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Wirtschaftsdienst 2024 | 4
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Kommentar
Elektromobilität
Königsweg oder Sackgasse?
Anfang März 2024 kam es laut Pressemeldungen zu
einer folgenschweren Entscheidung in Brüssel: Künf-
tig sollen für Elektroautos nicht mehr automatisch
Null-CO₂-Emissionen angesetzt werden, sondern die
tatsächlichen, vom jeweiligen Strommix abhängigen
Emissionen der Elektromobilität berechnet werden. Ei-
ne solche realistische Bilanzierung der Klimawirkung
von Elektrofahrzeugen erscheint überfällig und könnte,
so der Tenor vieler Kommentare, auch das von der Eu-
ropäischen Union geplante Verbrennerverbot ab dem
Jahr 2035 grundsätzlich infrage stellen. Dieses ist oh-
nehin nach wie vor umstritten und einige Länder sowie
der deutsche Verkehrsminister streiten weiterhin für
Ausnahmeregelungen für klimaneutral produzierte syn-
thetische Kraftstoe („E-Fuels“). Deren großer Nachteil
besteht bisher in dem hohen Energiebedarf bei der Her-
stellung, also in der geringen Ezienz. Und ein unbe-
strittener Vorteil der reinen Elektromobilität ist der deut-
lich höhere Wirkungsgrad batteriebetriebener Autos.
Die deutsche und europäische Politik hat sich deshalb
bisher ganz einer „All-Electric“-Strategie verschrieben.
Die Bundesregierung plant im Rahmen der sogenann-
ten Verkehrswende bis zum Jahr 2030 15 Mio. Elektro-
fahrzeuge auf die Straße zu bringen und fördert nach
wie vor die Elektromobilität mit Milliardenbeträgen (bei-
spielsweise über Steuerbefreiungen oder die staatliche
Finanzierung des Ausbaus von Ladeinfrastruktur). Doch
schon der Wegfall eines Teils dieser Förderung, der di-
rekten Kaufprämie, hat zu deutlich rückläufigen Zulas-
sungszahlen von E-Autos in den ersten beiden Monaten
des laufenden Jahres geführt, was die Erreichung des
(ohnehin von vorneherein sehr ambitionierten) 15-Mil-
lionen-Ziels zunehmend unwahrscheinlich erschei-
nen lässt. Vor allem aber würden selbst diese 15 Mio.
Elektroautos nur weniger als ein Drittel des gesamten
Pkw-Bestandes ausmachen, und auch nach einem voll-
ständigen Verbot der Neuzulassung von Verbrennern
hätten diese noch für viele Jahre einen großen Anteil
am Fahrzeugbestand. Was zu einem großen Vorteil der
synthetischen Kraftstoe führt: Dass damit eben auch
diese Abermillionen Bestandsfahrzeuge klimaneutral
betrieben werden können, die selbst nach einem Ver-
brennerverbot noch für viele Jahre am Verkehr teilneh-
men werden.
Dadurch, dass E-Fuels aufgrund der besseren Trans-
portierbarkeit auch an Standorten produziert werden
können, die eine deutlich höhere Verfügbarkeit erneuer-
barer Energien aufweisen als hierzulande, wird der Ezi-
enznachteil bei ihrer Produktion zumindest teilweise re-
lativiert. Ein weiterer Vorteil ist, dass für diese Kraftstof-
fe das bestehende Tankstellennetz weiter genutzt wer-
den kann, während die vollständige, flächendeckende
Umstellung auf Elektromobilität immense Investitionen
erfordert, beispielsweise in die Ladeinfrastruktur. Selbst
China als Vorreiterland in Sachen Elektromobilität setzt
inzwischen auch auf eine Weiterentwicklung von Ver-
brennungsmotoren und die Entwicklung CO₂-neutraler
Kraftstoe. Bislang gilt als das wichtigste Gegenargu-
ment, dass die Produktionskapazitäten für E-Fuels auch
künftig allenfalls für Anwendungen in solchen Bereichen
ausreichen würden, die nicht ohne weiteres elektrifiziert
werden können, wie etwa die Luft- oder Schifahrt.
Tatsächlich ist das aber eine empirische Frage, die vor
allem von der künftigen technologischen Entwicklung
abhängt und heute kaum abschließend beantwortet
werden kann.
Europa täte also gut daran, das Verbrennerverbot noch
einmal zu überdenken, insbesondere aus einem weite-
ren, ökonomischen Grund: Der Verkehrsbereich wird ab
dem Jahr 2027 ohnehin vom Emissionshandel erfasst,
die Emissionen sind damit gedeckelt und werden über
die Menge der ausgegebenen Zertifikate (das „Cap“) ge-
steuert. Zusätzliche Maßnahmen – wie das Verbot von
Verbrennungsmotoren oder Subventionen – bewirken
aufgrund des Wasserbetteektes dann einerseits keine
zusätzlichen Emissionseinsparungen: Emissionsrechte,
die dadurch frei würden, werden an anderer Stelle für
Emissionen verwendet. Das Cap bleibt insgesamt un-
verändert. Andererseits führen diese Maßnahmen aber
zu erheblichen Ezienzverlusten, weil dann der Staat
und nicht mehr die Vermeidungskosten über die „rich-
tigen“ Vermeidungsmaßnahmen entscheidet. Unter der
Maßgabe des Emissionshandels wird sich letztlich die
eziente Vermeidungstechnologie im Mobilitätssektor
durchsetzen. Ob das rein batteriebetriebene Elektroau-
tos, Verbrenner mit E-Fuels, Brennstozellen oder sons-
tige Technologien sein werden, lässt sich kaum seriös
prognostizieren. Am wahrscheinlichsten erscheint aus
heutiger Sicht ein Technologie-Mix, dierenziert nach
unterschiedlichen Anwendungen. Es ist daher kontra-
produktiv (und entspricht einer „Anmaßung von Wis-
sen“ im Sinne von Friedrich August von Hayek), sich hier
einseitig auf eine Technologie festzulegen.
Prof. Dr. Achim Lerch
FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Kassel
© Der/die Autor:in 2024. Open Access: Dieser Artikel wird unter der
Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröf-
fentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).
Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum
Wirtschaft gefördert.
DOI: 10.2478/wd-2024-0061
Wirtschaftsdienst, 2024, 104(4), 222
JEL: L62, L91, Q56
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