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„Investment Screenings“ in der Permakrise
Grenz en und Widersprüch e des g eoökonomisi erten St aatsint erventionis mus
Oliver Prausmüller
Zusammenfassung
Der Beitrag verknüp aktuelle Diskussionen zu Deglobalisierung und Geoökonomisierung
mit der erheblichen Aufwertung staatlicher Kontrollinstrumente gegenüber ausländischen
Direktinvestitionen. Immer mehr Regierungen zeigen eine erhöhte Wachsamkeit dafür, Auf-
käufe in kritischen Bereichen wie etwa Verkehrsinfrastruktur, Telekommunikation oder zuletzt
auch im Gesundheitswesen besser kontrollieren zu können. Zugleich zeigt sich, dass die derzeit
stark anzutreende Versicherheitlichung von Investitionskontrollen das Abschirmen wirtschas-
politischer Entscheidungen von öentlichen Interessen fördert. Der Beitrag arbeitet die Wider-
sprüche des neu entdeckten außenwirtschalichen Staatsinterventionismus und seiner Ein-
bettung in marktzentrierte Rahmenwerke des neuen Konstitutionalismus heraus.
Einleitung
Die internationale politische Ökonomie befindet sich – so die wiederkehrende Diag-
nose – in einem Zustand der Dauerkrise: Diese „Permakrise“ war zuletzt durch die enge
Abfolge der COVID--Krise und des Kriegs in der Ukraine geprägt. Jüngste Erfahrungen
mit unterbrochenen Lieferketten, dem multilateralen Organversagen im globalen Kon-
kurrenzkampf um Impfstoe oder auch den fossilen Abhängigkeiten gegenüber Russ-
land geben Zeugnis davon. In diesem Krisenpanoptikum haben Diskussionen über
eine Geoökonomisierung und Deglobalisierung globaler Handels- und Investitions-
beziehungen neuerlich stark Fahrt aufgenommen. Vieles dreht sich darin um einen
geänderten Blickwinkel auf außenwirtschaliche Interdependenzen und die zurück-
liegende Ära der Liberalisierung. So ist es gegenwärtig kaum mehr möglich, die damit
einhergehenden Risiken – wie etwa erhöhte Abhängigkeit und Vulnerabilität – im
außenwirtschalichen Diskurs auszublenden.
Die Neuentdeckung des staatlichen Interventionismus im Rahmen grüner Industrie-
politik und die verschären Rivalitäten in der Triade USA-China-EU haben diese Ab-
setzbewegung von zentralen Pfeilern der liberalen Weltwirtschasordnung zusätzlich
befeuert. Vor diesem Hintergrund widmet sich dieser Beitrag den Implikationen, die
diese Verschiebungen für die Entwicklung sog. „Investment Screenings“ haben. Diese
sind für immer mehr Regierungen das außenwirtschaliche Schutzinstrument der ers-
ten Wahl, wenn es um die Kontrolle von ausländischen Direktinvestitionen in strate-
gisch wichtigen Bereichen geht (z. B. kritische Infrastruktur, Technologien, Ressourcen).
Prominentere Diskussionen zu Investitionskontrollen waren zuletzt beispielsweise im
deutschsprachigen Raum rund um den Hafen Hamburg oder den Flughafen Wien
anzutreen (Gepp , Twickel ).
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Für eine Reflexion auf die Entwicklung von Investitionskontrollen in der Permakri-
se geht der Beitrag wie folgt vor: Der erste Schritt widmet sich hinführend zentralen
Debattenmotiven aus der Deglobalisierungs- und Geoökonomisierungs-Diskussion.
Diese betreen insbesondere die neu entdeckte Rolle des Staates im Akkumulations-
prozess und den damit verbundenen vermehrten Einsatz strategischer außenwirtschas-
politischer Instrumente (). Darauf folgt eine Verortung des aktuellen Momentums von
„Investment Screenings“: Diese betri zum einen zentrale Muster des gegenwärtigen
Entwicklungstrends und das dominante institutionell-rechtliche Design von Investiti-
onskontrollen. Zum anderen wird dieses Momentum mit aktuellen Einordnungen der
krisenhaen Umbrüche in der Internationalen Politischen Ökonomie verzahnt und
mit den Engführungen neoliberal geprägter, neu konstitutionalistischer Außenwirt-
schaspolitik konfrontiert (). Auf dieser Basis führt der abschließende Teil die am
Beispiel der Entwicklung von Investitionskontrollen veranschaulichten Grenzen und
Widersprüchen des geoökonomisierten Staatsinterventionismus zusammen. Dies ist die
Grundlage dafür, abschließend einen Ausblick auf aktuelle Auseinandersetzungen zur
außenwirtschalichen Bearbeitung der Permakrise zu geben ().
Von der Permakrise zur strategischen Deglobalisierung „by design“?
Die starke Konjunktur der Rede von „aktiver Industriepolitik“, „strategischer Autonomie“
oder „Resilienz“ soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie konfliktiv die dahinter laufen-
den Suchprozesse nach Alternativen zu einer vornehmlich marktschaenden Rolle
staatlicher Politiken sind. Das Projekt einer neoliberalisierten, wettbewerbsstaatlich-de-
regulativ vermittelten Globalisierung hat selbst in vormaligen Zentren wie den USA
oenbar ausgedient. Doch was folgt nach? Eine vornehmlich von geoökonomischen
und „versicherheitlichten“ Logiken getriebene Form der Deglobalisierung? Hält in die-
sem Fall der Befund aus einem zentralen Strang des „Geoökonomie“ -Diskurs, dass sich
vornehmlich geopolitische bis militärische Konflikte zunehmend in die ökonomische
Austragungsarena verschieben? (früh dazu: Luttwak , zum aktuellen Überblick:
Babić/et al. ). Welche Überlappungen zeigen sich mit anderen Treibern der Perma-
krise (von Klimakrise bis zur zunehmenden sozialen Polarisierung)? Und welche Stra-
tegien, Varianten des „Non-Decision-Making“ und (Selbst)Blockaden orientieren die
Bearbeitung der kulminierten Widersprüche zwischen aktuellen Versuchen eines außen-
wirtschalichen „Derisking“ und fortlebenden neoliberalen Pfadabhängigkeiten?
Überwiegt staatlicher „Notpragmatismus“ (Urban ), der mit seinem vornehm-
lich reaktiven, pfadabhängigen Modus in der Permakrise zu Formen einer Deglobali-
sierung „by disaster“ beiträgt? (z. B. infolge vermehrt auretender gewaltförmiger Eska-
lation und geopolitischer Blockbildungen, der Zunahme von katastrophischen Ereig-
nissen im Zuge der Klimakrise oder auch erhöhter Risiken für disruptive
Desintegration und Handelskriege). Oder nimmt das zu, was Stefan Schmalz bislang
eher nur vereinzelt in diesen kulminierten Ausnahmesituationen festmacht: Stärker
strategisch, selektiv ausgerichtete Formen einer Deglobalisierung „by design“, die von
bewusster Strategieentwicklung und proaktiven Regulierungsversuchen getragen sind
(Schmalz ).
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Das verweist zugleich auf Analysen, die in laufenden Krisenpolitiken durchaus eine
Bewegung weg von „ad hocery“ (im Sinne notpragmatischer Eingrie auf kurze Sicht)
hin zu einem grundlegend verschobenen Beziehungsmuster in den Staat-Markt-Verhält-
nissen ausmachen. So heben etwa van Apeldoorn/de Graa die wichtigen Verstärker-
eekte hervor, die zuletzt von der COVID--Krise für eine längerfristig, strategisch
angelegte Rolle des Staates im kapitalistischen Akkumulationsprozess ausgegangen sind
(van Apeldoorn/de Graa ). Während sich beispielsweise die staatlichen Interven-
tionen im Zuge der Finanzkrise f. nicht in dauerhae Verschiebungen übersetzt
hätten, kommen sie gegenwärtig zu diesem (vorläufigen) Ergebnis: „the market-direc-
ting role of the state is getting more prominently to the fore within the global economy
generally (…) Within what is still global capitalism, the state is taking up a much more
active role in steering global markets, or their own market within it“ (ebd.: ). Die
Vo r z e i c h e n st e h e n a l s o a u f e i ne s t ä r k e r m a r k t l e n ke n d e O r i e n t i e r u n g s t a a t l i c he r P o l i t i k en ,
die immer mehr Spannungen zwischen aktiv staatlich vorangetriebenen, missions-
orientierten Transformationsprojekten (wie etwa in der Industriepolitik) und den eta-
blierten, stark neoliberal geprägten Regelwerken des globalen Freihandels- und Inves-
titionsregime erzeugt.
Sowohl für die Versuche einer Deglobalisierung „by design“ als auch für die Neu-
entdeckung aktiv angeleiteter Markt-Staat-Verhältnisse bilden folglich außenwirtschas-
politische Strategieprozesse zur Restrukturierung oensiver und defensiver Interessen
ein wichtiges Reflexionsmaterial. Diese laufen beispielsweise im EU-Kontext prominent
unter dem Titel „strategische Autonomie“ zusammen. Darüber hinaus ist weltweit neu-
es wirtschaspolitisches Vokabular in Umlauf, das sich beispielsweise um Begrie wie
weltwirtschaliche „Fragmentierung“ in den Bereichen Handel, Investitionen und Fi-
nanzen oder auch unterschiedliche Grade des „Derisking“ und „Decoupling“ in den
Außenwirtschasbeziehungen dreht (vgl. UNCTAD a, IMF ). Für die weitere
Einordnung dieser Entwicklungsdynamiken gewinnt somit die Frage nach den Mög-
lichkeiten, Widersprüchen und Grenzen gegenwärtig neu justierter außenwirtscha-
licher Schutzinstrumente nochmals an Relevanz.
Ein wichtiger Kreuzungspunkt dieser Diskussion ist die neue Wachsamkeit gegenüber
ausländischen Direktinvestitionen in kritischen Wirtschasbereichen, die sich auf die
Frage „Wer kau sich da eigentlich ein?“ zuspitzen lässt (Mayr/Prausmüller ). Diese
ist nicht nur in ihrem ökonomischen Kern angesichts stark transnationalisierter Kapital-
verkettungen und Eigentumskonstruktionen o schwer zu beantworten. Diese Frage
bewegt sich zudem durch eine Art juristisch-institutionelles Sperrgebiet, da umfassende
Beschränkungsverbote für ausländische Direktinvestitionen und Kapitalverkehrslibera-
lisierungen einen wesentlichen Teil der sog. „goldenen Zwangsjacke“ (Friedman )
ausmachen. Zugespitzt ausgedrückt: Die Jacke wird in den seltensten Fällen einfach „frei
Hand“ abgelegt. Auch in diesem Zusammenhang treen gezielte Maßnahmen für eine
Deglobalisierung „by design“ auf eine Reihe von rechtlichen Restriktionen und strate-
gischen Erwägungen, wenn es um eine Abkehr von Regelwerken disziplinierender Neo-
liberalisierung geht (Gill ). Es besteht somit ein erhebliches Spannungsfeld zwischen
Domänen der Hyperglobalisierung in den letzten Dekaden (wie z. B. der internationalen
Kapitalverkehrsfreiheit) und fortlaufenden politischen Versuchen, staatliche Handlungs-
fähigkeit in einer Reihe von kritischen Schlüsselbereichen wieder herzustellen (z. B. kri-
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tische Infrastrukturen, Technologie, Ressourcen). In diesem Zusammenhang gelten sog.
„Investment Screenings“ (zu Dt. meist: „Investitionsprüfungen“ und/oder „Investitions-
kontrollen“) in immer mehr Staaten als Instrumente der Wahl, wenn es um die Über-
prüarkeit bis Abwehr von strittigen Auäufen in kritischen Bereichen wie etwa Häfen,
Robotik, Energieinfrastruktur oder auch Pharmaproduzenten geht. Der folgende Ab-
schnitt widmet sich daher den damit einhergehenden Entwicklungstrends und der Ein-
ordnung dieses neuen Momentums von „Investment Screenings“ im Feld der Interna-
tionalen Politischen Ökonomie.
Investitionskontrollen in der Krise: Entwicklungsmuster und Widersprüche
Für die Vertiefung der laufenden Deglobalisierungs-Diskussion ist es zweckdienlich,
unterschiedliche Dimensionen einzubeziehen. Das wird nicht nur vorgeschlagen, um
aktuelle Verschiebungen analytisch und empirisch konkreter greiar zu machen – näm-
lich ob und wie Deglobalisierungsprozesse in unterschiedlichen Bereichen wie z. B.
Handel, Finanzmärkte oder Investitionen stattfinden. Darüber hinaus können damit
im nächsten Schritt die Wechselwirkungen zwischen diesen unterschiedlichen Berei-
chen, aber auch die Beziehungen zwischen Mikro- und Makrodynamiken (wie z.B. die
Strategien einzelner Unternehmen im Verhältnis zum laufenden Sanktionsregime ge-
genüber Russland), stärker bestimmt werden (vgl. Schmalz : , Nölke ).
„Investment Screening Mechanisms“ (ISM) sind – so lässt sich in einer ersten Verortung
festhalten – vor allem an der Schnittstelle von ausländischen Direktinvestitionen und
internationalem Handel angesiedelt.
Sie tangieren zudem alle vier Dimensionen „strukturaler Macht“ in der Weltwirtscha:
Sicherheit, Produktion, Finanzen und Wissen (Strange ). Es geht also nicht nur dar-
um, ob z. B. ein Investor aus Land „A“ in Land „B“ aufgrund fehlender Schutzvorkehrun-
gen gegen dessen Willen etwa ein strategisch wichtiges High-Tech-Unternehmen auf-
kaufen kann (inklusive zugehöriger Vorbehalte z. B. gegenüber einem Technologieabfluss).
Darüber hinaus zeigen sich verschäre geoökonomische Auseinandersetzungen um die
Macht, „to shape and determine the structures of the global political economy within
which other states, their political institutions, their economic enterprises and (not least)
their scientists and other professional people have to operate“ (ebd.: ). Ob es um das
Ausbremsen bis Eindämmen von geoökonomischen Konkurrenten durch die Kontrolle
kritischer Komponenten in der Wertschöpfungskette (wie z. B. Halbleiter) oder den Ein-
fluss auf Knotenpunkte in der globalen Verkehrsinfrastruktur geht: Investment Screenings
werden hier nicht zuletzt in Stellung gebracht, um einem Kontrollverlust über entschei-
dende Spielanordnungen in der internationalen politischen Ökonomie vorzubeugen.
Diese strukturale Machtdimension von ISM zeigt sich besonders markant im Kontext der
USA. D iese h ab en nu n ihre Inv estitionsko nt roll -M echanismen ( ru nd u m de n sog. „ CFIUS“)
dahingehend nachgerüstet, verstärkt die Investitionstätigkeiten von US-Unternehmen in
bestimmten „bedenklichen“ Ländern unter Zugri zu bekommen (bislang findet sich
nur China inkl. Hongkong und Macau auf der Liste). Dieser erweiterte Fokus auf sog.
„outbound-investments“ im Namen der nationalen Sicherheit gilt folglich für als besonders
kritisch eingestue Bereiche wie z. B. Halbleiter, Mikroelektronik oder auch künstliche
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Intelligenz. Zuletzt hat zudem die EU in Aussicht gestellt, im Zuge der Überarbeitung
ihrer FDI-Screening Verordnung ebenfalls eine stärkere Extra-Territorialisierung von In-
vestitionskontrollen anzustreben. Künig sollen also nicht nur ausländische Direktinves-
titionen in der EU („inbound“), sondern auch vermehrt die Investitionstätigkeiten euro-
päischer Unternehmen außerhalb der EU („outbound“) in Prüfung genommen werden
(vgl. EK : , Bloomstein , Mayr/Prausmüller ). Diese Formen eines – in
seinem Geltungsanspruch auch territorial – erweiterten geoökonomisierten Staatsinter-
ventionismus verweisen auf eine starke Aufrüstungsbewegung von außenwirtschalichen
Regulierungstechniken, die bei weitem noch nicht ihren Zenit erreicht hat. Im verschärf-
ten geoökonomischen Konfliktgeschehen gewinnen somit ISM auch als Teil der Ausein-
andersetzungen um „weaponized interdependence“ nochmals an Relevanz (Drezner/et
al ). Darüber hinaus ist angesichts dieser strukturalen und erweiterten geoökonomi-
schen Machteinsätze eine Einstufung von ISM als ein „bloß“ defensives außenwirtscha-
liches Schutzinstrument immer weniger möglich.
Auf der operativen Ebene erönet dieses außenwirtschaliche Regulierungsinstru-
ment zugleich eine variable Bandbreite an Interventionsmöglichkeiten. Sie reichen von
staatlich angeordneten Genehmigungspflichten und Prüferfordernissen für bestimmte
Erwerbsvorgänge über deren Konditionalisierung (Genehmigung nur unter gezielten
Auflagen) bis hin zu den invasiveren Maßnahmen wie Untersagung oder Rückabwick-
lung des Geschäs. Investitionsprüfungen und -kontrollen greifen großteils in einer
frühen Phase des Erwerbsvorgangs, samt der zugehörigen Melde- und Genehmigungs-
pflichten sowie Prüfverfahren (in der sog. „pre-establishment“-Phase). Doch auch diese
Abgrenzung fällt zunehmend schwerer, da Regierungen sich vermehrt oenhalten, auch
„ex post“ nach Vertragsschluss eine Investitionsprüfung zu veranlassen (wenn z. B. Ge-
nehmigungspflichten verletzt wurden). Das gegenwärtige Momentum von Investitions-
prüfungen führt also nicht nur dazu, dass Staaten vermehrt ihre Frühwarnsysteme aus-
bauen und konkrete Maßstäbe für Kritikalität entwickeln müssen (Prausmüller :
f.). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass dem stärker de-liberalisierenden Impact
dieses Schutzinstruments auch weiterhin starke Interessen an einer sehr selektiven, vor
allem sicherheitlich beschränkten Anwendbarkeit von ISM gegenüberstehen.
Letzteres zeigt sich auch in dem derzeit vorherrschenden institutionell-rechtlichen
Design von ISM: Darin wird vorrangig auf versicherheitlichte Prüfmaßstäbe abgestellt
(wie etwa aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ oder einer Gefährdung von „Sicher-
heit und öentlicher Ordnung“). Unter rechtlichen Gesichtspunkten fällt hier nicht
zuletzt ins Gewicht, dass sich ein derartiges Design von ISM auf dafür bestehende Aus-
nahmegründe im – sonst in der Regel restriktiv und sehr liberalisierungsan ausge-
richteten – globalen Investitions- und Handelsregime berufen kann. Das führt beispiels-
weise dazu, dass die EU die diesbezügliche Vereinbarkeit ihrer FDI-Screening Verord-
nung mithin wie folgt begründet: „Gemäß den internationalen Verpflichtungen im
Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), der Organisation für wirtschaliche
Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Handels- und Investitionsabkommen, die
mit Drittstaaten geschlossen wurden, können die Union und die Mitgliedstaaten aus
Gründen der Sicherheit oder der öentlichen Ordnung unter bestimmten Vorausset-
zungen restriktive Maßnahmen im Zusammenhang mit ausländischen Direktinvesti-
tionen ergreifen“ (EU , Erwägungsgrund ).
Innerhalb dieses versicherheitlichten Horizonts haben ISM potentiell eine hohe
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Durchschlagskra (die z.B. die Möglichkeit zur Untersagung eines Erwerbsvorgangs
einschließt), können jedoch auch sehr graduell und zurückhaltend eingesetzt werden.
Diese Flexibilität düre auch begründen, warum Investment Screenings im gegebenen
Kontext das defensive außenwirtschaftliche Schutzinstrument der ersten Wahl sind,
wenn es um Zielkonflikte zwischen „weicheren“ und „härteren“ Kontrollmaßnahmen
sowie strategisch mehr oder weniger gezielt einsetzbaren Instrumenten zum Schutz
kritischer Wirtschas- und Gesellschasbereiche geht. Regierungen sind im Zuge der
Permakrise – so ein prominenter Diskussionsstrang in der Internationalen Politischen
Ökonomie – vermehrt in ihrer ökonomischen Staatskunst („economic statecra“) ge-
fordert. Diese schließt das genaue Kalibrieren ihrer Regulierungen für ausländische
Investitionen in einer Situation verschären strategischen Wettbewerbs ein (Aggarwal/
Reddie ). Diese führt zu einer Neuordnung von oensiven und defensiven Inter-
essen zu einer strategischen Investitions- und Handelspolitik, die Vor- und Nachteile
außenwirtschalicher Önung bewusster abwägt sowie Kontroll- und Handlungsfähig-
keit in kritischen Bereichen wie z. B. Infrastruktur, Technologie, Ressourcen (zurück)
zurückgewinnen will. Der dafür zur Verfügung stehende außenwirtschaspolitische
Werkzeugkasten ist in den letzten Jahren markant durch die Einführung und/oder das
Nachschärfen von ISM erweitert worden.
Es ist hier – trotz einer erst schrittweise verbesserten Datenlage – von mindestens
Staaten auszugehen, die mittlerweile über einen ISM verfügen. Im Zeitverlauf zeigt sich
ein gradueller Anstieg seit Mitter er-Jahre, der zuletzt in der COVID--Krise einen
markanten Ausschlag nach oben erfahren hat (vgl. Bauerle Danzmann/Meunier :;
UNCTAD b: ). Die Einführung bzw. Nachschärfung von ISM ist dabei vorwiegend
auf den OECD-Raum konzentriert. Insbesondere dort zeigt sich den letzten Jahren
ein stetiger Vormarsch. Dieser ist durch die starke Ausrichtung von Investitionsprüfun-
gen auf sicherheitsbasierte Konzepte gekennzeichnet (s. o.; wie etwa „national security“
oder im Falle der EU auf „Sicherheit und öentliche Ordnung“). Mittlerweile wird
davon ausgegangen, dass um die Prozent der globalen FDI-Flüsse potentiell unter
die Reichweite von ISM fallen (vgl. OECD : ; für einen aktualisierten Länderüber-
blick OECD ). Eines der besten verfügbaren Datasets („PRISM“) in diesem jungen
Forschungsbereich fokussiert räumlich auf die Entwicklung von ISM in der OECD und
zeitlich vom Jahr weg. Dieses Anfangsdatum wird als „high watermark of neoli-
beral economic integration“ eingezogen, bevor ab beispielsweise die globale Finanz-
und Wirtschaskrise, die Eurokrise und der Aufstieg chinesischer Auslandsinvestoren
manifester wurden (Bauerle Danzmann/Meunier : ). Diese zeitliche Einordnung
der schrittweisen Zunahme von ISM ist auch aus globaler Perspektive plausibel (etwas
auf Basis der Daten der UNCTAD b) und fügt sich in weiter gefasste Analysen zur
Erosion des liberalen Handels- und Investitionsregimes seit Ende der er-Jahre ein
(z. B. IMF ).
Auf alleinig geoökonomische Treiber – mit dem prominenten Motiv der Abwehr
von sog. „adversarial capital“ des systemischen Rivalen China – lässt sich der stetige
Aufstieg von ISM in den letzten Jahren nicht zurückführen. Zuletzt hat die COVID-
-Krise dem ISM-Trend nicht nur nochmals einen markanten Schub gegeben. Darüber
hinaus zeigt sich sowohl in den konkreten Nachschärfungen von ISM (etwa durch
sektorale Ausweitungen und gesenkte Prüfschwellen im kritischen Gesundheitsbereich
und für medizinische Versorgungsindustrie) als auch in erweiterten Risikoanalysen,
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dass weitaus umfangreichere öentliche Schutzinteressen Platz greifen (Prausmüller
: ; Mayr/Prausmüller ). Der Trend zu ISM muss nicht zuletzt auch als ein
Versuch von Regierungen verstanden werden, ein Gegengewicht zum wirtschaspoli-
tischen Kontrollverlust herzustellen, der aufgrund der vormaligen Privatisierungswellen
von öentlichem Eigentum und infrastrukturrelevanten Unternehmen besteht. Für
weitergehende Einordnungen ist zudem aufschlussreich, welche Metamorphosen we-
sentliche Sicherheitskonzepte bereits vor der Pandemie vollzogen haben: „The concept
of national security advanced from countering military threats to also protecting stra-
tegic industries and critical infrastructure. The reasoning behinds this move is that the
protection of core domestic economic assets may be as important for a country’s well-be-
ing as the absence of military threats. A further explanation may be that governments
considered some sort of FDI screening in this area as a necessary counterweight to
earlier privatizations of State-owned companies and infrastructure facilities. Extending
the scope of screening was in part also a reaction to the increasing investment activities
of foreign State-owned enterprises“ (UNCTAD : ). Vor dem Hintergrund dieser
elementaren Entwicklungsmuster erscheint es zugleich sinnvoll, die Einordnung des
gegenwärtigen ISM-Momentums zumindest unter zwei Gesichtspunkten nachzuschär-
fen.
Erstens stehen zwar ISM aus guten Gründen derzeit im Fokus außenwirtschalicher
Debatten. Dennoch handelt es sich bei weitem nicht um das einzige Instrument, dass
für die strategische Regulierung von FDI eingesetzt wird. So sind beispielsweise defen-
sive außenwirtschaliche Instrumente wie etwa sog. „foreign equity limitations“ zwar
im OECD-Raum weniger relevant: Derartige Deckel zielen auf Maximalgrenzen für
ausländische Kapitalbeteiligungen. Sie sind in Ländern des globalen Südens ein nach
wie vor prominentes Instrument, um staatlichen Einfluss in kritischen Schlüsselberei-
chen (z. B. Telekom) zu sichern. Die Abschaung von derartigen außenwirtschalichen
Schutzinstrumenten war zwar in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand von z. B.
Verhandlungen zu Freihandels- und Investitionsabkommen (als sog. nicht-tarifäre Han-
delshemmnisse). Doch gezielte Beschränkungen für ausländische Kapitalbeteiligung
weisen im globalen Süden nach wie vor eine bemerkenswerte Persistenz auf. Das ver-
deutlicht nicht nur die Relevanz anderer defensiver außenwirtschalicher Instrumente,
die bereits frühzeitiger u.a. aus entwicklungsstaatlichen Erwägungen gegenüber außen-
wirtschalichen Abhängigkeiten erwachsen sind. Darüber hinaus stellt sich nicht zuletzt
die Frage nach der besonderen Attraktivität von ISM im OECD-Kontext in der gegen-
wärtigen Krisenkonstellation. Hier liegt die Vermutung nahe, dass einer der Vorzüge
von ISM u. a. in ihrer flexibleren (Nicht)Anwendbarkeit und Vereinbarkeit mit nach wie
vor starken Kapitalexportinteressen gesehen wird. Möglicherweise ist zudem ein Faktor,
dass im Falle der jüngsten Einführungen von ISM weniger Konfliktkosten mit dem zwar
erodierenden, aber nach wie vor etablierten (neo)liberalen Handels- und Investitions-
regime bestehen (das würde dann auch ansatzweise für jüngste ISM-Einführungen im
stark weltmarktintegrierten Außer-OECD-Raum gelten).
Zweitens rückt die Vorgeschichte von Investment Screenings im OECD-Raum selbst
nochmals wichtige polit-ökonomische Verschiebungen in den Blick. In der Konstella-
tion des sog. „embedded liberalism“ (Ruggie ) und des stärker binnenwirtschalich
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orientierten keynesianischen Wohlfahrtsstaats waren „Screenings“ ein gängiges Regu-
lierungsinstrument, um Transaktionsflüsse bzw. ausländische Direktinvestitionen aus
explizit ökonomischen Gründen zu prüfen. Zwar bestehen – wie etwa im Falle von
Kanada – nach wie vor ISM im OECD-Raum, die auf Basis eines sog. „net benefit“-Tests
arbeiten. Darin werden bis heute Kriterien wie z. B. Auswirkungen auf Beschäigung,
Vereinbarkeit mit Industriepolitik oder technologische Entwicklung in Betracht ge-
zogen. Dem Zurückdrängen derartiger, vermehrt als „protektionistisch“ gebrandmark-
ter Prüriterien steht die seit den er-Jahren zunehmend einsetzende Liberalisie-
rung des globalen Kapitalverkehrs gegenüber. Rechtlich-institutionell ging diese Libe-
ralisierungsära infolge mit dem breitflächigen Ausrollen von Regelwerken einher, die
weitreichende Beschränkungsverbote für ausländische Direktinvestitionen beinhalten
(etwa im Rahmen der OECD, der WTO oder der EU, s. o.). Diese Doppelbewegung von
„roll-back“- und „roll-out“-Neoliberalisierung (Peck/Tickell ) wirkt bis heute stark
nach: Während die ausdrückliche Bezugnahme auf ökonomische, soziale und/oder
wohlstandsorientierte Begründungen in der gegenwärtigen Renaissance von ISM nach
wie vor ein relativ starkes wirtschaspolitisches Tabu darstellt, ist die neuere Genera-
tion von ISM zuvorderst auf eine Versicherheitlichung („securitization“) des Prüfgesche-
hens ausgerichtet. Damit wird in der aktuellen Permakrisen-Konstellation also ein
Design von ISM gewählt, das zumindest in oziellen Darstellungen staatliche Inter-
ventionen vornehmlich mit Sicherheitserwägungen zu legitimieren sucht. Das lässt sich
auch als Ausdruck einer strategisch gezielten, selektiven Deglobalisierung „by design“
verstehen, die teilweise von Regierungen in sicherheitspolitischem Gewand gewisser-
maßen „verkleidet“ wird.
Aus analytischer Perspektive haben diese jüngsten Entwicklungsmuster von ISM
starkes Interesse an der darin anzutreenden Hybridisierung von ökonomischen und
Sicherheitsbelangen geweckt. Dies tri sich beispielsweise mit dem weitergefassten,
geoökonomischen Befund, dass die Grenzziehungen zwischen diesen beiden Bereichen
zunehmend einbrechen (Gertz ). Die zunehmende Nutzung von sicherheitlich
begründeten Ausnahmen fordert Grundfesten disziplinierender Neoliberalisierung
heraus. Diese hatte Gill zu Hochzeiten entsprechender Politiken mit den drei „C“ um-
schrieben: die zentrale Maßgabe, dass Staaten ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stel-
len („Credibility“) sowie folglich durch entsprechende, kohärente Politiken („Consis-
tency“) das Vertrauen („Confidence“) von Investoren und der darum gebauten Bera-
tungs- und Bewertungsindustrie bewahren. Das juridisch-institutionelle Spiegelbild
dieser polit-ökonomischen Disziplinierung wurde wiederum insbesondere im Aufstieg
von stark supranationalisierten Vertragswerken in der Handels-, Investitions- oder auch
Fiskalpolitik gesehen, die auf eine nachdrückliche Einschränkung wirtschasdemo-
kratischer Interventionsmöglichkeiten und das Festzurren marktzentrierter Vorrang-
regeln ausgerichtet sind. Dieser „neue Konstitutionalismus“ wird demnach mit zwei
maßgeblichen Zielen verbunden: „to prevent future governments from undoing com-
mitments to a disciplinary neoliberal pattern of accumulation“ und gegenläufige Kräe
durch Strategien der „co-optation, domestication, neutralization and depoliticization“
einzudämmen (Gill : ; zur Diskussion des „neuen Konstitutionalismus“ Praus-
müller : ). Zwar hat die Durchsetzbarkeit neu konstitutionalistischer Projekte
der „zweiten Generation“ in den letzten Jahren stark abgenommen (siehe z. B. das Schei-
tern des EU-USA-Flaggschiprojekts TTIP im Handels- und Investitionsbereich). Doch
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bleibt auch im Lichte aktueller Debatten zur Erosion des neuen Konstitutionalismus
zu berücksichtigen, dass die darin eingelassenen marktzentrierten Sicherheitsvorkeh-
rungen stark darauf ausgerichtet sind, gerade auch krisenhae Erschütterungen mög-
lichst zu überdauern.
Unter diesem Gesichtspunkt bleibt der gegenwärtige Trend zur Versicherheitlichung
in der Investitionspolitik und von ISM sehr widersprüchlich. Die zunehmende Nutzung
und Dehnung von sicherheitlich begründeten Ausnahmen vom etablierten, stark neo-
liberal geprägten Handels- und Investitionsregime können dieses zwar stark heraus-
fordern. Grundlegend infrage gestellt – im Sinne eines breiter angelegten „roll-backs“
von bestehenden neoliberal-disziplinierenden Vorrangregeln (vgl. Brenner/et al. :
f.) und einer systematischen Aufwertung öentlicher Schutzinteressen – wird dieses
damit zugleich nicht. Es handelt sich eher um wenig kohärente, widersprüchliche Be-
arbeitungsstrategien des laufenden Krisengeschehens, die im Windschatten bestehender
Ausnahmebestimmungen für Fragen der (nationalen) Sicherheit fahren. Inwiefern die
für die Begründung staatlicher Interventionen verwendeten „essential security excep-
tions“ einen „self-judging“ Charakter aufweisen – also ob die betroenen Nationalstaa-
ten tatsächlich auf ihre Definitionshoheit über die potentielle Reichweite dieser eher
vagen Ausnahmen im Streitfall zählen können – ist womöglich eine der brisantesten
außenwirtschalichen rechtlichen Fragen der nächsten Jahre (vgl. Bauerle Danzmann/
Meunier : , Bonnitcha ).
In Diskussionen zum Auommen einer geoökonomischen Weltordnung wurde
frühzeitig darauf hingewiesen, dass die vermehrte Verwendung von sicherheitlichen
Begründungen für staatliche Marktinterventionen zu einer Reihe von Grenzverschie-
bungen führt. Dies betri mitunter auch die immer stärker präsente Legitimierung
außenwirtschalicher Interventionen im Namen der „ökonomischen Sicherheit“. Ein
wesentlicher Eekt dieses neuartigen Nexus von Sicherheits- und Wirtschasfragen ist,
dass zunehmend die Linien zwischen „Protektionismus“ und „Protektion“ verschwim-
men (vgl. Roberts et al. : ). Doch im Gegenzug zeigen sich auch ausgeprägte
Kontinuitäten bei der Abschirmung öentlicher Interessen und Beschränkung wirt-
schasdemokratischer Handlungsspielräume. Die starke Versicherheitlichung von ISM
wird nicht zuletzt dafür genutzt, diese in der konkreten Anwendung von öentlichen
Transparenzverpflichtungen zu entbinden und der demokratischen Einflussnahme zu
entziehen. Das vorherrschende Design von ISM als außenwirtschaliches Schutzinstru-
ment zur Abwehr von vornehmlich sicherheitlichen Gefahren eignet sich infolge dafür,
beispielsweise das Unterbinden ausländischer Direktinvestitionen in kritischen Infra-
strukturbereichen geopolitisch aufzuladen und so von der wirtschalichen Verbots-
sphäre für staatliche Interventionen (inkl. „Protektionismus“-Vorwurf) in eine vornehm-
lich sicherheitspolitisch kodierte Legitimierungssphäre zu ziehen.
Es zeigt sich zudem deutlich, dass diese Form der sicherheitlichen Beschränkung
von staatlichen Interventionen eine willkommene Strategie für weiterhin stark markt-
liberal ausgerichtete Staatsapparate ist, anderweitige Schutzinteressen in der tatsächli-
chen Ausgestaltung von Investitionskontrollen nicht abbilden zu müssen. Versicher-
heitlichung bis Geopolitisierung sind in diesem Design von ISM daher auch als wich-
tiges Vehikel für aktuelle Versuche zu verstehen, die Kontinuität neu
konstitutionalistischer Vorgaben zu gewährleisten. Damit ist nicht nur auf die Kritik
an der „Black box“ Investitionskontrolle (Mayr/Prausmüller , Gepp ) verwiesen,
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wenn es um die technokratisch-entpolitisierende Abschirmung öentlich hoch rele-
vanter Fragen zu Auäufen von Bereichen kritischer Infrastruktur geht. Darüber hinaus
sind davon weitergehende Fragen wie z. B. zur Definitionsmacht über das tatsächliche
(Nicht)Auslösen von Investitionsprüfungen, zu den selektiven Eingabemöglichkeiten
und damit Grundlagen der Risikobewertung oder auch die fehlende, konkretere öent-
liche Information zu in der Investitionskontrolle durchgeführten Prüallen betroen.
Vor diesem Hintergrund sehen liberalisierungsane Akteure wie z. B. die Europäi-
sche Kommission in der Versicherheitlichung und Geopolitisierung von staatlichen
Marktinverventionen einen Weg dafür, weiter gefasste Verwendungen von ISM einzu-
dämmen (wie etwa in der Form expliziter „net benefit“-Tests und/oder eine ausdrück-
liche Erweiterung von Prüaktoren um Kriterien wie z. B. Auswirkungen auf soziale
Kohäsion, universelle Versorgung oder industriepolitische Entwicklung). Innerhalb
dieser derart strategisch „selektiv-protektiven Wende“ sollen Markteingrie möglichst
auf ihren Beitrag zu einer wehrhaen oenen Marktwirtscha beschränkt bleiben. Im
Gegenzug besteht etwa seitens der EK ein hohes Augenmerk darauf, Reibungsflächen
zu ihren nach wie vor oensiven Liberalisierungsinteressen in EU-Drittstaaten möglichst
gering zu halten und bestehende marktliberale Vertragswerke gegenüber einer grund-
legenden Revision abzuschirmen (Prausmüller : , ).
Schluss
Zusammengenommen laufen in den gegenwärtigen Entwicklungsmustern von ISM
zentrale Widersprüche von Krisenbearbeitungen der Permakrise zusammen: Augen-
scheinlich ist das starke Zusammenfallen von sicherheitlichen Begründungen für staat-
liche Marktinterventionen und einer fortgesetzten technokratischen Abschirmung
wirtschaspolitischer Entscheidungsprozesse ein zentraler Zug in der gegenwärtigen
Hochkonjunktur von Investitionskontrollen. Während die aktuell stark anzutreende
geopolitische bis geoökonomische Aufladung von transnationalen Eigentumskonflikten
zur Kontrolle über kritische Infrastrukturen, Technologien oder auch Ressourcen diesen
Abschirmungsversuchen zuarbeitet, zeichnen sich auch potenzielle Umschlagspunkte
ab. Diese sind dadurch angezeigt, dass das zugrundeliegende Sicherheits- und damit
auch Risikoverständnis für das Auslösen von Investment Screenings selbst derzeit stark
in Bewegung ist. Dieses zeigt sich zunehmend „chameleonartig“ (Cliord Chance :
) und kann damit trotz laufender, restaurativer Einhegungsversuche zu einer immer
gewichtigeren Exit-Option aus dem Korsett neu konstitutionalistischer Rahmenwerke
werden. Diese Entwicklung hätte beispielsweise in Kontrast zu regressiv-nationalisti-
schen Formen der Deglobalisierung dann progressives Gestaltungspotential, wenn die
zugrundeliegende Risikosicht eine Wendung hin zu einem wirtschasdemokratisch
rückgebundenen Verständnis von ökonomischer Sicherheit und zu einer umfassenden
Aufwertung öffentlicher Schutzinteressen nimmt.
Die derzeit fehlenden Schutzvorkehrungen für kritische soziale Infrastruktur zeigen
jedenfalls auch für den Bereich der Investment-Screenings großen Handlungsbedarf
auf, sich aus einem sicherheits- bis geoökonomisch verengten Verständnis außenwirt-
schalicher Schutzinstrumente zu lösen. Der Vormarsch wertextraktiver Geschäsmo-
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delle in Bereichen wie Gesundheit, Wohnen oder Pflege fußt hier nicht zuletzt auf der
Scheu von Regierungen, oensiver mit transnationalisierten oensiven Geschäsinte-
ressen in Konflikt zu treten (vgl. Plank/et al. , Prausmüller ). Ähnlich gelagerte
Problemstellungen mit sicherheitlich verengten staatlichen Marktinterventionen und
einer geoökonomisch getriebenen Deglobalisierung zeigen sich zudem beispielsweise
in der Industriepolitik. Die Spielräume, die sich angesichts der Krise des neuen Kons-
titutionalismus und vermehrten politischen Handlungsdrucks derzeit industriepolitisch
für sozial-ökologische Transformationsprojekte erönen, bleiben unter diesen Bedin-
gungen prekär. Damit laufen auch in diesem Zusammenhang relevant gewordene post-
neoliberale Suchprozesse Gefahr, durch einen vornehmlich geoökonomisch unterfüt-
terten neuen Staatsinterventionismus eingeebnet zu werden (Schneider , McNa-
mara ). Ähnliches gilt für die fortlaufenden Auseinandersetzungen zur Kontrolle
über und Instrumentalisierung von global relevanten kritischen Infrastrukturen, die
geoökonomisch momentan insbesondere in der Triade USA-EU-China (vgl. Abels/Bie-
ling ) ausgefochten werden. Bereiche wie Verkehr, Logistik, digitale Infrastruktur,
Produktions- und Finanznetzwerke gelten damit zunehmend als maßgebliche Terrains
zur Austragung eines „zweiten Kalten Kriegs“ (Schindler/et al ). Das geoökomische
Ringen um erweiterte Spielräume für die Ausnutzung sowie Abwehr bewaneter Inter-
dependenzen schlägt sich damit auch in einem Wettlauf um infrastrukturelle Flagg-
schiprojekte globalen Maßstabs nieder. So ist in diesem Ringen um Netzwerk-Zent-
ralität beispielsweise zuletzt die EU gegenüber Chinas neuem Seidenstraßen-Projekt
mit ihrer sog. „Global Gateway“-Initiative zur Sicherung geoökonomischer Einfluss-
sphären nachgezogen. Vor diesem Hintergrund wären zwar progressive Perspektiven
für das solidarische Entwickeln und kooperative Sicherstellen globaler öentlicher
Güter ein wichtiger Kontrastpunkt (vgl. Brand ). Doch dort, wo derzeit z. B. inter-
nationale Kooperation für die entschiedene Bekämpfung der Klimakrise stehen könn-
te, dominieren im derart geoökonomisierten Staatsinterventionismus Standortkonkur-
renz und wirtschaskriegerisches Denken (wie etwa in den verschären Rivalitäten um
Technologieführerscha in der grünen industriellen Wende).
Für die Kritik an den Blindstellen des geoökonomisierten Staatsinterventionismus
bieten unmittelbar die aktuellen Reformdiskussionen in der EU zu Outbound-Investi-
tionskontrollen einen wichtigen Ansatzpunkt: Die Investitionstätigkeiten europäischer
Finanzinvestoren und Unternehmen außerhalb der EU wären dann vor allem auch
abseits einer verkürzten Sicht auf Sicherheitsrisiken kritisch unter die Lupe zu nehmen
(Mayr/Prausmüller ). Eine Investitionskontrolle im öentlichen Interesse müsste
daher beispielsweise die Einhaltung von sozial-ökologischen Sorgfaltspflichten entlang
der Wertschöpfungskette, gemeinwohlschädigende Konstruktionen zur Steuerumge-
hung oder auch die mit der Investitionstätigkeit verbundenen Klimarisiken in den
Fokus rücken. Für progressive Formen einer strategisch gezielten selektiven Deglobali-
sierung „by design“ bleibt es jedenfalls entscheidend, das derzeit starke öentliche In-
teresse an der Kontrolle über kritische Infrastrukturen und planvoller, strategischer
Wirtschaspolitik für eine breite Bewegung zur Neubegründung des Öentlichen
nutzen zu können.
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Anmerkung
Die rechtliche Diskussion sowie das Spannungsfeld zwischen ISM und einer Reihe von Verpflichtungskate-
gorien des stark neu konstitutionalistisch geprägten Handels- und Investitionsregimes (z. B. auch für das
Verbot sog. „Leistungsanforderungen“ an FDI) können in diesem Rahmen nicht vertie werden. Wichtig ist
jedenfalls zu beachten: Es bestünden auch andere Optionen für das Design von ISM – wie z. B. auf ein breite-
res Set von Schutzgründen ausgerichtete sog. „economic benefit“-Tests (abgezielt wird also z. B. nicht nur auf
eine Gefährdung der „nationale Sicherheit“, sondern z.B. auch auf Gefährdungspotentiale für die Beschäi-
gungsentwicklung). Gerade aufgrund der Unvereinbarkeit derartiger ISM-Designs mit dem etablierten Inves-
titions- und Handelsregime haben sich bspw. Staaten wie Kanada um entsprechende, spezifische Ausnahmen
für ihr abweichendes ISM-Design bemüht (z. B. im Kontext des WTO-Dienstleistungsabkommens GATS oder
im Rahmen des bilateralen Freihandels- und Investitionsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada).
Für die weiterführende Diskussion dazu, wie umfangreich die künige Ausdehnung von ISM das bestehen-
de Handels- und Investitionsregime auch rechtlich herausfordern könnte siehe z. B. Bonnitcha .
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