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Abstract

Der gegenwärtige und prognostizierte Lehrpersonenmangel stellt die Bildungsverwaltung und die Schulen vor Herausforderungen. Bei steigenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern und den demografisch bedingten Pensionierungen zahlreicher Lehrpersonen war im Mai 2023, das heisst kurz vor den Sommerferien, eine Vielzahl von Stellen noch unbesetzt. Weitere, auch in den Medien diskutierte Gründe, die supponieren, Lehrpersonen seien überfordert und würden den Beruf verlassen, lassen sich empirisch nicht belegen. Statistiken und Befunde zeigen vielmehr, dass die Kündigung einer Anstellung zum Wechsel des Pensums, der Schule oder der Funktion oder für einen Unterbruch genutzt wird und somit insgesamt mit dem Verbleib im Schuldienst einhergeht. Doch der Bedarf an Lehrpersonen kann mit den Abgängerinnen und Abgängern der Pädagogischen Hochschulen nicht gedeckt werden, trotz steigender Studierendenzahlen. Weitere Massnahmen sind erforderlich. Der Beitrag beabsichtigt, Fakten darzulegen sowie Mythen und Leerstellen zu identifizieren.
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
Lehrpersonenmangel – Fakten, Mythen, Leerstellen
Manuela Keller-Schneider und Salome Schneider Boye
Zusammenfassung Der gegenwärtige und prognostizierte Lehrpersonenmangel stellt die Bil-
dungsverwaltung und die Schulen vor Herausforderungen. Bei steigenden Zahlen von Schüle-
rinnen und Schülern und den demograsch bedingten Pensionierungen zahlreicher Lehrpersonen
war im Mai 2023, das heisst kurz vor den Sommerferien, eine Vielzahl von Stellen noch un-
besetzt. Weitere, auch in den Medien diskutierte Gründe, die supponieren, Lehrpersonen seien
überfordert und würden den Beruf verlassen, lassen sich empirisch nicht belegen. Statistiken und
Befunde zeigen vielmehr, dass die Kündigung einer Anstellung zum Wechsel des Pensums, der
Schule oder der Funktion oder für einen Unterbruch genutzt wird und somit insgesamt mit dem
Verbleib im Schuldienst einhergeht. Doch der Bedarf an Lehrpersonen kann mit den Abgänge-
rinnen und Abgängern der Pädagogischen Hochschulen nicht gedeckt werden, trotz steigender
Studierendenzahlen. Weitere Massnahmen sind erforderlich. Der Beitrag beabsichtigt, Fakten
darzulegen sowie Mythen und Leerstellen zu identizieren.
Schlagwörter Lehrpersonenmangel – demograsche Entwicklungen – Lehrerinnen- und Leh-
rerbildung – individuelle und kontextuelle Faktoren
Teacher shortage – Facts, myths, and gaps
Abstract The current and predicted teacher shortage challenges educational administration and
schools. With increasing numbers of pupils and the demographically caused retirements of nu-
merous teachers, a large number of positions were still vacant in May 2023, that is, only shortly
before the summer break. Other reasons for teacher shortage, also discussed in the media, such as
teachers being overloaded and therefore leaving the teaching profession, cannot be empirically
proved. Statistics and research ndings show that terminating one’s contract with a school is used
as an opportunity to change the workload, the school, or the function within the school or for a
break, often with the intention of returning to school again. This implies that these people can
principally be assumed to be available as teachers. Nevertheless, the need for teachers cannot be
met with graduates from universities of teacher education, despite increasing student numbers.
Further interventions are required. The article aims to present facts and to identify myths and
gaps.
Keywords teacher shortage – demographic developments – teacher education – individual and
contextual factors
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
1 Einleitung
Der gegenwärtige Mangel an professionell ausgebildeten Lehrpersonen ist von hoher
Brisanz. In vielen Kantonen waren im Mai 2023 zahlreiche Stellen noch unbesetzt, so
auch im Kanton Zürich (VSA, 2023a). Über vielfältige Bemühungen wurden Lehrper-
sonen gesucht. So wurden pensionierte Lehrpersonen reaktiviert, Lehrpersonen um die
Erhöhung ihrer Pensen gebeten und Studierende angeworben. Des Weiteren wurde die
Notmassnahme, Personen ohne Lehrdiplom als Lehrpersonen einzustellen, verlängert.
Über Gründe des Lehrpersonenmangels werden Mutmassungen geäussert, die sich auf
unklare Fakten stützen und von tradierten Mythen genährt werden. So sei der Beruf
unattraktiv, Lehrpersonen seien überlastet, weshalb sie den Beruf verlassen würden,
Berufseinsteigende seien ungenügend ausgebildet und Teilzeitarbeit verschärfe das
Problem. Zahlreiche Faktoren werden vermutet, doch es lassen sich nur wenige Be-
lege nden (Sandmeier & Herzog, 2022; Schneider Boye & Keller-Schneider, 2023).
Publikationen des Bundesamts für Statistik (BFS), Statistiken der einzelnen Kantone,
Befragungen von Studienabgängerinnen und Studienabgängern sowie die Bildungsbe-
richte der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) geben
verlässliche Informationen. Aus diesen Fakten geht hervor, dass der Mangel an Lehr-
personen auf demograsche Faktoren zurückzuführen ist.
Einen Mangel nach mitwirkenden Faktoren zu untersuchen, erweist sich jedoch als
schwierig, da ein Mangel eine Lücke darstellt, die nicht mit trivialen Wenn-dann-
Zusammenhängen gefüllt werden kann. Diese Situation und die Tatsache, dass im
Bildungswesen alle über schulbezogene biograsche Erfahrungen verfügen, öffnen
einfachen Erklärungszusammenhängen und tradierten Mythen Tür und Tor. Der vorlie-
gende Beitrag beabsichtigt, mögliche Faktoren, die zum Mangel an Lehrpersonen bei-
tragen, und diesbezügliche Befunde zusammenzutragen, diese Faktoren und Befunde
nach Themenfeldern geordnet darzulegen sowie Forschungsdesiderate aufzuzeigen.
Nach Ausführungen zum wiederkehrenden Phänomen des Lehrpersonenmangels (Ab-
schnitt 2) folgen weitere Darlegungen zur Attraktivität des Lehrberufs (Abschnitt 3),
zur Fluktuation (Abschnitt 4), zu institutionellen Faktoren der Lehrerinnen- und Leh-
rerbildung (Abschnitt 5) sowie zu berufsbiograschen Stationen (Abschnitt 6). Der
Beitrag schliesst mit einer zusammenfassenden Bilanzierung (Abschnitt 7).
2 Lehrpersonenmangel – ein wiederkehrendes und vorhersehbares
Phänomen
Der Mangel an Lehrpersonen ist kein neues Phänomen; er zeigt sich vielmehr in einem
zyklischen Wechsel von Mangel und Überschuss (Criblez, 2017; Hodel, 2005). Struk-
turelle Massnahmen in den 1970er-Jahren wie die Verlängerung der obligatorischen
Schulzeit, die Reduktion der Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Klasse, die erhöhte
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Lehrpersonenmangel – Fakten, Mythen, Leerstellen
Bildungsbeteiligung sowie eine konjunkturbedingte Abwanderung aus dem Lehrberuf
verstärkten damals den Anstieg des Bedarfs an Lehrpersonen (Criblez, 2014). Später
führte die durch HarmoS bedingte Verschiebung des Schuleintrittsalters zu grösseren
Jahrgängen und einem höheren Bedarf an Lehrpersonen, der mittlerweile die letzten
Jahre der obligatorischen Schulzeit erreicht hat (SKBF, 2023). Derzeit sind insbesonde-
re die demograschen Faktoren von Bedeutung. Mit vielfältigen Massnahmen wurde
den jeweiligen Engpässen begegnet; in den 1960er- und 1970er-Jahren wurden bei-
spielsweise viele neue Ausbildungsinstitutionen eröffnet (Criblez, 2017).
Der gegenwärtige Mangel an qualizierten Lehrpersonen wurde im Schweizer Bil-
dungsbericht 2018 (SKBF, 2018) prognostiziert. Schweizweit könne nur die Hälfte des
Mehrbedarfs durch neu diplomierte Lehrpersonen gedeckt werden. Alle Regionen der
Schweiz seien davon betroffen, jedoch in unterschiedlichem Ausmass. Als zentrale Ur-
sachen wurden die steigenden Zahlen von Schülerinnen und Schülern und die Pensio-
nierung der Babyboomer-Generation identiziert (SKBF, 2018). Gemäss den Szenarien
des Bundesamts für Statistik (BFS, 2022a) ist bis 2031 mit einem Anstieg der Zahlen
der Schülerinnen und Schüler von 8 Prozent auf der Primarstufe und von 9 Prozent auf
der Sekundarstufe I zu rechnen, bei grossen Unterschieden zwischen den Kantonen
(Schneider Boye & Keller-Schneider, 2023; vgl. dazu auch in diesem Heft Denzler,
2023). Trotz der seit 2010 um 30 Prozent angestiegenen Eintritte in die Pädagogischen
Hochschulen (SKBF, 2023) kann der Bedarf an Lehrpersonen nicht gedeckt werden.
Vielfältige Stellgrössen (Erhöhung der Zahlen der Schülerinnen und Schüler, Erhö-
hung der Pensen, Mobilität der Lehrpersonen zwischen den Kantonen) wirken auf den
durch die wachsenden Zahlen der Schülerinnen und Schüler bedingten Bedarf ein. Um
den Bedarf zu decken werden alternative Studiengänge mit berufsintegrierten Anteilen
entwickelt, in welchen Studierende als Lehrpersonen berufstätig sind. So wurden bei-
spielsweise im Kanton Zürich im Jahr 2010 Quereinstiegsstudiengänge für Berufsper-
sonen mit mindestens dreissig Lebensjahren, mindestens drei Berufsjahren und einem
afnen Masterabschluss geschaffen, mit einem zweiten, berufsintegrierten Teil (Keck
Frei, Kocher, Spiess, Bieri Buschor & Hürlimann, 2017). Gegenwärtig gelten schweiz-
weit ein Mindestalter von 27 Jahren, eine mindestens dreijährige Ausbildung auf der
Sekundarstufe II und drei Jahre Berufserfahrung als Voraussetzung (EDK, 2023a). Im
Kanton Bern gibt es einen entsprechenden Studiengang auch für reguläre Studierende
(Guidon, Profe-Bracht & Bühler, 2021).
Die Reaktivierung pensionierter Lehrpersonen stellt ein weiteres Potenzial dar. Zu-
dem sind viele Studierende zumindest zeitweise als Lehrpersonen tätig (SKBF, 2023,
S. 307). Als Notmassnahme werden Personen ohne Lehrdiplom eingestellt (VSA,
2023b). Die Frage, ob diese Personen ausreichend qualiziert seien, um den Beruf
professionell auszuüben, und inwiefern sie die Schulen bereichern oder belasten, wird
breit diskutiert; empirische Befunde fehlen weitgehend. Bisherige Studien zeigen,
dass sich über ein Quereinstiegsstudium qualizierte Lehrpersonen zwei Jahre nach
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
Berufseintritt in der Wahrnehmung von Berufsanforderungen nicht von Studierenden
unterscheiden, die einen Regelstudiengang absolviert haben (Keller-Schneider, Arslan
& Hericks, 2016), und dass regulär ausgebildete Lehrpersonen mit dem Lehrberuf als
Zweitberuf ihre beruichen Vorerfahrungen für den Lehrberuf nutzen können (Bauer,
Trösch, Aksoy & Hostettler, 2017). Inwiefern sich die vielfältigen Zugänge zum Lehr-
beruf als tragfähige Lösungen zur Bekämpfung des verstärkten Bedarfs erweisen oder
ob damit neue Probleme geschaffen werden, wird sich erst langfristig zeigen. In den
folgenden Abschnitten werden mögliche Faktoren ausgeführt, die auf den Mangel an
Lehrpersonen einwirken könnten.
3 Zur Attraktivität des Lehrberufs – Faktoren auf gesellschaftlicher
Ebene
Das Ansehen von Schweizer Lehrpersonen ist seit 2013 gestiegen (Statusindex: 2013
bei 23.78 von 100 Punkten; 2018 bei 43 von 100 Punkten) und liegt im internationalen
Vergleich im vorderen Mittelfeld (Platz 22 von 35) (Dolton & Marcenaro-Gutierrez,
2013; Dolton, Marcenaro, de Vries & She, 2018). Das Vertrauen der Bevölkerung in
die Lehrpersonen liegt im mittleren Bereich (Platz 13 von 25 Ländern) (moneyland.ch,
2022). Eine Befragung des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH)
zeigt, dass die Mehrheit der Teilnehmenden ihre Lehrpersonen in guter Erinnerung hat
(LCH, 2005).
Im internationalen Vergleich gelten die Löhne schweizerischer Lehrpersonen als hoch
(Dolton et al., 2018). Umstritten ist, inwiefern sie im Vergleich mit anderen Hoch-
schulberufen in der Schweiz als hoch bezeichnet werden können (Cattaneo & Wolter,
2016). Ein Vergleich mit anderen Berufen zeigt, dass der Einstiegslohn von Lehrper-
sonen über dem Durchschnitt der Absolventinnen und Absolventen der Universitäten
und der Fachhochschulen liegt. Nach fünf Jahren liegen die Löhne der Lehrpersonen im
Durchschnitt, jene von Wirtschaft, Recht und Medizin höher (SKBF, 2023).
Die Karrieremöglichkeiten von Lehrpersonen werden als ach beschrieben (Europä-
ische Union, 2020), da die Rolle über die gesamte Berufslaufbahn mehrheitlich die-
selbe sei und sich in der hierarchischen Stellung wenig verändere. In den meisten Kan-
tonen besteht eine Weiterbildungspicht von rund fünf Prozent der Jahresarbeitszeit
(EDK, 2023b). Die Weiterbildungen an den Pädagogischen Hochschulen lassen sich
nach Angeboten zur Vertiefung im Kernbereich, zur Prolierung durch den Erwerb
zusätzlicher Kompetenzen, zur Spezialisierung für weitere Funktionen sowie zur Wei-
terqualikation für Führungsaufgaben gliedern, wie aus der Analyse der Angebote der
Pädagogischen Hochschulen Bern, Luzern, Nordwestschweiz und Zürich hervorgeht
(Keller-Schneider, Hasler, Lauper & Tschopp, 2020). Durch eine Differenzierung von
Aufgabenfeldern und die Ausrichtung der Weiterbildung auf die Stärken der Lehrper-
sonen könnte ihre Effektivität erhöht werden (Fuchs & Herzog, 2022).
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Lehrpersonenmangel – Fakten, Mythen, Leerstellen
Der Lehrberuf bietet die Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung. Der durchschnitt-
liche Beschäftigungsgrad beträgt rund 65 Prozent (SKBF, 2023, S. 292). Weniger als
30 Prozent arbeiten in einem Vollzeitpensum, rund 25 Prozent in einem Pensum unter
50 Prozent, bei grossen kulturell, strukturell und institutionell bedingten Unterschie-
den zwischen den Kantonen. Trotz des Lehrpersonenmangels habe sich die Beschäf-
tigungsintensität nicht verändert (SKBF, 2023). Eine Befragung von Studienabgänge-
rinnen und Studienabgängern der Pädagogischen Hochschule Zürich ergab, dass sich
65 Prozent der teilzeitbeschäftigten Berufseinsteigenden zur Reduktion der Belastung
für eine Teilzeitstelle entschieden hatten; 40 Prozent taten dies, um anderen Beschäf-
tigungen nachzugehen, 21 Prozent für Familienarbeit und 16 Prozent zur Erfüllung
letzter Studienanforderungen (Stühlinger, 2022).
4 Fluktuation im Lehrberuf
Die Fluktuationsrate von Lehrpersonen der Volksschule wurde 2009 mit 9 Prozent,
2014 mit 8.4 Prozent berechnet (BFS, 2014). Im Vergleich mit der Fluktuationsrate
aller Berufe von 18.2 Prozent im Jahr 2011 (BFS, 2012) liegt diese im Lehrberuf tiefer.
Aufgrund der bis 2013 fehlenden Möglichkeit, zwischen einem Wechsel des Schul-
orts, einer Veränderung des Pensums, einem Ausstieg oder einem Unterbruch zu un-
terscheiden, konnten die Gründe von Kündigungen und Teilkündigungen sowie die
weitere Berufstätigkeit nicht erfasst werden. Das Bundesamt für Statistik deklarierte,
dass eine Kündigung der Arbeitsstelle oder eines Pensenanteils nicht mit dem Ver-
lassen des Berufs gleichgesetzt werden könne. Dies zeigt sich auch in einer Studie
zu Kündigungsmotiven im Kanton Zürich. Qualitative Befunde zeigen, dass Kündi-
gungen mehrheitlich mit einem Pensen- oder einem Stellenwechsel einhergehen sowie
als Unterbruch (Reise, Familienarbeit) oder aufgrund eines Wohnortwechsels erfolgen.
Lediglich 3 Prozent der Aussagen lassen die Absicht erkennen, das Berufsfeld zu ver-
lassen (Keller-Schneider, 2019b). Befunde der quantitativen Teilstudie zeigen zudem,
dass sich kündigende Lehrpersonen hinsichtlich der wahrgenommenen Belastung und
der Beanspruchung durch die Berufsanforderungen nicht von nicht kündigenden Lehr-
personen unterscheiden; auch zwischen berufseinsteigenden und erfahrenen Lehrper-
sonen besteht diesbezüglich kein Unterschied (Keller-Schneider, 2019a, 2019b).
Aktuelle Ergebnisse zur Fluktuation von Lehrpersonen, seit 2013 mittels der neuen
AHV-Nummer über die Kantone und Jahre nachverfolgbar, belegen nun auch längs-
schnittlich, dass Lehrpersonen den Schulort wechseln und an einer anderen Schule
eine Anstellung übernehmen. Nach fünf Jahren sind 90 Prozent der unter 55-Jährigen
im Schuldienst, 6 Prozent gehen einer anderen Erwerbstätigkeit nach und 4 Prozent
sind nicht erwerbstätig (SKBF, 2023, S. 291). Bei 61 Prozent derjenigen, die nicht
in eine neue Stelle eintreten, und bei 70 Prozent wegen Mutterschaft kündigender
Frauen erfolgt innerhalb von vier Jahren ein Wiedereinstieg (BFS, 2022c); inwiefern
weitere später dazukommen, ist offen. Der Anteil altersbedingter Rücktritte dürfte
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
in den nächs ten zehn Jahren aus demograschen Gründen abnehmen (SKBF, 2023,
S. 292), da die Baby boomer bis dann pensioniert sind. Diese Zahlen belegen, dass die
Verweildauer im Lehrberuf hoch ist (SKBF, 2023).
Diese Belege widerlegen die sich hartnäckig haltende Aussage, dass nach drei Jahren
ein Drittel der Berufseinsteigenden und nach fünf Jahren die Hälfte kündige und das
Berufsfeld verlasse. Als empirische Grundlage für diese Behauptung wird oft eine aus
den USA stammende Studie (Ingersoll & Kralik, 2004) beigezogen, in welcher die
Kündigungsrate von Berufseinsteigenden auf der Ebene der Einzelschule identiziert
wurde. Infolge einer sprachlichen Ungenauigkeit wird der Befund jedoch verzerrt wie-
dergegeben, denn «to quit the job» kann nicht mit «den Beruf verlassen» übersetzt
werden, wie Ingersoll selbst im Rahmen eines Gesprächs an der Tagung «Wege in
den Lehrberuf» im September 2018 in Brugg bestätigte. In den USA könne die Fluk-
tuation nur auf der Ebene der Einzelschule erfasst werden, eine schulenübergreifende
Administration gebe es nicht. Zudem verdienten Lehrpersonen in den USA in heraus-
fordernden Schulen weniger als in privilegierten, was einen Schulwechsel befördere.
Für eine Kündigung sind somit nicht nur individuelle Faktoren (Gestaltung der Be-
rufslaufbahn) von Bedeutung, sondern auch organisational-schulspezische und
institu tionell-anstellungsrechtliche. Da personale Abgänge mit zusätzlichen Aufwän-
den und möglichen Qualitätsverlusten der Schulen einhergehen (Hanushek, Rivkin &
Schiman, 2016), werde eine Erhöhung der Berufszufriedenheit, des organisationalen
Commitments und der Verweildauer an einer spezischen Schule angestrebt (Sand-
meier & Mühl hausen, 2020). Da Lehrpersonen in der Schweiz öffentlich-rechtlich an-
gestellt sind und sich für eine auf dem Arbeitsmarkt ausgeschriebene Stelle bewerben,
ist ein Wechsel der Anstellung (als Veränderung von Schulort, Pensum, Funktion oder
Tätigkeit) eine Möglichkeit zur Gestaltung der beruichen Laufbahn. Personen- und
systemspezische Faktoren sind dabei von Bedeutung (Herzog, Sandmeier & Terhart,
2022; Sandmeier, Gubler & Herzog, 2018). Der Mythos, dass eine Kündigung dem
Verlassen des Berufs entspreche und damit den Lehrpersonenmangel fördere, kann
widerlegt werden.
5 Institutionelle Faktoren der Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Die Eintritte ins Studium zur Lehrperson an Pädagogischen Hochschulen sind seit
2010 um 30 Prozent angestiegen (SKBF, 2023). Als Eintrittsbedingungen gelten die
gymnasiale Maturität, eine bestandene Ergänzungsprüfung (Passerelle), die Fachma-
turität Pädagogik oder die Berufsmaturität mit Zusatzprüfung sowie die Prüfung von
Äquivalenznachweisen (Criblez & Quiring, 2020). Infolgedessen weisen Studierende
an Pädagogischen Hochschulen in ihrer Vorbildung auf der Sekundarstufe II eine grös-
sere Heterogenität auf als Studierende an Universitäten (SKBF, 2023, S. 301). Zurzeit
umfasst der Anteil der Studierenden der Primarstufe mit gymnasialer Maturität rund
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40 Prozent; vor zehn Jahren waren es 60 Prozent, mit kantonalen Unterschieden, mitbe-
dingt durch kantonsdifferente Traditionen der Zulassung. Gemäss den PISA-Leistun-
gen heben sich die Studierenden mit gymnasialer Maturität durch höhere Leistungen
in Mathematik und Lesen von Studierenden mit einer Berufsmaturität ab. Die gerings-
ten Leistungen weisen Studierende mit einer Fachmaturität auf (SKBF, 2023, S. 303).
Welche Bedeutung die unterschiedlichen Voraussetzungen der Studierenden für ihre
Studienleistungen haben, ist noch ungeklärt.
Die Effektivität von Pädagogischen Hochschulen sowie die Frage, inwiefern eine
Pädagogische Hochschule die Studierenden auf die Bewältigung der beruichen An-
forderungen vorbereitet, lassen sich nicht eindeutig bestimmen bzw. beantworten, da
der Beruf offen formulierten Standards unterworfen ist (LCH, 2008). Zudem sind das
beruiche Handeln von Lehrpersonen und seine Wirkung von Kontingenz geprägt
(Combe, 2015). Es bestehen keine trivialen und direkten Wirkketten zwischen An-
geboten einer Hochschule und den Leistungen der Schülerinnen und Schüler, da die
individuelle, von Überzeugungen gerahmte Wahrnehmung und die Bearbeitung von
Anforderungen für das berufsbezogene Handeln und die weitere Professionalisierung
von Lehrpersonen von Bedeutung sind (Blömeke, Kaiser & Lehmann, 2008; Keller-
Schneider, 2016, 2020b). Das Handeln von Lehrpersonen sowie seine Wirkung auf die
Schülerinnen und Schüler werden von zahlreichen individuellen und kontextuellen
Faktoren geprägt (Klusmann & Richter, 2014).
Aus Befragungen von Studienabgängerinnen und Studienabgängern (SKBF, 2023), die
auch dazu genutzt werden, die wahrgenommene Attraktivität der Hochschule zu erhö-
hen, um weitere Studierende zu gewinnen, geht hervor, dass diese in auf das Studium
zurückblickenden Einschätzungen der Frage zustimmen, dass das Studium gut auf den
Beruf vorbereite, mit Unterschieden zwischen den Hochschulen (SKBF, 2023, S. 308).
Der Studienerfolg von an Pädagogischen Hochschulen Studierenden beträgt durch-
schnittlich 88 Prozent (SKBF, 2023). 91 Prozent der neu diplomierten Lehrpersonen
treten in den Lehrberuf ein und sind ein Jahr nach Abschluss weiterhin als Lehrper-
sonen tätig; nach fünf Jahren sind es 80 Prozent (SKBF, 2023). Seit der mit der Grün-
dung der Pädagogischen Hochschulen einhergehenden Verlängerung der Ausbildung
auf sechs Semester für Kindergarten und Primarstufe (Bachelorstudiengang) bzw. auf
neun Semester für die Sekundarstufe I (Masterstudiengang) ist der Anteil der in den
Beruf eintretenden Personen deutlich höher als in jener Zeit, in welcher die nachmatu-
ritäre Ausbildung deutlich kürzer war und in einzelnen Kantonen als Abschluss auf der
Sekundarstufe II (seminaristische Struktur) den Zugang zur Universität ermöglichte
(Herzog, Herzog, Brunner & Müller, 2007).
Derzeit stehen zahlreiche Studierende im Schuldienst. In der Primarstufe gehen
schweizweit rund 14 Prozent einer regelmässigen Berufstätigkeit als Lehrperson nach,
auf der Sekundarstufe I sind es fast die Hälfte. Gelegentlich tätig sind auf beiden Stufen
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
rund 50 Prozent; Studierende der Studiengänge mit berufsintegriertem Ausbildungs-
teil sind in diesen Angaben nicht enthalten (SKBF, 2023). Damit ist ein Anteil des
erschliessbaren Potenzials bereits in den Schulbetrieb eingebunden.
6 Berufsbiografische Stationen als mögliche neuralgische Punkte
Studien zur Studien- und Berufswahl zeigen, dass der Beruf «Lehrperson» als einer
von zehn Wunschberufen von 15-jährigen Frauen genannt wird, bei den 21-Jährigen
sowohl von Männern als auch von Frauen (Kriesi & Basler, 2020). Bei Frauen ist der
Berufswunsch stärker ausgeprägt als bei Männern (Berweger, Kappler, Keck Frei &
Bieri Buschor, 2015; Kappler, Bieri Buschor, Berweger & Keck Frei, 2014). Im Beruf
insgesamt ist der Frauenanteil deutlich höher als der Männeranteil; auf der Primarstufe
liegt er bei über 95 Prozent, auf allen anderen Stufen lässt sich eine steigende Tendenz
feststellen (BFS, 2022b).
Auch bei schweizerischen angehenden Lehrpersonen sind die intrinsischen Berufswahl-
motive dominant, beispielsweise die Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugend-
lichen und die gesellschaftliche Relevanz des Berufs (Keller-Schneider, Weiß & Kiel,
2018; König, Rothland, Darge, Schreiber & Tachtsoglou, 2013). Extrinsische Motive
wie die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
folgen nach. Aus dem Befund, dass bei deutschen Studierenden das Berufswahlmotiv
der Arbeitsplatzsicherheit stärker ausgeprägt ist als bei schweizerischen Studierenden
(Keller-Schneider et al., 2018), kann gefolgert werden, dass sich in extrinsischen Berufs-
wahlmotiven auch anstellungsrechtliche Bedingungen niederschlagen (Verbeamtung in
Deutschland). Für Studenten sind die grossen Chancen auf dem Arbeitsmarkt wichtiger
als für Studentinnen (Kappler, 2013). Befunde aus einer Längsschnittstudie zu Berufs-
wahlmotiven von Studierenden zeigen, dass sich die intrinsischen, tätigkeitsnahen Mo-
tive im Verlauf des einphasigen Studiums mit integrierten Praxisanteilen verstärken;
altruistische und biograsche Motive werden schwächer (Keller-Schneider, 2019c).
Die Antwort, das Studium als Verlegenheitslösung gewählt zu haben, zeigt sehr tiefe
Werte. Es kann angenommen werden, dass das Motiv der Übergangslösung durch die
Verlängerung des Studiums auf drei bzw. fünf Jahre an Bedeutung verloren hat. Aus der
Konstellation der Berufswahlmotive geht hervor, dass insbesondere intrinsisch-berufs-
bezogene Motive die Studienwahl prägen.
Befunde zum Übergang vom Studium in den Beruf zeigen, dass gesamtschweizerisch
91 Prozent der Absolventinnen und Absolventen einer Pädagogischen Hochschule in
den Schuldienst eintreten (SKBF, 2023), was im Vergleich zu 2005 einen Anstieg dar-
stellt (83 Prozent). Zudem ist der prozentuale Anteil von in den Beruf einsteigenden
Absolventinnen und Absolventen einer Pädagogischen Hochschule höher als jener
von Studierenden nach einem universitären Studium oder nach dem Abschluss einer
Fachhochschule (SKBF, 2023). Im Kanton Zürich hatten kurz vor Studienabschluss
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Lehrpersonenmangel – Fakten, Mythen, Leerstellen
81 Prozent der Antwortenden eine Anstellung als Lehrperson gefunden; 13 Prozent wa-
ren noch auf Stellensuche (Stühlinger, 2022). In der Schweiz arbeiten 50 Prozent der
Absolventinnen und Absolventen einer Pädagogischen Hochschule in einem Pensum
von 90 bis 100 Prozent; 39.7 Prozent arbeiten 50 bis 89 Prozent und 9.7 Prozent unter
50 Prozent (BFS, 2019). 17 Prozent der Primar- und Sekundarlehrpersonen geben an,
keine Vollzeitbeschäftigung gefunden zu haben (BFS, 2019). Berufseinsteigende arbei-
ten insgesamt in grossen Pensen; das Potenzial ist teilweise auch aus strukturellen und
institutionellen Gründen, beispielsweise aufgrund der regionalen Schulorganisation
oder der Anstellungsbedingungen, nicht ausgeschöpft.
Der Berufseinstieg wird oft als belastende und beanspruchende Zeit beschrieben, un-
termauert durch medial vermittelte Schilderungen individueller Berichterstattungen.
Befunde einer Studie zu von Berufseinsteigenden wahrgenommenen Anforderungen
und mitwirkenden individuellen und kontextuellen Faktoren (Keller-Schneider, 2020a,
2020b) zeigt jedoch, dass es berufseinsteigenden Lehrpersonen mehrheitlich gut ge-
lingt, die Berufsarbeit zu bewältigen. Die im Vergleich zu Studierenden und zu erfah-
renen Lehrpersonen leicht tieferen Werte verweisen jedoch darauf, dass der sprunghafte
Anstieg der Komplexität der beruichen Anforderungen zu einer Verunsicherung führt.
Angebote der Berufseinführung der Pädagogischen Hochschulen (Keller-Schneider,
2019d; Vögeli-Mantovani, 2011) und kollegiale Begleitangebote in den Schulen (Keller-
Schneider, 2023a) beabsichtigen, diese Verunsicherungen aufgefangen. Befunde zum
Beanspruchungserleben im Berufseinstieg zeigen zudem, dass sich Berufseinsteigende
nicht von angehenden und erfahrenen Lehrpersonen unterscheiden (Keller-Schneider,
2020b). Individuelle (Keller-Schneider, 2020a, 2021) und kontextuelle Faktoren (Baker-
Doyle, 2012; Thomas, Tuytens, Devos, Kelchtermans & Vanderlinde, 2019) prägen
wahrgenommene Anforderungen und ihre Bewältigung mit. Die oft tradierte und medial
weitergetragene Aussage, dass Berufseinsteigende überfordert seien, kann mit diesen
Befunden widerlegt und als Mythos bezeichnet werden.
Der Lehrberuf insgesamt gilt als belastend, insbesondere durch die sich laufend ver-
ändernden Anforderungen, die geringe Vorhersehbarkeit von herausfordernden Situa-
tionen und die zunehmenden administrativen Aufgaben (Rothland & Klusmann, 2016).
Von den Berufsverbänden wird die Problematik der teilweise schwierigen Arbeits-
bedingungen moniert. Dabei werden insbesondere fehlende Fachkräfte und reform-
bedingte Belastungen thematisiert. Studien zu Belastung und Berufszufriedenheit
belegen jedoch, dass sich diese Aspekte nicht gegenseitig ausschliessen (Bieri, 2006;
Gehrmann, 2013; Keller-Schneider, 2023b; Sandmeier, 2023). Sie werden von je spe-
zischen individuellen, institutionellen und sozialen Faktoren mitbestimmt (Rothland
& Klusmann, 2016; Sandmeier & Mühlhausen, 2020; Thomas et al., 2019). Ein hohes
beruiches Engagement geht mit hoher Zufriedenheit einher (Sandmeier, 2023), wenn
das Engagement Wirkung zeigt (Toropova, Myrberg & Johansson, 2021) und sich auf
subjektiv relevante Anforderungen ausrichtet (Keller-Schneider, 2020a). Problema-
tisch und gesundheitsgefährdend wird Engagement dann, wenn dieses nicht selbst be-
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BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
stimmt werden kann (Sandmeier, Baeriswyl, Krause & Mühlhausen, 2022) und wenn
Anerkennung fehlt (Semmer, Jacobshagen, Meier, Elfering, Beehr & Kälin, 2015).
7 Abschluss – Fakten, Mythen, Leerstellen
Die dargelegten Befunde zeigen, dass insbesondere das Wachstum der Bevölkerung und
der damit einhergehende Anstieg der Zahl der Schülerinnen und Schüler den prognos-
tizierten Mangel an Lehrpersonen verstärken (BFS, 2022a; SKBF, 2023). Die zuvor
dargelegten Fakten und Befunde zeigen, dass der Spielraum, mit bestehenden Möglich-
keiten den Lehrpersonenmangel abzufedern, klein ist (vgl. auch Sandmeier & Herzog,
2022; Schneider Boye & Keller-Schneider, 2023). Dieser Engpass wird das Bildungs-
system auch weiterhin herausfordern. Dass sich die Differenz zwischen dem Bedarf
und der Anzahl vorhandener Lehrpersonen auf das Faktum des Bevölkerungswachs-
tums zurückführen lässt, ist ein etwas ernüchterndes Fazit. Damit wird jedoch klar, zu
welchen Annahmen und Behauptungen keine oder konträre empirische Belege bestehen
und dass sich diese als Mythen erweisen. Oser (2005) nutzte dafür auf die Moral bezo-
gen den Begriff des negativen Wissens, das heisst des Wissens darüber, was nicht ist
bzw. als nicht Erlaubtes nicht sein soll. Auf die Faktenlage zum Lehrpersonenmangel
übertragen bedeutet dies, dass nicht erhärtete oder widerlegte Annahmen zum Lehrper-
sonenmangel, als Nichtwissen identiziert, eine Fokussierung auf die (wenigen) Fakten
einfordern und damit eine Versachlichung der Diskussion fördern. Das Entwickeln von
Massnahmen ist zwingend, um den Schulbetrieb zu erhalten; welche intendierten und
nicht intendierten Wirkungen damit einhergehen, stellt zu prüfende Leerstellen dar.
Indirekt mit dem Lehrpersonenmangel zusammenhängende oder das Nichtwissen ein-
kreisende Fakten können auf der Grundlage der in den vorhergehenden Abschnitten
referierten Quellen wie folgt bilanziert werden: Auch wenn die Zahl der in ein Stu-
dium an einer Pädagogischen Hochschule eintretenden Studierenden steigt, kann der
Bedarf an Lehrpersonen nicht gedeckt werden. Die Studien- und Berufswahl wird von
intrinsischen, hinsichtlich der Berufsausübung förderlichen Motiven geprägt. Eine sehr
grosse Anzahl Studierender tritt in den Schuldienst ein. Sie übernehmen als vollver-
antwortliche Lehrperson hohe Pensen. Das Potenzial qualizierter Lehrpersonen wird
somit weitgehend ausgeschöpft.
Aus subjektiver Sicht gelingt es Berufseinsteigenden, die beruichen Anforderungen
zu bewältigen; einer mit der sprunghaft ansteigenden Komplexität der Anforderun-
gen einhergehenden Verunsicherung wird mit Begleitangeboten der Berufseinführung
begegnet. Berufseinsteigende erachten alle Anforderungen als sehr wichtig; sie unter-
scheiden sich in der wahrgenommenen Beanspruchung nicht von erfahrenen Lehrper-
sonen. Die Verweildauer ist hoch; im Vergleich zu anderen Berufen ist die Fluktuations-
rate im Lehrberuf tiefer. Kündigungen erfolgen aus Gründen der beruichen Mobilität.
Das qualizierte Lehrpersonal bleibt dem Beruf erhalten. In Anbetracht dieser Fakten
365
Lehrpersonenmangel – Fakten, Mythen, Leerstellen
kann der Mythos, dass Lehrpersonen, insbesondere Berufseinstiegende, den Beruf aus
Gründen der Überforderung verlassen, widerlegt werden. Auf diesen Mythen abge-
stützt Massnahmen zur Behebung des Lehrpersonenmangels zu entwickeln, erweist
sich als nicht zielführend. Es zeigt sich, dass die Gründe des Lehrpersonenmangels im
Anstieg der Zahlen der Schülerinnen und Schüler liegen und somit keine Leerstellen
darstellen. Zu erforschende Leerstellen beziehen sich auf die Folgen der ergriffenen
und zu ergreifenden Massnahmen.
Dem Mangel an Lehrpersonen kann lediglich über einen Zugewinn an Lehrpersonen
entgegengewirkt werden. Dazu wurden, wie in Abschnitt 2 ausgeführt, vielfältige
Massnahmen ergriffen. So wurden die Bedingungen für die Zulassung zum Studium
an den Pädagogischen Hochschulen erweitert und alternative Studiengänge mit berufs-
integrierten Anteilen entwickelt. Die Fragen, welche Bedeutung diese Massnahmen
für die Professionalität der (Lehr-)Personen haben, welche Auswirkungen sie auf die
Schulqualität insgesamt und die Qualität der Bildung der Schülerinnen und Schüler
haben, wie sich ein heterogener zusammengesetzter Lehrkörper auf eine Aufgaben-
differenzierung an den Schulen auswirkt und welche Bedeutung dieser Wandel für die
Berufszufriedenheit und die Berufsgesundheit der Lehrpersonen hat, verweisen auf
Leerstellen, die es mit Wissen und Nichtwissen zu füllen gilt:
Inwiefern eine Öffnung der Zulassungsbedingungen der Pädagogischen Hochschu-
len zu einer geringeren Attraktivität für potenzielle Studierende mit einer gymna-
sialen Maturität führt und damit lediglich zu einer Verschiebung der Anwärterinnen
und Anwärter führen könnte, muss längerfristig beobachtet werden.
Ebenso ist zu klären, inwiefern alternative Studiengänge ein Äquivalent zu Regel-
studiengängen darstellen oder ob daraus möglicherweise Potenziale hervorgehen
könnten, die auch für Regelstudierende von Bedeutung sind.
Inwiefern berufsintegrierte Studiengänge eine bessere Verzahnung zwischen den
Bildungsorten «Hochschule» und «Schule» ermöglichen und ob der Einbezug von
im Schulfeld erworbenen Erfahrungen als Berufsperson in das Studium auch zu
veränderten Lehrangeboten und damit zu Innovationen in der Hochschullehre führt,
muss geprüft werden.
Des Weiteren stellt sich die Frage, inwiefern die Berufstätigkeit von Studierenden
in der Schule auch Unterrichts- und Schulentwicklungsprozesse an den Schulen
bestärken könnte, denn Berufspersonen in frühen Berufsphasen verfügen über ein
aktuelles Professionswissen, das auch den Schulen zugutekommen könnte.
Zudem kann angenommen werden, dass durch eine Aufgabendifferenzierung und
durch eine Differenzierung der professionellen Akteurinnen und Akteure im Schul-
feld die Freude an Kooperation und Teamarbeit zu einem für die Berufsarbeit rele-
vanten Berufs- und Berufswahlmotiv wird.
Die aus dem Mangel an Lehrpersonen hervorgehenden Veränderungen können Innova-
tionen anstossen, wenn der Mangel als Fakt anerkannt wird und tradierte Wenn-dann-
Zusammenhänge als Mythen identiziert werden. Diese Einsicht gibt den Blick frei
366
BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 41 (3), 2023
und ermöglicht es, die infolge des Engpasses entwickelten Massnahmen und die daraus
hervorgehenden Entwicklungen als noch nicht ausgeleuchtete Leerstellen wahrzuneh-
men und diese zukunftsgerichtet zu erforschen.
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Autorinnen
Manuela Keller-Schneider, Prof. Dr. phil. habil., Pädagogische Hochschule Zürich,
m.keller-schneider@phzh.ch
Salome Schneider Boye, M.Sc., Pädagogische Hochschule Zürich, s.schneiderboye@phzh.ch
BzL BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN-UND LEHRERBILDUNG
Zeitschrift zu Theorie und Praxis der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern
41. Jahrgang – Heft 3/2023
E-Offprint
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Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung
Organ der Schweizerischen Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung (SGL)
Erscheint dreimal jährlich
ISSN 0259-353X
... In diesem Studienjahr entschieden sich sogar beinahe zwei Drittel (n = 3.262, 66%) aller neu immatrikulierten Studierenden für diese Studiengänge. (BFS, 2023) Diese Zahlen veranschaulichen nicht nur die Bedeutung, die die Studiengänge zur Kindergarten-/Unterstufe und zur Primarlehrperson an schweizerischen Pädagogischen Hochschulen einnehmen, ihr Steigen und Fallen wird gerade in Hinblick auf den gegenwärtigen und prognostizierten Lehrpersonenmangel in der Schweiz diskutiert und die naheliegende Frage nach der Studien-und Berufswahl gestellt (Keller-Schneider & Schneider Boye, 2023). Die Studien-und Berufswahl von Lehrpersonen wurde bereits aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven beforscht. ...
Chapter
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Wie werden aus ehemaligen Schüler:innen im Verlauf des Studiums Lehrer:innen? Der Band enthält quer- und längsschnittliche Untersuchungen zur ethnografischen Längsschnittstudie «TriLAN», in der 19 Studierende durch ihr dreijähriges BA-Studium begleitet wurden. Zum Gegenstand qualitativer Analysen werden Interviews zu biografischen Ausgangslagen, Lehrveranstaltungen, Praktika und weitere Formate der Lehrer:innenbildung. An diesen Daten wird herausgearbeitet, wie Studierende zu Lehrer:innen (gemacht) werden und welchen Einfluss Institutionen der Lehrer:innenbildung auf studentische Selbstverhältnisse nehmen. (DIPF/Orig.)
... Die Schulleitungen entscheiden über die Anstellung. Seit 2022 sind allein im Kanton Zürich mehr als 500 Personen pro Schuljahr in diesem Status als Lehrer:innen tätig. 2 Empirisch stellen sich relevante Fragen (Dedering, 2020;Keller-Schneider & Schneider Boye, 2023;Leonhard, 2023), allen voran die Frage, ob Lehrer:in-Sein ‚einfach so' und auch über einen längeren Zeitraum geht. Angesichts der unerwarteten Zulassung dieser Kategorie von Personen für die verantwortliche Mitwirkung im Lehrberuf im Frühjahr 2022 initiierten wir ein Projekt 3 , in dem wir 14 Laienlehrpersonen über das erste Schuljahr hinweg vorwiegend in regelmäßigen Interviews begleiten konnten (Marusic-Würscher et al., 2024;Schneider Boye & Leonhard, 2023). ...
Chapter
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Der Mangel an adäquat ausgebildeten Lehrer:innen führt zunehmend dazu, dass Personen mit sehr heterogenen Voraussetzungen in Schulen arbeiten und die Unterrichtsversorgung sicherstellen. Im Beitrag fokussieren wir das Verhältnis zwischen etablierten Lehrer:innen und Laienlehrpersonen und rekonstruieren, unter welchen Bedingungen Laienlehrpersonen in der Schule Anerkennung finden können. In der adressierungsanalytischen Rekonstruktion von Gruppendiskussionen am Ende eines gemeinsamen Schuljahres wird neben Differenzmarkierungen und Ausdrucksformen impliziter Skepsis die Bezugnahme auf die Persönlichkeit als zentrale Ressource der Kompensation zugeschriebener Ausbildungsdefizite sichtbar. Es wird auch deutlich, dass eine Qualifizierung der Laienlehrpersonen jenseits ihrer Gewöhnung an den Kontext „Schule“ strukturell nicht vorgesehen ist.
Article
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Die verstärkten schulischen Integrationsbemühungen in Kombination mit dem Fachkräftemangel in der Schweiz haben zu einem Anstieg von Assistenzpersonal sowie Regellehrkräften und Sonderpädagog*innen ohne formale Qualifikation geführt. Bisher gibt es kaum empirische Erkenntnisse zu den Auswirkungen dieser Deprofessionalisierungstendenzen in der Sonderpädagogik. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Sonderpädagog*innen u. a. im Kontext ihrer Kooperationsaufgaben davon betroffen sind. Besonders für Noviz*innen, die ohnehin eine hohe Arbeitsauslastung und Rollenambiguität erleben, könnten diese Tendenzen zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen. Dieser Beitrag zeigt, wie angehende Sonderpädagog*innen in der Schweiz die genannten Entwicklungen in ihrem Arbeitsalltag in integrativen Arbeitssettings erleben. Die Untersuchung basiert auf Daten aus 31 Leitfadeninterviews, die mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Die angehenden Sonderpädagog*innen berichten über fehlende Fachkräfte, erleben Mehraufwand, veränderte qualitative Arbeitsanforderungen, negative Auswirkungen auf die Schüler*innen sowie eine Abwertung des Berufsbildes. Gleichzeitig werden die Verbesserung der eigenen Arbeitsmarktchancen sowie die Entlastung durch das Assistenzpersonal erwähnt. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Perspektive der Sonderpädagog*innen in den Diskurs zum Fachkräftemangel integriert werden sollte, um einer potenziellen Beeinträchtigung durch die negativen Auswirkungen der Deprofessionalisierungstendenzen vorzubeugen. Stichwörter: Fachkräftemangel, schulische Integration, angehende Sonderpädagog*innen, Deprofessionalisierung, qualitative Inhaltsanalyse Zitation: Geiser, D., Niederberger, R., Sahli Lozano, C., Zingg, S. & Willen, M. (2024): Großer Aufwand auf wenigen Schultern: Die Auswirkungen des Fachkräftemangels auf angehende Sonderpädagog*innen in der Schweiz.
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Im Beitrag wird der Lehrkräftemangel aus der Perspektive der Arbeitsmarktökonomie beschrieben und in den bildungspolitischen Kontext gestellt. Ferner werden Handlungsfelder und Interventionsmöglichkeiten diskutiert sowie die Folgen und Herausforderungen für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung beleuchtet. Während bei den nachfrageseitigen Massnahmen Parameter wie etwa Klassengrösse und Betreuungsverhältnis im Fokus stehen, geht es bei den angebotsseitigen Massnahmen um eine Erhöhung des Lehrkräfteangebots. Dies kann etwa über Pensenerhöhungen der derzeit beschäftigten Lehrpersonen erfolgen oder mittels des Rekrutierens neuer Zielgruppen. Letzteres birgt, sofern dafür Anforderungen gesenkt werden, das Risiko, die Qualität der Lehrpersonen und des Schulunterrichts zu schwächen und einer Deprofessionalisierung Vorschub zu leisten.
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Schweizerische Lehrpersonen, die in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit einsteigen, haben eine am selben Schulort tätige Lehrperson als kollegiale Begleitperson ohne Beurteilungsaufgabe. Zur Untersuchung des Rollenverständnisses dieser Mentoratspersonen wurden Berufseinsteigende und Mentor*innen befragt, Textdaten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet (induktive Kategorienentwicklung). Aus den Sichtweisen der Mentor*innen gehen fünf Typen hervor; drei entsprechen den Kernaufgaben, zwei hingegen tendieren zu einer schützenden oder die Eigenverantwortlichkeit nicht anerkennenden Rollengestaltung. Berufseinsteigenden ist das Mentorat wichtig, zwei Drittel erlebten dieses konstruktiv. Ein Drittel vermisste einen kollegialen Umgang und die Anerkennung der Eigenverantwortlichkeit. Folgerungen verweisen auf die Wichtigkeit der Rollenklärung als Mentor*in von eigenverantwortlichen Lehrpersonen, die sich von Ausbildungsaufgaben unterscheidet.
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Die Frage, wie Grundschullehrpersonen qualifiziert werden müssen, wird in diesem Beitrag ausgehend von einer Analyse ihrer Aufgaben und der Rahmenbedingungen an Grundschulen diskutiert. Erkennbar wird insgesamt ein Widerspruch zwischen der für die Lehrtätigkeit notwendigen Polyvalenz und der für die Professionalisierung und die Qualität des Unterrichts erforderlichen Spezialisierung. Mit dem Ansatz der «profilierten» Lehrperson wird auf der konzeptionellen Ebene ein Zugang präsentiert, der die berufsimmanenten Widersprüche des Lehrberufs aufnimmt. Die damit verbundenen Herausforderungen erfordern eine stärker berufsbiografisch ausgerichtete Qualifikation, eine intensivierte Verzahnung von Lehrerinnen- und Lehrerbildung und Entwicklungen im Schulfeld sowie eine Erhöhung der Evidenzbasierung zukunftweisender und mutiger Reformen.
Article
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This paper focusses on beginning teachers’ appraisals of the challenge posed by their various professional requirements, and the associated buffering and boosting effects of individual resources. Challenge appraisal is relevant for professionalisation, but also risks energy loss, which hinders professionalisation. In this study, beginning teachers (n = 864) from primary and secondary schools in Switzerland and Germany were asked by questionnaire to report how challenging they found certain professional requirements (developmental tasks that relate to the career-entry stage), and to self-report their levels of certain individual resources. Six challenge-appraisal profiles were identified, which showed task-specific differences as well as differing individual-resource profiles. Self-efficacy, satisfaction, and dissociation reduced perceived challenge, while strain and engagement increased it. Two profiles showed a risk of stagnation and emotional exhaustion. Possessing reflexive and metacognitive skills concerning challenge appraisals and self-regulation may help student-teachers’ professionalisation.
Chapter
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Einleitung: eu stellender Anforderungen als herausfordernd. Aufgrund von individuell geprägten Wahrnehmungs- und Deutungsprozessen (Rudow, 1994; Keller-Schneider, 2010a) kann diese Tatsache auch als belastend erlebt werden (Rothland, 2013; Landert, 2006). Ein damit einhergehender Ressourcenabbau (Buchwald & Hobfoll, 2004) kann gesundheitliche Risiken bergen und zu einem Ausscheiden aus dem Beruf führen (Krause & Dorsemagen, 2014; Siegrist & Raedel, 2006; Quick & Tetrick, 2010). Belastung und Zufriedenheit schließen sich jedoch nicht aus (Bieri, 2006; Landert, 2006). Eine subjektiv wahrgenommene Beanspruchung kann auch aktivierend wirken (Eustress nach Selye, 1976) und ist für die weitere Professionalisierung von Bedeutung (Keller-Schneider, 2016). Um belastenden oder nicht zufriedenstellenden Situationen zu entweichen, kann die Kündigung eines Arbeitsvertrages eine gesundheitserhaltende Strategie darstellen. Kündigungen können jedoch auch aus anderen Motiven erfolgen und über neue Ziele eine Gestaltung der weiteren Berufsbiografie ermöglichen. Die aktive Kündigung einer Arbeitsstelle ist nicht nur aus individueller, sondern auch aus gesundheitspsychologischer (Hillert & Schmitz, 2004) und bildungsökonomischer Perspektive von Bedeutung (Denzler & Wolter, 2009). Aus welchen Gründen und mit welchen Zielen Lehrpersonen ihre Stelle kündigen und inwiefern das Kündigungsverhalten berufsphasenspezifisch geprägt ist, wurde bislang wenig erforscht. An diesem Punkt setzt der folgende Beitrag an und untersucht Kündigungsmotive von Lehrpersonen in unterschiedlichen Berufsphasen. Dabei wird nach Gründen und Zielen der Kündigung, nach einer möglichen Systematik ihrer Zusammenhänge sowie nach Unterschieden zwischen berufseinsteigenden und erfahrenen Lehrpersonen gesucht.
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Professionalisierungsanforderungen erstrecken sich aufgrund von sich verändernden gesellschaftlichen und schulischen Erwartungen an die Schule und die Lehrpersonen sowie von sich verändernden individuellen Zielen der Lehrpersonen (Herzog, Sandmeier & Terhart, 2022) über die gesamte Berufsbiografie. Weiterbildung zur Unterstützung der über die Ausbildung hinausgehenden Professionalisierung ist erforderlich, damit Lehrpersonen ihre Professionalität aufgrund der laufend sich verändernden beruflichen Anforderungen erhalten und weiter ausdifferenzieren (Hericks, Keller-Schneider & Bonnet, 2019). Der folgende Beitrag zeigt auf, wie sich die Weiterbildung in der Schweiz, die über Jahrzehnte gewachsen ist und sich laufend ausdifferenziert hat, in berufsbiografisch zeitlicher und aufgabendifferenzierend inhaltlicher Perspektive fassen lässt.
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Die Entwicklung von Berufswünschen ist ein wichtiger Schritt im Jugendalter. Berufliche Ziele dienen als Wegweiser für den Bildungsverlauf und beeinflussen die berufliche Position im Erwachsenenalter. Dieser Beitrag untersucht, wie sich der Status der Wunschberufe von Jugendlichen zwischen 15 und 21 Jahren verändert und welche Rolle der Ausbildungstyp auf Sekundarstufe II, die soziale Herkunft und das Geschlecht spielen. Die Analysen anhand des Schweizerischen Kinder- und Jugendsurvey COCON zeigen, dass Jugendliche ihre beruflichen Ziele schon früh den Möglichkeiten anpassen, die sie aufgrund ihrer Schullaufbahn als erreichbar wahrnehmen. Angehende Gymnasiastinnen und Gymnasiasten stecken ihre beruflichen Ziele höher als Berufslernende. Die Unterschiede verringern sich bis 21 Jahre, bleiben aber bestehen. Die beruflichen Aspirationen hängen auch mit dem Geschlecht zusammen. Junge Männer stecken ihre Berufsziele höher als junge Frauen. Dies dürfte dazu beitragen, dass junge Frauen trotz grösserem Schulerfolg im Arbeitsmarkt das Nachsehen haben.
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Based on a longitudinal survey of K-12 teachers in Switzerland (N = 533), a conditional effects model was used to analyze the relationships between teachers' work overload, prolonging working hours as a coping strategy, autonomy, and exhaustion. The findings showed that the effect of work overload on exhaustion was fully mediated by prolonging working hours. Autonomy moderated the longitudinal effects of work overload on exhaustion. Simple slope analyses demonstrated that autonomy buffered the negative effects of work overload on exhaustion.
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Die Ausbildung von Primarlehrer*innen ist in der Schweiz seit Mitte der 1990er Jahre in einem grossen Transformationsprozess neu konzipiert worden. Diese Reform ist inzwischen in eine Konsolidierungsphase eingetreten. Vor diesem Hintergrund skizziert dieser Beitrag die wichtigsten Reformen in der Lehrer*innenbildung in den letzten 25 Jahren. Es wird ein Überblick über die Situation und die Varianz der Lehrer*innenbildung auf Vorschul- und Primarstufe geboten und einige zentrale Strukturmerkmale werden analysiert. Am Schluss wird die gegenwärtige Situation im Sinne eines Fazits beurteilt und es wird auf einige Reformdesiderata verwiesen.