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Die Dynamik der (Morpho-)Syntax des Deutschen in der „Vertikale“: Perfektexpansion und Abfolge pronominaler Objekte

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Abstract and Figures

Der Beitrag widmet sich der geographisch bedingten (morpho-)syntaktischen Variation im Deutschen, wie sie im Projekt Regionalsprache.de (REDE) analysiert wird. Zunächst werden die sprachdynamischen Konzepte der „horizontalen“ und „vertikalen“ Variationsdimensionen, die bisher primär an phonologischen Merkmalen operationalisiert worden sind, in Bezug auf die (morpho-) syntaktische Beschreibungsebene diskutiert. Anschließend wird die methodische Anlage der (morpho-)syntaktischen Erhebung im REDE-Projekt skizziert. Den Schwerpunkt des Beitrags bilden dann detaillierte Analysen zur Perfektexpansion und zur Abfolge pronominaler Objekte. Die Ergebnisse der REDE-Erhebung werden zu bisherigen Ergebnissen der Forschung zu diesen Phänomenen in Bezug gesetzt. Sie geben jeweils Aufschluss über die Struktur der (morpho-) syntaktischen Vertikalen: Die bisherigen Resultate lassen sich teils validieren, teils ergänzen. Die Schlussfolgerungen werden zuletzt vor dem Hintergrund der methodischen und konzeptuellen Herausforderungen reflektiert.
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GERMANISTISCHE
LINGUISTIK
258-259 I2023
OLMS
Herausgegeben vom
Forschungszentrum
Deutscher
Sprachatlas
Hanna Fischer
Stefan Rabanus (Hrsg.)
Morphologische und
syntaktische Variation
in den deutschen
Regionalsprachen
Die Erforschung der sprachlichen Vertikale hat in der
deutschen Sprachwissenschaft eine lange Tradition; die
regional geprägte Alltagssprache wurde schon früh als
Sprechweise mit eigenen Sprachformen identifiziert und
zum Gegenstand linguistischer Beschreibung gemacht.
Dabei wurde hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich
– Bezug auf die Lautebene genommen. Um die sprach-
liche Struktur der Regionalsprachen auch jenseits der
Lautebene beschreiben zu können, stehen daher morpho-
logische, morphosyntaktische und syntaktische Variablen
im Fokus dieses Bands. Ziel der Studien ist es, die situa-
tionsspezifische Variantendistribution entlang der Dialekt-
Standard-Achse zu ermitteln. Für das gesamte deutsche
Sprachgebiet wird dabei die Realisierung oder Apokope
der Verbalsuffixe -e und -t, die Verteilung von Präteritum-
und Perfektformen, die Abfolge pronominaler Objekte und
der Elemente dreifacher satzfinaler Verbcluster untersucht,
für das österreichisches Deutsch die Diminutivbildung und
für Deutsch in der Schweiz der Relativsatzanschluss. Eine
Studie zum Partizip II-Suffix im Dänischen öffnet die Per-
spektive auf die allgemeingermanistische Sprachwissen-
schaft.
GERMANISTISCHE LINGUISTIK 258-259 I 2023
Impulse für die Erforschung der
sprachlichen Vertikale
Begründet von Ludwig Erich Schmitt
Tanja Ackermann (Berlin)
Mathilde Hennig (Gießen)
Alfred Lameli (Marburg)
Stefan Rabanus (Verona)
Augustin Speyer (Saarbrücken)
Redaktion: Salome Lipfert
Redaktionsanschrift: 35032 Marburg/Lahn, Pilgrimstein 16
E-Mail: gl@deutscher-sprachatlas.de
(Print)
Begründet von Ludwig Erich Schmitt
Friedhelm Debus (Kiel)
Roland Kehrein (Marburg)
Peter O. Müller (Erlangen)
Damaris Nübling (Mainz)
Stefan Rabanus (Verona)
Redaktion: Salome Lipfert
Redaktionsanschrift: 35032 Marburg/Lahn, Pilgrimstein 16
E-Mail: gl@deutscher-sprachatlas.de
Georg Olms Verlag
Hildesheim Zürich New York
2021
Georg Olms Verlag
Hildesheim ∙ Zürich ∙ New York
2023
Hanna Fischer / Stefan Rabanus (Hrsg.)
Morphologische und syntaktische Variation
in den deutschen Regionalsprachen
Impulse für die Erforschung der sprachlichen Vertikale
Georg Olms Verlag
Hildesheim ∙ Zürich ∙ New York
2023
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Germanistische Linguistik erscheint 4-6 mal jährlich.
Ab 1985 werden die Hefte unter Berücksichtigung der bisher erschienenen
fortlaufend durchnummeriert. Vorschlag für die Zitierweise:
GL Heft-Nummer, Jahr, Seite (z. B. GL 79-80. 1985, …).
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
DOI: 10.1470/9783487163369
https://doi.org/10.1470/9783487163369
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Umschlagentwurf: Anna Braungart, Tübingen
Herstellung: Hubert & Co., Göttingen
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
© Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2023
www.olms.de
ISBN 978-3-487-16336-9
ISSN 0072-1492
Inhalt
HANNA FISCHER/STEFAN RABANUS
Einleitung ……………………………………………………………. 9
SIMON KASPER/JEFFREY PHEIFF
Die Dynamik der (Morpho-)Syntax des Deutschen in der
„Vertikale“: Perfektexpansion und Abfolge pronominaler Objekte ... 19
HANNA FISCHER/STEFAN RABANUS
Zwischen dialektalem Hintergrund und standardsprachlicher
Norm: verbalmorphologische Variation in standardintendierter
Sprechweise ……………………………………….……………..…. 75
KATHARINA KORECKY-KRÖLL
Vertikale morphologische Variation des Deutschen in Österreich
am Beispiel der Diminutivbildung ……...……..…………….….. 135
MELANIE BÖSIGER
Das isch de Ma, wo ich Tennis spiele:
Wandel bei Relativsätzen in schweizerdeutschen Dialekten .…... 173
ANDREA PADOVAN
Variation in den deutschen Verbalkomplexen
zwischen gesprochener und geschriebener Sprache …………..…… 215
TORBEN JUEL JENSEN/MARIE MAEGAARD/NICOLAI PHARAO
Investigating indexicality of regional morphological variation and
change …………...……………………………...………..……… 241
SIMON KASPER/JEFFREY PHEIFF
Die Dynamik der (Morpho-)Syntax des Deutschen
in der „Vertikale“: Perfektexpansion und
Abfolge pronominaler Objekte
Abstracts
Der Beitrag widmet sich der geographisch bedingten (morpho-)syntaktischen
Variation im Deutschen, wie sie im Projekt Regionalsprache.de (REDE) analy-
siert wird. Zunächst werden die sprachdynamischen Konzepte der „horizonta-
len“ und „vertikalen“ Variationsdimensionen, die bisher primär an phonologi-
schen Merkmalen operationalisiert worden sind, in Bezug auf die (morpho-)
syntaktische Beschreibungsebene diskutiert. Anschließend wird die methodi-
sche Anlage der (morpho-)syntaktischen Erhebung im REDE-Projekt skizziert.
Den Schwerpunkt des Beitrags bilden dann detaillierte Analysen zur Perfektex-
pansion und zur Abfolge pronominaler Objekte. Die Ergebnisse der REDE-Er-
hebung werden zu bisherigen Ergebnissen der Forschung zu diesen Phänomenen
in Bezug gesetzt. Sie geben jeweils Aufschluss über die Struktur der (morpho-)
syntaktischen Vertikalen: Die bisherigen Resultate lassen sich teils validieren,
teils ergänzen. Die Schlussfolgerungen werden zuletzt vor dem Hintergrund der
methodischen und konzeptuellen Herausforderungen reflektiert.
The article deals with the geographically conditioned morpho-syntactic varia-
tion in German, a central topic of the project Regionalsprache.de (REDE). Cen-
tral notions of the Linguistics Dynamics Approach the “horizontal” and “ver-
tical” variation dimensions are applied to the morpho-syntactic level, after they
have primarily been operationalized at the phonological level up until now. Af-
terwards, we sketch our methodological choices for the morpho-syntactic survey
in REDE. The main focus of the article lies on the analyses of the expansion of
the perfect tense and the order of pronominal objects. We report on the current
state of research on these phenomena and then present the results of our own
survey, which are both suited to validate previous insights and to complement
them in certain respects. Finally, we discuss this conclusion against the back-
ground of the aforementioned conceptual and methodological challenges.
20 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
1. Einleitung
Der vorliegende Beitrag widmet sich der geographisch bedingten (mor-
pho-)syntaktischen Variation im (deutschländischen) Deutsch, wie sie
im Projekt Regionalsprache.de (REDE) analysiert wird. Zu diesem Ge-
genstand können drei große Desiderate identifiziert werden.
Zum einen ist die regionale Variation in „vertikaler“ Hinsicht unter-
schiedlich gut erforscht (vgl. zu dieser Variationsdimension Abschnitt
2.1, außerdem Elspaß/Kleiner 2019 und Kehrein 2019). Während die Di-
alektsyntax seit ca. 25 Jahren intensiv beforscht wird und die grammati-
schen Varianten des Standarddeutschen gut erforscht sind, sind die
Sprechlagen „zwischen“ den Dialekten und dem Standarddeutschen in
grammatischer (= morphologischer und syntaktischer) Hinsicht kaum
systematisch untersucht (vgl. Henn-Memmesheimer 1989, 171; Ramelli
2016, 4950; Weiß/Strobel 2018, 2930; Fleischer 2019, 636, 654655;
Kallenborn 2019, 47; Schmidt u. a. 2019, 4043).
Zum Zweiten sind verschiedene sprachgeographische Regionen hin-
sichtlich der Beschreibungsebenen und der Sprechlagen auf der Verti-
kale unterschiedlich gut erschlossen. Die dialektsyntaktischen For-
schungsbestrebungen sind bisher beispielsweise weitgehend auf den
ober- und westmitteldeutschen Raum beschränkt (Syntaktischer Atlas
der Deutschen Schweiz [SADS], vgl. Glaser [Hrsg.] 2021; Sprachatlas
von Niederbayern [SNiB], vgl. Eroms u. a. 2006; Syntax hessischer Di-
alekte [SyHD], vgl. Fleischer u. a. 2017; Syntax des Alemannischen [Sy-
nAlm], vgl. Brandner 2015) 1, die Sprechlagen zwischen Dialekten und
der Standardsprache allenfalls punktuell bearbeitet (vgl. die Beiträge in
Kehrein u. a. 2015).
——————————
1 Hinzu kommt ein (Pilot-)Projekt zur Erforschung der Dialektsyntax des Bai-
rischen (SynBai) (Lenz u. a. 2014). Für den norddeutschen Raum wurden
zwar im Rahmen des Projekts Plattdüütsch hüüt Erhebungen durchgeführt
(Elmentaler 2012). Die Ergebnisse der Fragebogenerhebungen liegen u. W.
bis auf Einzelkartierungen (z. B. Elmentaler 2019, 567, 569) bis jetzt nicht
vollständig publiziert vor.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
21
Schließlich sind zum Dritten trotz jüngerer dialektsyntaktischer Arbeiten
und Projekte noch viele potenzielle (morpho-)syntaktische Variablen un-
berücksichtigt geblieben.2 Insgesamt sind die linguistischen Beschrei-
bungsebenen in Bezug auf die deutsche Sprache unterschiedlich gut er-
forscht: Die historischen Ortsdialekte sind durch den Sprachatlas des
Deutschen Reichs (Wenker 18891923) und die seitdem entstandenen
Dialektatlanten, -grammatiken und durchgeführten Dialekterhebungen
phonologisch beinahe exhaustiv dokumentiert. Das Wenkermaterial ist
reich an segmental-phonologischen, schon weniger reich an morpholo-
gischen (Schirmunski 1961, 310), arm an syntaktischen und beinahe le-
dig aller suprasegmentalen Variablen.3
Vor diesem Hintergrund sind die Ziele des Projekts Regionalspra-
che.de (REDE) für den bundesrepublikanischen Raum zu sehen (vgl.
Schmidt u. a. 2008ff. a, Ganswindt u. a. 2015).4 Sie bestehen erstens in
der Ersterhebung und Analyse der variationslinguistischen Struktur und
Dynamik der modernen Regionalsprachen des Deutschen und zweitens
in der Entwicklung eines sprachgeographischen Informationssystems
(„SprachGIS“, Schmidt u. a. 2008ff. b). In diesem Zuge wird der Varia-
tionsraum zwischen den alten Ortsdialekten und der Standardvarietät er-
hoben und analysiert.5
Im vorliegenden Beitrag sollen diese beiden Ziele des REDE-Pro-
jekts an der Erhebung der regionalsprachlichen (Morpho-)Syntax
exemplifiziert werden (vgl. Schmidt u. a. 2008ff. c). Dazu werden im
zweiten Abschnitt die wesentlichen variationslinguistischen Konzepte
der Sprachdynamiktheorie („vertikale“ und „horizontale“ Variationsdi-
——————————
2 Vgl. zu bereits Geleistetem gegenüber Desideraten in Übersicht Schmidt u. a.
(2019), bezüglich der Morphologie Rabanus (2019) und bezüglich der Syntax
Fleischer (2019).
3 Für erste Ergebnisse eines syntaktischen Wenker-Atlas s. Fleischer (2017)
und zur Prosodie s. Peters (2006; 2019).
4 In Österreich widmet sich ähnlichen Fragestellungen umfassend der SFB
Deutsch in Österreich (DiÖ), vgl. Lenz (2018) und Korecky-Kröll (in diesem
Band).
5 Vgl. auch <regionalsprache.de/projektbeschreibung.aspx> (19.01.2023).
22 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
mensionen) erläutert, die dem Projekt zugrunde liegen, und die Erhe-
bungsmethode skizziert. Im dritten Abschnitt werden die Erhebungser-
gebnisse von zwei (morpho-)syntaktischen Variablen, dem Präteritum-
schwund bzw. der Perfektexpansion sowie der Abfolge pronominaler
Objekte präsentiert, mithilfe des REDE SprachGIS kartiert, analysiert
und zur bestehenden Forschung in Beziehung gesetzt. Im abschließen-
den, vierten Abschnitt wird der Beitrag der REDE-Erhebung zur variati-
onslinguistischen Forschung und zur Erfüllung der erwähnten Desiderata
diskutiert.
2. Konzeptuelle und methodologische Klärungen
2.1 Deutsch „horizontal“ und „vertikal“
Gemäß der Konzeption der Sprachdynamiktheorie (Schmidt/Herrgen
2011) umfassen die Regionalsprachen des Deutschen die Sprechlagen
„unterhalb“ der Standardsprache und deren Oralisierungen. Diese
Sprechlagen sind als „Dialekte“ und „Regiolekte“ durch ihre jeweiligen
Verortungen in „horizontalen“ und „vertikalen“ Variationsdimensionen
konstituiert (s. Querachse bzw. Längsachse in Abbildung 1).
Horizontal sind Dialekte und Regiolekte jeweils durch eigenstän-
dige, geographisch gebundene phonologische und grammatische Struk-
turen gekennzeichnet, denen auf individuell-kognitiver Ebene System-
und Registerkompetenzen entsprechen. Dialekte sind dabei die standard-
fernsten, am kleinräumigsten verbreiteten Varietäten, sie besitzen also
die geringste kommunikative Reichweite. Regiolekte sind dagegen geo-
graphisch durch die Grenzen der alten Dialektverbände begrenzt. Sie be-
sitzen damit immer noch eingeschränkte kommunikative Reichweite,
aber größere als die Dialekte.
Vertikal sind Dialekte durch maximalen, geographisch bedingten
Abstand zur Standardsprache definiert, Regiolekte durch einen geringe-
ren Abstand. In Bezug auf phonologische Variablen wird der Abstand
als phonetische Abweichungen von der Standardorthoepie quantifiziert.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
23
Abbildung 1: Vertikale Variationsdimension (vgl. Kehrein 2019, 124; modifi-
ziert)
Der Ausdruck „Regionalsprache“ umfasst sowohl Dialekte als auch Re-
giolekte als Vollvarietäten. Verschiedene Sprechlagen kennzeichnen
diese Varietäten. Sprechlagen sind „Verdichtungsbereiche [...], d. h. die
konventionellen allophonischen und allomorphischen Variationen inner-
halb einer Vollvarietät, die mit sozialen, situativen und arealen Faktoren
korrelieren.“ (Schmidt/Herrgen 2011, 68; s. Abbildung 1) In der kom-
munikativen Praxis gibt es sowohl monovarietäre Sprechertypen, die in
einer Varietät kompetent sind und zwischen verschiedenen Sprechlagen
einer Varietät wechseln („shiften“) können, als auch bivarietäre Typen,
die je nach situativer Anforderung zwischen Varietäten wechseln („swit-
chen“) und zwischen deren jeweiligen Sprechlagen shiften können. Ent-
standen sind die modernen Regionalsprachen, als zu einem bestimmten
24 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Zeitpunkt „neue Oralisierungsnormen der Standardvarietät kommunika-
tiv für breite Bevölkerungsgruppen verfügbar“ geworden sind
(Schmidt/Herrgen 2011, 65). Ihre vertikale Grenze ist durch die nationa-
len Oralisierungsnormen begrenzt. Nach innen ist eine Regionalsprache
durch ein Gefüge von Varietäten und Sprechlagen strukturiert
(Schmidt/Herrgen 2011, 66). Durch die vertikale Struktur der Regional-
sprachen ist eine gegenseitige Beeinflussung der dialektalen und stan-
dardsprachlichen Systeme erwartbar.
Was die am besten erforschte, phonologische Beschreibungsebene
betrifft, gibt es hinsichtlich der genannten Variationsparameter einige
prägnante Unterschiede zwischen Regionalsprachen (vgl. Kehrein 2012;
2019). In einer groben Annäherung kann man von einem Süd-Nord- und
einem West-Ost-Gefälle sprechen. Im Oberdeutschen und tendenziell
auch im Westmitteldeutschen finden sich standarddivergente dialektale
und regiolektale Varietäten, die sich jeweils in verschiedene Sprechlagen
auffächern, im phonetischen Abstand zur Standardsprache graduell ge-
stuft sind und zumindest im Oberdeutschen über verhältnismäßig große
Sprecherzahlen verfügen. Die jüngste Generation verfügt im Westmittel-
deutschen oft über keine Dialektkompetenz mehr, im Oberdeutschen ist
eine solche noch häufiger zu beobachten (vgl. Schmidt 2017). Im nörd-
lichen Niederdeutsch ist das Sprechen des größten Teils der Sprecherba-
sis auch im regiolektalen Bereich durch große Standardnähe geprägt. So-
fern es noch basisdialektale Kompetenz gibt, ist sie auf eine schmale
Sprecherbasis und ältere Generationen beschränkt. Der phonetische Ab-
stand zwischen Dialekt und Regiolekt ist dabei groß, der Zwischenbe-
reich ist durch ein Alternieren zwischen basisdialektalen und standard-
nahen Formen geprägt. Im Ostmitteldeutschen ist Dialektkompetenz
kaum noch feststellbar und die Sprechertypen sind generationenübergrei-
fend meistens durch eine Regiolektkompetenz geprägt, die sich durch ei-
nen vergleichsweise hohen phonetischen Abstand zur Standardsprache,
aber auch zu den anderweitig dokumentierten historischen Ortsdialekten
auszeichnet.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
25
2.2 Reflexion sprachdynamischer Konzepte
Wir möchten, Kallenborn (2019, 5862) folgend, die Adaption der wich-
tigsten sprachdynamischen Begriffe wie etwa Standardsprache für die
(morpho-)syntaktische Beschreibungsebene reflektieren. Nach Schmidt/
Herrgen (2011, 62) ist die Standardsprache diejenige Vollvarietät, „auf
deren Literalisierungsnorm die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft ihre
Makrosynchronisierungen ausrichten. Die nationalen Oralisierungs-
normen dieser Vollvarietät sind durch Freiheit von (kommunikativ) sali-
enten Regionalismen gekennzeichnet“. Es gibt allerdings bezüglich des
Verhältnisses zwischen der Literalisierungs- und Oralisierungsnorm Un-
klarheit. Einerseits ist die Literalisierungsnorm im sprachdynamischen
Standardsprachkonzept zwar enthalten, doch andererseits scheinen die
Autoren der Oralisierungsnorm eine „entscheidendere Rolle“ einzuräu-
men (vgl. Kallenborn 2019, 60). Wenn aber Sprecherinnen und Sprecher
ihre Makrosynchronisierungen an der Oralisierungsnorm orientieren,
[…] dann ist für die Syntax festzuhalten, dass es anders als im Falle der
Aussprachewörterbücher keine Kodifizierung des Gesprochenen ‚auf
Grundlage der Sprachverwendung durch Berufssprecher sowie im Falle des
neuen Deutschen Aussprachewörterbuchs empirischer Untersuchungen zur
Akzeptanz von Sprechweisen‘ (Kehrein 2012, 31) gibt. (Kallenborn 2019,
60)
Wenn es keine Oralisierungsnorm für die Syntax gibt, fragt sich, woran
sich Sprecherinnen und Sprecher bei ihren Makrosynkronisierungen ori-
entieren. Auf den (sprachdynamischen) Standardbegriff muss aber nicht,
Kallenborn (2019, 61) folgend, verzichtet werden, wenn zwei Ebenen
unterschieden werden. Die Sprachgemeinschaft richtet sich erstens an ei-
ner wie auch immer gearteten Norm aus. Der Standardbegriff deckt
immerhin die Literalisierungsnorm mit ab und es ist nicht auszuschlie-
ßen, „dass bei syntaktischen Unsicherheiten in der gesprochenen Sprache
die primär auf die geschriebene Sprache ausgerichteten Grammatiknach-
schlagewerke konsultiert werden“ (Kallenborn 2019, 61). Zweitens fragt
man sich, welche Varianten sich als standardsprachlich klassifizieren las-
26 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
sen. Hier ist klärungsbedürftig, ob ausschließlich jene Varianten als stan-
dardsprachlich anzusehen sind, die für die kodifizierte Standardsprache
gelten, oder ob es nicht etwa auch eine Oralisierungsnorm für die Stan-
dardsprache geben muss (vgl. Kallenborn 2019, 61), obwohl unsererseits
kritisch anzumerken ist, dass es derzeit aussteht, welche Form eine Ora-
lisierungsnorm für die Syntax haben sollte.
Weiter ist der perzeptionslinguistische Teil des Standardbegriffs in-
sofern problematisch, als wenig über die Salienz und Pertinenz syntakti-
scher Variablen bekannt ist (vgl. Kallenborn 2019, 62). Empirische Be-
funde zur Legitimation des Standardbegriffs für die Syntax fehlen zwar,
aus theoretischer Warte spricht dennoch grundsätzlich nichts dagegen,
dieses sprachdynamische Konzept in der Form auch für die Syntax an-
zunehmen.6 Es muss allerdings bedacht werden, dass das Konzept zum
Teil noch hypothetischen Charakter hat.
Die dreiteilige Struktur der Vertikale mit Dialekten, Regiolekten (je-
weils mit Binnendifferenzierung in Sprechlagen) und Standardsprache
hat sich in Bezug auf die phonologische Beschreibungsebene für die
deutschen Regionalsprachen als adäquate Modellierung erwiesen, nach-
dem sie forschungshistorisch zunächst durch Lenz (2003) für das Mosel-
fränkische nachgewiesen worden war. In Bezug auf die Syntax liegt die
bisher einzige empirische Studie zur Strukturierung der vertikalen Vari-
ationsdimension in einem Dialektverband mit der Monografie von Kal-
lenborn (2019) ebenfalls zum Moselfränkischen vor. Kallenborn (2019,
383–404) untersucht, „ob sich die Gewährspersonen anhand ihres indi-
——————————
6 Überdies fußen die oben eingeführten Begriffe „Dialekt“ und „Regiolekt“ auf
dem sprachdynamischen Varietätenkonzept. Nach Schmidt/Herrgen (2011,
51) sind Varietäten als „durch je eigenständige prosodisch-phonologische
und morpho-syntaktische Strukturen bestimmte und mit Situationstypen as-
soziierte Ausschnitte des sprachlichen Wissens“ definiert. Sog. Strukturgren-
zen bestimmen die arealen und vertikalen Grenzen dieser Varietäten. Solche
Strukturgrenzen lassen sich anhand von Hyperformen linguistisch bestim-
men. Hier fragt sich, ob sich die für das Varietätenkonzept wichtigen Hyper-
formen nachweisen lassen (vgl. Kallenborn 2019, 59). Hier steht u. W. die
empirische Forschung noch aus.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
27
viduellen sprachlichen Verhaltens innerhalb der beiden S[prach]P[ro-
duktions]T[ests]-Erhebungssituationen in Gruppen einteilen lassen“. Mit
Hilfe einer Clusteranalyse zu sechs syntaktischen Variablen kann Kal-
lenborn (2019) eine Drei-Cluster-Lösung herausarbeiten: ein dialektales
Cluster, ein standardsprachliches Cluster sowie ein mittleres Cluster, das
weder dem Dialekt noch der Standardsprache zuordenbar ist. Es gibt Kal-
lenborn (2019, 404) zufolge insofern Ähnlichkeiten zu Befunden zur
phonetisch-phonologisch ermittelten Vertikale, als weder phonologische
noch syntaktische Varianten ausschließlich in einem Register vorkom-
men. Varianten tauchen vielmehr mit unterschiedlicher Häufigkeit in
verschiedenen Registern auf. Ferner lässt sich eine Grenze zwischen ei-
nem dialektalen und einem weniger dialektalen bzw. einem regiolektalen
Cluster nachweisen.
Vor diesem Hintergrund haben wir die dreiteilige Struktur der Ver-
tikale für die flächendeckende Untersuchung der regionalsprachlichen
Syntax als Arbeitshypothese übernommen.
2.3 Die Erhebung der regionalsprachlichen (Morpho-)Syntax im
REDE-Projekt
Obwohl kaum ein einzelner Aspekt unserer Methode zur Erhebung der
regionalsprachlichen (Morpho-)Syntax in REDE ganz neu ist, wird mit
ihrer Gesamtanlage Neuland betreten.7
Erstens erfolgt die Datenerhebung indirekt, das heißt, anhand von
Fragebögen. Darin steht die REDE-Erhebung in der Tradition des Syn-
taktischen Atlas der Deutschen Schweiz (SADS) (vgl. Glaser [Hrsg.]
2021) und des Projekts Syntax hessischer Dialekte (SyHD) (vgl. Flei-
scher u. a. 2017). Weite Teile des Phänomen- und Aufgabenpools ent-
sprechen dem des SyHD-Projekts und wurden um weitere Phänomene
und Aufgaben ergänzt.
——————————
7 Zur Erhebungsmethode vgl. ausführlich Kasper/Pheiff (2018) und Pheiff/
Kasper (2020).
28 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Zweitens werden die Daten in REDE anders als in den vorgenannten dia-
lektsyntaktischen Projekten mittels Online-Fragebögen und der Umfra-
gesoftware LimeSurvey erhoben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen
fünf Fragebögen mit jeweils 25 bis 30 Aufgaben zur (Morpho-)Syntax
online und können von allen Personen mit Sprachkompetenz in Deutsch
ausgefüllt werden.8 Die Daten werden auf Servern des Hochschulrechen-
zentrums der Philipps-Universität Marburg gehalten. In der Entschei-
dung für Online-Erhebungen folgt REDE dem Beispiel des Atlas zur
deutschen Alltagssprache (AdA) (vgl. ller/Elspaß 2015). Die Teil-
nahme ist anonym. Bevor die Gewährspersonen die Fragen zur (Morpho-
)Syntax bearbeiten, beantworten sie einen ersten sprachbiographischen
Fragebogenteil, in dem solche Parameter erfragt werden, die in nachge-
wiesenem Zusammenhang mit der Sprachkompetenz und dem Sprach-
gebrauch stehen (beispielsweise Alter, geographische Herkunft, aktuel-
ler Wohnort, Mobilität, [Aus-]Bildungsbiographie, Erst- und Zweitspra-
chen).
Drittens zielt die REDE-Erhebung als einzige der genannten die spe-
zifischen Varietäten des vertikalen Spektrums an: Dialekt, Regiolekt und
(gesprochene) Standardsprache. Während die dialektsyntaktischen Pro-
jekte erwartungsgemäß nur Dialekte erheben, zielt der AdA zwar den
gesamten Bereich unterhalb der Standardsprache(n) an, doch ohne inner-
halb dieses Bereichs Varietäten zu differenzieren. In den REDE-Frage-
bögen wird dieser Herausforderung so begegnet, dass jede Gewährsper-
son im sprachbiographischen Teil des Fragebogens zunächst gefragt
wird, welche der drei „Sprechweisen“ „Dialekt/Platt/Mundart“, „regio-
nal geprägte Alltagssprache/Umgangssprache“ und „Hochdeutsch“ ihre
Eltern mit ihnen gesprochen haben, „als sie klein waren“. Diese drei
Sprechweisen werden dann in bereits erprobten Formulierungen in all-
gemeinverständlicher Weise charakterisiert (vgl. Huesmann 1998, 272;
Purschke 2011). Im Anschluss folgt die Frage, welche dieser Sprechwei-
sen den Gewährspersonen „die vertrauteste ist“ beziehungsweise, welche
davon sie „am sichersten“ sprechen. In der Sprechweise, die sie hier wäh-
len, werden sie gebeten, die anschließenden Fragen zur (Morpho-)Syntax
——————————
8 Vgl. <survey.online.uni-marburg.de/rede> (19.01.2023).
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
29
zu beantworten. So erfolgt die Zuordnung der Gewährspersonen in Spre-
chergruppen.
Viertens sollen die Gewährspersonen auf einer Siebener-Likert-
Skala subjektiv beurteilen, „wie gut“ sie den Dialekt ihres Heimatorts
bzw. die regional geprägte Alltagssprache ihrer Heimatregion „spre-
chen“. Gewährspersonen, die ihre Dialektkompetenz hier als gut bis sehr
gut einschätzen, werden am Ende des Fragebogens zu einem Dialekt-
kompetenzschnelltest geleitet, der in der Übersetzung von 10 standard-
sprachlichen Lexemen mit den mittelhochdeutschen Bezugslauten <î>
und <ei> in den jeweiligen Ortsdialekt besteht. Er soll dazu dienen, die
subjektiven Selbsteinschätzungen zu objektivieren. In der aktuellen Pro-
jektphase sind diese Tests noch nicht ausgewertet.
Die Fragebogenerhebung zur (Morpho-)Syntax bedient sich, wie be-
reits erwähnt, desjenigen Varietätenspektrums, das auf der phonologi-
schen Ebene ermittelt wurde (siehe dazu die Diskussion im Abschnitt
2.2). Dies wurde zusätzlich von der Erwägung geleitet, dass die Dreitei-
lung des Varietätenspektrums eine sprachliche Makrostruktur darstellt,
die im individuellen Sprachhandeln in bestimmten Kommunikationssi-
tuationstypen mikrostrukturell instanziiert wird und daher im prozedura-
len Sprachhandlungswissen der Gewährspersonen angelegt ist. Die Be-
zeichnungen der „Sprechweisen“ in den Fragebögen sollen dabei dem
objektlinguistisch ermittelten Varietätenspektrum annäherungsweise so
entsprechen wie in Abbildung 2 illustriert. Inwiefern sich die Anwen-
dung dieser Konzepte für die Erhebung der (Morpho-)Syntax im Sinne
einer Arbeitshypothese bewährt, muss sich in quantitativen Analysen
unserer Daten nach Abschluss der Erhebungsphase zeigen.
30 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Abbildung 2: Subjektive und objektive Varietätenkonzepte (vgl. Kehrein 2019,
124; modifiziert)
3. (Morpho-)Syntaktische Analysen
Im Folgenden werden Ergebnisse (Stand 03/2022) zu den (morpho-)syn-
taktischen Variablen „Perfektexpansion/Präteritumschwund“ und „Ab-
folge pronominaler Objekte“ präsentiert und diskutiert. Die Variablen
wurden deshalb ausgewählt, weil sie einerseits das Verhalten von syn-
taktischen Varianten in unterschiedlichen grammatischen Bereichen
(Verbal- vs. [Pro-]Nominalsyntax) illustrieren und andererseits, wie sich
zeigen wird, unterschiedliche Ausprägungen syntaktischer Variation im
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
31
vertikalen Spektrum aufzeigen (s. Abschnitte 3.1 und 3.2). Beide Vari-
ablen werden zum Teil in Ankreuzaufgaben und zum Teil in Überset-
zungsaufgaben erhoben (zur Terminologie vgl. Fleischer u. a. 2012). In
Ankreuzaufgaben führt ein lebensweltlicher Kontext Referenten ein und
fixiert die Informationsstruktur für die Varianten, die im Folgenden zur
Auswahl stehen. Die Gewährspersonen werden dann vor dem Hinter-
grund des lebensweltlichen Kontextes gebeten, „alle Sätze“ anzukreu-
zen, die sie „in [i]hrer vertrautesten Sprechweise sagen können“. Es fol-
gen (meist zwei) ankreuzbare Zielkonstruktionen. Wenn die Gewährs-
personen „den Satz normalerweise in einer Form sagen würden, die gar
nicht aufgeführt ist“, können sie ihn selbst notieren (und ankreuzen).
Falls sie am Ende mehr als eine Variante ausgewählt haben, werden sie
gebeten, die für sie „natürlichste“ Variante zu bestimmen. Wird nur eine
Variante angekreuzt, wird diese zugleich als die natürlichste Variante in-
terpretiert. In Übersetzungsaufgaben werden die Gewährspersonen eben-
falls durch einen lebensweltlichen Kontext in eine Situation eingeführt.
Anschließend sollen sie einen in diesem Kontext geäußerten Satz, der
standardsprachlich vorgegeben ist, „in [i]hre vertrauteste Sprechweise
[übersetzen] und [...] ihn so auf[schreiben], wie [s]ie ihn sagen würden“.
Die Ergebnisse werden im Folgenden zum Teil anhand von Karten
präsentiert. Kartiert wurden jeweils am Herkunftsort der Gewährsperso-
nen deren natürlichste Varianten im Falle der Ankreuzaufgaben und ihre
jeweils übersetzte Variante im Falle der Übersetzungsaufgaben. In den
Fragebögen geben Gewährspersonen als Heimatorte Postleitzahlen und
Ortsnamen an. Da Postleitzahlenbereiche im REDE SprachGIS als Poly-
gone repräsentiert sind und deren Projektion auf die Karte ein sehr unge-
ordnetes Kartenbild produzieren würde, wurde über die Postleitzahlen-
bereiche zunächst ein Gitternetz aus Quadraten gelegt. Daraufhin wurde
von den Polygonen jeweils der Mittelpunkt bestimmt. Anschließend
wurden alle biographischen und linguistischen Informationen, die mit
der Postleitzahl (= einem Polygon) verknüpft sind, auf das jeweilige
Quadrat übertragen, das über dem Polygonmittelpunkt liegt. Auf diese
Weise ergeben sich visuell klar strukturierte Kartenbilder.
32 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Allgemein ist zur Beleglage zu sagen, dass aus dem gesamten nieder-
deutschen und ostmitteldeutschen Raum sehr wenige Gewährspersonen
Dialekt/Platt/Mundart als ihre vertrauteste Sprechweise angegeben ha-
ben. Das kann zum einen auf die sprachdemographische Situation im
Norden und Osten Deutschlands zurückgeführt werden, zum anderen
hängt es vermutlich aber auch mit der Erhebungsmethode zusammen,
weil dialektkompetente Niederdeutschsprecherinnen und -sprecher so-
wie solche der ostmitteldeutschen Dialekte tendenziell alt und damit
auch weniger affin gegenüber Online-Erhebungen sind. Die Kartenbilder
zu den einzelnen Varietäten sind daher sowohl vor sprachdemographi-
schen als auch vor methodologischen Hintergründen zu interpretieren.
3.1 Perfektexpansion/Präteritumschwund9
Im Folgenden werden Sprachdaten zum Phänomen der Perfektexpansion
beziehungsweise des Präteritumschwunds präsentiert, die anhand von
fünf Aufgaben in der ersten und zweiten Erhebungsrunde elizitiert wur-
den, wie in Tabelle 1 dokumentiert. Abgefragt wurden die Verben kom-
men, wohnen und bauen, die sich hinsichtlich ihrer morphologischen Ei-
genschaften (stark vs. schwach) und ihrer Beleghäufigkeit unterschei-
den.10 Im Zentrum der Datenpräsentation stehen dabei die Verben kom-
men und wohnen. Bauen diente als Kontrollstimulus. Bei den Verben
kommen und wohnen wurde zwar der Aufgabentyp manipuliert, doch
wurde der Abfragekontext konstant gehalten.
——————————
9 Die Variable „Perfektexpansion/Präteritumschwund“ wird auch von Fischer/
Rabanus in diesem Band behandelt (Abschnitt 3.3).
10 Frequenzklassen lassen sich mittels der Funktion „Wortliste“ in der Daten-
bank für gesprochenes Deutsch (DGD) ermitteln. Eine niedrige Frequenz-
klasse steht dabei für eine höhere Gebrauchsfrequenz, eine hohe Frequenz-
klasse dagegen für eine niedrige Gebrauchsfrequenz. Ermittelt wurden die
Frequenzklassen innerhalb des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes
Deutsch (FOLK), das als Referenzkorpus des gesprochenen Deutschen gilt.
Es zeigt sich, dass kommen der Frequenzklasse 3, wohnen hingegen der Fre-
quenzklasse 7 angehört.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
33
Aufgabe
Verb
Aufgabentyp
Anzahl Antworten
E1_19
kommen
Ankreuzaufgabe (AA)
3036
E2_19
kommen
Übersetzungsaufgabe (ÜA)
1295
E1_03
wohnen
Ankreuzaufgabe (AA)
3304
E1_1211
wohnen
Übersetzungsaufgabe (ÜA)
2807
E1_12
bauen
Übersetzungsaufgabe (ÜA)
2807
Tabelle 1: Übersicht der Aufgaben zum Phänomen Perfektexpansion/Präteri-
tumschwund
Die Ereignisse lassen sich jeweils in der Vergangenheit verorten. Dabei
handelt es sich nach Fischers (2018, 289) Analysemodell zur Perfektex-
pansion um den Vergangenheitskontext „perfektive Vergangenheit“. Er
besitzt keine Relevanz für den Sprechzeitpunkt und „nimmt eine Ver-
gangenheitsverortung mit perfektivem Blickwinkel vor“ (Fischer 2018,
293). Die Abfragekontexte der in Tabelle 1 präsentierten Aufgaben fin-
den sich im Anhang.
3.1.1 Forschungslage
Im Deutschen können sowohl Präteritum- als auch Perfektformen dazu
dienen, auf vergangene Verbalsituationen Bezug zu nehmen (Fischer
2017, 25). Die Präteritumformen (z. B. ich wohnte, ich kam) werden syn-
thetisch gebildet, während die analytischen Perfektkonstruktionen (z. B.
ich habe gewohnt, ich bin gekommen) mit einem finiten Auxiliar und
dem Partizip II eines Vollverbs gebildet werden. Nach Fischer (2017, 25)
stehen diese zwei Formen miteinander in einer „Konkurrenzsituation“.
Diese ist eine Folge der funktionalen Kontextausweitung des Perfekts in
——————————
11 Die Ergebnisse dieser Aufgabe wurden in Pheiff/Kasper (2020) präsentiert.
Sie werden hier wiederholt, um sie zu den anderen Aufgaben zur Verwen-
dung von Präteritum- und Perfektformen vergleichen zu können.
34 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
immer mehr Gebrauchsdomänen des Präteritums. In den Dialekten des
Deutschen manifestiert sich dieser Prozess als der sog. „Präteritum-
schwund“. Es handelt sich dabei um einen areal gestaffelten Sprachwan-
delprozess, der seit mittelhochdeutscher Zeit wirksam ist. Der Prozess
beschränkt sich nicht (mehr) nur auf die oberdeutschen Dialekte, sondern
hat allmählich die mitteldeutschen und zum Teil die niederdeutschen Di-
alekte erfasst (Fischer 2015; 2017; 2018). In dialektgeographischer Hin-
sicht zeigt der Prozess je nach Verb eine unterschiedliche Ausbreitung
im Raum. Je nach Verbeigenschaft (z. B. Tokenfrequenz, Verbsemantik)
lassen sich verschieden weite Ausbreitungen beobachten (zu den Fakto-
ren vgl. ausführlich Fischer 2018, 362382).
In seiner Studie zum Präteritumschwund im Bonner Frühneuhoch-
deutschkorpus weist Sapp (2009, 425) eine Zunahme in der Verwendung
der Perfektformen zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert nach. Ein Be-
fund seiner Analyse betrifft die Rolle der Verbklasse bei der Verwen-
dung von Perfekt- und Präteritumformen. Er zeigt, dass regulär schwach
gebildeten Verben die höchste Tokenfrequenz an Perfektformen aufwei-
sen gefolgt von schwachen Verben mit Rückumlaut und starken Ver-
ben: Die Modal- und die Auxiliarverben haben und sein zeigen eine ver-
gleichsweise niedrige Frequenz an Perfektformen (Sapp 2009, 425428).
Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Befund, dass schwach gebil-
dete Verben eher zu Perfektformen neigen als starke gebildete Verben.
Fischer (2015) geht der Frage nach der arealen Distribution von Prä-
teritum- und Perfektformen im mitteldeutschen Übergangsgebiet zwi-
schen einem nördlichen Präteritumerhaltungsgebiet und einem südlichen
Präteritumschwundgebiet nach (vgl. auch Fischer 2017, 2830). Sie
zeigt, dass die Faktoren Gebrauchsfrequenz, Verbsemantik und Klam-
merbildung variationssteuernd sind (vgl. auch Fischer 2017, 30). Durch
einen Vergleich zwischen den Sprachdaten des Projekts Syntax hessi-
scher Dialekte (SyHD) und dem Sprachatlas des Deutschen Reichs
(Wenker 18891923) kann sie zudem zeigen, dass die Distribution der
Formen in den Dialekten Hessens in den letzten 130 Jahren „überwie-
gend konstant geblieben ist“ (Fischer 2015, 130).
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
35
In methodischer Hinsicht ist ferner die Studie von Fischer (2017) von
Interesse: Sie zeigt durch einen Methodenvergleich (Übersetzungsauf-
gabe vs. Ankreuzaufgabe), dass „[d]ie Übersetzungsaufgaben […] stets
mehr Präteritumantworten als die Bewertungsaufgaben [ergeben]“ (Fi-
scher 2017, 3031).
Leonhard (2021) hat die alemannischen Dialekte Südwestdeutsch-
lands im Zeitraum zwischen 1974 und 2013 mit einer Korpusstudie un-
tersucht. Grundlage für seine Untersuchung waren spontansprachliche
Sprachdaten aus dem Zusatzmaterial zum Südwestdeutschen Sprachatlas
(SSA) und aus den Projekten Regionaldialekte im alemannischen Drei-
ländereck (REDI) und Frontière linguistique au Rhin Supérieur
(FLARS) (vgl. Leonhard 2021, 35; 2022, 914 für Details). Damit lie-
gen Sprachdaten von drei Generationen von Sprecherinnen und Spre-
chern vor, was einen Vergleich in real und apparent time ermöglicht. Im
Gegensatz zu anderen Studien konnte Leonhard unter Verwendung von
spontansprachlichen Daten in Form von Tonaufnahmen eine Zunahme
in der Verwendung von Präteritumformen in den alemannischen Dialek-
ten Badens unter Einfluss des Standarddeutschen feststellen. Im Aleman-
nischen in Baden war die Verwendung von Präteritumformen in den
1970er Jahren bei Sprecherinnen und Sprechern des Dialekts belegt,
wenn auch hauptsächlich beim Verb sein und einigen wenigen Modal-
verben (Leonhard 2021, 78). Durch die intergenerationellen Vergleiche
offenbarte sich „eine massive Zunahme der Tokenfrequenz und der
Verbtypes, die Präteritum bilden“ (Leonhard 2021, 22).12 Die präteri-
tumaffinen Verben sind dabei allesamt stark oder irregulär und einiger-
maßen frequent (vgl. Leonhard 2022, 99). Bei den insgesamt 22 Verben,
die eine Präteritumform bilden, handelt es sich durchgehend um Zu-
standsverben bzw. um Verben mit stativen Teilbedeutungen, die sich im
Dialekt wieder etablieren und „besonders resistent gegenüber dem Prä-
teritumschwund waren“ (Leonhard 2021, 22; vgl. auch Leonhard 2022).
——————————
12 Die folgenden zehn Verben wiesen nach Leonhards (2021) Korpusrecherche
die höchste Tokenfrequenz auf: sein, wollen, finden, dürfen, geben, müssen,
können, werden, haben, gehen und kommen (vgl. Leonhard 2021, 11).
36 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
In Bezug auf Varietäten „oberhalb“ des Dialekts berichtet bereits Kret-
schmer (1918, 6–7), dass „[i]m Gebiet der oberdeutschen Mundarten [...]
auch die Umgangssprache den Indikativ des Präteritums eingebüßt und
durch das zusammengesetzte Perfekt ersetzt [hat]“. Laut Duden-Gram-
matik (2016, 525) hat „[i]n der gesprochenen Alltagssprache“ das Per-
fekt die Funktionen des Präteritums „weitgehend“ übernommen und über
die gesprochene Sprache etablieren sich Präteritumformen sogar in der
Schriftsprache. Nach Fischer (2022, 18) ist die Verwendung von Präte-
ritumformen stark an distanzsprachliche und geschriebene Modalitäten
sowie bestimmte Textsorten geknüpft: Fischer zufolge neigen „schriftli-
che, narrative und damit nicht dialogische Texte“ zu einer stärkeren Prä-
teritumverwendung, während „[g]esprochensprachliche und dialogische
Texte“ zu einer stärkeren Perfektverwendung tendieren (vgl. Fischer
2022, 18 für eine Zusammenfassung einschlägiger Studien).
Ehlers (2018, 136145) untersucht die Verwendung von Präteritum-
formen in einer standardnahen Sprechlage des mecklenburgischen Regi-
olekts (vgl. Ehlers 2018, 74). Herangezogen wurden 4224 Belege r
Präteritum- bzw. Perfektformen bei starken und schwachen Verben im
biographischen Interview. Im Gesamtkorpus zeigen sich die Perfektfor-
men als dominant mit einem Anteil von 73,2 %. Im intergenerationellen
Vergleich zeigt sich bei den Alteingesessenen von der älteren zur jünge-
ren Generation eine Abnahme in der Tokenfrequenz von Präteritumfor-
men (Ehlers 2018, 141142). Außerdem erscheinen schwach konjugierte
Verben im Interviewgespräch seltener im Präteritum als die starken Ver-
ben. Dieser Zusammenhang zwischen Konjugationsklasse und der Häu-
figkeit der Präteritumformen lässt sich in allen Bevölkerungs- und Al-
tersgruppen beobachten (vgl. Ehlers 2018, 144).13
In einer weiteren Studie untersucht Fischer (2022) die diatopische
Variabilität unter Konstanthaltung des Parameters „Situation“ in der
Verwendung der Präteritum- und Perfektformen in sechs Regionalspra-
——————————
13 Für die Ergebnisse z. T. älterer Korpusstudien zu Ausschnitten des vertikalen
Spektrums im bundesdeutschen Raum s. die Zusammenstellung in Fischer
(2022, 1517).
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
37
chen des Deutschen. Ihre Korpusuntersuchung stützt sich auf Aufnah-
men der Erhebungssituation „Interview mit Explorator“, die im Rahmen
des REDE-Projekts angefertigt wurden. Die Erhebungssituation bleibt
zwar konstant, aber die Wahl der Sprechweise hängt von der individuel-
len Situationseinschätzung sowie von den regional unterschiedlich struk-
turierten Dialekt-Standard-Spektren ab. Das heißt, die gewählte Sprech-
weise ist je nach Interview dem Dialekt bzw. dem Regiolekt zuzuordnen.
Mit ihrer Studie konnte Fischer (2022, 219–220) zeigen, „dass die regi-
onalsprachlichen Tempussysteme mit ihren spezifischen Formeninven-
taren auf einen regional unterschiedlichen Formengebrauch zurückzu-
führen sind“. Es sind „Distributionsstaffelungen“ in der vertikalen Varia-
tionsdimension erkennbar, das heißt mit standardnäherem Sprechen geht
eine typen- und tokenfrequentere (und zum Teil eine hyperkorrekte) Ver-
wendung von Präteritumformen einher (vgl. Fischer 2022, 220). Da al-
lerdings eine intervariative Komponente in ihrer Studie fehlt, sind Nach-
folgestudien nötig.
Pheiff/Kasper (2020, 5359) konnten für das tokenfrequente schwa-
che Verb wohnen zeigen, dass Standardnähe mit einer Zunahme in der
Verwendung von Präteritumformen einhergeht, auch wenn Sprecherin-
nen und Sprecher der drei untersuchten Varietätengruppen „Dialekt“,
„Regional geprägte Alltagssprache“ und „Hochdeutsch“ (entsprechend
Abbildung 2 oben) mehrheitlich Perfektformen verwendet haben. Neben
der Nord-Süd-Staffelung im Dialekt konnte das Autorenteam feststellen,
dass Präteritumformen auch in standardnäheren Sprechlagen in südliche-
ren Regionen auftreten, allerdings zeigte sich eine räumliche Präferenz
für Präteritumformen im Norden. Anhand eines Vergleichs in apparent
time konnte gezeigt werden, dass die relativen Anteile an Präteritumfor-
men unabhängig von der Sprechlage über die vier untersuchten Ge-
nerationen abnehmen, während die relativen Anteile an Perfektformen
intergenerationell an Belegfrequenz zunehmen.
In diesem Zusammenhang sei schließlich auf die Studie von Leon-
hard (2022, 118128) hingewiesen, in der der Frage nachgegangen wird,
„ob standardnähere Sprecher tendenziell häufiger Präteritum gebrauchen
als standardfernere Sprecher“. Als Maß für Dialektalität setzt Leonhard
38 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
(2022, 118120) die Verwendung der Perfektformen haben, sagen und
sein im Dialekt an. Produzieren Sprecherinnen und Sprecher beispiels-
weise sieben als Dialekt eingestufte und drei als Standarddeutsch einge-
stufte Formen, so liegt „eine relative Standardnähe“ von 30 % vor. Die-
ser Dialektalitätswert wurde mit der Präteritumfrequenz der einzelnen
Sprecherinnen und Sprecher korreliert. Für die Verben sein und sollen
konnte Leonhard zwar bloß eine schwache Korrelation ermitteln, für die
Verben aussehen, gehen, haben, heißen, kommen, liegen, müssen, stehen
und wissen konnte er allerdings eine mittelstarke Korrelation konstatie-
ren, das heißt die Verwendungshäufigkeit dieser Verben hängt mit dem
so ermittelten Dialektalitätsgrad zusammen: Je standardorientierter die
Sprecherinnen und Sprecher, desto mehr Präteritumformen verwenden
sie in der Varietät „Dialekt“.
In Bezug auf unsere REDE-Erhebung stellt sich vor diesem Hinter-
grund zum einen die Frage, ob sich die obigen Forschungsergebnisse re-
produzieren lassen. Zum anderen liegt die Hypothese nahe, dass der Prä-
teritumschwund bzw. die Perfektexpansion als genuin dialektale
Entwicklung sich in apparent time in die höheren Sprechlagen „regional
geprägte Alltagssprache“ (stärker) und „Hochdeutsch“ (weniger stark)
ausbreitet.
3.1.2 Ergebnisse der REDE-Erhebung
Vor dem Hintergrund der Forschungslage gehen wir bei der Ergebnis-
präsentation folgenden Fragen nach: (i) Wie verteilen sich die Varianten
in der horizontalen Variationsdimension (in Abhängigkeit von der Vari-
etät)? (ii) Wie sind die Varianten in der vertikalen Variationsdimension
in Abhängigkeit von der Varietät verteilt? Erwartet wird eine Zunahme
in der Beleghäufigkeit der Präteritumformen, je „höher“ eine Varietät im
vertikalen Spektrum verortet ist. (iii) Wie verteilen sich die Varianten
bezüglich der Parameter „Verbklasse“ bzw. „Beleghäufigkeit“? Bei
kommen handelt es sich um ein starkes, tokenfrequentes Verb, wohinge-
gen es sich bei wohnen um ein schwaches, (im Vergleich zu kommen)
tokeninfrequenteres Verb handelt. Erwartet wird daher eine höhere Be-
leghäufigkeit der Präteritumformen beim Verb kommen als bei wohnen.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
39
(iv) Welche Unterschiede bedingen die Aufgabentypen Ankreuz- und
Übersetzungsaufgabe in der Verteilung der Varianten? (v) Was zeigt sich
zur Dynamik der Varianten in apparent time in den drei Varietäten Dia-
lekt, Regiolekt und Standard?
Die Auswertungsergebnisse finden sich in den Abbildungen 3 und 4.
Die Ergebnisse der Erhebung werden nach Aufgabe, Verblexem und Va-
rietät präsentiert. Unterschieden werden in der Ergebnispräsentation vier
Varianten: Präteritum-, Perfekt- und Plusquamperfektformen sowie son-
stige Angaben, bei denen die Zielkonstruktion nicht produziert wurde.14
——————————
14 Die Abbildungen 3 und 4 enthalten die Ergebnisse zum schwachen Verb
bauen aus der Aufgabe E1_12 nicht. Diese Abfrage hat hauptsächlich Per-
fektformen zutage gefördert. Der Grund dafür ist, dass die Handlung des Bau-
ens zwar in der Vergangenheit liegt, das Resultat des Bauens ist jedoch ge-
genwartsrelevant. Der Kontext verweist auf die Gegenwartsrelevanz, indem
die Information geliefert wird, dass der besagte Kollege immer noch in dem
Haus wohnt. Dies sollte erwartungsgemäß dazu führen, dass Gewährsperso-
nen vermehrt Perfektformen produzieren (vgl. die Abfrage im Anhang Auf-
gabe E1_12 sowie Fischer 2015, 128). Von den 2657 (verwertbaren) Antwor-
ten wurden neben einer einzigen Plusquamperfektform insgesamt 133
Präteritumformen produziert, was eine Auftretenshäufigkeit von 5 % ent-
spricht. Der Rest der Antwortangaben (n = 2523) fällt erwartungsgemäß auf
Perfektformen. Die sieben Belege für Präteritumformen im Dialekt sind über
den gesamten Sprachraum verteilt (Nordniederdeutsch, Mittelfränkisch,
Nordbairisch und Mittel- und Hochalemannisch). Das Gleiche gilt für die 42
Belege aus dem Regiolekt. Für die 84 Belege für die Varietät Hochdeutsch
zeigt nach dem Augenschein zu urteilen eine Konzentration auf Nord-
und Mitteldeutschland.
40 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Abbildung 3: Relative Anteile der Präteritum-, Perfekt- und Plusquamperfekt-
varianten beim Verb kommen nach Varietät und Aufgabe
In Bezug auf Frage (ii) zeigt sich, dass die Wahl des Tempusausdrucks
von der Sprechweise abhängt. Beobachten lässt sich eine Zunahme in der
Beleghäufigkeit von Präteritumformen von der Varietät Dialekt zur (in-
tendierten) Standardsprache hin. Diese Tendenz zeigt sich über alle Auf-
gaben hinweg. Allerdings handelt es sich nach Ausweis der Varianten-
verteilung in den Abbildungen 3 und 4 bei der Präteritumform unab-
hängig von der Varietät um eine im Vergleich zur Perfektform seltenere
Variante. Die Perfektformen stellen bis auf zwei Ausnahmen (regional
gefärbte Alltagssprache und „Hochdeutsch“ bei der Aufgabe E2_19) die
dominante Variante dar. Mit diesen Ergebnissen werden die Befunde der
Studien von Pheiff/Kasper (2020) und Fischer (2022) untermauert.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
41
Abbildung 4: Relative Anteile der Präteritum-, Perfekt- und Plusquamperfekt-
varianten beim Verb wohnen nach Varietät und Aufgabe
Hinsichtlich Forschungsfrage (iii) verhalten sich Gewährspersonen in
Bezug auf den Tempusausdruck je nach Verblexem unterschiedlich.
Wenn die Ergebnisse zu kommen und wohnen gegenübergestellt werden,
stellt sich in Übereinstimmung mit den Erwartungen heraus, dass der An-
teil an Präteritumformen beim (im Vergleich zu kommen) infrequenteren
Verb wohnen geringer ausfällt. Beim Verb wohnen dominiert der Anteil
an Perfektformen in unseren Erhebungsdaten. Damit werden die Er-
kenntnisse von Fischer (2015, 2017, 2018) und Sapp (2009) bestätigt.
Bezüglich Forschungsfrage (iv) zeigt sich, dass es was die relativen
Anteile der Varianten betrifft je nach Aufgabentyp (kaum) Unter-
schiede in den Ergebnissen in Abhängigkeit vom Aufgabentyp gibt. Was
den Vergleich von E1_03 und E1_12 anbelangt, kommen die Varianten
in etwa gleich häufig vor.15 In Bezug auf das Vergleichspaar E1_19 und
E2_19 zeigen sich hingegen Unterschiede in Abbildung 3. Auffallend
sind in dieser Hinsicht die Ergebnisse zu E2_19. Über alle Aufgaben hin-
——————————
15 Chi-Quadrat-Tests mit Yates-Korrektur: Gruppe „Dialekt“: χ2 = .08, df = 1,
p = .777; Gruppe „Regional geprägte Alltagssprache“: χ2 = .57, df = 1,
p = .45; Gruppe „Hochdeutsch“: χ2 = .07, df = 1, p = .79.
42 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
weg bleiben die Anteile an Plusquamperfektformen und sonstigen Anga-
ben relativ gering. In E2_19 sind allerdings diese zwei Varianten anteils-
mäßig stärker vertreten.16 Damit fallen die Anteile an Perfektformen im
Vergleich zu den Ergebnissen in E1_19 geringer aus. Das Gesamtergeb-
nis steht im Widerspruch zu Fischer (2017). In ihrer Auswertung zu dia-
lektalen Sprachdaten in Hessen stellt sie einen Unterschied in der Vari-
antenverteilung je nach Aufgabentyp fest, denn Sprecherinnen und
Sprecher haben bei Übersetzungsaufgaben im Vergleich zu Ankreuzauf-
gaben (unabhängig vom Verb) einen größeren Anteil an Präteritumfor-
men produziert. Im Gegensatz zu Fischer (2017, 3032) konnten bei den
Aufgaben zum schwachen Verb wohnen keine Unterschiede festgestellt
werden, während der Unterschied zwischen den Aufgaben beim Verb
kommen in den relativen Anteilen von Perfekt- und Plusquamperfektfor-
men liegt.
Dieser Unterschied könnte auf verschiedene Faktoren zurückzufüh-
ren sein. Er könnte durch die verschiedenen Erhebungsrunden bedingt
sein. Ferner ist das Plusquamperfekt zwar als Tempus der Vorvergan-
genheit besonders charakteristisch (vgl. Duden-Grammatik 2016, 523, s.
auch Leonhard 2022, 193196 für eine Korpusanalysen zu den aleman-
nischen Dialekten), doch können Plusquamperfektformen auch Vergan-
genheit ausdrücken. Beispielsweise treten in Leonhards (2022, 194) Kor-
pus alemannischer Dialekte Plusquamperfektformen immerhin mit einer
Frequenz von 11,6 % in Vergangenheitskontexten im Vergleich zu
88,4 % in Vorvergangenheitskontexten auf. Solche Verwendungen seien
„vor allem in der süddeutschen Umgangssprache“ gebräuchlich (Duden-
Grammatik 2016, 524). Dafür spricht, dass die Plusquamperfektformen
in den Ergebnissen zu E2_19 in der Gruppe „Dialekt“ mit zwei Ausnah-
men im hochdeutschen und dabei insbesondere im oberdeutschen Raum
auftreten.
——————————
16 Chi-Quadrat-Tests mit Yates-Korrektur: Gruppe „Dialekt“: χ2 = 42.88, df = 2,
p < .0001; Gruppe „Regional geprägte Alltagssprache“: χ2 = 222.25, df = 2,
p < .0001; Gruppe „Hochdeutsch“: χ2 = 334.38, df = 2, p < .0001.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
43
Abbildung 5: Perfekt und Präteritum von kommen (E1_19 [AA])
In der Gruppe „Regional geprägte Alltagssprache“ sind sie vereinzelt
beinahe über den gesamten hochdeutschen Raum und darüber hinaus im
44 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
südlichen Niederdeutsch verbreitet (vgl. die Sprachkarten zu E2_19 un-
ter den Links in Fußnote 19).
In den Abbildungen 5 und 6 wird die Verteilung der Varianten in der
horizontalen Variationsdimension in Abhängigkeit von der Varietät ge-
zeigt (Forschungsfrage [i]). Präsentiert werden die Ergebnisse zweier
Aufgaben: E1_19 zum Verb kommen (Abbildung5) und E1_03 zum Verb
wohnen (Abbildung6). Mit Blick auf die Verteilung der Varianten beim
Verb kommen im Dialekt zeigt sich, dass Präteritumformen relativ zu
Perfektformen v. a. im Norden des Sprachraums belegt sind. Bemer-
kenswert ist in Übereinstimmung mit rezenten Studien von Leonhard
(2021; 2022) , dass Präteritumformen auch in den Dialekten im Süd-
westen des Sprachraums (sogar in den Dialekten der deutschsprachigen
Schweiz) vereinzelt vorkommen.17 Dabei sind Präteritumformen im Süd-
osten nicht belegt. Die Sprachkarte zur Varietät „regional gefärbte All-
tagssprache“ zeigt eine Zunahme in der Anzahl und in der räumlichen
——————————
17 In Abbildung 5 zeigt sich eine vereinzelte Präteritumform in der Schweiz.
Die Schweiz gilt zwar gemeinhin als Präteritumschwundgebiet (vgl. Fischer
2021, 349). Die Anfänge des Präteritumschwunds in der Schweiz lassen sich
mit Jörg (1976) grob ins 16. Jahrhundert datieren (vgl. 174176), obwohl Ja-
cki (1909, 429) von Präteritumresten im Berner Oberland im 18. und 19. Jahr-
hundert berichtet. Das vorliegende Ergebnis ergänzt dennoch dasjenige Le-
onhards (2022, 8487), der u. a. zeigt, dass sich Präteritumformen bei
Modalverben (z. B. wollen, können, ssen) und allenfalls hochfrequenten
starken Verben (z. B. sein, geben) an den zwei nahe der deutschen Staats-
grenze gelegenen Deutschschweizer Orten Rheinfelden und Leibstadt un-
ter Einfluss der Standardsprache re-etablieren. Hinweise auf eine Re-Etablie-
rung durch „Einfluß der Schriftsprache“ liefert ferner etwa Meinherz (1920,
184) für die Mundart der Bündner Herrschaft im Kanton Graubünden: „Von
gebildeten Leuten ist dagegen der einfache Ind[ikativ] Prae[teritum] oft zu
hören, besonders bei s sein: wɪə en
səl
r als ich in Basel war, dh.
studierte; dann aber auch bei andern Verben: duə khɑ
m ə wɛtər da kam ein
Unwetter (Meinherz 1920, 184; Kursivierung im Original). Inwiefern es
sich um einen allgemeinen Sprachwandelprozess handelt, der die Dialekte
der gesamten deutschsprachigen Schweiz erfasst, muss in einer Folgeunter-
suchung nachgegangen werden.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
45
Verbreitung der Präteritumformen. Dabei zeigt sich eine regionale Kom-
ponente: Die Faktoren „Varietät“ und „Raum“ wirken insofern zusam-
men, als im Norden und in Mitteldeutschland eine Dominanz der Präte-
ritumformen zu konstatieren ist. Darüber hinaus lässt sich festhalten,
dass es im Südwesten im Vergleich zum Südosten mehr Präteritum-
formen gibt. Im Südosten (v. a. in Österreich) sind sie nicht belegt. Was
die Varietät „Hochdeutsch“ betrifft, zeigt sich ein ähnliches Muster zur
Karte „regional gefärbte Alltagssprache“. Die Präteritumformen kom-
men in ganz Deutschland vor, in Österreich fehlen sie. Grundsätzlich
scheint der Anteil an Präteritumformen sogar in der Varietät „Hoch-
deutsch“ – im Südosten weniger stark ausgeprägt zu sein.18
Abbildung 6 zeigt die räumliche Verteilung zu wohnen. Die insge-
samt wenigen Präteritumformen kommen in der Varietät „Dialekt“ bis
auf eine vereinzelte Angabe in der Nähe von Freiburg (i. B.) nur im Nor-
den und in Mitteldeutschland vor. Für die regional gefärbte Alltagsspra-
che zeigt sich, dass Präteritumformen in ganz Deutschland mit Aus-
nahme des Südostens verbreitet sind, in Österreich sind sie dagegen nicht
belegt. Das Verb kommen zeigt eine regionale Komponente in der regio-
nal gefärbten Alltagssprache. Beim Verb wohnen ist sie zwar vorhanden,
doch ist sie nach Auskunft der Kartenbilder weniger stark ausgeprägt.
——————————
18 Die Sprachkarten in Abbildungen 5 und 6 sind online auf <www.regional-
sprache.de> (19.01.2023) einsehbar. Die Kartentitel sind sprechend und las-
sen sich auch in der Kartensuche finden. Im Folgenden führen wir nur die
kartenidentifizierenden Suffixe der URLs auf. Jedem Suffix ist <www.regio-
nalsprache.de/Map/> voranzustellen:
Dialekt: E1_03 (Präteritum/Perfekt: wohnen): TKruJpI4,
Regiolekt: E1_03 (Präteritum/Perfekt: wohnen): HUDlYtg1,
Hochdeutsch: E1_03 (Präteritum/Perfekt: wohnen): l4AgD5mo,
Dialekt: E1_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): IzZaYi7C,
Regiolekt: E1_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): Ki4HXruq,
Hochdeutsch: E1_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): hFvHMnqk.
Die URLs führen zu Sprachkarten ohne Hintergrund. Im REDE SprachGIS
muss die Hintergrundkarte noch angepasst werden. Der Hintergrund der ab-
gedruckten Karten ist „Dt. Sprachraum (politisch)“.
46 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Abbildung 6: Perfekt und Präteritum von wohnen (E1_03 [AA])
Die räumliche Verteilung der Varianten in der Karte zur Varietät „Hoch-
deutsch“ zeigt das gleiche Muster wie die Karte zur regional gefärbten
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
47
Alltagssprache: Präteritumformen kommen in ganz Deutschland vor, da-
bei sind sie im Südosten weniger frequent belegt. Die Präteritumformen
häufen sich in Richtung Norden.19
Zur Frage (v): Die präsentierten Ergebnisse haben Unterschiede in
der Wahl von Präteritum- und Perfektformen in Abhängigkeit von geo-
graphischen, methodischen (Aufgabentyp), frequenziellen und variati-
ven Faktoren aufgezeigt. Nun soll überprüft werden, ob sich die Ge-
währspersonen im intergenerationellen Vergleich in Bezug auf ihre Va-
riantenwahl unterschiedlich verhalten. Falls dies zuträfe, dann ließen
sich die so gefundenen Differenzen als Indiz auf Wandelprozesse inter-
pretieren. Die Abbildungen 7 und 8 zeigen, wie sich die Variantenwahl
nach Varietät und Generation unterscheiden. In Abbildung 7 finden sich
die relativen Anteile an Präteritumformen und in Abbildung 8 die relati-
ven Anteile an Perfektformen nach Generation für die Verblexeme woh-
nen und kommen. Die Abbildungen stützen sich auf die Sprachdaten der
Übersetzungsaufgaben.
——————————
19 Die weiteren, hier nicht mit abgebildeten Sprachkarten zu den Übersetzungs-
aufgaben sind online auf <www.regionalsprache.de> (19.01.2023) einsehbar.
Die Kartentitel sind sprechend und lassen sich auch in der Kartensuche fin-
den. Im Folgenden führen wir nur die kartenidentifizierenden Suffixe der
URLs auf. Jedem Suffix ist <www.regionalsprache.de/Map/> voranzustellen:
Dialekt: E1_12 (Präteritum/Perfekt: wohnen): ih2Epnfd,
Regiolekt: E1_12 (Präteritum/Perfekt: wohnen): EjvU5Uy8,
Hochdeutsch: E1_12 (Präteritum/Perfekt: wohnen): PgRu6A0U,
Dialekt: E2_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): gfuiXSJV,
Regiolekt: E2_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): EjvU5Uy8,
Hochdeutsch: E2_19 (Präteritum/Perfekt: kommen): PgRu6A0U.
Die URLs führen zu Sprachkarten ohne Hintergrund. Im REDE SprachGIS
muss die Hintergrundkarte noch angepasst werden. Der Hintergrund der ab-
gedruckten Karten ist „Dt. Sprachraum (politisch)“.
48 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Abbildung 7: Relative Anteile des Präteritums von wohnen und kommen (E1_12
& E2_19 [ÜA]) nach Geburtsjahrzehnten
Was die Präteritumformen betrifft, zeigt sich in der Tendenz, dass der
Anteil an Präteritumformen unabhängig von der Varietät und vom Ver-
blexem im intergenerationellen Vergleich abnimmt. Die Verben unter-
scheiden sich hinsichtlich der Abbaurate. Das Verb wohnen ist stärker
vom Schwund betroffen: Bei der ältesten Generation liegt der Anteil an
Präteritumformen bei 53,2 % („Hochdeutsch“), 25,9 % (regional ge-
färbte Alltagssprache) und 15,6 % (Dialekt), bei der jüngsten Generation
beträgt der Anteil jeweils 10,5 %, 8,9 % und 0 %. Beim Verb kommen
zeigt sich zwar auch eine Reduktion, doch sind die Formen insgesamt
eher erhalten geblieben. Bei der ältesten Generation liegt der relative An-
teil an Präteritumformen bei 88,0 % („Hochdeutsch“), 55,0 % (regional
gefärbte Alltagssprache) und 25,0 % (Dialekt), bei der jüngsten Genera-
tion ist der Anteil jeweils gesunken: 72,9 %, 51,7 % und 6,9 %.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
49
Abbildung 8: Relative Anteile des Perfekts von wohnen und kommen (E1_12 &
E2_19 [ÜA]) nach Geburtsjahrzehnten
Der Anteil an Perfektformen nimmt dagegen unabhängig von der Va-
rietät von Generation zu Generation zu.
Diese Befunde lassen sich dahingehend interpretieren, dass Spreche-
rinnen und Sprecher immer mehr Perfektformen zuungunsten von Präte-
ritumformen verwenden. Festzuhalten ist, dass der Präteritumschwund
in der Kurzzeitdiachronie in apparent time zu beobachten ist. Umgekehrt
lässt sich die Expansion der Perfektformen beobachten. Der Schwund
bzw. die Expansion ist vom Verb und von der Varietät abhängig. Diese
Aussage betrifft die gesamte Datenlage. Inwiefern sich Differenzen in
der Kurzzeitdiachronie abhängig vom Raum bzw. Dialektgebiet zeigen,
muss in künftiger Forschung detailliert herausgearbeitet werden.
Im Hinblick auf die Hypothesen zu diesem Phänomen lässt sich ab-
schließend konstatieren, dass sich erstens soweit mit dem verwendeten
Erhebungsmaterial möglich die Ergebnisse vorheriger Studien replizie-
ren lassen und sich dabei auch jüngste Entwicklungen die Re-Etablie-
rung des Präteritums im Südwesten in unseren Daten widerspiegeln,
50 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
und dass zweitens die Perfektexpansion als genuin dialektales Phänomen
in den Dialekten am weitesten fortgeschritten ist und sich in jeweils ver-
minderter geographischer Verbreitung bzw. Belegdichte über die mitt-
lere Varietät, die regional gefärbte Alltagssprache, bis in „Hochdeutsch“
ausgebreitet hat. Darüber hinaus können unsere Erhebungsdaten gerade
in den Sprechlagen „oberhalb“ des Dialekts und dort differenziert nach
regional gefärbter Alltagssprache und „Hochdeutsch“ – das bisher eher
lückenhafte Bild zum Status des Präteritumschwunds bzw. der Perfekt-
expansion ergänzen (= das zweite in der Einleitung erwähnte Desiderat).
3.2 Abfolge pronominaler Objekte
In der ersten Erhebungsrunde zur (Morpho-)Syntax sind die in Tabelle 2
aufgeführten Aufgaben zur Abfolge pronominaler Objekte enthalten.
Aufgabe
Angebotene Konstruktion(en)
Anzahl
Antworten
E1_02
[S]ie hat’s ihr schon gesagt.
[S]ie hat ihr’s schon gesagt.
3103
E1_05
Sie hat’s mir gestern erzählt.
Sie hat mir’s gestern erzählt.
3038
E1_10
Er hat’s ihm schon geschickt.
Er hat ihm’s schon geschickt.
2922
E1_16
Er hat’n mir schon gegeben.
Er hat mir’n schon gegeben.
2736
E1_23
Kannst du es mir morgen wieder
zurückbringen!
2636
Tabelle 2: Aufgaben und Zielkonstruktionen zur Abfolge pronominaler Objekte
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
51
3.2.1 Forschungslage
Wenn in der geschriebenen Standardsprache Sätze keine besondere In-
formationsverteilung aufweisen, werden die in ihnen vorkommenden
Personalpronomen schwach betont (vgl. Duden-Grammatik 2016, 880).
Kommen in ihnen mehrere davon vor und stehen sie in ihrer typischen
Position, der Wackernagelposition (direkt hinter der linken Satzklam-
mer), so gilt die Abfolge Subjekt > Akkusativobjekt > Dativobjekt (vgl.
Duden-Grammatik 2016, 881). Spezielle Bedingungen gelten für das
neutrale Personalpronomen es, das auch nach dem Dativobjekt stehen
könne, insbesondere wenn es als ’s klitisiert wird (vgl. Duden-Gramma-
tik 2016, 881). Fleischer (2010, 151) findet diese Abfolge im modernen,
geschriebenen Standarddeutschen mit etwa 1 % Anteil sehr selten belegt.
Die folgenden Beispiele und die dazugehörigen Grammatikalitätsurteile
stammen aus der Duden-Grammatik (2016, 881):
(1) *Anna will ihr ihn morgen übergeben.
(2) Anna will ihn ihr morgen übergeben.
(3) … weil Otto es ihm gezeigt hat.
(4) … weil Otto ihm es/’s gezeigt hat.
In Goethes Prosa aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert findet
Fleischer (2010, 152157) mit einem Anteil von knapp 30 % dagegen
sehr viele Abfolgen mit vorangehendem Dativobjekt. Beinahe alle dieser
Belege weisen eins der drei Dativobjektpronomen mir, dir oder ihr auf
(Fleischer 2010, 152), die meist von einem Akkusativobjektpronomen
der 3. Person Singular Neutrum gefolgt werden (mir/dir/ihr > es). Das
zweithäufigste Akkusativobjektpronomen in Dativ > Akkusativ-Abfol-
gen ist bei Goethe ihn.
Für die rezenten regionalen Varietäten unterhalb der Standardspra-
che konstatiert die Duden-Grammatik auch abseits von es „zum Teil die
umgekehrte Abfolge Dativ > Akkusativ.“ (Duden-Grammatik 2016, 881;
vgl. auch Weiß 2016) Die Recherche von Fleischer (2010, 157159) hat
das folgende, sicher noch ergänzungsbedürftige Raumbild zutage geför-
dert:
52 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
To sum up, for the German dialects we find the following basic distribu-
tional pattern: dative before accusative predominates in the south; both
word orders occur in the Central German area, displaying a split either be-
tween the first and second person singular of the dative as opposed to the
other forms or between the first, second and third person feminine singular
dative as opposed to the other forms; in the north, accusative before dative
predominates. Interestingly, similar differences between Old Saxon and the
Old High German dialects can be observed as early as the 8th/9th century
[...].
Fleischer (2010, 158159) bemerkt im Zusammenhang dieses Befundes
nicht nur den Kontrast zwischen den österreichischen und schweizer-
deutschen Standardsprachen auf der einen (Akkusativ > Dativ) und ihren
jeweiligen Basisdialekten auf der anderen Seite (Dativ > Akkusativ), der
in den beiden Ländern noch stärker als in der Bundesrepublik ausgeprägt
ist, sondern außerdem, dass die Verhältnisse in Goethes Prosa denjenigen
entsprechen, die heute für die mitteldeutschen Dialekte belegt sind.
(Goethe kam aus Frankfurt am Main, das dialektal in den Übergangsbe-
reich der westmitteldeutschen Räume des Zentralhessischen und Rhein-
fränkischen fällt.) Sein Pronomengebrauch zeigt die Charakteristika, die
auch in den Grammatiken der mitteldeutschen Dialekte von Weldner
(1991, 198199) für Barchfeld an der Werra und von Reis für den Main-
zer Dialekt (vgl. Reis 1894, 503) belegt sind: Ersterer weist dativinitiale
Pronomenabfolgen mit mir und dir auf, Letzterer zusätzlich solche mit
ihr. Abfolgen mit initialem ihm scheinen eher ungebräuchlich zu sein,
was auf eine phonologische Steuerung hinweisen könnte (vokali-
scher/vokalisierter [<-r>] gegenüber konsonantischem [<-m>] Auslaut).
Die Befunde für das Mittel- und Oberdeutsche lassen sich noch et-
was präzisieren. Im Kontext des Projekts Syntax hessischer Dialekte
(SyHD) zeigen die Karten von Fleischer (2017, 494, 496497) für die in
Hessen gesprochenen Dialekte eine klare Dominanz der dativinitialen
Abfolgen bei den Kombinationen mir + es/ihn mit Ausnahme eines nord-
östlichen Gebiets, in dem die akkusativintialen Abfolgen dominieren.
Wenn das Dativpronomen ihr ist, ist die dativinitale gegenüber der ak-
kusativinitialien Variante bereits in der Minderzahl, und ihm als Dativ-
pronomen geht dem Akkusativpronomen nur noch in Einzelfällen voran.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
53
Im Sprachatlas von Mittelfranken (SMF) zeigt Karte 130 zur Abfolge
von es und ihr(er), dass in den mittleren und östlichen Teilen des Erhe-
bungsgebiets (südöstliches Ostfränkisch und Übergangsgebiet von dort
zum Nordbairischen nach Wiesinger [1983]) die dativinitiale Variante
vorherrscht, während im westlichen die akkusativinitiale die übliche ist
(vgl. SMF 7, 472473). Zur nicht kartierten Abfolge von mir und es be-
richtet Arzberger (2007, 445), dass fast im gesamten Erhebungsgebiet
Realisierungen von mir es vorherrschen.
Im Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben (SBS) wurden mir, ihr und
ihm jeweils mit es abgefragt und kartiert. Das Erhebungsgebiet erstreckt
sich westlich weit ins Schwäbische (nach Wiesinger [1983]), ein äußers-
ter östlicher Streifen fällt ins Mittelbairische und ein mittlerer östlicher
Streifen in das Übergangsgebiet zwischen beiden. Die Erhebungsorte im
Norden liegen mehrheitlich im Übergangsgebiet zwischen dem Ostfrän-
kischen, Nordbairischen und Schwäbischen. Die Variante ihr es ist au-
genscheinlich die am häufigsten belegte dativinitiale Variante und
kommt mehr als doppelt so häufig vor wie die umgekehrte Abfolge, ins-
besondere im Schwäbischen. Die akkusativinitiale Variante kommt vor
allem in den Übergangsgebieten und im Mittelbairischen vor, wo aber
jeweils auch die erstgenannte Variante belegt ist (vgl. SBS 9.2, 468469
[Karte 390]). Die Variante ihm es dominiert ebenfalls klar im Schwäbi-
schen, ist aber anders als ihr es seltener in den Übergangsgebieten und
im Mittelbairischen belegt, wo es ihm deutlicher gegenüber ihm es do-
miniert als es ihr gegenüber ihr es (vgl. SBS 9.2, 468469 [Karte 390]).
Die Varianten mir es/es mir zeigen gegenüber den vorgenannten ein stär-
keres Nord-Süd-Gefälle derart, dass es mir im Norden und mir es im Rest
des Erhebungsgebiets vorherrscht, mit Streubelegen von Ersterem (vgl.
SBS 9.2, 466467 [Karte 389]).
Der Syntaktische Atlas der Deutschen Schweiz (SADS) zeigt, dass
die dativinitale Abfolge in den meisten Regionen der Deutschschweiz
die dominierende ist, und zwar unabhängig vom Dativpronomen (mir,
ihr und ihm mit Akkusativ es), dass aber meistens auch die akkusativini-
tiale Abfolge mit den genannten Pronomen gebräuchlich ist und man-
cherorts auch präferiert wird (vgl. Glaser [Hrsg.] 2021, 97105). Nach
54 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
dem Augenschein zu urteilen, gibt es abhängig von der Wahl des Dativ-
pronomens keine ähnlichen Abstufungen zwischen erstens mir und dir,
zweitens ihr und drittens ihm, wie sie für das Mitteldeutsche angenom-
men werden.
Fleischers (2011) syntaktische Auswertung von Wenkersatz 920 zeigt
klare areale Verteilungen der Varianten es ihr bzw. ihr es. Insgesamt do-
miniert die Variante es ihr, aber in bestimmten Regionen ist ihr es die
einzige oder dominierende Variante. Dazu zählt das westlichste Mosel-
fränkisch inklusive Luxemburgs (vgl. dazu auch Döhmer 2020, 173
181), das Nordniederdeutsche direkt südlich der ostfriesischen Inseln,
der Raum vom Mittelalemannischen südwärts, ein „Streifchen“ vom süd-
lichen Schwäbischen bis ins Mittel- und Nordbairische sowie das öster-
reichische Mittelbairisch.
Was weitere Ausschnitte des vertikalen Spektrums betrifft, gibt der
Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) Aufschluss.21 Er belegt die
dativinitiale Abfolge mir’s für das West- und Ostmitteldeutsche, West-
oberdeutsche und Mittel- sowie Südbairische. Ähnlich verteilt, aber et-
was weniger dicht belegt ist die Kombination mir’n. Deutlich seltener
belegt, wenn auch in den gleichen Räumen, ist ihr’s, und kaum belegt ist
ihm’s, aber wenn es belegt ist, dann in den genannten Räumen. Einzig
das Mittel- und Hochalemannische zeigen über die Pronomenausprägun-
gen hinweg eine relativ stabile Präferenz für die Abfolge Dativ > Akku-
sativ.
——————————
20 Ich bin bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wollte
es auch ihrer Tochter sagen. Vgl. die Liste der Wenkersätze im Anhang der
Einleitung zu diesem Band.
21 Im AdA wird ein anderer Typ von Wissen als in den REDE-Fragebögen ab-
gefragt. Dort wird danach gefragt, „welchen Ausdruck man in Ihrer Stadt
normalerweise hören würde egal, ob es mehr Mundart oder Hochdeutsch
ist“ (vgl. Möller/Elspaß 2015, 520), während in REDE nach den Varianten
gefragt wird, die die Gewährspersonen selbst äußern würden. Zudem wird im
AdA das gesamte vertikale Spektrum erfragt, ohne dass nach Varietäten und
Sprechlagen differenziert wird, während diese Differenzierung in REDE an-
gestrebt wird (siehe Abschnitt 2). Vgl. zum hier behandelten Phänomen die
Karten auf <www.atlas-alltagssprache.de/pronomen> (19.01.2023).
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
55
Analog zur Lage beim Präteritumschwund bzw. der Perfektexpansion
stellt sich auch angesichts der referierten Forschungslage zur Abfolge
pronominaler Objekte zum einen die Frage, ob die Ergebnisse durch die
REDE-Erhebung repliziert werden können. Wenn man zum anderen da-
von ausgeht, dass dativinitiale Objektabfolgen genuin dialektal sind und
akkusativinitiale Objektabfolgen der kodifizierten Standardsprache ent-
sprechen, ist die Hypothese naheliegend, dass erstere Abfolgen zum
Standard hin stark abnehmen. Darüber hinaus wäre über die Sprechlagen
hinweg eine Tendenz zu erwarten, dass in den Regionen, in denen da-
tivinitale Abfolgen mit ihm auftreten, auch solche mit ihr auftreten, und
wo diese auftreten, auch solche mit mir auftreten, aber jeweils nicht um-
gekehrt. Auch dies gilt unter der Voraussetzung, dass die dativinitialen
Abfolgen genuin dialektal sind und im Begriff sind, geordnet in die hö-
heren Sprechlagen einzudringen.
3.2.2 Ergebnisse der REDE-Erhebung
Die Ergebnispräsentation orientiert sich an folgenden Fragen, die sich
aus der Forschungslage ergeben: (i) Wie sind die Varianten in der hori-
zontalen Variationsdimension in Abhängigkeit von den Fragebogenauf-
gaben verteilt? (ii) Wie stellt sich die Verteilung in (i) in Abhängigkeit
von den Varietäten in der vertikalen Dimension dar? (iii) Was lässt sich
zur Dynamik der Faktoren in (i) und (ii) in apparent-time sagen?
Zu (i): Die beiden „Makrovarianten“ in der Abfolge der Objektpro-
nomen, Akkusativ > Dativ bzw. Dativ > Akkusativ, sind sprachgeogra-
phisch und innerhalb der jeweiligen Varietäten unterschiedlich verteilt.
Es lässt sich aber insbesondere in den Dialekten und Regiolekten durch-
weg eine Koexistenz beider Varianten beobachten, die unterschiedliche
Verteilung besteht also augenscheinlich stets in der Präferenz einer der
beiden Varianten ohne Ausschluss der jeweils anderen. Über die Aufga-
ben und damit über die „Mikrovarianten“ mit den jeweiligen Pronomen-
exponenten hinweg lässt sich eine verstärkte Verwendung für die (stan-
darddivergente) Dativ > Akkusativ-Abfolge in folgenden Räumen fest-
stellen (vgl. Abbildungen 9 und 10): Mitteldeutsch, Schwäbisch, Ale-
mannisch und Mittelbairisch. In Bezug auf die bisherige Forschungslage
56 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
sind die mitteldeutschen Belege dieser Abfolge in den Dialekten auf das
Westmitteldeutsche beschränkt gewesen.
Der Gebrauch dieser standarddivergenten Variante ist in diesen ihren
„Kernregionen“ an den involvierten pronominalen Formen in den ge-
nannten Regionen zu relativieren (s. Skala in [5]). Bei konstantem Auf-
gabentyp (Ankreuzaufgabe) ist der Gebrauch der dativinitialen Variante
für die Kombination mir + ihn am stärksten ausgeprägt, etwas weniger
stark bei der Kombination mir + es, weiterhin ist er deutlich weniger
stark ausgeprägt für ihr + es und kaum ausgeprägt ist er für ihm + es in
Abbildung 10.22
(5) Absteigende Belegdichte für die Dativ > Akkusativ-Abfolge in An-
kreuzaufgaben:
ihn + mir > es + mir > es + ihr > es + ihm
——————————
22 Die Sprachkarten in Abbildungen 9 und 10 sind online auf <www.regional-
sprache.de> (19.01.2023) einsehbar. Die Kartentitel sind sprechend und las-
sen sich auch in der Kartensuche finden. Im Folgenden führen wir nur die
kartenidentifizierenden Suffixe der URLs auf. Jedem Suffix ist <www.regio-
nalsprache.de/Map/> voranzustellen:
E1_05_Dialekt_hat_es_mir_2022_02_20: Map/nSUuoh11,
E1_05_Regiolekt_hat_es_mir_2022_02_20: ujdjVKUr,
E1_05_Hochdeutsch_hat_es_mir_2022_02_20: 5RXQTVSL,
E1_10_hat_ihm's_Dialekt_2022_02_11: eichbOao,
E1_10_hat_ihm's_Regiolekt_2022_02_11: qENabP7v,
E1_10_hat_ihm's_Hochdeutsch_2022_02_11: LvAPzBpj.
Die URLs führen zu Sprachkarten ohne Hintergrund. Im REDE SprachGIS
muss die Hintergrundkarte noch angepasst werden. Der Hintergrund der ab-
gedruckten Karten ist „Dt. Sprachraum (politisch)“.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
57
Abbildung 9: Abfolge von es + mir (E1_05 [AA])
Dass die Dativ > Akkusativ-Abfolge in den Dialekten weiter verbreitet
ist, als bisher bekannt gewesen ist, ist darauf zurückzuführen, dass das
58 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
bisherige Bild auf der Dativpronomenausprägung ihr beruht hat (Flei-
scher 2011 folgend). Mit den vorliegenden Befunden lässt sich aber eine
Erwartung aus der oben referierten Forschungslage bestätigen, nach der
es eine Abstufung in der Geläufigkeit der dativinitialen Abfolge entlang
der Hierarchie mir/dir > ihr > ihm gibt. Insofern ist es nicht überra-
schend, dass die dativinitiale Abfolge in den mitteldeutschen Dialekten
weiter verbreitet ist als bisher belegt, da unsere Erhebung neben ihr auch
mir als Dativpronomen berücksichtigt. Was die räumliche Verteilung be-
trifft, ergänzt die vorliegende Erhebung das bisherige Bild mit den ge-
nannten Einschränkungen sowohl in der Raum- als auch in der Varietä-
tenabdeckung. Zudem illustrieren weitere, hier nicht visualisierte Daten,
dass zumindest in Kombination mit mir das Akkusativpronomen ihn ähn-
lich oft in einer dativinitialen Abfolge verwendet wird wie es.23
——————————
23 Vgl. dazu die Karte zu E1_16 und Abbildung 11 unten. Diese und die ande-
ren, hier nicht abgebildeten Karten zu den restlichen Pronomenkombinatio-
nen (siehe Tabelle 2) sind online auf <www.regionalsprache.de>
(19.01.2023) einsehbar. Die Kartentitel sind sprechend und lassen sich auch
in der Kartensuche finden. Im Folgenden führen wir nur die kartenidentifi-
zierenden Suffixe der URLs auf. Jedem Suffix ist <www.regionalspra-
che.de/Map/> voranzustellen:
E1_02_hat_es_ihr_Dialekt_2022_02_20: JwYh0qRy,
E1_02_hat_es_ihr_Regiolekt_2022_02_20: Rbo6qcHU,
E1_02_Hochdeutsch_hat_es_ihr_2022_02_20: XTlK2Afb,
E1_16_hat_mir'n_Dialekt_2022_02_11: 3u2Rwt4P,
E1_16_hat_mir'n_Regiolekt_2022_02_11: jRqo4bjy,
E1_16_hat_mir'n_Hochdeutsch_2022_02_11: DCRfU8AP,
E1_23_du_es_mir_Dialekt_2022_02_10: wXskDkeW,
E1_23_du_es_mir_Regiolekt_2022_02_10: VDsRdPHl,
E1_23_du_es_mir_Hochdeutsch_2022_02_20: HY36ToZB.
Die URLs führen zu Sprachkarten ohne Hintergrund. Im REDE SprachGIS
muss die Hintergrundkarte noch angepasst werden. Der Hintergrund der ab-
gedruckten Karten ist „Dt. Sprachraum (politisch)“.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
59
Abbildung 10: Abfolge von es + ihm (E1_10 [AA])
Zu (ii): Die Belege für die Dativ > Akkusativ-Abfolge sind in den ge-
nannten Kernregionen auch an der betrachteten Varietät zu relativieren.
Die höchste Belegdichte findet sich in den Dialekten, eine geringere in
60 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
den regional gefärbten Alltagssprachen und die niedrigste in „Hoch-
deutsch“, wie Abbildung 11 zeigt.24
Abbildung 11: Relative Anteile der Variante Dativ > Akkusativ nach Varietät
Das Diagramm zeigt für die Dialekte eine „vierstufige Treppe“, die die
Hierarchie in (5) (von rechts nach links) abbildet.25 In den regional ge-
färbten Alltagssprachen zeigt sich eine schwächer ausgeprägte, eher drei-
stufige „Treppe“, auf der der Abstand zwischen den Dativpronomen ihm,
ihr und mir geringer als im Dialekt ist. In „Hochdeutsch“ scheint sich
zuletzt nur die Kombination ihm es von den restlichen abzusetzen. Dies
erfordert eine Differenzierung hinsichtlich einer eingangs formulierten
Hypothese, derzufolge die Verbreitung der dativinitalen Abfolgen
——————————
24 Dabei ist wiederum die weitgehende Abwesenheit von niederdeutschen und
ostmitteldeutschen Daten zu berücksichtigen.
25 In diesem Diagramm sind nicht alle Antworten berücksichtigt. 100 % ist hier
lediglich die Summe aller Antworten, die die Abfolge dativischer und akku-
sativischer Personalpronomen realisieren. Nicht berücksichtigt sind alle Va-
rianten, die nicht beide angezielte Personalpronomen realisieren.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
61
sprechlagenunabhgängig von der Hierarchie in (5) abhängig ist. Diese
Unabhängigkeit besteht so nicht, denn die Abhängigkeit wird in die hö-
heren Sprechlagen hinein schwächer. Die Anteile in Abbildung 11, die
nicht auf die Variante Dativ > Akkusativ entfallen, entfallen sämtlich auf
die umgekehrte Abfolge.
Vergleicht man aufgabenabhängig die Anteile der Dativ > Akkusa-
tiv-Abfolge zwischen den Varietäten, lässt sich zum einen schlussfol-
gern, dass diese Abfolge eine genuin dialektale und in „Hochdeutsch“
nicht verankerte Abfolge ist, und zum anderen, dass zumindest bei dieser
syntaktischen Variable die regional gefärbten Alltagssprachen stärker
„von oben“, vom Standard her, als „von unten“, von den Dialekten her,
geprägt sind. Die regional gefärbten Alltagssprachen und „Hochdeutsch“
sind umgekehrt nur schwach (und in der Vertikale nach oben weiter ab-
steigend) von den Dialekten beeinflusst, wie an den wenigen Dativ > Ak-
kusativ-Abfolgen in diesen Varietäten erkennbar ist. Hier entsprechen
die Ergebnisse den Hypothesen.
Zu (iii), der Frage nach Wandeltendenzen: Die bis hierhin präsen-
tierten Ergebnisse haben Unterschiede in der Abfolge pronominaler Ob-
jekte in Abhängigkeit von geographischen, grammatischen (Pronomen-
ausprägungen) und varietären Faktoren demonstriert. Zuletzt soll geprüft
werden, ob sich in den beobachteten Konstellationen etwas in apparent
time gewandelt hat, ob also ein etwaiges unterschiedliches sprachliches
Verhalten verschiedener Generationen von Gewährspersonen als Indiz
für Sprachwandel genommen werden kann. Die Abbildungen 12, 13 und
14 zeigen für die Dialekte, die regional gefärbten Alltagssprachen bezie-
hungsweise „Hochdeutsch“, wie sich die Variantenwahl verschiedener
Geburtenjahrgänge in Abhängigkeit von Pronomenausprägungen unter-
scheiden.26
——————————
26 Für die Berechnung der relativen Anteile gilt das in Fußnote 25 Gesagte:
100 % ist hier lediglich die Summe aller Antworten, die die Abfolge dativi-
scher und akkusativischer Personalpronomen realisieren. Nicht berücksich-
tigt sind alle Varianten, die nicht beide angezielte Personalpronomen reali-
sieren.
62 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Abbildung 12: Relative Anteile der Dativ > Akkusativ-Abfolge in den Dialekten
in verschiedenen Geburtenjahrgängen in Abhängigkeit von Aufgabentyp und
Pronomenausprägung
Das Diagramm in Abbildung 12 zeigt, dass sich die vierstufige Treppe,
die sich in den Anteilen der Dativ > Akkusativ-Abfolgen in Abhängig-
keit von der Pronomenausprägung gezeigt hat (s. Abbildung 11), von al-
len Geburtenjahrgängen gleichermaßen getragen wird.27 Die Anteile der
dativinitialen Abfolge steigen unabhängig vom Alter der Gewährsperso-
nen entlang der (umgekehrten) Hierarchie in (5).
Beim Vergleich der Varietäten hatte sich gezeigt, dass es in den re-
gional gefärbten Alltagssprachen eine schwächer ausgeprägte Treppe
entlang der Pronomenausprägungen (und Aufgabentypen) gegeben hat.
Auch dieses Resultat wird von allen Geburtenjahrgängen gleichermaßen
getragen, wie Abbildung 13 zeigt. Entsprechendes lässt sich zuletzt auch
für die Lage in „Hochdeutsch“ konstatieren, wie in Abbildung 14 illus-
triert.
——————————
27 Aus den Daten wurden aufgrund der geringen Anzahlen an Gewährspersonen
die Geburtsjahrzehnte 19301939 und 20002009 herausgenommen.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
63
Abbildung 13: Relative Anteile der Dativ > Akkusativ-Abfolge in regional ge-
färbten Alltagssprachen in verschiedenen Geburtenjahrgängen in Abhängigkeit
von Aufgabentyp und Pronomenausprägung
Abbildung 14: Relative Anteile der Dativ > Akkusativ-Abfolge in „Hoch-
deutsch in verschiedenen Geburtenjahrgängen in Abhängigkeit von Aufgaben-
typ und Pronomenausprägung
64 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
Wollte man zusätzlich noch eine differenzielle Aussage zu den Geburts-
jahrgängen tätigen, so ließe sich darauf hinweisen, dass die Mitglieder
der älteren zwei bis drei Geburtsjahrzehnte, je weiter es in Richtung der
Dativ > Akkusativ-affinen Pronomenkonstellationen geht (also nach
rechts in den Abbildungen 12 bis 14), diese Abfolge tendenziell häufiger
als natürlichste Variante verwenden als die drei jüngeren Generationen.
Dies könnte, mit aller Vorsicht formuliert, darauf hinweisen, dass sich
der Effekt der Pronomenausprägungen auf die relativen Anteile der kon-
kurrierenden Pronomenabfolgen künftig verringert.
Allgemein gesprochen können die Daten zur Abfolge der Objektpro-
nomen unsere Kenntnisse zu diesem Phänomen insbesondere in den
Sprechlagen „oberhalb“ des Dialekts und dort differenziert nach regi-
onal gefärbter Alltagssprache und „Hochdeutsch“ ergänzen (= zweites in
der Einleitung genanntes Desiderat.)
4. Schlussfolgerungen
Zu Anfang des vorliegenden Beitrags wurde die Forschungslage zur geo-
graphisch bedingten Variation im (deutschländischen) Deutsch in drei-
facher Hinsicht als ergänzungsbedürftig charakterisiert: bezüglich der
vertikalen Variationsdimension (Sprechlagen/Varietäten vertikal), be-
glich der räumlichen Abdeckung bei Erhebungen sprachlicher Variab-
len in den jeweiligen Sprechlagen und bezüglich der Menge unerforsch-
ter syntaktischer Variablen. Im Rahmen der syntaktischen Erhebungen
im REDE-Projekt werden diese Desiderate derzeit angegangen. Am Bei-
spiel der Variablen „Perfektexpansion/Präteritumschwund“ und „Ab-
folge pronominaler Objekte“ wurden die Erhebungsmethode und die Er-
gebnisse exemplarisch präsentiert.
Die Studie zur Perfektexpansion zeigt, dass die relativen Anteile an
Präteritum- und Perfektformen in Abhängigkeit von der Varietäten-
gruppe variieren. Darüber hinaus zeigen sich Unterschiede je nach Verb-
typ: Das schwache, weniger frequente Verb wohnen tendiert stärker zu
Perfektformen als das starke, frequentere Verb kommen. Die Unter-
schiede in der vertikalen Dimension weisen ferner eine geographische
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
65
Dimension auf: Auch wenn Perfektformen im gesamten Sprachraum prä-
feriert werden, haben Sprecherinnen und Sprecher aus Nord- und Mittel-
deutschland eine stärkere Neigung zu Präteritumformen. Schließlich
lässt sich zeigen, dass unabhängig von der Varietätengruppe eine Ab-
bautendenz in der Verwendung von Präteritumformen zugunsten von
Perfektformen besteht. Parallel zu diesem Schwundprozess lässt sich in
Übereinstimmung mit Leonhard (2021; 2022) in unseren Erhebungsda-
ten von „oben“ nach „unten“ eine Re-Etablierung einzelner Präteritum-
formen im Südwesten beobachten.
Bezüglich der Abfolge pronominaler Objekte unterscheiden sich die
Dialekte und Regiolekte bezüglich ihrer Präferenzen für die Abfolgeva-
rianten Akkusativ > Dativ und Dativ > Akkusativ. Dabei ist die Variante
Dativ > Akkusativ besonders geläufig im Mitteldeutschen, Schwäbi-
schen, Alemannischen und Mittelbairischen: Ihre Verwendung in diesen
Regionen hängt von der Pronomenausprägung ab, wobei diese Abhän-
gigkeit sich zu den höheren Sprechlagen hin abschwächt. Unsere Studie
zeigt, dass es sich bei der Variante Dativ > Akkusativ um eine genuin
dialektale Variante handelt. Dabei weisen die regional gefärbten Alltags-
sprachen einen stärkeren Einfluss durch „Hochdeutsch“ als durch die Di-
alekte auf.
Ein Vergleich der jeweiligen bisherigen Forschungsstände zu beiden
Variablen mit den entsprechenden Resultaten der REDE-Erhebung de-
monstriert, dass bestehende Forschungsergebnisse im Rahmen der
REDE-Erhebung repliziert werden konnten und dass darüber hinaus auf
Basis der obigen Ergebnisse weitergehende Hypothesen formuliert wer-
den können. Diese betreffen nicht nur die eingangs genannten Deside-
rate, das heißt, möglichst flächendeckend regionalsprachliche syntakti-
sche Daten zu vertikal definierten Varietäten vorzulegen, für die
vergleichbare Daten bisher noch nicht vorgelegen haben, sondern sie be-
treffen beispielsweise auch die kurzzeitdiachronische Sprachdynamik:
Die Resultate erlauben Rückschlüsse darüber, welche Varianten typisch
für welche Sprechlagen (gewesen) sind und wie sie sich in apparent time
dynamisch in der Vertikalen „nach oben“ oder „nach unten“ ausgebreitet
66 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
haben, gegebenenfalls weiter ausbreiten und innerhalb welcher sprach-
geographischen Grenzen. Was die bisherigen Analysen noch nicht zu-
tage gefördert haben, was aber ein starkes Argument für die Existenz ei-
ner Varietät zwischen Dialekt und Standard wäre, sind syntaktische
Varianten, die in der mittleren Varietät dichter belegt sind als im Dialekt
und im Standard. Solche Varianten könnten sich aber in den ausstehen-
den Analysen noch finden lassen.28
Die Aussagen, die auf Basis der REDE-Erhebungen über die (Mor-
pho-)Syntax des Deutschen „vertikal“ möglich sind, sind nur in einem
bestimmten sprachgeographischen Auflösungsgrad möglich. Dieser
Auflösungsgrad ist dabei an die Menge an Antworten pro Postleitzahl-
bereich (bzw. Planquadrat) in unserer Erhebung gebunden. Je mehr Ant-
worten (in der noch laufenden Erhebung) vorhanden sind, desto höher
wird der Auflösungsgrad und desto zuverlässigere Aussagen werden für
bestimmte, auch kleinere, sprachgeographische Areale möglich. Zum
jetzigen Zeitpunkt ist gerade in den Dialekten die Belegdichte ver-
gleichsweise gering.
Die vorliegenden Ergebnisse sind schließlich vor dem Hintergrund
zweier theoretischer Punkte zu betrachten: Erstens wurde die Zuordnung
von Antworten zu Sprechlagen („Sprechweisen“) nicht „objektlinguis-
tisch“ ermittelt, sondern durch die Gewährspersonen selbst vorgenom-
men, und diese Zuordnungen sind hier noch nicht an den Ergebnissen
ihrer Dialektkompetenzschnelltests überprüft worden (s. Abschnitt 2.3).
Dies soll nach Ende der Datenerhebungsphase erfolgen. Zweitens basiert
die Dreiteilung des vertikalen Varietätenspektrums ursprünglich auf pho-
netisch-phonologischen Variablen und wurde hier auf syntaktische Va-
riablen übertragen (s. Abschnitt 2.2). Nach Abschluss der Datenerhe-
bungsphase sollen daher auch die erhobenen und klassifizierten
syntaktischen Daten „für sich sprechen“ und es soll ermittelt werden, ob
——————————
28 Fischer/Rabanus (in diesem Band, Abschnitt 3.3) bewerten Präteritumformen
allerdings dann als klare Varianten von oberdeutschen Regiolekten, wenn sie
das Ergebnis der Übersetzung dialektaler Perfektformen in die intendierte
Standardsprache sind.
Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
67
sich mittels quantitativer Verfahren aus der Gesamtheit der erhobenen
Daten verschiedene vertikale Varietäten ermitteln lassen.
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Deutsche (Morpho-)Syntax „vertikal“
73
Anhang
E1_03 (Ankreuzaufgabe: wohnen):
Inge fragt Peter nach dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Peter ant-
wortet:
a) Damals wohnten wir in dem braunen Haus in der Bahnhofsstraße.
b) Damals haben wir in dem braunen Haus in der Bahnhofsstraße ge-
wohnt.
c) Falls Sie den Satz normalerweise in einer anderen Form sagen wür-
den, die gar nicht aufgeführt ist, notieren Sie ihn bitte hier:
E1_12 (Übersetzungsaufgabe: wohnen, bauen):
Thomas fragt seinen Kollegen, seit wann er neben der Schule wohnt. Er
antwortet:
„Früher wohnten wir hinter der Kirche, aber dann bauten wir noch mal
neben der Schule.“
Bitte übersetzen Sie diesen Satz in Ihre vertrauteste Sprechweise und
schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden.
E1_19 (Ankreuzaufgabe: kommen):
Sie erzählen Ihrer Nachbarin vom Erntedankfest in der Gemeinde. Sie
fragt, ob der Bürgermeister auch da war. Sie antworten:
a) Ja, der kam aber erst zum Kaffeetrinken.
b) Ja, der ist aber erst zum Kaffeetrinken gekommen.
c) Falls Sie den Satz normalerweise in einer anderen Form sagen wür-
den, die gar nicht aufgeführt ist, notieren Sie ihn bitte hier:
E2_19 (Übersetzungsaufgabe: kommen):
Sie erzählen Ihrer Nachbarin vom Erntedankfest in der Gemeinde. Sie
fragt, ob der Bürgermeister auch da war. Sie antworten:
74 Simon Kasper/Jeffrey Pheiff
„Ja, der kam aber erst zum Kaffeetrinken.“
Bitte übersetzen Sie diesen Satz in Ihre vertrauteste Sprechweise und
schreiben Sie ihn so auf, wie Sie ihn sagen würden.
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Zusammenfassung This paper analyses the increase in the use of the preterite in spoken Alemannic in south-western Germany. There are almost no recent studies that explore the preterite in Upper German because of the widespread hypothesis that there is no preterite in Upper German (except for the verb sein ‘to be’) due to the loss of the preterite in Upper German ( Oberdeutscher Präteritumschwund ). In contrast to this, I account for a language change in the timespan from 1974 to 2013 in which the preterite becomes more frequent in relation to the perfect and is now part of the spoken Alemannic in south-western Germany. To account for this, I use a combination of a real time and an apparent time analysis. Additionally, all verbs forming a preterite have a specific semantic value, i. e. an inherent meaning of state. This means they are durative (=the situation lasts for a certain period of time), atelic (=the situation has no terminal point at which the situation is complete) and non-dynamic (=the situation involves no change). Perfect forms on the other hand do not have this specific semantic value.
Thesis
Die Arbeit setzt sich mit dem lange Zeit unhinterfragten Konsens auseinander, die Tempora Präteritum und Plusquamperfekt seien in den oberdeutschen Dialekten aufgrund des oberdeutschen Präteritumschwunds vollständig abgebaut. Mit Hilfe korpuslinguistischer Methoden und spontansprachlicher Daten, die zwischen 1974 und 2013 erhoben wurden, wird die Re-Etablierung der Tempusformen Präteritum und Plusquamperfekt im Alemannischen Deutschlands nachgewiesen. Das System der klassischen dialektalen Tempora Perfekt (für einfache Vergangenheit) und Doppelperfekt (für Vorvergangenheit) muss somit um zwei weitere Vergangenheitstempora erweitert werden. Als Grund für die Re-Etablierung kann ein standardsprachlicher Einfluss ausgemacht werden, der bisher hauptsächlich nur für phonologische Phänomene bekannt war. Während die nach Norden wandernde Perfektexpansion ein Verdrängungsprozess des Präteritums durch das Perfekt ist, verdrängen Präteritum und Plusquamperfekt die Tempora Perfekt und Doppelperfekt nicht. Stattdessen hat sich ein System aus vier komplementären Vergangenheitstempora im Alemannischen Deutschlands etabliert.
Sibylle Reichel und Steffen Arzberger
  • Alfred Von Thurid Heyse
  • Alexander Klepsch
  • Mang
Von Thurid Heyse, Alfred Klepsch, Alexander Mang, Sibylle Reichel und Steffen Arzberger. Heidelberg: Winter, 434-499.
Tiefenbohrungen in einer Dialektlandschaft
  • Ellen Brandner
Brandner, Ellen (2015): Syntax des Alemannischen (SynAlm). Tiefenbohrungen in einer Dialektlandschaft. In: Kehrein, Roland/Lameli, Alfred/Rabanus, Stefan (Hrsg.), 289-322. <doi.org/10.1515/9783110363449-014>