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Betrachtungen zum Tragverhalten von Seilauffangsystemen zur Gefahrenabwehr für Fenster unter Luftstoßwellenbeanspruchung

Authors:

Abstract

Explosionen stellen eine erhebliche Bedrohung für Gebäude dar, insbesondere für herkömmliche, ungeschützte Fenster. Dieser Beitrag befasst sich mit Seilauffangsystemen, die Bruchstücke des Fensters rauminnenseitig auffangen. Der Aufprall sowie die auftretenden Kräfte und Verformungen in den Stahlseilen werden mit numerischen und analytischen Methoden untersucht und mit Versuchsergebnissen aus Stoßrohrversuchen verglichen. Numerische Simulationen ermöglichen eine detaillierte Abbildung des Aufprallvorganges und eignen sich zur Bemessung von derartigen baulichen Schutzmaßnahmen.
Baustatik – Baupraxis 15, © 2024, Technische Universität Hamburg
Betrachtungen zum Tragverhalten von
Seilauffangsystemen zur Gefahrenabwehr für
Fenster unter Luftstoßwellenbeanspruchung
Matthias Andrae1, Jan Dirk van der Woerd1,2, Achim Pietzsch2, Matthias Wagner2,
Norbert Gebbeken1,2
1Institut für Mechanik und Statik, Forschungsgruppe BauProtect, Forschungszentrum
RISK, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
2MJG Ingenieur-GmbH, München
Zusammenfassung: Explosionen stellen eine erhebliche Bedrohung für Gebäude
dar, insbesondere für herkömmliche, ungeschützte Fenster. Dieser Beitrag befasst
sich mit Seilauffangsystemen, die Bruchstücke des Fensters rauminnenseitig
auffangen. Der Aufprall sowie die auftretenden Kräfte und Verformungen in den
Stahlseilen werden mit numerischen und analytischen Methoden untersucht und
mit Versuchsergebnissen aus Stoßrohrversuchen verglichen. Numerische
Simulationen ermöglichen eine detaillierte Abbildung des Aufprallvorganges und
eignen sich zur Bemessung von derartigen baulichen Schutzmaßnahmen.
1 Seilauffangsysteme für Fenster unter Explosionslasten
In den letzten Jahrzehnten hat der außergewöhnliche Lastfall Explosion für Tragwerke und
Gebäudehüllen an Bedeutung gewonnen. Ursachen sind militärische Konflikte,
Bombenanschläge oder Unfälle. Eine besondere Schwachstelle in der Gebäudehülle sind
Fenster und Türen, die beim Auftreffen der Luftstoßwelle der Explosion versagen können.
Umherfliegende Glasbruchstücke und Bruchstücke des Fensterrahmens können bei Personen
schwere Verletzungen wie Schnitt-, Riss- und Quetschwunden hervorrufen. Darüber hinaus
dringt die Luftstoßwelle durch die neu entstandene Öffnung in das Gebäude ein.
Für neu zu errichtende Gebäude besteht die Möglichkeit, nach der Festlegung des
Bedrohungsszenarios und des gewünschten Schutzniveaus, eine spezielle
druckwellenhemmende Gebäudehülle zu planen und auszuführen. In vielen Fällen stehen
jedoch bereits existierende Gebäude im Fokus, die nachträglich gegen potenzielle
Explosionsgefahren abgesichert werden sollen. Eine Maßnahme besteht darin,
Seilauffangsysteme anzuordnen, die dazu dienen, die Bruchstücke des Fensters aufzufangen.
Die Seile können sowohl vertikal im Boden und in der Decke als auch horizontal zwischen
den Fensterlaibungen verankert sein. Zusätzlich zu den Seilen ist immer die Anbringung von
Splitterschutzfolien auf den Verglasungen notwendig. Durch eine Klebstoffschicht bleiben
die Glasbruchstücke an der Folie haften, was verhindert, dass die Bruchstücke unkontrolliert
in den Schutzbereich geschleudert werden, sobald sie auf das Seilauffangsystem treffen.
Für die Auslegung und Bemessung von Seilauffangsystemen sind die Seil- und
Verankerungskräfte von besonderem Interesse. Im vorliegenden Beitrag werden die
maßgebenden Einflussgrößen auf die resultierenden Seil- und Verankerungskräfte
untersucht. Die Ergebnisse von Sprengversuchen an Kunststofffenstern mit
Seilauffangsystemen werden analysiert. Analytische Überlegungen und eine numerische
Methode zur Abbildung des Belastungsszenarios werden vorgestellt. Abschließend werden
die experimentellen Messdaten und die Ergebnisse der numerischen Simulation miteinander
verglichen.
2 Stoßrohrversuche mit Seilauffangsystemen
Als Fallbeispiel für die Betrachtungen in diesem Beitrag dienen die experimentellen Studien
zur Wirksamkeit von Seilauffangsystemen aus Andrae et al. [1], die in der
Stoßrohrversuchsanlage Blast−STAR des Fraunhofer Ernst-Mach-Instituts für
Kurzzeitdynamik (EMI) durchgeführt wurden. In allen vier Sprengversuchen wurde der
Flügel des Kunststofffensters vom Blendrahmen abgerissen und in das Seilauffangsystem
geschleudert (Abbildung 1). Im Folgenden wird auf den Versuchsaufbau und die gemessenen
Kräfte im Seilauffangsystem eingegangen.
Abbildung 1: Aufprall eines abgerissenen Fensterflügels auf ein Seilauffangsystem
(Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahme)
Übersicht zum Versuchsaufbau und zur Versuchsdurchführung
In der Versuchsreihe wurden ertüchtigte Kunststofffenster mit Außenabmessungen von
1115 mm x 1365 mm (Breite x Höhe) untersucht. Die Fenster waren mit einer
herkömmlichen Zweifach-Isolierverglasung mit 4 mm dicken Glasscheiben aus thermisch
entspanntem Flachglas ausgestattet (Abbildung 2a). Auf der Schutzseite der Verglasung
(explosionsabgewandt) wurde eine Splitterschutzfolie aufgebracht. Bei den Sprengversuchen
zeigte sich jedoch, dass zukünftig sowohl auf der Schutzseite als auf der Angriffsseite
Splitterschutzfolien aufgebracht werden sollten, um die Anzahl der weiterfliegenden
Glasbruchstücke, vor allem von der Angriffsseite, zu reduzieren [1].
Abbildung 2: a) Querschnitt durch das erprobte Kunststofffenster mit Splitterschutzfolie,
b) vor dem Fenster angeordnetes Seilauffangsystem
Das Seilauffangsystem (Abbildung 2b) wurde ebenfalls auf der Schutzseite des Fensters
angeordnet. Es bestand aus zwei vertikal ausgerichteten Rundlitzenseilen, mit einer Länge
von jeweils 1640 mm. Die Rundlitzenseile hatten einen metallischen Querschnitt von
26,5 mm² (Seildurchmesser 8 mm). Zur Verankerung der Rundlitzenseile wurden M12
Gewindefittings angebracht. Das Seilsystem kann gemäß der Zulassung ETA-10/0358 eine
statische Bruchlast 𝐹 von 21 kN aufnehmen. Die Rundlitzenseile wurden an der
Fensterbrüstung (Auflager A, Abbildung 2b) starr (unverschieblich) am Stoßrohr befestigt,
am Fenstersturz (Auflager B) erfolgte hingegen eine flexible Befestigung mit Druckfedern.
Die eingesetzten Druckfedern hatten eine Federsteifigkeit 𝑘 von 71 N/mm und konnten
einen maximalen Federweg 𝑠 von 15 mm durchlaufen.
Die Eigenschaften des erprobten Seilauffangsystems sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Seildurchmesser
(Querschnitt)
Statische
Bruchlast [kN]
Federsteifigkeit [N/mm] Maximaler
Federweg [mm]
𝑠

Rundlitzenseil
𝑘

Druck-Feder
𝑘

8 mm (26,
5
mm²)
21
1455
7
1
15
Tabelle 1: Übersicht zu den mechanischen Eigenschaften des Seilauffangsystems
Messtechnische Erfassung der Versuche
Die Einstellungen der Stoßrohrversuchsanlage wurden so gewählt, dass der erzeugte Luftstoß
der Prüflast für eine ER1-Klassifizierung nach DIN EN 13541:2012 entspricht. Der Druck-
Zeit-Verlauf der Luftstoßwelle wurde mit zwei Druckmesssensoren auf der Höhe des
Fensters gemessen. Bei den Versuchen wurde ein mittlerer reflektierter Spitzenüberdruck
von 66,7 kPa und ein reflektierter maximaler reflektierter Impuls von 417 kPa ms gemessen.
Während diese beiden Messwerte der Prüflast für eine ER1-Klassifizierung entsprechen,
wurde eine etwas zu geringe mittlere Überdruckdauer von 18,3 ms erreicht.
Um die Reaktion des Fensters zu erfassen, wurden die Versuche mit zwei
Hochgeschwindigkeits-Videokameras von der geschützten Seite aus beobachtet. Die
Verschiebungen der Fenster wurden dabei durch digitale Bildkorrelation (DIC) mit dem
Verfahren gemäß Schneider et al. [6] bestimmt. Gemessene Verschiebungs- und
Geschwindigkeits-Zeit-Verläufe am Flügelrahmen und an der Verglasung sind in Abbildung
3a dargestellt. Die Geschwindigkeit wurde durch numerische Differentiation der
Verschiebungs-Zeit-Verläufe berechnet. Der Mittelwert der gemessenen
Aufprallgeschwindigkeiten aus allen vier Versuchen liegt bei etwa 10 m/s.
Abbildung 3: a) Verschiebung und Geschwindigkeit der Fensterbruchstücke;
b) gemessene Kräfte im Seilauffangsystem
Beim Aufprall der Bruchstücke des Fensters auf das Seilauffangsystem entstehen Zugkräfte
in den Seilen, aus deren Reaktion die Seile gedehnt und die Druckfedern gestaucht werden.
Die dynamischen Zugkräfte wurden mit Kraftaufnehmern an den Seilverankerungen am
Auflager A gemessen (Abbildung 2b). Abbildung 3b zeigt die gemessenen Kraft-Zeit-
Verläufe aus einem der Versuche. Grundsätzlich lassen sich der Zeitpunkt 𝑡 der
maximalen Seilkraft 𝐹 mit dem anschließenden Abbremsvorgang des Fensters in
Verbindung bringen (Abbildung 3). Es wurden maximale Seilkräfte von ca. 21,3 kN
gemessen. Ein Bruch der Seile trat nicht auf.
3 Analytische und numerische Untersuchung der
Tragwirkung von Seilauffangsystemen
Im Folgenden wird auf die Modellierung des Belastungsszenarios eingegangen. Ein
analytisches Verfahren zur Lösung wird diskutiert und ein numerisches Modell vorgestellt.
Die Simulationsergebnisse werden mit den experimentellen Daten verglichen.
Modellbildung
Zunächst ist zu klären, ob es sich bei dem untersuchten Belastungsszenario um ein reines
Aufprallszenario handelt oder ob zusätzlich eine Luftstoßbelastung auf den abgerissenen
Fensterflügel einwirkt. Aus der Messung der einwirkenden Explosionsbelastung ist bekannt,
dass die positive Druckphase der Luftstoßwelle nach 18,3 ms abklingt. Die Krafteinleitung
in die Seile beginnt hingegen erst nach durchschnittlich 16,5 ms (Abbildung 3b). Das
untersuchte Belastungsszenario wird daher als reines Aufprallszenario betrachtet, ohne
zusätzliche Luftstoßeinwirkung.
Das Aufprallszenario wird durch die Masse, die Geschwindigkeit und die Steifigkeit des
auftreffenden Fensterflügels charakterisiert. Die Masse des Fensterflügels beträgt ca. 42 kg
und die mittlere Aufprallgeschwindigkeit 10 m/s. Aus den Hochgeschwindigkeits-
Videoaufnahmen der Versuche in Abbildung 1 geht hervor, dass der Glasbruch und der Bruch
der Rahmenecken des Fensters bereits vor dem Aufprall auftraten. Der Fensterflügel prallt
somit in einem vorgeschädigten Zustand auf das Seilauffangsystem auf. Weiterhin ist
folgender Ablauf des Aufpralles erkennbar (Abbildung 4):
1) Der relativ steife Flügelrahmen wirkt nahe an den Verankerungen punktuell auf das
Seilauffangsystem ein. Das Seil wird an den Aufprallpunkten des Fensterrahmens
umgelenkt.
2) Die weiche Splitterschutzfolie mit anhaftenden Glasbruchstücken wirkt flächig auf das
Seilauffangsystem ein. Die Folie schmiegt sich entsprechend an das Seil an.
Abbildung 4: Aufprall des Fensterflügels auf das Seilauffangsystem (schematisch)
Die Reaktion des Seilauffangsystems wird bestimmt durch:
die Anzahl der Auffangseile n;
die Länge l, den Querschnitt A und den E-Modul E der Seile; sowie
die Federsteifigkeit k der Seilendverankerung.
Die angeordnete Druckfeder kann in der ausgeführten Versuchsanordnung nur einen
begrenzten Federweg 𝑠 zurücklegen, bis die Feder vollständig zusammengedrückt ist. Die
Druck-Feder verhält sich beim Zusammendrücken zunächst linear-elastisch und nach dem
Anschlagen annähernd starr. Die nichtlineare Steifigkeit kges des Seiles bestimmt sich zu:
 =
 +
 𝑓ü𝑟 𝑠 𝑠
0 𝑓ü𝑟 𝑠 > 𝑠 .
Die entsprechenden Kennwerte der Federsteifigkeit können Tabelle 1 entnommen werden.
Analytischer Lösungsansatz
In der Literatur finden sich zahlreiche analytische Lösungen des Seilmodells unter statischer
Belastung, z. B. in Petersen [5]. Der Aufprall des Fensterrahmens stellt jedoch eine
dynamische Belastung dar, für die dynamische Effekte wie Massenträgheit berücksichtigt
werden müssen. Eine analytische Lösung kann beispielsweise mit einem
Einmassenschwinger-Modell gefunden werden (vgl. Biggs [2]).
Bei der analytischen Lösung mit dem Einmassenschwinger-Modell sind nichtlineare Ansätze
zu berücksichtigen, wie beispielsweise bei der Ermittlung der Ersatzfedersteifigkeit, die von
der Verformung des Seils in Wechselwirkung mit dem Fenster abhängt. Außerdem muss ein
geeigneter Kraft-Zeit-Verlauf (z. B. Sinushalbwelle) gefunden werden, der den
Aufprallvorgang abbildet. Dies kann sich auf Basis des in Abbildung 4 gezeigten Aufprall-
Ablaufes als sehr herausfordernd darstellen. Der Kraft-Zeit-Verlauf ist dabei abhängig von
der Steifigkeit des Seilauffangsystems und der Steifigkeit des Fensters.
(1)
Im Folgenden wird ein FE-Modell zur numerischen Simulation vorgestellt, mit dem der
Aufprallvorgang explizit abgebildet werden kann.
Numerische Simulation des Aufprallvorgangs
Numerische Simulationen bieten die Möglichkeit die Wechselwirkung des Fensterflügels mit
dem Seilauffangsystem explizit abzubilden. Die Annahme eines Kraft-Zeit-Verlaufes, der
den Aufprall des Objektes wiedergibt, ist dabei nicht erforderlich. Im Folgenden wird knapp
auf das in Abbildung 5 gezeigte numerische 3D-Gesamtmodell des Flügelrahmens und des
Seilauffangsystems eingegangen.
Abbildung 5: FE-Simulation des Aufprallvorgangs
Modellbildung
Das in Abbildung 5 dargestellte 3D-Gesamtmodell setzt sich aus dem aufprallenden
Fensterflügel und dem Seilauffangsystem zusammen. Das Seilauffangsystem wird mit Seil-
und Feder-Elemente abgebildet. Die Komponenten des Fensterflügels, wie die
Rahmenprofile, die Profilverstärkungen, die Verglasung und die Beschlagschiene bestehen
aus unterintegrierten Belytschko-Lin-Tsay-Schalen-Elementen. Null-Energie-
Verformungen werden mit der Flanagan-Belytschko Formulierung zur Hourglass-Kontrolle
vermieden. Die Schutzfolie wird mit Volumenelementen diskretisiert.
Das Werkstoffverhalten der Komponenten wird durch geeignete, teilweise nichtlineare
Materialformulierungen beschrieben. Da eine Schädigung ausgeschlossen wird, werden die
Seile mit einer elastischen Materialformulierung (E-Modul = 90 000 MPa) abgebildet. Die
Steifigkeit der Druckfedern wird nach Gleichung (1) berechnet. Es wird berücksichtigt, dass
sich die Druckfedern bis zu einer Verformung 𝑠 von 15 mm mit der Federsteifigkeit 𝑘
linear-elastisch verformen können, bis die Federn vollständig zusammengedrückt sind. Die
Fensterrahmen aus Kunststoff (PVC-U) und die Schutzfolien (BO-PET) werden mit
entsprechenden elastisch-plastischen Materialformulierungen abgebildet [3, 4]. Das spröde
Versagen der Rahmenecken des Flügelrahmens wird über Element-Erosion beschrieben. Zur
Modellierung des Werkstoffverhaltens der Glasscheiben wird die LS-DYNA
Materialformulierung *MAT_GLAS gewählt. Die Materialformulierung verfügt über ein
Schädigungsmodell, mit dem das Nachbruchverhalten und die Rissbildung mit
Rissschließungseffekten abgebildet wird. Ab einer Dehnung von 1% wird Element-Erosion
angewendet. Die Schiene des Beschlagsystems und die Profilverstärkungen bestehen aus
Edelstahl mit Materialeigenschaften in Anlehnung an DIN EN 1993-1-4:2015-10.
Die Wechselwirkung zwischen den Komponenten des numerischen Kunststofffensters und
dem Seil während des Aufprallvorgangs wird mit penalty-basierten Kontaktformulierungen
abgebildet. Als Initialbedingungen werden alle Elemente des Kunststofffensters mit einer
Geschwindigkeit von 10 m/s beaufschlagt.
Vergleich der numerischen Simulation und der experimentellen Ergebnisse
Der in Abbildung 5 gezeigte Aufprallvorgang des Fensterflügels auf das Seilauffangsystem
stimmt qualitativ gut mit den Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahmen aus Abbildung 1
überein. Zur Validierung der Simulation werden die aufgezeichneten Messdaten aus
Abbildung 3 (Verschiebung und Seilkräfte) herangezogen.
Die Verschiebungs-Zeit-Verläufe am Flügelrahmen und an der Verglasung (Abbildung 6a)
sowie die Kraft-Zeit-Verläufe in den Seilen (Abbildung 6b) stimmen ebenso relativ gut mit
den experimentellen Verläufen überein. Die numerische Simulation überschätzt die
maximale Verschiebung aus dem Experiment um ca. 20% (maximal ca. 25 mm). Die
auftretenden Seilkräfte werden um ca. 12% geringfügig überschätzt (maximal ca. 5 kN).
Abbildung 6: Verschiebungs- und Kraft-Zeit-Verläufe aus Experiment und Simulation
Insgesamt zeigt sich, dass die durchgeführte numerische Simulation sehr gut dazu geeignet
ist die Wechselwirkungen zwischen dem aufprallenden Flügelrahmen und dem
Seilauffangsystem abzubilden. Die dennoch aufgetretenen Differenzen zwischen den
experimentellen Werten und den Simulationsergebnissen ergeben sich möglicherweise aus
den unterschiedlichen Steifigkeiten des Fensterflügels beim Aufprall. Im Experiment war der
aufprallende Fensterflügel bereits vorgeschädigt, beispielsweise an den Rahmenecken und
der Verglasung (Abbildung 1). In der Simulation prallte hingegen ein vollständig
ungeschädigter Fensterflügel auf das Seilauffangsystem auf. Die höhere Steifigkeit des
aufprallenden Fensterflügels in der Simulation könnte zu höheren Seilverformungen und
Seilkräften führen als im Experiment.
4 Zusammenfassung und Ausblick
Explosionen stellen eine außergewöhnliche Einwirkung für Gebäude und insbesondere für
die Gebäudehülle dar. Eine Möglichkeit zur Minderung der Gefährdung ist die Anordnung
eines Seilauffangsystems in Kombination mit Splitterschutzfolien. Dabei ist sicherzustellen,
dass die auftretenden Seilkräfte in die angrenzenden Bauteile abgetragen werden können.
Im vorliegenden Beitrag lag der Fokus auf der Untersuchung des Trag- und
Verformungsverhaltens eines Seilauffangsystems beim Aufprall eines Fensterflügels. Die
Ergebnisse von experimentellen Untersuchungen in einer Stoßrohrversuchsanlage wurden
vorgestellt und analysiert. Für die weitere Untersuchung wurde das Belastungsszenario als
reines Aufprallszenario betrachtet, da die Luftstoßeinwirkung zum Aufprallzeitpunkt bereits
nahezu abgeklungen war.
Ein analytischer Lösungsansatz mit einem Einmassenschwinger-Modell wurde nicht
verfolgt, da eine Vielzahl von Annahmen über den Aufprallvorgang und den Kraft-Zeit-
Verlauf des Stoßes getroffen werden müssen. Es wurde hingegen gezeigt, das numerische
Simulationen den Aufprallvorgang qualitativ und quantitativ abbilden können, ohne die
Annahme eines Kraft-Zeit-Verlaufes als Ersatzlast. Die beobachteten geringfügigen
Abweichungen zwischen den simulierten und gemessenen Seilkräften und Verschiebungen,
könnten auf Variationen in der nicht erfassten Vorschädigung des Fensterflügels durch die
Luftstoßwelle zurückgeführt werden. Für zukünftige Untersuchungen wird empfohlen, diese
Einflussfaktoren in das Modell zu integrieren, um eine noch präzisere Abbildung des realen
Aufprallgeschehens zu erreichen.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei der Abteilung II.4 des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz
und Katastrophenhilfe für die finanzielle Förderung der Studie. Weiterhin bedanken sie sich
beim Fraunhofer Ernst-Mach-Institut für Kurzzeitdynamik für die Durchführung der
Versuche.
Literatur
[1] ANDRAE, M., VAN DER WOERD, J.D., PIETZSCH, A., WAGNER, M. und
GEBBEKEN, N. Experimental Investigations on the Effectiveness of Anti-Shatter Films
and Catcher-Cable Systems on Conventional Windows for Hazard Mitigation during
Blast Events, Buildings, Vol. 13, (Submitted).
[2] BIGGS, J.M. Introduction to Structural Dynamics, McGraw-Hill Book Company, 1964.
[3] MOURA, R.T., CLAUSEN, A.H., FAGERHOLT, E., ALVES, M. und LANGSETH,
M. Impact on HDPE and PVC plates–experimental tests and numerical simulations,
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[4] DE PAUW, S. Experimental and Numerical Study of Impact on Window Glass Fitted
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[5] PETERSEN, C. Stahlbau, Friedrich Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, 1993.
[6] SCHNEIDER, J., VON RAMIN, M., STOTTMEISTER, A. und STOLZ, A.
Characterization of debris throw from masonry wall sections subjected to blast,
Engineering Structures, Vol. 203, (2019).
... Given these complexities, an analytical approach proves cumbersome. Numerical simulations utilizing a detailed finite element model of the window may provide a more effective solution to overcome these challenges [35]. ...
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Experimental Investigations on the Effectiveness of Anti-Shatter Films and Catcher-Cable Systems on Conventional Windows for Hazard Mitigation during
  • M Andrae
  • J D Van Der Woerd
  • A Pietzsch
  • M Wagner
  • N Gebbeken
ANDRAE, M., VAN DER WOERD, J.D., PIETZSCH, A., WAGNER, M. und GEBBEKEN, N. Experimental Investigations on the Effectiveness of Anti-Shatter Films and Catcher-Cable Systems on Conventional Windows for Hazard Mitigation during Blast Events, Buildings, Vol. 13, (Submitted).