Content uploaded by Monika Hübscher
Author content
All content in this area was uploaded by Monika Hübscher on Dec 26, 2023
Content may be subject to copyright.
27
Un-Learning
Gegenrede in den
sozialen Medien
Monika Hübscher
Dass sich unsere Gesellschaft über soziale Medien
vernetzen kann, geht nicht ohne erhebliche
Nebenwirkungen einher, und die schwerwiegenden
gesellschaftlichen Auswirkungen von Hass auf den
algorithmisch organisierten Plattformen sind mittlerweile
weithin bekannt. Dies hat die Zivilgesellschaft dazu
veranlasst, nach angemessenen Lösungen für die
Bewältigung dieses Problems zu suchen. Aktuell gibt es
zwei bedeutsame Ansätze, mit denen Nutzer*innen Hass
in sozialen Medien entgegentreten können: Einerseits
besteht die Möglichkeit, einen hasserfüllten Beitrag bei der
Plattform zu melden, während andererseits die Option
besteht, sich durch einen Kommentar unter einem
hasserfüllten Beitrag zu positionieren.
Das Melden von Kommentaren auf den Plattformen ist
komplex, und die niedrige Erfolgsrate lässt Nutzer:innen
schnell resignieren. Im Gegensatz zur Meldung und der
potenziellen anschließenden Löschung von Hassrede wird
durch die Gegenrede der Hass jedoch lediglich
konterkariert. Doch das vor allem das in Deutschland weit
verbreitete Mittel der Wahl - die Gegenrede – bereitet
Probleme, da ein Kommentar unter einem hasserfüllten
Post den Hass im Grunde weiterverbreitet. Die
Engagement-Algorithmen der sozialen Medien bevorzugen
Inhalte, die ein hohes Maß an Interaktion aufweisen, wie
beispielsweise Likes, Kommentare und Shares. Wenn ein
Beitrag viele Kommentare erhält, signalisiert dies den
Algorithmen, dass der Beitrag kontrovers oder relevant ist,
was dazu führen kann, dass er einer breiteren Zielgruppe
angezeigt wird. Wird also unter einem hasserfüllten Beitrag
kommentiert, bekommen besonders viele Nutzer:innen
diesen zu sehen. Dies führt dazu, dass vor allem
problematische Inhalte auf sozialen Medien eine hohe
Nutzer:innenaktivität aufweisen und besonders präsent
sind. Zum Beispiel könnten Nutzer:innen, die
antisemitische Inhalte teilen und dafür Likes und Shares
erhalten, sich in ihrer hasserfüllten Position bestätigt
fühlen. Gleichermaßen könnten Nutzer:innen, die auf
hasserfüllte Beiträge stoßen, dazu tendieren, diese als
wahr anzusehen, wenn sie feststellen, dass solche
Beiträge rege diskutiert werden. Durch Gegenrede unter
hasserfüllten Posts kämpft man nicht gegen Hass,
sondern gegen Algorithmen.
Zudem stellt die automatisierte Verbreitung von Hate
Speech durch Bots und Künstliche Intelligenz (KI) die
Wirksamkeit von Gegenrede auf der Ebene der
menschlichen Interaktion zusätzlich infrage. Es muss auch
kritisch hinterfragt werden, warum die Verantwortung für
ein technologisch erzeugtes Problem bei den Nutzer:innen
liegen sollte. Denn jede Form von Gegenrede wirkt im
Sinne der Anbieter:innen von sozialen Medien, da sie
Interaktion auf den Plattformen generiert und deshalb
kommerzialisierbar und protabel ist.
Social Media Literacy gegen Hass
Dass Hass in den sozialen Medien trotz
Bildungsprogrammen zur Gegenrede in den letzten Jahren
zu einem immer größeren Problem geworden ist, spricht
dafür, die Wirkungsweisen von Algorithmen und Features
wie (Dis-)Likes, Kommentare und Shares in die
Bildungsbemühungen miteinzubeziehen. Was bisher eher
weniger der Fall ist.
Um auf Nutzer:innenebene dazu beizutragen, Hass in den
sozialen Medien wirksam zu reduzieren, ist das
Verständnis der Technologie ebenso wie die Identizierung
und Dekonstruktion von hasserfüllten Inhalten unerlässlich.
So müssen beispielsweise für die Arbeit gegen
Antisemitismus in sozialen Medien Kompetenzen zur
Dekonstruktion von antisemitischen Inhalten und Social
Media Literacy ineinandergreifen. Der Workshop "Social
Media Literacy gegen Antisemitismus" im Projekt
"Antisemitismus und Jugend" der Universität Duisburg-
28
Essen hilft Nutzer:innen nicht nur dabei, Antisemitismus zu
erkennen, sondern auch die Technologie sozialer Medien
zu verstehen und somit Hass auf den Plattformen zu
reduzieren.
Unter Social Media Literacy (SML) verstehen wir vom
Projektteam „Antisemitismus und Jugend“ die Fähigkeit
der Nutzer:innen, Inhalte in den sozialen Medien aus
technischer, kognitiver und emotionaler Sicht kritisch zu
bewerten. Aus technischer Sicht umfassen SML Themen
wie die Rolle von persönlichen Daten, Algorithmen und
gezielter Werbung bei der Verbreitung von Antisemitismus
und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Auf der
kognitiven Ebene beinhaltet SML die Fähigkeit, trotz
sozialer Validierung durch Likes und Kommentare und
einer hohen Anzahl von Followern glaubwürdige Quellen in
einer Social Media-Umgebung zu unterscheiden. Dazu
gehört auch die Fähigkeit, Hassreden und
Desinformationen im Zusammenhang mit dem Holocaust
zu erkennen. Auf einer emotionalen Ebene umfasst SML
die Fähigkeit, angemessen auf antisemitische Inhalte in
sozialen Medien zu reagieren und zu interagieren.
Um die Widerständigkeit gegen Antisemitismus in die SML
zu integrieren, lernen Nutzer:innen, gängige Erzählmuster
und Stereotypen, die in antisemitischen Inhalten
verwendet werden, zu erkennen und die Quellen und
Motivationen hinter solchen Inhalten zu identizieren. Dazu
gehört auch die Erkenntnis, wie Antisemitismus und
andere Formen der Diskriminierung, wie Rassismus,
Misogynie und Hass gegen die LGBTQI+ Community,
ineinander übergreifen.
Generell sollte SML eine Diskussion über eine
verantwortungsvolle Nutzung sozialer Medien umfassen,
wie zum Beispiel die Vermeidung des Teilens von und
Kommentierens unter hasserfüllten Inhalten. Wenn Nutzer:
innen besser in der Lage sind, Hass in sozialen Medien zu
erkennen und zu verstehen, tragen sie zu einer sichereren
und inklusiveren Social-Media-Erfahrung bei.
Die gute Form der Gegenrede: Verbundenheit,
Solidarität und Dekonstruktion
Anstatt unter einem hasserfüllten Post zu kommentieren,
können Nutzer:innen einen eigenen Beitrag verfassen und
auf diese Weise Verbundenheit und Solidarität mit den von
Hass Betroenen zum Ausdruck bringen. Ein solcher
Beitrag könnte beispielsweise lauten: "Ich stehe in
Solidarität an der Seite der jüdischen Community und
fordere ein Ende der antisemitischen Gewalt!". Der Post
könnte dann mit dem oziellen Prol der jüdischen
Gemeinde verlinkt werden. Dies setzt nicht nur ein klares
Zeichen gegen Hass, sondern kann auch dazu beitragen,
dass die Solidaritätsbotschaft durch Kommentare unter
dem Beitrag weite Verbreitung ndet. Auf diese Weise wird
Hass nicht weiterverbreitet, sondern eine positive
Botschaft gegen den Hass gesetzt.
Minorisierte Gruppen wie die Roma-Community, die Trans-
Community und Menschen, die mit Behinderungen leben,
sind besonders von Hass in den sozialen Medien
betroen. Sich mit ihren Social-Media-Prolen zu
verbinden und ihre Beiträge zu liken und zu teilen, stellt
ebenfalls eine Form von Gegenrede dar, die zudem für
Verbundenh eit sorgt.
Bildungsangebote können Social Media Literacy gegen
Hass anbieten, einschließlich der Dekonstruktion von
hasserfüllten Inhalten. Die Plattformen der
Bildungsangebote könnten anonymisierte Hassbeiträge
als solche markieren (mit einem roten Verbotszeichen),
diese dekonstruieren und sicher sowie kontrolliert
veröentlichen. Dadurch würde nicht nur ein
Bildungseekt für Social-Media-Nutzer:innen direkt auf
den Plattformen entstehen, sondern gleichzeitig würden
Hasspostings etwas entgegengesetzt und Solidarität mit
betroenen Gruppen gezeigt.
Weite re Literatur zum Thema
Antisemitism on Social Media
Monika Hübscher und Sabine von Mering (Hg.)
https://www.routledge.com/Antisemitism-on-Social-
Media/Hubscher-Mering/p/book/9781032059693#
There is a lot of antisemitic hate speech on social media –
and algorithms are partly to blame
Sabine von Mering und Monika Hübscher
https://theconversation.com/there-is-a-lot-of-antisemitic-
hate-speech-on-social-media-and-algorithms-are-partly-
to-blame-185668