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Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung - Tagungsdokumentation der NaturschutzDigital 2023

Authors:
  • German Federal Agency for Nature Conservation (BfN)
  • UDATA GmbH - Environment & Education

Abstract

Neue Technologien und digitale Anwendungen, wie Online-Portale, Apps, digitale Spiele & Co., können auf kreative Weise zur Vermittlung von Naturschutzwissen und Naturerleben eingesetzt werden. Doch es gibt zahlreiche Herausforderungen bei der Umsetzung in der Praxis sowie offene Forschungsfragen, v.a. hinsichtlich der Auswirkung neuer Technologien und der Wirksamkeit digitaler Formate. Dieses Thema wurde mit 38 Expert:innen auf der Tagung NaturschutzDigital vom 02. bis 05.05.2023 an der Internationalen Naturschutzakademie (INA) auf der Insel Vilm diskutiert. Die Publikation dokumentiert die Tagungsergebnisse und stellt zahlreiche Beispiele vor, wie neue Technologien in der Naturschutzbildung eingesetzt werden können. Der Tagungsband ist in der Schriftenreihe des Bundesamts für Naturschutz (BfN) erschienen.
NaturschutzDigital 2023
Innovative Digitalformate
in der Naturschutzbildung
Tagungsdokumentation
Marlen Davis und Lena-Katharina Peter (Hrsg.) BfN
677
-Schrifte
n
2024
NaturschutzDigital 2023
Innovative Digitalformate
in der Naturschutzbildung
Dokumentation der Tagung „NaturschutzDigital“
vom 02.-05.05.2023 des Bundesamts für Naturschutz (BfN)
an der Internationalen Naturschutzakademie (INA)
auf der Insel Vilm
herausgegeben von
Marlen Davis
Lena-Katharina Peter
2
Impressum
Titelbild: Skizziertes Eichenblatt vor stilisiertem Hintergrund aus Fraktalen und Digita-
lisierungselementen (Carolina Arcienigas)
Adressen der Herausgeberinnen und der Herausgeber:
Marlen Davis Bundesamt für Naturschutz (BfN)
Fachgebiet I 1.1 „Strategische Digitalisierung in Natur und Gesellschaft“
Alte Messe 6, 04103 Leipzig
E-Mail: Marlen.Davis@BfN.de
Lena-Katharina Peter Bundesamt für Naturschutz (BfN)
Fachgebiet I 2.2 „Naturschutz, Gesellschaft und soziale Fragen“
Konstantinstr. 110, 53179 Bonn
E-Mail: Lena-Katharina.Peter@BfN.de
Fachbetreuung im BfN:
Marlen Davis Fachgebiet I 1.1 „Strategische Digitalisierung in Natur und Gesellschaft“
Ass. Iur. Ute Feit Internationale Naturschutzakademie (INA)
Insel Vilm, 18581 Putbus / Rügen
E-Mail: Ute.Feit@BfN.de
Förderhinweis:
Gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (FKZ: 3522 89 0700).
Diese Veröffentlichung wird aufgenommen in die Literaturdatenbank „DNL-online“ (www.dnl-online.de).
BfN
-Schriften sind nicht im Buchhandel erhältlich. Eine PDF-Version dieser Ausgabe kann unter
www.bfn.de/publikationen
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Institutioneller Herausgeber:
Bundesamt für Naturschutz
Konstantinstr. 110
53179 Bonn
URL: www.bfn.de
Der institutionelle Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständig-
keit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen geäußerten A
nsichten
und Meinungen müssen nicht mit denen des institutionellen Herausgebers übereinstimmen.
Diese Schriftenreihe wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz Namensnennung
keine Bear-
beitung 4.0 International (CC BY
- ND 4.0) zur Verfügung gestellt (creativecommons.org/licenses).
Druck: Druckerei des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
(BMUV)
Gedruckt auf 100% Altpapier
ISBN 978
-3-89624-439-0
DOI 10.19217/skr
677
Bonn 2024
Inhaltsverzeichnis
3
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................................... 6
Zusammenfassung ............................................................................................................ 8
Abstract ........................................................................................................................... 9
Hintergrund zur Tagung NaturschutzDigital 2023 ............................................................. 10
1 Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der
Naturschutzbildung“
Marlen Davis und Lena-Katharina Peter .............................................................. 13
2 Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor) ................... 22
2.1 Mobile Techniken in der Natur- und Umweltbildung - ein Überblick
Markus Dotterweich ................................................................................................. 22
2.2 Rätseln für den Artenschutz ein tabletbasiertes Escape Game zu Gefährdung
und Schutzmöglichkeiten von Wildpflanzen
Hannah Rosenbaum, Franziska Hahn und Ute Becker.............................................. 29
2.3 Die Naturerlebnis-App der Döberitzer Heide Digitale Wege die Natur zu
erkunden
Kristin Hinsberger ...................................................................................................... 34
2.4 Naturblick: Erkenntnisse aus der Entwicklung einer App zur urbanen
Naturerfahrung
Ulrike Sturm und Omid Khorramshahi ...................................................................... 38
2.5 Flora Incognita Mehr als Pflanzenbestimmung
Anke Bebber .............................................................................................................. 43
2.6 Augmented Reality in der Naturschutzbildung am Beispiel von ARaction
Phillip Bengel ............................................................................................................. 48
2.7 Local Cosmos: App-Baukasten für Naturschutzprojekte
Thomas Uher ............................................................................................................. 51
2.8 Übersicht Bestimmungs-Apps
Ulrike Sturm, Hauke Kuhlmann und Madeleine Dontschev ..................................... 57
3 Themenblock II: Digitalformate zur Nutzung außerhalb der Natur (indoor) ........ 62
3.1 Ein digitaler Lernraum für den Natürlichen Klimaschutz
Silke Ramelow und Larisa Chvartsman ..................................................................... 62
3.2 Das digitale Bildungsangebot der NABU|naturgucker-Akademie
Regine Balmer ........................................................................................................... 64
3.3 Das Simulationsspiel ECO und die App-Rallye SDG-Prüfer
Joachim Schneider, Felix Papsch und Lisa Graskamp ............................................... 72
3.4 „Mistkäfer ist nicht gleich Mistkäfer“ Wissensvermittlung durch digitale
Medienstationen im Museum
Susanne Lanckowsky ................................................................................................. 78
Inhaltsverzeichnis
4
3.5 E-Learning-Lehrgang „Natura-2000-Manager*in“ digitale Formate und Virtual
Reality in der beruflichen Weiterbildung
Katinka Sauer............................................................................................................. 83
3.6 Naturexpedition2050 Sind hybride Bildungsprojekte die Zukunft?
Elisa Kohlmann .......................................................................................................... 87
3.7 NordseeLIFE: VR-Erlebnis- und Bildungsplattform um und über die Natur
der Nordsee
Holger Weber ............................................................................................................ 93
3.8 3D VR-Erlebnisse wildlebender Tiere von VRNATURE
Alexander Sommer .................................................................................................... 96
3.9 Abenteuer Bodenleben“ eine Virtual Reality-Animation zu Bodentieren und
ihren Lebensräumen
Willy Xylander ........................................................................................................... 99
3.10 Übersicht Virtual Reality Anwendungen
Marlen Davis und Jonas Krell .................................................................................. 104
4 Themenblock III: „Schöne neue Welt“ ein Marktplatz für digitale Formate
in der Naturschutzbildung ................................................................................ 107
4.1 Digitale Formate in der Naturschutzarbeit Für ein Zusammenleben von
Mensch und Wildtier
Samantha Look und Leonie Weltgen ...................................................................... 107
4.2 Bildung, Forschung, Meeresnaturschutz: Wissensportal zu einer ökologischen
Schlüsselart
Corina Peter............................................................................................................. 113
4.3 Nutzung von digitalen Plattformen im 360° Format für die waldbezogene Lehre
Nele Römer, Tobias Cremer und Evelyn Wallor ...................................................... 116
4.4 LakeExplorer ‒ Citizen Science taucht ab
Ralph O. Schill, Thomas Uher, Wolfgang Schröder und Björn M. Philipps ............. 122
4.5 BeeLife Wildbienen auf dem Weg ins Klassenzimmer
Oliver Stock und Maria Wirzberger ......................................................................... 127
5 Themenblock IV: „Alles nur Spielerei“? Was wir über die Lerneffekte
digitaler Anwendungen in der Bildungsarbeit (noch nicht) wissen .................... 130
5.1 Wirksamkeitsanalysen zu Serious Games im Bereich Nachhaltigkeit
Christian Hoyer ........................................................................................................ 130
5.2 Naturkonstruktionen in Videospielen
Stephan M. Pietsch ................................................................................................. 136
5.3 Förderung von Wissen, Interesse und Naturverbundenheit durch Geogames
Ergebnisse aus dem Projekt „BioDiv2Go / Finde Vielfalt“
Armin Lude .............................................................................................................. 144
5.4 Becoming a Tree: Förderung von Naturverbundenheit und umweltfreundlichem
Verhalten durch die Verkörperung der Natur in immersiver Virtual Reality
Pia Spangenberger, Sarah-Christin Freytag und Sonja Geiger ................................ 152
Inhaltsverzeichnis
5
6 Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse
Marlen Davis, Klemens Mrogenda, Christian Schneider und
Lena-Katharina Peter ........................................................................................ 155
6.1 Potentiale von Digitalformaten in der Naturschutzbildung .................................... 155
6.2 Herausforderungen und Lösungsansätze für den Einsatz digitaler Formate in
der Naturschutzbildung........................................................................................... 157
6.2.1 Einstellung zu Digitalformaten ................................................................................ 158
6.2.2 Personelle und finanzielle Ressourcen ................................................................... 159
6.2.3 Planung von Digitalprojekten .................................................................................. 160
6.2.4 Ausschreibung zur Entwicklung digitaler Anwendungen ........................................ 163
6.2.5 Ausgestaltung digitaler Bildungsformate ................................................................ 164
6.2.6 Praxiseinsatz und Reichweite des digitalen Angebots ............................................ 166
Glossar ........................................................................................................................ 169
A Anhang ............................................................................................................ 172
A.1 Übersicht der Teilnehmenden ................................................................................ 172
A.2 Tagungsprogramm .................................................................................................. 175
Vorwort
6
Vorwort
Die Digitalisierung ist als gesellschaftlicher und technologischer Megatrend ein wichtiges
Querschnittsthema mit Berührungspunkten zu allen Themen des Naturschutzes. Die Natur-
schutzbildung ist dabei einer der Bereiche, bei dem die Zusammenhänge mit der fortschrei-
tenden Digitalisierung besonders offensichtlich sind: Einerseits verbringen zahlreiche Men-
schen beruflich wie privat viel Zeit an ihren Bildschirmen, während in Teilen der Bevölkerung
reale Naturerlebnisse seltener werden und das Wissen über die Natur eher gering ausgeprägt
ist. Andererseits bieten neue Technologien (z.B. Virtuelle Realität VR, Künstliche Intelligenz
KI), sowie digitale Kommunikationskanäle und immer schnellere Hardware (z.B. Grafikkar-
ten, Prozessoren) innovative Möglichkeiten, um Naturschutzthemen sowohl in der Natur, als
auch in den eigenen vier Wänden ansprechend zu vermitteln.
Mit der NaturschutzDigital 2023 veranstaltete das BfN erstmalig eine Tagung speziell im
Schnittfeld Naturschutz Digitalisierung Bildung und möchte dadurch zur Sichtbarkeit die-
ses Themas sowie zur bundesweiten, interdisziplinären Vernetzung von Expertinnen und Ex-
perten beitragen. Für das BfN stellen die wissenschaftsbasierte Kommunikation, Sensibilisie-
rung und Beteiligung der Bevölkerung im Naturschutz zentrale Ziele dar. Daher fördern und
begleiten wir durch verschiedene Förderprogramme die Entwicklung und Forschung von Digi-
talformaten in der Naturschutzbildung. So entstanden z.B. das Geogame „FindeVielfalt“, die
digitalen Unterrichtsmaterialien „Naturexpedition2050“, die KI-basierte Pflanzenerkennungs-
App „Flora Incognita“ oder das Citizen Science Portal „LakeExplorer“. Diese und weitere Pra-
xisbeispiele werden im vorliegenden Tagungsband genauer vorgestellt.
Digitalen Bildungsformaten wird im BfN eine zunehmend hohe Aufmerksamkeit beigemessen.
Insbesondere die junge Generation kann über digitale Formate für „echte“ Naturerfahrungen
begeistert werden, wie die aktuelle Naturbewusstseinsstudie 2021 zeigt. Das von der Bundes-
regierung im Frühjahr 2023 beschlossene Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK)
fördert die Entwicklung eines zentralen, digitalen Lernraums, über den digitale Bildungsmate-
rialien und -angebote bereitgestellt und das Wissen in der Bevölkerung über die Bedeutung
und den Schutz von Arten und intakter Ökosysteme gestärkt werden soll.
Dieser Tagungsband zeigt eindrücklich die Vielseitigkeit und Kreativität digitaler Anwendun-
gen und Formate in der Naturschutzbildung, ohne dabei die Herausforderungen außer Acht
zu lassen, die in diesem Zusammenhang bei der Entwicklung und praktischen Anwendung ent-
stehen können. Ebenso wird durch die unterschiedlichen Fachbeiträge deutlich, dass wir uns
vor dem Hintergrund der digitalen Transformation unserer Gesellschaft vor allem eine Frage
stellen müssen: Wie erreichen wir Menschen im digitalen Raum und welche innovativen Tools
können wir einsetzen, um das Wissen über Natur und das Interesse an realen Naturerlebnis-
sen zu stärken?
Dr. Michael Bilo
Direktor und Professor
Abteilungsleiter Digitalisierung, Artenschutzvollzug und Nagoya-Protokoll
7
Tagung verpasst?
Die seit 2021 jährlich stattfindende BfN-Veranstaltungsreihe „NaturschutzDigital Digitale
Transformation auf dem Prüfstand“ dient der Information und Vernetzung zu relevanten
Digitalthemen des Naturschutzes und im Rahmen dessen der Identifizierung themenspezi-
fischer Chancen, Risiken und Innovationen. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Naturschutz-
Digital Tagungen ändern sich dabei von Jahr zu Jahr. Wenn Sie zukünftig über Naturschutz-
Digital Tagungen informiert werden möchten (insb. Save-the-date Hinweise, Aufrufe zur
Beitragseinreichung, Veröffentlichungsmeldungen), schreiben Sie uns eine kurze Mail mit
dem Betreff „Verteiler NaturschutzDigital“ an: Digitalstrategie@BfN.de
Das Team vom BfN Fachgebiet I 1.1 Strategische Digitalisierung in Natur und Gesellschaft
Zusammenfassung
8
Zusammenfassung
Die Nutzung digitaler Medien und mobiler Endgeräte ist in der Breite der Bevölkerung eine
Selbstverständlichkeit. Auch bei der Vermittlung von Naturwissen und Naturerleben kommen
neue Technologien und Formate vermehrt zum Einsatz. Die Tagung NaturschutzDigital 2023
beschäftigte sich daher mit „innovativen Digitalformaten in der Naturschutzbildung“. Insge-
samt 38 Tagungsteilnehmende stellten digitale Outdoor- und Indoor-Angebote vor, die in der
Praxis genutzt, neu entwickelt oder beforscht werden. Die Tagung diente dem Austausch über
Erwartungen und Erfahrungen sowie über zukünftige Bedarfe, um wirksame Digitalformate in
der Bildungspraxis einzusetzen. In der vorliegenden Tagungsdokumentation geben die Ta-
gungsteilnehmenden Einblicke in ihre Anwendungen, Projekte und Forschungsarbeiten. Zu-
dem werden zentrale Diskussionsergebnisse zusammengefasst.
Die NaturschutzDigital 2023 machte deutlich, dass digitale Möglichkeiten als eine Bereiche-
rung für die im Naturschutz tätigen Bildungsakteure gesehen werden. Digitalformate können
u.a. Unscheinbares sichtbarer machen, ein ortsunabhängiges und individuelles Lernen ermög-
lichen, eine interaktive Auseinandersetzung mit der Natur fördern und Nutzende emotional
ansprechen. Trotzdem sind sie nicht per se besser als klassische, analoge Bildungs- und Erleb-
nisangebote, sondern können je nach Zielgruppe, Einsatzzweck und Kontext ein Zusatzange-
bot bzw. einen Mehrwert darstellen. Insbesondere zur Ansprache und Beteiligung junger bzw.
digitalaffiner Zielgruppen wird Digitalformaten eine große Bedeutung zugesprochen. Dennoch
bleibt es auch in Zeiten digital geprägter Lebenswelten das Ziel, Menschen für ein direktes,
reales Naturerleben und Entdecken zu begeistern. Mitunter kann das Interesse daran durch
Digitalität geweckt werden, was es zu nutzen gilt.
In der naturschutzbezogenen Bildungspraxis besteht mittlerweile eine große Anzahl meist
kleiner bzw. ortsbezogener Nischenanwendungen. Die Tagungsteilnehmenden begrüßten
diese Vielfalt grundsätzlich und stellten fest, dass bislang (noch) kein Konkurrenzdruck zwi-
schen Angeboten spürbar sei. Jedoch wurde betont, dass die meisten Digitalformate leider
nur langsam in der Breite der Bildungspraxis ankommen und es oft verfehlen, eine große
Reichweite zu erzielen. Dies liegt in vielen Fällen an zu geringen Marketingaktivitäten sowie
an einer unsteten technischen Betreuung und inhaltlichen Weiterentwicklung des digitalen
Angebots. Häufige Gründe dafür sind zeitlich begrenzte Projektarbeiten ohne Aussicht auf
langfristige Finanzierung und damit einhergehende fehlende Personalkapazitäten. Neben der
Verstetigungsproblematik brauchen viele Naturschutzakteure einen besseren Überblick zu
bereits bestehenden Tools und didaktischen Konzepten sowie einen Zugang zu ihrer Nachnut-
zung. Weitere Herausforderungen betreffen die Planung und Ausschreibung digitaler Entwick-
lungen: Aufgrund geringer Digitalkompetenzen und fehlender Ansprechpartner gestaltet sich
für viele Naturschutzakteure die fundierte Planung von Digitalprojekten, die Definition tech-
nischer Spezifikationen sowie die Bedarfsklärung mit Software-Entwickler*innen schwierig.
Alles in allem zeigte die Tagung, dass es im Naturschutz nicht am guten Willen oder innovati-
ven Ideen für digitale Bildungs- und Erlebnisformate mangelt, sondern eher an der praktischen
Umsetzung. Dahingehende Lösungsansätze und Wünsche der Teilnehmenden werden in der
vorliegenden Publikation vorgestellt.
Die NaturschutzDigital 2023 bot eine Gelegenheit zur persönlichen Vernetzung von Expert*in-
nen in diesem relevanten und zeitgemäßen Themenfeld. Idealerweise regt diese Tagungsdo-
kumentation darüber hinaus zum Austausch mit der weiteren, interessierten Community an
und gibt Lesenden die ein oder andere praktische Anregung und Hilfestellung.
Abstract
9
Abstract
The use of digital media and mobile devices is a given for most people. New technologies and
formats are also increasingly being used to convey knowledge about nature as well as nature-
related experiences. Hence, the conference NaturschutzDigital 2023, which took place from
2nd to 5th of May 2023 on the island Vilm in Germany, dealt with the topic of “innovative digital
formats in nature conservation education”. A total of 38 participants presented various digital
outdoor and indoor tools that are already being used in practice, are being developed or re-
searched. The inter- and transdisciplinary conference allowed experts to exchange their ex-
pectations and experiences in regards to suitable digital education tools as well as discuss
future needs for their research, development and implementation. This conference publica-
tion provides insights into the digital tools, projects and research work of the participants.
Moreover, key results of the meeting discussions are summarised.
The NaturschutzDigital 2023 made it clear that digital opportunities, such as species identifi-
cation apps, e-learning platforms, digital games as well as AR and VR, are seen as an enrich-
ment for nature conservation education. Digital formats can, among others, make inconspic-
uous things more visible, enable remote and individual learning, promote interaction with the
natural environment and appeal to users emotionally. Nevertheless, they are not per se better
than established analogue formats. They are rather an additional, value-adding approach de-
pending on the case-specific target group, purpose and context. Digital tools are considered
to be particularly important for addressing and engaging young or digitally-savvy groups. De-
spite the fact that today’s lives are increasingly characterised by digitalisation, the goal re-
mains to inspire people to experience and discover nature in real life. Sometimes the interest
in that can be aroused by digital means, which conservation actors need to harness.
In Germany, there is presently a large number of mostly small or location-specific niche appli-
cations used in the educational practice for nature conservation. The participants generally
welcomed this diversity and noted that there was no noticeable competition between existing
tools and approaches (yet). It was emphasised, though, that most digital formats are unfortu-
nately slow to reach mainstream educational practice and often fail to achieve a wide reach.
In many cases, this is due to scarce marketing activities as well as a lack of ongoing technical
support and further content development of the digital format. Common reasons for this in-
clude limited project durations with scant prospects of long-term financing and the associated
shortage of staff capacity. In addition to permanence, conservation actors need a better initial
overview of as well as access to existing digital tools and didactic concepts. Further challenges
relate to the planning and tendering of digital developments: Due to an insufficient digital
know-how and a lack of support, many nature conservation actors struggle with the sound
planning of digital projects, the definition of technical specifications and the clarification of
needs when working with software developers. All in all, the conference revealed that there
is no lack of good will or innovative ideas for digital conservation education and experience
formats, but rather difficulties regarding the practical implementation. Related solutions and
participants’ wishes are presented in this publication.
The NaturschutzDigital 2023 provided a personal networking opportunity for experts working
in this field. Ideally, this conference publication further encourages the exchange with the
wider, interested community and gives readers some helpful insights and assistance.
Hintergrund zur Tagung NaturschutzDigital 2023
10
Hintergrund zur Tagung NaturschutzDigital 2023
Im Kontext des voranschreitenden digitalen Wandels sowie der Weiterentwicklung und Ver-
breitung neuer Technologien stellt sich die Frage, in wie weit digitale Bildungs- und Erlebnis-
formate bereits in der Naturschutzpraxis genutzt werden und welche Erfahrungen damit ge-
macht werden. Sind Formate wie digitale Spiele, Apps und VR geeignet, um Wissen, Naturbe-
wusstsein und naturfreundliche Verhaltensweisen zu fördern? Und wie steht es um die Be-
darfe und Herausforderungen der Akteure, die die neuen, digitalen Möglichkeiten entwickeln
und in der praktischen Bildungsarbeit einsetzen?
Um diesen Themenbereich zu diskutieren, veranstaltete das BfN vom 02.-05. Mai 2023 die
Tagung „NaturschutzDigital“ zum Thema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbil-
dung“. Sie fand in Präsenz an der Internationalen Naturschutzakademie (INA) auf der Insel
Vilm statt.
Die Ziele der Veranstaltung waren:
einen Beitrag leisten zur bundesweiten, interdisziplinären Vernetzung von Expert*innen in
diesem Themenfeld;
Erfahrungsaustausch von Praxisakteuren fördern, die Digitalformate in der Naturschutzbil-
dung entwickeln und einsetzen;
wissenschaftliche Studien präsentieren, die z.B. Effekte digitaler Formate auf Wissen, Ein-
stellungen und Verhalten zum Naturschutz untersuchen, sowie die Identifizierung zukünf-
tiger Forschungsbedarfe;
Raum schaffen für Diskussionen, z.B. über die Möglichkeiten und Grenzen digitaler For-
mate in der Naturschutzbildung und Unterstützungsbedarfe mit Blick in die Zukunft.
Die Leitfragen lauteten:
Welche innovativen Digitalformate stehen der Bildungsarbeit im Natur- und Umweltschutz
zur Verfügung? Aus welchen Gründen sollten sie (nicht) eingesetzt werden?
Können durch ihren Einsatz die Wissensvermittlung sowie positive Einstellungen und Ver-
haltensweisen zur Natur gesteigert, bzw. gefördert werden? Wenn ja, für welche Zielgrup-
pen?
Wie müssen digitale Bildungsformate im Sinne des Naturschutzes ausgestaltet sein?
Welche Unterstützung benötigen Akteur*innen für die Entwicklung und den Einsatz digi-
taler Formate in der Naturschutzbildung?
Die Teilnahme an der Tagung erfolgte durch einen öffentlichen Aufruf zur Beitragseinreichung.
Insgesamt nahmen 38 Expert*innen aus verschiedenen Praxis-, Wissenschafts- und Politikbe-
reichen teil (Abb. 1, siehe Anhang A.1 für die Liste der Teilnehmenden).
Hintergrund zur Tagung NaturschutzDigital 2023
11
Das Tagungsprogramm gliederte sich in die folgenden Themenblöcke: (siehe Anhang A.2 für
das ausführliche Tagungsprogramm):
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor).
Format: Vorträge und Diskussion im Plenum, eigenes Ausprobieren von Digitalanwendun-
gen in Kleingruppen.
Themenblock II: Digitalformate zur Nutzung außerhalb der Natur (indoor).
Format: Vorträge und Diskussion im Plenum, eigenes Ausprobieren von VR-Anwendungen
in geselliger Runde am Abend.
Themenblock III: „Schöne neue Welt“ ein Marktplatz für digitale Formate in der Natur-
schutzbildung.
Format: Freier Austausch an Präsentations- und Posterständen.
Themenblock IV: „Alles nur Spielerei“? Was wir über die Lerneffekte digitaler Anwen-
dungen in der Bildungsarbeit (noch nicht) wissen.
Format: Vorträge und Diskussion im Plenum.
Themenblock V: Die digitale Zukunft der Naturschutzbildung.
Format: Diskussion im Rahmen eines World Café.
Abb.1: Gruppenfoto der Tagung NaturschutzDigital 2023 (© Bundesamt für Naturschutz)
Der vorliegende Tagungsband beinhaltet die Beiträge der Referent*innen. Darin stellen sie
ihr jeweiliges Digitalformat vor und diskutieren es vor dem Hintergrund der o.g. Leitfragen. In
vielen Beiträgen werden Hinweise zu Nutzungsmöglichkeiten der jeweiligen Formate bzw.
weiterführende Informationen gegeben. Für Rückfragen oder Interesse an den Anwendungen
können die korrespondierenden Autor*innen kontaktiert werden.
Hintergrund zur Tagung NaturschutzDigital 2023
12
Die Struktur des vorliegenden Tagungsbands orientiert sich am Tagungsprogramm:
Kapitel 1 enthält eine fachliche Einleitung ins Tagungsthema und gibt einen Überblick über
mögliche Digitalformate in der Naturschutzbildung sowie eine recht umfangreiche Litera-
turliste für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema.
Kapitel 2 beinhaltet die Beiträge zu den Vorträgen und Praxisanwendungen aus „Themen-
block I“ und stellt somit Digitalanwendungen vor, die auf mobilen Endgeräten in der Natur
genutzt werden können. Die in den Beiträgen 2.5-2.7 beschriebenen Anwendungen wur-
den auf Vilm in Kleingruppen getestet und diskutiert.
Kapitel 3 umfasst die Beiträge der Referent*innen aus „Themenblock II“ und bezieht sich
somit auf Anwendungen, die ein ortsunabhängiges Lernen und Naturerleben außerhalb
der Natur ermöglichen. In dem Kapitel finden sich auch die Beiträge über VR-Anwendun-
gen, die auf der Tagung ausprobiert werden konnten (Beiträge 3.7 und 3.8), ebenso wie
ein Gastbeitrag über eine weitere, immersive VR-Anwendung im Naturschutz (Beitrag 3.9).
In Kapitel 4 finden sich die Beiträge der Teilnehmenden, die ihre Indoor- sowie Outdoor-
Formate im Rahmen eines offenen Marktplatzes auf der Tagung vorstellten und diskutier-
ten („Themenblock III“).
Kapitel 5 fokussiert sich auf die wissenschaftsorientierten Beiträge aus „Themenblock IV“,
in denen neben dem themenspezifischen Stand der Forschung auch konzeptionelle An-
sätze sowie Methoden zur Wirksamkeitsanalyse thematisiert werden.
Kapitel 6 fasst die verschiedenen Diskussionen auf der Tagung, z.B. des World Cafés aus
„Themenblock V“ zusammen. Nach einer Übersicht der Potentiale digitaler Formate in der
Naturschutzbildung geht das Kapitel auf Herausforderungen ein, die ihre Entwicklung und
ihren Einsatz in der Praxis erschweren. Zu jeder Problembeschreibung finden sich Lösungs-
ansätze bzw. Wünsche der Teilnehmenden, wie den Herausforderungen zukünftig begeg-
net werden kann.
Wir bedanken uns noch einmal sehr herzlich bei allen Teilnehmenden der Tagung für ihre in-
teressanten Beiträge auf Vilm sowie zum vorliegenden Tagungsband.
Eine inspirierende Lektüre wünscht das Organisationsteam der NaturschutzDigital 2023.
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung“
13
1 Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der
Naturschutzbildung
Marlen Davis und Lena-Katharina Peter
Kommunikations- und Bildungsaktivitäten im Naturschutz zielen darauf ab, dass Naturschutz-
maßnahmen von der Breite der Gesellschaft akzeptiert und besser noch aktiv unterstützt
werden. Gemäß dem Motto „Man schützt nur, was man liebt man liebt nur, was man kennt“
(Konrad Lorenz) ist es das Ziel der Naturschutzbildung, Wissen und positive Einstellungen zur
Natur zu fördern und naturschutzfreundliche Verhaltensweisen aufzuzeigen. Mit Hinblick auf
die zunehmend digitalen Lebenswelten vieler Menschen in Deutschland stellt sich die Frage,
wie das Wissen über Natur sowie das Bewusstsein für ihren Schutz über neue Medien und in
virtuellen Welten vermittelt werden kann.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick, wie insbesondere die digitalen Medien die Lebenswelten
vieler Menschen prägen und welches Risiko daraus für das Mensch-Natur-Verhältnis er-
wächst. Zudem werden die Möglichkeiten digitaler Formate für die Naturschutzbildung skiz-
ziert.
Digitale Lebenswelten
Der Begriff „Digitalisierung“ (auch: „digitaler Wandel“, „digitale Transformation“) beschreibt
nicht nur die Summe digitaler Neu- und Weiterentwicklungen, sondern darüber hinaus ein
gesamtgesellschaftliches Phänomen, das u.a. die individuellen Lebenswelten von Menschen
fundamental beeinflusst (WBGU 2019). Digitale Tools, wie z.B. das Smartphone und darüber
aufrufbare Apps, werden in der Bevölkerung über alle Altersgruppen hinweg mit großer
Selbstverständlichkeit verwendet: 98% der 16- bis 24-Jährigen und immerhin 43% der über
75-Jährigen in Deutschland nutzen beispielsweise internetbasierte Messenger-Dienste (Bun-
desnetzagentur 2020). Neben ihrer Rolle als privates Kommunikationstool haben Messenger-
Dienste und Soziale Medien (Social Media) auch eine zunehmende Bedeutung für die Nach-
richtennutzung: So sind WhatsApp, YouTube, Facebook, Instagram u.a. für die Mehrheit der
Jugendlichen und jungen Erwachsenen die am häufigsten genutzte Informationsquelle vor
Radio, TV, Online-Magazinen usw. (Hasebrink et al. 2021). Das Nationale Monitoring zu Bil-
dung für Nachhaltige Entwicklung zeigt sogar, dass Jugendliche am häufigsten über Soziale
Medien mit Themen rund um Nachhaltigkeit in Berührung kommen und somit häufiger als
über ihren Freundeskreis, die Familie, Freizeitaktivitäten oder die formale Bildung (Grund und
Brock 2022). Auch am Beispiel der Spielebranche offenbart sich die digitale Lebenswelt vieler
Bürgerinnen und Bürger: 59% der Deutschen spielen zumindest gelegentlich digitale Spiele
über PC, Konsole, Smartphone oder Tablet, wobei rund ein Drittel aus der Altersgruppe der
50- bis 69-Jährigen stammt (Game 2022).
Die Nutzung der digitalen Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsmedien führt in
Summe zu immer höheren Bildschirmzeiten. Laut einer Bitkom-Studie verbringen die Men-
schen in Deutschland durchschnittlich 10 Stunden pro Tag am Bildschirm (bitkom 2022). Die
Postbank Digitalstudie 2022 beziffert die Online-Zeit der unter 40-Jährigen sogar mit 86 Stun-
den pro Woche, d.h. mehr als 12 Stunden pro Tag (Postbank 2022). Insbesondere die Smart-
phone-Nutzung wird immer intensiver: Im Durchschnitt aller Altersklassen surfen die Deut-
schen ca. 20 Stunden pro Woche mit dem Handy im Internet (ebd.).
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung
14
Es gibt allerdings Anzeichen, dass manche ihres intensiven Digitalkonsums überdrüssig wer-
den, bzw. ihr Nutzungsverhalten besser kontrollieren möchten. Unter dem Begriff „Digital De-
tox“ (auch: „digitales Fasten“) versteht man den bewussten Verzicht auf digitale Medien in
der Freizeit. Dieses Bestreben ist v.a. für junge Menschen ein Thema, die u.a. Social Media,
Streaming und Gaming häufig überdurchschnittlich nutzen: Im Rahmen der ARD/ZDF-Online-
studie 2022 gaben zwei Drittel der 14- bis 29-Jährigen an, schon mindestens einmal ihre Nut-
zungszeit digitaler Medien bewusst eingeschränkt zu haben (Beisch und Koch 2022). 60% der
Befragten innerhalb dieser Altersgruppe äußerten auch mit Blick auf die Zukunft eine grund-
sätzliche Offenheit oder gar den konkreten Plan zum Digital Detox (ebd.).
Naturentfremdung?
Die digitalen Lebenswelten der Bevölkerung werden oft als eine Herausforderung für ein in-
taktes Mensch-Natur-Verhältnis erachtet. Eine naheliegende Annahme lautet, dass mit stei-
gender Bildschirmzeit weniger Zeit für reale Naturerfahrungen bleibt und dass Freizeitbe-
schäftigungen in der Natur mit zunehmend beliebten Freizeitbeschäftigungen in idealisierten,
bequemen, virtuellen Welten konkurrieren. Gleichzeitig ist unbestritten, dass realweltliche
Naturerfahrungen, insbesondere im Kindesalter, entscheidend sind für das Umweltbewusst-
sein und eine positive Einstellung zur Natur (vgl. z.B. Chawla 2020). Einige Studien kommen
folglich zu dem Schluss, dass die intensive Nutzung digitaler Medien zu einer räumlichen sowie
emotionalen Entfremdung von Natur beiträgt (Brämer 2022a; Larson et al. 2019; Michaelson
et al. 2020; Pergams und Zaradic 2007).
Allerdings gibt es weltweit nur wenige und mitunter uneindeutige empirische Belege über
eine generelle „Naturentfremdung“ jüngerer Generationen (Cazalis et al. 2022). Immerhin
sind es die „Digital Natives“, die zumindest teilweise auch der „Generation Greta“ zugerechnet
werden und von älteren Generationen einen konsequenteren Klima-, Umwelt- und Natur-
schutz fordern. Auch die repräsentative Bevölkerungsumfrage zum „Naturbewusstsein 2021“1
zeigt, dass die Natur für Jugendliche häufiger zu einem guten Leben dazugehört als für Er-
wachsene (BMUV und BfN 2023). Jedoch unterscheiden sich naturbezogene Werteeinstellun-
gen und Verhaltensbereitschaften zum Teil deutlich zwischen den gesellschaftlichen Milieus:
Vor allem Personen mit einer geringeren Formalbildung und einem niedrigen Haushaltsnetto-
einkommen weisen ein unterdurchschnittliches Problembewusstsein sowie eine schwächer
ausgeprägte Bereitschaft zu naturschützendem Verhalten auf (ebd.).
Obwohl ein intensiver, digitaler Medienkonsum als Einflussfaktor im Zusammenhang mit Na-
turentfremdung gesehen werden kann, gibt es darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Ursa-
chen, die zu einer solchen Entfremdung beitragen können. Hierzu zählen z.B. die räumliche
Entfernung zur Natur aufgrund von Urbanisierung und des Verlustes von innerstädtischem
Grün; der Biodiversitätsverlust und die damit verbundene ökologische Verarmung der Natur;
überängstliche Eltern, die ihre Kinder vor vermeintlichen Gefahren in der Natur schützen; eine
durchorganisierte Freizeit ohne Freiraum für Naturentdeckungen; oder die alltagsferne, abs-
trakte Ausrichtung naturwissenschaftlicher Schulfächer (Brämer 2022b; Soga und Gaston
2016; Edwards und Larson 2020).
1 Die Studienreihe Naturbewusstsein erhebt seit 2009 im zweijährigen Turnus umfangreiche Bevölkerungsda-
ten zum gesellschaftlichen Bewusstsein für Biologische Vielfalt (kurz: „Naturbewusstsein“).
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung“
15
Naturwissen
In einer digital geprägten Gesellschaft, in der unmittelbare Naturkontakte aus verschiedens-
ten Gründen seltener werden, stehen Bildungsakteure im Naturschutz vor einer großen Auf-
gabe: Idealerweise erreichen ihre Angebote auch „naturentfremdete“ Menschen und moti-
vieren zum realweltlichen Naturerleben, mit dem Ziel, das Naturbewusstsein sowie natur-
schützendes Verhalten zu stärken. Ein gewisser Grad an Wissen über die Natur, speziell die
Artenvielfalt, gilt dafür häufig als Voraussetzung, da Menschen andernfalls ökologische Zu-
sammenhänge nur bedingt verstehen und Veränderungen in der eigenen Umgebung kaum
wahrnehmen können (z.B. den Verlust von Artenvielfalt im eigenen Garten oder das Erkennen
invasiver Pflanzen während eines Spaziergangs).
Die Studien „Naturbewusstsein 2019“ (Erwachsenenbevölkerung) und „Jugend-Naturbe-
wusstsein 2020“ (14- bis 17-Jährige) untersuchten speziell das Thema Artenkenntnis. Es zeigt
sich, dass 53% der Erwachsenen und 60% der Jugendlichen ein Interesse daran haben, mehr
Tier- und Pflanzenarten zu kennen (BMU und BfN 2020, 2021). Dennoch ist die Artenkenntnis
in der Bevölkerung eher gering ausgeprägt: Beispielsweise erkennen Berliner Schüler*innen
der Jahrgangstufe 7 im Durchschnitt nur zwei von acht in Deutschland häufigen Brutvogelar-
ten (Sturm et al. 2020). Eine Studie aus Bayern offenbart, dass auch Erwachsene durchschnitt-
lich nur sechs von 15 häufigen, heimischen Vogelarten bestimmen können, wobei jüngere
Menschen die Arten tendenziell seltener erkennen (Enzensberger et al. 2022). Gleichzeitig äu-
ßerten Befragte mit besserer Artenkenntnis auch eine höhere Bereitschaft, für den Natur-
schutz aktiv zu sein (ebd.).
Auch unter naturaffinen Laien und Naturschutz-Expert*innen wird seit Langem eine „Erosion
der Artenkenner*innen“, d.h. ein zunehmender Mangel an Art- und Taxonomie-Fachkräften,
festgestellt, was zu Herausforderungen u.a. in Planungsbüros, Fachgesellschaften und Natur-
schutzverwaltungen führt (Frobel und Schlumprecht 2016; Schulemann-Maier und Munzinger
2018). Folglich kann angenommen werden, dass unter Naturinteressierten und -Expert*innen
ein Bedarf an effektiven Lern-, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten besteht, um vorhan-
dene Kenntnisse zu festigen und auszubauen.
Digitalformate in der Naturschutzbildung
Vor diesem Hintergrund stellt sich für Bildungsakteure im Naturschutz die Frage, wie Na-
turthemen bestmöglich vermittelt und Naturerlebnisse in Zeiten der Digitalisierung gestaltet
werden können. Zum „Methodenkoffer“ in der Natur- und Umweltbildung zählen neben ana-
logen (z.B. Führungen in der Natur) seit längerem auch digitale Angebote. Dank technologi-
scher Weiterentwicklungen der letzten Jahre gibt es heute vielfältige, digitale Bildungsformate
(Abb. 1). Diese können so entwickelt und eingesetzt werden, dass sie als Wegbereiter für Na-
turerlebnisse fungieren und einen Beitrag zur Wiederherstellung der Naturverbundenheit leis-
ten können (vgl. z.B. Mattijssen et al. 2020; Sauer et al. 2023; Edwards und Larson 2020; Dot-
terweich und Lude 2022; Gerl und Aufleger 2022).
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung
16
Abb. 1: Vielfältigkeit digitaler Technologien, Anwendungen und Formate in der Naturschutzbildung.
(Eigene Abbildung)
Allerdings ist eine zielgruppenspezifische Auswahl und Ausgestaltung von Digitalformaten un-
erlässlich, da in der Bevölkerung das Interesse an Digitalformaten in der Naturschutzbildung
unterschiedlich ausgeprägt ist: Laut den Studien Naturbewusstsein 2019 und Jugend-Natur-
bewusstsein 2020 wünschen sich Jugendliche und junge Erwachsene häufiger als ältere Alters-
gruppen digitale Formate. Knapp ein Drittel der befragten 14- bis 17-Jährigen findet, dass Ar-
tenwissen stärker über Internetangebote (z.B. Webseiten, Videoplattformen 31% Zustim-
mung) und über digitale Medien (z.B. Apps, QR Codes - 29% Zustimmung) vermittelt werden
sollte (BMU und BfN 2021). Demgegenüber wünschen sich nur 21% der Erwachsenen mehr
Angebote im Internet, bzw. 14% der Erwachsenen mehr Angebote über digitale Medien (BMU
und BfN 2020).
Neben dem Alter scheint auch der Bildungsstand für das Interesse an Digitalformaten eine
Rolle zu spielen: Die Naturbewusstseinsstudie 2021 untersuchte die Bereitschaft eine Natur-
schutz-App zu nutzen, die u.a. über persönliche Handlungsmöglichkeiten und Erfolge des Na-
turschutzes informiert. Die Ergebnisse zeigen eine signifikant niedrigere Nutzungsbereitschaft
unter formal niedrig gebildeten Jugendlichen (38% Bereitschaft) im Vergleich zu formal hoch
gebildeten Jugendlichen (53% Bereitschaft) (BfN 2023). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Digi-
talformate für diese Zielgruppe generell ungeeignet sind vielmehr kommt es auf den Ein-
satzzweck und die konkrete Ausgestaltung des digitalen Angebots an. So offenbaren die Stu-
dienergebnisse, dass Jugendliche mit niedriger Formalbildung stattdessen eher an virtuellen
Naturerlebnissen interessiert sind (38% Zustimmung, 27% Durchschnitt Jugendliche) (ebd).
Besonders relevant ist, dass formal niedrig gebildete Jugendliche überdurchschnittlich stark
durch digitale Naturangebote motiviert werden, die Natur auch draußen zu erleben (49% Zu-
stimmung, 34% Durchschnitt) (ebd.).
Bei digitalen Angeboten in der Naturschutzbildung kann grundsätzlich zwischen Formaten zur
Nutzung draußen in der Natur (outdoor) sowie zur Nutzung innerhalb von Räumlichkeiten (in-
door) unterschieden werden.
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung“
17
Abb. 2: Mobile Anwendungen, wie z.B. Arterkennungs-Apps oder ortsbezogene Spiele, können bei
Naturerlebnisangeboten eingesetzt werden. (© galitskayaiStock, Foto ID: 1340122139)
U.a. Edwards und Larson (2020) sehen in mobilen, outdoor-basierten Naturerlebnis- und Bil-
dungsangeboten (z.B. App-gestützte Spiele, Augmented Reality) eine Chance, um die Gruppe
der digitalaffinen, an Natur eher wenig interessierten Kinder und Jugendlichen zu erreichen.
Dabei bekräftigen sie auch den Einsatz von Gamification-Elementen, um durch Spaß zum Lern-
erfolg beizutragen. Auch andere Studien unterstützen diese Ansicht, wie z.B. Garden 2022;
Crawford et al. 2017; Schneider und Schaal 2018; Li et al. 2017. Nichtsdestotrotz gibt es auch
kritische Stimmen in Bezug auf den Einsatz digitaler Tools bei Bildungs- und Naturerlebnisan-
geboten in der Natur, da sie u.a. eine Barriere für den direkten Naturkontakt sowie eine Ab-
lenkung sein können (Edwards und Larson 2020) (Abb. 2).
Indoor-Formate bieten ebenfalls Chancen für die Naturschutzbildung. Beispielsweise im
Gaming-Bereich haben manche Videospiele einen mehr oder weniger expliziten Naturbezug,
z.B. wenn das Spielziel darin besteht, Ökosysteme nachhaltig zu nutzen oder wenn die Na-
turdarstellungen essentiell sind für den darin eingebetteten Spielkontext (Abb. 3). Sekundäre,
virtuelle Naturerlebnisse und (Serious) Games können so einerseits das Naturbewusstsein und
-verständnis von Spieler*innen beeinflussen oder zur Vermittlung von ökologischem Wissen
beitragen (Sandbrook et al. 2015; Zimmermann 2022; Bär et al. 2023). Andererseits werden
u.a. sozioökologische Zusammenhänge in Videospielen zu stark simplifiziert oder überhöhte
Naturvorstellungen erzeugt, mit denen die Realität vor der eignen Haustür oft nicht mithalten
kann (ebd.). In den letzten Jahren sind zudem einige Virtual Reality (VR) Anwendungen mit
explizitem Naturbezug entwickelt worden, bei dem Nutzende über ein VR-Headset ihre Um-
gebung ausblenden und in eine virtuelle Welt eintauchen können (siehe Kapitel 3.10 für eine
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung
18
beispielhafte Übersicht). Untersuchungen zeigen, dass auch solche stark immersiven, virtuel-
len Naturerlebnisse z.B. naturschutzbezogene Einstellungen oder das Wohlbefinden beein-
flussen können (vgl. z.B. Büssing et al. 2021; Mattila et al. 2020).
Abb. 3: Computergenerierte Naturdarstellungen, in die Videospiele-Gamer*innen eintauchen, am Bei-
spiel von „Stardew Valley“ (links) und „Red Dead Redemption“ (rechts).
(Quelle links: © ConcernedApe, https://www.stardewvalley.net/press/#press_images; Quelle
rechts: © Rockstar Games, https://www.rockstargames.com/de/reddeadredemption).
Auch für die Naturschutz-Community (z.B. Naturschutzpraktiker*innen, Studierende natur-
wissenschaftlicher Studiengänge, an Naturthemen interessierte Laien) sind digitale Formate
mit großen Potentialen verbunden: So können bei der Aus- und Weiterbildung von Expert*in-
nen z.B. digitale Lernplattformen zum Einsatz kommen. Zudem sind Projekte im Bereich Citi-
zen Science (Bürgerwissenschaft) bei ihrer Umsetzung häufig auf digitale Kommunikations-
und Beteiligungstools angewiesen, z.B. Online-Portale und Apps zur Meldung von Naturbe-
obachtungen (Engel et al. 2023). Dabei fördert das Mitwirken in eben solchen Citizen Science
Projekten in der Regel auch das Wissen der Beteiligten (Adamou et al. 2021; Peter et al. 2019).
Des Weiteren können Naturschutzaspekte und -informationen in digitale Systeme integriert
werden, die nicht primär dem Naturschutz, bzw. der Naturschutzbildung dienen, z.B. Routen-
Apps, die bei der Tourenplanung automatisch Naturschutzregeln berücksichtigen. Auf diese
Weise können Menschen bei einem naturschutzfreundlichen Verhalten unterstützt werden.
Zusammenfassung
Die fortschreitende Digitalisierung prägt zunehmend die Lebenswelt vieler Menschen, was in
Teilen der Bevölkerung zu einem entfremdeten Mensch-Natur-Verhältnis beitragen kann.
Speziell das Artenwissen, als eine Voraussetzung für Naturbewusstsein, ist in der Bevölkerung
eher gering ausgeprägt und das, obwohl sich viele Menschen mehr Artenkenntnis wünschen.
Für die Vermittlung von Artenwissen befürworten insbesondere junge Menschen mehr digi-
tale Formate. Naturschutzakteuren steht dafür eine breite Palette digitaler Möglichkeiten zur
Verfügung, die für outdoor- sowie indoor-basierte Naturerlebnis- und Bildungsangebote ge-
nutzt werden können. Allerdings sind mit den jeweiligen Formaten nicht nur Chancen, son-
dern auch Herausforderungen verbunden, die fallspezifisch abgewogen werden sollten. Zu-
dem ist es wichtig, dass bei der Auswahl und Ausgestaltung konkreter Digitalformate die Prä-
ferenzen der beabsichtigten Zielgruppe bestmöglich berücksichtigt werden, um adressaten-
orientierte Angebote zu schaffen.
Einführung in das Tagungsthema „Innovative Digitalformate in der Naturschutzbildung“
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Kontakt
Marlen Davis (korresp.) und Lena-Katharina Peter
Bundesamt für Naturschutz, Leipzig
Marlen.Davis@BfN.de
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
22
2 Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
2.1 Mobile Techniken in der Natur- und Umweltbildung - ein Überblick
Markus Dotterweich
Digitale Natur brauchen wir das?
"Apps, Smartphones und Co. - in der Umweltbildung keine Option! Wahre Begegnung bedeu-
tet authentische Begegnung!"
Diese oder ähnliche Rückmeldungen tauchen immer wieder auf, wenn es bei Veranstaltungen
oder Bildungsangeboten um das Thema digitale Formate in der Natur- und Umweltbildung
geht. Viele Beteiligte haben Angst davor, dass der fortschreitenden Digitalisierung auch die
letzte analoge Bastion geopfert werden könnte. Ist es vorstellbar, dass Naturerfahrungen in
Zukunft nur noch vom heimischen Wohnzimmer aus mittels einer App auf dem Smartphone
oder sogar durch eine VR-Brille erlebt werden? Werden emotionale Sinneserfahrungen, die
man draußen in der Natur machen kann, bald durch sterile Bits und Bytes ersetzt?
Es gibt Stimmen, die eindringlich vor den Gefahren der Digitalisierung in der Natur- und Um-
weltbildung warnen. Sie führen Argumente aus der Gehirnforschung, mögliche Schädigungen
durch Mobilfunkstrahlung oder das Risiko der Spielsucht an. Auch bei Veranstaltungen für
Schulen äußert die Elternschaft ähnliche Bedenken. Andererseits gibt es auch große Zustim-
mung, dass sich die Natur- und Umweltbildung dem digitalen Trend nicht entziehen kann. Ein
Teilnehmer eines Workshops bei der Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung Rhein-
land-Pfalz e.V. brachte es auf den Punkt: "Wir können die Digitalisierung nicht ignorieren, es
ist an der Zeit, vernünftige, gut durchdachte und didaktisch wertvolle Angebote zu schaffen."
Fazit: Die Natur- und Umweltbildung muss einen ausgewogenen Ansatz finden, der die Vor-
teile digitaler Technologien nutzt, aber gleichzeitig den Wert der unmittelbaren Naturerfah-
rung bewahrt. Es sollte darum gehen, sinnvolle digitale Angebote zu entwickeln, die die ana-
loge Naturerfahrung ergänzen und vertiefen, anstatt sie zu ersetzen (vgl. Dotterweich und
Lude 2021).
Digitale Techniken sind vielfältig und werden schon lange genutzt
Es existiert nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern eine vielfältige Palette an Möglichkeiten,
digitale Techniken in der Natur- und Umweltbildung gezielt einzusetzen, sei es als unterstüt-
zendes Werkzeug oder als zentrales Element. Ein bekanntes Beispiel ist der Fledermausdetek-
tor, dessen Mehrwert heute unbestritten ist. Der Detektor kann auch von interessierten Laien,
z.B. im Rahmen eines MINT-Projektes, selbst gebaut werden, wobei nicht nur technische As-
pekte erkundet, sondern auch Recherchen zum Flug- und Kommunikationsverhalten der Fle-
dermäuse durchgeführt werden können. Dadurch wird Umweltwissen nicht nur konsumiert,
sondern aktiv und interdisziplinär angewendet. Eine rein analoge Arbeitsweise würde uns hier
eine ganze Erfahrungswelt vorenthalten.
Nun stellt sich die Frage, ob die neuen und zukünftigen digitalen Techniken ähnliche Potenzi-
ale bieten. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst die derzeitigen technischen
Entwicklungen verstehen und die zukünftig zu erwartenden Entwicklungen erkunden. Die ra-
sante Geschwindigkeit der technologischen Fortschritte stellt dabei eine Herausforderung dar,
da es schwierig ist, alle möglichen Potenziale zu erkennen. Vor allem die rasante Entwicklung
im Bereich der künstlichen Intelligenz eröffnet auch im Bereich der Natur- und Umweltbildung
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
23
neue Anwendungsmöglichkeiten (Abb. 1). Zudem müssen geeignete didaktische Konzepte für
die verschiedenen digitalen Techniken entwickelt und erprobt werden, je nach thematischen
Schwerpunkten und Zielgruppen. Dabei ist es entscheidend, dass die Anwendungen auch Spaß
machen, da die Natur- und Umweltbildung vor allem von ihrem Erlebnischarakter lebt.
Abb. 1: Apps wie Naturblick (links), Flora Incognita (mitte) oder BirdNet (rechts) nutzen bereits
Künstliche Intelligenz zur Artbestimmung. (Eigene Screenshots)
Die Integration digitaler Techniken erfordert Zeit, Geld und vor allem engagierte Menschen,
die sich mit diesem Thema auseinandersetzen möchten. Doch diese Investitionen können sich
lohnen, da digitale Ansätze neue Möglichkeiten eröffnen, die die Natur- und Umweltbildung
bereichern und erweitern können. Eine sorgfältige Abwägung und gezielte Umsetzung digita-
ler Elemente können dazu beitragen, die Bildung in diesem Bereich zeitgemäß und wirkungs-
voll zu gestalten.
Wo liegen die Probleme?
Die Natur- und Umweltbildung steht vor Herausforderungen bei der Integration digitaler Tech-
niken. Bisherige Ansätze sind oft gescheitert oder wenig erfolgreich. Dies liegt vor allem an
folgenden Gründen:
Motivation: Die Idee, Jugendliche mit digitalen Umweltbildungsangeboten in die Natur zu
bringen, ist gut gemeint, aber schwierig umzusetzen. Der Versuch erfolgreiche Spielme-
chaniken aus der Computerspielbranche auf Bildungsprojekte anzuwenden ist schnell zum
Scheitern verurteilt. Dies liegt nicht nur allein an den hohen Kosten, sondern auch an un-
passenden Stories, in die diese Spiele eingebettet sind, sowie an fehlendem Marketing.
Konzeption: Häufig werden digitale Angebote von Personen erstellt, die nur eine geringe
Affinität zu digitalen Medien haben. Dadurch entstehen oft digitale Versionen analoger
Lehrpfade, die keine echten Vorteile bieten. Lernspiele müssen spannend gestaltet sein,
um zu funktionieren.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
24
Umsetzung: Die technische Umsetzung erfolgt oft durch Agenturen, die aus der Werbe-
branche kommen und nur wenig Erfahrung in der Natur- und Umweltbildung haben. Oft
fehlt es auch an Zeit und Budget, die Angebote zu testen und die Lerninhalte auf dessen
Wirksamkeit prüfen.
Standort: Digitale Touren werden oft an unpassenden Standorten angeboten, wo die Ziel-
gruppe kaum erreicht wird oder bereits viele Konkurrenzangebote existieren.
Bereitstellung: Digitale Angebote werden oft nicht zielgruppengerecht beworben oder
nicht in andere Bildungsangebote integriert. Barrieren wie fehlende Internetverbindung
oder Registrierungen erschweren die Nutzung.
Finanzierung: Der finanzielle Aufwand und die laufenden Kosten für gute digitale Angebote
werden unterschätzt wodurch unausgereifte Produkte veröffentlicht und angeboten wer-
den.
Diese Schwierigkeiten führen zu Skepsis gegenüber digitalen Angeboten in der Natur- und
Umweltbildung. Einfache Digitalisierung analoger Konzepte ist nicht ausreichend. Es bedarf
neuer Ansätze und Methoden, um digitale Techniken erfolgreich zu nutzen.
Unbekannte Techniken erkunden!
Die Integration digitaler Techniken in die Natur- und Umweltbildung eröffnet neue Möglich-
keiten und sollte weiter erkundet werden. Smartphones bieten mit ihren Sensoren vielfältige
Erfassungsmöglichkeiten, die analog nicht möglich sind. Virtual und Mixed Reality können uns
an unerreichbare Orte führen und neue Erfahrungen ermöglichen. Beispiele wie das Projekt
"In the Eyes of the Animal" (intheeyesoftheanimal.com) zeigen, dass VR auch vor Ort im Wald
eine bereichernde Sinnes- und Lernerfahrung bieten kann.
Ein großes Potenzial bieten auch Augmented Reality Brillen, bei denen die Einblendung von
Informationen oder Hologrammen in die reale Welt möglich ist. Auch wenn diese Technik
noch in den Kinderschuhen steckt, eröffnet dies neue Lehr- und Lernmöglichkeiten, wie die
real-virtuelle Interaktion mit Elementen in der Natur oder Echtzeit-Simulationen im realen
Raum. So könnten z.B. Umweltdaten über eine Landschaft gelegt oder Stoffflüsse auf einen
Baum projiziert werden.
Die aktuellen Technologien und Sensoren könnten auch andere Sinnesrezeptoren anspre-
chen. Zum Beispiel könnten Vogelstimmen oder Waldrauschen fühlbar gemacht werden, ähn-
lich wie es Vibrationswesten in der Musikindustrie ermöglichen. Auch digital gesteuerte Ge-
ruchskapseln könnten neue Erfahrungen eröffnen, wie zum Beispiel durch das Simulieren von
Pheromonspuren von Tieren. Es ist wichtig, diese Potenziale zu erforschen und auszuprobie-
ren, um innovative Ansätze zu entwickeln, die uns vorher nicht bewusst waren. Die Natur- und
Umweltbildung kann davon profitieren und neue Wege der Wissensvermittlung und Naturer-
fahrung eröffnen.
Digitale Techniken für Alle!
Ein besonders relevantes Potenzial, das oft vernachlässigt wurde, ist die Inklusion. Sowohl bis-
herige digitale Anwendungen als auch klassische Angebote in der Natur- und Umweltbildung
haben das Thema Inklusion leider weitgehend ignoriert. Zwar gibt es zunehmend barrierefreie
Wege für Menschen mit Bewegungseinschränkungen und Informationstafeln mit Blinden-
schrift oder Audioguides für Sehbehinderte, aber hier endet das Angebot meistens schon.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
25
Mixed Reality Technologie könnte jedoch einen selbstbestimmten Zugang zu Natur- und Um-
welterfahrungen für Hör- oder Gehbehinderte wesentlich erleichtern. Zum Beispiel könnten
Vibrationswesten bei einer Vogelstimmenwanderung Gehörlosen eine besondere Erfahrung
ermöglichen. Weitere Technologien wie "Interaktive Textilien" oder zukünftige Sensoren bie-
ten noch zahlreiche Potenziale und erfordern noch viele Jahre an Forschung und Entwicklung.
Es ist entscheidend, diese Möglichkeiten für Inklusion zu erkennen und zu nutzen, um die Na-
tur- und Umweltbildung für alle zugänglich und bereichernd zu gestalten. Indem wir digitale
Technologien gezielt einsetzen, können wir eine inklusive und vielfältige Lernerfahrung schaf-
fen, von der alle profitieren.
Welche Techniken sind erfolgreich?
Zurück in die Gegenwart: Digitale Techniken können bereits jetzt sinnvoll in der Natur- und
Umweltbildung eingesetzt werden. Mit den Bordmitteln eines Smartphones lassen sich span-
nende Projekte für moderierte Gruppen oder Schulklasse gestalten. Als Gruppenaufgabe kann
beispielsweise eine eigene App konzipiert werden, um Lerninhalte auf kreative Weise zu ver-
mitteln. Die Entwicklung der App dient hierbei als Vehikel für den Lernprozess. Auch beste-
hende Software wie ein Geographisches Informationssystem (GIS) bietet Möglichkeiten für
digitale Anwendungen. Mit Google MyMaps lassen sich Objekte in der Natur erfassen und
digital auswerten. Eine richtige GIS-App erlaubt sogar die Einbindung externer Ebenen, wie
Umweltinformationsdaten der Bundesländer als Web Map Services (WMS), was unendliche
Projektmöglichkeiten bietet.
Es gibt bereits zahlreiche Apps zur Pflanzen- und Tierbestimmung, die sich ideal für Projekte
in der Natur- und Umweltbildung eignen. Einige nutzen sogar Künstliche Intelligenz im Hinter-
grund, was die Nutzer*innen möglicherweise gar nicht bemerken.
Die Nutzung digitaler Techniken in der Natur- und Umweltbildung ermöglicht interaktives Ler-
nen, fördert die Kreativität und die Verinnerlichung von Wissensinhalten. Mit den bereits vor-
handenen Möglichkeiten können spannende und lehrreiche Projekte umgesetzt werden, die
das Lernen in der Natur erleichtern und bereichern.
Abb. 2: Mit Citizen Science selbst zum Forscher werden und Umweltwissen erlangen (eigene Darstel-
lung)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
26
Mit Citizen Science ergeben sich zusätzliche Chancen, digitale Techniken in der Natur- und
Umweltbildung zu nutzen (Abb. 2). Hierbei werden Bürger*innen z.B. als „Datensammler*in-
nen“ in wissenschaftliche Projekte eingebunden. Ein bekanntes Beispiel ist die "Stunde der
Gartenvögel" des NABU, die dank entsprechender Apps einen rasanten Aufschwung erlebt
hat. Insbesondere für den Naturschutz sind diese Techniken von unschätzbarem Wert. Die
Vielfalt dieser Projekte wird auf Websites wie www.buergerschaffenwissen.de oder
www.citizen-science.at deutlich. Einige bieten umfangreiche Lehr- und Lernmaterialien für
Gruppen und Schulklassen an. Verfügt man nur über geringe Ressourcen, kann man auch mit
sehr einfachen Mitteln ein Citizen Science Projekt ins Leben rufen, indem man ein Schild mit
Social-Media-Hashtags aufhängt (Abb. 3).
Abb. 3: Langzeit-Citizen Science Projekt am KlimaWandelPfad Waldshut zur Entwicklung eines klima-
angepassten Waldes (eigene Fotografien)
Allerdings nutzen die meisten Citizen Science-Projekte Smartphones bisher nur als
Dateneingabegerät. Die Möglichkeiten für erweiterte Bildungsinhalte, wie eine tiefere
Auswertung der Ergebnisse oder die Verknüpfung mit weiterführenden Lerninhalten, werden
noch zu selten genutzt. Hier besteht großes Potenzial, das für eine noch bereicherndere und
lehrreichere Natur- und Umweltbildung genutzt werden kann.
Gute Smartphone-Apps in der Natur- und Umweltbildung
Bei der praktischen Umsetzung digitaler Techniken in der Natur- und Umweltbildung gibt es
einige Herausforderungen. Wenn keine persönliche Betreuung vor Ort möglich ist oder der
Fokus auf Lern- und Erlebnispfaden liegt, sind individuelle Lösungen gefragt. Diese können
allein, zu zweit, als Familie oder in einer Kleingruppe mit dem Smartphone genutzt werden.
Hier sind einige Orientierungspunkte für ein erfolgreiches Projekt:
Motivation: Definieren Sie klar den Zweck und die Zielgruppe des digitalen Angebots.
Überlegen Sie, welchen Mehrwert es bieten soll und ob es ein analoges Angebot ergänzen,
erweitern oder ersetzen soll.
Konzeption: Denken Sie ausführlich über die Gestaltung des digitalen Angebots nach
(Abb. 4 und Abb. 5). Führen Sie Umfragen bei der Zielgruppe durch und testen Sie bereits
bestehende Lösungen. Seien Sie kreativ und machen Sie die Inhalte leicht verständlich.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
27
Umsetzung: Entscheiden Sie, ob Sie inhaltlich mitarbeiten oder alles aus der Hand geben
möchten. Arbeiten Sie agil und optimieren Sie schrittweise die Funktionen durch Tests mit
der Zielgruppe. Beachten Sie dabei auch die gesetzlichen Anforderungen an Datenschutz
und Barrierefreiheit.
Standort: Wählen Sie geeignete Standorte oder Routen aus und analysieren Sie den Mehr-
wert, den ein digitales Angebot dort bieten kann. Achten Sie auf die Genauigkeit von GPS-
Funktionen in unterschiedlichen Umgebungen.
Bereitstellung: Nutzen Sie verschiedene Werbemethoden, um die Zielgruppe auf Ihr digi-
tales Angebot aufmerksam zu machen. Stellen Sie den Mehrwert der App in den Vorder-
grund und ermöglichen Sie einen einfachen Zugang zur App.
Finanzierung: Beachten Sie die Kosten für die Umsetzung eines digitalen Angebots, die von
einfachen Baukastensystemen bis hin zu individuellen Apps reichen können. Denken Sie
auch an die laufende Wartung und Anpassung des Angebots.
Abb. 4: Die Vermittlungstechniken routengeführter Smartphone-Apps in der Natur- und Umweltbil-
dung sollten an den Einsatzort und die Zielgruppe angepasst sein (eigene Darstellung)
Abb. 5: Klassische routengeführte Lernspiel-App am Beispiel des Biodiversitätslehrpfads „Rheinau-
enwald Kehl“ (eigene Screenshots)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
28
Fazit:
Digitale Techniken haben bereits in der Natur- und Umweltbildung Fuß gefasst. Neue Bestim-
mungs-Apps und Citizen Science nutzen sie erfolgreich. Anstatt über den Sinn zu streiten, soll-
ten wir die Potenziale und den Mehrwert weiter erkunden. Das Smartphone ist für viele Men-
schen ein unverzichtbares Werkzeug geworden, und Naturerfahrungen können in Zukunft mit
allen Sinnen erfolgen, auch mit künstlichen. Die Integration von digitalen Techniken sollte von
der Zielsetzung des Projekts und den Bedürfnissen der Zielgruppe abhängen. Weitere For-
schung und Entwicklung sind jedoch nötig, um das volle Potenzial auszuschöpfen.
Literatur:
Dotterweich, M. und Lude, A. (2021): Naturerfahrung mit digitalen Techniken - Potenziale, Herausfor-
derungen und Beispiele. In: Gebhard, U.; Lude, A.; Möller, A.; Moormann, A. (Hrsg.): Naturerfah-
rung und Bildung. Springer. Wiesbaden: 347-359.
Dotterweich, M. (2021): Erlebnispfade in das digitale Zeitalter. https://umweltbildung-digital.de/er-
lebnispfade-in-das-digitale-zeitalter (Letzter Zugriff: 21.07.2023).
Kontakt:
Dr. Markus Dotterweich
UDATA GmbH Umwelt & Bildung, Neustadt an der Weinstraße
dotterweich@udata.de
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
29
2.2 Rätseln für den Artenschutz ein tabletbasiertes Escape Game zu
Gefährdung und Schutzmöglichkeiten von Wildpflanzen
Hannah Rosenbaum, Franziska Hahn und Ute Becker
Einbruch in die Saatgutbank!
Das Escape Game „Rätseln für den Artenschutz“ verknüpft ein analoges Lernangebot mit
digitalen Elementen: Den Hinweisen einer Wissenschaftlerin folgend tauchen die Teilneh-
menden in eine rahmengebende Geschichte ein. Sie lösen knifflige Rätsel und knacken
Codes, die mit inhaltlichen Lernaspekten verknüpft sind, um zur jeweils nächsten Aufgabe
zu gelangen. Tablets dienen der Anleitung der Teilnehmenden und unterstützen die Orga-
nisation des Spiels mithilfe der App „Actionbound“. Die Einbettung in einen spielerischen
Kontext aktiviert, motiviert und involviert die Teilnehmenden. Dabei sollen Schüler*innen
der siebten bis neunten Klasse für die Biodiversitätskrise sensibilisiert werden.
Rätseln für den Artenschutz entstand im Rahmen einer Masterarbeit an der Grünen Schule,
dem außerschulischen Lernort im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität
Mainz. Zugleich ist es Teil des Bildungsprogrammes „wildwuchs im bundesweiten Projekt
Wildpflanzenschutz Deutschland (WIPs-De), welches im Bundesprogramm Biologische Vielfalt
gefördert wird.
Das Projekt Wildpflanzenschutz Deutschland
WIPs-De arbeitet mit Arten in besonderer Verantwortung Deutschlands (Verantwortungsar-
ten), „für die Deutschland international eine besondere Verantwortung hat, weil sie nur hier
vorkommen oder weil ein hoher Anteil der Weltpopulation hier vorkommt“ (BfN 2023). Ziele
des Projektes sind die langfristige Sicherung dieser Wildpflanzenarten, eine Stärkung der Po-
pulationen im Lebensraum sowie Biodiversitätsbildung (Wöhrmann et al. 2020: 25). Dies ge-
schieht in der praktischen Arbeit über mehrere Handlungsfelder. Die genetische Ressource
der Pflanzen soll einerseits durch die Lagerung des Saatguts in Saatgutbanken, andererseits
durch das Anlegen von Ex situ-Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten sichergestellt wer-
den. Zu diesem Zweck werden Samen nach strikten Vorgaben des Native Seed Conservation
Network (ENSCONET 2009) von verschiedenen Populationen gesammelt. Das Saatgut wird da-
raufhin getrocknet, gereinigt und bei -18°C bis -24°C aufbewahrt. Durch dieses Vorgehen soll
die Keimfähigkeit erhalten bleiben. Zusätzlich zur Einlagerung der Samen werden Erhaltungs-
oder Vermehrungskulturen der Wildpflanzen angelegt. Die gesicherten Samen wie auch die
angezogenen Pflanzen können zur Stärkung dezimierter Populationen in deren Lebensraum
oder zur Ansiedlung an neuen Standorten genutzt werden. Dieses Vorgehen wird als ergän-
zende Maßnahme zum Schutz von Arten in ihren natürlichen Lebensräumen angesehen, wo-
bei letzterer Priorität hat. Zu guter Letzt ist auch die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit ein
Arbeitsschwerpunkt des Projektes, um das Bewusstsein über die Bedeutung Biologischer Viel-
falt und deren Schutz (unter anderem durch Botanische Gärten) zu fördern.
Das Escape Game „Rätseln für den Artenschutz“
Die Arbeit des Projektes WIPs-De wird im vorliegenden Bildungsangebot sowohl inhaltlich als
auch methodisch aufgegriffen. Der etwa dreistündige Kurs ist an Schüler*innen der siebten
bis neunten Klasse gerichtet und als Escape Game gestaltet. Escape Games zeichnen sich
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
30
durch eine rahmengebende Geschichte aus, die
ein zu lösendes Problem vorgibt, etwa das Ent-
kommen aus einem Raum oder wie in diesem
Fall das Erfüllen einer Aufgabe. Zu Beginn des
Spiels werden die Teilnehmenden demnach zu-
nächst mit folgender Problematik konfrontiert:
Durch einen Einbruch in die Saatgutbank für
Wildpflanzen im Botanischen Garten Mainz
wurde nicht nur die Kühlung deaktiviert und das
gelagerte Saatgut gefährdet. Vermutlich wurden
auch noch Samen entwendet, die dringend er-
setzt werden müssen. Die zuständige Wissen-
schaftlerin bittet die Teilnehmenden um Hilfe.
Zur Lösung des Problems müssen sie nun ver-
schiedene Rätsel lösen und Aufgaben erfüllen.
Diese sind jeweils mit Lerninhalten verknüpft
(Abb. 1).
Auf ihrem Weg durch den Botanischen Garten
erhalten die Spielenden Einblick in die Arbeit des
Wildpflanzenschutzprojektes. Sie lernen ein-
zelne Arbeitsschritte kennen und führen sie in
vereinfachter Form selbst durch. Der Kurs hat zu-
dem zum Ziel, bei den Teilnehmenden ein Prob-
lembewusstsein für die Biodiversitätskrise zu
schaffen. Indem sie sich mit ausgewählten Ver-
antwortungsarten auseinandersetzen, lernen die
Schüler*innen konkrete Gefährdungsursachen
heimischer Wildpflanzen kennen. Gleichzeitig
beschäftigen sie sich mit möglichen Schutzmaß-
nahmen und erarbeiten Handlungsoptionen im eigenen Umfeld. Das Angebot soll so die
Wahrnehmung der Bedeutung sowie die Wertschätzung der Biologischen Vielfalt fördern.
Die schülerzentrierte Art der Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Themen verspricht eine
hohe Aktivierung und Motivation aufgrund der spielerischen Elemente und Herausforderun-
gen. Die Rallye zeichnet sich durch abwechslungsreiche Rätsel aus, die nicht nur kognitiv akti-
vierend, sondern auch handlungsorientiert sind. Zu ihrer Lösung sind logisches Denken, Krea-
tivität und kommunikativer Austausch nötig. Demnach wird die Team- und Kommunikations-
fähigkeit bei der gruppeninternen Problemlösung geschult. Gleichzeitig sorgt der Rätselcha-
rakter für Spielspaß. Die Verknüpfung eines Spiels mit Lernzielen birgt jedoch die Gefahr, dass
sowohl der Spielfluss und die Spielfreude als auch der Lerneffekt abgeschwächt werden kön-
nen, wenn die Spielenden zwischendurch in den Modus expliziten Lernens wechseln, ihn aber
so schnell wie möglich wieder verlassen wollen. Dieser Gefahr wird beispielsweise durch die
Verbindung der Spiel- und Lernziele begegnet.
Durch die Strukturierung und Anleitung der Gruppen mithilfe von Tablets werden analoge und
digitale Bestandteile verbunden.
Abb.
1:
Mit dem richtigen Code kann im
Laufe des Spiels die Saatgutbank ge-
öffnet werden. Diese ist dargestellt
durch eine Kiste, die das weitere Ma-
terial für die Gruppe enthält. (Quelle:
H. Rosenbaum)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
31
Wie unterstützen digitale Elemente das Bildungsangebot?
Für die Erstellung der Rallye wurde die App Actionbound verwendet. Sie bietet Frage-, Aufga-
ben- und Informationsbausteine, mit denen sogenannte Bounds, also Routen der Rallye, er-
stellt werden können. Mögliche Elemente sind dabei auch das Finden von Orten mittels GPS
oder das Scannen von QR-Codes.
Die Teilnehmenden arbeiten in Kleingruppen von
drei bis vier Personen jeweils mit einem Tablet, wel-
ches vom Botanischen Garten zur Verfügung ge-
stellt wird. Im Verlauf des Spiels werden die Grup-
pen durch die in der App präsentierten Texte ange-
leitet (Abb. 2). Sie werden beispielsweise zum
nächsten Ort geschickt und müssen nahezu bei je-
der Station Codes o.ä. erarbeiten, die sie in der App
eingeben. Ein Weiterkommen ist dabei nur mit dem
richtigen Code möglich.
Die Verwendung des Tablets und der App bietet
mehrere Vorteile. Zum einen ist das Arbeiten mit
digitalen Geräten für junge Menschen ansprechend
und fördert ein erstes Interesse bzw. die Motivation
für die weitere Auseinandersetzung. Die Mischung
aus digitalen Bausteinen und analogen Rätseln macht die Rallye zudem abwechslungsreicher
(Abb. 3). Dabei können auch gezielt analoge Materialien mit der digitalen Anwendung verbun-
den werden, beispielsweise indem ein zu scannender QR-Code erst noch unter Verwendung
der Lernmaterialien korrekt vervollständigt werden muss (Abb. 4).
Abb.
2:
Die Kleingruppen erhalten über
Tab
lets Aufgaben, Informationen
und Anweisungen während der
Rallye. (© Franziska Hahn)
Abb.
3 (links):
Die am analogen Material erarbeiteten Codes müssen stets im Tablet eingegeben wer-
den, um zur nächsten Aufgabe bzw. Station zu gelangen. (© Franziska Hahn)
Abb.
4 (rechts): Der abgebildete QR-
Code muss zunächst unter Zuhilfenahme des beiliegenden Informa-
tionsmaterials ausgemalt werden, bevor er gescannt werden kann und den nächsten
Zielort im Garten verrät. (© Franziska Hahn)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
32
Gleichzeitig erleichtert die technische Umsetzung die Implementierung von Anweisungen und
Informationen zum jeweils richtigen Zeitpunkt. Der insgesamt umfangreiche Text ist aufgeteilt
und so wird die Aufmerksamkeit auf den aktuell relevanten Textbaustein oder die Aufgaben-
stellung gelenkt. Zudem können Medien wie Videos oder Bilder einfach eingebettet werden.
Sowohl die Anleitung als auch die Kontrolle der Eingaben geschieht durch die App, so dass die
Teilnehmenden größtenteils selbständig und in ihrem eigenen Tempo arbeiten können. Das
direkte Feedback durch die App ist besonders wertvoll, da es eine schnelle Kontrollmöglichkeit
bietet. Die Teilnehmenden haben so ständig kleine Erfolgserlebnisse, die motivierend wirken.
Zudem wird das so genannte Flow-Erleben gefördert, in dem man völlig in der Aufgabe auf-
geht, konzentriert arbeitet und vor allem auch intrinsisch motiviert ist. Eine Rückmeldung in
diesem Umfang wäre durch Betreuende nur schwer möglich.
Gleichzeitig werden zum Lösen der Rätsel analoge Materialien benutzt. So beinhaltet das Spiel
viele haptische Elemente. Nicht zuletzt steht so auch die originale Begegnung mit einzelnen
Verantwortungsarten und Samen im Vordergrund.
Bei den bisherigen Durchführungen traten vereinzelt technische Schwierigkeiten auf. Insge-
samt ist aber sowohl das Team mit dem Format und dem Einsatz der Tablets zufrieden als
auch die Schüler*innen und Lehrkräfte: das Angebot wurde in den Rückmeldungen als sehr
abwechslungsreich und motivationsfördernd beschrieben. Vor allem hervorgehoben wurde
die Freude bei der Bearbeitung und die hohe Aktivierung der Schüler*innen. Der Escape-
Game-Charakter, der hier mit dem Einsatz digitaler Formate verknüpft wurde, stellt sich dem-
nach als vielversprechend heraus.
In einer ersten projektinternen Evaluation zeigte sich, dass viele der Schüler*innen die Not-
wendigkeit des Schutzes der Artenvielfalt als Lernergebnis formulieren. Die Sensibilisierung
für die Biodiversitätskrise scheint demnach in den meisten Fällen zu gelingen. Der Kurs schafft
eine Begegnung mit dem Thema, durch die Interesse geweckt, eine weitere Auseinanderset-
zung und im Idealfall Engagement für den Natur- und Artenschutz angeregt werden kann. Die
Schüler*innen machen zudem die Erfahrung, dass die Auseinandersetzung mit der Pflanzen-
welt Spaß machen kann.
Im Laufe des Projektes WIPs-De soll das Angebot für die vier weiteren Projektgärten in Berlin,
Osnabrück, Potsdam und Regensburg angepasst und damit deutschlandweit verbreitet wer-
den. Die Materialien und das Konzept können auf Anfrage auch anderen Institutionen zur Ver-
fügung gestellt werden, sofern eine Nutzungslizenz der App Actionbound (Actionbound 2023)
vorliegt.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
33
Literatur und Verweise:
Actionbound (2023): https://de.actionbound.com/ (Letzter Zugriff: 23.07.2023).
BfN (2023): Arten nationaler Verantwortlichkeit. https://www.bfn.de/arten-nationaler-verantwort-
lichkeit (Letzter Zugriff: 23.08.2023).
ENSCONET (2009): ENSCONET Anleitung zum Sammeln von Wildpflanzensamen. Deutsche Fassung
des ENSCONET SEED COLLECTING MANUAL. Hg. v. Royal Botanic Gardens, Kew und Universidad
Politécnica de Madrid. 36 S. http://ensconet.maich.gr/PDF/Collecting_protocol_German.pdf
(Letzter Zugriff: 23.08.2023).
Wöhrmann, F. et al. (2020): WIPs-De II Wildpflanzenschutz Deutschland. Botanische Gärten über-
nehmen Verantwortung. https://www.wildpflanzenschutz.uni-osnabrueck.de/wp-content/uplo-
ads/2021/01/WIPS-DE-II-Wildpflanzenschutz-Deutschland-Botanische-G%C3%A4rten-
%C3%BCbernehmen-Verantwortung-GBB.pdf14_2020-02.pdf (Letzter Zugriff: 30.07.2023).
Kontakt:
Hannah Rosenbaum (korresp.), Franziska Hahn und Dr. Ute Becker (korresp.)
Grüne Schule im Botanischen Garten der Universität Mainz
wildwuchs@uni-mainz.de
harosenb@students.uni-mainz.de
beckeru@uni-mainz.de
Förderhinweis:
Das Projekt WIPs-De wird gefördert im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bun-
desamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukle-
are Sicherheit und Verbraucherschutz.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
34
2.3 Die Naturerlebnis-App der Döberitzer Heide Digitale Wege die Natur zu
erkunden
Kristin Hinsberger
Einführung
Die Digitalisierung verändert unser Verhalten und unsere Wahrnehmungen auch in Bezug auf
die Natur. Viele befürchten, dass die Naturentfremdung durch die Nutzung digitaler Medien
weiter forciert wird und das Interesse am klassischen Naturerleben in den Hintergrund rückt.
Könnte das ein Problem für den Naturschutz werden? Nicht unbedingt. Mittlerweile gibt es
zahlreiche Ideen und auch schon erprobte Umsetzungen, wie wir den digitalen Wandel für
Naturerlebnisse und Naturschutz nutzen können. Um alle Menschen anzusprechen und von
der Schönheit und dem Wert der Natur zu überzeugen, müssen wir Begeisterung schaffen
und sozusagen mit der Zeit gehen.
Die Heinz Sielmann Stiftung möchte mit dem Bau eines Natur-Erlebniszentrums in der Döberit-
zer Heide, ein rund 3.600 ha großes Schutzgebiet westlich von Berlin, und der Planung einer
neuen, integrierten Naturerlebnis-App einen Vermittlungsschwerpunkt in der digitalen Natur-
schutzbildung setzen. Die Stiftung verfolgt das Ziel, alle Menschen über die Nutzung dieser
innovativen digitalen Angebote zu einem vertieften und unmittelbaren Naturerlebnis anzure-
gen. Die Naturerlebnis-App befindet sich aktuell noch in der Entwicklungsphase und wird zu-
sammen mit der Eröffnung des Natur-Erlebniszentrums Mitte November 2023 veröffentlicht.
Die Naturerlebnis-App
Die Naturerlebnis-App der Döberitzer Heide wird mit der Eröffnung des Natur-Erlebniszent-
rums u.a. den Schwerpunkt in Gamification setzen. Darunter fallen zwei Serious Games: eine
„360° Rallye“ als Indoorformat, welches standortunabhängig durchgeführt werden kann, und
eine „Digitale Gelände-Rallye“ als Outdoorformat. Im Folgenden wird die Outdoorversion nä-
her erläutert.
Die Gelände-Rallye ist ein Umweltbildungsformat, bei dem digitale und analoge Elemente zu-
sammenspielen. Dieses Game basiert ausschließlich auf der Naturerlebnis-App, die sowohl für
Android als auch für iOS konfiguriert wird. Die App wird vor Ort im Natur-Erlebniszentrum im
hauseigenen W-LAN heruntergeladen. Eigene Handys oder Tablets können genutzt werden.
Zudem ist eine Leihgabe durch die Stiftung geplant.
Die Gelände-Rallye wurde für zwei Variationen ausgearbeitet: Eine Version für individuelle
Besuchende, die die Rallye während ihres Besuches unabhängig durchführen können, und
eine buchbare Version, die durch qualifiziertes Personal der Heinz Sielmann Stiftung begleitet
wird. Die buchbare Rallye wird aufgrund des ganzheitlichen Bildungskonzeptes nachfolgend
näher betrachtet.
Das Angebot richtet sich an Gruppen, insbesondere an Kindergruppen, wie Schulklassen und
Kindergärten unterschiedlichen Alters. Die buchbare Version besteht aus drei Phasen einer
Vorbereitungs-, Durchführungs- und Abschlussphase:
1. In der Vorbereitungsphase bucht die Lehrkraft eine Rallye Ihrer Wahl mit entsprechender
Thematik und dem passenden Schwierigkeitsgrad. Nach erfolgreicher Buchung erhält sie
bereits im Vorfeld einen Zugang zu einem System, wodurch sie befähigt ist, Gruppen ein-
zuteilen sowie Fragen der Rallye näher in Augenschein zu nehmen. Die Inhalte können
somit bereits vor dem Ausflug besprochen werden.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
35
2. Die Durchführungsphase startet in der Ausstellung des neuen Natur-Erlebniszentrums.
Hier wird die Gruppe sowohl technisch als auch thematisch von den Mitarbeitenden der
Heinz Sielmann Stiftung eingewiesen, um einen reibungslosen Ablauf der Rallye zu ge-
währleisten. Wenn alle Fragen geklärt sind und die Gruppeneinteilung erfolgt ist, startet
die Rallye. Mit der Naturerlebnis-App erkunden die Kleingruppen auf einer festgelegten
Route die Döberitzer Heide und bewältigen in einer vorgegebenen Zeit gemeinsam Aufga-
ben (Stops), die sich entlang der Route befinden. Durch eine einfache Bedienbarkeit und
leichte Navigation via GPS werden die Gruppen mithilfe einer integrierten digitalen Land-
karte durch die Rallye geleitet (Abb. 1). Dabei erhalten die Gruppen nach jeder bewältigten
Aufgabe sowohl ein Feedback in Form einer Pushmitteilung als auch eine Kennzeichnung
auf der digitalen Landkarte. Durch verschiedene Frage-Antwort-Interaktionen, wie die
Aufforderung eigene Fotos zu machen (Abb. 2) oder mit der Lupe durch die Heide zu strei-
fen, soll eine gute Balance zwischen digitaler und analoger Umweltbildung geschaffen wer-
den. Mögliche Frage-Antwort-Interaktionen werden sein: Fotografie, Puzzle, Freitext, Zu-
ordnungen, Single- und Multiple Choice (Abb. 3-4). Dabei ist die Formulierung der Fragen
und Aufforderungen besonders wichtig, um den Fokus auch vom Bildschirm wegzulenken
und die Aufmerksamkeit auf die Natur zu richten. Während die Kleingruppen die Rallye
bestreiten, kann die Lehrkraft die Interaktionen im System auf ihrem eigenen Gerät ver-
folgen.
Abb.
1: Navigation
Micromovie Media GmbH)
Abb.
2: Fotografie der Heide
(© Micromovie Media GmbH)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
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Abb.
3-1: Frage Wisent
(alle 3: ©
Micromovie Media GmbH)
Abb. 3-2: Frage Wisent
4: Fragebeispiel
3. Nach Beendigung der Rallye finden sich die Gruppen nochmals im Natur-Erlebniszentrum
an einem Medienkörper zusammen und die Abschlussphase startet. Dort werden durch
Mitarbeitende der Stiftung die Ergebnisse auf einem großen Bildschirm präsentiert. Fra-
gen und Antworten werden gemeinsam besprochen. Die Ergebnisse werden dabei anony-
misiert dargestellt, um keine der Gruppen vorzuführen. Um Inhalte und Naturthemen in-
haltlich zu vertiefen, können auf den Bildschirmen des Medienkörpers weitere Inhalte wie
Videos, Fotos und PDFs abgebildet und besprochen werden.
Diskussion
„Benötigen wir überhaupt digitale Angebote? Wäre es nicht viel besser und sinnvoller, wenn
wir uns auf das Naturerleben in der Natur fokussieren?“ Eine kritische Frage, die wir auf der
NaturschutzDigital Tagung nach diesem Vortrag in großer Runde diskutierten. Des Weiteren
auch eine sehr komplexe Frage, für die es vermutlich keine zufriedenstellende Antwort geben
wird. Höchstwahrscheinlich würden alle naturbegeisterten Menschen diesem Gedanken zu-
stimmen, da das Naturerleben in der Natur nicht zu übertreffen ist. Aber wie schaffen wir es,
jene Menschen abzuholen, die der Natur (noch) nicht zugewandt sind? Wie erreichen wir
diese Menschen?
In manchen Fällen ist es notwendig, seine eigenen Werte und Vorstellungen gedanklich aus-
zuklammern und sich den Interessen und Ansprüchen anderer Zielgruppen zu widmen. Durch
Digitalisierung und die neuen medialen Möglichkeiten, die uns geboten werden, können sich
Interessen und Hobbies verschieben oder verändern. Hier ist es wichtig, neue Konzepte zu
entwickeln, Neues auszuprobieren und das eigene Repertoire zu erweitern. Aber es betrifft
auch nicht nur diejenigen, die der Natur weniger zugewandt sind. Die Digitalisierung schreitet
immer weiter voran und ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil im privaten und beruflichen
Alltag. Dieser Umstand sollte auch in unseren zukünftigen Bildungskonzepten mitberücksich-
tigt werden. Und warum nicht alle Möglichkeiten betrachten und alle Register ziehen, um
mehr Menschen vom Naturschutz zu überzeugen und auch zukünftig ein nachhaltiges Handeln
für unsere Gesellschaft zu erzielen?
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
37
Neueste Technik und Medien für Bildungszwecke zu nutzen ist in dem Sinne auch nichts
Neues. Bereits Heinz Sielmann hat die Menschen mit seinen Filmen von der Natur begeistern
können, hat sie regelrecht an den Bildschirm gefesselt. Diese Menschen sind auch heute noch
fasziniert und schwärmen von der Arbeit Heinz Sielmanns. Wir leben inzwischen in anderen
Zeiten, in Zeiten, in denen die Digitalisierung fast schon allgegenwärtig ist. Vielleicht sollten
wir auch gerade deshalb diese vielen Möglichkeiten annehmen und für sinnvolle und nachhal-
tige Bildungsarbeit nutzen. Dennoch sollten alle Umweltbildende ihre Konzepte kritisch hin-
terfragen und versuchen, stets eine Verbindung zum Naturerleben herzustellen. Evaluation
und Reflexion sind für alle Bildungsangebote angezeigt, ob digital oder analog.
Durch Einsatz multimedialer Inhalte wie Videos, Spiele, Simulationen etc. wird Wissen auf un-
terschiedliche Weise vermittelt. Verschiedenste Lernbereiche werden angesprochen, was zu
einem tiefgreifenden Naturverständnis führen kann. Des Weiteren können Menschen durch
die Einführung von unabhängigen Angeboten wie einer virtuellen 360° Tour standortunabhän-
gig auf Bildungsangebote zugreifen. Umweltbildung kann demnach fast überall und jederzeit
stattfinden. Somit können verschiedene Lebensräume vorgestellt und Wissen vermittelt wer-
den, auch die Lebensräume, die sich nicht vor der eigenen Haustür befinden. Wie bereits Heinz
Sielmann erkannte: „Nur wer die Natur kennt, wird sie schützen“.
Digitale Angebote sollten sich an verschiedenste Zielgruppen richten. Das passende Medium
zur Vermittlung zu wählen, ist dabei jedoch zu beachten.
Fazit und Ausblick
Bildungsangebote stehen im digitalen Zeitalter vor neuen Herausforderungen. Das gilt insbe-
sondere auch für die Umweltbildung. Hier scheint die Kluft zwischen „in der Natur“ und „aus
der Natur“ sehr groß. Wir haben nun die Chance, digitale und innovative Formate zu entwi-
ckeln und Bildungsangebote zu reformieren und zu erweitern. Es darf nicht angenommen wer-
den, dass digitale Umweltbildung das klassische Naturerleben ersetzen soll. Ganz im Gegen-
teil, es handelt sich vielmehr um eine Vervollständigung und ganzheitliche Betrachtungsweise
des Bildungsangebotes, eine Ergänzung der bestehenden Angebote. Die Bandbreite an bild-
nerischen Möglichkeiten sollte ausgeschöpft und alle Menschen sollten auf unterschiedlichen
Wegen angesprochen werden. Die Heinz Sielmann Stiftung möchte einen großen Teil dazu
beitragen, Menschen auf dem „klassischen Weg“ an die Natur heranzuführen, eine Verknüp-
fung zu digitalen Angeboten zu schaffen und das reiche Repertoire an Umweltbildungsange-
boten für alle Zielgruppen zu nutzen.
Die Heinz Sielmann Stiftung wird zukünftig ihr Repertoire an digitalen Angeboten erweitern.
Dafür werden u.a. die Angebote der Outdoor-Rallyes erweitert, sodass verschiedene Alters-
gruppen zu vielfältigen Themen die Rallyes in der Döberitzer Heide durchführen können. Das
Pilot-Projekt der Döberitzer Heide soll nach erfolgreicher Integrierung auch in weiteren Siel-
manns Naturlandschaften Anwendung finden.
Kontakt
Kristin Hinsberger
Heinz Sielmann Stiftung, Wustermark
kristin.hinsberger@sielmann-stiftung.de
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
38
2.4 Naturblick: Erkenntnisse aus der Entwicklung einer App zur urbanen
Naturerfahrung
Ulrike Sturm und Omid Khorramshahi
Digitale Anwendungen und innovative Digitalformate verändern die Praxis von Naturschutz,
Umweltbildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Zahlreiche Beispiele zeigen
mittlerweile auch Skeptiker*innen, dass digitale Medien und Naturerlebnisse einander nicht
ausschließen, sondern viele neue Möglichkeiten bieten (Lude et al. 2013, Dotterweich & Lude
2022). Gleichwohl stellt der Einsatz von neuen Medien Akteure der Naturbildung vor neue
Herausforderungen. Die Entwicklung, aber auch der Einsatz bestehender digitaler Anwendun-
gen erfordern spezielle Kenntnisse und Kompetenzen für die involvierten Akteur*innen in der
Naturschutzbildung und Entwickler*innen der Angebote. Wird dies nicht beachtet, entstehen
ungeeignete Anwendungen, die Kritiker*innen in ihrer Ablehnung bestätigen.
In unserem Beitrag werden wir daher, basierend auf der Entwicklung der Smartphone-App
„Naturblick“, wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung und zum Einsatz von digitalen Anwendun-
gen in der Naturschutzbildung erläutern.
Naturblick
Die Smartphone-App Naturblick hat das Ziel, junge Erwachsene zur Naturerfahrung in der
Stadt anzuregen. Die App wurde daher als ein Angebot der individuellen, digitalen Umweltbil-
dung konzipiert, welches gezielt Menschen mit geringem Vorwissen und situationalem Inte-
resse für Natur anspricht. Naturblick ist daher als digitaler Wegbereiter zu verstehen, der aus-
gehend von einer spontanen Naturbegegnung und dem daraus resultierenden intrinsischen
Interesse eine weitergehende Naturerfahrung in der Stadt unterstützen kann. Damit möchten
wir eine neue Wahrnehmung und Interaktion mit Stadtnatur als eine oft unbeachtete und als
weniger wertvoll erachtete Natur fördern. Darüber hinaus erproben und reflektieren wir In-
novationspotenziale von digitaler Naturbildung, wie den Einsatz von Mustererkennung in der
Artbestimmung (Lauterkennung von Vögeln, Bilderkennung von Pflanzen, Bilderkennung von
Tieren in Vorbereitung) und die Verbindung von Umweltbildung und Citizen Science. Natur-
blick wird seit 2015 in einem interdisziplinären Team des Museum für Naturkunde Berlin kon-
tinuierlich nutzerzentriert weiterentwickelt sowie die Nutzung und Wirkung wissenschaftlich
untersucht (Förderung durch das BMUV 2015 bis 2021). Weitere Informationen zur App:
https://naturblick.museumfuernaturkunde.berlin/
Ziele und didaktisches Konzept
Die Entwicklung digitaler Anwendungen eröffnet viele neue Möglichkeiten, wie z. B. die Ver-
netzung von Teilnehmenden in sozialen Netzwerken. In diesen schier unendlichen Möglich-
keiten liegt jedoch auch die Herausforderung, alle Funktionen den Naturbildungszielen und
einem klaren didaktischen Konzept folgend umzusetzen.
In der Entwicklung von Naturblick sind beispielsweise die Förderung individueller Naturerfah-
rung und selbstgewählter Lernsituationen zentrale Konzepte, die alle Entscheidungen zu Funk-
tionen leiten. Naturerfahrung soll von den Nutzenden in ihren persönlichen Erfahrungsraum
gebracht werden. Dieser Ausrichtung folgend bietet Naturblick unterschiedliche Funktionen
einfacher Artbestimmung einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Diese können je nach
Kontext und Vorliebe genutzt und Beobachtungen können gespeichert werden. Das Teilen von
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
39
Beobachtungen mit wissenschaftlichen Projekten und Naturschutz gehört zu unseren Anlie-
gen, ist jedoch den Zielen der persönlichen Naturerfahrung untergeordnet. Die COVID-19 Pan-
demie zeigte den hohen Bedarf nach individueller Naturerfahrung im persönlichen Erfah-
rungsraum. Dies spiegelt sich beispielsweise in dem sprunghaften Anstieg der Beobachtungs-
zahlen wider, die mit unserer App insb. im Jahr 2020 gemacht wurden (Abb. 2).
Abb. 1: Naturblick App: Die Vielfalt an Arten kann mit Bestimmmungshilfen zu Bäumen, Vögeln,
Kräutern und Wildblumen, Amphibien, Säugetieren, Schmetterlingen, Reptilien, Bienen und
Wespen und Co. erforscht werden. Fotos von Pflanzen können mit der automatischen Bilder-
kennung bestimmt werden. Vogelstimmen werden mit der automatischen Lauterkennung
erkannt. (© Torben Geeck)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
40
Abb. 2: Anzahl von Beobachtungen von Pflanzen und Tieren, die mit der Smartphone-App Naturblick
gemacht werden, pro Monat im Zeitraum 2019 bis Anfang 2023. Die Grafik verdeutlicht die
stark saisonal bedingten Schwankungen von Naturbeobachtungen. (Eigene Abbildung)
Die Auseinandersetzung mit den Zielen und dem verfolgten didaktischen Konzept ist auch eine
wichtige Grundlage, um Doppelungen von Angeboten zu vermeiden und von bereits beste-
henden Angeboten zu lernen. Die Entwicklung einer spezialisierten Smartphone-App bedarf
meist kurz- und langfristig erheblicher Ressourcen, sowohl zeitlich als auch finanziell. Die Nut-
zung bestehender Anwendungen anstelle der Entwicklung neuer Anwendungen kann daher
sehr sinnvoll sein. Eine Übersicht bestehender Apps zur Artbestimmung findet sich im Beitrag
2.8.
Zuhören
Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung und des Einsatzes von Angeboten der digitalen Na-
turbildung ist die Adressatenorientierung. Dieser zunächst so einleuchtende Punkt birgt in der
Umsetzung jedoch zahlreiche Herausforderungen. Aus meiner Erfahrung entstehen die besten
digitalen Angebote in interdisziplinären Teams, in denen technisches, didaktisches und fachli-
ches Wissen in echter Kooperation zusammengebracht werden. Dies benötigt jedoch zusätz-
liche Kompetenzen aller Beteiligten, ausreichend Zeit, miteinander kommunizieren zu können
und die Bereitschaft, voneinander zu lernen. Alle Beteiligten brauchen dies, um ein gemeinsa-
mes Verständnis der Zielgruppen und ihrer Bedürfnisse zu teilen und sich dem folgend in die
Entwicklung einzubringen.
Im Entwicklungsprozess von Naturblick starteten wir daher mit einem Ziel, der Weg dorthin
und das Produkt wurde jedoch in einem mehrjährigen iterativen Prozess entwickelt der auch
nach acht Jahren nicht abgeschlossen ist. Zentral ist dabei, den Menschen zuzuhören. Zu Be-
ginn der Entwicklung suchten wir daher auf zahlreichen Wegen Kontakt zu potentiellen Nut-
zenden, die auf unterschiedlichen Ebenen die Konzeption und Entwicklung von Naturblick mit-
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
41
gestalten (Sturm & Tscholl 2019). Wir stellten dabei fest, wie wichtig es ist, Feedback und Be-
teiligung auf unterschiedlichen Wegen anzuregen, um unterschiedliche Einblicke in Bedarfe
und Wünsche zu erhalten.
Miteinander Lernen
Die Entwicklung und die Anwendung von digitalen Angeboten der Naturbildung geben die
Chance zu kontinuierlichem Lernen von Nutzenden und Anbietenden. Die Naturblick-App gibt
uns beispielsweise wertvolle Einblicke in die Interaktion mit Pflanzen und Tieren in der Stadt:
Wo finden Naturkontakte und -erfahrungen statt? Welche Arten und Orte rufen Interesse her-
vor? Zusammen mit weiteren Erkenntnissen wie zur Verwendung unterschiedlicher Bestim-
mungshilfen wird damit gemeinsam neues Wissen zur (digitalen) Mensch-Natur-Interaktion
produziert. Diese Auseinandersetzung mit neuem Wissen und anderen Perspektiven ist dabei
ein integraler Bestandteil der kontinuierlichen Reflektion und Weiterentwicklung der App und
des didaktischen Konzepts.
Das miteinander Lernen bedeutet im Fall von Naturblick auch die Veröffentlichung von Zwi-
schenständen und dem offenen Experimentieren. Das hat den Vorteil, dass es eine enge Ver-
bindung zwischen Konzeption, Ausprobieren und Feedback gibt. Gleichzeitig sind dadurch
Nutzende direkt von Fehlern oder missglückten Ideen “betroffen”, die dann ggf. nicht immer
so schnell behoben werden können, wie es von Nutzenden erwartet wird. Hier bedarf es daher
einer Balance zwischen Ausprobieren und Verlässlichkeit, die jedoch nicht rezeptartig über-
nommen werden kann, Kontinuität und der Fähigkeit, diesen Konflikt als Teil der Fehlerkultur
auszuhalten.
Fazit
Digitale Naturbildung bedarf spezifischer Kompetenzen, um neue geeignete Bildungskonzepte
in Angeboten zu entwickeln und einen Mehrwert zu kreieren. Dafür braucht es jedoch Ent-
wicklung und praxisorientierte Forschung, die einen prozesshaften, adressatenorientierten
und langfristigen Ansatz verfolgt und Akteur*innen, die dies gewährleisten können. Andern-
falls können auch wohlmeinende Initiativen zu Frustration und Ablehnung führen.
Für die kritische Reflektion der Ziele und Gründe digitaler Naturbildung kann es helfen, unter-
schiedliche Medien und deren Vor- und Nachteile gegenüberzustellen. Häufig schneiden klas-
sische Flyer und Bücher gerade bei lokalen Angeboten und bekannten Gruppen überraschend
gut ab. Oft ist auch die Verbindung von digitalen und nicht-digitalen Lernangeboten eine gute
Möglichkeit, um neue Interaktionen zu schaffen.
Angebote der digitalen Naturbildung, beispielsweise Bestimmungs-Apps, erscheinen auf den
ersten Blick oft sehr ähnlich. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich dann aber häufig die doch
unterschiedlichen Ansätze. Diese Vielfalt ist ein wichtiger Schritt in der Etablierung und Wei-
terentwicklung des Bereichs. Nun gilt es, diese Ansätze kritisch zu reflektieren und weiterzu-
entwickeln.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
42
Literatur
Dotterweich, M. und Lude, A. (2022): Naturerfahrungen mit digitalen Techniken Potenziale, Her-
ausforderungen und Beispiele. In U. Gebhard, A. Lude, A. Möller, und A. Moormann (Hrsg.): Na-
turerfahrung und Bildung. Springer. Wiesbaden: 347-360. DOI: 10.1007/978-3-658-35334-6_19.
Lude, A., Schaal, S., Bullinger, M., und Bleck, S. (2013): Mobiles, ortsbezogenes Lernen in der Umwelt-
bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung - der erfolgreiche Einsatz von Smartphone und
Co. in Bildungsangeboten in der Natur. Schneider Verlag. Baltmannsweiler: 109 S.
Sturm, U., Tscholl, M. (2019): The role of digital user feedback in a user-centred development process
in citizen science. Journal of Science Communication 18 (1): 1-19. DOI: 10.22323/2.18010203.
Kontakt
Ulrike Sturm (korresp.) und Omid Khorramshahi
Museum für Naturkunde Berlin
Ulrike.Sturm@mfn.berlin
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
43
2.5 Flora Incognita Mehr als Pflanzenbestimmung
Anke Bebber
Neben dem Klimawandel ist der Verlust der Artenvielfalt eine der größten Bedrohungen für
die Menschheit. Dieses Wissen ist nun in der Gesellschaft angekommen: Bereits ein Viertel
der Deutschen hat ein hohes Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt und
etwa 4 von 5 Deutschen sind der Meinung, durch die Zerstörung der biologischen Vielfalt ge-
fährde die Menschheit ihre Lebensgrundlagen (BMUV und BfN 2023). Um die verbleibende
Artenvielfalt zu bewahren, ist es entscheidend, eine breite Kenntnis dieser Arten zu haben, da
nur so deutlich wird, wenn sie verschwinden. Leider nimmt die Artenkenntnis in der Gesell-
schaft dramatisch ab, und in Bildungskontexten wird der Bestimmung von Pflanzen und Tieren
nur wenig Raum gegeben. Ein Grund dafür ist, dass das Erlernen von Artbestimmung komplex
und zeitintensiv ist, dazu kommt der Mangel an Pädagog*innen in allen Bildungsbereichen
(Statista 2023).
Moderne Technologie in Form von Künstlicher Intelligenz und der weit verbreitete Besitz eines
Smartphones können hier eine Lücke füllen: Flora Incognita ist eine Pflanzenbestimmungsapp,
die von einem interdisziplinären Team aus Biolog*innen vom Max-Planck-Institut für Biogeo-
chemie Jena und Informatiker*innen der TU Ilmenau entwickelt worden ist (Mäder et al.
2021). Derzeit ermöglicht Flora Incognita die Bestimmung von über 16.000 Gefäßpflanzenar-
ten mit nur wenigen Handgriffen: Mit der Applikation wird ein Bild der Pflanze gemacht, und
bei entsprechender Bildqualität reicht dies aus, um in Sekundenschnelle ein Ergebnis anzuzei-
gen (Abb. 1). Zusätzlich zum Artnamen erhalten die Nutzer*innen einen umfassenden Steck-
brief, der sowohl Vergleichsbilder liefert, als auch weitergehende Informationen wie Merk-
male, Verbreitung oder den lokalen Schutzstatus.
Abb. 1: Smartphone-Screenshots als Beispiel für eine automati-
schen Pflanzenerkennung mit der Flora Incognita App
Christian Schneider)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
44
Flora Incognita ist in über 20 Sprachen verfügbar und für iOS, Android und Harmony OS er-
hältlich. Seit dem ersten Release 2018 wurde die Anwendung mehr als sechs Millionen Mal
heruntergeladen, und erreicht in Deutschland sowohl dauerhaft Top-Plätze in den Bildungs-
anwendungen der App-Stores als auch höchste Bewertungen.
Flora Incognita ist kostenlos, werbefrei und ohne Registrierung nutzbar. Wenn kein mobiles
Internet verfügbar ist, können Pflanzenfunde mit der App aufgenommen und später in der
Bildungseinrichtung oder zu Hause bequem bestimmt werden. Alle hierfür anfallenden Pro-
zesse werden auf dedizierten Servern der TU Ilmenau durchgeführt, es gibt keine Verbindung
zu kommerziellen Cloud-Lösungen oder anderen IT-Infrastrukturen. Dadurch ist die App her-
vorragend geeignet, in der schulischen und außerschulischen Bildung die Wahrnehmung
pflanzlicher Biodiversität zu schärfen. Es gibt bereits positives Feedback von Kindertagesstät-
ten, die erste begleitete Erkundungen mit ihr unternehmen, aber auch aus Schulen, die die
App unterstützend im Biologieunterricht einsetzen, sowie von Hochschulen und Universitä-
ten, wo Flora Incognita beispielsweise auf Exkursionen Anwendung findet. Im Rahmen einer
Masterarbeit entstanden Lehrmaterialien für Pädagog*innen, die die Themenblöcke Wald,
Wiese und Systematik inhaltlich aufbereiten und mit praktischen Anwendungsübungen mit
Flora Incognita digital unterstützen. Die Materialien sind frei auf der Flora-Incognita-Webseite
verfügbar (Flora Incognita 2019).
Ein typisches Anwendungsbeispiel für den Einsatz von Flora Incognita in der Naturschutzbil-
dung ist, Menschen in einer kleinen Übung vor Augen zu führen, wie viel pflanzliche Artenviel-
falt in ihrer Nähe vorhanden ist. Für diese Übung wird keine botanische Kenntnis vorausge-
setzt, es braucht lediglich ein artenreiches Habitat, die installierte Anwendung auf einem mo-
bilen Endgerät und, wenn man das Experiment gleich auswerten will, eine bestehende Inter-
netverbindung. Zur Tagung „NaturschutzDigital 2023“ wurde die Übung mit acht Interessier-
ten durchgeführt. Ihre Aufgabe war es, binnen 15 Minuten auf den umliegenden Wiesen so
viele Pflanzen wie möglich zu bestimmen. Bis auf eine Person hatten alle Teilnehmenden noch
keine praktische Erfahrung mit Flora Incognita, jedoch aber mit anderen Pflanzenbestim-
mungsapps. Allen Teilnehmenden war Flora Incognita als Pflanzenbestimmungsapp bereits
ein Begriff. Während des Übungszeitraums konnten jederzeit Fragen gestellt und Tipps zur
Bedienung ausgetauscht werden. Im Anschluss wurden die Funde in einem Auswertungsbo-
gen zusammengetragen.
Es wurde deutlich, dass Flora Incognita Menschen sofort in die Lage versetzt, Biodiversität
wahrzunehmen, anzusprechen und zu kartieren. Einige Teilnehmer*innen suchten dezidiert
kleine und unscheinbare Pflanzen für die Bestimmung auf, um die Leistungsfähigkeit der App
zu testen und mit der ihnen bekannter anderer Apps (Pl@ntNet, Naturblick, Seek von iNatu-
ralist) zu vergleichen. Andere nahmen vor allem Pflanzen auf, die auffällige Blüten hatten. Alle
Teams begannen nach den ersten Aufnahmen krautiger Pflanzen, weitere Wuchsformen wie
Sträucher oder Bäume zu kartieren. Mit dem konzentrierten Bestimmen einer Vielzahl von
Pflanzen ging ein Erkenntnisgewinn einher, der weit über das korrekte Ansprechen der Art
hinausgeht. So sagte eine Teilnehmerin beispielsweise: „Ich habe hier essbaren Salat gefun-
den!“ In den 15 Minuten Übungszeit fanden die Teilnehmer*innen Pflanzen aus vier verschie-
denen Wuchsformen, dokumentierten vorrangig auffällige Blütenfarben und fanden bis zu 20
verschiedene Pflanzenarten aus bis zu 15 verschiedenen Familien (Abb. 2).
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
45
Kraut
Baum
Strauch
Gras
Farn
weiß
blau/violett
gelb/orange
rot
grün/braun
bis 5
bis 10
bis 15
bis 20
über 20
bis 2
bis 4
bis 8
bis 10
bis 15
Wuchsform Blütenfarben verschiedene Arten unterschiedliche
Pflanzenfamilien
Team 1 Team 2 Team 3 Team 4
Abb. 2: Workshop-Ergebnisse der Übung zur Wahrnehmung pflanzlicher Biodiversität auf der Insel
Vilm anlässlich der Tagung "NaturschutzDigital 2023" (eigene Darstellung)
Nach Ablauf der 15 Minuten Bestimmungszeit wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Er-
gebnisse auf einem vorbereiteten Auswertungsbogen einzutragen. Um die dort abgefragten
Informationen (Anzahl der gefundenen Arten, Blütenfarbe der gefundenen Arten, Anzahl der
dokumentierten Pflanzenfamilien und Wuchsform der gefundenen Arten) eintragen zu kön-
nen, musste eine weitere Funktion der App genutzt werden: die Abzeichenübersicht. Dieses
Gamification-Element soll Nutzer*innen einladen, das Bestimmen von Pflanzen zu einer lang-
fristigen Gewohnheit werden zu lassen. Zudem erfüllt das Sammeln von Abzeichen weitere
Bildungsaufträge: In kurzen Stories, die direkt nach dem Erreichen eines jeden Levels ange-
zeigt werden, bekommen die Nutzer*innen thematisch passende Informationen zu den ge-
suchten Pflanzen, zum Thema Biodiversität und Naturschutz. Insgesamt stehen in der Flora-
Incognita-App knapp 100 zu erreichende Abzeichen-Level zur Verfügung. Manche zielen da-
rauf ab, bestimmte Familien, Arten oder Wuchsformen zu sammeln (z.B.: Gräser, Bäume,
Farne, möglichst viele verschiedene Arten) andere sind einmalig relevant (z.B.: Blume des Jah-
res, Giftpflanze des Jahres) oder an einen gewissen Nutzungszeitraum gebunden (z.B. die App
an X Tagen zu benutzen oder während eines Aktionszeitraums ein bestimmtes Set an Arten zu
finden). Die Abzeichen sind im Funktionsumfang der Applikation recht neu, aber das Feedback
zeigt bereits, dass viele Nutzer*innen durch den Gamification-Effekt extrinsisch motiviert wer-
den, sich noch mehr mit dem Thema Artenbestimmung auseinanderzusetzen.
Die anschließende Diskussionsrunde zu den Ergebnissen war offen gestaltet, auch Interes-
sierte aus anderen Gruppen, die die Bestimmungsübung nicht mit gemacht hatten, beteiligten
sich. Den meisten Personen war nicht bewusst, wie schnell und mühelos man eine so große
Pflanzenvielfalt erfassen kann, ohne eine tiefgehende botanische Artenkenntnis zu besitzen.
Es wurde Kritik geäußert, dass man so jedoch nicht lernen würde, Pflanzen zu bestimmen. Das
ist allerdings auch nicht das Ziel der App, und es wurde darüber debattiert, ob der schnelle
Einstiegserfolg ein Treiber sein könnte, sich mit den Methoden der Pflanzenbestimmung zu
beschäftigen, und ob das Nehmen der ersten Hürde das Interesse an Pflanzen, Pflanzenbe-
stimmung und biologischer Pflanzenvielfalt wecken könnte.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
46
Digitale Hilfsmittel wie Flora Incognita, in Kombination mit dem gestiegenen Bewusstsein für
den Verlust der Biodiversität, könnten nach Einschätzung der Teilnehmenden zukünftig durch-
aus dazu beitragen, dass wieder mehr Menschen Artenkenntnis aufbauen (Abb. 3).
Abb.
3: Smartphone-
Screenshot einer Über-
sicht von mit Flora Incognita bes
timm-
ten Pflanzen auf Vilm (© Anke Bebber)
Fazit
Der Einsatz der Pflanzenbestimmungsapp „Flora Incognita“ im Bildungskontext ermöglicht es
Schülerinnen und Schülern, aber auch Erwachsenen, in eine direkte Konfrontation mit Bio-
diversität zu gehen. Artenarme und artenreiche Standorte können in kurzer Zeit kartiert, ver-
glichen und bewertet werden. Zudem nimmt Flora Incognita durch die intuitive Bedienung,
seine hohe Bestimmungsgenauigkeit und die spielerischen Elemente interessierten Menschen
die herausfordernde erste Hürde, Wissen zum Bestimmen von Pflanzen aufzubauen.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
47
Literatur
BMUV und BfN (2023): Naturbewusstsein 2021. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Viel-
falt. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
(BMUV) und Bundesamt für Naturschutz (BfN). Berlin, Bonn: 140 S.
Flora Incognita (2019): Lehrmaterialien. https://floraincognita.de/lehrmaterialien/ (Letzter Zugriff:
13.6.2023)
Statista (2023): Prognosen zum Lehrermangel in Deutschland bis zum Schuljahr 2025/36.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1364023/umfrage/prognose-lehrkraeftemangel/
(Letzter Zugriff: 13.6.2023)
Mäder, P., Boho, D., Rzanny, M., Seeland, M., Wittich, H. C., Deggelmann, A. und Wäldchen, J. (2021):
The Flora Incognita app Interactive plant species identification. Methods in Ecology and Evolu-
tion 12 (7): 1335-1342. DOI: 10.1111/2041-210X.13611.
Kontakt
Anke Bebber
Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena
abebber@bgc-jena.mpg.de
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
48
2.6 Augmented Reality in der Naturschutzbildung am Beispiel von ARaction
Phillip Bengel
Die rasante Entwicklung digitaler Technologien eröffnet neue Möglichkeiten in vielen Lebens-
bereichen, auch im Naturschutz. In diesem Beitrag stellen wir die ARaction GmbH vor ein
innovatives Tech-Startup, das eine wegweisende Augmented Reality (AR) Software entwickelt
hat. Darüber hinaus werfen wir einen Blick auf Herausforderungen, geplante Weiterentwick-
lungen und den Bedarf an weiterer Forschung in diesem vielversprechenden Bereich.
Die ARaction GmbH ist ein junges Unternehmen mit Sitz inmitten des niederbayerischen „Out-
backs“. Die ARaction App ermöglicht es, digitale Informationen nahtlos mit der realen Umge-
bung zu verknüpfen und eröffnet damit faszinierende Perspektiven für die Naturschutzbil-
dung. AR-Software verschmilzt digitale Inhalte nahtlos mit der physischen Welt, was eine ein-
zigartige Möglichkeit für mediale Präsentationen im Raum schafft (Abb. 1).
Abb. 1: ARaction-Präsentation im Erlebniswald Burgebrach - Eröffnung Juli 2023. (© Phillip Bengel)
ARaction stellte den Teilnehmenden der NaturschutzDigital Tagung diese AR-Technologie vor
und demonstrierte, wie sie die Naturschutzbildung auf ein neues Level heben kann. Im Rah-
men der Praxispräsentation stellten wir den Use-Case des Bürgerwalds Eggenfelden vor, das
2018 umgesetzte Leuchtturmprojekt der ARaction GmbH, um die Potenziale der ARaction App
für die Natur-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung zu demonstrieren (Abb. 2 und 3). Die App
ermöglicht es, individuelle AR-Touren in der Natur zu erstellen, die auf die jeweiligen Situati-
onen und Zielgruppen abgestimmt sind. Die Anbieter, hier die Stadt Eggenfelden, erhalten für
die App eine Nutzungslizenz und beauftragen die ARaction GmbH mit der Entwicklung indivi-
duell auf das Projekt angepasster AR-Features. Die App ist daher an Geräte gebunden die im
Rathaus Eggenfelden ausgeliehen werden können. Mithilfe der integrierten Software werden
verschiedene digitale Content-Formate wie Texte, Grafiken, Videos und sogar animierte 3D-
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
49
Modelle oder Holo-Videos über Marker in den realen Raum projiziert. Die Besuchenden wer-
den von einem virtuellen Fuchs als Guide durch den Bürgerwald geführt und erfahren an ver-
schiedenen Stationen die Funktionen, Leistungen und Bedrohungen des Ökosystems Wald.
Dank der AR-Technologie kann beispielsweise der Wasserfluss innerhalb eines Baumes durch
eine Animation veranschaulicht werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, sich von einem Ho-
logramm eines Experten die Grundlagen nachhaltiger Forstwirtschaft erklären zu lassen oder
in einer dreidimensionalen Zeitraffer-Animation einem Baum beim Wachsen zuzusehen.
Die ARaction App eröffnet durch diese Funktionalitäten faszinierende Möglichkeiten in der
Naturschutzbildung. Sie ermöglicht es, komplexe Zusammenhänge und Prozesse in der Natur
visuell und interaktiv darzustellen. Dadurch können Lerninhalte anschaulich vermittelt wer-
den, was das Verständnis und die Wissensvermittlung deutlich verbessert. Besonders für
junge Zielgruppen und Schüler*innen könnten AR-Touren zu einem nachhaltigen und begeis-
ternden Lernerlebnis werden, das langfristig ihr Umweltbewusstsein stärkt.
Abb. 2: Tagungsteilnehmende probieren auf der Insel Vilm eine Demo-Version der ARaction Anwen-
dung aus, die üblicherweise im Bürgerwald Eggenfelden in Bayern zum Einsatz kommt. QR-
Codes am Boden triggern die AR-Anwendung auf den Tablets. (© Phillip Bengel)
Bei der Nutzung moderner Technologien wie AR im Naturschutz sind jedoch auch Herausfor-
derungen und ethische Fragestellungen zu berücksichtigen. Dazu zählen bspw. räumliche Fak-
toren wie Belichtung und Struktur des entsprechendes Naturgebiets. Zum anderen ist aber
auch eine verantwortungsbewusste Gestaltung der AR-Touren essenziell, um sicherzustellen,
dass die Technologie nicht zu einer Entfremdung von der realen Natur führt, sondern im Ge-
genteil das Interesse an deren Schutz weckt. Wichtig ist dabei, dass die Technik nicht einfach
nur ein attraktives Feature um seiner selbst willen, sondern einen eindeutigen didaktischen
Mehrwert darstellt. Beispielsweise können im Naturraum neue Perspektiven eröffnet, verbor-
gene Prozesse veranschaulicht und komplexe Inhalte auf eine Art nähergebracht werden, wie
es ohne diese Hilfsmittel nicht möglich wäre. Es gilt, den richtigen Maßstab zu finden und die
Technologie als Mittel zur Förderung eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Umgangs
mit der Natur zu nutzen.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
50
Die ARaction GmbH sieht in der Weiterentwicklung ihrer AR-Software großes Potenzial für die
Naturschutzbildung, welches auch mit der konstanten Weiterentwicklung von Hardware (z.B.
AR-Brillen) stetig wächst. Zukünftig sollen weitere interaktive Funktionen und pädagogische
Ansätze integriert werden, um das Lernerlebnis im Indoor-Bereich, aber vor allem auch in Na-
turräumen weiter zu verbessern. Dabei ist es wichtig, die Nutzer*innen aktiv in den Entwick-
lungsprozess einzubinden und diesen nach Möglichkeit auch wissenschaftlich zu begleiten und
zu evaluieren.
Die Entwicklung einer AR-Tour, so wie sie auch in Eggenfelden umgesetzt ist, nimmt abhängig
von Inhalt und Struktur in etwa acht bis zwölf Monate in Anspruch.
Fazit
Die Praxisanwendung der ARaction App im Bürgerwald Eggenfelden zeigt, dass moderne Tech-
nologien wie Augmented Reality das Potenzial haben, die Naturschutzbildung zu revolutionie-
ren. Die nahtlose Verknüpfung von digitalen und realen Inhalten eröffnet faszinierende Mög-
lichkeiten für ein nachhaltiges Lernen in der Natur. Allerdings sind eine verantwortungsbe-
wusste Gestaltung und Nutzung dieser Technologie unerlässlich, um eine positive Wirkung zu
erzielen. Die weitere Forschung und Entwicklung in diesem Bereich sollte daher von einem
ethischen und nachhaltigen Ansatz geleitet sein, um den Schutz unserer Natur langfristig zu
fördern.
Abb. 3: Tagungsteilnehmende probieren die ARaction App aus. Die mobilen Endgeräte kommen nor-
malerweise als Leihgeräte im Bürgerwald Eggenfelden zum Einsatz. Die AR Anwendungen
sind lokal auf den Geräten gespeichert und benötigen keine Internetverbindung. (Quelle:
Phillip Bengel)
Kontakt
Philipp Bengel
ARaction GmbH, Dietersburg
p.bengel@ar-action.com
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
51
2.7 Local Cosmos: App-Baukasten für Naturschutzprojekte
Thomas Uher
Local Cosmos ist ein innovativer App-Baukasten, der es ermöglicht, naturschutzbezogene An-
wendungen ganz ohne Programmierkenntnisse zu erstellen. Die resultierenden Anwendun-
gen aus diesem Baukasten zeichnen sich als plattformübergreifende Lösungen aus, die sowohl
in Form von Browser-Webseiten als auch als installierbare Smartphone-Apps für Android und
iOS nutzbar sind. Nachfolgend wird vereinfacht immer nur „App“ geschrieben.
Die mit Local Cosmos erstellten Apps können auf verschiedene Einsatzfelder wie Bestimmung,
Monitoring oder Bildung ausgerichtet sein. Local Cosmos wurde entwickelt, um sowohl re-
nommierten Instituten als auch engagierten Einzelpersonen ein mächtiges Instrument zur
Verfügung zu stellen. Local Cosmos ist quelloffen (open source), gehört der Allgemeinheit und
kann von allen Menschen genutzt werden. Der Quellcode ist auf GitHub erhältlich
(https://github.com/orgs/localcosmos/repositories). Local Cosmos finanziert sich über eine
Kombination aus Fördergeldern, privatem Investment der Firma sisol systems und Beiträgen
der Nutzer*innen. Local Cosmos bietet nicht nur eine innovative Lösung für die App-Entwick-
lung im Naturschutz, sondern auch einen Weg, um effizient und kostengünstig Ihr Engagement
für den Schutz der Natur zu unterstützen.
Local Cosmos für Institutionen und Privatnutzer
In der heutigen Zeit spielt die Digitalisierung eine zunehmend wichtige Rolle im Naturschutz,
und App-Entwicklungen sind hierbei zu wertvollen Instrumenten geworden. Doch diese Art
von Entwicklung geht oft mit beträchtlichen Kosten einher - sowohl finanziell als auch hin-
sichtlich der Ressourcen. Die Kostenproblematik wird für geförderte Softwareprojekte oft am
Ende der Projektlaufzeit besonders deutlich. Förderungen laufen aus und die Kosten für Wei-
terentwicklung und Wartung von Software sind nicht mehr gedeckt. Local Cosmos bietet hier
eine wegweisende Lösung, um diese Herausforderungen zu meistern und zugleich qualitativ
hochwertige naturschutzbezogene Apps zu realisieren.
Local Cosmos für Institutionen und Firmen
Die Kosten einer institutionellen Local Cosmos-Baukasten-Installation hängen von den vor-
handenen Fachkompetenzen ab. Wenn das Institut über angemessenes IT-Know-how verfügt,
kann die Installation eigenständig durchgeführt werden und die Ausgaben beschränken sich
auf interne Arbeitsstunden und entsprechende Hardware. Da Local Cosmos als Open Source-
Projekt konzipiert ist, fallen keine Lizenzgebühren an. Falls interne IT-Kompetenzen fehlen,
erfordert die Installation den Einsatz externer Dienstleister, die die Einrichtung vornehmen.
Derzeit werden zwei institutionelle Local Cosmos-Plattformen betrieben: eine am Alfred-We-
gener-Institut in Bremerhaven (https://appkit.awi.de/) und eine bei der Schutzstation Wat-
tenmeer e.V. (https://explorer-apps.org/). Ein Zugang für Projekte außerhalb dieser Instituti-
onen kann auf Basis von Kooperation dort angefragt werden.
Local Cosmos für Privatanwender
Für Privatpersonen mit entsprechendem IT-Wissen gelten grundsätzlich die gleichen Prinzi-
pien wie für Institutionen: Eine unabhängige Nutzung ohne Lizenzgebühren ist jederzeit mög-
lich. Personen, die lediglich eine App erstellen möchten, ohne sich mit der IT-Infrastruktur
auseinandersetzen zu müssen, können auf bestehende Baukasten-Installationen zurückgrei-
fen, deren Zugänglichkeit von den Betreibern geregelt wird.
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
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Im Jahr 2023 oder 2024 soll der für alle zugängliche Baukasten auf localcosmos.org freige-
schaltet werden. Dort wird für jedes Budget die Gelegenheit bestehen, Apps zu erstellen. Ne-
ben verschiedenen Abonnementmöglichkeiten kann auch kostenloser Zugang gewährt wer-
den. Der Beitrag zur Finanzierung von localcosmos.org wird in diesem Fall über die erstellte
App geleistet, indem sie kostenpflichtig im App-Store angeboten wird.
Ablauf der App Erstellung
Die App-Erstellung erfolgt über die Local Cosmos Web-Plattform, indem man sich z.B. auf lo-
calcosmos.org oder explorer-apps.org einloggt. Jede App-Erstellung beginnt mit dem Anlegen
der App und der Vergabe eines Namens (Abb. 1). Da Local Cosmos Apps mehrsprachig sein
können, muss zusätzlich die Primärsprache festgelegt werden. In dieser festgelegten Sprache
werden zunächst alle Inhalte eingepflegt, wohingegen die Übersetzungen zu einem späteren
Zeitpunkt direkt im Baukasten hinzugefügt werden können, unterstützt von der künstlichen
Intelligenz DeepL.
Das Frontend ist maßgeblich für das spätere Erscheinungsbild der App verantwortlich. Es kann
während der App-Erstellung jederzeit gewechselt werden. Für die Webseite bietet sich die
Option, eine Subdomain einzutragen. Hierbei übernimmt Local Cosmos automatisch das
Hosting. Alternativ bleibt ebenfalls Raum für die Verwendung privater Server oder individuel-
les Hosting.
Das Herzstück von Local Cosmos ist der modulare Aufbau. Es steht eine Vielzahl von Kompo-
nenten und Templates zur Verfügung, darunter Bestimmungsschlüssel, Beobachtungsformu-
lare, Taxonomie, Artensteckbriefe, Artikel und interaktive Karten, mit denen Apps nach indi-
viduellen Vorstellungen gestaltet werden können (Abb. 2).
Abb.
1:
Neue App im Baukasten anlegen
(© Thomas Uher)
Abb.
2: Komponenten hinzufügen
(© Thomas Uher)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
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Ist eine notwendige Komponente im Sinne einer Funktionalität, wie z.B. eine Quiz-Funktion,
nicht vorhanden, kann diese Dank des modularen Aufbaus leicht programmiert und integriert
werden. Alle Funktionalitäten, die neu entwickelt werden, stehen aufgrund der Quelloffenheit
bei Local Cosmos automatisch allen Baukasten-Nutzer*innen zur Verfügung, unabhängig
davon, wer sie finanziert hat.
Nachdem sich die App-Ersteller*innen überlegt haben, welche Funktionen ihre App haben soll
und entsprechende Komponenten hinzugefügt haben, beginnt im nächsten Schritt die eigent-
liche biologische Arbeit: Nun werden die Komponenten mit Inhalten gefüllt (Abb. 3).
Abb. 3: Erstellung eines Bestimmungsschlüssels für verschiedene Artgruppen (Ausschnitt)
Thomas Uher)
Sobald man das Einpflegen der Inhalte abgeschlossen hat, klickt man einfach auf "Bauen". Es
läuft eine automatisierte Validierung, die die eingegebenen Inhalte auf Lücken und Fehler
prüft. Dies dient der Qualitätssicherung der App. Ist die Validierung erfolgreich, werden die
App-Pakete erstellt, die in die App-Stores hochgeladen werden können. Dieser Vorgang dauert
zwischen 3 und 15 Minuten, je nach Umfang der Inhalte. Fertig ist die App.
Individuelles App-Design
Local Cosmos Apps können sehr unterschiedlich aussehen. Die Benutzeroberfläche („Front-
end“), mit der die Nutzenden interagieren, ist eine eigene Komponente. Local Cosmos liefert
frei verwendbare Frontends aus. Diese können einige Konfigurationsmöglichkeiten wie bei-
spielsweise die Verwendung eines eigenen Hintergrundbildes und individuelle Farben bieten,
wodurch das Aussehen der App an das eigene Projekt angepasst werden kann. Darüber hinaus
besteht die Möglichkeit, ein eigenes Frontend zu programmieren oder entwickeln zu lassen.
In diesem Fall sind der Gestaltung der App keine Grenzen gesetzt (Abb. 4).
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
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Effiziente App-Entwicklung und automatisierte Updates
Der gesamte Prozess der Generierung von App-Paketen für Android und iOS sowie einer voll
funktionsfähigen responsiven Webseite ist Dank Local Cosmos vollständig automatisiert. Ein
großer Vorteil der Automatisierung liegt auch in der schnellen Reaktionsfähigkeit auf neue
Anforderungen von Apple oder Google. Local Cosmos integriert diese Anforderungen zeitnah
in den Baukasten und stellt sie allen Nutzer*innen zur Verfügung. Durch einen einfachen Klick
auf "Bauen" können die erstellten Apps dann automatisch aktualisiert und von den Nutzer*in-
nen in die App-Stores hochgeladen werden.
Die Kombination aus kostengünstiger App-Entwicklung, automatisierten Updates und der ste-
tigen Anpassung an aktuelle Anforderungen von App-Plattformen macht Local Cosmos zu ei-
nem effizienten und nachhaltigen Werkzeug für den Naturschutz. Es ermöglicht Naturschutz-
organisationen und engagierten Einzelpersonen, ihre Apps langfristig zu betreiben und somit
einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz der Natur und zur Naturschutzbildung zu leisten. Local
Cosmos kann nicht nur für neue Projekte eingesetzt werden, sondern auch für bestehende
eine Option sein. So soll der „BeachExplorer“ der Schutzstation Wattenmeer e.V. auf Local
Cosmos umgestellt werden, um einen langfristig kosteneffizienten Betrieb zu ermöglichen.
Die kostengünstige App-Erstellung durch Local Cosmos eröffnet außerdem die Möglichkeit,
kleinere regionale Naturschutz-Apps viel leichter umzusetzen. So können Nutzer*innen mit
Hilfe einer App gezielt und unmittelbar z.B. das Naturschutzgebiet ihres eigenen Hausberges
Abb.
4:
Beispiele für mit Local Cosmos gebaute Apps mit eigenem Frontend: die Citizen Science App
LakeExplorer (Schutzstation Wattenmeer e.V.), SeaKey (Alfred-Wegener-
Institut Bremer-
haven, seaweeds.awi.de) und Bäume der Wälder Bayerns (Demonstrationsanwendung)
(Screenshots © Thomas Uher)
Themenblock I: Digitalformate zur Nutzung in der Natur (outdoor)
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und andere lokale Besonderheiten entdecken. Dieser regionale Bezug schafft eine besonders
enge Verbindung zwischen Mensch und Natur, da er das Bewusstsein für die natürliche Vielfalt
und die Bedeutung des Naturschutzes vor der eigenen Haustür stärkt.
Sicherheit und Kontrolle bei sensiblen Daten
In manchen Fällen werden mithilfe der Apps sensible Daten gesammelt. Solche Daten können
personenbezogene Daten oder auch Beobachtungsdaten sein. Bei der Erfassung solcher kann
es von größter Wichtigkeit sein, die volle Kontrolle darüber zu behalten. Um diesen Anforde-
rungen gerecht zu werden, wurde die Serverkomponente von Local Cosmos als eigenständige,
quelloffene Software entwickelt. Diese Serverkomponente enthält Benutzerdaten und emp-
fängt sowie liefert Daten, die von Local Cosmos Apps gesammelt werden. Durch die Quellof-
fenheit dieser Software hat jeder die Möglichkeit, einen eigenen privaten Local Cosmos Server
auf einem beliebigen Webserver zu installieren und zu betreiben. Dadurch wird eine volle
Kontrolle über die gesammelten Daten ermöglicht. Wer seinen eigenen Local Cosmos Server
betreibt, kann immer noch seine App auf einem der Local Cosmos Baukasten-Portale im Inter-
net bauen. Man trägt dort lediglich den eigenen Server als Kommunikationspartner für die
App ein. Auf diese Weise kommuniziert die erstellte App dann ausschließlich mit dem privaten
Server (Abb. 5).
Abb. 5: Kontrolle über Daten mit privatem Server (eigene Darstellung)
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, nicht nur den Local Cosmos Server, sondern auch die
Baukasten-Komponente in Eigenregie zu betreiben. Dies kann zum Beispiel innerhalb eines
Intranets an einem Institut geschehen. Durch diese selbstgehostete Lösung behält die Institu-
tion die vollständige Kontrolle über den gesamten App-Entwicklungsprozess und die damit
verbundenen Daten.
Local Cosmos im Bildungskontext
Mit Local Cosmos eröffnen sich zwei Bildungsoptionen: Einerseits kann man in interaktive Na-
turschutz-Apps eintauchen, die mit vielfältigen Informationen angereichert sind. Andererseits
hat man die Chance, selbst zur App-Ersteller*in zu werden und die Natur durch eigene Kreati-
onen zu erforschen und zu schützen.
Mit allen Sinnen lernen durch die Nutzung von Naturschutz-Apps
Die interaktiven Bestimmungsschlüssel von Local Cosmos sind nicht auf visuelle Merkmale be-
schränkt, sondern können auch taktile, auditorische und olfaktorische Informationen enthal-
ten. Durch die Einbeziehung verschiedener Sinne, wie Berührung und Geruch, werden die Ler-
nenden auf vielfältige Weise in den Bildungsprozess einbezogen. Das kann dazu beitragen, das
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Verständnis und die Erkennung von Pflanzen und Tieren zu verbessern, indem sie nicht nur
visuell identifiziert, sondern auch durch andere Sinne verankert werden. Dies kann besonders
hilfreich sein, um bestimmte Arten besser voneinander zu unterscheiden, wenn visuelle Merk-
male allein nicht ausreichen. Darüber hinaus ermöglicht die Interaktivität der Bestimmungs-
schlüssel eine individuellere und selbstgesteuerte Lernerfahrung. Lernende können ihr eige-
nes Tempo wählen und sich auf die Aspekte konzentrieren, die sie am meisten interessieren
oder in denen sie noch Schwierigkeiten haben. Dadurch wird das Lernen effektiver und kann
besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Nutzer*innen zugeschnitten werden. Ein Beispiel für
eine App mit Bildungsaspekt ist die App LakeExplorer (siehe Beitrag 4.4).
Lernen durch das eigene Erstellen von Naturschutz Apps
Der Local Cosmos App-Baukasten kann auch an der Schule oder in Naturschutzverbänden An-
wendung finden, z.B. im Rahmen eines fächerübergreifenden, prozessorientierten Lernpro-
jektes. Die Zielgruppe können dabei z.B. Schüler*innen der gymnasialen Oberstufe oder Ju-
gendliche in Naturschutzverbänden sein (nachfolgend „Jugendliche“).
Die Jugendlichen werden zu App-Ersteller*innen einer Naturschutz-App mit lokalem Bezug.
Das naturkundliche Thema wird gemeinsam mit den Jugendlichen festgelegt, um sicherzustel-
len, dass es für sie bearbeitbar und interessant ist.
Die Jugendlichen können eine App mit den Möglichkeiten der Artbestimmung, Beobachtungs-
meldung sowie mit Artensteckbriefen erstellen. Durch die Informations- und Materialbeschaf-
fung, die für eine erfolgreiche App-Erstellung notwendig ist, setzen sich die Jugendlichen in-
tensiv mit dem vorher abgesteckten Naturkunde-Thema auseinander. Bildmaterial wird eigen-
händig vor Ort gesammelt oder selbst erstellt (Zeichnungen). Es entsteht eine tiefgreifende
Begegnung mit der belebten Natur, die in Kombination mit dem beeindruckenden, selbstge-
schaffenen Lernprodukt (App), das sich die Jugendlichen auf ihren Handys installieren nnen,
für einen nachhaltigen Eindruck sorgt. „Lernprodukt“ beschreibt in diesem Kontext insbeson-
dere das Produkt des Lernens, nicht nur ein Produkt zum Lernen. Der App-Baukasten steht hier
im Zentrum eines Prozesses zwischen Mensch, Technik und Natur. Für die Jugendlichen erge-
ben sich während der App-Erstellung vielfältige Lernchancen, die naturkundliches Lernen mit
sozialem Lernen und weiteren Feldern vernetzt. Denn eine App-Erstellung kann, wie Natur-
schutz auch, nur mit gemeinschaftlicher Anstrengung und Zusammenarbeit gelingen.
Kontakt
Thomas Uher
SiSol Systems, Poxdorf
thomas.uher@sisol-systems.com
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2.8 Übersicht Bestimmungs-Apps
Ulrike Sturm, Hauke Kuhlmann und Madeleine Dontschev
Einordnung der Auswahl