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Wie Kriminalität,reist‘. Eine Annäherung an die Herausbildung institutionalisierter Wissensformen zu Kriminalität

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Abstract

Wir gehen im Folgenden davon aus, dass Kriminalität sich in besonderer Weise dafür eignet, im Anschluss an Bal (2002) als „travelling concept“ analysiert zu werden. Die Rede von Kriminalität impliziert ebenso wie ihre institutionelle Bearbeitung besonderes Wissen, das oftmals zirkuliert, sei es zwischen Personen, Medien, Institutionen, Organisationen o.a.m. Was Kriminalität letztlich ,ist‘, wird in derartigen Abläufen festgelegt, und hierauf kann, so unsere im Folgenden näher zu be-stimmende Annahme, mit dem Fokus eines „travelling concept“ genauer geblickt werden.
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Wie Kriminalität ‚reist‘
Eine Annäherung an die Herausbildung
institutionalisierter Wissensformen zu
Kriminalität
Bernd Dollinger, Holger Schmidt und Daniel Stein
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass Kriminalität sich in besonderer Weise
dafür eignet, im Anschluss an Bal (2002) als „travelling concept“ analysiert zu
werden. Die Rede von Kriminalität impliziert ebenso wie ihre institutionelle Be-
arbeitung besonderes Wissen, das oftmals zirkuliert, sei es zwischen Personen,
Medien, Institutionen, Organisationen o.a.m. Was Kriminalität letztlich ‚ist‘,
wird in derartigen Abläufen festgelegt, und hierauf kann, so unsere im Folgenden
näher zu bestimmende Annahme, mit dem Fokus eines „travelling concept“ ge-
nauer geblickt werden.
Um dies einzulösen, beschreiben wir zunächst Ansatzpunkte einer solchen
Perspektive. Sie hat sich insbesondere des Risikos bewusst zu sein, dass ein
Fokus auf Reisen ggf. lediglich eine metaphorische, konnotativ in spezifischer
Weise ausgerichtete Plausibilität beanspruchen könnte (hierzu Baumbach et al.
2012; Hyvärinen 2013). Die positive, mit Flexibilität, neuen Erfahrungen und
freien Entscheidungen einzelner ‚Reisender‘ verbundene Konnotation mag irritie-
ren, wenn ernst genommen wird, dass Kriminalität mit Inhaftierungen, Punitivität
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden
GmbH, ein Teil von Springer Nature 2024
M. Harbusch (Hrsg.), Reisendes Wissen,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-45229-2_6
B. Dollinger (*)
Fakultät II/Institut für Sozialpädagogik, Universität Siegen, Siegen, Deutschland
E-Mail: bernd.dollinger@uni-siegen.de
H. Schmidt
Fakultät II/Institut für Sozialpädagogik, Universität Siegen, Siegen, Deutschland
E-Mail: holger.schmidt@uni-siegen.de
D. Stein
Fakultät I/Seminar für Anglistik, Universität Siegen, Siegen, Deutschland
E-Mail: stein@anglistik.uni-siegen.de
158 B. Dollinger et al.
und Vergeltung sowie mit massiven Schädigungen von Personen verbunden sein
kann und allgemein eher auf eine Vorstellung von Immobilität als auf eine Be-
wegung durch Raum und Zeit bezogen wird. Allein die in Teilen der Welt in den
vergangenen Jahrzehnten hohen und mitunter steigenden Inhaftierungsraten (Fair
und Walsmley 2021; Lappi-Seppälä 2018) können zur Vorsicht bei der Nutzung
einer derartigen Metaphorik raten. Es ist deshalb genauer auszuführen, auf wel-
che Weise ein Konzept wie Kriminalität charakterisiert wird, wenn es mit „tra-
velling“ assoziiert wird. Wir grenzen dies zunächst näher ein, um dann im zwei-
ten Abschnitt Besonderheiten von Kriminalität zu konkretisieren, die vor Augen
führen, dass sie sinnvollerweise als „travelling concept“ betrachtet und analysiert
werden kann.
Kriminalität als „travelling concept“
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass auch und gerade die genannten Phäno-
mene (wie Inhaftierungen u. dgl). besondere Formen von Reisen implizieren.
Wenn bspw. ein Gericht eine Entscheidung zur Verurteilung und Inhaftierung
einer Person trifft, muss dies begründet werden. Ein-/e Richter*in muss in die je-
weiligen Kontexte, in denen dies zur Debatte steht, besonderes Wissen einbrin-
gen und es gegen alternative Deutungen durchsetzen (Wolff 2010). Zumindest in
rechtsstaatlichen, demokratischen Zusammenhängen sind an derartigen Entschei-
dungen unterschiedliche Akteur*innen und Institutionen beteiligt, und so könn-
ten, um dies allgemein zu fassen, die mit Kriminalität assoziierten Bedeutungen
kaum nachvollzogen werden, wenn sie nicht als durch unterschiedliche, kontex-
tualisierte und aufeinander abgestimmte Praktiken hervorgebracht interpretiert
würden. Verurteilungen sind ein kontextabhängiger, mehrstufiger und interpreta-
tiver Prozess (Tata 2020), der zudem historischen Veränderungen unterworfen ist.
Prozessuale Vorschriften können verändert werden, und im Zeitverlauf kann ur-
sprünglich rechtmäßiges Verhalten als Unrecht neubewertet und verurteilt werden
und vice versa.
Ein Fokus auf Reisen nimmt dies ernst und bezieht Kriminalität prinzipiell
auf „die mannigfaltigen Interpretations- und Ordnungsleistungen“ (Eberle 2007,
S. 141) von Akteur*innen und Institutionen, durch die Kriminalität eine spezifi-
sche Qualität zu gewinnen vermag. Das Wissen um Kriminalität und die Prakti-
ken ihrer Bearbeitung können nicht getrennt werden; wer Kriminalität themati-
siert, thematisiert Vorstellungen einer wünschbaren und gefährdeten gesellschaft-
lichen Ordnung, von Gut und Böse, von richtigem und falschem Handeln (Härter
et al. 2010), und sucht sie verbindlich zu machen, u. a. durch Strafen (Mead
159Wie Kriminalität ‚reist‘
1918/1987). Insofern diese Vorstellungen oftmals strittig und aushandlungsbe-
dürftig sind, vergegenwärtigt Kriminalität eine besonders geeignete und nahe-
liegende Option, die Festschreibung und praktische Durchsetzung spezifischer
Vorstellungen zum sozialen Zusammenleben zu rekonstruieren. Wer Kriminalität
analysiert, kann Rückschlüsse auf die Art und Weise ziehen, wie Menschen ihr
Zusammenleben organisieren und sich hierbei gegenseitig beurteilen.1 Wenn ver-
dächtigen Personen bestrafungswürdige Taten zur Last gelegt werden, sehen sie
sich institutionellen Prozeduren gegenüber, in denen die ‚Strafwürdigkeit‘ ihrer
Person und Tat geprüft und sie ggf. mit Sanktionen belegt werden. Sanktionen
sind dabei ihrerseits mit Reisen verbunden, etwa indem eine Person durch Instan-
zen der Bestrafung ‚reist‘ (z. B. Svensson und Knutagård 2022) oder im Verlauf
einer Reintegration nach Haftentlassung, die Menschen mit der Aufgabe konfron-
tiert, zeitlich und räumlich verfasste Veränderungen zu bewältigen (McNeill et al.
2022). Dies kann bekanntlich mit einer Statusveränderung assoziiert sein; wer be-
straft und inhaftiert wird, verliert ggf. eine frühere Identität als ‚unbescholtene‘
Person und erfährt einen „bürgerlichen Tod“ (Goffman 1977, S. 26; Dollinger
und Schmidt 2015). Im Falle neuerlicher Anschuldigungen ändert er/sie den Sta-
tus zu dem eines/-r Rückfälligen und wird anders beurteilt und behandelt als ein/e
Ersttäter*n (Hofinger 2015).2
Bereits diese kurzen Hinweise verdeutlichen, dass „travelling“ keine nur me-
taphorische Annäherung an Kriminalität beinhaltet, sondern für sie von konstitu-
tiver Bedeutung ist. „Assessments of any given behavior“, so Brown et al. (2019,
S. 37), „may vary dramatically across time and space”. Es gibt keinen Fixpunkt,
von dem aus Kriminalität bestimmt werden könnte. Sie muss, um den Anschein
einer ‚harten‘ Realität zu gewinnen, als gültiges Wissen festgeschrieben werden,
wobei Bedeutungsfixierungen zumindest teilweise auch wieder gelöst werden
1 Es geht damit auch um Fragen von (Definitions-)Macht, wie Foucault (1975/1977) es
historisch ausarbeitet.
2 Wer überhaupt als verdächtigt gilt, hängt mit einer ganzen Reihe sozialer Faktoren zusam-
men, d. h. die ‚Strafwürdigkeit‘ einer Person ist nicht nur durch rechtliche Kodifizierungen,
sondern auch durch Kategorien der Ungleichheit vorgeprägt, zu denen u. a. Sexismus oder
auch Rassismus zählen. In der Praxis und mit Blick auf die USA wären u. a. racial profi-
ling, predictive policing und die sogenannte school-to-prison pipeline, durch die dispropor-
tional marginalisierte Schüler*innen („youth of color, youth with disabilities, and LGBTQ
students“) kriminalisiert werden, zu nennen (NYCLU 2023). Auch hier geht es um (un-
freiwilliges) Reisen, in diesem Fall von der Schule ins Gefängnis. Die enge Verbindung
von Rassismus und Kriminalisierung ist in der Forschung vielfach belegt worden (Gilmore
2007; Alexander 2010).
160 B. Dollinger et al.
können: Bestimmte Delikte werden entkriminalisiert, andere – man denke etwa
an Drogenkonsum, Abtreibungen oder Sterbehilfe – bleiben dauerhaft umstrit-
ten. Einzelne strafrechtliche Urteile können angefochten oder aufgehoben werden
(Barton et al. 2018; Böhme 2018). Dieses Schwanken zwischen Flexibilität und
Fixierung, das sich für Kriminalität als in hohem Maße charakteristisch erweist,
ist eines der Motive, die Mieke Bal (2002, S. 11) mit dem Fokus auf Konzepte
verbindet. Konzepte, so führt sie aus, „are the sites of debate, awareness of dif-
ference, and tentative exchange. [….] If you use a concept at all, you use it in
a particular way so that you can meaningfully disagree on content” (Bal 2002,
S. 13). Zahlreiche Institutionen sind damit befasst, jeweils spezifische Bedeutun-
gen von Kriminalität gleichsam zu befestigen, d. h. Reisen einzuschränken oder
zu verhindern, indem sie ihr Verständnis von Kriminalität verbindlich zu machen
suchen. Kriminalität ist demnach ‚real‘ und wird ‚real‘ gemacht, während der von
Bal genannte Dissens mitunter erst sichtbar zu machen ist. In der Kriminologie ist
er gleichwohl überwiegend anerkannt; Kriminalität wird als „contestable concept
with many possible meanings” (Zedner 2004, S. 39) verstanden. Sie ist ein spe-
zifisches Konzept, das oftmals mit Auseinandersetzungen und konkurrierenden
Deutungen assoziiert ist; sie ist weder nur ein für sich stehendes Label bzw. Wort
noch eine elaborierte Theorie mit spezifischer Kontur. Kriminalität kann zwar als
bloßes Wort genutzt werden oder auch in komplexe Theorien involviert werden;
allerdings steht sie als Konzept zwischen diesen beiden Ebenen.3 Mit ihr wird auf
unterschiedliche Weise gearbeitet und sie ‚reist‘ durch Zeiten, Orte, Institutionen
und – was mit Bal zu betonen ist – Disziplinen. Dieses Reisen ist mit der An-
nahme spezifischer Bedeutungen verbunden. Es verweist auf ein Ringen darum,
wie Bedeutungen begründet und gegen konkurrierende Zurechnungen verteidigt
werden können. Im Zentrum von Kriminalität als „travelling concept“ steht diese
Zirkulation von Bedeutung; „working with travelling concepts allows us to ex-
amine how concepts circulate – or fail to do so –, and how they change as they
circulate” (Neumann und Nünning 2012, S. 8). Dabei ist in Rechnung zu stellen,
3 So evoziert ‚Kriminalität‘ unweigerlich verschiedene, auch nicht-sprachliche Bedeutungs-
gehalte, darunter visuelle Vorstellungen davon, wie Täter*innen aussehen mögen. Dies gilt
natürlich auch für spezielle Deliktformen wie ‚Gewalt‘, ‚Drogenhandel‘, ‚Wirtschaftskri-
minalität‘ etc. Die jeweiligen Bedeutungen werden re-/justiert, wenn Fälle durch unter-
schiedliche Institutionen bearbeitet werden, insofern Institutionen ihrerseits Typisierungen
vornehmen bzw. sie in die Fallbearbeitung involvieren (Komter 2014; am Beispiel von Ras-
sismus Frase 2009).
161Wie Kriminalität ‚reist‘
dass Bedeutungen nicht im luftleeren Raum oder gegenstandslos zirkulieren;
‚Reisen‘ sind stets medial vermittelt, und die entsprechenden Medien sind an der
Konstitution von Bedeutungen beteiligt (Lee und LiPuma 2002; Gaonkar und Po-
vinelli 2003; Straw 2010; Aronczyk und Craig 2012). Zu beachten ist ferner, dass
Reisen nicht linear ablaufen müssen; etwas kann hin- und in veränderter Weise
auch wieder zurückreisen.
Bevor wir spezifizieren, was dieses Reisen konkret impliziert und welche
weitergehenden Besonderheiten Kriminalität als „travelling concept“ aufweist,
sei erwähnt, dass diese Betrachtungsweise für die interdisziplinäre Kriminolo-
gie von zentraler Relevanz sein dürfte. Sie ist durch unterschiedliche Theorien,
Methoden und Ideologien gekennzeichnet (Bosworth und Hoyle 2011); eine ihrer
wichtigsten Konfliktlinien ist, zugespitzt mit Reiner (2016, S. 32) formuliert, die
von „constructivism vs. realism“. Eine genuin konstruktivistische Position, wie
sie in manchen Etikettierungsansätzen eingenommen wird, erkennt nur die Rea-
lität von Sprachspielen an (hierzu Dollinger 2013; Woolgar und Pawluch 1985).
Welches Verhalten mit welchen Gründen als kriminell etikettiert wird, erscheint
letztlich arbiträr; ein materialer Ausgangspunkt oder auch eine Materialisierung
im Prozess von Etikettierungen werden, zumindest bei einer konsequent konst-
ruktivistischen Position, ausgeschlossen (kritisch Best 2003). Realistische Posi-
tionen gehen demgegenüber von „core behaviours“ (Reiner 2016, S. 33) aus, die
mit Schaden, Leid und Ungerechtigkeit verbunden seien und die auch dann exis-
tierten, wenn sie nicht auf bestimmte Weise etikettiert würden. Kontroversen und
Zuschreibungen in der Wahrnehmung von Kriminalität werden damit allerdings
ggf. unterschätzt. Zedner (2004, S. 55) bezeichnet die Definition von Schaden
in Bezug auf Kriminalität als „political and practical minefield“. Der Fokus auf
Reisen nimmt in dieser Konfliktlinie eine mittlere Position ein, da nicht negiert
wird, dass bestimmte Erscheinungen oder Praktiken ‚real‘ sind. Sie treten auf und
können identifiziert werden, dies aber nicht ohne Voraussetzungen. Im Zeitverlauf
materialisieren sich Bedeutungszuschreibungen; Artefakte und verschiedene Do-
kumente gewinnen eine eigenständige Relevanz in der Konstitution von Krimina-
lität (Komter 2019). Welche Bedeutung und Legitimität eine materialisierte Form
von Wirklichkeit erfahren kann, ist allerdings nicht zu verstehen, ohne die jewei-
ligen Reisen zu erschließen und hierbei die relevanten Kontexte einzubeziehen,
z. B., wenn Akten zu einer Fallkonstitution eingesetzt werden. Den analytischen
Ausgangspunkt muss dabei Differenz bilden, nicht die Unterstellung von Konsens
(Bal 2002, S. 11). Institutionen, die mit Kriminalität arbeiten, unterscheiden sich
erheblich in ihren Aufgaben und Funktionen; Menschen im Alltag sind keine aus-
gebildeten Strafrechtler*innen; Kriminalität war in der Frühen Neuzeit etwas an-
deres als gegenwärtig; in einer Fernsehserie ist Kriminalität etwas anderes als in
162 B. Dollinger et al.
einer Gerichtsverhandlung. Diese und zahlreiche weitere Differenzen bestimmen,
wie Kriminalität auftreten und verhandelt werden kann; es erscheint angemessen,
deshalb einen Ausgangspunkt in Differenz zu wählen und die Etablierung von
Konsens als klärungsbedürftige, praktisch zu realisierende Leistung in den Blick
zu nehmen (Dollinger et al. 2014).
Spezifizierungen
Kriminalität als wirklichkeitskonstitutive Größe
Die Rede von Kriminalität vermittelt Wissensinhalte, die oftmals hohe Aufmerk-
samkeit erfahren und besondere konnotative Gehalte kommunizieren (Groene-
meyer 2010, S. 27 f.). Im Anschluss an Bal lässt sich festhalten, dass Kriminalität
ein Konzept darstellt, das als „miniature theor[y]” (Bal 2002, S. 22) oder „short-
hand theor[y]” (Bal 2002, S. 23) präskriptiv wirken und Wahrnehmungen sowie
Handlungen unterschiedlichster Personen und Institutionen anzuleiten und zu ori-
entieren vermag: „Concepts are never simply descriptive; they are also program-
matic and normative. Hence, their use has specific effects“ (Bal 2002, S. 28). Eine
spezielle Wirkung seiner Nutzung mag man darin erkennen, dass es das Konzept
„Kriminalität“ erlaubt, Erscheinungen des Lebens – Situationen, Personen und
Handlungen – in Abhängigkeit von der jeweils verfügbaren Definitionsmacht in
einen inhaltlich wie zeitlich spezifisch konturierten Zusammenhang zu setzen,
wodurch diese erst als kriminell wahrgenommen werden (können).
Durch die Nutzung kulturell verfügbarer Zuschreibungen werden Täter*in-
nen, Opfer sowie Zeug*innen etc. hervorgebracht und mit Personeneigenschaf-
ten sowie Motiven ausgestattet, die sie zu je bestimmten Handlungsabläufen be-
wegt haben mögen (hierzu Mills 1940).4 Komter (2014, S. 628) spricht von einem
„body of shared knowledge“, der in Gerichtsverhandlungen genutzt wird, um
spezifische Varianten von Darstellungen zu einem Geschehen plausibel zu ma-
chen. Dieser verweist auf Typisierungen von Personen und Handlungsformen, die
genutzt werden, um Zuschreibungen zu legitimieren und damit eine spezifische
Art von Geschichte zu erzählen („emplotment“ nach White 2014, S. 7). Ein poin-
4 In Abhängigkeit vom jeweiligen Menschen- und Täter*innenbild sowie von Bildern der
Gesellschaft stehen auch spezifische Kriminologien (Hess und Scheerer 2003, S. 87; Lilly
et al. 2019). Zuschreibungen oft impliziter Art sind natürlich nicht auf den Alltag oder Ins-
titutionen der Strafverfolgung beschränkt.
163Wie Kriminalität ‚reist‘
tiertes Beispiel in Bezug auf den Opferstatus liefert Nils Christie (1986, S. 18 f.)
mit folgender Episode: „the little old lady [is] on her way home in the middle
of the day after having cared for her sick sister. If she is hit on the head by a big
man who thereafter grabs her bag and uses the money for liquor or drugs […] we
come […] close to the ideal victim“. Das Beispiel verdeutlicht, dass Vorstellun-
gen von Kriminalität an kollektive, kulturell geprägte Wissensbestände gebunden
sind. Ein (ideales) Opfer ist vulnerabel und handelt arg- und schuldlos; ein (idea-
ler) Täter/eine (ideale) Täterin ist arglistig und böswillig und handelt aus Nieder-
tracht, Habgier etc. (Christie 1986; Lewis et al. 2021). Zudem kann ein (ideales)
Opfer vorrangig einer Mehrheitsbevölkerung angehören, ein (idealer) Täter bzw.
eine (ideale) Täterin einer Minderheit oder marginalisierten Gruppe.5 Auch der
zeitliche Ablauf der Geschehenssequenz ist an spezifische kulturelle Zuschreibun-
gen geknüpft. So folgt die Nutzung des Geldes für den Drogenkonsum der (Be-
schaffungs-)Tat und nicht andersherum.
Wie das Beispiel zeigt, beruht Kriminalität als Konzept auf normativ präfor-
mierten Ordnungsvorstellungen. Zuschreibungen von Kriminalität folgen der
Annahme, dass Leid(en) und/oder Schaden verursacht wird; sie weisen Verant-
wortlichkeiten zu, affizieren und legen ein moralisches Unwerturteil entsprechend
gedeuteter Handlungen nahe. Bei ihrer Entdeckung werden sie (womöglich) zur
Anzeige gebracht und bestraft. Beschreibt dies den ermöglichenden Charakter
des Konzeptes, so werden andere Handlungsoptionen unmittelbar erschwert (z. B.
das Dulden oder Ignorieren) oder ganz ausgeschlossen (z. B. die Nicht-Verfol-
gung durch Angehörige der Polizei). Die Nutzung des Konzepts Kriminalität be-
wirkt mithin stets etwas (Bal 2016, S. 26); es weist eine spezifische Affordanz auf,
da Kriminalität nach Anschlussdeutungen und -handlungen ‚verlangt‘ und diese
präjustiert. Man kann mit Kriminalität nicht beliebig verfahren, wobei oftmals
Kontingenz besteht. Denn trotz der kulturellen Verwurzelung der „Sinnprovinz
Kriminalität“ (Hess und Scheerer 2003, S. 70; Schmidt-Semisch und Hess 2014)
und der durch sie nahegelegten Anschlüsse, bleibt das Konzept in einem Zustand
5 So wurde aus einem aufgrund von Hautfarbe und Herkunft kriminalisierten Opfer von
Polizeigewalt (dem jungen Afroamerikaner Michael Brown in Ferguson, Missouri, am
9.8.2014) nach Auffassung der zuständigen Grand Jury ein ‚idealer‘ Täter, gegen dessen
angeblich brutale Kraft sich der Polizist Darren Wilson nur durch den tödlichen Einsatz sei-
ner Dienstwaffe verteidigen konnte – ein bekanntes rassistisches emplotment. Entsprechend
beschrieb Wilson den Teenager Brown vor Gericht als „demon“ und sagte aus, er habe sich
„like a 5-year-old holding onto Hulk Hogan“ gefühlt, als er den jungen Mann festhalten
wollte (Bouie 2014).
164 B. Dollinger et al.
relativer Fragilität: Es wirkt nicht allein aus sich heraus, sondern bedarf interpre-
tativer Eigenleistungen und Praktiken beteiligter Akteur*innen, die je nach Kon-
text und Interessen sehr unterschiedlich ausfallen können.
Prozessdimension und Verbreitung
Kriminalität ist im Sinne unserer bisherigen Ausführungen nicht einfach gege-
ben. Insbesondere ist sie nicht eine bloße – ggf. Schaden oder Leid verursachende
– Handlung, sondern, wie Becker (1973) beschrieben hatte, eine Folge der Zu-
schreibung besonderer Handlungs- und Personqualitäten. Damit Kriminalität dau-
erhaft etabliert und zu informellen oder formellen Sanktionen führen kann, müs-
sen Handlungen mit Bedeutungen versehen und diese in besonderer Weise be-
glaubigt werden, während ein Fokus auf eine bloße Handlung diesen Prozess und
die Entscheidungen, die auf der Reise von verschiedenen Akteur*innen getroffen
werden, „verschleiern“ (Bal 2016, S. 26) würde. Es zeigt sich eine performative
Bedeutungsproduktion: Kriminalität wird von unterschiedlichen Akteur*innen
in unterschiedlichen Zusammenhängen in unterschiedlicher Weise genutzt. Eine
diesbezüglich wichtige Unterscheidung differenziert rechtliche Bestimmungen
von tatsächlichen Rechtsanwendungen (Lacey und Zedner 2023). So liegt Krimi-
nalität einerseits in Vorgaben vor, wie sie in formellen und materiellen rechtlichen
Bestimmungen sichtbar werden. Etwa richterliche Entscheidungen müssen diesen
entsprechen und sich durch sie legitimieren. Kriminalität präsentiert sich hier als
verfestigte Realität. Andererseits ist Kriminalität gebunden an Personen und Insti-
tutionen, in und zwischen denen sie je unterschiedlich aufgegriffen und ausgedeu-
tet wird. Besondere Relevanz kommt in diesen Übergangsprozessen gemäß Best
(2001, S. 11) sog. „adopters“ zu, also Akteur*innen, die Konzepte aufgreifen,
in ihre jeweiligen Wirkungszusammenhänge einspeisen und bearbeiten. Dabei
kommt es zu selektiven Eigenleistungen. Adopter können, „to some degree, pick
and choose among the available characteristics presented in various claims, adop-
ting some and ignoring others” (Best 2001, S. 9 f.). Selbst bei gerichtlichen Ent-
scheidungen kommen – unabhängig von der Frage, ob sie ‚richtig‘ sein mögen
oder nicht (Eberle 2021) – Einflüsse zum Tragen, die außerhalb rein rechtlicher
Bestimmung liegen, bspw. Medieneinflüsse, Organisationslogiken, lange etab-
lierte Entscheidungsgewohnheiten, stereotype Vorstellungen etc. (Garfinkel 1967,
104 ff.; Lacey und Zedner 2023, S. 55). Ein einschlägiges Beispiel gibt Martha
Komter (2012, 2019). Sie analysiert im Rahmen des niederländischen Rechts-
systems, „how a suspect’s statement travels through two stages of the criminal
law process: the police interrogation and the trial” (Komter 2012, S. 731). Ihre
165Wie Kriminalität ‚reist‘
konversationsanalytische Untersuchung belegt im Detail, dass auf der Reise zwi-
schen polizeilicher Vernehmung, deren Übertragung in entsprechende Textdoku-
mente sowie der auf diesen aufbauenden Gerichtsverhandlung markante Verän-
derungen dessen sichtbar werden, was von der angeklagten Person gesagt wurde,
und dem, was als Repräsentation von Tathergängen festgelegt und weiter verwen-
det wird. Diese – für die Angeklagten mitunter folgenschweren – Transformatio-
nen sind nicht, wie man möglicherweise annehmen könnte, einzig oder vorran-
gig auf die Unterschiedlichkeit von gesprochenem und geschriebenem Wort zu-
rückzuführen. Aussagen gehen nicht gleichsam von sich aus lost in translation.
Vielmehr tragen diese Wandlungen regelhafte Züge in sich: Sie verweisen auf
mannigfaltige, situierte „epistemische Praktiken“ (Bergmann 2014, S. 424), mit-
tels derer aus dem Gesagten ein ‚Fall‘ von Kriminalität gemacht wird, der in der
Folge institutionell bearbeitet werden kann. Als wesentlich sind dabei Prozesse
der Entextualisierung zu erachten. Gemeint ist dies: Diskursabschnitte werden
aus ihrem originären Entstehungszusammenhang (z. B. der Vernehmung) heraus-
gelöst und in eine neue, auch in anderen Zusammenhängen (z. B. vor Gericht) als
akzeptabel geltende Einheit (z. B. eines Polizeiberichts) umgewandelt. In dieser
Form fungieren etwa Polizeiberichte als „‚self-explicating documents‘“ (Komter
2019, S. 21), die ihren Nutzer*innen implizite Instruktionen an die Hand geben,
wie sie zu lesen und auszudeuten sind. Durchzogen ist dieser Vorgang von steti-
gen De- und Re-Kontextualisierungen (Komter 2012; s.a. Neumann und Nünning
2012, S. 14 f.), in denen Äußerungen u. a. durch rechtliche Vorgaben, technische
Gegebenheiten sowie spezifische Befragungsstile (Monolog- vs. Frage-Ant-
wort-Stil; Komter 2019) zu etwas geformt werden, das bisweilen nur noch wenig
Gemeinsamkeiten mit dem ursprünglich Gesagten aufweist. Markierungen von
(strafrechtlicher) Bedeutsamkeit finden sich dabei selbst in ‚scheinbar unschein-
baren‘ Sachverhalten, etwa in der Frage, welcher Teil einer mündlichen Aussage
von der bzw. dem protokollierenden Polizist*in wann und in welcher Weise ver-
schriftlicht wird. Im Abgleich zwischen Tonaufnahmen und Transkription sicht-
bar werdende Auslassungen weisen darauf hin, was von der übersetzenden Person
(als Stellvertreter*in einer Institution) in Antizipation des zukünftigen Dokumen-
tengebrauchs als strafrechtlich relevant erachtet wird – und was wiederum nicht.
Angesichts dessen ließe sich pointiert formuliert festhalten, dass sich der Produk-
tionsprozess auch selbst in die vermeintlich ermittelte Kriminalitätswirklichkeit
einschreibt.
Auf der Reise zwischen verschiedenen Personen, Institutionen und über Zei-
ten hinweg werden dadurch fortlaufend neue Bedeutungen generiert, während
sich andere wiederum verlaufen, ablegt oder negiert werden, sodass sukzes-
sive die spezifische Realität eines Falles konstituiert wird. Eine auf diese Weise
166 B. Dollinger et al.
zirkulierende ‚Kriminalität‘ trifft dabei an den ‚Ankunftsorten‘ von Reisen auf
jeweils bereits bestehende, aber womöglich gegenläufige Annahmen darüber,
wie ein Fall zu verstehen und zu deuten und damit auch (nicht) zu bearbeiten ist
(Neumann und Nünning 2012, S. 2 f.).6
Epistemische Konkurrenz
Geht man davon aus, dass hier regelhaft Akteur*innen aufeinandertreffen, die in
differierende Wissenskulturen eingebunden sind, ist von einer je spezifisch ver-
fassten Konstitution von Wirklichkeit auszugehen, in der die Beteiligten „are li-
kely to transform concepts according to very particular intellectual, epistemolo-
gical, political and historical requirements“ (Neumann und Nünning 2012, S. 9).
Dies bedingt, dass (potenziell) divergente Kriminalitätsdeutungen verhandelt
und Einigungen darüber erzielt werden müssen, welche dieser Bedeutungen zu-
treffend sind und ggf. welche spezifischen Sanktionen – seien sie eher helfender
und/oder strafender Art – angewandt werden sollen. Vor diesem Hintergrund er-
fährt die Frage, „whose view is the more significant or more authoritative with
respect to the matter at hand“ (Heritage und Raymond 2005, S. 15) besondere
Bedeutung. Wenngleich diverse (situierte) Möglichkeiten existieren, kommu-
nikativ einen ‚Fuß in die Tür‘ zu bekommen, also das eigene Verständnis eines
Sachverhalts gegenüber Anderen zu stärken und so an epistemischer Autorität zu
gewinnen, zeigt sich zugleich, dass dies im Kontext von Kriminalität besonderen
Bedingungen unterliegt.
Dies lässt sich am Beispiel der Jugendgerichtshilfe bzw. der Mitwirkung der
Jugendhilfe in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz verdeutlichen. Sie agiert
an einer jener Schnittstellen, an denen Akteur*innen der Sozialpädagogik und der
Strafjustiz mit ihren je „spezifischen Logiken und Konsequenzen“ (Müller 1993,
S. 225) aufeinandertreffen. Folgt man einem in der sozialpädagogischen Litera-
6 Hinsichtlich einer Wissenssoziologie sozialer Probleme hebt bereits Michael Schetsche
(2000, S. 123) die Bedeutung derartiger Prozesse hervor, wenn er vermutet, „[…] daß
Wissen von der jeweiligen Sinnprovinz, in der es entstanden ist bzw. zu der es gehört, in
spezifischer Weise präformiert wird und daß beim Übergang von der einen Sinnprovinz
zur anderen Anpassungsprozesse notwendig sind“. Darauf aufbauend erkennt er eine der
vorrangigsten Aufgaben der Wissenssoziologie darin, „Veränderungen im Wissen zu unter-
suchen, die sich aus dem Übergang zwischen den verschiedenen Sinnprovinzen ergeben“
(Schetsche 2000, FN 145).
167Wie Kriminalität ‚reist‘
tur gängigen Sprachbild, sind Professionelle der Sozialen Arbeit mit einem ihnen
eigenen ‚sozialpädagogischen Blick‘ ausgestattet, der „zwischen ‚Feld- und Bil-
dungsbezug‘, zwischen Subjekt- und Strukturperspektive, zwischen institutionel-
len und personellen Aspekten seinen Horizont entwickelt“ (Thole 2012, S. 46).
Gemäß dieser Programmatik werden Problemlagen der Adressat*innen, etwa die
Begehung von Straftaten, als durch ungünstige und/oder benachteiligende Le-
benssituationen begründete Phänomene erachtet, auf die Soziale Arbeit kompen-
satorisch einwirken könne, indem sie psychosoziale Ressourcen vermittelt, berät,
begleitet etc. Im Kontext der Jugendgerichtshilfe soll sich dies in einer anwalt-
schaftlichen Tätigkeit dokumentieren, mithilfe derer die Belange junger Men-
schen zur Geltung gebracht und in einer Weise auf das Gericht eingewirkt wer-
den soll, dass der Sachverhalt vorrangig als Erziehungsproblem interpretiert und
damit womöglich nachsichtiger bewertet wird. Mit dieser Deutungsanlage steht
sie, zumindest programmatisch, in Konkurrenz zu polizeilichen und justiziellen
Wahrnehmungsstrukturen, in denen die Problemverantwortung eher auf das in-
tentionale Handeln einer Person attribuiert wird (zur Polizei entsprechend Derin
und Singelnstein 2022, S. 54). Wiewohl Akteur*innen der Kriminaljustiz zwar
gleichermaßen von Erziehung sprechen – dies vorrangig begrenzt auf Erziehung
als Mittel der Förderung von Legalbewährung (gem. § 2 Abs. 1 JGG) –, so kons-
tituiert den vorrangigen Bezugspunkt für sie jedoch die Normverletzung, der mit
Kontroll- und Strafansprüchen zu begegnen ist. Vergegenwärtigt man sich darüber
hinaus, dass die Sozialpädagogik ein eher unterdurchschnittliches professionelles
Prestige aufweist – sie bewege sich, so Müller (1993), „im Souterrain der Justiz“
–, ist davon auszugehen, dass in auf Zusammenarbeit ausgelegten Arrangements
sozialpädagogische Kriminalitätsdeutungen unter Umständen eher schwierig
durchsetzbar sein könnten (so auch Karolczak 2015).
Reisen sind in diesem Sinne nicht ‚unbeschwert‘. Es gibt unterschiedliche
Startbedingungen und Chancen, die jeweiligen Ziele zu erreichen. Dies nach-
zuzeichnen, macht genaue Analysen notwendig, denn in jedem Einzelfall muss
begründet werden, dass spezifische Wissensformen zutreffend und anderen über-
legen sind. Aus pauschalen Urteilen über die Dominanz einzelner Institutionen
lässt sich nicht folgern, wie Reisen in konkreten, oftmals komplexen Fällen mög-
lich gemacht wird – ebenso wenig, wie aus abstrakten rechtlichen Bestimmun-
gen (,law in the books‘) auf die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall (,law
in action‘) geschlossen werden kann (Dupret 2016). Sofern Personen ein Inter-
esse daran haben, ihre Sicht der Dinge durchzusetzen – was bei Kriminalität oft-
mals der Fall sein dürfte, entweder da Personen von Entscheidungen betroffen
sind oder qua ihres Amtes –, so ist empirisch im Detail den jeweiligen epistemi-
schen Praktiken nachzugehen, mit denen „Über- oder Unterlegenheit“ (Messmer
168 B. Dollinger et al.
2023, S. 61) hergestellt und damit Reisen als Befestigung spezifischer Krimina-
litätsbedeutungen ermöglicht wird. Reisen erfolgt bei Kriminalität in Auseinan-
dersetzung mit sowie in Abgrenzung von konkurrierenden Akteur*innen und ist
grundlegend mit der Hervorbringung, Aufrechterhaltung und Verteidigung episte-
mischer Autorität assoziiert.
Ein theoretischer und methodologischer Fokus, der sich für derartige Analysen
besonders eignet, ist aus unserer Sicht eine narrative Herangehensweise, denn Nar-
rationen sind konstitutiv darauf angelegt, Plausibilität zu vermitteln und zu über-
zeugen (u. a. Sukalla 2019). Dies erfolgt oftmals im Konflikt, denn nicht selten
gibt es Geschichten und Gegen-Geschichten (Althoff et al. 2020) oder auch, wie
Abbott (2010) dies nennt, Narrationen, die mit „shadow stories“ ringen. Mit letz-
terem bezeichnet Abbott Erzählungen, die nicht einmal zwingend vollständig sein
müssen, um narrative Lücken zu füllen, Zweifel an Sachverhaltsdarstellungen zu
säen und alternative Deutungsmöglichkeiten aufzumachen und zu etablieren. Das
Reisen von Kriminalität nachzuvollziehen impliziert, diese zumindest möglichen
Konflikte anzuerkennen, denn Reisen erfolgt oftmals nicht unilinear und kon-
sensuell; vielmehr handelt es sich um einen empirisch nachzuzeichnenden „mul-
tilayered, complex and conflictual process which generates difference and defies
tendencies towards homogenisation and universalisation“ (Neumann und Nünning
2012, S. 7). Gerade Kriminalität ist von Differenz und Konflikten geprägt. Und
dennoch, und dies macht sie als Forschungsgegenstand für Reise-Forschende be-
sonders spannend, wird Konsens hergestellt und durchgesetzt: Durch die Etablie-
rung spezifischer Geschichten und die Delegitimierung von Gegen-Geschichten
werden spezifische Fälle narrativ hervorgebracht. Mit besonderen Geschichten zu
Kriminalität und ihrer jeweils kontextabhängigen Beglaubigung wird ihr eine –
wenn auch z. T. nur temporäre und widerlegbare – ‚gültige‘ Bedeutung gegeben.
So ‚ist‘ Jugendgewalt in einem Fall bspw. eine Frage defizitärer Erziehungsleistun-
gen, die eher milde Nacherziehung verlangt, in einem anderen hingegen eine Frage
individueller Böswilligkeit, auf die mit ‚Härte‘ geantwortet werden soll. So ‚ist‘
Drogenkonsum eine illegale Handlung oder Privatsache, eine Abtreibung kriminell
oder nicht. Die Aufzählung ließe sich nahezu endlos verlängern.
Fazit
Die vorausgehenden Ausführungen sollten deutlich machen, dass Kriminalität
stets ‚reist‘. Sie als „travelling concept“ zu fassen, ist mithin keine Einpassung
in eine nur mehr oder weniger adäquate metaphorische Umschreibung, sondern
169Wie Kriminalität ‚reist‘
Kriminalität wird als anschlussfähige Realität konstituiert, indem sie durch Zeit
und Raum ‚reist‘. Dies wird vorrangig durch institutionelle Zusammenhänge vor-
angetrieben und durch mediale Vermittlungen prozessiert, die ihren Niederschlag
in materialisierten Gehalten dessen finden, was als Kriminalität bestimmt wird.
Ein wesentlicher Grund, weshalb diese prozessuale Dimension oftmals nicht ge-
sehen wird bzw. bislang nicht umfassend ausgearbeitet wurde, dürfte darin liegen,
dass ein putativ eindeutiger, immobiler Zustand von Kriminalität letztlich jenen
Institutionen entspricht, die spezifische Bedeutungen festzuschreiben suchen.7
So ‚ist‘ Kriminalität zuletzt, was ein Gericht als solches bestimmt, während die
Tatsache, dass bis zu einem Urteil vielfältige Formen der Aushandlung von In-
teressen, Wahrheiten und Strategien der Fall- und Selbstdarstellung vollzogen
werden müssen, hinter den Anschein zurücktritt, in einem Urteil würde lediglich
die Realität eines Falles zur Sprache gebracht. Am Ende einer Verhandlung steht
für die Richter*innen, trotz aller Überzeugungsarbeit und notwendiger Aushand-
lungen, „the certainty of their verdict“ (Komter 1998, S. 133). Dies gilt nicht nur
für das Gericht: Auch die Kriminalpolitik dürfte es sich kaum leisten können, die
Kontingenz und Perspektivität der Definition von Kriminalität allzu deutlich wer-
den zu lassen, und selbst im Fernsehkrimi und im Kriminalroman wäre es für Zu-
schauende und Lesende ggf. wenig überzeugend, wenn am Ende gänzlich unklar
bliebe, ob tatsächlich die richtige Person für ein Delikt verhaftet und verurteilt
wird.8 Ein Fokus auf „travelling“ macht im Gegenzug zu dieser Fixierungsarbeit
die komplexen Prozesse sichtbar, die notwendig sind, bis eine Bedeutung zumin-
dest vorübergehend stabilisiert werden kann – eine Bedeutung, die oftmals beson-
deres ‚Gepäck‘ vor Augen führt, da Kriminalität institutionell typisiert und mit
Zuschreibungen aufgeladen wird, die neben rechtlichen auch weitere, insbeson-
dere mit sozialen Differenzkategorien (wie Gender, Ethnizität etc.) verwobene
Implikationen enthalten.
7 In (selbst-)reflexiver Weise ließe sich dies auch auf (bestimmte) Analysen von Kriminali-
tät beziehen, zumindest sofern sie daran interessiert sind, die Ursachen, Beweggründe oder
das Vorkommen strafrechtlich relevanter Handlungen zu erschließen.
8 Fiktionale Formen der Auseinandersetzungen mit Kriminalität, wie TV-Serien, Literatur,
Comics, Computerspiele usw., setzen genau hier an: Sie können die von Komter genannte
gerichtliche Sicherheit über die Korrektheit von Urteilen unterstützen und für die Akzep-
tanz gängiger Kriminalitätskonstruktionen werben, diese aber auch unterwandern, indem
sie die einzelnen Interessen, Wahrheiten und Strategien anders als die in den Prozess in-
volvierten institutionalisierten Akteur*innen bewerten. Darin liegt ihre besondere Vermitt-
lungsfunktion, und das macht sie zu einer wichtigen Instanz für das „travelling concept“
von Kriminalität. Ohnehin arbeiten verschiedene (auch als ‚postmodern‘ bezeichnete) Au-
tor*innen und Regisseur*innen mit Vexierspielen der Kontingenz.
170 B. Dollinger et al.
Popitz (1968) hatte in einem klassischen Vortrag eine „Präventivwirkung des
Nichtwissens“ diagnostiziert; es sei für die dauerhafte Existenz von Normgeltun-
gen konstitutiv, dass nicht bekannt wird, wie häufig die betreffenden Normen un-
terlaufen werden. Man kann diesen Gedanken weiterführen zu der Aussage, dass
die Darstellung einer Kriminalitätswirklichkeit oftmals davon zehrt, dass ihr Zu-
standekommen kaum sichtbar ist, und hier liegt das besondere Potenzial, Krimi-
nalität als „travelling concept“ zu beschreiben und zu analysieren.
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Book
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Auf welches Wissen stützt sich die Praxis Sozialer Arbeit? In welchen Situationen wird welches Wissen von wem (gegenüber wem) expliziert? Mit welchen Absichten? Mit welchen Folgen? Was lässt sich daran erkennen und daraus schließen? Dieses Buch beleuchtet den Wissensgebrauch Sozialer Arbeit aus Sicht der ethnomethodologischen Konversationsanalyse. Gestützt auf einen umfangreichen Datenkorpus von Hilfeplangesprächen zeigt Heinz Messmer, wie Professionelle in der direkten Interaktion mit Betroffenen (Kindern, Heranwachsenden und Eltern) Wissen generieren, wie dieses Wissen im Gespräch prozessiert, wie und mit welchen Absichten es gültig gemacht wird und welche Schlüsse sich daraus ergeben. Die vorliegende Untersuchung ist insofern ein (ambitioniertes) Plädoyer für eine Theorie Sozialer Arbeit wie sie ist, nicht wie wir sie wünschen. Sie zeigt, wie Wissen in und mit den realen Prozessen institutioneller Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen interagiert, wie und mit welchen Absichten es eingeführt, wie es prozessiert und gültig gemacht wird und nicht zuletzt: wie es sich selbstbezüglich immunisiert. In einem weiterführenden Sinne ist es eine Studie, die Auskunft darüber vermittelt, wie eine Organisation ihre Umwelten so gestaltet und interaktiv reinszeniert, damit sie diese nach Maßgabe ihren Aufgaben und Zwecksetzungen in die intendierte Richtung bearbeiten kann. Und nicht zuletzt ist es eine Studie, die zeigt, wie institutionelle Aktivitäten und das ihnen zugrundeliegende Wissen mit allgemeinen Sinnschematismen sozialer Wirklichkeitsproduktion korrespondieren.
Chapter
Full-text available
This chapter aims to address the scant attention that has been paid to time and temporalities in re-entry and re/integration research. Drawing on data from the ‘Distant Voices—Coming Home’ project, which used creative methods to explore re/integration after punishment—we illustrate and analyse three ‘travails’ of penal time. We use the term travails here to stress the significant, difficult and active work involved in addressing these temporal challenges. Respectively, these travails concern the struggles caused by ‘de-synchrony’ between time inside and outside of prison and the problems of ‘re-synchrony’ that it creates; the contestation of ‘readiness’ for progression and release; and the problem of living with the paradox of ‘enduring temporariness’. In our conclusion, we argue that tackling these three challenges requires people re-entering society to travel not just through spaces and to places but also through time, both backwards and forwards. These journeys are fraught with both difficulty and danger.
Article
Following in the tradition of the Clarendon Law Series, Criminal Justice is an extended essay on the core concepts, structures, and processes of the criminal justice system. The book prefers theoretical reflection above detailed description and favours provocative questions over simple answers. Its primary aim is to stimulate students of criminal justice to think critically about what they have learned. Criminal Justice challenges conventional understanding of crime, criminal justice and punishment by revealing their meanings to be open to multiple interpretations. It explores the historical contingency and cultural specificity of the institutions and practices of criminal justice. And it considers the many, often conflicting, roles fulfilled by the various players in the criminal process. In so doing, it reveals criminal justice to be more diverse and its purposes more contested than conventional accounts allow. The book concludes by examining radical changes in crime control and the pursuit of security and considering their import for criminal justice as we know it.
Chapter
This chapter examines the relationship between legal and criminological constructions of crime and explores how these have changed over time. The chapter sets out the conceptual framework of criminalization within which the two dominant constructions of crime—legal and criminological—are situated. It considers their respective contributions and the close relationship between criminal law and criminal justice. Using the framework of criminalization, the chapter considers the historical contingency of crime by examining its development over the past 300 years. It analyses the normative building blocks of contemporary criminal law to explain how crime is constructed in England and Wales today and it explores some of the most important recent developments in formal criminalization in England and Wales, not least the shifting boundaries and striking expansion of criminal liability. Finally, it considers the valuable contributions made by criminology to understanding the scope of, and limits on, criminalization.
Chapter
The aim of this chapter is to analyse and discuss how time is organised, performed and perceived during prison transportations. The staff members responsible for prison transport are in focus. Our study, conducted in Sweden, included two days of field work at the national planning centre, ten days of field work in transports and 14 individual interviews with transporters. Drawing on concepts developed by Lefebvre (2011), we analyse the narratives of transporters on how time is planned, lived and experienced and show the contrast between the three aspects of time. We discuss planned time and how time governs the actions taken. We elaborate on how time is lived, where stories are told of the event and how the plan is dealt with. Finally, we outline how time is experienced and highlight interpersonal and emotional aspects.