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Wahlverwandtschaften? Trans-Identifizierung und Anorexia nervosa als maladaptive Lösungsversuche für Entwicklungskonflikte in der weiblichen Adoleszenz

Authors:
Elective Affinities? Trans-
Identification and Anorexia
Nervosa as Maladaptive Attempts
to Solve Developmental Conflicts in
Female Adolescence
Abstract
The number of minors who believe they are „the wrong gen-
der“ and seek sex reassignment has increased exponentially
in recent years. It is striking that over 80 percent of affected
gender dysphoric adolescents who wish to undergo body modi-
fication procedures and legal measures are now girls. The draft
of the so-called „Self-Determination Act“ (Self-ID) stipulates
that minors who have reached the age of 14 should be able
to submit a corresponding application to the relevant registry
office without any preconditions. In view of this, it is all the more
important to analyze the causes of the observed epidemiological
shifts. Above all, it must be critically reflected whether transgen-
der identification might also be a maladaptive solution strategy
for quite a few adolescent girls to avoid the pressure from the
significant developmental tasks and adjustment requirements
of female puberty. In order to gain a deeper understanding
of this point, it is helpful to look at the analogies between a
newly occurring gender incongruence that first manifests itself
in early or middle adolescence and anorexia nervosa, and to
work out the underlying developmental psychological causes of
female puberty and adolescence in particular. Based on this,
and following a brief discussion of different approaches to the
treatment of gender dysphoric children and adolescents, pos-
sibilities for medical prevention are presented.
Keywords: Female puberty, Body dysphoria, Anorexia nervosa,
Gender incongruence, Transsexuality, Self-Determination Law
Zusammenfassung
Die Anzahl von Minderjährigen, die sich „im falschen
Ge schlecht“ wähnen und eine „Geschlechtsänderung“ an stre-
ben, ist in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Da bei
sticht ins Auge, dass mittlerweile über 80% der betroffe nen
gen dersdysphorischen Jugendlichen mit Wunsch nach körper-
modifizierenden und juristischen Maßnahmen Mädchen sind.
Der Entwurf des sog. „Selbstbestimmungsgesetzes“ sieht vor,
dass auch Minderjährige mit Vollendung des 14. Lebensjahres
voraussetzungslos einen Antrag auf Personenstandsänderung
beim zuständigen Standesamt sollen abgeben können. In
Anbetracht dessen gilt es umso mehr, die Ursachen für die
beobachteten epidemiologischen Verschiebungen zu ana-
lysieren. Kritisch reflektiert werden muss vor allem, ob die
transgeschlechtliche Identifizierung für nicht wenige jugendli-
che Mädchen eine maladaptive Lösungsstrategie sein könnte,
dem Druck durch die immensen Entwicklungsaufgaben und
Anpassungserfordernisse der weiblichen Pubertät auszuwei-
chen. Um in diesem Punkt zu einem tieferen Verständnis
vorzudringen, ist es hilfreich, die Analogien einer sich in der
Adoleszenz erstmanifestierenden Genderinkongruenz und der
Pubertätsmagersucht in den Blick zu nehmen und die dem
zugrunde liegenden entwicklungspsychologischen Ursachen
speziell der weiblichen Pubertät und Adoleszenz herauszu-
arbeiten. Ausgehend davon werden, nach vorangestellter
Dis kussion unterschiedlicher Ansätze in der Behandlung von
geschlechtsdysphorischen Kindern und Jugendlichen, Mög-
lichkeiten ärztlicher Prävention aufgezeigt
.
Schlüsselwörter: weibliche Pubertät, Anorexie, Kör per dys pho-
rie, Geschlechtsinkongruenz, Trans sexualität, Selbstbestim-
mungs gesetz
Einleitung
Dass die Jugendzeit die schönste Zeit im Leben sei, diese Meinung
kann nur dem chronischen Gedächtnisoptimismus Erwachsener
entsprungen sein. Nie wieder fühlt man und vor allem frau sich
so fremd im eigenen Körper, und nie wieder im Leben ist eine
solche Fülle umwälzender Veränderungen zu verarbeiten wie
in der Pubertät. Ziel und Aufgabe von Pubertät und Adoleszenz
sind die Ich-Integration des sich reifungsbedingt verändernden
Körpers und der Sexualität, der Auau intimer Beziehungen,
die Entwicklung der Fruchtbarkeit und Fortpanzungsfähigkeit,
von Identität, Selbständigkeit, sozialer Kompetenz und von
realistischen Zukunsperspektiven. Diese Vorgänge berühren das
Leben mit all seinen Brechungen, Sehnsüchten und Ängsten und
setzen einerseits Widerstandskra und Durchsetzungsfähigkeit,
andererseits ein hohes Maß an Veränderungsbereitscha,
Flexibilität sowie fortgeschrittene Fähigkeiten zur Emotions-
und Selbstregulation voraus.
Sexuologie 30 (3–4) 2023 / 105–122 / DGSMTW / DOI: 10.61387/sexuologie.2023.34.27
http://www.sexuologie-info.de
Wahlverwandtschaften? Trans-Identifizierung und
Anorexia nervosa als maladaptive Lösungsversuche für
Entwicklungskonflikte in der weiblichen Adoleszenz
Alexander Korte, Gisela Gille
Themenschwerpunkt
106 Alexander Korte, Gisela Gille
Dieser Beitrag richtet sich nicht nur an Kinder- und Jugend-
psychiater:innen und -erapeut:innen. Er ist auch eine Auf-
forderung an alle mit jugendlichen Patientinnen in Kontakt
stehenden Ärztinnen und Ärzte, auch an diejenigen, die im
Rahmen der pädiatrischen und psychosomatischen Grundver-
sorgung (in Krankenhäusern oder im ambulanten Bereich) tätig
sind, sich der spezischen Herausforderungen bzw. besonderen
Probleme speziell der weiblichen Pubertät bewusst zu werden
und die Möglichkeiten ärztlich-therapeutischer Beratung, Un-
terstützung und Sexualaulärung zur Prävention von alters-
phasentypischen psychischen Störungen künig noch ezien-
ter auszuschöpfen.
Dazu werden im Folgenden nach einem einleitenden Über-
blick über die während der Pubertät stattndenden psychi-
schen Wand lungs- und physiologischen Hirnreifungsprozesse
erstens – die zentralen Entwicklungsaufgaben der weiblichen
Ado leszenz und die damit o einhergehenden Schwierigkeiten
erör tert. Dies sind zum einen die erforderliche Festigung einer
neuen Körperidentität, zum anderen die Gestaltung sexueller
Beziehungen inklusive Entwicklung der sexuellen Erlebnis-
fähigkeit. Im Geschlechtervergleich verlaufen sowohl die Ich-
Integration des sich pubertätsbedingt verändernden Körpers
als auch die sexuelle Identitätsndung und Konsolidierung des
eigenen Begehrens in manchen Punkten unterschiedlich. Für
Mädchen sind die dafür notwendigen Entwicklungsschritte
ganz besonders herausfordernd.
Daran anknüpfend werden zweitens evidente Analo-
gien von Geschlechtsdysphorie und Anorexia nervosa disku-
tiert, die unter anderem darin bestehen, dass es sich in beiden
Fällen um körperdysphorische Störungen mit direktem Bezug
zur Sexualität handelt, und dass beide psychische Erkrankun-
gen als maladaptive Lösungsstrategien zur Bewältigung eines
subjektiven Überforderungserlebens während der Adoleszenz
verstanden werden können, welches sich bei weiblichen Jugend-
lichen deutlich häuger einstellt.
Ausgehend von diesen primär entwicklungspsychologisch/
-psychiatrischen Überlegungen und der sich daraus ergebenen
Erweiterung des Blickwinkels werden drittens zum einen
die anhaltende Kontroverse um unterschiedliche Behand-
lungsansätze in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen
mit geschlechtsbezogenem Identitätskonikt (Geschlechtsdys-
phorie) erläutert und die unseres Erachtens entscheidenden
Vo rt e i le e i n er genderkritischen (-explorativen) gegenüber einer
transarmativen erapie dargelegt, zum anderen Möglichkei-
ten und Ansatzpunkte ärztlicher Prävention aufgezeigt.
Moratorium Pubertät
Entwick lungs aufgaben, Hirnrei fungs-
prozesse und Stolpersteine
Bis vor einigen Jahren war es gängige Lehrmeinung, dass
die für die Pubertät und Adoleszenz typischen Verhaltens-
weisen Jugendlicher vorwiegend auf die Wirkung der ge-
schlechtsspezischen Sexualhormone zurückgehen. Mittler-
wei le besteht Konsens, dass Hormone und gerichtete Umbau-
bzw. Re-Organisationsprozesse des Gehirns in dieser Zeit
in einzigartiger Weise interagieren (Giedd et al., 2012). Dabei
ver läu die Reifung des Gehirns sozusagen von „hinten nach
vorn, von den einfacheren zu den höheren Funktionen,
d.h. nicht alle Hirnregionen reifen gleichzeitig oder gleich
schnell. Wahrnehmung, Bewegungssteuerung und räumliche
sowie zeitliche Orientierung oder der Schlaf-Wachrhythmus
werden jetzt, wenn auch o genug inezient, neu justiert,
und zuletzt rei der präfrontale Cortex, der für planendes
Handeln, Abwägen, überlegte Entscheidungen, Besonnenheit
und Impulskontrolle zuständig ist (Krone, 2011). Bestimmte
Ve rh a l te n s we i s en u n d v or ü b e rg e he n d e B e ei n t c ht i g u ng e n si n d
– mit individuellen Unterschieden – bei beiden Geschlechtern
gleichermaßen pubertätstypisch:
Gefühlsschwankungen und Schwierigkeiten der Emoti-
onsregulation
Wechselnd-alternierende Überwertigkeit- und Minder-
wertigkeitsgefühle
Identitäts- und Rollenunsicherheit, Schüchternheit,
„Schamkrise“
Eingeschränkte Fähigkeit zu vorausschauendem Planen
und Handeln
Mangelnder Sinn für Gefahren, riskantes und leichtsinni-
ges Verhalten
Egozentrismus und rebellisches Verhalten, „physiologi-
scher Narzissmus“
Jugendliche suchen neue Erfahrungen, deren Konsequenzen
nicht immer richtig bedacht und deren Risiken vorübergehend
nicht korrekt eingeschätzt werden können viele Wirren der
Pubertät erklären sich aus dieser Abfolge der Hirnreifungs-
prozesse. Die Pubertät ist aber auch eine Zeit, in der Gefühle
Aspekte der psychosexuellen und Identitätsentwicklung
Festigung einer neuen Körperidentität und Ich-Integration des sich im
Zuge der Pubertät wandelnden Körpers; Konsolidierung des geschlechts-
bezogenen Zugehörigkeitsgefühls
Auseinandersetzung mit der sich unter dem Einfluss der (nativen)
Sexualhormone während der Pubertät manifestierenden individuellen
sexuellen Präferenzstruktur
Gestaltung sexueller Beziehungen und Entwicklung der eigenen sexuellen
Identität auf der Grundlage altersgemäßer soziosexueller Erfahrungen
Autonomie/Ablösung von den Eltern, Relativierung des Einflusses der
Herkunftsfamilie und Festlegung eigener Einstellungen, Bewertungskate-
gorien und Wertrangfolgen
Entwicklung realistischer beruflicher Pläne und Lebensentwürfe sowie von
geeigneten Strategien zur eigenen Positionierung unter Gleichaltrigen
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 107
und Verhalten Jugendlicher den Eltern gegenüber besonders
widersprüchlich sein können, gelten doch Individuation und
Ablösung von den primären Bezugspersonen, die Umgestal-
tung der Objektbeziehungen sowie die Relativierung des Ein-
usses der Herkunsfamilie und die Entwicklung eigener Be-
wertungsmaßstäbe als wesentliche Entwicklungsaufgaben der
Adoleszenz. Zudem ist es wichtig und richtig, wenn Eltern dann
auch ihre eigene Meinung geltend machen, auf Regeln beste-
hen, auch mal entschieden „Nein“ sagen. Erzieherische Gleich-
gültigkeit ist auch und gerade in der schwierigen Lebensphase
der Pubertät für Jugendliche verletzend, sie wollen Gewissheit
haben und Grenzen erfahren – sei es nur deshalb damit sie spü-
ren können, wann sie eine Grenze erreichen oder überschrei-
ten. Denn Grenzüberschreitung und Tabubruch können in
der Pubertät durchaus lustvolle Erlebnisse sein und sind auch
notwendig, um eigene Handlungsspielräume und Grenzen aus-
zuloten, was aber nur möglich ist, wenn es Grenzsetzungen gibt.
Spezielle Probleme der weiblichen
Adoleszenz – depressives Selbstkonzept
In den vielen Jahren, in denen wir der schulischen und elterli-
chen Sexualerziehung unsere ärztliche Kompetenz an die Seite
stellen – sei es durch das Angebot einer eigens für diesen Zweck
implementierten, auf die Fragen und speziellen Bedürfnisse
weiblicher Jugendlicher zugeschnittenen Mädchensprechstun-
de, sei es im Rahmen eines ärztlich-therapeutischen Beratungs-
und Behandlungskontextes – stets haben weibliche Jugendliche
dieses Informations- und Unterstützungsangebot mit großem
Interesse angenommen. Andererseits haben sie aber auch im-
mer wieder ein altersphasentypisches, in der weiblichen Ado-
leszenz häug auretendes depressives Selbstkonzept und
Unsicherheiten in der Körperwahrnehmung zu erkennen
gegeben (Abb. 1). Bemerkenswert ist, dass dies für die nicht-
klinische Stichprobe der Schülerinnen und für manifest psy-
chisch erkrankte, behandlungsbedürige jugendliche Mädchen
gleichermaßen gilt, wenn auch in unterschiedlicher Häugkeit,
Ausprägung und Schwere.
Wenn uns aber im letzten Schuljahr ca. 1/3 der Mädchen
auf die Frage nach dem Wunsch an eine gute Fee antwortet,
„dass ich lieber ein Junge wäre“ (vgl. Abb. 2) – eine Antwort, die
uns in den letzten Jahren so konkret nur äußerst selten begegnet
ist –, dann kann man das nicht losgelöst von der aktuellen
medialen Präsenz dieses emas erklären. Wie sonst wäre der
dramatische Anstieg der Fallzahlen insbesondere bei weiblichen
Jugendlichen zu verstehen, ohne auf den negativen Einuss
von Inuencern hinzuweisen, die in den sozialen Netzwerken
und Internetforen zu vermeintlich problemloser „Transition
motivieren (Korte & Tschuschke, 2023; Korte et al., 2020)?
Die Nachfrage, ob es dabei um den Wunsch nach einem
Penis und anderen primären und sekundären männlichen Ge-
schlechtskennzeichen geht, wird von der Mehrzahl der Mädchen
Abb. 1: Depressives Selbstkonzept einer 13-Jährigen (2021)
Abb. 2: „das(s) ich ein Junge werden will“ (2023)
108 Alexander Korte, Gisela Gille
verneint. Im Vordergrund steht vielmehr, dass Mädchen-Sein
und Frau-Werden ganz grundsätzlich und insbesondere heute
mit vielfältigen Nachteilen, Ein schrän kungen und Überforderung
verbunden werden. Es liegt somit zwar eine ausgeprägte Ableh-
nung des sich ver ändernden weiblichen Körpers und/oder der
weiblichen Geschlechtsrolle vor, aber kein ausgeprägtes Ver-
langen nach den Körpermerkmalen des anderen Geschlechts.
Diese Mäd chen erfüllen demnach also nicht die diagnostischen
Kriterien einer klinisch relevanten Geschlechtsdysphorie nach
DSM-5. Dennoch führt eine solche Symptomschilderung des
Öeren zu Fehldiagnosen und veranlasst manche ärztliche
Kollegen zur eilfertigen Überweisung der Jugendlichen an ent-
sprechende Spezialambulanzen. Zumal nicht wenige der ver-
unsicherten Teenager diesen externen Zuschreibungen gar nicht
widersprechen, erfahren sie doch darüber die Fremd- und
Selbstkategorisierung als „trans“ – das ersehnte Gefühl, in und
mit ihrem Leiden an den pubertätsbedingten Veränderungen
ernst genommen zu werden.
Dadurch kann sich eine folgenreiche Eigendynamik
entwickeln, mit vollständiger Übernahme jener gesell schas-
politisch derzeit so hoch im Kurs stehenden Identika tions-
schablone („trans-kid“). Das ist verständlich, weil diese eine
plausibel erscheinende Erklärung für das negative Selbst- und
Körpergefühl liefert („im-falschen-Körper-geboren“). Neben
den beschriebenen Verstärkungsmechanismen düre in einem
Te il d e r F ä ll e a uc h d as pubertätstypische Bedürfnis nach Ein-
zigartigkeit, Originalität und zugleich identitätsstiender
Grup penzugehörigkeit eine nicht unbedeutende Rolle spielen
(Korte & Tschuschke, 2023).
Zu verhindern wäre diese überaus missliche, bisweilen
fatale Weichenstellung durch eine höhere Beratungskompetenz
in der Primärversorgung. Keineswegs im Widerspruch dazu
stehend ist einzuräumen: Die Grenze zwischen den ver-
schiedenen Ausprägungen bzw. varianten Ausdrucksformen
puber tätsbedingter Reifungskonikte ist nicht in jedem Fall
leicht und eindeutig zu ziehen. Denn zunehmend häuger gibt
es Überschneidungen und ießende Übergänge, z.B. zwischen
Anorexie, körperdysmorpher Störung (etwa die isolierte
Ablehnung der weiblichen Brust) und Geschlechtsdysphorie,
worauf noch zurückgekommen wird.
Auch bei einem Großteil der stärker betroenen und die
Kriterien einer Geschlechtsdysphorie vollumfänglich erfüllen-
den Mädchen gibt es – das ist der springende Punkt – o keinerlei
Hinweise auf eine Vorgeschichte geschlechtsinkongruenten
Erlebens in der Kindheit. Vielmehr erfolgte das „Trans-Outing“
plötzlich und für das familiär-soziale Umfeld überraschend
erst mit Einsetzen der Pubertät, oenbar ursächlich damit
im Zusammenhang stehend, im Sinne einer maladaptiven
Reaktion auf die als belastend oder überfordernd empfundenen
reifungsbedingten Veränderungen. Im Zusammenhang mit
diesem akut auretenden, als Rapid Onset Gender Dysphoria
(ROGD) bezeichneten Wunsch nach Transition (Littman, 2018)
sprechen Experten bisweilen von einem Wer t h e r-Eekt
analog zu der Zunahme von Suiziden männlicher Jugendlicher
nach Erscheinen des Romans Die Leiden des jungen Werther
von Goethe. Um die später noch im Detail zu benennenden
epidemiologischen Verschiebungen besser einordnen zu kön-
nen, lohnt sich der Blick auf geschlechtstypische Unter schiede
in der Perzeption der pubertätsbedingten rperlichen und
psychischen Reifungsprozesse.
Festigung einer neuen weiblichen
Körperidentität
Tatsächliches und „gefühltes“
Übergewicht
Der Mädchenkörper verändert sich während der Pubertät
zielführend im Hinblick auf den Fortpanzungsaspekt der Se-
xualität. Dabei scha die Natur zunächst alle Voraussetzun-
gen, bevor sie mit Eintritt der Menarche die Funktion selbst
etabliert. Die äußeren Zeichen der weiblichen Geschlechtsreife
beginnen mit der Entwicklung der Schambehaarung, gefolgt
von der Brustentwicklung und der Achselbehaarung. Darüber
hinaus nimmt bei Mädchen in der Pubertät das Fettgewebe um
50 Prozent zu, der weibliche Körper wird kurvig – ein seit Jahr-
tausenden bewährtes Prinzip, um auch in Hunger- und Notzei-
ten durch Rückgri auf das eigene Körperfett den Erfolg einer
Schwangerscha zu gewährleisten. Etwa zwei Jahre nach Be-
ginn der Brustentwicklung ist die erste Menstruation zu erwar-
ten, mit deren Einsetzen ist das Längenwachstum von Mädchen
im Wesentlichen abgeschlossen. All diese reifungsbedingten
Ve n d er u n ge n d e s K ör p e r s v er l a ng e n d e n M äd c h e n erhebli-
che Integrations- und Anpassungsleistungen ab. Angesichts
dieser gewaltigen Umwälzungen stellt sich unter anderem die
Frage: Wie formieren sich weibliches Körperbild und Körperzu-
friedenheit junger Mädchen?
Der Begri Körperbild (body image) wurde von Paul
Schil der eingeführt (Schilder, 1935) und als the picture of
our own body which we form in our mind deniert. Heute
wird der Begri weiter gefasst und bezieht sich neben der
Perzeption und den Vorstellungen über den eigenen Körper
auch auf dessen subjektive Bewertung. Letztere unterliegt in
entscheidendem Maße gesellschalich-normativen Vorga ben,
kulturellen Prägungen und zeitgenössischen, medial vermit-
telten ästhetischen Idealen oder wird zumindest durch diese
stark beeinusst. Viele Mädchen wachsen mit Barbie auf,
einer Kunstgur mit extrem schlanker Taille und ebensolchen
en, deren Gestalt keinerlei Platz lässt für Organe, von einer
Schwangerscha ganz zu schweigen. Im Vergleich empnden
Mädchen ihren weiblich veränderten Körper in der Regel als zu
weich, entgrenzt und dick.
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 109
Dazu gibt es eindrucksvolle statistische Zahlen: Nach
Analyse der BMI-Daten von 936 Mädchen im Alter zwischen
11 und 17 Jahren waren laut KiGGS-Studie des Robert-Koch-
Instituts (Schienkiewitz, 2019) 18,1% übergewichtig oder
adipös, 7,5% waren untergewichtig, 74,5% normalgewichtig.
Etwa jedes füne Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren in
Deutschl and ist also nach objektiven Kriterien zu dick. Die
KiGGS-Daten zeigten aber darüber hinaus, dass unter den
objektiv normalgewichtigen Mädchen viele unter einem
verzerr ten Körper-Selbstbild leiden: 54,5% der 11–17-jährigen
nor mal gewichtigen Mädchen gaben an, dass sie sich für „ein
bisschen zu dick“ oder „viel zu dick“ halten. Der Anteil nor-
malgewichtiger Teenager weiblichen Geschlechts, die durch
diese unrealistische Körperwahrnehmung Einbußen ihres
Selbstwertgefühls erlei den, war dabei stärker gestiegen als der
Anteil der objektiv Über gewichtigen.
Die sozialen, medialen und kulturellen Einüsse auf ado-
leszente Mädchen, sich nicht selten in selbstschädigender
We is e d e m D i kt a t d e s h e r rs c h en d e n S c h ön h e it s - u n d S c h l an k -
heitsideal zu unterwerfen (Borkenhagen, Stirn, Brähler, 2013),
treten hier oen zu Tage. Vor allem infolge medialer Hy per-
sexualisierung wird ein erheblicher Druck aufgebaut. Der
Glaube an die eigene Attraktivität ist für viele Frauen so schwer
zu erlangen wie die (perfekte) physische Schönheit selbst. Das
unrealistische Ideal von androgyner Schlankheit und virtueller
Schönheit verhindert, dass Mädchen ihren erwachsen werdenden
Körper und die hinsichtlich der Fertilität symbolische Bedeutung
dieser Veränderungen akzeptieren können („Ich habe so einen
Pferdearsch gekriegt“).
Eine Reihe von Studien liefern Hinweise, dass eine große
Zahl pubertierender Mädchen als Reaktion darauf massive
Selbstzweifel entwickeln: Sie halten sich für hässlich, unattraktiv
und schämen sich infolge einer gestörten Selbstwahrnehmung
für bestimmte Teile ihres Körpers. Die vermeintlich mangelnde
Festigkeit des Körpers durch Zunahme des Fettanteils, Scham-
behaarung und auch die Menstruation stehen im Widerspruch
zum Körperkult einer sich in Selbstoptimierung übenden
Gesellscha und zu den Möglichkeiten der Körpermodikation.
Infolge dessen muss das Urteil über die eigene körperliche
Ausstattung negativ ausfallen. Wenn aber das eigene Körperbild
permanent diskrepant von dem erwünschten wahrgenommen
wird, dann führt das zu einer tiefen Verunsicherung über den
Wert als Person, von der sich viele Frauen – wenn überhaupt –
erst spät wieder befreien können.
Ideal der geschlossenen Muschel
Akzeptanz des sich verändernden
Körpers am Beispiel des äußeren
Genitales
Mädchen sind unsicher, ob das, was sie an sich bemerken, normal
sei und können sich schwerer als Jungen durch Vergleichen
Sicherheit verschaen. Die Befürchtung, anders zu sein als andere,
hinterlässt Unklarheit und Selbstzweifel (Abb. 3). Das aktuelle
ästhetische Ideal der Vulva ist deniert durch strae, volle äußere
Schamlippen, die die inneren vollständig bedecken. dchen
ahnen nicht, dass die Bilder in Hochglanzmagazinen häug
nachbearbeitet und retuschiert wurden, und sind verunsichert
durch ihre vermeintliche eigene ästhetische Unzulänglichkeit. Die
Gründe für den nach gewiesenen Anstieg ästhetisch motivierter
Eingrie am äußeren weiblichen Genitale sind komplex. Aber
sicher tragen knappe Badebekleidung, die starke Präsenz von
Nacktheit in den Medien und nicht zuletzt die Verbreitung von
erotischem/pornograschem Bild- und Filmmaterial in den
digitalen Medien bzw. im Internet (Korte, 2018; 2020) dazu
bei, dass sich für diesen Körperbereich ästhetische Normen
herausgebildet haben.
Zudem haben partnerschaliche Sexualpraktiken eine
Diver sizierung erfahren, der Oralverkehr ist auch für Jugend-
liche Teil des sexuellen Repertoires. Die Modeerscheinung der
Intimrasur ist da nur eine logische Konsequenz, die wiederum
zu einer neuen Sichtbarkeit der äußeren Genitalien führt. „Eine
bis dato primär zur Privatsphäre zählende Körperregion – die
Schamregion – unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ“
Abb. 3: „meine kleinen Schamlippen sind zu groß“
110 Alexander Korte, Gisela Gille
(Borkenhagen & Brähler, 2010, 8). Das männliche Genital muss
möglichst groß und prominent sein, was durch die Intimrasur
unterstützt wird, das weibliche dagegen klein und vorpubertär
– dem „Ideal der geschlossenen Muschel“ (ebd.) entsprechend,
wie man in Werbeannoncen für genitalchirurgische Eingrie
(Labienreduktionsplastik) lesen kann.
Die Menstruation – Geschenk, notwendi-
ges Übel oder Zumutung?
Die Veränderungen der inneren weiblichen Geschlechtsorgane
bleiben dem Blick von Mädchen verborgen, und nur die wenigsten
Mädchen haben jemals Gelegenheit, von kompetenter Seite
etwas über die faszinierenden Abläufe in ihrem Körperinneren
zu erfahren. „Als ich meiner Mutter erzählt habe, dass ich meine
erste Regel bekommen habe, hat sie nur gesagt ‚Ach Du Schreck,
jetzt bist du auch mit dem Mist dran‘.
Die erste Menstruation stellt für Mädchen generell ein
merkwürdiges, ambivalent besetztes Geschehen dar: Einerseits
wird sie von den meisten Mädchen mit Spannung erwartet,
symbolisiert sie doch Erwachsenwerden und eine positive
Bestimmung der denitiven Zugehörigkeit zum weib lichen
Geschlecht. Andererseits konfrontiert die Regel die Mäd chen
mit einer Fülle von Missempndungen. Die damit ver bun-
denen Assoziationen beruhen vor allem auf einem Ver lust von
Sauberkeit und Kontrolle.
Viele Mädchen werden in ihren ersten fertilen Jahren durch
mehr oder minder starke Dysmenorrhoe eingeschränkt. Auch
die Bewegungseinschränkung wird beklagt, Mädchen fühlen sich
durch den Verlust des kindlich unabhängigen Körpergefühls
gehandicapt. Prämenstruelle Stimmungsverschlechterung, Ge -
wichts schwankungen, Heißhungergefühle, Veränderungen des
Haut bildes, Introvertiertheit und soziale Empndlichkeit beglei ten
viele Mädchen während des vierwöchentlichen Zyklus – und viele
Mädchen empnden die Regel in der Konsequenz als Zumutung.
Wenn unumstritten ist, dass das körperliche und seelische
Benden vor und während der Menstruation von jedem Mädchen
vor dem Hintergrund ihres Wissens und ihrer Einstellung
wahrgenommen wird, dann kann es nicht wundern, dass viele
Mädchen aus Mangel an Informationen von kompetenter Seite
diesen prinzipiell vitalen Vorgang ihres Körpers verdrängen
und so die Handlungsebene und damit ein positives, autonomes
Körpergefühl nur schwer wiedererlangen können (Gille et al.,
2010). Das wiederum bereitet den Boden dafür, dass sich auf Basis
negativer Konditionierung das Gefühl einstellt: Jungen haben es
irgendwie leichter! Die Auseinandersetzung mit dem weiblichen
Körper im Allgemeinen und der Menstruation im Besonderen ist
deshalb ein sozialer Lern- und Entwicklungsprozess, auf den ein
Mädchen im Sinne der Fertility awareness ein Anrecht hat.
Gestaltung sexueller Beziehungen
Lieben lernen in Zeiten innerer
Orientierungslosigkeit
Sexualität ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen nach
körperlich-sinnlichem Lustempnden, nach Nähe, Intimität,
Geborgenheit, Selbstvergewisserung und Bestätigung, liebens-
und begehrenswert zu sein. Und Pubertät und Adoleszenz
sind die lebensgeschichtliche Phasen, in der Körperlichkeit
und Sexualität zu zentralen emen werden und in denen
Mädchen im besten Fall ein positives, lustvolles Verhältnis zu
ihrem Körper und zu ihrer Weiblichkeit entwickeln. Mit ihren
vier Sinnaspekten begleitet uns Sexualität ein Leben lang, mit
durchaus unterschiedlicher individueller, geschlechts- und
lebensphasenspezischer Gewichtung oder Ausprägung.
Den Identitäts- und Beziehungsaspekt erleben Kinder von Anfang
an, auch die Lustdimension ist angeboren und sollte pädagogisch
begleitet werden, um Kindern ein positives und ganzheitliches
Bild von Sexualität zu vermitteln und ihnen zugleich die Ideale
Abb. 4.1–4.3: Menstruationsperzeption junger Mädchen
Die Sinnaspekte der Sexualität
1. Identitätsaspekt: sich als Individuum als begehrenswert, angenommen
und akzeptiert zu erfahren, geliebt zu werden, zugleich selbst jemanden
lieben zu können und darüber ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln
2. Beziehungsaspekt: Emotional gebunden zu sein in einer Beziehung zu
einem anderen Menschen; sich geborgen zu fühlen und die Gewissheit zu
erfahren, nicht allein zu sein
3. Lustaspekt: sexuelle Aktivität als einzigartiges sinnliches Erlebnis
und zugleich körper-sprachliche Kommunikations-/Ausdrucksform im
Zusammensein mit einem geliebten Menschen; Antrieb und Belohnung
für sexuelles Verhalten
4 Fortpflanzungsaspekt: Zeugung, Austragen und Geburt eines Kindes
und damit Gründung einer eigenen Familie, jedoch fakultativ und zeitlich
begrenzt (von der Menarche/Pubertät bis Menopause)
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 111
der sexuellen Selbstbestimmung, notwendigen Grenzziehung
und wechselseitigen Rücksichtnahme nahe zu bringen. Der Fort-
panzungsaspekt dagegen wird erst unter dem Einuss der
geschlechtsspezischen Sexualhormone in der Pubertät rele vant.
Sexuelle Triebimpulse werden
geschlechtsspezifisch wach
Jungen erreichen im Gegensatz zu den Mädchen ihre Fort-
panzungsfähigkeit mit der Ejakularche häug schon, bevor
ihre eigentliche körperliche Entwicklung, d.h. die Ausgestaltung
eines männlichen Körpers mit Scham- und Achselbehaarung,
Stimmbruch und Bartwuchs einsetzt. Es besteht also ein direkter
enger Zusammenhang zwischen dem Anstieg des männlichen
Geschlechtshormons Testosteron im Blut und dem Aureten
nächtlicher Samenergüsse, masturbatorischer Handlungen
und sexueller Neugierde. Auch Jungen in der Pubertät sind
zarte Geschöpfe mit vielen verwirrenden Gefühlen. Aber für
Jun gen steht der Beginn der Pubertät durch den Samenerguss in
direktem Zusammenhang mit der Lustdimension von Sexualität,
die sich häug im Kontext der Selbstbefriedigung an ihm selbst
Ausdruck verleiht und zu einem gesellschalich geschätzten
Potenzzuwachs im umfassenden Sinne führt. Während also
beim Jungen die Verknüpfung von Fortpanzungsfunktion/
-fähigkeit und Lusterleben quasi biologisch vorgegeben ist,
verhalten sich die Dinge beim Mädchen komplizierter.
Anders als Jungen erreichen dchen mit der Menarche
ihre Fortpanzungsfähigkeit nach dem Wachstumsschub und
erst nach der Entwicklung einer weiblichen Figur. Der weibliche
Körper wird jetzt attraktiv und o schon früh bewertend
kommentiert Sexualität wird an einem Mädchen entdeckt,
bevor sie sich in ihr selbst entfaltet. Mädchen begreifen schnell
den Zusammenhang zwischen äußerlicher Attraktivität und
Erfolg innerhalb der Peergroup, und einzelne Mädchen stellen
jetzt ihren Körper früherwachsen zur Schau, um so auf ihre
Art Interesse an Kontakten zu signalisieren. Aufgrund dieser
frühen auälligen Körperveränderungen erfahren Mädchen
also eine von außen an sie herangetragene Sexualisierung ihres
Körpers, die noch wenig Bezug hat zu ihren eigenen Gefühlen.
Denn die erste Regel als Symbol für die weibliche Pubertät hat
keine wirklich sexuelle Qualität, sondern lenkt das Interesse
der dchen zunächst ins Körperinnere. Die mit der ersten
Menstruation immer auch verbundene Entfaltung sexueller
Ahnungen wird überlagert durch die Fokussierung auf ein
Hygieneproblem und einer diusen Trauer wegen des Verlustes
des kindlich unabhängigen Körpergefühls. Darum brauchen
Mädchen mehr Zeit, sexuelle Empndungen aufzuspüren und
zuzulassen. Weibliche Sexualität wird also zunächst weg vom
Lust- hin zum Fortpanzungsaspekt verschoben. Demgegenüber
überlagert beim Jungen das Lusterleben beim Samenerguss
dessen Bedeutung als Beginn der Zeugungsfähigkeit.
Auch Mädchen in der Pubertät sind neugierig auf das, was
Liebe und Sexualität zu bieten haben. Dabei sind sie aber zu-
nächst erfüllt vom Beziehungsaspekt der Sexualität, d.h. von
der Sehnsucht nach einer symbiotischen Liebe voller Nähe und
Zärtlichkeit. Mädchenfreundschaen haben in dieser Phase ei-
nen besonders wichtigen Stellenwert. Die Beziehung zu einer
gleichaltrigen Freundin, mit der sie Phantasien, Geheimnisse
und auch Zärtlichkeiten teilt, erhält eine große Bedeutung auch
für den Ablösungsprozess von der Mutter bzw. den Eltern. Die
Freundin als bestätigende Gleiche gewährleistet ein Gefühl der
Sicherheit. Nicht wenige Mädchen durchlaufen in der Früh-
adoleszenz ein homoerotisches Durchgangsstadium, durchaus
auch mit erotisch-sexuellen Aktivitäten. Über viele aufeinander
folgende und miteinander verwobene Entwicklungsschritte
wechseln heterosexuelle Mädchen später hinüber zu dem von
libidinösen Impulsen geprägten Werben eines jungen Mannes.
Das gelingt den Mädchen unterschiedlich gut. Die selbstwert-
steigernde Erfahrung, begehrenswert zu sein, verführt ins-
besondere Mädchen aus problematischen Herkunsfamilien
oder wenn kein stabilisierendes Elternhaus mehr besteht, den
ersten Geschlechtsverkehr als eine Form psychologischer „An-
passungsleistung“ an ihre Sehnsucht nach Liebe, Zärtlichkeit
und Jemandem-etwas-bedeuten zu akzeptieren. Au ch dem in-
ationären gesellschalichen Umgang mit Sex in den Medien
können sich manche Mädchen kaum entziehen, die sexuelle Er-
fahrung Gleichaltriger wird häug grandios überschätzt.
Und viele Mädchen sind irritiert, wenn es Jungen drängt,
ihre Gefühle und Bedürfnisse nach Nähe in einer stark vom
Lustaspekt geprägten Weise zum Ausdruck zu bringen (Abb.5).
Junge Männer begreifen Sexualität durchaus als etwas Ei gen-
ständiges, das losgelöst vom Beziehungskontext gelebt wer den
kann. Die meisten Mädchen dagegen können Sexualität zu -
nächst nicht losgelöst von ihren Gefühlen/Beziehung/Part ner-
scha sehen, was im Gegensatz zu den Botschaen eines sex-
positiven Feminismus in den Medien steht. Dass dabei auch kul-
turelle Einüsse in Form tradierter Geschlechtsrollenmodelle
mit entsprechenden Erwartungszwängen, erziehungsbedingten
Hem mungen und sonstigen Sozialisationseekten eine Rolle
spie len, sei eingeräumt.
Abb. 5: Verhältnis von Beziehungs- zur Lustdimension in
der Sexualität junger Mädchen
112 Alexander Korte, Gisela Gille
Potentielle Auswirkungen von
Objektifizierung und misogynen
pornografischen Skripten
Auf die glicher weise bis lang untersch ätzte Be deutu ng
einer frühzeitigen, von manchen Mädchen als verstörend,
in einigen Fällen sogar traumatisierend erlebten Exposition
mit multimedial-audiovisueller Pornograe hat kürzlich
Nadrowski (2023) unter Bezugnahme auf DAlberton & Scardovi
(2021) hingewiesen. Von Relevanz sein düren hier vor allem
be stimmte Formen frauenverachtender Gewalt-, Devianz- oder
im Extremfall Delinquenz-Pornograe (bspw. sog. „Kin-
derpornograe“, treender zu bezeichnen als lmische Do-
ku mentation sexuellen Kindesmissbrauchs). Nadrowski ar-
gu men tiert, dass die Zunahme von Genderdysphorie unter
weib li chen Adoleszenten seit den Zweitausend-Nuller-Jahren
zeit lich korreliert mit der unkontrollierten Verbreitung und
freien Verfügbarkeit pornograscher Inhalte im Internet (Gassó
& Bruch-Granados, 2021). Sie empehlt, das ema in der
erapie ebenso direkt anzusprechen wie eventuelle online-
oder oine-Kontakte minderjähriger Mädchen zu erwachsenen
Männern, die sich mit missbräuchlichen Absichten über soziale
Medien, Chatrooms und Videoportale an sie heranmachen. Dass
die unkritische Übernahme und Aneignung frauenfeindlicher
sexueller Skripte, die auf Falschannahmen über Sexualität und
Geschlechterrollen beruhen, eine Ablehnung von Weiblichkeit
und die Angst davor, eine Frau zu werden, verstärken kann,
erscheint nicht abwegig.
Nun ließe sich mit Blick auf d as unters chiedliche Nut-
zungs verhalten von Mädchen und Jungen einwenden, dass
weib liche Jugendliche in weitaus geringerem Maße Pornograe
konsumieren. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, dass Mäd-
chen auch ungewollt pornograschen Skripten ausgesetzt wer-
den, bspw. dadurch, dass ihnen entsprechende Videoclips (per
E-Mail-Anhang, Messenger-Dienste oder Chat-Apps) von Jun gen
weitergeleitet werden, um sie zu schockieren oder zu be schämen
(Korte, 2018).
Wenn also das Verständnis von Sexualität traditionell
eher von männlichen Bedürfnissen und klar erkennbaren
Te nd e nz e n e i n er Objektizierung der Frau dominiert wird,
dann ist es für Mädchen nicht leicht, in diesem Umfeld
erwachsen zu werden. Und so scheitern frühe Beziehungen
allzu o an diesen Inkongruenzen, diskrepanten Erwartungen
und Bedürfnissen. Im Nachhinein schätzen 32% der Mädchen
den Zeitpunkt ihres ersten Geschlechtsverkehrs als zu früh/
viel zu früh für sich ein (Scharmanski & Hessling, 2021). Der
Gedanke, dass auch hier Jungen es irgendwie besser haben oder
sich leichter tun, liegt auf der Hand: „Ich wär‘ auch so gern ein
bisschen geiler“ formulierte ein Mädchen ihr dezitäres Gefühl.
Sonderfall sexueller Missbrauch
Spaltung zwischen dem Selbst
und dem Körper
In manchen Fällen liegen der Ablehnung des eigenen Geschlechts
und einem sozialen, ggf. auch juristischen und medizinischen
Transitionswunsch reale körperliche Gewalt- und insbesondere
die traumatische Erfahrung eines erlittenen sexuellen Über-
gris zugrunde (Gehring & Knudson, 2005; Becerra-Culqui
et al., 2018), wobei es sich nicht notwendigerweise um Hand-
on-Delikte gehandelt haben muss. Auch in der Genese von
Essstörungen können Missbrauchserfahrungen eine Rolle spie-
len. Ein gehäues Vorkommen sexuellen Missbrauchs in der
Anamnese der Betroenen ist weniger für das Krankheitsbild
der Anorexia nervosa (ICD-10: F50.0) – am wenigsten für die
restriktive Form der Anorexie –, durchaus jedoch bei Patien-
tinnen mit Bulimia nervosa (F50.1) beschrieben. Darüber hinaus
gilt das Erleben eines sexuellen Übergris als unspezischer
Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen
allgemein, ist also nicht pathognomonisch; körperbezogene
Störungen zeigen aber die größte Assoziation.
Dazu ein paar Fakten: Die Polizeiliche Kriminalstatistik
(PKS) verzeichnet für das Jahr 2022 in Deutschland 15.520 durch
die Polizei ausermittelte Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs
(§§ 176, 176a, 176b, 176c, 176d, 176e StGB). Diese beziehen sich
zu etwa 74% auf betroene Mädchen und zu 26% auf Jungen.
Hinzu kommen 1.583 Fälle von sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen und Jugendlichen sowie 48.821 Fälle der
Herstellung, des Besitzes oder der Verbreitung kinder- und
jugendpornograscher Inhalte.1 Bei diesen Zahlen handelt es
sich um das sogenannte polizeiliche Hellfeld, die Dunkelzier
düre deutlich höher liegen.
Hinweise auf einen erlittenen sexuellen Missbrauch nden
sich in den Anamnesen von Frau-zu-Mann-Transsexuellen, also
bei biologisch weiblichen Betroenen wenig überraschend
sig nikant häuger als in denen von Mann-zu-Frau-Trans se xu-
ellen. Eine sich in einer solchen Situation bzw. im Nachgang dazu
einstellende Trans-Identizierung wäre primär als ein trau ma-
kompensatorisches Reaktionsmuster zu werten. In einer älteren
Unte rsuchung eine r nicht-klinischen Stichprobe von er wach senen
Frau-zu-Mann-Transsexuellen fand Devor eine extrem hohe
Rate sexueller Traumatisierung: Der Anteil derer, die eine oder
mehrere Formen sexueller Missbrauchserfahrung erlitten hatten,
lag bei 60%, was ihn zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass
Transsexualität (in jenen Fällen mit einem derartigen Trauma)
eine extreme adaptive dissoziative Reaktion auf schwere kindliche
Missbrauchserfahrungen sein kann (Devor, 1994).
1 https://beauftragtemissbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Zahlen_und_
Fakte n/Fact_ Sheet_Zahlen_und_ Fakten_z u_sexuellem_Ki ndesmiss
brauch_UBSKM.pdf
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 113
Dass es nebst dieser sehr extremen eine Reihe weiterer
subtilerer Formen von Traumatisierung gibt – etwa im Kontext
einer Bindungsstörung als Folge einer tiefgreifend gestörten
Mutter-Kind-Beziehung –, die in ähnlicher Weise ätiologisch
von Bedeutung für die Entwicklung einer ausge prägten
Körperbildstörung und, im Speziellen, einer Geschlechts dys-
phorie sein können (Kozlowska et al., 2021), soll zumindest am
Rande erwähnt werden; eine erschöpfende Darstellung würde
den Rahmen sprengen.
Will ich lieber ein Mann sein
oder nur keine Frau?
Pubertäre Ausweichmanöver im
Rückwärtsgang
Wie wir zu zeigen versucht haben, führen die reifungsbedingten
Veränderungen des Körpers in der Pubertät bei den meisten
Mädchen zunächst in eine Phase tiefer Verunsicherung. Die
Entwicklung einer stabilen weiblichen Identität ist für Mädchen
in der Adoleszenz hochkomplex, anspruchsvoll, stör an fällig und
von Krisen begleitet. Weibliche Jugendliche sehen sich heutzutage
mit mannigfaltigen Anforderungen und Aus wahlmöglichkeiten
unterschiedlichster Art konfrontiert, die manchen von ihnen
ungeahnte Freiräume erönen, die sie für die Entwicklung
einer emanzipierten beruichen und priv aten Lebensplanung
nutzen können. Die gestiegenen ge sellschalichen Erwartungen
wie auch medial omnipräsente Powerfrauen als Vorbild setzen
andere Mädchen wiederum unter Leistungsdruck und bringen
sie in Gefahr, an den enor men Herausforderungen und einem
überhöhten Anspruch an sich selbst zu scheitern.
Für zunehmend mehr Mädchen ist der ihnen vorgelebte
Lebensentwurf ihrer zwischen beruicher und Care-Arbeit
hin- und hergerissenen, chronisch gestressten und erschöpen
Mütter inzwischen kein attraktives Leitbild mehr für die
eigene weibliche Emanzipation, die auch notwendige Schritte
sexueller Selbstbemächtigung erfordert. Auch hier liegt
das eigentliche Problem nicht in dem Wunsch, tatsächlich
lieber ein Mann/Junge sein zu wollen, sondern vielmehr im
gesellschalichen Anpassungsdruck. Erwachsenwerden ist
besonders schwer in einer Gesellscha, der einheitliche Werte
und Normen immer mehr abhandenkommen, die sich durch
moralische Widersprüchlichkeiten auszeichnet und in der die
symbolisch bedeutsame weibliche Körperausstattung keine
Anerkennung und Wertschätzung mehr ndet. Über Medien
wird ein Umgang mit Sexualität ins Scheinwerferlicht gerückt,
der die alters- und geschlechtsspezischen Triebansprüche von
Mädchen nicht oder nur wenig respektiert (Korte, 2018).
Dadurch fühlen sich nicht wenige Mädchen von den
Herausforderungen des bevorstehenden Frauseins schier über-
fordert, und es verwundert nicht, wenn sie dem auszuweichen
versuchen. Der Vermeidungswunsch macht sie empfänglich
für alternative präformierte Identikations schablonen. Ihre
Angst vor individueller Emanzipation, die eine kritische Aus-
einandersetzung mit unrealistischen kulturellen Schönheits- und
Schlankheitsidealen wie auch mit internalisierten Ge schlechts-
rollenstereotypen einschließt, versuchen sie durch Identikation
mit identitären Gefühlskollektiven und Grup penz ugehörigkeit
aufzufangen (Korte & Tschuschke, 2023). Speziell Mädchen mit
der trau matischen Erfahrung eines se xuellen Übergris in der
Kindheit kämpfen ohnehin dauer ha mit der Spaltung zwischen
ihrem Selbst und dem weiblichen Körper.
Hinzu kommt, dass die Fähigkeit zum geduldigen Abwar-
ten, Bedürfnisaufschub und mühsamen Erarbeiten von Ge-
wünschtem aufgrund der in unserer Konsumgesellscha
meist ad hoc erfolgenden Bedürfnisbefriedigung wenig trai-
niert wur de. Woher sollen Jugendliche Selbstvertrauen in die
eigenen Kräe und Problembewältigungsstrategien gelernt
haben, wenn sie bis dahin immer vor allem bewahrt wur-
den? Auch deshalb können Mädchen, die eine aus geprägte
Angst vor den Anforderungen des Frau-Werdens haben, dazu
tendieren, für diese Entwicklungsaufgabe nicht eine reale,
son dern eine imaginäre Lösung zu suchen. Dies wird umso
eher der Fall sein, wenn Kindheit und bisherige lebens ge-
schichtliche Entwicklung von einer schwierigen Bindungs-,
Beziehungs- oder Körpergeschichte geprägt waren. Zwin gend
erforderlich re gerade für diese höchst vulnerable Grup pe
von Jugendlichen die Möglichkeit einer ungestörten psycho-
physischen Reorganisation in der Pubertät, also Zeit und Raum
für Entwicklung.
Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich
es kann, bitten … Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem
Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie ver-
schlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die
Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten.
Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen.
Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen
Tag es in die An two rt hin ein .
Rainer Maria Rilke an Franz Xaver Kappus (1903)
114 Alexander Korte, Gisela Gille
Anhalten der Zeit durch Essens -
verweigerung oder Pubertätsblocker
Maladaptive Lösungsstrategien für
Konflikte der weiblichen Adoleszenz
Wo du r c h e nt s c h ei d e t s i ch , welcher Modus der Konikt ver-
arbeitung bzw. welche maladaptive Verhaltensweisen im Falle
einer dezitären Selbstentwicklung respektive krisenhaen
Dekompensation während der Pubertät aktiviert werden?
Das düre von einer Vielzahl von Variablen, pathogenen Ent-
wicklungsbedingungen und der je unterschiedlichen psycho-
sozial-familiären Konstellation im Zusammenspiel mit indivi-
duellen, durchaus auch biologischen Dispositionen im Sin-
ne einer klassischen Gen-Umwelt-Interaktion abhängen,
so dass die Frage letztlich nicht befriedigend beantwortet
wer den kann. Sowohl bei der Anorexia nervosa als auch einer
klinisch relevanten Geschlechtsdysphorie gelangt man auf der
Grundlage theoriegeleiteter Konzepte zu dierenten, nicht
notwendigerweise widersprüchlichen, sondern sich ergän-
zenden Aussagen bezüglich möglicher kausaler Bedingungen.
In beiden Fällen ist bei verallgemeinernden Aussagen und mo-
no kausalen Erklärungsversuchen Vorsicht geboten.
Lösungsversuch Anorexie – Flucht vor
Weiblichkeit und Suche nach Autonomie
Essstörungen bei weiblichen Jugendlichen und jungen Frauen
sind ein weit verbreitetes Phänomen. Mädchen im Alter von 13
bis 16 Jahren zeigen deutlich häuger als Jungen ein gezügeltes
Ess verhalten (Kalorienrestriktion) bei gleichzeitig starker Unzu-
friedenheit mit der Figur und einem intensiveren Erleben der
Körperentfremdung (Körperbildstörung). Die Zahl stationär
behandelter Anorexie-Fälle ist in den vergangenen zehn Jah-
ren gestiegen und hat sich während der Corona-Pandemie
kurzfristig nochmal erhöht – wobei die Hauptlast von den Klini-
ken für Pädiatrie aufgefangen wurde (Kölch et al., 2023).
Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Essstörung wer-
den als multifaktorielles Krankheitsgeschehen gesehen, bei
dem individuell psychische mit biologischen (teils genetischen),
familiären und soziokulturellen Faktoren zusammenwirken.
Die genauen Details gelten jedoch als ungeklärt, vor allem
was das Ineinandergreifen verschiedener Faktoren und de-
ren Gewichtung im Einzelfall anbetri (Korte & Wagner,
2020). Grundsätzlich kann die Symptomatik als Ausdruck
eines inneren Konikts verstanden werden. Essen kann als
Ersatz befriedigung für unerfüllte Bedürfnisse dienen, ande-
rer seits vermittelt der Verzicht darauf das Gefühl von Kon-
trolle, Unabhängigkeit und Stärke. Es gibt verschiedene
psychodynamische Erklärungsmodelle, die auf die individuelle,
vor allem frühkindliche Lebensgeschichte Bezug nehmen
(„Strukturelle Störung“), intrapsychische oder interpersonelle
Konikte (z.B. Autonomie versus Abhängigkeit) betonen oder
auf unbewältigte Entwicklungsaufgaben (sexuelle Reifung,
Erwachsenwerden) bzw. eine tiefgreifende Verunsicherung des
Selbst und in der Konsequenz Ablehnung von Weiblichkeit
bzw. der weiblichen Geschlechtsrolle verweisen.
Magersucht ist der verzweifelte Versuch, die Zeit anzu-
halten, den in der Pubertät als entgrenzt wahrgenommenen
Körper in seine Schranken zu verweisen, Ordnung wenigstens
am eigenen Körper zu schaen, wenn diverse andere Pro-
bleme in eine Sackgasse zu führen scheinen. Der Körper
wird zum Austragungsort innerer Konikte, und die große
Dis zipli nleistung des Hungerns, mit einem hohen Maß an
bizarrer Ritualisierung, ersetzt die Kontrolle über das eigene
Leben. So lassen sich lähmende Ohnmacht- in Machtgefühle
verwandeln. O ist die Anorexie Ausdruck einer Suche nach
dem „verlorenen Paradies der Kindheit“, so wenig paradiesisch
diese im Einzelfall auch gewesen sein mag, stets aber auch
eine Suche nach Grenze, nach Autonomie, nach Identität,
nach sich selbst. Magersüchtige Mädchen sind hungrig nicht
nur im konkreten, sondern auch im übertragenen Sinne. Sie
sind hungrig nach Autonomie, scheitern aber an den Klip pen
des Erwachsenwerdens: den weiblichen Körper mit seinen
Äußerungen und Zuschreibungen zu akzeptieren und die
Aufnah me sexuell er Beziehungen unter den geg ebenen gesel l-
schalichen Normen zu gestalten (Gille et al., 2017). Besonders
ehrgeizig-perfektionistische Mädchen erfahren mit ihrer „Kör-
per strategie“ Anerkennung innerhalb der Peer group und
werden mit Gefühlen von Halt, vermeintlicher Un ab hängigkeit
und dem Nimbus des Außergewöhnlichen, vermeintlich Be-
son deren belohnt.
Viel von dem Gesagten tri in gleicher Weise zu für die
Genese und die typische Psychodynamik einer klinisch rele-
vanten Geschlechtsdysphorie. So ist es nicht verwunderlich,
dass bei Patienten mit geschlechtsbezogenem Identitätskonikt
(neben einer aektiven Erkrankung) des Öeren auch Symptome
einer Essstörung komorbid aureten – mit Abweichungen des
Essverhaltens in beide Richtungen, d.h. sowohl partielle oder
komplette anorektische oder bulimische Essstörungssyndrome
als auch eine manifeste Adipositas (Diemer et al., 2015; Holt et
al., 2016). Es ist naheliegend, dass die der Essstörung ur sächlich
zugrunde liegende Körperschemastörung hier in einem engen
Zusammenhang mit der Geschlechts- bzw. sexuellen Iden-
titätsthematik steht.
Exit-Strategie transGrenzüberschreitung
und Suche im Fiktiv-Imaginären
Die Zahl der minderjährigen, vornehmlich der weiblichen Ju-
gend lichen, die wegen eines geschlechtsbezogenen Identi täts-
konikt vorstellig werden, ist in den Ländern der westlichen
Welt in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (Aitken et al.,
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 115
2015; Chen et al., 2016, 2023; Kaltiala-Heino & Lindberg, 2019;
Kaltiala-Heino et al., 2020; ompson et al., 2022; Van der Loos
et al., 2023). Mancherorts betrug die Zu nahme der Patientinnen
mit Geschlechts dysphorie, die in spezialisierten Beratungs- und
Behandlungszentren um eine Transition nach suchten, bis zu
4500% innerhalb eines Zehn jahreszeitraums (2009–2018) (de
Graaf et al., 2018). Be son ders die Inversion der Sex-Ratio, also
die Umkehrung des zahlen mäßigen Verhältnisses betroener
Mädchen zu Jungen, ist erklärungsbedürig (de Graaf et al.,
2018; Kaltiala-Heino, Berg man, Työläjärvi & Frisén, 2018; Zhang
et al., 2021). Die Anzahl der bei Mädchen im Alter von 12 bis 17
durchgeführten Mastektomien hat sich einer U.S.-Studie zufolge
zwischen 2013 und 2020 verdreizehntfach (Tang et al., 2022).
Gleichzeitig verdichten sich die Hinweise, dass es auch in anderer
Hinsicht zu einer Veränderung der Inanspruchnahmeklientel
gekommen ist – mit, wie mittlerweile mehrfach gezeigt wurde,
einer deutlichen Zunahme der psychiatrischen Komorbidität
(Herrmann et al., 2022; Kaltiala-Heino, Holttinen & Tuisku,
2023; Kaltiala-Heino, Sumia, Työläjärvi & Lindberg, 2015; Twist
& de Graaf, 2019).
Vergleichbar der Magersucht bietet sich pubertierenden
Mädchen mit dem Angebot eines „Geschlechtswechsels“ eine
weitere, freilich besonders drastische Möglichkeit, die Aus ein-
an dersetzung mit den reifungsbedingten Verän de run gen und
Entwicklungsaufgaben zu umgehen und ihrem in di vi du ellen
Leiden Ausdruck zu verleihen in einer in unserer Zeit und
Kultur akzeptierten Form. Mit Blick auf die Gesamtgruppe der
betroenen weiblichen Jugend li chen ist auch hier keineswegs
von einem homogenen Pa tientenkollektiv mit einheitlicher
Ätiologie auszugehen, son dern von einem je unterschiedlichen
individuellen Ursa chen- und Bedingungsgefüge. Im Rahmen des
diagnostisch-thera peu tischen Prozesses ndet sich eine Vielzahl
von g lichen Grün den, welche die Geschlechtsdysphorie im
Einzelfall bedingen und auf die eine vermeintliche (oder tat-
sächliche) transsexuelle Entwicklung zurückzuführen sein dür e.
Die häugsten Ursachen und zugleich distinkten Er schei nungs-
formen sind:
Geschlechtsdysphorie als Ausdruck eines vorübergehenden
Altersrollenkonikts respektive einer Anpassungsstörung
im Rahmen von Adoleszenz- oder sexuellen Reifungs-
krisen (d.h. infolge eines Scheiterns an pubertären Ent-
wicklungsaufgaben);
persistierendes Unbehagen, Akzeptanzschwierigkeiten
oder dauerhae Non-Konformität mit gängigen Ge schlechts -
rol len erwartungen, d.h. den Anforderungen, Re geln und
Nor men, wie Mädchen/Jungen sich in der je wei li gen Kultur
ver hal ten sollen;
Geschlechtsdysphorie infolge einer abgewehrten (verdräng-
ten), ich-dystonen Homosexualität oder im Kontext von
sexuellen Präferenzbesonderheiten (wobei letzteres als
Motiv so gut wie ausschließlich bei biologisch männlichen
Jugendlichen eine Rolle spielt);
Geschlechtsdysphorie bei anderen schweren psychischen Er-
krankungen, z.B. einer Autismus-Spektrum-Störung, oder
als traumakompensatorisches Reaktionsmuster oder als
Teil einer übergeordneten Identitätsdiusion bei Per sön-
lichkeitsstörung.
Es gibt eine Reihe wichtiger Gemeinsamkeiten von Ge-
schlechts dysphorie und Magersucht: In Ermangelung rei-
ferer und kon s truktiv-funktionaler Lösungsstrategien wer-
den jeweils psy chi sche Konikte auf den Körper proji ziert,
gewis sermaßen auf die somatische Ebene transferiert. Auf-
grund der mangelnden Selbstakzeptanz bzw. des aus ge-
prägten Selbsthasses in Ver bin dung mit einer massiven Kör-
perbildstörung kommt es zu einer Wen d u ng d er A g g r e s sion
gegen das eigene Selbst, nach innen, aber auch nach außen,
gegen wichtige Andere: Bei anorektischen Ess- ebenso wie bei
Geschlechtsidentitätsstörungen (Ge schlechts dys pho rie) sind
die Angehörigen, insbesondere die Eltern, nebst der sich häug
einstellenden massiven Schuld- und Ver sagensgefühle, starken
Aekten von Hilosigkeit und Ohnmacht ausgesetzt. Bei
beiden Störungen wirkt sich dies innerhalb einer entsprechend
pathologischen Bezie hungs dyna mik bisweilen verstärkend auf
die Symptomatik der Index pa tientin aus.
Die Trend-Diagnose Geschlechtsdysphorie bzw. die Selbst-
kategorisierung als trans bietet gegenüber der Anorexia und
Bulimia nervosa indes zwei entscheidende Vorteile: Erstens,
im Vergleich zu den Essstörungen ist die Projektionsäche
bei der Geschlechtsinkongruenz vielfältiger, und die Grenzen
wer den nicht nur gesucht, sondern auf eine sehr kon kre-
tis tische, nicht nur symbolische Weise überschritten. Zwei-
tens, Geschlechtsinkongruenz und „Trans-Sein sind gegen-
wärtig gesellschalich und politisch extrem legitimiert und
wurden in den letzten Jahren zu einer Angelegenheit der
Men schenrechte deniert, was sich auch an dem geplanten
„Selbstbestimmungsgesetz“ ablesen lässt. Infolge dessen
erfahren die Betroenen in ihrer Störung – die notabene nach
dem Willen der Befürworter eines transarmativen Ansatzes
nicht mehr als solche bezeichnet werden sollte eine starke
externe Vali dierung und positive Verstärkung.
Trans als Zeitgeistphänomen – Das
Gesundheitssystem als Teil des Problems
Anorexia und Bulimia nervosa werden häug als moderne
ethnische Störung bezeichnet; für den gegenwärtigen Hype
um das Phänomen Geschlechtsinkongruenz, „trans“ und „Non-
Binarität“, das besonders unter Angehörigen der jungen Gene-
ration in den westlichen Industriestaaten so stark verbreitet ist,
gilt dies sicherlich in noch größerem Maße. Die dynamischen
Wechselwirkungen von Zeitgeist und Rollenverständnis und die
wichtige Bedeutung kultureller Einussfaktoren, ins besondere
die Verstärkungsmechanismen durch soziale Netzwerke und
116 Alexander Korte, Gisela Gille
Internetforen, sind für beide Konditionen bzw. maladaptiv-
dysfunktionale Koniktverarbeitungsmodi hin läng lich bekannt
und ebenso schlüssig beschrieben wie die fatale Wirkung
sozialer Ansteckung, welche oensichtlich auch über mediale
Austauschprozesse, also einer lediglich vir tu ellen Begegnung
mit gleichgesinnten bzw. ähnlich vulne rablen Peers erfolgen
kann (Littman, 2018). Im Falle der psychogenen Essstörungen
war dies immer wieder Anlass für Verbotsinitiativen bzw. für nur
bedingt erfolgreiche Versuche, die „Pro-Ana“-Internet-Seiten,
auf denen die Anorexie als Lebensform verklärt und oensiv für
Hungerdiäten geworben wird, wegen ihres jugendgefährdenden
Potentials sperren zu lassen.
Auf die Bedeutung kultureller Umbrüche bzw. zivili sa-
torischer Krisen für die Zunahme des Zeitgeist-Phänomens
Transgenderismus“ in der Postmoderne und unsere ese, dass
es sich dabei um eine ins Individuum verlagerte Kri senlösung
handeln könnte, sind wir unlängst ausführlichst eingegangen
(Korte & Tschuschke, 2023). Ergänzend dazu sei angemerkt,
dass es in unserer Gesellscha ein höchst auällige, bisweilen
voyeuristisch anmutende Faszination für selbst schä digende
Ver hal tensweisen im Speziellen von jungen Frauen gibt, die
sich Trends unterwerfen. Beispiele dafür ren der Kult um
das 1960er Magersuchtsmodell Twiggy, das zur Stil ikone ihrer
Zeit wurde und maßgeblich zur Popularisierung der Ano rexie
beigetragen hat; ebenso das breite Interesse einer schockierten
Öentlichkeit am Schicksal der heroinabhängigen 13-jährigen
Christiane F., die kollektive „Angstlust“ angesichts von Be schaf-
fungsprostitution und Drogentod der Kinder vom Bahnhof Zoo,
nach Erscheinen des gleichnamigen, weltweit mehr als drei
Millionen Mal verkauen Buchs im Jahr 1978, das kurz darauf
auch verlmt wurde.
Unüb ersehba r ist aber auch di e Anfälligkeit der Medizin
und Psychologie für das Phänomen einer (medial getrigger -
ten) Massenhysterie, im Zuge derer die Begeisterung für schein-
bar neue Phänomene zu neuen und irreführenden Diagnosen
führt, die Eingang in medizinische Klassikationssysteme n-
den und unkorrigierbar jahrzehntelang einer angemessenen
wis sen schalichen Überprüfung standhalten“. Sobald die
Symp tommuster kodiziert und validiert sind, können sie von
denjenigen gefunden werden, die unbewusst nach einer Aus-
drucksmöglichkeit für ihre ansonsten schwer verbalisier bare
Not suchen (Marchiano, 2021). Hier zeigt sich eine deutliche
Paral le le zwischen der sog. Multiplen Persön lichkeitsstörung
der 1990er Jahre und der unter Jugendlichen heute so häug
gewordenen Trans-Diagnosen, respektive de ren frühzeitige
Armation durch das medizinische Estab lish ment, Aktivisten
und die Medien. Beides betri wie auch selbstverletzendes
Ve rh a l te n un d di e „k l a s si s c he Hys terie – bevorzugt junge Frau-
en, die sich für soziale Anstec kungs phänomene stets als beson-
ders empfänglich erwiesen (Papadima, 2019).
Self-empowerment statt
Gender-trouble
Behandlung von Geschlechtsdysphorie
und Ansatzpunkte für Prävention
Anders als in der Anorexie-Behandlung, für die sich vielerorts
ein eklektischer erapieansatz mit Kombination aus ver hal-
tensbezogenen Maßnahmen mit koniktzentriert/auf dec ken-
den oder mentalisierungsbasierten, psychodynami schen sowie
sys temisch-familientherapeutischen Verfahren be währt hat,
v.a . ab e r d i e Vo r r a ng i g k e i t d e r p sy cho the rapeutischen Be hand-
lung niemals infrage gestellt wurde, be sitzt die Debatte über
eine angemessene Versorgung ge schlechts dysphorischer, trans-
identizierter und neuerdings auch „non-binärer“ Min der jäh-
riger wie kein anderes ema das Potential, die kinder- und ju-
gendpsychiatrische und -psy cho therapische Community zu spalten.
Kontroverse um verschiedene Therapiestrategien
bei Geschlechts dysphorie
In der Fachliteratur nden sich stark divergierende Ansich-
ten bzgl. der grundsätzlichen therapeutischen Haltung in der
Behandlung von geschlechtsdysphorischen minder jäh ri gen
Pa tien ten; ferner existieren fundamental unterschiedliche Mei-
nun gen in der Frage nach dem Stellenwert und frü hest mög-
lichen Zeit punkt der Einleitung körperverän dern der Maß-
nahmen. Im Wesentlichen lassen sich zwei konträre Positionen
und dis pa rate klinisch-therapeutische Vorge hensweisen von-
ein an der unterscheiden:
a) Eine ausschließlich transarmative erapie, welche
den Trans-Wunsch nicht hinterfragt und die mehr oder
weniger automatisch auf eine pubertätsblockierende Be-
hand lung hinausläu, die als medizisch unbedenklich
und ethisch unproblematisch dargestellt wird (Chen et al.,
2023; Coleman et al., 2022; de Vries et al., 2011; Hembree,
2011; Romer & Lempp, 2022; Romer & ller-Kallista,
2020, 2021). Befürworter dieses Ansatzes gehen meist von
der (angesichts der wissenschalichen Datenlage nicht
haltbaren) Annahme einer neurobiologisch-genetischen
Deter mi nierung von Geschlechtsidentität aus.
Eine das Kind bzw. den Adoleszenten in seiner vermeintli chen
„Tr an si d en ti t ät u nk r it i sc h b e st ä r ken de therapeutisch-pä da -
gogi sche Haltung lässt entwick lungs psychologisches Grund-
wissen sowie basale Kennt nisse über Adoleszenzkrisen vermis-
sen. Die frühe Wei chenstellung präjudiziert eine Persistenz der
gen der dys phorischen Symptomatik zur Transsexualität – und
da mit eine mit Risiken und Nebenwirkungen behaete Trans-
formationsbehandlung.
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 117
b) Der genderkritische bzw. -explorative Ansatz, der darauf
abzielt, einen Reexionsprozess anzustoßen, um die je
unterschiedlichen Motive der Transidentizierung auszu-
loten, die psycho-sozioemotionalen Begleitprobleme und
Komorbiditäten zu behandeln sowie das Risiko einer
Persistenz des geschlecht sdysphorischen Erlebens zu
minimieren und Alternativen zur medizinischen Tran-
si tion aufzuzeigen. Im Kern geht es darum, Ge schlech-
terstereotypen und unrealistische Erwartungen be züglich
des „Geschlechtswechsels“ kritisch zu hinterfragen,
Hand lungsfähigkeit und Autonomie zu fördern und
die Betroenen zu befähigen, kreative Lösungen für
ihren Identi tätskonikt zu entwickeln (Ayad et al., 2022;
D´Angelo, 2023; D´Angelo et al., 2021; Korte, 2022).
Dies schließt die Klärung ein, ob sich hinter einem Tran-
sitionsbegehren ein Lösungsversuch für eine ganz anders
gelagerte Problematik verbirgt (Korte et al., 2014, 2017).
Die fachliche Debatte über das Für und Wider einer frühzeitigen
medizinischen Weichenstellung wird dominiert von der äu-
ßerst kontrovers diskutierten Frage, ob und inwieweit das
me dikamentöse Anhalten der Pubertätsentwicklung mit
GnRH-Analoga eine medizinisch sichere, für das Ziel einer
Leidensreduktion geeignete und ethisch vertretbare erapie
darstellt (Abbruzzese, Levine, Mason, 2023; Bell, 2023; Biggs, 2020;
D´Angelo et al., 2021; Korte & Siegel, 2024; Korte et al., 2021).
Aufwändige Metaanalysen, die 1.132 minderjährige Patienten
aus 16 Studien inkludierten – darunter keine ein zige kontrollierte
Ve rg l e i ch s - , s on d e r n a us s c hl i e ß li c h B e o ba c h tungsstudien, sechs
davon von der Pharmaindustrie nanziert haben die feh len-
de Evidenz für den Nutzen einer frühen hormonellen Behand-
lung (Pubertätssupression und gegen geschlechtliche Hor mo ne)
bemängelt (Chew et al., 2018; Mah fouda et al., 2019). Zu gleich
mehren sich die Hinweise auf potentielle Risiken, Neben-
wirkungen und ungünstige Lang zeitfolgen von GnRH-Analoga,
welche im Einzelnen darzustellen den Rahmen sprengen würden
(vgl. Lenzen-Schulte, 2022a/b; Korte & Siegel, 2024).
Angesichts dessen haben mehrere Länder entschieden, sich
von einem transarmativen Ansatz zu verabschieden und den
Einsatz von Pubertätsblockern bei geschlechtsdysphorischen
Kindern streng zu limitieren, ausschließlich im Rahmen wis-
senschalich kontrollierter Studien oder gar nicht mehr zuzu-
lassen (England, Finnland, Schweden, Dänemark, Frank reich,
mehrere Bundesstaaten der USA). Dies auch vor dem Hin ter-
grund, dass zunehmend mehr Behandelte im Verlauf ihrer
wei teren Entwicklung ihre Entscheidung bereuen, un ter dem
Resultat leiden (Boyd et al., 2022; Hall et al., 2021; Litt man,
2021; Littman et al., 2023; Roberts et al., 2022; Vandenbussche,
2022) und einige Patient:innen den Vorwurf erheben, dass ihr
damaliges Empnden wie selbstverständlich hingenommen
und nie wirk lich hinterfragt worden sei, weshalb sie übereilte
Ent schei dungen getroen hätten; teils prozessieren sie gegen
ihre ehe maligen Behandler.
Empfehlungen für die Praxis –
vorläufiges Fazit
Wenn Menschen jedweden Alters aufgrund ihrer körperlichen
Geschlechtszugehörigkeit psychisches Leid verspüren und
Hilfe in Anspruch nehmen wollen, sollten Ärztinnen und
Ärzte das Leiden wie auch die individuellen Lebensentwürfe
der Betroenen ernst nehmen (und letztere nicht pauschal
pathologisieren). Sie sollten aber auch jeder universellen Heils-
vorstellung, die eine Linderung von psychischem Leid vorrangig
in der Umsetzung ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen sucht,
grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Allem voran gilt
es, die Vielfalt möglicher Ursachen für die Körper- und Ge-
schlechtsinkongruenz pubertierender Mädchen an zu erkennen
und die Identikationsschablone „trans“ nicht über eilt zu
bedienen. In den allermeisten Fällen von Ge schlechts dysphorie
im Jugendalter handelt es sich um einen Al ters rol lenkonikt
bzw. eine temporäre Verunsicherung der sexu ellen, weniger
der geschlechtlichen Identität. Dies gilt ins beson dere für ges-
chlechtsbezogene Identitätskonikte bzw. Trans-Iden ti zier-
ungen, die während der Pubertät neu auf ge treten (ROGD) und
als maladaptive Lösungsstrategie für alters pha sen typische Pro-
bleme einzuordnen sind. Dane ben gibt es eine kleine, schwer
quantizierbare Subgruppe mit Anhaltspunkten für eine
zeitlich überdauernde Ge schlechts identitätsproblematik im
Sinne ei ner Transsexualität (Geschlechtsdysphorie vom trans-
se xuellen Typus).
Wenn nach sorgfältiger Exploration der bisherigen lebens-
geschichtlichen Entwicklung der Eindruck entsteht, dass hinter
dem Geschlechtsinkongruenz-Erleben mehr steckt als eine pu-
ber täre Krise und Anpassungsstörung, sollte der Kontakt zu einer
spezialisierten Einrichtung gebahnt oder diese beratend hin-
zugezogen werden. Angesichts der Tat sache, dass bei manchen
der Mädchen eine sexuelle Trau matisierung, Gewalterfahrung
oder eine abgewehrte (ich-dystone) Homosexualität (Drum-
mond et al., 2008, 2017; Singh, 2012; Steensma, McGuire et
al., 2013; Steensma, van der Ende et al., 2013) ein mögliches
Motiv für transsexuelle Fantasien bzw. den Wunsch nach einem
„Geschlechtswechsel“ sein kann, erfordert die diagnostische
Klärung ein hohes Maß an fachlicher Expertise, die sich neben
allgemeinen entwicklungspsychiatrischen optimaler Weise auch
auf spezielle sexualtherapeutische Kenntnisse erstreckt. Der
An spruch, durch eine Binnendierenzierung des heterogenen
Trans-Spek trums die Anzahl der Rückumwandlungsbegehren
zu mini mieren, sollte nicht als Paternalismus und Einmischung
in persönliche Belange des Patienten abgetan, sondern als
Aus druck ärztlicher Sorgfaltspicht verstanden werden. Eine
hor mo nelle Behandlung und/oder operative Eingrie am ge-
sunden Körper können nur in den sehr seltenen Fällen einer
Geschlechtsdysphorie vom transsexuellen Typus in gewissem
Maße erfolgversprechend sein.
Mit Blick auf die erstaunlich psychotherapiefeindliche
Aus richtung und nicht evidenzbasierte Fixierung des trans-
118 Alexander Korte, Gisela Gille
ar mativen erapieansatzes auf somatische Maß nah men,
bei denen mit Einleitung einer medizinischen Transition ein
Fertilitätsverlust sowie weitere körperliche Lang zeit schä den
billigend in Kauf genommen wer den, soll eines zu mindest
am Rande erwähnt und als Einwand gegen den dis kus sions-
würdigen Versuch vorgebracht werden, ein psychi sches Prob-
lem mittels somatischer Maßnahmen lösen zu wol len: Im Falle
des Krankheitsbildes der Anorexia nervosa, der in ähn licher
Weise eine Körperwahrnehmungsstörung und vielfach auch
eine Ablehnung von Sexualität ursächlich zu grun de liegt,
würde niemand in Erwägung ziehen, der ma ger süch tigen Pa-
tien tin Abführmittel, Appetitzügler, Diuretika oder Schild drü-
senhormone zu verschreiben, um ihr darüber die ange streb te
Körpermodikation hier eine weitere selbst indu zierte Ge-
wichtsabnahme – zu ermöglichen.
Es ist dringend geboten, in der Versorgung von gen der-
dysphorischen Minderjährigen zu einem nicht-essenti alis ti-
schen Verständnis von Identität, zurückzukehren und sich
auf elementares entwicklungspsychologisches Wissen rück-
zubesinnen. Überdies ist es naheliegend, intensiver als bis -
lang üblich auf die im Kontext der Anorexie-Behandlung ge-
sammelten Erfahrungen mit schweren Körperbildstörungen
zuzugreifen und diese mutatis mutandis auch in der erapie
bei massiver Ablehnung des Geschlechtskörpers zu nutzen,
wie Ponseti & Stirn (2019) angeregt haben. Sämtliche Schrit te
sowohl einer vollständigen sozialen (Morandini et al., 2023),
einer juristischen (Korte, 2021; Korte & Siegel, 2024)2 als auch
einer medizinischen Transition sollten erst nach Abs chluss der
psychosexuellen Entwicklung erwogen wer den, deren iden-
titätsstiende Erfahrungen Grundlage des Er wach sen werdens
darstellen. Identitätsndung ist das Ergeb nis einer erfolgreichen
Entwicklung in der Pubertät, nicht ihr Aus gangs punkt.
Präventionsansätze im Rahmen der
psychosomatischen Grundversorgung
Was können Kinder- und Jugendmediziner:innen (Pädiatrie
und KJP), Hausärzt:innen, Allgemeinmediziner:innen und
Frauenärzt:innen tun, um die körperliche und psychosexuelle
Entwicklung von Jugendlichen bestmöglich unterstützend zu
begleiten und deren seelische Gesundheit in der Pubertät prä-
ventiv zu fördern? Und wie können sie bereits im Rahmen der
pri märärztlichen Versorgung speziell jugendlichen Mädchen
bei der Lösung altersphasentypischer Probleme helfen, die sich
im Geschlechtervergleich bei ihnen häuger und vorrangig in
der frühen bis mittleren Adoleszenz einstellen?
Negatives (depressives) Selbstkonzept, Körperdysphorie
und das Gefühl, dass Jungen es leichter haben, sind – wie wir
2 Siehe dazu die ausführliche Sachverständigen-Stellungnahme zum sog.
„Selbstbestimmungsgesetz“ in diesem Heft oder unter https://sexuologie-
info.de/artikel/2023.34.31.pdf
mit Hinweis auf geschlechtstypische Unterschiede im Erleben
der körperlichen Reifungsvorgänge dargelegt haben bei
Mädchen durchaus häuge Begleiterscheinungen im Laufe
der Auseinandersetzung mit den pubertären Ent wick lungs-
aufgaben. Deren Bewältigung stellt a priori eine ge waltige
Her ausforderung dar, weshalb passagere Krisen in dieser
Pha se auch nicht per se und unnötigerweise patho lo gisiert
wer den sollten. Bei Mädchen, die aufgrund ihrer fami liä-
ren Situation oder einer schwierigen Lebensgeschichte nur
wenige Ressourcen mitbringen, ist die psychosexuelle Ent-
wicklung besonders störanfällig (Becerra-Culqui et al., 2018;
Kaltiala-Heino et al., 2015; Kozlowska et al., 2020). Ob die
Entwicklung in der Pubertät zu persönlicher Entfaltung und
einer stabilen weiblichen Identität führt oder in psychiatrisch/
psychosomatischen Erkrankungen mündet, hängt nicht zuletzt
von der Qualität der Unterstützung ab, die Mädchen zuteil
wird, wenn in der Pubertät das Kohärenzgefühl mit dem eige-
nen Körper verloren zu gehen droht.
Generell sind Mädchen in der Umbruchphase der Pubertät
sehr aufgeschlossen für Un terstü tzung s- un d I nfor mati ons-
angebote, welche ihnen helfen, die von innen und außen auf sie
einstürmenden Veränderungen, Eindrücke und Empndungen
erklär- und vorhersehbar zu machen. Ohne Zweifel braucht
es für eine eziente Prävention heute mehr denn je ein ide o -
logiefreies Gesprächsangebot von kompetenter Seite und
ärztliche Empathie, mit Hilfe derer Mädchen Körperakzeptanz
und ein gut abgegrenztes sexuelles Selbstbewusstsein ent-
wickeln können. Denn Weiblichkeit ndet nur mit dem Kör-
per statt, nicht möglichst weit weg von diesem. Um ihren sich
verändernden Körper schätzen und schützen zu können, be-
nötigen Mädchen Informationen über
die weibliche Anatomie und die reifungsbedingten Verän-
derungen, die sie an sich feststellen,
die große Variabilität im Bereich des Normalen und die
Gründe einer mangelnden Körperakzeptanz von Mädchen,
die faszinierenden zyklischen Abläufe im Mädchenkörper,
die Fruchtbarkeit und die körperlichen Signale, die Mäd-
chen in diesem Kontext an sich bemerken,
die Menstruation, Menstruationsprobleme und Menstrua-
tionshygiene,
die geschlechtsspezische Ausprägung der weiblichen Se-
xualität und deren phasentypisch unterschiedlich gewich-
tete Funktionsdimensionen,
Es kommt […] sehr darauf an, wie ein junges Mädchen seinen Körper
kennen lernt und begreift. Ob der eigene Körper als eher mangelhaft
oder als vollständig, als abstoßend oder als liebenswert, als schwach
oder als potent erfahren wird, ist grundlegend dafür, welchen Weg ein
Mädchen am Übergang zur erwachsenen Frau einschlägt und welche
Position sie in der Geschlechterbeziehung und in der Gesellschaft
einnimmt“ (Waldeck, 2003).
Wa h lv e r w a n dt s c h a ft e n ? Tr a ns - I d en t i f i z ie r u n g u nd A n o re x i a ne r v o s a al s m a l ad a p t i ve L ö su n g s v er s u c he 119
die Möglichkeiten sicherer Kontrazeption und des sicheren
Schutzes vor sexuell übertragbaren Erkrankungen.
Darüber hinaus dürfen die Mädchen sich nicht allein gelassen
fühlen in ihrer Wahr nehmung der schmerz haen Diskrepanz
zwischen der theoretischen Idee der Gleich berechtigung der
Geschlechter und der harten Realität der sexuellen Objekti-
zierung (Nadrowski, 2023).
Wa h rs c h e i n li c h h a b e n d ie m e i s t en P a t i en t i n n e n b er e i t s
mehrfach in der Schule am Sexualkundeunterricht teilgenom-
men. Lehrer müssen aber im gemeinsamen Unterricht mit
Jungen und Mädchen ihre Ausküne und Ratschläge versach-
lichen, auch um die jeweiligen Schamgefühle zu berücksichtigen.
Individuelle Fragen und Probleme werden nicht thematisiert.
„Ich hätte da mal eine Frage…“ so leicht machen Mädchen
es einem selten. Denn das Formulieren eigener Fragen setzt
Erfahrungen voraus, über welche die Mädchen noch gar nicht
verfügen. Ihr Sosein mag verstörende Realität sein, aus der sich
aber nicht zwangsläug konkrete Fragen ergeben.
Ärztinnen und Ärzte müssen also von sich aus einen Schritt
auf die Mädchen zugehen und zunächst Fragen anbieten, die sie
nicht überfordern. Mädchen steigen gerne auf Fragen ein, die das
ema von außen einkreisen. Je nach Alter und Auassungsgabe
kann man dann konkreter werden: „Du bist ja selber schon sehr
deutlich in der Pubertät, hast du denn das Gefühl, dass alles so
ganz normal ist?“ oder Gibt es etwas, das dich beunruhigt?“
oder „Wie geht es dir denn mit deiner Regel?“ „Gibt es da etwas,
was du dir nicht erklären kannst?“ Falls nun aber das Mädchen
nicht auf Fragen mit deutlichem Auorderungscharakter
ein steigt? Das wird die Ausnahme bleiben, aber in diesem Fall
sollte genau das beschwichtigend angesprochen werden: „Wenn
du jetzt nichts Konkretes an Fragen hast, dann ist das auch nicht
gleich unnormal“ – so fühlen die Mädchen sich auf jeden Fall
respektiert und akzeptiert. Natürlich kann man dann noch von
sich aus ein ema ansprechen: „Wenn du schon mal hier bist,
dann würde ich dir gerne noch schnell etwas erklären, weil ich
weiß, dass viele Mädchen unsicher sind, ob… / ein Problem
damit haben, dass ….“ Die Jugendliche sollte das sichere Gef ühl
erhalten, dass sie jederzeit kommen kann, wenn sie eine drin-
gende Frage hat oder es Probleme gibt.
Und w enn da s M ädche n n ach de m e rsten Konta kt bes -
tenfalls denkt: „Die/Der ist aber nett gewesen“, dann ist durch
eben diese positive Erfahrung bereits ein wichtiger erster
Schritt der Prävention getan, wofür auch dasjenige Mädchen
dankbar sein wird, das dies vielleicht aus Unsicherheit und
Scham zunächst nicht zeigen konnte (Gille, 2021). Einfühlsame
und bewertungsfreie, explorative Fragen zur Sexualität, zur
eigenen Geschlechtsrolle und zum geschlechtsbezogenen Iden-
titätsempnden sollten idealerweise zum festen Repertoire aller
mit jugendlichen Patientinnen befassten Ärztinnen und Ärzte
gehören. Es ist eine äußerst dankbare ärztliche Aufgabe, ein
Ge sprächsangebot bereit zu halten, mithilfe dessen dchen
ein akzeptierendes und wertschätzendes, positives Verhältnis
zu ihrem sich reifungsbedingt verändernden Körper, zu ihrer
Weiblichkeit und zu ihrer sexuellen Identität entwickeln können.
Nur so ist es mög lich, angesichts der unüberschaubaren Viel-
zahl an Beratungsangeboten und Einussnehmenden in den so-
zialen Medien – von wohlgemeint bis subversiv, von unwirksam
bis seelen- und lebenszerstörerisch, von politisch motiviert bis
weit jenseits des hippokratischen Eides mit dem Wohl von Kin-
dern und Jugendlichen experimentierend einfühlsame, sach-
kundige und verantwortungsvolle ärztliche Hilfe anzubieten.
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Autor/Autorin
Dr. med. Alexander Korte, M.A., Ltd. Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Nußbaumstr. 5a, 80336 München,
e-mail: alexander.korte@med.uni-muenchen.de
Dr. med. Gisela Gille, Drögenkamp 1, 21335 Lüneburg, e-mail: gisela.gille@t-online.de
Claus Koch
Wenn aus Jugendlichen Erwachsene werden
Leben und Bindung junger Menschen zwischen 18 und 30 Jahren
Klett-Cotta 2024, 182 Seiten, br., 22,00
Freiheit oder die Suche nach Identität und Sinn
Erwachsenwerden aus bindungstheoretischer Perspektive
Thematisch konkurrenzlos im deutschen Sprachraum
Die »Odysseusjahre« als eigenständige Entwicklungsphase
Wenn junge Menschen von ihrer Kindheit endgültig Abschied nehmen müssen, beginnt für sie eine
neue Zeitrechnung. Wichtige Leitplanken wie Elternhaus und Schule fallen weg, und plötzlich stehen
bislang unbekannte Entwicklungsaufgaben an, die weitreichende Folgen für das ganze Leben haben.
Aus bindungstheoretischer Sicht beschreibt der Autor das Erwachsenwerden als eigenständige
Entwicklungsphase, in der sich alles noch einmal radikal verändert. Die »Odysseusjahre«, wie Claus
Koch sie nennt, sind gekennzeichnet von einer Suche nach Autonomie, begleitet von Identitätskrisen,
in denen sich erneut frühkindlich erworbene Bindungsmuster zeigen.
Der Autor beschreibt das Leben und die Gefühle junger Erwachsener von heute. Da ist ein
Freiheitsversprechen, das gelebt werden will und gleichzeitig Angst machen kann. Er zeigt, wie Eltern
und andere Bezugspersonen sie in dieser Zeit unterstützen können
Article
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Media's Stranglehold on Storm and Stress - The Sorrows of Generation Z about Sex and Gender Abstract: The feeling of not belonging to one's birth sex is not new; one can trace this phenomenon back even to ancient mythology. Although it has always been rare, there has recently been a sharp increase in gender identity deviations among adolescents. This text addresses this problem by asking to what extent this development also results from upheavals in the cultural landscape and, above all, in media technology. Do they cause young people to believe they are in the "wrong gender" and, in extreme cases, to strive for transition? We present the most salient cornerstones of the planned German self-determination law (Self-ID), most of which, however, are unlikely to do justice to the underlying problem. The text concludes by describing several unanswered questions concerning this matter and by attempting to propose first answers. The advantages of a gender-exploratory over the trans affirmative therapy approach are summarized.
Article
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COVID-19 and Psychiatric Disorders in Minors: Changes in Inpatient Treatment According to Hospital Statistics Abstract: Increased rates of psychiatric disorders and psychiatric emergencies in children and adolescents stemming from the COVID-19 pandemic have been reported, with more children and adolescents suffering from internalizing disorders. This study analyzes whether the increased rates led to increased rates of inpatient treatment in child and adolescent psychiatric and pediatric hospitals in Germany as well as a change in diagnoses of the treated patients. We analyzed routine hospital data ("InEK" data, § 21 KHG data files) from a prepandemic (2019) and a pandemic (2021) half-year regarding changes in the number of cases, diagnoses, and length of stay (LoS) in child and adolescent psychiatry and pediatrics. We also investigated the development of psychiatric emergencies in minors. We found an increase in internalizing problems (depression, anorexia nervosa, trauma-related disorders) and a decrease in externalizing problems among the admitted psychiatric inpatients. Further, we observed a halving of cases treated for alcohol intoxication. However, we discovered no change for the frequency of psychiatric emergency treatments nationwide. A more detailed analysis revealed that, in areas with a low number of child and adolescent psychiatry inpatient beds, emergency care was prioritized and LoS decreased, whereas in areas with a fair bed-to-inhabitant ratio among minors, there was a trend toward increased LoS, also in pediatric departments. We recommend continued monitoring of inpatient care after the pandemic, with special attention paid to underprivileged children and adolescents such as those with externalizing problems.
Article
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Social gender transition is an increasingly accepted intervention for gender variant children and adolescents. To date, there is scant literature comparing the mental health of children and adolescents diagnosed with gender dysphoria who have socially transitioned versus those who are still living in their birth-assigned gender. We examined the mental health of children and adolescents referred to the Gender Identity Development Service (GIDS), a specialist clinic in London, UK, who had socially transitioned (i.e., were living in their affirmed gender and/or had changed their name) versus those who had not socially transitioned. Referrals to the GIDS were aged 4–17 years. We assessed mental health correlates of living in one’s affirmed gender among 288 children and adolescents (208 birth-assigned female; 210 socially transitioned) and of name change in 357 children and adolescents (253 birth-assigned female; 214 name change). The presence or absence of mood and anxiety difficulties and past suicide attempts were clinician rated. Living in role and name change were more prevalent in birth-assigned females versus birth-assigned males. Overall, there were no significant effects of social transition or name change on mental health status. These findings identify the need for more research to understand how social transition influences mental health, including longitudinal studies that allow for more confident inferences to be made regarding the relationship between social transition and mental health in young people with gender dysphoria.
Article
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Background Twenty years ago, the Dutch Protocol—consisting of a gonadotropin-releasing hormone agonist (GnRHa) to halt puberty and subsequent gender-affirming hormones (GAHs)—was implemented to treat adolescents with gender dysphoria. Aim To study trends in trajectories in children and adolescents who were referred for evaluation of gender dysphoria and/or treated following the Dutch Protocol. Methods The current study is based on a retrospective cohort of 1766 children and adolescents in the Amsterdam Cohort of Gender Dysphoria. Outcomes Outcomes included trends in number of intakes, ratio of assigned sex at birth, age at intake, age at start of GnRHa and GAH, puberty stage at start of GnRHa, proportions of adolescents starting and stopping GnRHa, reasons for refraining from GnRHa, and proportions of people undergoing gender-affirming surgery. Results A steep increase in referrals was observed over the years. A change in the AMAB:AFAB ratio (assigned male at birth to assigned female at birth) was seen over time, tipping the balance toward AFAB. Age at intake and at start of GnRHa has increased over time. Of possibly eligible adolescents who had their first visit before age 10 years, nearly half started GnRHa vs around two-thirds who had their first visit at or after age 10 years. The proportion starting GnRHa rose only for those first visiting before age 10. Puberty stage at start of GnRHa fluctuated over time. Absence of gender dysphoria diagnosis was the main reason for not starting GnRHa. Very few stopped GnRHa (1.4%), mostly because of remission of gender dysphoria. Age at start of GAH has increased mainly in the most recent years. When a change in law was made in July 2014 no longer requiring gonadectomy to change legal sex, percentages of people undergoing gonadectomy decreased in AMAB and AFAB. Clinical Implications A substantial number of adolescents did not start medical treatment. In the ones who did, risk for retransitioning was very low, providing ongoing support for medical interventions in comprehensively assessed gender diverse adolescents. Strengths and Limitations Important topics on transgender health care for children and adolescents were studied in a large cohort over an unprecedented time span, limited by the retrospective design. Conclusion Trajectories in diagnostic evaluation and medical treatment in children and adolescents referred for gender dysphoria are diverse. Initiating medical treatment and need for surgical procedures depends on not only personal characteristics but societal and legal factors as well.
Article
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Background: Transgender healthcare is a rapidly evolving interdisciplinary field. In the last decade, there has been an unprecedented increase in the number and visibility of transgender and gender diverse (TGD) people seeking support and gender-affirming medical treatment in parallel with a significant rise in the scientific literature in this area. The World Professional Association for Transgender Health (WPATH) is an international, multidisciplinary, professional association whose mission is to promote evidence-based care, education, research, public policy, and respect in transgender health. One of the main functions of WPATH is to promote the highest standards of health care for TGD people through the Standards of Care (SOC). The SOC was initially developed in 1979 and the last version (SOC-7) was published in 2012. In view of the increasing scientific evidence, WPATH commissioned a new version of the Standards of Care, the SOC-8. Aim: The overall goal of SOC-8 is to provide health care professionals (HCPs) with clinical guidance to assist TGD people in accessing safe and effective pathways to achieving lasting personal comfort with their gendered selves with the aim of optimizing their overall physical health, psychological well-being, and self-fulfillment. Methods: The SOC-8 is based on the best available science and expert professional consensus in transgender health. International professionals and stakeholders were selected to serve on the SOC-8 committee. Recommendation statements were developed based on data derived from independent systematic literature reviews, where available, background reviews and expert opinions. Grading of recommendations was based on the available evidence supporting interventions, a discussion of risks and harms, as well as the feasibility and acceptability within different contexts and country settings. Results: A total of 18 chapters were developed as part of the SOC-8. They contain recommendations for health care professionals who provide care and treatment for TGD people. Each of the recommendations is followed by explanatory text with relevant references. General areas related to transgender health are covered in the chapters Terminology, Global Applicability, Population Estimates, and Education. The chapters developed for the diverse population of TGD people include Assessment of Adults, Adolescents, Children, Nonbinary, Eunuchs, and Intersex Individuals, and people living in Institutional Environments. Finally, the chapters related to gender-affirming treatment are Hormone Therapy, Surgery and Postoperative Care, Voice and Communication, Primary Care, Reproductive Health, Sexual Health, and Mental Health. Conclusions: The SOC-8 guidelines are intended to be flexible to meet the diverse health care needs of TGD people globally. While adaptable, they offer standards for promoting optimal health care and guidance for the treatment of people experiencing gender incongruence. As in all previous versions of the SOC, the criteria set forth in this document for gender-affirming medical interventions are clinical guidelines; individual health care professionals and programs may modify these in consultation with the TGD person.
Article
Background: Limited prospective outcome data exist regarding transgender and nonbinary youth receiving gender-affirming hormones (GAH; testosterone or estradiol). Methods: We characterized the longitudinal course of psychosocial functioning during the 2 years after GAH initiation in a prospective cohort of transgender and nonbinary youth in the United States. Participants were enrolled in a four-site prospective, observational study of physical and psychosocial outcomes. Participants completed the Transgender Congruence Scale, the Beck Depression Inventory-II, the Revised Children's Manifest Anxiety Scale (Second Edition), and the Positive Affect and Life Satisfaction measures from the NIH (National Institutes of Health) Toolbox Emotion Battery at baseline and at 6, 12, 18, and 24 months after GAH initiation. We used latent growth curve modeling to examine individual trajectories of appearance congruence, depression, anxiety, positive affect, and life satisfaction over a period of 2 years. We also examined how initial levels of and rates of change in appearance congruence correlated with those of each psychosocial outcome. Results: A total of 315 transgender and nonbinary participants 12 to 20 years of age (mean [±SD], 16±1.9) were enrolled in the study. A total of 190 participants (60.3%) were transmasculine (i.e., persons designated female at birth who identify along the masculine spectrum), 185 (58.7%) were non-Latinx or non-Latine White, and 25 (7.9%) had received previous pubertal suppression treatment. During the study period, appearance congruence, positive affect, and life satisfaction increased, and depression and anxiety symptoms decreased. Increases in appearance congruence were associated with concurrent increases in positive affect and life satisfaction and decreases in depression and anxiety symptoms. The most common adverse event was suicidal ideation (in 11 participants [3.5%]); death by suicide occurred in 2 participants. Conclusions: In this 2-year study involving transgender and nonbinary youth, GAH improved appearance congruence and psychosocial functioning. (Funded by the Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health and Human Development.).
Article
Two Dutch studies formed the foundation and the best available evidence for the practice of youth medical gender transition. We demonstrate that this work is methodologically flawed and should have never been used in medical settings as justification to scale this "innovative clinical practice." Three methodological biases undermine the research: (1) subject selection assured that only the most successful cases were included in the results; (2) the finding that "resolution of gender dysphoria" was due to the reversal of the questionnaire employed; (3) concomitant psychotherapy made it impossible to separate the effects of this intervention from those of hormones and surgery. We discuss the significant risk of harm that the Dutch research exposed, as well as the lack of applicability of the Dutch protocol to the currently escalating incidence of adolescent-onset, non-binary, psychiatrically challenged youth, who are preponderantly natal females. "Spin" problems-the tendency to present weak or negative results as certain and positive-continue to plague reports that originate from clinics that are actively administering hormonal and surgical interventions to youth. It is time for gender medicine to pay attention to the published objective systematic reviews and to the outcome uncertainties and definable potential harms to these vulnerable youth.
Article
Zusammenfassung Einleitung Für die kontrovers diskutierte Diagnose Geschlechtsinkongruenz (GI) / Geschlechtsdysphorie (GD) im Kindes- und Jugendalter werden international steigende Zahlen in der Inanspruchnahme sowie zunehmend heterogene Verläufe für trans* Entwicklungen berichtet. Bisher existieren nur wenige Studien, welche die Zuweisungszahlen und Behandlungsverläufe in auf trans* Kinder und Jugendliche spezialisierten Sprechstunden in Deutschland beschreiben. Forschungsziele In der vorliegenden Studie werden deshalb die demografischen und klinischen Merkmale der vorstelligen trans* Kinder und Jugendlichen sowie die in der Hamburger Spezialsprechstunde für Geschlechtsidentität bzw. GI/GD (Hamburger GIS) erfolgte Diagnostik und Behandlung untersucht. Methoden Deskriptive Angaben zum Zuweisungsgeschlecht und Alter, zur sozialen Vornamensänderung, zum Behandlungsverlauf (Verlauf zwischen Zeitpunkt der Erstvorstellung und der Auswertung), zur Diagnose im Bereich einer GI/GD (gemäß ICD-10) und zum Behandlungsstatus von N = 680 Kindern und Jugendlichen (Zeitraum: 2013–2018) wurden retrospektiv erfasst. Ergebnisse Die Mehrheit der insgesamt 680 vorstelligen Kinder und Jugendlichen hatte ein weibliches Zuweisungsgeschlecht (74 %; 1:3, M:F) und war bereits im Jugendalter (≥ 12 Jahre; 87 %). Eine soziale Vornamensänderung war zum Zeitpunkt der Erstvorstellung häufig bereits erfolgt (66 %). Eine Diagnose im Bereich einer GI/GD erhielten 85 % der Fälle. Bei 75 % der Kinder und Jugendlichen war der Behandlungsverlauf bekannt, während der Behandlungsverlauf in 25 % der Fälle nicht nachvollzogen werden konnte. Es zeigten sich deskriptive Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (bekannter vs. unbekannter Behandlungsverlauf) in Bezug auf alle untersuchten Variablen. 66 % der Jugendlichen, bei denen Angaben zum Behandlungsverlauf vorlagen, hatten eine geschlechtsangleichende körpermedizinische Behandlung erhalten. Schlussfolgerung Die Ergebnisse der Auswertung verdeutlichen, dass trans* Kinder und Jugendliche, die sich in spezialisierten Sprechstunden für GI/GD vorstellen, eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Merkmalen und Behandlungsverläufen darstellen. Geschlechtsangleichende körpermedizinische Behandlungen waren in vielen, aber nicht in allen Fällen indiziert. Aus der Heterogenität der Entwicklungs- und Behandlungsverläufe resultiert die zunehmende Bedeutung individualisierter, einzelfallbasierter Entscheidungen in einem interdisziplinären Behandlungssetting.
Article
ZUSAMMENFASSUNG In diesem Artikel wird ein praxisnaher Überblick über den aktuellen Wissensstand zur Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter dargestellt. Ausgehend von dem in der ICD-11 vollzogenen Paradigmenwechsel, wonach die Geschlechtsinkongruenz keine psychische Störung ist, werden die wichtigsten sich daraus ergebenden Neuerungen für den professionellen Umgang mit Geschlechtsdiversität diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die Unterstützung geschlechtsdiverser Personen, ein Leben im empfundenen Geschlecht zu führen. Bei einer Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter besteht meist kein weiterer Behandlungsbedarf. Im Jugendalter kann die fortschreitende körperliche Reifung zu einem geschlechtsdysphorischen Leidensdruck führen, der neben unterstützender Psychotherapie häufig die Empfehlung für gestufte somatomedizinische Interventionen zum Aufhalten der pubertären Reifung und zur Geschlechtsangleichung begründet. Die Voraussetzungen für individuelle Indikationen werden gemeinsam mit den hierbei zu berücksichtigenden ethischen Maßgaben ausgeführt.