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Abstract

Begriffe wie „CO2-Preis“, „Klimageld“ oder „Emissionshandel“ sind derzeit in aller Munde, gleichzeitig bestehen in der öffentlichen Debatte aber nach wie vor große Missverständnisse über ihre konkrete Bedeutung. Prof. Dr. Achim Lerch, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management und Mitglied im KompetenzCentrum für Nachhaltige Entwicklung, erläutert in seinem Vortrag, was genau es mit diesen ökonomischen Instrumenten der Klimapolitik auf sich hat und warum wir sie für die Erreichung der klimapolitischen Ziele dringend benötigen.
Economics for Future: Wie VWL das Klima rettet
Prof. Dr. Achim Lerch
Future Space 8.2.2024
2Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Prof. Dr. Achim Lerch
Vorstellung
1986-1992:
Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel
1992-2003:
Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Kassel, Promotion
und Habilitation (VWL)
2003-heute:
Lehr- und Forschungstätigkeit an den Universitäten Kassel und
Rostock, Hessische BA, FOM
Aktuell Professor für VWL und Wissenschaftlicher Studienleiter an der
FOM Kassel, Mitglied in den KompetenzCentren für angewandte
Volkswirtschaftslehre und für Nachhaltige Entwicklung
Forschungsschwerpunkt
Umwelt- und Ressourcenökonomik/Ökologische Ökonomik
Kurzvita
3Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Economics - Volkswirtschaftslehre
Was ist VWL?
Ökonomie bzw. Ökonomik, abgeleitet vom griechischen „Oikos“, das Haus: Die Lehre von der Haushaltsführung,
oder allgemeiner: Vom rationalen Umgang mit Knappheit.
Knappheit betrifft nahezu alle Lebensbereiche, daher kann man Ökonomie auch mit George Bernard Shaw
definieren als „die Kunst, das beste aus unserem Leben zu machen“.
Auch natürliche Ressourcen und „saubere Umwelt“ sind knapp, deshalb gibt es die Teildisziplinen „Umwelt- und
Ressourcenökonomik“ bzw. „Ökologische Ökonomik“.
4Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimawandel
Bildquelle: Wikipedia, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license
Warum wird es wärmer?
Das Klima der Erde wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst,
vor allem durch
-Die Sonne
-Vulkanismus
-Treibhausgase
-Plattentektonik und Kontinentaldrift
-Albedo, Aerosole und Wolken
-Erdbahnparameter (Milankovitch-Frequenzen)
Von den Treibhausgasen ist Kohlendioxid (CO2) das wichtigste, es erzeugt den Treibhauseffekt, wodurch Leben auf
der Erde überhaupt erst möglich wird. Mutmaßlich durch menschliche Aktivität, v.a. die Verbrennung fossiler
Energieträger, hat sich die Kohlendioxid-Anteil der Luft seit Beginn der Industrialisierung erhöht, man vermutet
dadurch eine zusätzliche Erwärmung (anthropogener Zusatztreibhauseffekt).
5Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimawandel
Quelle: IPCC
Zusatztreibhauseffekt
6Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimawandel
Quelle: IPCC
Zusatztreibhauseffekt - Prognose
7Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimapolitik
Bildquelle_ www.cicero.de
„Folgt der Wissenschaft“
Die Klimawissenschaft sagt uns als Naturwissenschaft, dass wir
Treibhausgasemissionen reduzieren müssen und in welchem
Umfang dies geschehen muss, um den Temperaturanstieg
auf ein akzeptables Maß zu begrenzen.
Die Reduzierung von Treibhausgasemissionen erfordert aber
letztlich eine gesellschaftliche Transformation der
Volkswirtschaft(en) in Richtung einer Dekarbonisierung.
Wie eine solche ökonomische Transformation gelingen kann, sagt uns die
Ökonomik als die zuständige Sozialwissenschaft!
Also: „Folgt den (relevanten) Wissenschaften“!
8Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimawandel und Ökonomik
Emissionen von Treibhausgasen als Externe Effekte
Aus ökonomischer Sicht handelt es sich bei den Emissionen von Schadstoffen (und auch von Treibhausgasen wie
CO2) i.d.R. um nicht intendierte Nebenfolgen ökonomischer Aktivitäten (Produktion oder Konsum), sogenannte
Externe Effekte.
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Vorschläge, diese Externen Effekte durch eine Steuer zu
„internalisieren“ (sog. Pigou-Steuer). Dies würde aber die exakte Berechenbarkeit der externen Kosten
voraussetzen, was bei den meisten Umweltproblemen und auch beim Klimawandel allerdings nicht erfüllt ist.
Ein anderer Ansatz ist der sog. „Standard-Preis-Ansatz“: Durch eine Abgabe auf Emissionen sollen die Emittenten
dazu veranlasst werden, nur so viel zu emittieren, wie es einem vorgegebenen Umweltstandard entspricht. Die
Abgabe kann aber nur dann richtig berechnet werden, wenn die Behörde die sog. Grenzvermeidungskosten der
Emittenten kennt.
9Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Klimawandel und Ökonomik
Grenzvermeidungskosten, Preislösung und Mengenlösung
Emissionsvermeidung ist nicht kostenlos. Die Grenzvermeidungskosten sind dann die zusätzlichen Kosten einer
zusätzlich vermiedenen Schadstoffeinheit (z.B. Kosten für den Einbau eines Filters oder Umstieg auf alternative
Technologien).
Bezüglich dieser Kosten bestehen aber asymmetrische Informationen: Während die Emittenten selbst ihre
Grenzvermeidungskosten kennen, kann die Behörde diese allenfalls schätzen – und das umweltpolitische Ziel wird
beim Standard-Preis-Ansatz als Preislösung nur dann erreicht, wenn diese Schätzung auch richtig war.
Eine Alternative ist der Emissionshandel als Mengenlösung.
10Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel
Begrenzen und handeln
Beim Emissionshandel (im Englischen „cap and trade“) wird zunächst die Gesamtmenge der Emissionen auf das
gewünschte Maß begrenzt („cap“), danach werden Emissionsrechte in Höhe des Cap an die Emittenten verteilt
(vorzugsweise durch Versteigerung). Im nächsten Schritt können die Emittenten diese Rechte dann untereinander
handeln („trade“).
Gegenstand dieses Handels ist aber nicht die Gesamtmenge der Emissionsvermeidung (die ist durch das Cap
festgelegt), sondern lediglich ihre Aufteilung unter den Emittenten! Dadurch wird sichergestellt, dass die
Emissionsvermeidung dort stattfindet, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind, wodurch schließlich das
Emissionsminderungsziel zu gesamtwirtschaftlich minimalen Kosten erreicht wird.
Der Preis bildet sich auf dem Markt für Emissionsrechte und muss daher nicht von der Behörde festgelegt werden,
er spiegelt letztlich die tatsächlichen Grenzvermeidungskosten wider und bewirkt – genau wie beim Standard-Preis-
Ansatz – neben der statischen auch dynamische Effizienz. Zusätzlich wird das vorgegebene Emissionsziel durch die
Begrenzung der entsprechenden Emissionslizenzen sicher erreicht (ökologische Treffsicherheit bzw.
Effektivität).
11Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel
Beispiel
Zwei Anlagen emittieren je 5.000 t CO2, Ziel ist eine Reduktion um insgesamt 1.000 t
Ein Gesetz könnte beide Anlagen verpflichten, je 500 t einzusparen
Im Normalfall haben aber unterschiedliche Anlagen auch unterschiedliche Vermeidungskosten (abhängig z.B. von
der verwendeten Technologie)
Annahme: Anlage 1: 10 €/t Vermeidung, Anlage 2: 20 €/t
500 t Reduktion kosten Anlage 1: 5.000 €, Anlage 2: 10.000 €, Gesamtkosten: 15.000 €, Gesamtreduktion: 1.000 t
Alternativ könnte man beiden Anlagen Emissionsrechte für je 4.500 t zuteilen und ihnen den Handel dieser Rechte
untereinander erlauben.
12Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel
Quelle: Umweltbundesamt
13Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel
Kostenersparnis
Würde Anlage 2 von Anlage 1 Emissionsrechte für 500 t kaufen, z.B. für 15 € pro Zertifikat, dann müsste Anlage 1
1.000 t vermeiden, Anlage 2 Null t.
Kosten für Anlage 1: 10.000 € für Vermeidung, abzüglich 7.500 € Einnahme aus Zertifikateverkauf, also 2.500 €.
Kosten für Anlage 2: 7.500 € für Zertifikatekauf.
Gesamtkosten: 10.000 €, Gesamtreduktion: 1.000 t
Ersparnis: 5.000 € (2.500 € je Anlage)*
* (Bei anderen Zertifikatepreisen, z.B. 12,- € oder 18,- €, würde sich die Gesamtersparnis nicht ändern. Lediglich ihre
Aufteilung unter den Emittenten).
14Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel
Emissionshandel ist effizient – aber auch gerecht?
Klimapolitik – egal, ob mit Auflagen oder mit ökonomischen Instrumenten – kostet Geld und belastet letztlich die
Konsumenten. Daher stellt sich die Frage nach „gerechter“ Klimapolitik.
Emissionshandel ist verursachungsgerecht, weil der Verursacher zahlt – entweder für die eigene
Emissionsreduktion oder für die Reduktion an anderer Stelle.
Emissionshandel ist tendenziell sozial gerecht, weil er die Vermeidungskosten insgesamt minimiert.
Emissionshandel kann darüber hinaus konkret sozial gerecht sein, wenn die dadurch entstehenden höheren
Energiepreise durch Kompensationszahlungen ausgeglichen werden (finanziert durch die Erlöse aus der
Versteigerung von Emissionsrechten).
15Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Gerechter Emissionshandel?
16Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Gerechter Emissionshandel?
MCC 2021
17Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel: Wirkung zusätzlicher dirigistischer Markteingriffe
Emissionshandel und (Über-)Regulierung
Im Rahmen des Emissionshandels sind zusätzliche regulierende Markteingriffe in der Regel erstens unnötig und
zweitens sogar schädlich: Sie bewirken keine zusätzlichen Emissionseinsparungen und behindern die Effizienz!
Würde in unserem Beispiel Anlage 2 verpflichtet, doch einen Teil der Emissionen selbst einzusparen (z.B. 100 t),
würde die Emissionseinsparung insgesamt trotzdem bei 1.000 t verbleiben: Anlage 2 bräuchte ja jetzt weniger
Emissionsrechte, die Anlage 1 daher nicht verkaufen kann und deshalb selbst verwendet. Man nennt dies den
„Wasserbett-Effekt“: Die Emissionsmenge ist durch das Cap festgelegt und ändert sich genau so wenig, wie die
Wassermenge in einem Wasserbett: Was an einer Stelle mehr eingespart wird, wird an anderer mehr emittiert.
Die Gesamtersparnis in unserem Beispiel würde aber nur noch 4.000,- € statt 5.000,- € betragen, weil jetzt mehr
Emissionen dort eingespart werden, wo dies teuer ist, und weniger dort, wo es billiger ist. Oder anders ausgedrückt:
Es wird pro eingesetztem Euro weniger CO2vermieden, als möglich.
18Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Emissionshandel international
Mehr Effizienz und mehr Gerechtigkeit durch „Linking“
Der anthropogene Klimawandel ist ein globales Problem, das nur global gelöst werden kann. Deutschland z.B. hat
einen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen von ca. 1,8%, das Klima kann also nicht hier (und auch nicht in
Europa) „gerettet“ werden.
Erstrebenswert wäre ein globaler Emissionshandel, dieser ist aber politisch auf absehbare Zeit nicht erreichbar.
Es gibt aber Bestrebungen, den Kohlenstoffmarkt durch eine Verknüpfung („Linking“) der bestehenden
Emissionshandelssysteme zu vergrößern.
19Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Linking
20Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Linking
21Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Und zum Schluss…
Von de:Benutzer:Klugschnacker - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1771840
…Emissionshandel ist kein Ablasshandel!
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich! Immer wieder wird
behauptet, der Emissionshandel sei eine moderne Variante des
Ablasshandels.
Dies ist schlicht falsch, denn
1.) sind CO2-Emissionen keine „Sünde“, sondern i.d.R. nicht
intendierte Nebenfolgen ökonomischer Aktivitäten
2.) war die Menge der Sünden beim Ablasshandel nicht begrenzt. Die Begrenzung der Emissionen auf die
gewünschte Menge steht aber am Anfang des Emissionshandels!
22Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Für Interessierte…
Zum Weiterlesen:
Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024 23
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
24Prof. Dr. Achim Lerch14.02.2024
Backup
Verwendete Quellen
S. 5/6: IPCC, 2021: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working
Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A.
Pirani, S.L. Connors, C. PΘan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R.
Matthews, T.K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekτi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)].
S. 15: Lerch, A., 2011: CO2-Emissionshandel – effizient oder gerecht? Zeitschrift für Sozialökonomie, 48, 39–47, sowie Rudolph,
S. & Aydos, E. 2021: Carbon Markets Around the Globe – Sustainability and Political Feasibility. Cheltenham/Northampton: Edward
Elgar.
S.16: MCC, 2021: CO2-Bepreisung: Mehr Klimaschutz mit mehr Gerechtigkeit. MCC Arbeitspapier: https://www.mcc-
berlin.net/fileadmin/data/C18_MCC_Publications/2021_MCC_Klimaschutz_mit_mehr_Gerechtigkeit.pdf.
S. 20: ICAP, 2023: Emissions Trading Worldwide: Status Report 2023. Berlin: International Carbon Action Partnership.
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