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MNU-Journal − Ausgabe 02.2024 − ISSN 0025-5866 − © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
Zur Diskussion gestellt
Kompetenzen für den schulischen KI-Einsatz
dittmar graf
Der Beitrag geht auf den Einsatz generativer KI-Technologien im Bildungswesen ein und stellt zwölf essenzielle Kompetenzen
zur Diskussion, die für den sachgerechten Umgang mit diesen Technologien erforderlich sind. Das Erreichen dieser Kompe-
tenzen sollte gezielt durch Unterrichtsmaßnahmen unterstützt werden.
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BIOLOGIE
1 Einführung
Seit 2022 wird sich in der gesellschaftlichen Diskussion ver-
stärkt mit sogenannter generativer künstlicher Intelligenz (KI)
auseinandergesetzt. Darunter werden Technologien im Bereich
des maschinellen Lernens verstanden, die darauf trainiert sind,
neue Daten zu erzeugen, die ähnliche Muster, Eigenschaften
oder Strukturen wie die Daten in ihrem Trainingsmaterial auf-
weisen. Diese Art von KI kann für die Erstellung von Inhalten
verwendet werden, darunter Texte, Bilder, Musik oder Sprache.
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Zur Diskussion gestellt KI-Einsatz
Im schulischen Kontext werden aktuell insbesondere textgene-
rierende KIs diskutiert. Bildergenerierende Künstliche Intelli-
genzen erzeugen zwar beeindruckende, künstlerisch anmu-
tende Bilder (Abb. 1), diese entsprechen jedoch nur teilweise
den vorgegebenen Eingaben (den sogenannten Prompts). Daher
eignen sie sich nur bedingt für die gezielte Erstellung von
Graken oder bildlichen Abbildungen für den naturwissen-
schaftlichen Unterricht.
Abb 1. Mit der bildgenerierenden KI Midjourney durch den
Prompt: „AI and brain“ erzeugtes Bild.
Bekanntestes Beispiel für eine textgenerierende KI ist ChatGPT,
das im November 2022 veröffentlicht wurde. Als Chatbot nutzt
es ein umfangreiches Sprachmodell, bekannt als GPT (Genera-
tive Pre-trained Transformer). Solche großen Sprachmodelle
werden mithilfe riesiger Textkorpora darauf trainiert, mensch-
liche Sprache zu verstehen, zu erzeugen und mit Menschen zu
interagieren. Kürzlich wurde Microsoft Copilot eingeführt, eine
KI, die innerhalb der verschiedenen Ofce-Anwendungen bei
Texterstellung, -zusammenfassung, -bearbeitung und -forma-
tierung assistiert. Der Markt für textgenerierende KI-Technolo-
gien ist momentan insgesamt sehr uide und teilweise unüber-
sichtlich. Ständig erscheinen neue Modelle, von denen jedoch
bislang nicht alle in Deutschland verfügbar sind.
Abb. 2. Zumindest gelegentliche Nutzung von ChatGPT bei
Schüler/inne/n verschiedener Altersstufen in %. N
=
1200
(Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2023).
0 10 20 30 40 50 60
12-13
14-15
16-17
18-19
Altersstufe in Jahren
Bereits im Mai bzw. Juni 2023 hatte laut einer Befragung
(Medien pädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2023) ein
Großteil der Schüler/innen ChatGPT verwendet (Abb. 2). Aus
einer leider nur unzureichend dokumentierten Befragung mit
702 Schüler/inne/n, Studierenden und Auszubildenden in
Deutschland aus der zweiten Jahreshälfte 2023 geht hervor,
dass bereits 68 % der Befragten textgenerierende Tools wie
ChatGPT zur Erstellung von Haus- oder Studienarbeiten genutzt
hatten (Congstar, 2023). Die Zahl dürfte seitdem noch weiter in
die Höhe gegangen sein.
ChatGPT liefert oft Texte von hoher Qualität, die sich kaum von
Menschen formulierten Antworten unterscheiden lassen. Regel-
mäßig tendieren KI-Textgeneratoren allerdings dazu, Informa-
tionen zu generieren, die nicht auf Fakten basieren (graf,
2023) − ein Phänomen, das oft als „Halluzinieren“ oder passen-
der als „Fabulieren“ bezeichnet wird. Dies stellt eine signi-
kante Herausforderung dar. Daher ist es ratsam, Informationen,
die von ChatGPT bereitgestellt werden, durch traditionelle
Internetrecherchen oder das Überprüfen mit Hilfe von Fach-
literatur oder auch Schulbüchern zu hinterfragen.
Es muss davon ausgegangen werden, dass Schüler/innen
ChatGPT oder ähnliche KI nutzen, um Hausaufgaben und schu-
lische Aufgaben zu erledigen, ohne einen eigenen intellektuellen
Beitrag zu leisten. Obwohl regelmäßig von KI-Detektoren
berichtet wird, die fähig sein sollen, subtile Unterschiede in
Stil, Struktur und Sprachmustern zwischen KI-generierten und
menschgemachten Texten zu identizieren, zeigt sich in der
praktischen Anwendung, dass diese Detektoren − zumindest
bislang - häug nicht zuverlässig funktionieren.
Angesichts der zunehmenden Präsenz von Chatbots im digitalen
Alltag der Schüler/innen, ist die Integration in den unterricht-
lichen Kontext unausweichlich. Die Ständige Wissenschaftliche
Kommission der Kultusministerkonferenz spricht sich für den
Einsatz von Chatbots ab der achten Klasse aus. Dieser Empfeh-
lung liegt die nachvollziehbare Intention zugrunde, zunächst
essenzielle Schreib- und Lesekompetenzen aufzubauen (SWK,
2024) Außerdem sollte grundlegendes Fachwissen vor der Ver-
wendung von Chatbots etabliert sein. Es ist von essenzieller
Bedeutung, didaktisch fundierte Szenarien für den angemesse-
nen Einsatz von Chatbots im Unterricht zu entwickeln. Ziel ist
es, die Lernenden zu befähigen, die Potenziale von KI-gestützten
Werkzeugen zu nutzen, während sie gleichzeitig lernen, Heraus-
forderungen, wie dem Umgang mit erfundenen Ergebnissen und
ethischen Fragestellungen, zu bewältigen. Die Förderung von
Grundkompetenzen und die schulische Unterstützung in diesem
Bereich sind entscheidend, um eine ausgewogene und wirkungs-
volle Integration von Chatbots in den Lehr- und Lernprozess
sicherzustellen. Nachfolgend werden Kompetenzen erörtert,
denen nach Ansicht des Autors in diesem Kontext eine besondere
Bedeutung zukommt. Lehrkräfte und Lehramtsstudierende
sollten natürlich über dieselben Kompetenzen verfügen. Der
Vorschlag ist als Ausgangspunkt für Diskussionen zu verstehen
und könnte möglicherweise Anpassungen und Erweiterungen
erfordern.
2 Kompetenzen
In Kasten 1 sind zwölf Kompetenzen aufgeführt, die im Unter-
richt und darüber hinaus für den sachgerechten Umgang mit
textgenerierenden Chatbots, die auf großen Sprachmodellen
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Zur Diskussion gestellt KI-Einsatz
basieren, essenziell sind. Zunächst steht die Kommunikations-
fähigkeit im Mittelpunkt (Kompetenzen 1 und 2), die es ermög-
licht, klare und präzise Fragen oder Aussagen (Prompts) zu for-
mulieren, damit Chatbots passende Antworten liefern können.
Eng damit verbunden ist das Verständnis digitaler Werkzeuge
(Kompetenzen 3 − 5), speziell die Funktionsweise und Grenzen
von Chatbots, einschließlich ihrer Antwortmechanismen auf
Wortverbindungen.
Darüber hinaus ist die Fähigkeit zur kritischen Analyse und
Bewertung von zentraler Bedeutung (Kompetenzen 6−7). Diese
Kompetenzen befähigen Lernende, die Antworten von Chatbots
kritisch zu hinterfragen, die Genauigkeit und Qualität der
gelieferten Informationen zu überprüfen und bei Bedarf zusätz-
liche Recherchen anzustellen. Flexibilität ist ebenfalls ent-
scheidend (Kompetenz 8), da sie es den Lernenden ermöglicht,
sich kontinuierlich auf neue Funktionen und Konventionen ein-
zustellen, um langfristig effektiv mit Chatbots zu interagieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Bewusstsein für ethische
und soziale Implikationen (Kompetenz 9). Dies beinhaltet das
Verständnis, dass Chatbots weder Emotionen noch ein Bewusst-
sein besitzen, die Reexion über die möglichen Auswirkungen
ihres Einsatzes (Kompetenz 10) auf die Aufgabenbewältigung
und die kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise,
wie Nutzerdaten von KI-Systemen gesammelt und verwendet
werden (Kompetenz 11). Er umfasst ebenfalls die Sensibilisie-
rung für das Risiko, dass KI Vorurteile und stereotype Aussagen
produzieren könnte, sowie die Kompetenz, solche Inhalte kri-
tisch zu hinterfragen (Kompetenz 12).
Die genannten Kompetenzen sollen Lernenden nicht nur ermög-
lichen, die Potenziale und Grenzen textgenerierender KI im
Bildungs- und späteren Berufskontext zu nutzen, sondern auch
eine kritische Reexion und verantwortungsvollen Umgang mit
diesen Technologien fördern. Neben den aufgeführten Fähig-
keiten spielen zudem Kenntnisse über die jeweils geltenden
rechtlichen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle.
Neben der Weiterentwicklung des Kompetenzkatalogs wäre es
wünschenswert, Lehr-Lern-Konzepte zu erarbeiten, die den
Erwerb dieser Kompetenzen unterstützen. Ebenso sollten
bestehende Materialien geprüft werden, inwiefern sie zur För-
derung dieser Fähigkeiten beitragen können.
Literatur
Congstar (2023). Repräsentative Umfrage: Bildungseinrichtungen stehen
für Gen Z bei der Informationsbeschaffung auf dem letzten Platz.
https://www.mynewsdesk.com/de/congstar/pressreleases/
repraesentative- umfrage-bildungseinrichtungen-stehen-fuer-gen-z-bei-der-
informationsbeschaffung-auf-dem-letzten-platz-3294056.pdf (9.2.2024).
graf, D. (2023). Ist ChatGPT ein Fabulant? MNU-Journal 76(2), 92−93.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.) (2023).
JIM-Studie 2023 − Jugend, Information, Medien. Stuttgart: LFK.
https://www.mpfs.de/leadmin/les/Studien/JIM/2022/JIM_2023_web_
nal_kor.pdf (10.2.2024).
SWK − Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonfe-
renz (Hg.) (2024). Large Language Models und ihre Potentiale im Bildungs-
system. Bonn: KMK. https://www.kmk.org/leadmin/Dateien/pdf/KMK/
SWK/2024/SWK-2024-Impulspapier_LargeLanguageModels.pdf (11.2.2024).
Prof. Dr. dittMar graF, dittmar.graf@didaktik.bio.uni-giessen.de,
Karl-Glöckner-Str. 21c, 35394 Gießen, war Hochschullehrer für
Biologiedidaktik an der JLU Gießen und über 30 Jahre Mitheraus-
geber des MNU-Journals.
Die Lernenden sind in der Lage …
1. klare und präzise Fragen zu formulieren bzw. Aussagen
zu machen (Prompts), um eine passgenaue Antwort
vom Chatbot zu erhalten.
2. eine effektive Kommunikation mit Chatbots aufrecht-
zuerhalten, indem sie sprachliche Konventionen und
das Eingabeformat des Bots berücksichtigen.
3. die grundlegende Funktionsweise vom Chatbot zu er-
klären, einschließlich seiner begrenzten Fähigkeit, auf-
grund von Mustern in Wortverbindungen zu antworten.
4. zu erläutern, wie Chatbots im Prinzip arbeiten, welche
Datenquellen sie nutzen und welche Einschränkungen
sie haben.
5. die Grenzen von Chatbots zu erkennen und zu verstehen,
was angemessene Erwartungen an ihre Antworten sind.
6. Antworten des Chatbots sachgerecht zu analysieren
und zu bewerten, indem sie die Richtigkeit und
Qualität der Antworten überprüfen und gegebenenfalls
weitere Informationen einholen.
7. kritisch zu denken und zu bewerten, ob die Antworten
von Chatbots angemessen und korrekt sind, indem sie
diese im Kontext der gestellten Frage betrachten.
8. sich an neue Funktionen und Konventionen anzupassen,
um dauerhaft effektiv mit Chatbots arbeiten zu können.
9. zu erkennen und zu benennen, dass Chatbots weder
Emotionen noch Bewusstsein haben und daher anders
als Menschen reagieren.
10. Auswirkungen zu benennen und kritisch zu bewerten,
in welcher Weise der Einsatz von Chatbots Arbeits-
abläufe bei der Beschaffung und Verarbeitung von
Informationen sowie bei der Erstellung und Korrektur
von Texten verändern.
11. zu reektieren, wie Nutzerdaten von der KI gesammelt
und weiterverwendet werden.
12. zu erkennen, wenn ein Chatbot Vorurteile und stereo-
type Aussagen, die im Trainingsmaterial enthalten sind,
unkritisch reproduziert.
Kasten 1. Zwölf grundlegende Kompetenzen zum sachgerechten
Umgang mit Chatbots, wie z. B. ChatGPT