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Abstract

19 reportpsychologie ‹49› 02|2024 Einleitung Obwohl die aussagepsychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Zeuginnen-/Zeugenaussagen in Sexualstrafverfahren seit Jahrzehnten im deutschen Rechtswesen fest etabliert, hinsichtlich ihrer Grundlagen empirisch belegt und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt normativ bestätigt worden ist, lassen sich erneut Entwicklungen feststellen, welche (1) die aussagepsychologische Methodik insbesondere beim Verdacht auf Vorliegen schwerster Traumatisierungen infolge sexualisierter, organisierter und/oder ritueller Gewalterfahrungen infrage stellen und (2) darauf aufbauend eine Abkehr von fundamentalen rechtsstaatlichen Positionen fordern. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Datenlage und setzt sich kritisch mit dem Narrativ des rituellen sexuellen Missbrauchs auseinander.
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reportpsychologie ‹49› 02|2024
1 Medical School Hamburg
2 Hochschule für Öffentliche Verwaltung Bremen
Silvia Gubi-Kelm1, Luise Greuel2
Rituelle sexuelle GewaltRituelle sexuelle Gewalt
Zur aktuellen Kontroverse über Zur aktuellen Kontroverse über
ein polarisierendes Narrativein polarisierendes Narrativ
Foto: Motoki Tonn– unsplash.comFoto: Motoki Tonn– unsplash.com
19
reportpsychologie ‹49› 02|2024
Einleitung
Obwohl die aussagepsychologische Begutachtung der
Glaubhaftigkeit von Zeuginnen-/Zeugenaussagen in
Sexualstrafverfahren seit Jahrzehnten im deutschen
Rechtswesen fest etabliert, hinsichtlich ihrer Grundla-
gen empirisch belegt und durch die höchstrichterliche
Rechtsprechung wiederholt normativ bestätigt worden
ist, lassen sich erneut Entwicklungen feststellen, welche
(1) die aussagepsychologische Methodik insbesondere
beim Verdacht auf Vorliegen schwerster Traumatisie-
rungen infolge sexualisierter, organisierter und/oder
ritueller Gewalterfahrungen infrage stellen und (2) dar-
auf aufbauend eine Abkehr von fundamentalen rechts-
staatlichen Positionen fordern. Der Beitrag gibt einen
Überblick über die Datenlage und setzt sich kritisch
mit dem Narrativ des rituellen sexuellen Missbrauchs
auseinander.
Zur aktuellen Kontroverse
In der jüngeren Vergangenheit widmete sich ein vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ) über die Unabhängige Kommission
zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM)
gefördertes Forschungsprojekt den Themen organisierte
und rituelle sexuelle Gewalt in Deutschland. Unter or-
ganisierter sexueller Gewalt wurden dabei Formen se-
xualisierter Aggression verstanden, die von mehreren
Täterinnen/Tätern geplant und über einen längeren
Zeitraum ausgeübt werden. Dass es organisierte se-
xuelle Gewalt (auch) gegen Kinder in Deutschland gibt,
ist unbestritten.
Rituelle sexuelle Gewalt hingegen wurde als Unterform
organisierter sexueller Gewalt mit einer stark ideologi-
schen oder religiösen Prägung definiert. Das Phänomen
der rituellen sexuellen Gewalt wird vielfach mit einer
absichtsvollen Programmierung der– teils kindlichen–
Opfer durch Bewusstseinsspaltung und -manipulation
(sogenanntes »Mind Control«) für sexuelle und rituelle
Handlungen in Verbindung gebracht. Laut dem »Fach-
kreis Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituel-
len Gewaltstrukturen« beim BMFSFJ (2018, S. 5) ist das
Ziel dieser »systematischen Abrichtung […] eine innere
Struktur, die durch die Täter_innen jederzeit steuerbar
ist und für die das Kind und später der Erwachsene im
Alltag keine bewusste Erinnerung hat«. Es werde ge-
zielt ein dissoziativer Schutzmechanismus provoziert
und »mit geplanten, wiederholt angewendeten Formen
schwerer Gewalt Aufspaltung erzwungen« (ebd., S. 6).
Die »gezielt erzeugte« Dissoziative Identitätsstörung
(DIS) könne lange verborgen bleiben (ebd., S. 6).
Das oben genannte Forschungsprojekt war unter ande-
rem mit der Aufgabe betraut, die Erfahrungen und die
Versorgungssituation von Betroffenen zu untersuchen.
Aus forschungsmethodischer Sicht bestehen erhebliche
Zweifel an der Belastbarkeit der Befunde des Projekt-
berichts beziehungsweise der zugehörigen Veröffent-
lichungen (z.B. fehlende Diskussion gedächtnispsycho-
logischer Erkenntnisse und alternativer Erklärungen für
das Zustandekommen der berichteten Erinnerungen
an rituelle sexuelle Gewalterfahrungen; Präsentation
empirisch nicht fundierter Phänomene wie »Mind Con-
trol« als Faktum). Dennoch fanden diese Eingang in
öffentliche Beratungsangebote (z.B. das Hilfe-Telefon
»berta«), Informationsportale (z.B. die Website www.
wissen-schafft-hilfe.org) und die überregionale Medien-
berichterstattung. Daher wandten sich die Fachgruppe
»Rechtspsychologie« innerhalb der Deutschen Gesell-
schaft für Psychologie (DGPs, 2023) sowie die Sektion
»Rechtspsychologie« im Bundesverband Deutscher Psy-
chologinnen und Psychologen (BDP, 2023) im März 2023
in zwei Stellungnahmen an das BMFSFJ, um ihre Sorge
um aktuelle Entwicklungen im Bereich von Initiativen
darzulegen, die eigentlich dem Schutz von Opfern se-
xuellen Missbrauchs dienen sollen, und um eine stär-
kere wissenschaftliche Fundierung dieser Initiativen zu
fordern.
Der Betroffenenrat bei der UBSKM (BR, 2023) weist in
seiner Reaktion auf diese Stellungnahmen die Schluss-
folgerung der rechtspsychologischen Verbände, es gebe
keinerlei wissenschaftliche Belege für rituelle Gewalt-
kontexte und die hiermit in Zusammenhang gebrachten
psychischen Phänomene, zurück und beurteilt sie als
»Desinformation«. Dabei wird ausgeblendet, dass die
Fachgesellschaften keine Aussage zur Faktizität der in-
kriminierten Missbrauchsformen treffen, sondern die
defizitäre Datenlage und Zirkularität der Argumentation
monieren, die die hieraus abgeleiteten Forderungen
nach rechtspolitischen Änderungen nicht zu tragen ver-
mögen.
Die aktuelle Diskussion erinnert stark an die in den
1980er- und 1990er-Jahren geführte Debatte zwischen
speziellen Ausrichtungen der Psychotraumatologie und
der Gedächtnis- sowie Aussagepsychologie um die Kon-
zepte der verdrängten beziehungsweise dissoziierten
und wiederentdeckten Erinnerungen auf der einen und
die Existenz von Scheinerinnerungen auf der anderen
Seite, die als »Memory Wars« in die Fachwelt eingingen
(Crews, 1995; Dodier, Gilet & Colombel, 2022; Otgaar,
Howe & Patihis, 2022; Otgaar et al., 2021; Otgaar et al.,
2019; Steller, 2019).
Zum aktuellen Forschungsstand
Die wissenschaftlich fundierte psychotraumatologische
Forschung kommt in Übereinstimmung mit den Befun-
den aus der gedächtnis- und aussagepsychologischen
Forschung zu dem Ergebnis, dass emotional bedeu-
tungsvolle und somit auch traumatische Erlebnisse in
der Regel besonders gut und langfristig erinnert werden
(Goodman-Brown, Edelstein, Goodman, Jones & Gor-
don, 2003; McKinnon et al., 2015; McNally, 2003, 2005).
Wenngleich die körperliche Stressreaktion bei der-
artigen Erlebnissen die Erinnerungsleistung verringern
kann, ist dies nicht im Sinne einer vollständigen Nicht-
Erinnerung beziehungsweise Verdrängung ganzer Er-
eignisse, sondern vielmehr im Sinne einer Lenkung der
Aufmerksamkeit zu verstehen (Mokros et al., in Druck).
reportfachwissenschaftlicher teil
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reportpsychologie ‹49› 02|2024
So hat sich gezeigt, dass emotionale und für eine Situa-
tion zentrale Informationen im Vergleich zu peripheren
Informationen unter Stress besser eingespeichert wer-
den (Berntsen & Rubin, 2002; Fawcett, Russell, Peace &
Christie, 2013).
Insgesamt begünstigt die körperliche Stressreaktion die
Ausgestaltung besonders stabiler und detailreicher epi-
sodischer Erinnerungen (Shields, Sazma, McCullough &
Yonelinas, 2017). Entgegen der Vermutung, dass diese
Erkenntnisse nur für einmalige, plötzlich auftretende
traumatische Erlebnisse gelten würden (Fegert, Gerke &
Rassenhofer, 2018), sprechen empirische Befunde eher
dafür, dass es sich um allgemeingültige Zusammenhänge
handelt, die auch für wiederholt auftretende traumati-
sche Erlebnisse Gültigkeit besitzen (Pfundmair & Gamer,
2023).
Studien zu Erinnerungen an traumatische Erlebnisse
bei Personen, die eine Posttraumatische Belastungs-
störung (PTBS) ausgebildet haben, zeigen teilweise
eine leicht erhöhte Desorganisation der Erinnerungen,
wobei sich die Befundlage hierzu nicht konsistent dar-
stellt (McNally, 2022, 2023; Rubin, Deffler et al., 2016).
Substanzielle Beeinträchtigungen der expliziten Erinne-
rungen an traumatische Erlebnisse, die qualitativ von
normalen Vergessensprozessen (z.B. in Form von Am-
nesien) abweichen, treten jedoch auch bei Personen,
die eine PTBS ausgebildet haben, nicht regelhaft auf
(Crespo & Fernández-Lansac, 2016; Engelhard, McNally
& van Schie, 2019; McNally, Berntsen, Brewin & Rubin,
2022; Rohmann, 2019; Rubin, Berntsen, Ogle, Deffler &
Beckham, 2016a; Volbert, Schemmel & Tamm, 2019).
Ehlers, Ehring, Wittekind und Klein (2022) fassen den
aktuellen Forschungsstand im »Oxford Handbook of
Traumatic Stress Disorders« folgendermaßen zusammen:
»Complete amnesia for the traumatic event appears to
be rare. […] Overall, deficits in trauma memory recall
observed in PTSD [PTBS] appear to be subtle and effect
sizes are small. Most trauma survivors can verbalize the
gist of what happened to them« (p. 383).
Gleichwohl ist die Annahme, dass traumatische Erleb-
nisse verdrängt würden, nicht nur in der Allgemeinbe-
völkerung, sondern auch unter einigen Therapeutinnen
und Therapeuten nach wie vor verbreitet. So gaben in
einer Studie von Patihis und Pendergrast (2019) 8% von
2.326 Erwachsenen in den USA an, dass die Möglichkeit
verdrängter Erinnerungen im Rahmen einer Therapie
diskutiert wurde. In einer Studie von Houben et al.
(2020) stimmte ein großer Prozentsatz zweier kleiner
Stichproben von EMDR-Therapeutinnen und -thera-
peuten den Aussagen zu, dass »the mind is capable
of unconsciously blocking out memories of traumatic
events« (Studie 1: 91,6%, n = 11; Studie 2: 70,7%, n = 29)
und »repressed memories of events can be accurately
retrieved in therapy« (Studie 1: 91,6%, n = 11).
Dodier et al. (2022) stellten zudem fest, dass das Kon-
zept der unbewussten Verdrängung traumatischer Er-
fahrungen eine größere Zustimmung erfährt als das Kon-
zept der bewussten Verdrängung (vgl. auch Mirandola,
Ferruzza, Cornoldi & Magnussen, 2013; Ost, Easton,
Hope, French & Wright 2017; Otgaar, Wang, Dodier et
al., 2020; Otgaar, Wang, Howe et al., 2020; Patihis, Ho,
Tingen, Lilienfeld & Loftus, 2014).
Aus dem gegenwärtigen Forschungsstand leitet sich
zwar nicht ab, dass zwischenzeitlich unzugängliche und
wiederentdeckte Erinnerungen nie auf einem realen
Erleben basieren (McNally & Geraerts, 2009), es liegen
jedoch nur wenige Fälle von wiederentdeckten Erinne-
rungen vor, deren Inhalt durch externe Quellen bestätigt
werden konnte (Patihis, 2022; Schooler, Ambadar & Ben-
diksen, 1997; Shobe & Schooler, 2001). Diese Fälle zeich-
nen sich unter anderem dadurch aus, dass sie spontan
und nicht auf explizites Bemühen wieder erinnert wur-
den (Volbert et al., 2019) und zum Zeitpunkt ihres Auf-
tretens weder als traumatisch noch als missbräuchlich
wahrgenommen wurden (Engelhard et al., 2019).
Hingegen muss bei Fällen des Erinnerns nach langjäh-
rigem Nichterinnern von einem strukturell erhöhten
Risiko ausgegangen werden, dass es sich bei den mut-
maßlich wiederentdeckten Erinnerungen um Schein-
erinnerungen handelt (Gallwitz & Gubi-Kelm; 2022;
Greuel, 2022b; Niehaus, 2018; Steller, 2020). So konnte
in experimentellen Studien gezeigt werden, dass ein
bedeutender Prozentsatz (ca. 15 bis 30%) von Personen
Scheinerinnerungen an vermeintlich autobiografische
Ereignisse ausbildet (Brewin & Andrews, 2017; Scoboria
et al., 2017; Wade, Garry & Pezdek, 2018; Wade, Garry,
Read & Lindsay, 2002). Des Weiteren konnten Calado,
Luke, Connolly, Landström und Otgaar (2021) Scheiner-
innerungen an sich wiederholende Ereignisse erzeugen.
In Therapien, in denen suggestive Methoden über einen
längeren Zeitraum dargeboten werden, ist von einer
noch höheren Rate der Ausbildung von Scheinerin-
nerungen auszugehen (Otgaar, Moldoveanu, Jelicic &
Smeets, 2022). In derartigen Fällen kann auch eine hohe
subjektive Gewissheit der Authentizität der mutmaßlich
wiederentdeckten Erinnerungen bestehen, obgleich die
fraglichen Ereignisse nicht oder nicht in der geschilder-
ten Form stattfanden (Neuner, 2019; Volbert, 2018). So
können detailliertere und lebhaftere Erinnerungen emo-
tional belastender Ereignisse zu einer Überschätzung
des Vertrauens in die eigenen Erinnerungen führen; die
subjektive Sicherheit muss jedoch nicht mit der objek-
tiven Korrektheit übereinstimmen (Sommer & Gamer,
2018; Ochsner, 2000; Sharot, Delgado & Phelps, 2004).
Der Prozess der Ausbildung von Scheinerinnerungen ist
empirisch gut erforscht und hinsichtlich seiner charakte-
ristischen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen
gut beschreibbar (Greuel, 2022b; Gubi-Kelm, 2021; Sco-
boria et al., 2017; Volbert et al., 2019). So können Schein-
erinnerungen entstehen, wenn Personen Erklärungen
für ein psychisches Leiden suchen, sich auf die explizite
Suche nach Erinnerungen begeben, zu der Überzeugung
gelangen, bislang nicht abrufbare traumatische Ereignisse
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reportpsychologie ‹49› 02|2024
erlebt zu haben, und schließlich einzelne mentale Bilder
bis hin zu ganzen mentalen Episoden ausbilden, die sie
fälschlicherweise für Erinnerungen halten (Volbert, 2018).
Da es sich jedoch nicht um genuine Erinnerungen han-
delt, können Scheinerinnerungen gedächtnispsycho-
logischen Erkenntnissen widersprechen (z. B. Erinne-
rungen an die Zeit der ersten beiden Lebensjahre). Ihre
Entstehung und Entwicklung kann durch bestimmte
psychotherapeutische Einstellungen und Interventio-
nen begünstigt oder induziert werden (Lindsay & Read,
1994; Lynn, Krackow, Loftus, Locke & Lilienfeld, 2015;
Volbert, 2018; Volbert et al, 2019; Otgaar et al., 2019;
Otgaar, Moldoveanu et al., 2022). Gleichwohl ist ein di-
rekter Einfluss Dritter jedoch nicht zwingend. Es können
auch Inhalte (z.B. aus den Medien) in autosuggestiver
Form aufgegriffen und gegebenenfalls durch Dritte ver-
stärkt werden (Dodier & Patihis, 2021; Volbert et al.,
2019).
Zur Kritik an der aussagepsychologischen
Methodik
Bei der aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsbegut-
achtung geht es letztlich um die Überprüfung der Frage,
ob eine Aussage auch außerhalb der Anlehnung an wirk-
liche Erlebnisse zustande gekommen sein könnte. So-
fern die Aussagetüchtigkeit der Aussageperson positiv
festgestellt werden kann, erfolgt im Rahmen der hypo-
thesengeleiteten Diagnostik insbesondere (1) auf der
Ebene der Aussagequalität die Prüfung der Falschbe-
zichtigungshypothese mittels der »Merkmalsorientier-
ten Aussageanalyse« und (2) auf der Ebene der Aussage-
zuverlässigkeit die Prüfung der Suggestionshypothese
mittels der Rekonstruktion der Aussagegenese und -ent-
wicklung zur Identifizierung von Konstellationen, die
das Risiko nicht intentionaler Aussagefehler substanziell
erhöhen (Greuel 2022b; Volbert & Steller 2020).
Wird in Fällen wie den dem UBSKM-Forschungspro-
jekt zugrunde liegenden aus aussagepsychologischer
Sicht auf die Möglichkeit des Vorliegens von Scheiner-
innerungen hingewiesen, folgt häufig eine Kritik an der
Begutachtungsmethodik, die meist auf die »Merkmals-
orientierte Aussageanalyse« reduziert wird (Fegert et al.,
2018; Schoon, 2022; Schoon & Briken, 2019; Hinckeldey &
Fischer, 2002). Dabei wird übersehen, dass in derartigen
Fällen die Hypothese einer intentionalen Falschaussage
in der Begutachtung nicht fokussiert wird, dass diese
noch nicht einmal naheliegend ist, und die »Merkmals-
orientierte Aussageanalyse« mithin keine Anwendung
findet. Vielmehr steht die oben genannte Rekonstruk-
tion der Aussagegenese und -entwicklung unter Berück-
sichtigung gedächtnispsychologischer Erkenntnisse im
Fokus (Greuel, 2009, 2022b; Steller, 2020; Volbert et al.,
2019). Somit ist die Kritik an der Begutachtungsmetho-
dik schwer nachvollziehbar und nicht haltbar (Gallwitz
& Gubi-Kelm, 2022; Steller, 2020; Volbert et al., 2019).
Zum Konnex von rituellem Missbrauch und DIS
Im aktuellen Diskurs spielt der postulierte Konnex zwi-
schen rituellem sexuellem Missbrauch und dissoziativen
Störungen eine zentrale Rolle. Zum einen basieren die
Ergebnisse und Empfehlungen der im Forschungspro-
jekt der UBSKM (2021) angesiedelten Studien auf der
Befragung von mehrheitlich an dissoziativen Störungen
leidenden Patientinnen, zum anderen wird dissoziativen
Störungen, vornehmlich der DIS, ein spezifischer In-
dikatorwert für das Vorliegen eines Traumas aufgrund
rituellen sexuellen Missbrauchs zugeschrieben. Diese
Prämisse ist wissenschaftlich widerlegt und begründet
eine doppelte Zirkularität der Argumentationskette.
Dissoziative Identitätsstörung und Aussage
Die in den Studien des UBSKM-Projekts (2021) befragten
selbstdeklarierten Betroffenen von rituellem Missbrauch
Bei Fällen des Erinnerns nach langjährigem Nichterinnern muss von einem strukturell erhöhten Risiko ausgegangen werden, dass es sich bei
den mutmaßlich wiederentdeckten Erinnerungen um Scheinerinnerungen handelt.
Foto: Nijwam Swargiary – unsplash.com
reportfachwissenschaftlicher teil
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reportpsychologie ‹49› 02|2024
weisen in rund 80% der Fälle die (selbst berichtete)
Diagnose DIS auf. Diese Diagnose ist überwiegend im
Kontext langjähriger psychotherapeutischer Prozesse
gestellt worden, wobei es bei den Betroffenen durch-
schnittlich nach über zwei Jahrzehnten des Nichterin-
nerns zum erstmaligen Auftreten von (rituellen) Miss-
brauchserinnerungen gekommen sei (Nick, Schröder,
Briken & Richter-Appelt, 2018; Schröder, Nick, Richter-
Appelt & Briken, 2018).
Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser bemer-
kenswerten Stichprobencharakteristik ist den vorliegen-
den Forschungsberichten indessen nicht zu entnehmen.
Dies erstaunt umso mehr, als die Forschungsgruppe
zum einen betont, dass das Datenmaterial keiner Validi-
tätskontrolle unterzogen wurde, zum anderen explizit
einräumt, dass die Berichte durchaus auch auf falschen
Erinnerungen basieren könnten (Schröder et al., 2018).
Ebenso mangelt es an einer kritischen Reflexion des
Befunds, dass der inkriminierte Missbrauch bereits in
einem sehr frühen, der Kindheitsamnesie unterliegen-
den Alter (Nick et al., 2018) oder bereits im Säuglings-
alter (Schröder, Nick, Richter-Appelt & Briken, 2020)
begonnen haben soll.
Bei der DIS handelt es sich um die schwerwiegendste
Form dissoziativer Störungen, bei der definitions-
gemäß die höheren kognitiven Bewusstseinsfunktio-
nen– Wahrnehmung, Gedächtnis, Identitätserleben
nachhaltig beeinträchtigt sind. Das heißt, potenzielle
Beeinträchtigungen der Wirklichkeitskontrolle und des
autobiografischen Gedächtnisses sind dem Störungs-
bild geradezu immanent. Aus diesem Grund bedarf es
im Rahmen der einzelfallorientierten (forensisch- wie
klinisch-psychologischen) Diagnostik bei Verdacht auf
rituellen sexuellen Missbrauch sowohl der dezidierten
Überprüfung der Aussagetüchtigkeit als auch der Aus-
sageentwicklung (Gallwitz & Gubi-Kelm, 2022; Greuel,
2022a; Niehaus & Krause, 2023; Petermann & Greuel,
2009; Volbert, 2018).
Dabei muss die Überprüfung der Aussagetüchtigkeit
auch auf die Frage ausgeweitet werden, ob und ge-
gebenenfalls inwieweit sich Hinweise auf störungsbe-
dingte Beeinträchtigungen der Aussagetüchtigkeit zum
Zeitpunkt des (erstmaligen) Erinnerungsabrufs ergeben,
die ganz überwiegend auf dem Höhepunkt existenziel-
ler psychischer Krisen und im Rahmen aufdeckender
Therapien erfolgen (Greuel, 2022b; Steller, 2019, 2020;
Volbert, 2018). Werden Dissoziationen bereits für die
Phase des in Rede stehenden Missbrauchserlebnisses,
das heißt auf der Wahrnehmungsebene, berichtet, dann
impliziert dies, dass diese nicht vollständig verarbeitet
und in das autobiografische Gedächtnis integriert wor-
den sein können. Der Rückschluss von peritraumatischer
Dissoziation auf ein wie auch immer geartetes Trauma
(Hinckeldey & Fischer, 2002) ist zirkulär, für die Substan-
ziierung des Erlebnisbezugs der Aussage ungeeignet und
durch die empirische Befundlage zu Gedächtnisprozes-
sen bei traumatischen Erlebnissen widerlegt (Brewin &
Andrews, 2017, Volbert, 2018).
Differenzialdiagnostisch ist zudem die Abgrenzung zur
imitierten DIS zu beachten, die bei Personen mit ent-
sprechender psychischer Disposition unter anderem
durch Beschäftigung mit medialen Berichten über ritu-
ellen Missbrauch zur Ausbildung falscher Erinnerungen
und falsch positiver DIS-Diagnosen führen kann (Piet-
kiewicz, Bánbura-Nowak, Tomalski & Boon, 2021). Dabei
kommt der intensiven Informationssuche im Internet
eine besondere Bedeutung zu. Dass Online-Kontakte
mit Gleichgesinnten ihrerseits zur Ausbildung falscher
Erinnerungen führen können (Cavavid & Luna, 2021), ist
ebenso belegt wie die identitätsstiftende Wirkung des
narrativen Diskurses in geschlossenen, hoch kohäsiven
Gruppen (Sassenberg, Kimmerle, Utz & Cress, 2017) mit
entsprechenden Auswirkungen auf Prozesse des Grup-
pendenkens und der Gruppenpolarisierung (Volbert &
Steller, 2020).
Ätiologiekonzept
Die nosologische Einordnung der DIS ist alles andere
als eindeutig. So gibt es seit Jahren eine anhaltende
Kontroverse um die Frage, ob es sich bei der DIS um
eine eigenständige klinische Entität oder aber um eine
Variante der Borderline- oder Posttraumatischen Belas-
tungsstörung (Priebe, Schmahl & Stiglmayr, 2013) han-
delt. Konsens besteht dahin gehend, dass der Rück-
schluss von Verhaltensauffälligkeiten beziehungsweise
psychischen Störungsbildern auf ein konkretes Trauma
generell zirkulär, die »häufig angenommene Monokau-
salität (›Dissoziation gleich Trauma‹) […] falsch« (Eck-
hardt-Henn & Hoffmann, 2004; S. 461), der Rückschluss
gar auf konkrete Modalitäten des Traumas unzulässig
ist. Selbst wenn es gehäuft (sexuelle) Missbrauchserfah-
rungen in der Biografie von Patientinnen und Patienten
mit DIS geben sollte, hat dies für den Einzelfall keine
diagnostische Relevanz. Es gibt eben auch Menschen,
die dissoziative (Identitäts-)Störungen entwickeln,
ohne dass überhaupt ein Trauma aufgrund rechtswid-
riger Handlungen beziehungsweise (rituellen) sexuellen
Missbrauchs in der biografischen Entwicklung eine Rolle
gespielt haben.
Die Auswirkungen eines möglichen Traumas können
nicht monokausal, sondern nur unter Berücksichtigung
weiterer Faktoren und deren Wechselwirkungen ver-
standen werden (Neuner, 2019; Priebe et al., 2013). Dis-
soziative Störungen sind »als unspezifische1 Reaktions-
modi auf intrapsychische und interpersonelle Konflikte,
welche die Ich-Integrität massiv bedrohen, ebenso
zu verstehen wie als Folge schwerer Realtraumatisie-
rungen« (Spitzer & Freyberger 2019; S. 289). Für die
Ausbildung einer DIS werden neben einer genetisch
bedingten Disposition und Familienpathologie struktu-
relle Defizite in der Ich-Entwicklung während der frühen
Kindheit angenommen, die durch sehr unterschiedliche
psychosoziale Belastungen ausgelöst werden können
(Eckhardt-Henn & Hoffmann, 2004; Priebe et al., 2013).
Neben Gewalt- und Missbrauchserfahrungen wird vor
allem frühkindlichen Deprivationserfahrungen ein ho-
1 Hervorhebung durch die Verfasserinnen.
23
reportpsychologie ‹49› 02|2024
hes pathogenetisches Potenzial beigemessen (Spitzer &
Freyberger, 2019). Vor diesem Hintergrund raten auch
psychotraumatologische Fachverbände explizit von
»schnellen Rückschlüssen und Festlegungen auf einen
Hintergrund von ritueller Gewalt« ab (DeGPT, 2022,
siehe auch DGfPI, 2023; ISSD, 2011).
Aufdeckungsarbeit und Therapie
Wenn auf der Grundlage dieser falschen Prämisse von
der Traumagenese dissoziativer Störungen bei konfir-
matorischer Verdachtsprüfung (O‘Donohue & Cirlugea,
2021; Schulz-Hardt & Köhnken, 2000) über Jahre hinweg
Aufdeckungs- und Erinnerungsarbeit mit in ihrer Wirk-
lichkeitskontrolle beeinträchtigten Patientinnen und
Patienten geleistet und hierbei mit hoch suggestiven
therapeutischen Interventionen (z. B. Imaginationen,
Visualisierungen) gearbeitet wird, dann ist– wie bereits
erörtert– die Wahrscheinlichkeit von therapeutisch in-
duzierten Falscherinnerungen dramatisch erhöht.
In der Literatur sind Prozesse therapeutischer Inter-
ventionen beschrieben, die sowohl das volle Spektrum
der zur Induktion von Scheinerinnerungen führenden
therapeutischen Techniken widerspiegeln (Greuel,
2022b, LEXPERIENCE, 2022; Liebrand, 2020; Steller, 2020;
Schemmel & Volbert, 2021) als auch Verläufe aufzeigen,
bei denen einer mutmaßlichen DIS-Patientin nach Ver-
lassen des therapeutischen Kontextes sowohl ihre dis-
soziativen Erlebnisweisen als auch ihre vermeintlichen
Missbrauchserinnerungen nicht mehr zugänglich waren
(Greuel, 2022a).
Einwände gegen die Induzierbarkeit von falschen Er-
innerungen durch suggestive Therapieverfahren (BR,
2023; Kavemann, Graf van Kesteren, Rothkegel & Nagel,
2016) sind weder nachvollziehbar noch einer rationalen
Problemsicht und im Übrigen auch Therapieplanung
zuträglich. Sie stehen zudem in direktem Widerspruch
zu den Behandlungsempfehlungen namhafter Vertre-
terinnen und Vertreter sowie Fachgesellschaften der
akademischen Psychotraumatologie. Hier wird explizit
vor der Anwendung suggestiver Techniken in der Be-
handlung von Patientinnen und Patienten mit DIS ge-
warnt (DeGPT, 2023; ISSD, 2011; Lilienfeld, 2007; Neuner,
2019; Spitzer & Freyberger, 2019).
So weisen auch die Richtlinien der »International So-
ciety for the Study of Trauma and Dissociation« (ISSD,
2011) zur Behandlung der DIS bei Erwachsenen aus-
drücklich auf die Gefahr hin, dass es bei Missbrauchser-
innerungen von Patientinnen und Patienten mit DIS zu
suggestiv erzeugten Scheinerinnerungen kommen kann.
Es wird ausdrücklich angemahnt, in der Therapie immer
wieder über die rekonstruktive Natur des Gedächtnisses
zu sprechen und im Rahmen psychoedukativer Maßnah-
men zu vergegenwärtigen, dass es sich bei auftretenden
Erinnerungsbildern zunächst einmal nur um innere Wirk-
lichkeiten handelt.
Angst? Wutausbrüche? Sorgen? Streit? Kinder müssen mit
vielen starken Gefühlen und Gedanken umzugehen lernen.
Wie wäre es, wenn Kinder ihre Gefühle als Kraftquelle
entdecken würden? Wie können Sie das Kind dabei optimal
unterstützen?
Die Methode der Burggemeinschaft
bietet dazu einen hilfreichen Ansatz,
der darauf beruht, dass die Lösung
für den Umgang mit unangenehmen
Gefühlen im Kind selbst liegt.
Mit Hilfe „seiner“ Burggemeinschaft
ndet das Kind zu mehr Selbst-
wirksamkeit. Ganz nach dem Motto:
„meine Gefühle – meine Stärke.“
Bücher und Charakterkarten erhältlich auf
shop.chrismedia24.de/catalogsearch/result/?q=greisser
Meine Gefühle – meine Stärke
Die Methode der Burggemeinschaft
bietet dazu einen hilfreichen Ansatz,
der darauf beruht, dass die Lösung
für den Umgang mit unangenehmen
Mit Hilfe „seiner“ Burggemeinschaft
wirksamkeit. Ganz nach dem Motto:
Bücher und Charakterkarten erhältlich auf
reportfachwissenschaftlicher teil
24
reportpsychologie ‹49› 02|2024
Das therapeutische Neutralitätsgebot wird explizit auch
mit der Aufforderung zum Unterlassen jedweder »Er-
mittlungstätigkeit« beziehungsweise zum Verzicht auf
Bemühungen zur Verifizierung des in Rede stehenden
(rituellen) Missbrauchs verbunden. Dass dieses Neutra-
litäts- und Abstinenzgebot in der therapeutischen Praxis
nicht immer eingehalten wird, zeigen kasuistische Fall-
darstellungen (Greuel, 2022a; Hasselmann, 2017). Neuner
(2019) weist auf die potenziell schädlichen Auswirkun-
gen suggestiver Therapieverfahren in der Traumabe-
handlung hin und warnt vor der Anwendung jeglicher
Techniken, »die die Aufdeckung vollständig verdrängter
Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zum Ziel ha-
ben«, zumal empirische Nachweise der Wirksamkeit
suggestiver Techniken in der Behandlung der DIS bis-
lang fehlen (Neuner 2019; S. 478).
Diese eindeutigen Aussagen der wissenschaftlich fun-
dierten Psychotraumatologie entsprechen dem aktu-
ellen Forschungsstand der Gedächtnis- und Aussage-
psychologie (Volbert, 2011, 2018). Von einem grundsätz-
lichen Dissens zwischen beiden Fachdisziplinen kann
also nicht die Rede sein.
Mind Control
Wie einleitend angeführt wurde, wird im Kontext ri-
tueller sexueller Gewalt auf den Einfluss sogenannter
»Mind Control«-Methoden hingewiesen, infolge derer
sich die (entwickelnde) Persönlichkeit in verschiedene
Identitäten aufteile. Die so entstandenen Persönlich-
keitsanteile könnten von Täterinnen und Tätern gezielt
angesprochen werden, um auf diese Weise unentdeckt
Missbrauchshandlungen begehen zu können (Behrendt,
Nick, Briken & Schröder, 2020; Miller, 2014; Nick et al.,
2018; Nick, Schröder, Briken & Richter-Appelt, 2019).
Informationen über dieses Phänomen basieren aus-
schließlich auf den Angaben von Personen, die von ent-
sprechenden Erfahrungen berichten (Mokros et al., in
Druck). Trotz eines Mangels an polizeilicher Bestätigung
(Bauch, 1999; Hahn, 2019; Petermann & Greuel, 2009)
und empirischer Grundlage (Dessecker, 2020; Hahn,
2019; Niehaus & Krause, 2023; Rijksoverheid, 2022), wird
dieses Phänomen in der Literatur zuweilen als Tatsache
dargestellt (Fliß, 2012; Gysi, 2021).
Aus psychologischer Sicht stellt sich vor allem die Frage,
wie eine derartige Induktion von schwerwiegenden
Dissoziationsstörungen erfolgen kann und woher die
mutmaßlichen Täterinnen und Täter diese der Fach-
welt bislang verborgenen Strategien der Fremdkont-
rolle generiert haben könnten (Niehaus & Krause, 2023).
Diese Skepsis wird von Vertreterinnen und Vertretern
der Neurowissenschaften geteilt, die eine derart um-
fassende Fremdkontrolle menschlichen Verhaltens für
unmöglich erachten (Schleim, 2015).
Die Vertreterinnen und Vertreter der »Mind Control«-
Theorie haben diesbezüglich kein tragfähiges Erklä-
rungsmodell vorgelegt, sodass es sich bei dieser Dis-
kursvariante bislang um eine reine Arbeitshypothese
handelt. Nach Schetsche und Schmidt (2015, S. 13) han-
delt es sich bei der »Idee einer perfekt funktionierenden
Fremdkontrolle, hier in Form der sogenannten Kult-
Programmierung« um einen Neomythos, der jeglicher
empirischer Evidenz widerspricht.
Fazit
Die im Rahmen der vom BMFSFJ geförderten For-
schungsprojekte kolportierte »Rituelle-Gewalt-/Mind-
Control-These« steht in direktem Widerspruch zur inter-
nationalen Forschungslage der akademischen Psycho-
logie und Psychotraumatologie.
Wenn aber auf der Basis nicht validierter Daten und
unter expliziter Negation der aktuellen wissenschaft-
lichen Befundlage ein Deutungsmuster mit normativem
Geltungsanspruch vertreten wird, kann dies erhebliche
Gefahren sowohl für den Rechtsfrieden als auch für den
Umgang mit unter schweren psychischen Störungen
leidenden und insoweit besonders vulnerablen Patien-
tinnen und Patienten selbst führen. Insofern ist der For-
derung nach einer Versachlichung des Diskurses über
rituelle sexuelle Gewalt und Rückbesinnung auf wissen-
schaftliche Grundlagen therapeutischer und forensischer
Interventionen uneingeschränkt zuzustimmen.
Die im Rahmen des vom BMFSFJ geförderten Projekts
erhobenen Befunde sind bestenfalls als erste Einblicke
in innere Wahrheiten und subjektive Narrative mutmaß-
lich von (ritueller) sexualisierter Gewalt Betroffener zu
verstehen. Sie sind keinesfalls geeignet, seit Jahrzehnten
etablierte, wissenschaftlich fundierte Begutachtungsver-
fahren durch bislang nicht näher spezifizierte Alternativ-
verfahren zu ersetzen.
Im Gegenteil: Eine politische Legitimation der Abkehr
von wissenschaftlich fundierten Begutachtungsansät-
zen droht, jahrzehntelange Bemühungen um ein Mehr
an Verfahrensgerechtigkeit und an wissenschaftlicher
Rationalität im Umgang mit Zeuginnen- und Zeugen-
aussagen nachhaltig zu konterkarieren. Diese Gefahr
besteht umso mehr, wenn entsprechendes Gedankengut
ungeprüft und bei intensiver Netzwerkarbeit zuneh-
mend in die Aus- und Weiterbildung von Berufsgruppen
zum professionellen Umgang mit potenziellen Opfern
sexuellen Missbrauchs einfließen sollte.
Prof. Dr. Silvia Gubi-
Kelm ist Professorin für
Rechtspsychologie und
Dekanin der Fakultät
Humanwissenschaften
an der Medical School
Hamburg, University
of Applied Sciences
and Medical Uni-
versity Hamburg. Ihr
Forschungsinteresse gilt
aussagepsychologischen
Fragestellungen. Es geht
dabei um die Prüfung
der Glaubhaftigkeit von
Aussagen, die Beeinflus-
sung von Zeuginnen-/
Zeugenaussagen und
das Geständnisverhalten
von Tatverdächtigen. Sie
ist Fachpsychologin für
Rechtspsychologie BDP/
DGPs und seit 2007
als Sachverständige in
Strafverfahren tätig
(Schwerpunkt: Glaub-
haftigkeit).
Foto: Thomas Faust
25
reportpsychologie ‹49› 02|2024
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Kontakt
Prof. Dr. Luise Greuel
Rektorin der Hochschule für
Öffentliche Verwaltung
Doventorscontrescarpe 172 C
28195 Bremen
E luise.greuel@hfoev.bremen.de
Prof. Dr. Luise Greuel
ist Professorin für
Rechtspsychologie und
Rektorin der Hoch-
schule für Öffentliche
Verwaltung Bremen.
Zu ihren Forschungs-
schwerpunkten zählen
die Aussage-, Verneh-
mungs- und Kriminal-
psychologie. Sie ist
Fachpsychologin für
Rechtspsychologie BDP/
DGPs und seit 1986
als aussagepsychologi-
sche Sachverständige
(schwerpunktmäßig in
Strafverfahren) tätig.
Foto: Photo Brockshus
ZUSAMMENFASSUNG
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugendliche (BMFSFJ) geförderten
Forschungsprojekts wurden im Jahr 2023 Befunde und
Annahmen über rituellen sexuellen Missbrauch berich-
tet, die in deutlichem Widerspruch zu Erkenntnissen der
wissenschaftlichen Gedächtnispsychologie und der wis-
senschaftlich fundierten Psychotraumatologie stehen.
Der Beitrag adressiert zentrale Missverständnisse und
Fehlkonzeptionen, die (1) das von selbst identifizierten
Opfern berichtete Phänomen der rituellen sexuellen Ge-
walt betreffen, (2) zu einem Wiederaufleben der »False-
Memory-Debatte« führen, (3) die Gefahr der Ausbildung
von falschen Erinnerungen im therapeutischen Kontext,
insbesondere von in ihrer Wirklichkeitskontrolle beein-
trächtigten Patientinnen und Patienten mit dissoziati-
ver Identitätsstörung, erhöhen und (4) Mind-Control-
Techniken propagieren, für die es keinerlei empirische
Evidenz gibt. Forderungen nach Modifikationen der
Glaubhaftigkeitsbegutachtung werden als unbegründet
zurückgewiesen. Es wird aufgezeigt, dass das aktuelle
Narrativ des rituellen sexuellen Missbrauchs zu Gefah-
ren für psychisch vulnerable Personen im psychothera-
peutischen und forensischen Kontext führt.
ABSTRACT
Within a project funded by the Federal Ministry for
Familiy Affairs, Senior Citizens, Women and Youth
(BMFSFJ) results and assumptions about ritual sexual
abuse have been published being contradictory to the
current state of knowledge in scientific memory psycho-
logy and scientifically based psychotraumatology. This
article addresses central misconceptions, (1) regarding
the phenomenon of ritual sexual violence as being re-
ported by self-identified victims, (2) leading to a revival
of the »false memory debate«, (3) increasing the risk of
implanting false memories in patients with Dissociative
Identity Disorder due to deficits in reality control and (4)
propagating mind control techniques far beyond empi-
rical evidence. Claims to modify the scientifically based
credibility assessment method must rejected comple-
tely. It is discussed that the narrative of ritual abuse/
mind control cause serious risks for vulnerable patients
in both psychotherapy and forensic proceedings.
reportfachwissenschaftlicher teil
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Chapter
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In der Vergangenheit haben die Psychowissenschaften mit empirischen Forschungserkenntnissen dazu beigetragen, fehlerhafte Beurteilungen und Entscheidungen in Strafverfahren zu vermeiden. Seit einiger Zeit gibt es jedoch Versuche politisch engagierter Akteure, welche die Errungenschaft der Jahrtausendwende, dass eine deutliche Wissenschaftsorientierung Einzug in das Sexualstrafverfahren hielt, wieder rückgängig zu machen drohen. Wir zeigen vier Strategien auf, die paradoxerweise von Akteur:innen eingesetzt werden, die sich vorgeblich für den Opferschutz und eine kindgerechte Justiz engagieren, jedoch nicht zu reflektieren scheinen, dass ihre Angriffe auf wissenschaftlich fundierte Methoden nicht allein rechtsstaatliche Prinzipien gefährden, sondern auch schwerwiegende Folgen für mutmaßliche Opfer haben können.
Article
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Zusammenfassung: Unter ritueller sexueller Gewalt werden Formen organisierten sexuellen Missbrauchs verstanden, die ideologisch geprägt sind und von mehreren Täter_innen über längere Zeiträume ausgeübt werden. Üblicherweise wird in Verbindung mit dem Phänomen von Prozessen absichtlicher Persönlichkeitsspaltung, induzierten Amnesien und Instruierbarkeit der Opfer ausgegangen. Im Zuge eines Projekts, das durch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert worden ist, wurden mehrere Veröffentlichungen erstellt, darunter eine Online-Umfrage an 165 selbst-definierten Betroffenen ( Nick et al., 2018 ; https://doi.org/10.21706/TG-12-3-244 ). Der vorliegende Beitrag setzt sich insbesondere mit der Ergebnisinterpretation der Studie von Nick et al. kritisch auseinander. Angesichts umfangreicher empirischer und theoretischer Literatur sind drei Punkte festzuhalten: 1) Sowohl die Angaben zu Amnesie als auch zum Wiedererinnern erscheinen gedächtnispsychologisch unplausibel. 2) Die Angaben über erlittenen rituellen sexuellen Missbrauch sind alternativ durch suggestive Prozesse erklärbar. 3) Es liegen keine belastbaren Belege für Phänomene wie die intentionale Persönlichkeitsspaltung vor. Angesichts der möglichen Gefahren für Betroffene (Bestärkung suggerierter Scheinerinnerungen, nicht-hilfreiche Therapie / Beratung) ist ein vorsichtiger Umgang mit Behauptungen über die Existenz von ritueller sexueller Gewalt geboten, auch im Rahmen öffentlich geförderter Projekte.
Article
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The author used the remember/know paradigm and the dual process recognition model of A. P. Yonelinas, N. E. A. Kroll, I. Dobbins, M. Lazzara, and R. T. Knight (1998) to study the states of awareness accompanying recognition of affective images and the processes of recollection and familiarity that may underlie them. Results from all experiments showed that (a) negative stimuli tended to be remembered, whereas positive stimuli tended to be known; (b) recollection, but not familiarity, was boosted for negative or highly arousing and, to a lesser extent, positive stimuli; and (c) across experiments, variations in depth of encoding did not influence these patterns. These data suggest that greater recollection for affective events leads them to be more richly experienced in memory, and they are consistent with the idea that the states of remembering and knowing are experientially exclusive, whereas the processes underlying them are functionally independent.
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In the past, empirical research findings from psychosciences contributed to avoiding erroneous judgments and decisions in criminal proceedings. However, for some time now, developments have arisen that threaten to reverse the achievement at the turn of the millennium that introduced a clear scientific orientation into sex offense proceedings. This article highlights five retrograde developments and uses three examples to illustrate how these developments can interact and, in particular, offer a purported explanation for a lack of memory of experienced abuse. This creates a breeding ground for the formation of false memories that cause suffering in both psychotherapy and criminal proceedings, and it significantly increases the risk of erroneous decisions in criminal proceedings on sex offenses in German-speaking countries.
Article
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Zusammenfassung Aussagepsychologische Begutachtungen spielen in straf- und sozialrechtlichen Prozessen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eine bedeutsame Rolle. Die Durchführung einer Begutachtung kann dabei als belastend erlebt werden. Ziel der vorliegenden Studie ist es, verschiedene Perspektiven zum Erleben von Glaubhaftigkeitsbegutachtung darzustellen und im Zusammenhang mit Bewältigungsprozessen Betroffener sexualisierter Gewalt zu untersuchen. Es erfolgte die Durchführung von insgesamt 3 Fokusgruppen mit Fachexpert:innen (n = 12) unterschiedlichen interdisziplinären und persönlichen Hintergrundes. Die qualitativ-inhaltsanalytische Auswertung zeigt, dass Fachexpert:innen verschiedene Quellen für individuelles Belastungserleben im Rahmen von straf- und sozialrechtlichen Verfahren und im Zusammenhang mit der Durchführung einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung identifizieren. Neben dem inhärent kritisch nachfragenden Charakter des Verfahrens stellen u. a. das Erinnern an lang zurückliegende Erlebnisse für betroffene Personen eine Herausforderung dar. Ferner benannten Fokusgruppenteilnehmende strafprozessuale Faktoren wie Verfahrensdauer und unzureichende Informationsweitergabe zu individuellen Verfahrensabläufen als hinderlich für eine Bewältigung von Erfahrungen sexualisierter Gewalt. Um Belastungen für Betroffene sexualisierter Gewalt zu reduzieren, sprachen sich die Fachexpert:innen für eine systematische Professionalisierung der Justiz durch Aus‑, Fort- und Weiterbildungen von Richter:innen, Polizist:innen und Jurist:innen, eine Verbesserung der Aussageerfassung und eine Verwendung neutralerer Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Glaubhaftigkeitsbegutachtung aus. Implikationen für die Praxis und zukünftige Forschungsvorhaben werden diskutiert.
Article
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We offer an elegant new and straightforward paradigm to implant false autobiographical memories. Participants received twenty autobiographical events including a critical false event (i.e., swimsuit falling off) and had to indicate whether they ever experienced these events. After 1-week, participants who did not experience the false event received a second survey suggesting that they actually did experience the false event. Participants had to provide belief and recollection ratings and event-related details. Also, one of group of participants was told that the false event happened once (Single group) while the other group was told that the event happened repeatedly (Repeated group). Depending on the memory type (e.g., false belief or false memory), false memory implantation ranged between 9% and 30%. Furthermore, false beliefs were most likely to be elicited in the Single group. This novel paradigm can offer new insights on how false autobiographical memories can be implanted.
Article
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Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) is a widely used treatment for posttraumatic stress disorder. The idea behind EMDR is that lateral eye movements may mitigate the emotional impact of traumatic memories. Given the focus on changing patients’ memories, it is important that EMDR practitioners have detailed knowledge about human memory. We explored beliefs and ideas about memory in samples of EMDR practitioners (Study 1: n = 12; Study 2: n = 41), students (Study 1: n = 35; Study 2: n = 24), and researchers (Study 2: n = 30). All groups seemed to be aware of the fallibility of memory. However, a majority of the surveyed EMDR practitioners (70–90%), students (around 90%), and researchers (66.7%) endorsed the controversial idea of repressed memories. Skepticism and endorsement of problematic ideas about memory-related topics may coexist within the same group. In clinical settings, this might be problematic, because a strong belief in repressed memories might lead therapists to suggestively seek for such memories in patients.
Chapter
The chapter reviews the contribution of information processing models to understanding the development and maintenance of posttraumatic stress disorder (PTSD). Individual differences in cognitive processing during the trauma and basic memory mechanisms, such as priming and associative learning, may help explain why people with PTSD involuntarily reexperience parts of the trauma in a wide range of situations. Individual differences in how people remember traumatic events may influence the likelihood of developing PTSD. Attentional bias to trauma-related cues and threatening interpretations of the trauma or its aftermath help explain why people with PTSD have anxiety symptoms although the trauma is over and the actual threat lies in the past. Cognitive strategies people use to deal with memories of the trauma, such as effortful suppression of trauma memories and rumination, help explain why some develop chronic PTSD whereas many recover from trauma. Directions for future research are outlined.
Article
The controversy over alleged repressed and recovered memories of childhood sexual abuse (CSA) was among the most contentious ever to embroil psychology and psychiatry. Adapting paradigms from cognitive psychology, my research group tested hypotheses pertinent to repressed memory and false memory interpretations of recovered memories. We tested adults who: (1) report recovering memories of CSA after not having thought about their abuse for years; (2) report never having forgotten their CSA; (3) believe they harbor "repressed" memories of CSA; and (4) deny having been sexually abused. We tested hypotheses about mechanisms that might figure in the inability to recall memories of one's abuse and those that might render one susceptible to developing false memories of abuse. The purpose of this article is to summarize this work. Finally, I draw on the work of Lionel Penrose to speculate about why the popularity of the concept of repressed memories of trauma-or its synonym, dissociative amnesia for trauma-may be rising today.
Article
Zusammenfassung: Die aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist in der forensischen Praxis seit vielen Jahrzehnten etabliert, im Straf- und Sozialrecht normativ bestätigt und durch eine Fülle empirischer Forschungsarbeiten abgesichert. Im Opferentschädigungsrecht haben wir es häufig mit Fallkonstella¬tionen zu tun, bei denen gleichzeitig mehrere problematische Einflussfaktoren auf die Aussagetüchtigkeit und Aussage¬zuverlässigkeit auftreten: (1) Vorbringen vermeintlich lang vergessener Missbrauchs¬erlebnisse in der frühen Kindheit, die (2) in langjährigen therapeutischen Prozessen erstmals erinnert werden, wobei (3) Betroffene häufig unter schweren psychischen Störungen leiden, die unmittelbar die höheren kognitiven Funktionen betreffen. Am Beispiel von dissoziativen Störungen, die per Definition die psychischen Funktionen der Realitätsüberwachung und des autobiographischen Gedächt¬nisses beeinträchtigen, werden typische Probleme der Begutachtung diskutiert. Dabei wird aufgezeigt, dass der vermeintliche Antagonismus zwischen Aussagepsychologie und Psychotraumatologie im narrativen Diskurs konstruiert und nicht durch empirische Belege untermauert ist. So weisen beispielsweise auch die Richtlinien der International Society for the Study of Trauma and Dissociation zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit dissoziativer Identitätsstörung ausdrücklich auf die Gefahren der Implantation von Scheinerinnerungen im therapeutischen Prozess hin. Abschließend wird für eine Intensivierung des interdisziplinären Austauschs mit allen am OEG-Verfahren beteiligten Berufsgruppen plädiert. Abstract: During the last decades, psychological credibility assessment has been established in forensic practice, normatively confirmed by the jurisprudence of the supreme courts and empirically confirmed by a large number of empirical studies. In the context of crime victims compensation act, experts have often to deal with cases being characterized by multi-problem situations directly affecting the person´s competency to testify as well as statement validity: (1) reporting of long-forgotten sexual abuse in early childhood, (2) being recovered for the first time in long-term therapy by (3) a person suffering from severe psychological disorders affecting the higher cognitive functions. Using the example of dissociative disorders which impair, by definition, reality monitoring and autobiographical memory, typical problems of credibility assessment will be discussed. It will be demonstrated that the alleged antagonism between memory research and psychotraumatology has been constructed by narrative discourse rather than empirically proven. Thus, for example, the guidelines for treating dissociative identity disorder of the International Society for the Study of Trauma and Dissociation explicitly point out that false memories can be implanted during therapy. Finally, it is recommended to strengthen the interdisciplinary discourse between all professionals being engaged in services within the crime victims compensation act.
Article
Following the publication of his article on whether memories of trauma in sexual assault victims are fragmented (McNally, 2022), McNally moderated a discussion between Chris R. Brewin and David C. Rubin/Dorthe Berntsen whose perspectives on memory fragmentation were cited by McNally. The discussion clarified their contrasting viewpoints on this controversy.