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Varianten in der Relegation. Auf- und Abstiegsdynamiken von Konstruktionen in der variationslinguistischen Vertikale

Authors:

Abstract

Syntaktische Konstruktionen sind sprachgeographisch erfahrungsgemäß viel großräumiger differenziert als beispielsweise phonologische und lexikalische Varianten. Dennoch besteht auch in Bezug auf sie eine komplexe historische Dynamik zwischen der Standardsprache („erste Liga“), den historischen Ortsdialekten („dritte Liga“) und den Varietäten „unterhalb“ der Ersteren und „oberhalb“ der Letzteren – den Regiolekten („zweite Liga“). Die erste Liga musste sich langzeitdiachronisch erst auf Basis der Konstruktionen der unteren Ligen konstituieren. Seit das Deutsche über eine voll ausgebildete, überdachende, geschriebene und sekundär oralisierte Standardsprache verfügt, besteht zusätzlich auch die Möglichkeit, dass Konstruktionen der ersten Liga in der Kurzzeitdiachronie in die unteren Ligen wandern. So wird die regionalsprachliche Vertikale zum Schauplatz von „Relegations“dynamiken. Diese Dynamiken sind Gegenstand des Arbeitsbereichs „(Morpho-)Syntax der deutschen Regionalsprachen“ als Teil des Langzeitprojekts „Regionalsprache.de“ (REDE). Im Arbeitsbereich werden erstmals die Varianten zahlreicher (morpho-)syntaktischer Variablen flächendeckend für den ganzen bundesrepublikanischen Raum und darüber hinaus erhoben. Für dieses primär synchronische Vorhaben kommt in fünf Erhebungsrunden die indirekte Erhebung via Online-Fragebogen zum Einsatz. Gewährspersonen aller Couleur – d.h. ohne Vorselektion nach soziodemographischen Kriterien – füllen diese Fragebögen in ihrer „vertrautesten Sprechweise“ aus und wählen dafür zwischen „Dialekt/Mundart/Platt“ (~ Dialekt), „regional gefärbter Umgangssprache“ (~ Regiolekt) und „Hochdeutsch“ (~ Standarddeutsch). Aus den Resultaten entsteht ein „(Morpho-)Syntaktischer Atlas der deutschen Regionalsprachen“. Ein digitaler Zwischenstand (ca. 350 Einzelkarten) ist in Kasper, Pheiff & Kammers (2024ff.) einsehbar. In einer sekundären Hinsicht eignen sich die Erhebungsdaten für Analysen kurz-zeitdiachronischer dynamischer Prozesse in apparent time. Dabei wird erkennbar, wel-che Konstruktionen (beziehungsweise Varianten) sich wie und unter welchen Bedingungen in der Relegation zwischen erster und dritter Liga befinden. Im Vortrag wird dies beispielhaft an bestimmten Varianten der Variable „adnominale (attributive) Possession“ und der Variable „fokussierter Rezipient in Transferereignissen“ demonstriert. Diese Variablen sind besonders interessant in Bezug auf das moderne Standarddeutsche, weil der sogenannte „possessive Dativ“ seit einiger Zeit Ambitionen zum Erstligaaufstieg anmeldet beziehungsweise das sogenannte „Rezipientenpassiv“ einen relativ jungen Erstligisten darstellt. In Bezug auf beide Konstruktionen (aber auch andere) spiegeln generationelle Gebrauchsunterschiede verschieden weit forgeschrittenes Relegationsgeschehen wider (Grammatikalisierung) und erlauben educated guesses über zukünftige Ligazugehörigkeiten. Darüber hinaus suggerieren synchronische Raumbilder, die sich aus der separaten, synchronischen Analyse der verschiedenen Sprechergruppen (Dialekt, „regional gefärbte Umgangssprache“, „Hochdeutsch“) ergeben, bestimmte Relegationsynamiken – als in den Raum projiziertes, gerichtetes Auf- und Abstiegsgeschehen (Grammatikalisierungspfade im Raum).
Varianten in der Relegation.
Auf- und Abstiegsdynamiken von Konstruktionen
in der variationslinguistischen Vertikale
Simon Kasper
Institut für Germanistik
Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
„Grammatik des
Neuhochdeutschen
zwischen Gegenwart und
Geschichte“
23.25. Mai 2024
Rauischholzhausen
Präsentation
oder: https://t1p.de/o29y9
2
Forschungskontext
Varianten in der Relegation
a) adnominale Possession „attributiver possessiver Dativ“
b) fokussierter Rezipient in Transfers „Rezipientenpassiv“
Einordnung
Forschungskontext
Ágel & Hennig im
Exposé zur Tagung
„Als die wohl wichtigste Erkenntnis der modernen Sprachgeschichts-
forschung dürfte gelten, dass Sprachstabilität wie Sprachwandel eng mit
Variation verbunden sind. Dabei unterscheidet sich die vertikalisierte
‚Sprachdynamik‘ (Schmidt/Herrgen 2011) des Gegenwartsdeutschen mit
Sicherheit erheblich von der horizontalen älterer Sprachstufen (Ágel 2015),
auch wenn einschlägige empirische Studien fehlen. Klar ist jedoch, dass
das Nhd. als die Kernzeit der Vertikalisierung des Varietätenspektrums
(Reichmann 1988) und der Herausbildung konzeptioneller Schriftlichkeit
keine bloße ,Schnittstelle‘ zwischen Gegenwart und Geschichte ist,
sondern eine ,Varietätenumwälzungsepoche mit besonderen theore-
tischen, methodischen, inkl. korpustechnologischen, und empirischen
Herausforderungen im Spannungsfeld von ‚Differenzierung und
Integration‘, ‚Erhaltungsbereich und Neuerungsbereich‘ und ‚Konstanten
und Inkonstanten‘ (Sonderegger 1979: 202 ff.) darstellt. Entsprechend
wachsen der Beschreibungsanspruch und die Erklärungskomplexität [...].“,
(S. 12)
5
Ágel & Hennig im
Exposé zur Tagung
„Als die wohl wichtigste Erkenntnis der modernen Sprachgeschichts-
forschung dürfte gelten, dass Sprachstabilität wie Sprachwandel eng
mit Variation verbunden sind. Dabei unterscheidet sich die vertikalisierte
‚Sprachdynamik‘ (Schmidt/Herrgen 2011) des Gegenwartsdeutschen mit
Sicherheit erheblich von der horizontalen älterer Sprachstufen (Ágel 2015),
auch wenn einschlägige empirische Studien fehlen. Klar ist jedoch, dass
das Nhd. als die Kernzeit der Vertikalisierung des Varietätenspektrums
(Reichmann 1988) und der Herausbildung konzeptioneller Schrift-
lichkeit keine bloße ,Schnittstelle‘ zwischen Gegenwart und Geschichte
ist, sondern eine ,Varietätenumwälzungsepoche mit besonderen
theoretischen, methodischen, inkl. korpustechnologischen, und empi-
rischen Herausforderungen im Spannungsfeld von ‚Differenzierung und
Integration‘, ‚Erhaltungsbereich und Neuerungsbereich‘ und ‚Konstanten
und Inkonstanten‘ (Sonderegger 1979: 202 ff.) darstellt. Entsprechend
wachsen der Beschreibungsanspruch und die Erklärungskomplexität [...].
(S. 12)
6
„Ziel des Projekts ist daher die erstmalige systematische Erschließung der
modernen Regionalsprachen des Deutschen.
Dieses umfassende Ziel gliedert sich in zwei Teilziele:
1. Aufbau eines forschungszentrierten Informationssystems zu den
modernen Regionalsprachen des Deutschen, in dem die bisher
vorliegenden immensen Datenbestände der dialektologischen,
soziolinguistischen und variationslinguistischen Forschung gebündelt,
aufeinander bezogen und so der Forschung für systematische
vergleichende Analysen und der Öffentlichkeit als Informationsquelle
zur Verfügung stehen.
2. Ersterhebung und Analyse der variationslinguistischen Struktur und
Dynamik der modernen Regionalsprachen des Deutschen. Zu diesem
Zweck ist es erforderlich, den Variationsraum, der diese modernen
Regionalsprachen kennzeichnet und der durch die Elemente
„Regionalakzent“ (standardnächster Pol), „Dialekt“ (standardfernster
Pol) und ein intermediäres Varietätengefüge konstituiert wird, zu
erheben und zu analysieren.
(https://www.regionalsprache.de/projektbeschreibung.aspx [4. April 2024])
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„Ziel des Projekts ist daher die erstmalige systematische Erschließung
der modernen Regionalsprachen des Deutschen.
Dieses umfassende Ziel gliedert sich in zwei Teilziele:
1. Aufbau eines forschungszentrierten Informationssystems zu den
modernen Regionalsprachen des Deutschen, in dem die bisher
vorliegenden immensen Datenbestände der dialektologischen,
soziolinguistischen und variationslinguistischen Forschung gebündelt,
aufeinander bezogen und so der Forschung für systematische
vergleichende Analysen und der Öffentlichkeit als Informationsquelle
zur Verfügung stehen.
2. Ersterhebung und Analyse der variationslinguistischen Struktur
und Dynamik der modernen Regionalsprachen des Deutschen. Zu
diesem Zweck ist es erforderlich, den Variationsraum, der diese
modernen Regionalsprachen kennzeichnet und der durch die
Elemente „Regionalakzent“ (standardnächster Pol), „Dialekt“
(standardfernster Pol) und ein intermediäres Varietätengefüge
konstituiert wird, zu erheben und zu analysieren.
(https://www.regionalsprache.de/projektbeschreibung.aspx [4. April 2024])
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11
!!
12
erste Liga“
„zweite Liga“
dritte Liga“
Varianten„relegation“
Varianten„relegation“
13
Varianten in der Relegation
a) adnominale Possession „attributiver possessiver Dativ“
15
Tobi Fuß Puppe Fuß
Kran Arm
16
Tobi Fuß Puppe Fuß
Kran Arm
lebensweltlicher
Kontext, führt
Referenten ein,
bahnt Possessiv-
verhältnis an.
17
Tobi Fuß Puppe Fuß
Kran Arm
Possessor und
Possessum
werden festgelegt.
18
Tobi Fuß Puppe Fuß
Kran Arm Jede NP-förmige
Possessiv-
konstruktion ist
einsetzbar.
19
Tobi Fuß Puppe Fuß
Kran Arm
Bitte um Antwort
in vorher
gewählter,
vertrautester
Sprechweise
20
Tobi
Fuß
Puppe
Fuß
Kran
Arm
Belebtheit
Possessor
human
unbelebt,
anthropomorph
unbelebt, nicht
anthropomorph
Relation kognitiv
Besitz
Besitz
Teil/Ganzes
Relation objektiv
Besitz
Teil/Ganzes
Teil
/Ganzes
21
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
„zu“-Kxn
Kxn poss. „Dativ“
präd. Possession
von“-Kxn
post-/pränominal
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Kompositum
22
„zu“-Kxn
Kxn poss. „Dativ“
präd. Possession
von“-Kxn
post-/pränominal
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Kompositum
Kxn poss. „Dativ“
häufigste Variante in mind.
zwei benachbarten
Planquadraten
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
23
Präferenzabnahme entlang Faktor [lexikalische Füllung]
„zu“-Kxn
Kxn poss. „Dativ“
präd. Possession
von“-Kxn
post-/pränominal
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Kompositum
Kxn poss. „Dativ“
häufigste Variante in mind.
zwei benachbarten
Planquadraten
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
24
Präferenzabnahme entlang Faktor [vertikale Sprechlage] (Vorsicht!)
„zu“-Kxn
Kxn poss. „Dativ“
präd. Possession
von“-Kxn
post-/pränominal
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Kompositum
Kxn poss. „Dativ“
häufigste Variante in mind.
zwei benachbarten
Planquadraten
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
25
Präferenzabnahme entlang Faktor [vertikale Sprechlage] (Vorsicht!)
„zu“-Kxn
Kxn poss. „Dativ“
präd. Possession
von“-Kxn
post-/pränominal
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Kompositum
Kxn poss. „Dativ“
häufigste Variante in mind.
zwei benachbarten
Planquadraten
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
Präferenzabnahme entlang Faktor [lexikalische Füllung]
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
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Tobi
Fuß
Puppe
Fuß
Kran
Arm
Belebtheit
Possessor
human
unbelebt,
anthropomorph
unbelebt, nicht
anthropomorph
Relation kognitiv
Besitz
Besitz
Teil/Ganzes
Relation objektiv
Besitz
Teil/Ganzes
Teil
/Ganzes
Belebtheit human--------------unbelebt, anthropomorph---------unbelebt, nicht anthropomorph
Grammatikalisierungsgrad / -pfad adnom. possessiver „Dativ“
27
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
„zu“-Kxn
Kxn poss.
„Dativ“
präd.
Possession
von“-Kxn
post-/pränominal Kompositum
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
28
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
„zu“-Kxn
Kxn poss.
„Dativ“
präd.
Possession
von“-Kxn
post-/pränominal Kompositum
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
29
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
„zu“-Kxn
Kxn poss.
„Dativ“
präd.
Possession
von“-Kxn
post-/pränominal Kompositum
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
30
Tobi Fuß Puppe Fuß Kran Arm
Kxn poss.
„Dativ“
von“-Kxn
post-/pränominal Kompositum
Genitiv-Kxn
post-/pränominal
Anteile ausgewählter Varianten an allen Antworten eines Geburtsjahrzehnts und ihre Veränderung in apparent time
31
Bis zur Ist-Situation:
Kxn mit „poss. Dativ“: als dialektal (fast) überall gebräuchliche Kxn über längere Zeit hinweg in
bestimmten Regionen in die regional gefärbte Alltagssprache und in einer
Teilmenge dieser Regionen ins gesprochene „Hochdeutsch“ aufgestiegen (!)
Genitiv-Kxnn: genuin schriftsprachlich (pränom. & postnom.) und niederdeutsch
(pränom.)
von-Kxn: (arg) grob: allgemein gesprochensprachlich
Entwicklungstendenzen in den vorliegenden Daten zur Ist-Situation:
Kxn mit „poss. Dativ“: Präferenz generell abnehmend mit abnehmender Belebtheit des Possessors
gemäß Belebtheitshierarchie
Präferenz abnehmend „nach oben hin“ hinsichtlich des vertikalen
Varietätengefüges
Präferenz abnehmend mit abnehmendem Alter der Gewährspersonen (!)
Genitiv-Kxnn: Präferenz zunehmend in den Bedingungen, in denen die für die Kxn mit
poss. Dativ“ abnehmend
von-Kxn: Präferenz zunehmend in den Bedingungen, in denen die für Gen.-Kxnn
abnehmend
32
Bis zur Ist-Situation:
Kxn mit „poss. Dativ“: als dialektal (fast) überall gebräuchliche Kxn über längere Zeit hinweg in
bestimmten Regionen in die regional gefärbte Alltagssprache und in einer
Teilmenge dieser Regionen ins gesprochene „Hochdeutsch“ aufgestiegen (!)
Genitiv-Kxnn: genuin schriftsprachlich (pränom. & postnom.) und niederdeutsch
(pränom.)
von-Kxn: (arg) grob: allgemein gesprochensprachlich
Entwicklungstendenzen in den vorliegenden Daten zur Ist-Situation:
Kxn mit „poss. Dativ“: Präferenz generell abnehmend mit abnehmender Belebtheit des Possessors
gemäß Belebtheitshierarchie
Präferenz abnehmend „nach oben hin“ hinsichtlich des vertikalen
Varietätengefüges
Präferenz abnehmend mit abnehmendem Alter der Gewährspersonen (!)
Genitiv-Kxnn: Präferenz zunehmend in den Bedingungen, in denen die für die Kxn mit
poss. Dativ“ abnehmend
von-Kxn: Präferenz zunehmend in den Bedingungen, in denen die für Gen.-Kxnn
abnehmend
33
Varianten in der Relegation
b) fokussierter Rezipient in Transferereignissen
„Rezipientenpassiv“
35
Mann Wasser Mann Banane Mann Zahn
Puppe Mütze Truck Motorhaube
36
Beschreibung der
Situation in Bild 1,
Einführung der
Referenten
Mann Wasser Mann Banane Mann Zahn
Puppe Mütze Truck Motorhaube
37
Bildsequenz, in
der sich ein
Transferereignis
entfaltet
Mann Wasser Mann Banane Mann Zahn
Puppe Mütze Truck Motorhaube
38
Frage erlaubt jede
satzwertige
Antwort mit
fokussiertem
Proto-Rezipienten
Mann Wasser Mann Banane Mann Zahn
Puppe Mütze Truck Motorhaube
39
Bitte um Antwort
in vorher
gewählter,
vertrautester
Sprechweise
Mann Wasser Mann Banane Mann Zahn
Puppe Mütze Truck Motorhaube
40
Mann Wasser
Mann Zahn
Puppe Mütze
Truck
Motorhaube
Transfer
rezeptiv
privativ
privativ
privativ
Involviertheit
commodi
commodi
n.a
.
n.a
.
Belebtheit
Pr.
-Rezipient
human
human
unbelebt
anthropomorph
unbelebt, nicht
anthropomorph
41
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II 42
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Präferenzabnahme Rez.-Passiv entlang Faktor [lexik. Füllung] & [Transfertyp]
43
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Präferenzabnahme Rez. passiv entlang Faktor [vertikale Sprechlage]
(Vorsicht!)
44
Dialekt regional gefärbte Alltagssprache „Hochdeutsch“
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Präferenabnahme kriegen
Präferenabnahme bekommen
45
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
sprechweisenübergreifend
sprechweisenübergreifend
kriegen vs. alle anderen Varianten
bekommen vs. alle anderen Varianten 46
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
47
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
48
Relative Anteile der jeweiligen Varianten an allen Antworten innerhalb einer Sprechweise
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
kriegen-
Aktiv
bekommen-
Aktiv
lassen-
Kxn
geben-
Passiv
(unpers.)
Aktiv II
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck Motorhaube
49
Mann Wasser
Mann Zahn
Puppe Mütze
Truck
Motorhaube
Transfer
rezeptiv
privativ
privativ
privativ
Involviertheit
commodi
commodi
n.a
.
n.a
.
Belebtheit
human
human
unbelebt
anthropomorph
unbelebt, nicht
anthropomorph
Transfer rezeptiv ---------------------------------------------------------------------------------privativ
Involviertheit commodi-----------------------------------------------------------------------------incommodi
Belebtheit human----------------unbelebt, anthropomorph---------unbelebt, nicht anthropomorph
Grammatikalisierungsgrad / -pfad Rezipientenpassiv
+ Anteil Rezipientenpassiv
50
Anteile ausgewählter Varianten an allen Antworten eines Geburtsjahrzehnts
und ihre Veränderung in apparent time
werden-
Passiv
kriegen-
Passiv
bekommen-
Passiv
(unpers.)
Aktiv I
Mann Wasser Mann Zahn Puppe Mütze Mann Banane Truck - Motorhaube
51
Vor der Ist-Situation:
kriegen-Passiv: dialektal weit verbreitet, Kernregion im Wmd., zum Teil in regional gefärbte
Alltagssprache vorgedrungen, nicht standard(schrift)sprachlich
bekommen-Passiv: ersetzt kriegen in der reg. gef. Alltagssprache und in „Hochdeutsch“
weit(est)gehend; tendenziell wmd. oder generell md. Kernregion; ggü. kriegen-
Passiv (angeblich) weit grammatikalisiert im (gespr.) Std.
werden-Passiv: horizontal und vertikal überall gebräuchlich, relativer Anteil abhängig von
Anteilen der Rezipientenpassive
Entwicklungstendenzen in den vorliegenden Daten zur Ist-Situation:
kriegen-Passiv: Präferenz abnehmend mit zunehmender Entfernung von rezeptiven (ggü.
privativen), commodi- (ggü. incommodi-)Transfers mit humanen (ggü.
niedriger belebten) Proto-Rezipienten, speziell...
horizontal sich auf Kernregionen beschränkend;
vertikal sich auf Dialekt beschränkend;
generell abnehmend mit abnehmendem Alter (!)
bekommen-Passiv: Faktoren wie beim kriegen-Passiv, im Besonderen...
horizontal wie kriegen-Passiv;
vertikal sich auf reg. gef. Alltagssprache und „Hochdeutsch“ beschränkend;
Präferenz in älteren Generationen zunehmend, in jüngeren abnehmend (!)
werden-Passiv: Präferenz in dem Maße zunehmend, wie die für Rezipientenpassiv abnehmend
52
Einordnung
allgemeines
Ergebnis:
Status quo der
Relegation
Mit der Kxn mit poss. „Dativ“ und dem Rezipientenpassiv sind
genuin dialektale Konstruktionen via landschaftliches
Hochdeutsch und, jünger, die regional gefärbte Alltagssprache in
die (gesprochene bzw. geschriebene) Standardsprache
„aufgestiegen“.
Der Aufstieg erfolgte gestaffelt nach Grammatikalisierungs-
graden (weit bei hoher weniger weit bei niedriger) und im Falle
des Rezipientenpassivs nach Regionen (weit in Kernregion
weniger weit in der Peripherie).
54
allgemeines
Ergebnis:
Relegations-
prognose
Nach der Analyse in apparent time zu schließen, lässt der Status
quo dieser Konstruktionen in der Standardsprache kein weiteres
Vordringen in geographischer Hinsicht und in Bezug auf weitere
Grammatikalisierung erwarten.
Tatsächlich scheinen sie bereits wieder im Rückzug begriffen zu
sein (Peak beim Rezipientenpassiv in den Daten (!), bei der Kxn
mit poss. Dativ weiter in der Vergangenheit).
55
Interpretations-
versuch
Kann es sein, dass in dem Maß, wie die variative Kompetenz in
der Sprachgemeinschaft abnimmt, d.h. mit zunehmender
Verbreitung monovarietärer „Hochdeutsch“-Kompetenz, auch
der „Aufstieg“ genuin dialektaler oder regiolektaler Varianten in
Richtung Standardsprache sowie ihre geographische Ausbreitung
in den „oberen Ligen“ zum Stopp kommt?
Ebenso käme die Grammatikalisierung dieser Varianten damit
insofern zum Stopp und sie zögen sich insofern schrittweise aus
der Peripherie zurück, als ältere, variativ kompetente Mitglieder
der Sprachgemeinschaft demographisch aus dieser
ausschieden, da sie den Aufstieg angetrieben haben.
56
Wie haben Ihre Eltern mit Ihnen gesprochen, als Sie klein waren?
19201939 19401959 19601979 19801999 20002019
Dialekt reg. gef.
Alltagsspr.
„Hochdeutsch“ Dialekt &
reg. gef. Alltagsspr.
reg. gef. Alltagsspr. &
„Hochdeutsch“
Dialekt &
„Hochdeutsch“
Dialekt,
reg. gef. Alltagsspr. &
„Hochdeutsch“
Sonstiges
57
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Dudenredaktion (2016): Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Herausgegeben von Angelika Wöllstein und der Dudenredaktion. 9., vollständig
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Leirbukt, Oddleif (1997): Untersuchungen zum bekommen-Passiv im heutigen Deutsch. Tübingen: Niemeyer.
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Forschungsliteratur zur Beschreibung der Ist-Situationen
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Kasper, Simon/Pheiff, Jeffrey (2019): Forschungsnotiz. Morphosyntax der Regionalsprachen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik. Deutsche Sprache in
Gegenwart und Geschichte, 47(1), 249253.
Kasper, Simon/Pheiff, Jeffrey (2020): Die Erhebung der regionalsprachlichen Morphosyntax des Deutschen im Rahmen des Projekts Regionalsprache.de
(REDE): In: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, 127, 150153.
Kasper, Simon/Pheiff, Jeffrey (2023a): Die Dynamik der (Morpho-)Syntax des Deutschen in der "Vertikale": Perfektexpansion und Abfolge pronominaler
Objekte. In: Fischer, Hanna/Rabanus, Stefan (Hrsg.): Morphologische und syntaktische Variation in den deutschen Regionalsprachen: Impulse
für die Erforschung der sprachlichen Vertikale. Hildesheim u.a.: Olms, 1974.
Kasper, Simon/Pheiff, Jeffrey (2023b): From dialect syntax to regional Language syntax. Syntactic variation between dialect and standard. Zeitschrift für
Dialektologie und Linguistik 90(1), 6496.
Kasper, Simon/Pheiff, Jeffrey/Kammers, Heiko (2024ff.): Digitaler (morpho-) syntaktischer Atlas der deutschen Regionalsprachen (Work in Progress).
Konzipiert von Simon Kasper und Jeffrey Pheiff. Bearbeitet von Heiko Kammers. Studentische Hilfskräfte: Lisa Semler, Lea Platt. In: Schmidt,
Jürgen Erich/Herrgen, Joachim/Kehrein, Roland/Lameli, Alfred (Hrsg.) (2020ff): Regionalsprache.de (REDE III). Forschungsplattform zu den
modernen Regionalsprachen des Deutschen. Bearbeitet von Robert Engsterhold, Hanna Fischer, Marina Frank, Heiko Girnth, Simon Kasper,
Juliane Limper, Salome Lipfert, Georg Oberdorfer, Tillmann Pistor, Anna Wolańska. Unter Mitarbeit von Dennis Beitel, Lisa Dücker, Lea
Fischbach, Milena Gropp, Heiko Kammers, Maria Luisa Krapp, Vanessa Lang, Salome Lipfert, Jeffrey Pheiff, Bernd Vielsmeier. Studentische
Hilfskräfte. Marburg: Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas. URL: https://www.regionalsprache.de/mitmachen-ergebnisse.aspx [Stand:
27.02.2024]
Pheiff, Jeffrey/Kasper, Simon (2020): Syntaktische Variation „oberhalb“ des Dialekts? Die Erhebung der regionalsprachlichen Syntax des Deutschen:
horizontal, indirekt, vertikal und online. Niederdeutsches Wort 60, 3587.
Publikationen aus dem Projekt
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Arbeitsbereich (Morpho-)Syntax der Regionalsprachen
Prof. Dr. Simon Kasper
(Düsseldorf)
Dr. Jeffrey Pheiff
(Bern)
Heiko Kammers M.A.
(Marburg, Düsseldorf)
Robert Engsterhold
(Marburg, IT)
Lea Platt
(Marburg, student. MA)
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Wie haben Ihre Eltern mit Ihnen gesprochen, als Sie
klein waren?
Dialekt
reg. gef. Alltagsspr.
„Hochdeutsch“
Dialekt & reg. gef. Alltagsspr.
reg. gef. Alltagsspr. & „Hochdeutsch“
Dialekt & „Hochdeutsch“
Dialekt, reg. gef. Alltagsspr. & Hochdeutsch“
Sonstiges
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Chapter
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The verb kriegen in German varieties is multifaceted, exhibiting as many as 32 different meanings encoded by a considerably lower number of syntactic patterns. Little is known about why speakers identify the correct interpretation effortlessly despite the lack of overt clues. This article is an attempt to identify the clues that can be utilized to arrive at the correct interpretation of instances of kriegen. They include the referential state of the subject of kriegen, the possessive and locative relations before and after the kriegen event, and sentence-internal and -external clues regarding the subject’s (co-)agentive involvement. Through complex interaction, these clues give rise to a number of pragmatic implicatures suggesting specific interpretations.
Conference Paper
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In den Varietäten unterhalb der deutschen Standardsprache gibt es diverse Möglichkeiten, Zugehörigkeitsrelationen zu kodieren, zu denen u.a. Besitz-, Teil-Ganzes-, Verfügungs- und Verwandtschaftsrelationen zählen. Die wichtigsten Strategien zum Ausdruck (ad)nominalen Zugehörigkeitsrelationen sind die Präpositionalkonstruktion (das Auto von Harald), das Kompositum (die Haustür) und der sogenannte „adnominale possessive Dativ“ (meinem Vater sein Hut, vgl. Behagel 1923: 638, Weise 1898, Mironow 1957, Schirmunski 1962), der allerdings in Abhängigkeit vom Dialektraum auch die Form eines Akkusativs haben kann (den Vater sein Haus) (vgl. Schirmunski 1962: 432ff.). Dafür fehlt in diesen Sprechlagen weitgehend der standarddeutsche adnominale Genitiv (Karls Haus, das Haus des Vaters). Die genannten Konstruktionen sind dabei nicht verschiedene Ausdrucksmittel für gleichartige Relationen, sondern die Art der Zugehörigkeitsrelation korreliert mit der Akzeptabilität der Konstruktion als Kodierungsmittel dieser Relation (vgl. Seiler 1983). Als zentrale semantische Faktoren, die diese Variabilität steuern, werden unter anderem Kontrolle, Alienabilität, Empathie, Inhärenz, Belebtheit und Subjektivität bzw. Objektivität diskutiert (vgl. Seiler 1983, Lehmann 1996, Stolz et al. 2008, McGregor 2009). Im Vortrag soll die Spannbreite der Possessivkonstruktionen in den hessischen Dialekten beschrieben werden, wie sie im Rahmen des Projekts „Syntax hessischer Dialekte (SyHD)“ derzeit erhoben werden. In SyHD wird dieses Phänomen nicht nur erstmals systematisch für einen Raum erhoben, um den tatsächlichen Bestand an Ausdrucksvarianten zu dokumen-tieren, sondern auch Semantik soll in den Blick rücken, indem die Zugehörigkeitsrelationen zwischen Possessor und Possessum so variiert werden, dass dies Rückschlüsse auf die Ausdrucksvarianten in Abhängigkeit von semantischen Faktoren zulässt. Dabei zeigt sich, dass Präpositionalkonstruktion und possessiver Dativ keine gleichwertigen Konstruktionen sind und dass die steuernden Prinzipien den in der Literatur postulierten möglicherweise zuwiderlaufen. Zitierte Literatur: Lehmann, Christian (1996): Possession in Yucatec Maya. Newcastle: Lincom. McGregor, William (Hrst.) (2009): The expression of possession. Berlin/New York: de Gruyter. Mironow, S. A. (1957): Zur vergleichenden Formenlehre der deutschen Mundarten. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 79. Sonderband. S. 388– 414. Schirmunski, Viktor M. (1962): Deutsche Mundartkunde. Berlin: Akademie. Seiler, Hansjakob (1983): Possession as an operational dimension of language. Tübingen: Narr. Stolz, Thomas/Kettler, Sonja/Stroh, Cornelia/Urdze, Aina (2008): Split possession. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Weise, Otto (1898): Dem Vater sein Haus. In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 12. S. 287–291.
Chapter
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You can find the published text version here: <https://www.uni-marburg.de/de/fb09/dsa/einrichtung/personen/wissenschaftler/kasper/publikationen-und-vortraege>The present article is an attempt towards a unified picture about some central syntactic and semantic changes within complex (possessive) noun phrases in German. Firstly, the expressive adnominal strategies for possessive relations in German are presented and the semantic concept of possession characterized. After that major changes in the syntax–semantics linking within German adnominal (possessive) constructions throughout different historical periods are traced as well as changes that are of a purely structural kind. In what follows these changes are modeled using the Role and Reference Grammar framework and a unification of the observed data is attempted. The main components of this unification are: 1) The prenominal position in complex German noun phrases becomes successively reanalyzed as a position for article expressions, i.e., Role and Reference Grammar operators. 2) This development competes with the tendency to have the more referential/definite/agentive entity in the relation to be expressed before the less referential/definite/agentive expression in the noun phrase. 3) Changes in the syntax–semantics linking of adnominal possession in the periods of German can partially be explained as a result of this competition.
Band 1: Einleitung und Kommentare
  • Elvira Glaser
Glaser, Elvira (Hrsg.) (2021): Syntaktischer Atlas der deutschen Schweiz (SADS). Band 1: Einleitung und Kommentare. Band 2: Karten. Tübingen: Narr Francke Attempto.
  • Simon Kasper
Kasper, Simon (2017b): Passiv, Possession und Belebtheit. In: Fleischer, Jürg/Lenz, Alexandra N./Weiß, Helmut (Hrsg.): SyHD-atlas. Konzipiert von Ludwig M. Breuer. Unter Mitarbeit von Katrin Kuhmichel, Stephanie Leser-Cronau, Johanna Schwalm und Thomas Strobel. Marburg, Wien & Frankfurt am Main: dx.doi.org/10.17192/es2017.0003, 649-660.
Deutsche Mundartkunde. Vergleichende Laut-und Formenlehre der deutschen Mundarten. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 25
  • Viktor M Schirmunski
Schirmunski, Viktor M. (1962): Deutsche Mundartkunde. Vergleichende Laut-und Formenlehre der deutschen Mundarten. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 25.) Berlin: Akademie.
Der Dativ im heutigen Deutsch. (Studien zur deutschen Grammatik 28.) Tübingen: Narr
  • Heide Wegener
Wegener, Heide (1985): Der Dativ im heutigen Deutsch. (Studien zur deutschen Grammatik 28.) Tübingen: Narr.