und Mehrdeutigkeit“ bestimmen (Zabka 2006, 83). Ein Verstehen,
das auf die Bewältigung dieser literaturspezifischen Herausforderungen zielt, nennen wir High-
Level-Comprehension (HLC) (vgl. Magirius et al. 2023b). HLC stellt sich dann ein, wenn Fragen
bearbeitet werden, die sowohl überprüfbar als auch strittig sind. Ein Unterricht, der sich HLC
zuwendet, lässt sich vermutlich insbesondere im gymnasialen Literaturunterricht finden (vgl.
Magirius et al. 2023a).
Auf der anderen Seite steht eine am Inhalt orientierte Rezeptionsweise, die sich vor allem
auf die Klärung von Fragen bezüglich der Textoberfläche und auf die Sicherung des inhaltlichen
Zusammenhangs konzentriert, also nicht genuin literarische Eigenschaften im Blick hat. Statt-
dessen geht es um mehr oder weniger eindeutig Bestimmbares – insbesondere auf Plotebene.
Wir sprechen bei dieser Rezeptionsweise von Low-Level-Comprehension (LLC) (vgl. Magirius et
al. 2023b). Eine solche Rezeptionsweise lässt sich vermutlich vermehrt im Literaturunterricht
der Grundschule und der nicht-gymnasialen Sekundarstufe finden (vgl. etwa Kleinbub 2010,
Pieper 2011, Pieper 2023). Insbesondere in der durch die PISA-Studien angestoßenen Debatte,
wie Aufgaben im Literaturunterricht gestaltet werden sollen, wurde die Relevanz der Inhaltssi-
cherung immer wieder betont (vgl. etwa Köster 2010, 15 f., Wieser 2017, 7). Auch wir schätzen
im Rahmen unseres Konzepts der Klärungswürdigkeit einen Unterricht wert, der LLC ins Zent-
rum rückt. Fragen, die zwar nicht das Kriterium der Strittigkeit, dafür aber die Kriterien der
Überprüfbarkeit und des Klärungsbedarfs erfüllen, gelten unserem Konzept zufolge insofern
auch als klärungswürdig. Wichtig erscheint uns indes, dass LLC an den Klärungsbedarf aufsei-
ten der Schüler*innen gekoppelt ist, damit zum Beispiel Inhaltssicherung nicht zum didaktisch
dysfunktionalen Ritual wird.
Je nachdem, ob eher Phänomene der literalen Eindeutigkeit oder der interpretatorischen
Mehrdeutigkeit verhandelt werden, sprechen wir entweder von klärungswürdigen Fragen auf
der Ebene von LLC oder von klärungswürdigen Fragen auf der Ebene von HLC.
4 | Fallbeschreibungen – Vier Unterrichtsstunden zu
Scherbenpark
Im Folgenden werden wir vier Fallbeispiele präsentieren, die hinsichtlich der zuletzt eingeführ-
ten Kategorien unterschiedliche Qualitäten aufweisen.
Zuerst werden wir ein Beispiel für ein Literaturgespräch zeigen, das ein hohes Potenzial
für LLC aufweist, indem es die Bearbeitung von überprüfbaren Fragen ins Zentrum rückt, die
zwar nicht die systematische Mehrdeutigkeit des Textes berühren, aber wegen des schüler*in-
nenseitigen Klärungsbedarfs dennoch als klärungswürdig einzuschätzen sind (4.1). HLC-
Prozesse spielen in diesem Beispiel eine untergeordnete Rolle.
In einem zweiten Schritt präsentieren wir ein Beispiel für ein Literaturgespräch, das ein
hohes Potenzial für HLC aufweist, also die Bearbeitung von klärungswürdigen Fragen in den
Mittelpunkt rückt, die im Rahmen der systematischen Mehrdeutigkeit des Textes strittig und
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überprüfbar sind (4.2). Ausgehend von diesem Beispiel gelungener Klärungsprozesse auf HLC-
Ebene präsentieren wir dann zwei Fehlformen des Umgangs mit Mehrdeutigkeit im Literatur-
gespräch. Dabei unterscheiden wir die Tendenz zur Spekulation (4.3, als Verletzung unseres
Kriteriums der Überprüfbarkeit) und die Tendenz zur Vereindeutigung (4.4, als Verletzung un-
seres Kriteriums der Strittigkeit).
Zuletzt stellen wir einige Erkenntnisse zur Wahrnehmung dieser vier Unterrichtsstunden
durch die Schüler*innen dar (4.5).
Mit den Falldarstellungen illustrieren wir, dass lenkendes Gesprächshandeln der Lehr-
kraft, sofern es den Schüler*innen einerseits Raum zur Diskussion eröffnet, andererseits auf
eine textbezogene Erörterung klärungswürdiger Fragen drängt, ein hohes Maß an HLC und
entsprechend auch eine gelingende Begegnung mit literarischer Mehrdeutigkeit ermöglicht. Als
der gelingenden Begegnung mit Mehrdeutigkeit eher abträglich zeigen sich hingegen ein un-
terrichtliches Verharren auf tendenziell überprüfbare, aber unstrittige Fragen, sowie ein Ge-
sprächshandeln der Lehrkraft, das Tendenzen zur Spekulation und/oder Vereindeutigung för-
dert respektive nicht gelingend abwendet.
Die vier Fälle, die bereits Harwart et al. (2020) mit einem anderen Erkenntnisinteresse
inhaltsanalytisch auswerteten, beziehen sich auf einen Auszug aus dem Roman Scherbenpark
von Alina Bronsky (2008). Um den folgenden Fallbesprechungen folgen zu können, ist ein kur-
zer Blick auf den Auszug erforderlich. Der sechsseitige Auszug des Romans Scherbenpark be-
ginnt mit der Benennung eines schockierenden Wunschtraums:
Manchmal denke ich, ich bin die einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich
habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Vadim töten. Und ich will ein Buch
über meine Mutter schreiben. Ich habe schon einen Titel: „Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen
Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge älteste Tochter gehört hätte“. (Bronsky 2008, 9)
Die Informationen werden aus der Sicht der siebzehnjährigen russischstämmigen Sascha prä-
sentiert, die mit ihren Geschwistern Alissa und Anton sowie ihrer Tante Maria in einem sog.
städtischen Brennpunktgebiet, dem „Scherbenpark“, lebt. Sascha, die im Gegensatz zu ihren
Freund*innen ein „privates katholisches Gymnasium“ (ebd., 2) besucht, enthüllt, dass ihr Stief-
vater Vadim für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist. Ihr daraus resultierender Wunsch,
Vadim zu ermorden und sich so an ihm zu rächen, unterscheidet sich erheblich von den Wün-
schen ihrer Freund*innen:
Die meisten Leute, die bei uns im Viertel wohnen, haben gar keine Träume. Ich habe extra gefragt.
Und die Träume der wenigen, die welche haben, sind so kläglich, dass ich an deren Stelle lieber gar
keine hätte. Annas Traum zum Beispiel ist, reich zu heiraten. Er soll Richter sein und Mitte dreißig
und, wenn es geht, nicht ganz so hässlich. [...] Dann könnte sie endlich aus dem Solitär aus- und in
das Penthouse des Richters einziehen. (Ebd.)
Neben Saschas und Annas Träumen streift der Auszug auch die Träume von Valentin (er will
einen „nagelneuen schneeweißen Mercedes“ fahren, ebd., 10) und von Peter (er will mit einer
„Blondine mit dunklen Augen“ liiert sein, ebd., 11), bevor es rückblickend um Saschas durchaus
konfliktträchtige schulische Integration sowie ihre aktuelle Lebenssituation im Scherbenpark
nach der für sie und ihre Geschwister traumatischen Ermordung ihrer Mutter geht.
Eine besondere Herausforderung für die Leser*innen des Auszugs besteht in der an-
spruchsvollen Erzählweise, weil Sascha als erzählendes Ich rückblickend in der Zeit hin und her
springt und handlungsrelevante Ereignisse und Zusammenhänge – z. B. die Umstände des To-
des ihrer Mutter oder die Verhältnisse der Figuren zueinander – nur andeutet. Es fehlt eine
erzählerische Stimme, die uns über das Geschehen und die inhaltlichen Zusammenhänge ex-
plizit aufklärt. Insofern ist es naheliegend, dass in Unterrichtsgesprächen zu diesem Auszug
zunächst einmal klärungswürdige Fragen auf der LLC-Ebene im Zentrum stehen. Jenseits dieses
plotbezogenen Klärungsbedarfs aber bietet der Text auch Potenziale für die Bearbeitung von
Ambiguitäten und Unbestimmtheiten. Wir beginnen jedoch mit einem Unterrichtsbeispiel, das
auf der LLC-Ebene verharrt.
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4.1 | Beispielstunde 1 (Fall LWi)
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– Fokus auf Low-Level-Comprehension
Die erste Unterrichtsstunde, die wir im Folgenden besprechen, fand in einer neunten Gymnasi-
alklasse statt. Die Sequenz beginnt damit, dass die Lehrerin und die Schüler*innen vor der
ersten Textbegegnung gemeinsam über den Titel nachdenken. In der zweiten Phase lesen die
Schüler*innen den Textauszug in Einzelarbeit. Diese Rezeption leitet die Lehrerin mit einem
Impuls ein, der für das dann folgende diskursive Geschehen – die dritte Phase – maßgeblich
ist:
L: Ähm und beim Lesen dürft ihr gerne schon was markieren und zwar, ähm, Stellen, die ihr selbst
interessant findet, ähm, worüber ihr vielleicht gerne sprechen würdet. Auch Dinge, die ihr nicht ver-
steht, ja, die euch skurril vorkommen vielleicht. Und überlegt mal, welche Fragen der Text für euch
aufwirft. Ob ihr irgendwelche Fragen an den Text habt und die schreibt ihr dann auch einfach am
besten direkt neben die Textstelle, bei der die Frage auftaucht. Okay. (LWi, Pos. 37)
In einer dritten Phase folgt ein Plenumsgespräch, das größtenteils auf Fragen beruht, die dem
zitierten Impuls entsprechend von schülerseitigem Klärungsbedarf ausgehen. An der Tafel wer-
den u. a. folgende Fragen der Schüler*innen zur Weiterarbeit gesammelt:
S1: Ich habe auch allgemein zuerst nicht ganz verstanden, wer genau jetzt Anna ist. (Ebd., Pos. 59)
S2: Zeile 23, ich weiß nicht, was heißt: „Du bist nie wieder in einem Solitär“. Was heißt Solitär? (Ebd.,
Pos. 64)
S3: Und dann gabs auch dieses Maria dies, Maria das, (unverständlich), keine Ahnung, das hat ja dann
auch irgendwie. (Ebd., Pos. 76)
S4: Ich habe auch so eine ähnliche Frage und zwar, dieser Vadim. Ähm. Am Anfang wird irgendwie
gesagt, dass er von Zuhause, also der ist weggegangen und dann auf einmal hieß es, dass er seine
Pfanne immer so mit den Rühreiresten zuhause liegen lässt, obwohl er irgendwie doch weg ist. (Ebd.,
Pos. 80)
Der Hauptteil der Stunde lässt sich als Klärung dieser und ähnlicher Fragen beschreiben. Der-
artige Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass sie überprüfbar, aber mehrheitlich nicht strittig
sind. Es geht um die Sicherung des inhaltlichen Zusammenhangs als Etablierung von lokaler
und globaler Kohärenz. Diese Sicherung wird von der Lehrperson in der gesamten dritten Phase
der Stunde forciert. Zwar stellt die Lehrerin auch sporadisch strittige Fragen, die überprüfbar
sind, also Fragen, die im Bereich High-Level-Comprehension angesiedelt sind – z. B. „Was genau
sind denn Saschas Träume? Und inwiefern sind die realistisch?“ (ebd., Pos. 124). Inwiefern diese
Träume realistisch sind, führt dann im folgenden Gespräch zu einem unentscheidbaren Wett-
streit unterschiedlicher Urteile, die mithilfe der Lehrkraft textseitig diskutiert und gegeneinan-
der abgewogen werden.
Auch bei der Klärung dieser und anderer strittiger Fragen ist bei der Lehrerin allerdings
die klare Tendenz beobachtbar, in einem Zwischenschritt – oder als Ersatz für ausbleibende
Klärung – wieder zur basalen Sicherung des inhaltlichen Zusammenhangs zurückzukehren, wie
das folgende Beispiel zeigt:
L: Vielleicht müssen wir das nochmal klären, weil das hast du ja eben auch angesprochen mit dieser
ähm Situation, dass erst äh erzählt, sie will Vadim töten und irgendwie ist er ähm weg und dann ist
er doch da im Text. Habt ihr das verstanden? Was ist mit diesem Vadim? Wo befindet er sich gerade?
Und was hat er eigentlich getan, dass sie so ähm so auf ihn reagiert? (Ebd., Pos. 143)
Die konsequente Rückführung auf die literalen Bedeutungspotenziale des Textes schlägt sich
auch quantitativ nieder. Von allen textbezogenen Fragen, die die Lehrerin formuliert bzw. auf-
greift, sind 47% (25/44) zwar überprüfbar, aber nur 18% strittig (8/44). Die Klärung bezieht
sich also vordergründig auf die Textoberfläche. Es handelt sich also tendenziell um LLC. Diese
Tendenz zur Inhaltssicherung erachten wir insofern als didaktisch begrüßenswert, als die meis-
3
Die Namen der Beforschten wurden in den Gefölit-Studien durch Pseudonyme ersetzt. Die Lehrpersonen wurden in den
Transkripten mit einem „L“ für ihre Rolle und den ersten zwei Buchstaben ihres Pseudonyms angegeben. „LWi“ stellt ent-
sprechend die Kurzform für die Lehrperson mit dem Pseudonym „Frau Winter“ dar. Wir verbleiben in diesem Beitrag bei
der Benennung der Lehrpersonen mit den Kurzformen.
Die Transkription der Unterrichtsgespräch e, von denen im Folgenden Auszüge präsentiert werden, erfolgte in Anlehnung
an die in Scherf (2013, 75 ff.) dargelegten Regeln.
9
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
ten der Fragen, die überprüfbar und nicht strittig sind (20), von einem schülerseitigen Klä-
rungsbedarf ausgehen (12/20). Insofern handelt es sich – in der oben vorgestellten Logik ge-
dacht – zwar um Low-Level-Comprehension, aber dennoch um die Bearbeitung klärungswürdi-
ger Fragen. Die Klärung hat zwar wenig mit der systematischen Indirektheit, Mehrdeutigkeit
und Unbestimmtheit des Textes zu tun, aber sie betrifft etwas, was als Vorbedingung für die
vertiefende Weiterarbeit erforderlich ist. Wenn kein tragfähiges Textweltmodell vorliegt bzw.
bei den Schüler*innen noch inhaltliche Fragen vorherrschen, deren Klärung für ein Gesamtver-
ständnis unverzichtbar ist, wird es schwer, vertiefende Deutungsprozesse zu vollziehen. Des-
halb sind auch solche Fragen, wie sie im eben vorgestellten Unterricht dominieren, klärungs-
würdig. Ob in einer Folgestunde vertiefende Deutungsprozesse angezielt und die diesbezüg-
lich vorhandenen Textpotenziale genutzt wurden, kann mithilfe der zur Verfügung stehenden
Daten nicht geklärt werden.
4.2 | Beispielstunde 2 (Fall LSe) – Fokus auf High-Level-Comprehension
Die zweite Unterrichtsstunde, die hier als Beispiel dient, fand ebenfalls in einer neunten Gym-
nasialklasse statt. Den oben skizzierten Auszug aus Scherbenpark hatten die Schüler*innen
bereits im Vorfeld gelesen.
Die Schüler*innen werden nach einer knappen Begrüßung aufgefordert, persönliche Le-
bensträume auf einem Arbeitsblatt zu notieren:
4
Um Träume solle es heute gehen, so die Leh-
rerin; eine weitere Erläuterung und/oder Einordnung des Auftrags findet zunächst nicht statt.
Einige von den notierten Träumen werden im Anschluss knapp präsentiert, aber kaum näher
diskutiert. Sodann werden die veröffentlichten Träume der Lernenden in die Nähe der Träume
einiger Romanfiguren – der Bewohner*innen des Scherbenparks – gerückt. Die Lernenden leiten
das Gespräch schnell zur Feststellung hin, dass man durch diese etwas über die Figuren erfahre
– nicht zuletzt über die Erzählerin Sascha, die die Träume ihrer Altersgenoss*innen nicht nur
darlege, sondern auch bewerte (LSe, Pos. 67 f.). Eine Schülerin stellt fest:
S: Also ich finde, sie wird halt dadurch, wie sie über die Träume spricht, auf den ersten Seiten, cha-
rakterisiert. Also man erfährt schon ein bisschen, was sie für ein Mensch ist, äh, nur dadurch, wie sie
über die Träume spricht und wie sie die bewertet. (Ebd., Pos. 71)
Folgend sollen aus dem Text und den mittlerweile entstandenen Notizen und Unterstreichun-
gen (vgl. ebd., Pos. 72) die Träume der Bewohner*innen des Scherbenparks auf ein Arbeitsblatt
übertragen werden. Es kommt nach recht kurzer Bearbeitungszeit zu einem knappen An-
schlussgespräch. Erst werden die Träume der Bewohner*innen zu den eigenen in Beziehung
gesetzt. Dann wird die jeweilige Umsetzbarkeit einiger Figurenträume knapp erörtert; so auch
die Träume der Erzählerin Sascha, die äußert, ein Buch über ihre getötete Mutter schreiben
sowie den Mörder töten zu wollen.
Nach einer Sammlung von Hypothesen leitet die Lehrerin zu einer Aufgabenstellung über,
die viel Potenzial für HLC-Prozesse aufweist: Es soll angesichts der unterschiedlichen geäußer-
ten Hypothesen nun nach Hinweisen im Text gesucht werden, um sich der Frage vertiefend zu
widmen, ob Saschas Träume Wirklichkeit werden könnten.
Für diese aus unserer Sicht zentrale Erarbeitungsphase der Unterrichtsstunde stellt die
Lehrerin folgende klärungswürdige Frage:
L: Wird sich der Traum Saschas, wird der in Erfüllung gehen? Was kann der Text uns denn für Hinweise
auf diese Frage geben? (Ebd., Pos. 192)
Der Frage wird zunächst in Gruppenarbeiten nachgegangen, wobei jede Gruppe einen anderen
Textteil untersucht. Anschließend werden die Erkenntnisse im Plenum besprochen (vgl. ebd.,
4
Dass sich in dieser Aufgabe und ihrer Bearbeitung einerseits eine Schülersubjekt -Konstruktion, andererseits eine Über-
nahme des ‚Schülerjobs‘ (Breidenstein 2006) dokumentieren, die als typisch für Literaturunterricht gelten dürften, wurde
an anderer Stelle thematisiert (vgl. Pieper/Scherf 2019, Scherf 2021).
10
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Pos. 155). Die obige Frage ist sowohl strittig als auch überprüfbar: So finden sich für verschie-
dene Antworten sowohl stützende als auch konträre Belege im Text. Eine eindeutige Beantwor-
tung der Frage ist anhand des Textes nicht möglich.
Dass dieser Frage mithilfe von Textarbeit nachgegangen werden soll, wird von der Leh-
rerin bei der Aufgabenstellung, aber auch im Anschluss mehrfach explizit gemacht („Ihr über-
prüft den Text, sucht nach Textbelegen […]“, ebd., Pos. 159). Die Lehrkraft verdeutlicht wie-
derholt, dass keine eindeutigen Antworten zu erwarten seien, und empfiehlt den Schüler*innen
demgemäß, mit unterschiedlichen Farben Textstellen zu markieren, die für oder gegen die
Erfüllbarkeit der Wünsche sprechen. Das gilt auch für Saschas Traum, Vadim umzubringen:
S: Also sollen wir auch Sachen schreiben, die eventuell dagegen sprechen?
L: Naja klar, wir hatten ja das Fragezeichen. (Ebd., Pos. 201–202)
Im Anschluss werden die Ergebnisse im Plenum besprochen.
Aus unserer Sicht zeigt sich Folgendes an diesem umfangreichen Gespräch, das sich auf
gut 20 Minuten erstreckt und an dem sich verglichen mit den anderen Gesprächsphasen sehr
viele Schüler*innen beteiligen: Die Schüler*innen haben in der Gruppenarbeit die Frage nach
der Umsetzbarkeit der Träume differenziert diskutiert und stellen ihre Erkenntnisse fast durch-
gehend mit nachvollziehbaren Textbelegen dar. Unsere Deutung dieses Unterrichtsgeschehens
ist, dass hier ein von der Lehrkraft erwartetes sowie von den Schüler*innen bereits zu großen
Teilen erlerntes gemeinsames textbasiertes Interpretationshandeln sichtbar wird. Falls dies in
seltenen Fällen nicht gelingt, fordert die Lehrerin die Verknüpfung einer Aussage mit einem
Textbeleg ein:
S1: Ähm, dann wollte ich zu S2 sagen, dass sie nicht so gefühlvoll ist. Weil sie vergleicht sich ja auch
mit ihrer Mutter, dass sie da mit rationaler und sachlicher Art
L: Gibst du uns den, die Zeilenangabe. Dann können wir da alle schauen, ob wir das auch haben.
S1: Das war bei der Zeile 53 oder 52/53. Also, da sagt sie, dass sie logischer denkt und dass ihre
Mutter viel zu gefühlvoll war. Also, dass sie da auch ein bisschen abgehärteter ist. Und von ihrer
Mutter wird sie auch als unheimlich wahrgenommen, das ist bei Zeile 51. (Ebd., Pos. 213–215)
Zusätzlich wird darauf geachtet, dass die Mitschüler*innen die jeweilige Herleitung von Hypo-
thesen nachvollziehen können. Hierfür fasst die Lehrerin mitunter zusammen und bringt Schü-
ler*innenaussagen auf den Punkt. Nicht zuletzt ermöglicht sie den Schüler*innen durch ver-
schiedene Supporthandlungen, deutenden Aussagen vertiefend nachzugehen. Beispielsweise
stellt sie den Schüler*innen deutungsrelevante Wissensbestände zur Verfügung (deklarativer
Support), um eine klärungswürdige Frage zu beantworten:
S1: In der Zeile 46 schreibt sie von sich selber, dass sie graue Substanz im Kopf hat. Das könnte man
jetzt interpretieren.
L: Ja, das müssen wir jetzt mal interpretieren. Du musst ja jetzt schon sagen, was sagt dir denn diese
Textstelle? Sie hat graue Substanz im Kopf.
S1: So ein bisschen Böses. ((lachen))
L: Achso, graue Substanz ist böse?! Dann sind wir alle böse. Was heißt graue Substanz im Kopf? Ich
meine, das hatten wir doch letzte Stunde eigentlich besprochen. Was ist die graue Substanz einfach?
Lum?
S2: Ich glaube, das ist irgendwie mit den Synapsen. Das ist einfach das Gehirn, dass sie besonders
schlau ist.
L: Das Gehirn ist einfach grau, ja. Die Hirnmasse, genau. Graue Substanz, einfach ein Synonym dafür,
dass sie sehr schlau ist. [...] Und bleiben wir mal bei dieser Textstelle, wenn jemand sehr schlau ist,
glaubst du, das spricht dafür, dass so ein Traum in die Wirklichkeit umgesetzt wird oder
S1: Dagegen eher.
L: Dagegen. Also, jemand Schlaues würde das nicht machen, warum?
S1: Weil der mehr die Konsequenzen sieht. (Ebd., Pos. 221–229)
Darüber hinaus unterstützt die Lehrerin wiederholt den Prozess der Klärung, indem sie die
genaue Schrittfolge der Bearbeitung des Verstehensproblems entweder einfordert oder selbst
11
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
offenlegt (prozeduraler Support). Darüber hinaus werden die Aussagen der Schüler*innen
durch das Handeln der Lehrerin für die anderen nachvollziehbar. So zum Beispiel hier:
S: Also ich hatte noch in Zeile 97/98 so, dass manchmal, also, es geht halt darum, dass sie nicht
aufräumen wollte, die Küche als sie nach Hause kam, aber dann schreibt sie, dass sie es gemacht hat,
er aber selten, vor allem aber dann nicht, wenn halt Vadim sie dazu aufgefordert hat. Also, sie wollte
nie was für ihn machen, praktisch. Sie hat immer schon, in der Zeit dann schon gesagt: nein, mache
ich nicht, ich mache nicht was du willst, ich werde nicht auf dich hören. Sie rebelliert schon gegen
ihn.
L: Und da jetzt nochmal, was entnimmst du jetzt dieser Stelle? Wenn das so ist, dass sie ihn schon
immer gehasst hat. Kannst du das nochmal auf die Frage
S: Ja also, ich würde jetzt auch sagen, also, durch die Textstelle wäre ich auch nochmal dafür, dass
sie es macht. Weil da einfach nochmal zeigt, sie mag ihn wirklich gar nicht.
L: Ok, das ist nur ein Beleg dafür, wie groß dieser Hass dann ist. Dass der auch schon länger besteht.
(Ebd., Pos. 240–243)
Die strittige Frage wird durchgehend als solche verhandelt. Zudem ist im Gespräch stets prä-
sent, dass diese Frage textbezogen zu beantworten ist. Die Schüler*innen zeigen sich im Ge-
spräch als kompetent, diese spezifische Verstehensarbeit zu leisten. Das zeigen zahlreiche
Äußerungen von Schüler*innen, wie zum Beispiel die folgende:
S: Bei dem jetzigen Stand der Informationen würde ich zwar auch sagen, dass sie ihn töten würde,
aber was jetzt dagegen sprechen würde, ist jetzt z. B. in Zeile 148, da beleidigt sie dann ja erst Vadim,
also schreibt sie ja erstmal, dass er ein Arsch ist, warum sie ihn geheiratet hat, warum sie ihn reinge-
lassen hat. Dann entschuldigt sie sich aber und das zeigt dann, dass sie inkonsequent sein kann, oder
sich auch mal irren kann [...] (Ebd., Pos. 258)
Es gelingt dem Schüler hier offensichtlich, mehrere denkbare Handlungsverläufe aus den ge-
gebenen Textinformationen herzuleiten bzw. zu antizipieren. Zudem markiert der Schüler
seine Plotvorstellung als tentativ.
Das Interesse an der Beantwortung klärungswürdiger Fragen schlägt sich in diesem Un-
terricht im Anteil strittiger Fragen an allen textbezogenen Fragen nieder, die die Lehrperson
formuliert bzw. aufgreift. Von den 22 textbezogenen Fragen sind 12 strittig (55%). Der Anteil
ist also deutlich größer als bei der zuvor skizzierten Stunde. Die Klasse widmet sich sehr aus-
giebig – wie gezeigt – einer klärungswürdigen (in diesem Fall einer strittigen und überprüfba-
ren) Frage. Die Beschäftigung mit dieser Frage nimmt rund die Hälfte der videographierten
Unterrichtsstunde ein.
4.3 | Beispielstunde 3 (Fall LPe) – Tendenz zur Spekulation
Die dritte Unterrichtsstunde, die wir vorstellen, verläuft strukturgleich zu der zuletzt analysier-
ten. Es gleichen sich auch die Arbeitsaufträge und die Materialien.
5
Vergleicht man jedoch die
Interaktionen, die sich rund um die Erörterung der von uns zuletzt zentral gesetzten klärungs-
würdigen Frage ergeben, zeigen sich einige Unterschiede.
So ging zunächst die Beantwortung der Frage während der Gruppenarbeit offensichtlich
nicht gleichermaßen genau und differenziert vonstatten. Während der Vorstellung der Grup-
penergebnisse gibt es im Gegensatz zur gerade skizzierten Stunde insofern auch kaum Ver-
weise auf konkrete Textstellen, weshalb die entsprechenden Aussagen der Schüler*innen sehr
häufig eher wie bloße Behauptungen erscheinen und darüber hinaus vermutlich auch von etli-
chen Schüler*innen nicht nachvollzogen werden können.
Die Herleitung der geäußerten Hypothesen wird ebenso selten vom Lehrer eingefordert
wie ein Belegen am Text. Eine Unterstützung des Verstehensprozesses durch den Lehrer findet
im Gespräch nicht statt – es gibt keinen fokussierenden, prozeduralen oder deklarativen Sup-
port.
5
Die beiden Lehrkräfte sagten in Interviews, die im Rahmen der GeföLit-Studien durchgeführt wurden, dass die Stunden
kooperativ geplant worden seien.
12
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Wir vermuten, dass diese Art und Weise der Beschäftigung mit der klärungswürdigen
Frage im Gespräch nicht zu einer von den Schüler*innen wahrgenommenen und/oder wertge-
schätzten Erkenntnis führt. Hierzu mag beitragen, dass die in der Gruppenarbeit entstandenen
Ergebnisse als kaum nachvollziehbares Stückwerk und aneinandergereiht thematisiert werden
– z. B. hier:
S1: Ja, also, sie [= drei Mitschüler*innnen] haben ja gesagt, dass man merkt, dass Vadim etwas mit
dem Tod ihrer Mutter zu tun hat, aber da in diesem Text steht nichts über Vadim drin. Also, da steht
nur.
L: Was über den realen Vater?
S1: Ja, da steht, dass der reale Vater einen schlechten Charakter hatte.
L: Ja. S2?
S2: Ja, das wollte ich eigentlich auch sagen.
L: Ok. Also.
S3: Ich habe auch noch eine Ergänzung. Und zwar hat sie auch noch geschrieben, also, Sascha ist halt
auch der Meinung, dass ihre Mutter ähm die meisten Männer, die sie hatte, halt schon früher raus-
schmeißen hätte müssen und dazu gehört wahrscheinlich auch Vadim.
L: (1,5) Ja. Äh S1?
S1: Ähm ich habe auch noch eine Ergänzung. Ähm also sie ist ja auf einer Privatschule, auf einem
Gymnasium, deswegen habe ich gesagt, sie ist gebildet, deshalb ist es möglich ein Buch zu schreiben.
L: Mhm. Ja [...] (LPe, Pos. 157–166)
Der Lehrer greift in die Aussagen der Schüler*innen so gut wie nie inhaltlich ein; er fordert
weder Begründungen noch Elaborationen und bündelt die Aussagen zu keinem Zeitpunkt.
Letztlich signalisiert der Lehrer lediglich, dass er die Äußerungen der Schüler*innen wahrge-
nommen hat. Ferner greift er moderierend in das Geschehen ein, indem er die Gruppen nach-
einander zur Vorstellung bittet und das Plenum nach Ergänzungen fragt.
Die Frage nach der Umsetzbarkeit der Träume Saschas wird zwar durchgängig als strit-
tige Frage verhandelt, die Antworten auf diese werden aber weder vom Lehrer noch von den
Schüler*innen als am Text überprüfbar markiert. Stattdessen werden eine Reihe von Hypothe-
sen in das Auswertungsgespräch eingebracht, die keinen Textbezug aufweisen. Statt – wie im
strukturgleichen Unterrichtsbeispiel – Textbezüge zu erbitten, verweist der Lehrer explizit da-
rauf, dass „ein Stück weit mit gesundem Menschenverstand“ zu argumentieren „auch möglich“
(ebd., Pos. 197) sei. Wenn die Überprüfbarkeit der Frage im Gespräch keine Rolle spielt, ist
jedoch der textfernen Spekulation Tür und Tor geöffnet.
Dass in dieser Stunde die Erörterung klärungswürdiger Fragen so wenig gelingt, wird
nicht auf den ersten (quantifizierenden) Blick sichtbar: immerhin die Hälfte der textbezogenen
Fragen, die die Lehrkraft aufgreift oder stellt, definieren wir als klärungswürdig (5 von 10).
Auch in dieser Stunde wird rund die Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit für die Beschäfti-
gung mit der strittigen sowie überprüfbaren Frage nach der Umsetzbarkeit von Saschas Träu-
men genutzt (vgl. Fall LSe). Es ist vielmehr der Vergleich der Lehrer*innenhandlungen von LSe
und LPe auf Mikroebene, der deutlich macht, wie die Lehrerin bzw. der Lehrer im Verlauf der
Erörterung solcher Fragen die Verstehensentwicklung der Schüler*innen beeinflussen kann:
Wenn die Schüler*innen ihre Hypothesen zwar ins Gespräch einbringen, aber weder am Text
prüfen noch für ihre Mitschüler*innen verständlich machen, können diese Verstehensleistun-
gen nicht für vertiefende Sinnbildungen genutzt werden. Diesbezüglich erscheint also (zumin-
dest in diesen Fällen) Unterstützung durch die Lehrkraft nötig.
Der Vergleich beider Stunden zeigt demgemäß, dass es für die erfolgreiche Initiierung
von HLC oft nicht ausreicht, eine strittige sowie überprüfbare Frage lediglich zu Beginn der
Auseinandersetzung in den Raum zu stellen. Die Erörterung einer in diesem Sinne klärungs-
würdigen Frage muss vielmehr im Gespräch von Lehrer*innenseite kompetent – d. h. den Schü-
ler*innen- und Gegenstandserfordernissen angemessen – begleitet werden, wozu unterstüt-
zende Lehrerhandlungen besonders beitragen.
13
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4.4 | Beispielstunde 4 (Fall LZe) – Tendenz zur textunangemessenen
Vereindeutigung
Das vierte Unterrichtsbeispiel fand in einer Integrierten Gesamtschule in einer neunten Klasse
statt. In der vorhergehenden Stunde hat sich die Gruppe bereits mit einem Abschnitt des Aus-
zugs beschäftigt. Nun wird ein weiterer Abschnitt von Schüler*innen vorgelesen. Anschließend
fragt die Lehrerin die Lernenden, wie der Text ihnen gefalle. Der Abschnitt gefällt den Schü-
ler*innen nicht. Sie stört, dass die Erzählerin u. a. damit prahle, auf ein Gymnasium zu gehen.
Die Lehrerin lenkt die Aufmerksamkeit der Klasse auf den Text und die Figuren, die in diesem
beschrieben werden. Nachdem in der vorhergehenden Stunde die anderen Bewohner*innen des
Scherberparks charakterisiert worden sind, ist nun die Erzählerin Sascha sowie ihr Umfeld am
Gymnasium an der Reihe. Der Text wird aufgeteilt und in einer Gruppenarbeit nach passenden
Informationen durchsucht. Die Ergebnisse werden vorgestellt. Bis hierhin bewegt man sich
mangels Strittigkeit der verhandelten Fragen nahezu ausschließlich auf LLC-Ebene. Deshalb
überrascht es nicht, dass der Anteil strittiger Fragen an allen textbezogenen Fragen mit 4/20,
also 20%, im Vergleich zu den anderen Unterrichtsbeispielen gering ist. Nach der Präsentation
der Ergebnisse der Gruppenarbeit fragt die Lehrerin, ob es „irgendwelche Ergänzungen, Rück-
fragen [oder] Kommentare“ (LZe, Pos. 35) gebe. Hier werden zuerst Fragen aufgeworfen, die
anhand des Plots geklärt werden können.
Daraufhin nimmt die Lehrerin den Klärungsbedarf eines Schülers auf und bietet Raum für
eine Diskussion der Frage, ob Sascha sich tatsächlich prahlend über ihre Freund*innen im
Scherbenpark stelle und ob sie sich von diesen beeinflussen lasse. Letzteres gibt den Auftakt
zu einer für die Unterrichtsstunde zentralen Frage, die ebenfalls von einem schülerseitigen
Klärungsbedarf ausgeht:
L: [...] S1 glaube ich hat was, oder ich weiß nicht, oder S2, ihr habt gesagt, eine von euch hat gesagt,
es könnte die Sascha beeinflussen, in welchem Umfeld sie lebt – also die Freunde, die Wohnsituation.
Es könnte schon einen Einfluss auf ihre Zukunft haben und das, wie ihr Leben weiter aussieht. Und an
einer Stelle sagt Sascha, sie besucht die Eltern von dem Freund ihrer Mutter und die leben in einem
schönen Haus mit Garten, sind Deutsche. Und beim Besuch dieses Hauses sagt sie: „Wenn ich hier
aufgewachsen wäre, wäre ich eine ganz andere geworden, denke ich. Ich wäre wer“. Was meint sie
denn damit: „Ich wäre wer“? (6) Was meint sie? (Ebd., Pos. 108)
Einem Schüler fällt die Formulierung einer Antwort schwer. Daraufhin beantwortet die Lehrerin
die Frage kurzerhand selbst.
L: Das ist sozusagen das Haus ist ein Gegensatz zu ihrer Wohnung. Ihr habt ja gehört: Die Wohnung
mit Sperrmöbel und es riecht nach Urin im Treppenhaus, ist nicht so schön, ein Hochhaus. Und hier
ein schönes Haus, liebevolle Eltern, Kindheit in einem blühenden Land. Und wenn sie da aufgewachsen
wäre, da wäre sie wer, meint sie. Da könnte was aus ihr werden. (Ebd., Pos. 114)
Nun wechselt die Lehrerin in einen fragend-entwickelnden Modus, in dem die Schüler*innen
Entscheidungsfragen beantworten. Sie möchte mit diesen Fragen vermutlich vermitteln, dass
Sascha trotz ihres Umfelds
6
bereits etwas erreicht habe:
L: Mhm. Sie geht aber auf ein Gymnasium, ne?
S: Ja.
L: Dann hat sie schon was erreicht, oder?
S: Ja, schon. [...] (Ebd., Pos. 117–120)
Dieser Modus scheint den Schüler*innen vertraut zu sein. In diesem Unterrichtsbeispiel lassen
sich deutlich mehr Suggestivfragen (wie gerade gezeigt) als in den anderen drei Unterrichts-
beispielen finden. Hier wird die Deutungsarbeit letztlich von der Lehrerin geleistet: – „L: Ist es
nicht so, dass …“ (ebd., Pos. 167).
Den Rest der Stunde dominiert die Fragestellung, welchen Einfluss das soziale Umfeld
(die Wohnsituation, die Umgebung, die Freunde) auf das Leben von Menschen hat. Die offenbar
vorher feststehende Antwort, dass das Umfeld nicht automatisch präge und man selbst seines
6
Eine Analyse des Transkripts wäre auch mit Fokus auf die Reproduktion von Klassismus fruchtbar.
14
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
Glückes Schmied sei, wird kaum mehr anhand des Textes begründet. Die Formulierung dieser
Antwort durch die Lehrkraft steht am Schluss der Stunde.
Bei diesem Unterrichtsbeispiel fällt auf, dass das Bedeutungspotenzial des Textes ver-
kürzt wird. Die Ambivalenzen in den Äußerungen der Erzählerin Sascha werden übergangen,
selbst wenn die Schüler*innen diese selbst aufgreifen. Dies geschieht beispielsweise, als der
Schüler S1 am Text begründen möchte, dass sich Sascha von ihren Freund*innen nicht beein-
flussen lässt, weil sie ihnen schließlich kritisch gegenüberstehe. Dazu deutet er eine Szene, in
der Sascha eine Klassenkameradin zu Hause besucht und dort in Bravo-Zeitschriften blättert.
Er versteht die Textstelle so, dass Sascha und die Klassenkameradin den Nachmittag „nicht [...]
gut fanden“ (ebd., Pos. 96). Die Lehrerin entgegnet:
L: Sie sagt aber: „Dafür, dass wir uns nichts zu sagen hatten, fand ich die Zeit gut verbracht“. (2) S1,
(1) was sagst du dazu?
S1: (lacht) Ja, gut. (Ebd., Pos. 97–98)
Die Lehrerin möchte hier offenbar als Korrektiv wirken. Die (zu) enge Lenkung erstickt jedoch
die Deutungsarbeit der Schüler*innen im Keim. Statt anhand konkurrierender Lesarten der
Textstelle die Ambivalenzen in Saschas Äußerungen wahrzunehmen, legt die Lehrerin eine Les-
art fest. Dann wird das Thema gewechselt.
In dieser Unterrichtsstunde werden insbesondere zu Beginn klärungswürdige Fragen ver-
handelt. Zu diesem Zeitpunkt gelingt es der Lehrerin, Verstehensherausforderungen des Textes
in schülerseitigen Klärungsbedarf zu transformieren. Im weiteren Verlauf lenkt die Lehrerin das
Gespräch jedoch derart eng, dass es zu textunangemessenen Vereindeutigungen kommt. Die
Schüler*innen lernen, dass das Festklammern am durch die Lehrkraft bereitgestellten Geländer
die einzig zielführende Verstehensstrategie im Literaturunterricht ist. Sie lernen nicht, dass
literarische Texte die reizvolle Möglichkeit bieten, in Diskussionen über Deutungen einzutreten
und in diesen die Chancen und Risiken einer abweichenden Deutung zu erfahren. Diese Risiken
schließen soziale Risiken mit ein: „some social risk [...] of disagreeing with others perceived to
be more powerful, of not arriving at the expected answers, of not always responding instantly“
(Resnick 1987, 42).
4.5 | Einschätzungen der Unterrichtsstunden durch die Schüler*innen
In den vorhergehenden Teilkapiteln haben wir das Verhalten der Lehrer*innen jeweils auf Basis
forscherseitiger Setzungen eingeschätzt. Darüber hinaus haben wir an manchen Stellen Ver-
mutungen darüber geäußert, wie die Schüler*innen die einzelnen Unterrichtsstunden wahrneh-
men. Analog zum Vorgehen von Magirius et al. (2022, 2023a) möchten wir im Folgenden an-
hand von Fragebogendaten unsere Einschätzungen der Stunden mit jenen der Schüler*innen
abgleichen.
Am Ende der hier skizzierten videographierten Stunden wurden den Schüler*innen Items
vorgelegt, mit denen sie den Forscher*innen ihre Meinung zum literarischen Text und zum
Unterrichtsgespräch mitteilen konnten. Die Schüler*innen wurden danach gefragt, ob sie sich
am Gespräch beteiligten, wie ihnen das Buch und dessen Sprache gefiel, ob sie sich in die
Figuren hineinfühlen konnten und ob das Unterrichtsgespräch aus ihrer Sicht zu einem besse-
ren Verstehen des literarischen Textes verhalf. Bei jedem Item konnten sie zwischen „trifft nicht
zu“, „trifft eher nicht zu“, „trifft eher zu“ und „trifft zu“ wählen. Die Items wurden, wie in Tabelle
1 (siehe Anhang) zu sehen, von uns zu Skalen zusammengefasst. Mit Cronbachs α und den
Item-Skala-Korrelationen haben wir die Messgüte der jeweiligen Skala untersucht. Wenn die
Voraussetzungen von Varianzanalysen erfüllt waren, führten wir anschließend eine solche
durch, andernfalls verwendeten wir H-Tests. Die p-Werte der Varianzanalysen sind ebenso wie
die p-Werte der H-Tests zusammen mit den jeweiligen Teststatistiken in der Tabelle im Anhang
zu finden. Berechnet man pro Skala den Durchschnitt ihrer Items und vergleicht die Werte für
alle vier Unterrichtsstunden, ergibt sich das folgende Bild (Abb. 1):
15
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
Abb. 1: Die Bewertung der Unterrichtsgespräche und des Textes aus Sicht der Schüler*innen anhand von fünf Skalen.
Nicht nur laut unserer forscherseitigen Einschätzung im Umgang mit klärungswürdigen Fragen
und HLC, sondern auch in der Bewertung durch die Schüler*innen erscheint das zweite Unter-
richtsbeispiel – gekennzeichnet mit schwarzen Balken – den anderen drei Unterrichtsstunden
überlegen. Im zweiten Unterrichtsbeispiel bewerteten die Schüler*innen den Austausch mit ih-
ren Mitschüler*innen besonders positiv (Skala „Beteiligung“) – und zwar auch positiver als die
Schüler*innen des dritten Unterrichtsbeispiels, bei dem wir Forscher nicht nur die Tendenz zur
Spekulation ausmachten, sondern auch beobachteten, dass der als Moderator agierende Lehrer
der Kommunikation zwischen den Schüler*innen viel Raum gab. Die Unterschiede zwischen
den vier Unterrichtsstunden sind hier signifikant. Gleiches gilt für die Skala „Sprache“. Die Schü-
ler*innen des zweiten Beispiels wussten die Sprache des literarischen Textes bspw. deutlich
mehr als die Schüler*innen des ersten Unterrichtsbeispiels zu schätzen. Das war jenes Unter-
richtsbeispiel, in dem Low-Level-Comprehension dominierte. Den Schüler*innen des zweiten
Beispiels gefiel der literarische Text auch am besten (Skala „Interesse“), die Unterschiede zwi-
schen den Unterrichtsstunden sind diesbezüglich aber gering. Noch geringer sind die Unter-
schiede bei der Skala, mit der gemessen werden sollte, ob das Gespräch das Textverständnis
aus Sicht der Schüler*innen verbesserte. Das könnte damit zusammenhängen, dass nahezu alle
Schüler*innen der vier Beispiele den Text als leicht verständlich empfanden, wie wir ebenfalls
erhoben haben. Die Unterschiede bei der Skala „Involviertheit“ sind dagegen signifikant. Auch
hier erscheint das zweite Unterrichtsbeispiel den anderen überlegen. Die Schüler*innen hatten
nach dieser Unterrichtsstunde mehr als nach den anderen den Eindruck, sich in den Text hin-
einfühlen zu können. Bei dieser Skala zeigen sich für das vierte Unterrichtsbeispiel – jenes mit
der textunangemessen Vereindeutigung – besonders negative Bewertungen. Dies könnte daran
liegen, dass sich in einem Gespräch mit vereindeutigender, enger Lenkung und mit einem Fo-
kus auf triviale und oftmals textferne Entscheidungsfragen das involvierende Potenzial des
Textes nicht entfalten kann.
Auch wenn wir nun ausgeführt haben, dass das zweite Unterrichtsbeispiel – jenes mit
einem hohen Maß an HLC – gegenüber den anderen in allen Belangen (zum Teil deutlich) über-
legen ist (siehe Abb. 1), möchten wir auf Limitationen hinweisen, die das eingesetzte Instru-
ment mit sich bringt: Da wir mit unserem Konzept des Lernunterstützenden Literaturgesprächs
auf z. T. andere Aspekte der Unterrichtsstunden abzielen als mit den Fragenbögen, ist eine
Parallelisierung von forscherseitigen Analysen der Unterrichtstranskripte und Schülerdaten
nicht ohne Weiteres möglich. Darüber hinaus ist die Messgüte mancher Skalen eingeschränkt.
Die interne Konsistenz der Skalen „Beteiligung“, „Involviertheit“ und „Besserverstehen“ ist recht
gering, wobei man bei der Interpretation der α-Werte die Kürze der Skalen beachten sollte. Bei
den Skalen, für die keine signifikanten Unterschiede gefunden wurden, liegen die Unterrichts-
stunden sehr nah beieinander.
16
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
5 | Schlussfolgerungen
Unsere Modellierung Lernunterstützender Literaturgespräche haben wir im vorliegenden Bei-
trag auf vier Fallbeispiele gesprächsförmigen Literaturunterrichts bezogen. Wir konnten an-
hand der Fälle zwei zentrale Unterscheidungen vornehmen, die uns mit Blick auf verstehens-
bezogene Klärungsprozesse im Literaturunterricht als wesentlich erscheinen.
So konnten wir mit dem Konzept der Klärungswürdigkeit Gesprächsphasen daraufhin be-
fragen, ob in ihnen Phänomene der literalen Eindeutigkeit im Sinne von LLC (vgl. Beispiel 1)
oder Phänomene der systematischen Mehrdeutigkeit im Sinne von HLC (vgl. die Beispiele 2 bis
4) thematisch wurden. Bezüglich HLC konnten wir dabei zeigen, dass hierfür nicht nur die Aus-
wahl klärungswürdiger Fragen von Belang ist, sondern auch die Form der Realisierung des Klä-
rungsprozesses beachtet werden muss – insbesondere dessen lernunterstützende Begleitung.
Um den im Literaturgespräch drohenden Gefahren von Spekulation einerseits (Beispiel 3) und
Vereindeutigung andererseits (Beispiel 4) entgegenzuwirken, erscheint es erforderlich, den Klä-
rungsprozess von strittigen und überprüfbaren Fragen konstruktiv durch gegenstandsange-
messenen Support zu begleiten und auf diese Weise konsequent zu verfolgen (vgl. Beispiel 2).
Mit unserem Modell erheben wir durchaus einen normativen Anspruch: Wir gehen davon
aus, dass Klärungswürdigkeit und Support wichtige Qualitätsaspekte eines lernförderlichen ge-
sprächsförmigen Literaturunterrichts ausmachen. Interessanterweise deuten auch die Einschät-
zungen der Schüler*innen (vgl. Kap. 4.5) darauf hin, dass diejenige Unterrichtsstunde (Beispiel
2) bevorzugt wird, die am ehesten lernförderlichem Literaturunterricht in unserem Sinne ent-
spricht. Einen analogen Zusammenhang konnten wir auch in Bezug auf Literaturgespräche zu
einem literarischen Text ausmachen, der parabolische Lesarten nahelegt (vgl. Magirius et al.
2022). Mit dem vorliegenden Beitrag zielten wir darauf ab, diesen Zusammenhang für einen
realistischen jugendliterarischen Text zu untersuchen. Wir betrachten dies als eine weitere Vor-
arbeit für eine geplante Interventionsstudie, mit der wir systematisch überprüfen möchten, ob
Lernunterstützende Literaturgespräche dem deutenden Textverstehen der Schüler*innen zu-
träglich sind.
17
11. Jahrgang 2024 | Heft 10
6 | Literaturverzeichnis
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Marco Magirius
Freie Universität Berlin
marco.magirius@fu-berlin.de
Daniel Scherf
Pädagogische Hochschule Heidelberg
scherf@ph-heidelberg.de
Michael Steinmetz
Pädagogische Hochschule Weingarten
steinmetz@ph-weingarten.de
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7 | Anhang
Tabelle 1
Skalenname
Interne Konsistenz mit
Cronbachs α
Item-Skala-Korrelation
als Trennschärfe
Inferenzstatistische Angaben
zu Varianzanalysen (F-
Verteilung) und H-Tests (χ²-
Verteilung)
Beteiligung
α = .838
r_{i,Sk} > .63
χ²(3) = 9.688
p = .02
• Ich habe mich am Gespräch beteiligt.
• Ich habe mich gern mit meinen Mitschülern zum Text ausgetauscht.
• Beim Gespräch habe ich mich wohl gefühlt.
Sprache
α = .84
r_{i,Sk} > .73
χ²(3) = 11.25
p = .01
• Ich finde, die Autorin hat den Text sprachlich gut gestaltet.
• Es spricht mich an, wie der Text geschrieben ist.
Interesse
α = .85
r_{i,Sk} > .63
F(3,40) = .627
p = .6
• Der Text gefällt mir gut.
• Ich möchte gerne mehr solche Texte lesen.
• Ich finde den Text interessant.
• invertiert: Ich finde den Text langweilig.
Involviertheit
α = .51
r_{i,Sk} > .35
χ²(3) = 15.163
p = .002
• Ich konnte mich in den Text hineinfühlen.
• Der Text hat mich berührt.
Besser-
verstehen
α = .613
r_{i,Sk} > .316
F(3,75) = .607
p = .61
• Durch das Gespräch habe ich den Text besser verstanden.
• Mein Verständnis von der Geschichte hat sich im Gespräch verändert.
• Durch das Gespräch kann ich mir die Figuren und die Situationen
besser vorstellen.