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HAUPTBEITRÄGE
https://doi.org/10.1007/s11614-023-00553-z
Österreichische Zeitschrift für Soziologie
Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration:
Politische Selbstwirksamkeit im Verständnis junger
Protestierender
Natalia Waechter · Nico Maximilian Steinmann
Eingegangen: 1. April 2022 / Angenommen: 6. September 2023
© The Author(s) 2023
Zusammenfassung Der Artikel untersucht das Selbstverständnis von jungen Ak-
tivist:innen der Fridays for Future (FFF) Bewegung und analysiert, inwiefern und
welchen Kontexten sich die Protestierenden politisch selbstwirksam für die zukünf-
tige Entwicklung der Klimakrise verstehen und welche Strategien sie zur Förderung
ihrer Selbstwirksamkeit einsetzen. Dabei beziehen wir uns auf das Konzept politi-
scher Selbstwirksamkeit und auf den theoretischen Ansatz der Handlungsfähigkeit
junger Menschen. Zur Beantwortung dieser Fragen werden empirische, qualitative
Interview- und Beobachtungsdaten von jungen Aktivist:innen und Teilnehmer:innen
an FFF-Protesten in Deutschland und Österreich herangezogen. Die Ergebnisse zei-
gen, dass sich die untersuchten Protestierenden trotz wahrgenommener Hindernisse
als politisch wirksame Akteur:innen verstehen. Im persönlichen Umfeld nehmen
sie sich als einflussreiche Vorbilder eines klimagerechten Lebensstils wahr, der von
anderen übernommen wird. Sie bemerken auch eine (indirekte) Einflussnahme der
FFF-Bewegung auf Politik und Regierungen sowie auf das Problembewusstsein der
Bevölkerung, insgesamt scheint das Engagement der Aktivist:innen aber mehr von
der Hoffnung, denn von benennbaren politischen Erfolgen getragen zu sein. Dem-
entsprechend wird als Strategie zur Stärkung des Glaubens an die Selbstwirksamkeit
unter anderem mit der Verbreitung einer optimistischen Grundstimmung gearbeitet.
Availability of data None
Natalia Waechter
Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Universität Graz, Merangasse 70, 8010 Graz,
Österreich
E-Mail: natalia.waechter@uni-graz.at
Nico Maximilian Steinmann
FK17 Sozialwissenschaften, TU Dortmund, Emil-Figge-Str. 50, 44227 Dortmund, Deutschland
E-Mail: nico.steinmann@tu-dortmund.de
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N. Waechter, N. M. Steinmann
Schlüsselwörter Fridays for Future · Politische Selbstwirksamkeit · Politische
Akteure · Handlungsfähigkeit · Jugendliche
Fridays for future between hope and frustration: political self-efficacy
of young activists
Abstract This article refers to the sociological discourse on the relationship between
agency and structure, taking into account the theoretical approach of young people’s
agency. In this approach, young people are understood as actors who, on the one
hand, shape their own lives and, on the other, help to shape society and politics. From
this perspective, the article examines the self-perception of young activists of the
Fridays for Future (FFF) movement and analyses in which ways the protesters see
themselves as empowered to act politically for the future development of the climate
crisis and which strategies they use to increase their political self-efficacy. These
questions are answered using empirical, qualitative interview and observation data
from young activists and participants in FFF protests in Germany and Austria. The
results show that despite perceived structural obstacles, protesters see themselves as
politically effective actors. In their social environment, they perceive themselves as
influential role models of a climate-friendly lifestyle that is adopted by others. They
also notice an (indirect) influence of the FFF movement on politics and governments
as well as on the problem awareness of the population, but overall, their activism
seems to be driven more by hope than by tangible political successes. Accordingly,
one of the strategies used to increase self-efficacy is to spread an optimistic mood.
Keywords Fridays for Future · Political self-efficacy · Political actors · Agency ·
Young people
1 Einleitung
Die internationale Bewegung „Fridays for Future“ (FFF), deren Ursprung auf die
Schulstreiks der schwedischen Schülerin Greta Thunberg beginnend mit dem 20. Au-
gust 2018 zurückgeht, hat nicht nur die breite Öffentlichkeit, sondern auch die For-
schung zur politischen Partizipation Jugendlicher überrascht. Während sich so junge
Menschen jahrzehntelang überwiegend nicht sonderlich für Politik interessiert haben
(vgl. Schneekloth und Albert 2019), sind nun bei FFF die überwältigende Mehrheit
der Aktivist:innen und Teilnehmer:innen an den Protesten („Streiks“) Jugendliche
und junge Erwachsene, was insbesondere auf die frühe Phase der Bewegung 2019
zutrifft, die unser Forschungsinteresse ist und in der das Medianalter 19 Jahre betrug
(Sommer et al. 2020).
In diesem Artikel beziehen wir uns auf das Konzept politischer Selbstwirksam-
keit sowie den theoretischen Ansatz der Handlungsfähigkeit junger Menschen. Diese
werden dabei als Akteur:innen begriffen, die ihr eigenes Leben gestalten sowie ge-
sellschaftliche und politische Entwicklungen mitgestalten (vgl. Nico und Caetano
2021a, b; Pohl et al. 2011). Soziologisch ist relevant, inwiefern bzw. in welchen
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Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
Kontexten sich die jungen Menschen auch selbst als Akteur:innen, also als selbst-
wirksam Handelnde wahrnehmen bzw. daran glauben, dass ihre Handlungen etwas
bewirken können.
Unter diesem Blickwinkel werden in dem Artikel die Einschätzung und die Erfah-
rungen von jungen Aktivist:innen der FFF-Bewegung hinsichtlich ihrer politischen
Selbstwirksamkeit untersucht. Es wird den qualitativen Fragestellungen nachgegan-
gen, in welchen Kontexten sich die Aktivist:innen selbstwirksam erleben und mit
welchen Strategien sie versuchen, Selbstwirksamkeit zu fördern. Dazu wird zu-
nächst der theoretische Rahmen hinsichtlich der jugendsoziologischen Debatte zu
Handlungsfähigkeit sowie der Konzeptionen politischer Selbstwirksamkeit erörtert.
Daran anschließend wird überblicksartig der Forschungsstand zu FFF mit Blick auf
das Untersuchungsinteresse der politischen Selbstwirksamkeit beschrieben. Nach
dem Kapitel zum methodischen Forschungsdesign werden die empirischen Ergeb-
nisse entlang der beiden Schlüsselkategorien dargestellt und im Anschluss vor dem
Hintergrund des eröffneten theoretischen Rahmens diskutiert.
2 Handlungsfähigkeit und politische Wirksamkeit
In der Jugendsoziologie werden Jugendliche zunehmend als Akteur:innen verstan-
den, die in verschiedenen Lebensbereichen mitbestimmend für gesellschaftliche Ent-
wicklungen sein können (Irwin 2021; Nico und Caetano 2021a; Pohl et al. 2011).
Dieser Aspekt wird auch von der Sozialisationsforschung betont: „Zum einen ist Ju-
gend Objekt von Sozialisationseinflüssen; es geht um die Frage, wie sich die junge
Generation in die Gesellschaft einfügt. Zum anderen ist Jugend aktiver Faktor sozia-
len Wandels; es geht darum, dass die junge Generation, die in die Gesellschaft ein-
tritt, diese nach ihren Vorstellungen umzugestalten versucht“ (Scherer 1988, S. 17).
Verglichen mit älteren Generationen sind junge Menschen denn auch weniger im
parteipolitischen System, sondern eher in sozialen Bewegungen zu finden (Waechter
2012),1wie die FFF-Bewegung, initiiert und maßgeblich von Schüler:innen getra-
gen, deutlich zeigt. Politische Selbstwirksamkeit, der Glaube daran, dass politische
Veränderung möglich ist und dass eigene Handlungen zur Veränderung beitragen
können, ist ein Kernelement von Handlungsfähigkeit („agency“) (Beaumont 2010;
2011) und gerade für junge Menschen der Schlüssel zu politischer Partizipation
(Beaumont 2011, Gaiser und de Rijke 2016). In diesem Verständnis werden im vor-
liegenden Artikel die Einschätzung und die Erfahrungen von jungen Aktivist:innen
der FFF-Bewegung hinsichtlich ihrer politischen Selbstwirksamkeit untersucht.
Für soziale Bewegungen im Allgemeinen konnte festgestellt werden, dass die
Einschätzung der Wirksamkeit ein zentraler Faktor ist, der die Teilnahme in einer
Bewegung erklärt (zum Beispiel Glazer Myron und Glazer 1999 für Umweltak-
tivismus), unabhängig vom Vertrauen in das politische System (Beaumont 2010).
1Auch der Blick über Europa hinaus in den Nahen Osten zeigt, dass die Revolten des „Arabischen Früh-
lings“ maßgeblich von der jungen Bevölkerung initiiert worden waren und mithilfe ihrer geglückten Mobi-
lisierung von Erwachsenen-Gruppen und -Verbänden langjährige Diktaturen (wenn auch nicht auf Dauer)
zu Fall gebracht werden konnten (Waechter 2019).
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N. Waechter, N. M. Steinmann
Die wahrgenommene Wirksamkeit („perceived efficacy“) umfasst dabei die Ein-
schätzung der individuellen (persönlichen) sowie der kollektiven Selbstwirksamkeit
(ebd.), wobei die individuelle Form als Grundlage für die kollektive Ausprägung
verstanden werden kann (Bandura 1982;1997). Politische Selbstwirksamkeit von
Aktivist:innen einer sozialen Bewegung ist abzugrenzen von der Wirksamkeit der
Bewegung auf Politik und Gesellschaft, die subjektive Selbstwirksamkeit einer Per-
son steht aber damit in Zusammenhang, wie die Person die politischen Wirksamkeit
der Bewegung wahrnimmt. Die Erfahrungen, die im Rahmen eines politischen En-
gagements gemacht werden, können zu einer Veränderung politischer Selbstwirk-
samkeitserwartungen führen (Costa und Wittmann 2021).
Die Wahrnehmung der persönlichen Wirksamkeit meint grundlegend die Selbst-
einschätzung, wie gut man Handlungen ausführen kann, die erforderlich sind, um
mit bestimmten Situationen umzugehen (Bandura 1982, S. 122). Dieser Glaube an
die Selbstwirksamkeit wird auch mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit („agency“)
theoretisch gefasst (z. B. Gamson 1992). Im Zusammenhang mit politischer Partizi-
pation wird angenommen, dass ein Verständnis persönlicher politischer Selbstwirk-
samkeit zur Entstehung politischer Handlungsfähigkeit („political agency“) beiträgt
(Beaumont 2010).2
Forschungsarbeiten zeigen, dass die Selbsteinschätzung der Wirksamkeit (der po-
litischen Aktionen) von Bewegungen sowohl ihre Entstehung und die Mobilisierung
zu ihrer Teilnahme (Benford 1993; Klandermans 1984) als auch die fortwährende
Teilnahme und die Aufrechterhaltung der Bewegung beeinflussen (Einwohner 2002).
Soziale Bewegungen stehen aber oft vor der Problematik, die geforderten politischen
und sozialen Veränderungen wenig und langsam umgesetzt zu sehen, zudem kommt,
dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nur schwer
belegen lässt (Kern 2008). Goldstone (1998) beschreibt für die Etablierung einer
(potenziell wirksamen) Protestwelle die zwei grundlegenden Bedingungen, dass der
Staat die Bewegung anerkennt und dass eine große kulturelle Resonanz besteht, also
dass die Bevölkerung die Bewegung in großem Ausmaß unterstützt. Die kulturelle
Resonanz hängt u.a. von der eigenen Betroffenheit der Bevölkerung ab (Ahlemeyer
1995;Kern2008). Als weitere mögliche externe Hürden für soziale Bewegungen
benennt Bandura (1982) transnationale Interdependenzen und Institutionen, die sich
ungern verändern lassen wollen, was Erfolge nur in einer langfristigen Perspektive
ermöglicht. Daher wurde etwa für die Umweltbewegung der 1980er-Jahre festge-
stellt, dass die Selbstwirksamkeit stark von der Hoffnung und weniger von Erfolgen
bestimmt war („culture of hope“) (Glazer Myron und Glazer 1999, S. 280).
Das Ausbleiben relevanter, sichtbarer politischer Erfolge kann mit verschiede-
nen Strategien kompensiert werden, damit das Gefühl der Selbstwirksamkeit auf-
rechterhalten bleibt („efficacy maintenance“) (Einwohner 2002). Unter (politischer)
Strategie wird im Allgemeinen die Planung und Ausführung von zielgerichtetem, er-
folgsorientiertem und kalkulationsbasiertem Handeln verstanden (vgl. Raschke und
Tils 2007). Für soziologische Auseinandersetzungen mit sozialen Bewegungen wird
2Zur individuellen Entwicklung persönlicher politischer Selbstwirksamkeit wurde für junge Menschen
festgestellt, dass bestimmte sozio-politische Lernprozesse, vor allem sich Kompetenzen für politische Ak-
tionen anzueignen, eine solche begünstigen (Beaumont 2011).
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Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
der Strategiebegriff häufig im Hinblick auf Themen der Mobilisierung oder der Or-
ganisation genutzt (Smithey 2009). Einwohner (2002) hat sich mit Strategien zur
Aufrechterhaltung der Selbstwirksamkeit befasst und vier Strategien von Tierrechts-
aktivist:innen beschrieben: die Beanspruchung von politischen oder sozialen Verän-
derungen als eigene Erfolge („claiming credit“), auch bei politischen Niederlagen
kleine positive Aspekte herausstreichen („seeing the positive“), das Feiern kleiner
Erfolge („celebrating victories“), und die Einstellung, sich mit kleinen Erfolgen
schrittweise dem großen Ziel zu nähern („cumulative thinking“) (Einwohner 2002,
S. 219ff.). Ähnlich stellte auch Benford (1993) für Aktivist:innen der Atomwaffen-
Abrüstungsbewegung fest, dass sie Niederlagen als Erfolge verkauft hatten.
In Arbeiten zu Umwelt- und Klimaaktivismus wurde auch zwischen der Wahrneh-
mung direkter und indirekter Wirksamkeit unterschieden. Während direkte Wirksam-
keit die Einschätzung meint, dass die Ziele aufgrund der eigenen Aktionen erreicht
werden, beschreibt indirekte Wirksamkeit die Einstellung, dass die Aktionen andere
beeinflussen, was schließlich zur Zielerreichung führt (Cologna et al. 2021; Hamann
Karen und Reese 2020). Empirische Ergebnisse aus der Schweiz zeigen, dass FFF-
Teilnehmende einerseits ihren Protesten mehr Erfolg zur Zielerreichung zuschreiben
als Nicht-Teilnehmende und andererseits auch höhere Werte bei der Einschätzung
ihrer Wirksamkeit auf die Handlungen anderer aufweisen. Sowohl direkte als auch
indirekte Wirksamkeit beeinflussen die Teilnahme an der FFF-Bewegung signifikant
(Cologna et al. 2021). Eine Studie mit Umweltaktivist:innen in Polen ergab, dass zur
Erhöhung der Wirksamkeit, d.h. um möglichst viele Menschen und deren Handlun-
gen beeinflussen zu können, auf die Strategie der Zielgruppenorientierung gesetzt
wurde (z.B. gemeinsame Aktionen mit katholischen Gruppen; Umweltproteste als
Ausdruck von Patriotismus promoten) (Ło´
s2020).
Anknüpfend am Konzept politischer Selbstwirksamkeit in sozialen Bewegungen
wird im vorliegenden Artikel durch die Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen von
FFF-Aktivist:innen untersucht, ob und inwiefern sie persönliche politische Selbst-
wirksamkeit wahrnehmen und mit welchen Strategien sie diese fördern und auf-
rechterhalten.
3 Stand der Forschung zu FFF
Zu den umfangreichsten Untersuchungen zu Fridays for Future für den europäischen
Raum gehören sicherlich jene, die unter dem Titel „Protest for a future“ veröffent-
licht worden sind und sich (international) vergleichend auf mehrere Städte beziehen
(Wahlström et al. 2019; Folgeuntersuchung: de Moor et al. 2020). Sie fokussieren
unter anderem auf die Mobilisierungswege und Motive der Teilnehmenden und ge-
ben Aufschluss über die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Bewegung. Dabei
zeigt sich die Besonderheit einer vergleichsweise jungen Bewegung, die einen hohen
Frauenanteil aufweist und deren Teilnehmende mehrheitlich der höheren Bildungs-
schicht angehören.
Die Wirksamkeit der Aktivitäten der deutschen FFF-Bewegung wird durch Rust
et al. (2021) beschrieben, wobei weniger die Perspektive der FFF-Protestierenden
und deren Selbstwirksamkeitserfahrungen, als vielmehr ein Überblick der Aktivi-
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N. Waechter, N. M. Steinmann
täten der „For Future-Gruppen“ und der (unmittelbaren) Auswirkungen dargestellt
wird. Insgesamt habe die Bewegung erreicht, „dass eine intensivere Ernsthaftig-
keit in der Diskussion zu mehr Klimaschutz eingeleitet“ wurde und das Thema im
politischen Diskurs präsent sei (Rust et al. 2021, S. 20). Politik habe sich zwar
solidarisiert, jedoch keine ernsthaften Maßnahmen beschlossen (ebd.).
Für die Proteste in Österreich sind u. a. die Untersuchungen von Daniel und Kol-
leg:innen zu nennen, die z.T. an die europäischen Untersuchungen anschließen bzw.
diese in ihrem Datenmaterial berücksichtigen, wobei ein besonderes Augenmerk auf
die Ziele, die Interpretationen der Klimakrise und die Mobilisierungsmöglichkeiten
gelegt wurde (Daniel et al. 2020). Interessant ist für den vorliegenden Kontext dazu,
dass die Protestierenden mehrheitlich davon ausgehen, die Politik mit ihren Protes-
ten beeinflussen zu können. Insbesondere jüngere Teilnehmer:innen (bis 19 Jahre)
erwarten insgesamt einen ’starken’ oder ’ziemlichen’ Einfluss ihrer Proteste (Bohl
et al. 2021).
Mit der politischen Wirksamkeit der FFF-Bewegung in Deutschland haben sich
Koos und Lauth (2019), Gardner und Neuber (2020;2021) und Costa und Witt-
mann (2021) auseinandergesetzt. Von den in Koos und Lauth (2019) befragten Pro-
testteilnehmenden gaben zwei Drittel an, dass sie ihren Lebensstil seit Beginn der
Schulstreiks hin zu mehr Nachhaltigkeit ausgerichtet hätten, und 28 % erklärten,
dies auch in ihrem sozialen Umfeld beobachten zu können. Hinsichtlich einer nach-
haltigen Veränderung der Politik zeigten sich die Befragten optimistisch und gaben
an, mehrheitlich mit einer Änderung zu rechnen (ebd., S. 7). Gardner und Neuber
(2020;2021) untersuchten den Einfluss der Corona-Pandemie auf die Einschätzung
der Wirksamkeit. Dabei stellte sich heraus, dass die Protestierenden in der Pande-
mie stärker die Auffassung vertraten, dass ihr Engagement Veränderungen bewirken
kann, als zu Beginn der Proteste. Dies gilt im Besonderen für die allgemeine Ein-
schätzung des Einflusses von organisierten Gruppen von Bürger:innen auf politische
Prozesse (Gardner und Neuber 2021). Mit einer Online-Befragung konnten Costa
und Wittmann (2021) zeigen, dass diejenigen, die an den Demonstrationen von FFF
teilnehmen, eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung im Vergleich zu denjenigen,
die organisatorisch in der Bewegung aktiv sind, aufweisen. Beide Gruppen weisen
zugleich höhere Werte zur Erwartung der eigenen Selbstwirksamkeit auf als Per-
sonen, die sich nicht an den Protesten beteiligen (Costa und Wittmann 2021). Die
Autorinnen sehen in den Befunden vorsichtige Hinweise darauf, dass im Rahmen
eines aktiven, d.h. auch organisatorischen, Engagements bei FFF „Erfahrungen ge-
macht werden, die zu einer Veränderung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung
führen könnten“ (ebd., S. 14) und darin „auch Grenzen des eigenen Handelns und
Wirkens erfahr- und spürbar werden, was sich in der niedrigeren Selbstwirksam-
keitserwartung der Engagierten widerspiegeln kann“ (ebd.).
Zusammengefasst zeigen die bisherigen (vorrangig quantitativen) Forschungser-
gebnisse zur Einschätzung der Selbstwirksamkeit, dass die FFF-Teilnehmer:innen
mehrheitlich davon ausgehen, mit ihren Protesten politische Entscheidungen beein-
flussen zu können (Bohl et al. 2021; Gardner und Neuber 2021, Koos und Lauth
2019).
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4 Empirisches Forschungsdesign und Stichprobe
Die empirischen Erkenntnisse beruhen auf einer qualitativen Studie mit Datenerhe-
bungen in Deutschland (Steinmann 2021) und Österreich (Waechter und Steinmann
2022). Ziel war es, mittels qualitativer, leitfadengestützter Interviews, die im Som-
mer/Herbst 2019 geführt worden sind, die Perspektive von Aktivist:innen und Teil-
nehmenden der Fridays for Future-Proteste zu rekonstruieren. Der Zeitspanne der
Erhebung liegt damit im ersten Jahr der Bewegung – sowohl in Deutschland als auch
in Österreich fanden die ersten Klimastreiks im Dezember 2018 statt. Die Interviews
waren „problemorientiert“ (hinsichtlich der Einschätzung von FFF und Selbstwirk-
samkeit) (Witzel und Reiter 2012) sowie narrativ orientiert (Küsters 2009), um der
subjektiven Perspektive der Befragten gerecht zu werden und ein hohes Maß an
Offenheit zu garantieren. Ein wesentlicher Themenbereich fokussierte in beiden Er-
hebungen auf die politische Wirksamkeit der Bewegung, mit der sich dieser Artikel
beschäftigt.
Insgesamt liegen elf Einzelinterviews (aus Deutschland und Österreich) sowie
zwei Gruppendiskussionen (Deutschland) vor, sodass insgesamt 16 junge Mitglie-
der der FFF-Bewegung 3in die Untersuchungen einbezogen werden konnten (n= 16).
Die Stichprobe setzt sich insgesamt aus sieben Männern und neun Frauen zusam-
men, die sich, mit einer Ausnahme,4zum Zeitpunkt der Erhebungen in schulischer
oder akademischer Ausbildung befanden. Ihr Alter beträgt zwischen 16 und 29 Jah-
re, wobei der Großteil zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 18 und 25 Jahre
alt war. Es handelt sich dabei also mehrheitlich um ein Studierendensample.5Zehn
Personen (fünf in Österreich und sechs in Deutschland) waren zusätzlich zur De-
monstrationsteilnahme auch organisatorisch aktiv bzw. waren in FFF-Gremien oder
Arbeitsgemeinschaften involviert, die weiteren sechs Personen (drei in Österreich
und zwei in Deutschland), nahmen „nur“ an (mehreren) FFF-Demonstrationen teil,
waren aber mit einer Ausnahme in anderen Organisationen oder losen Gruppen, die
sich dem Klimaschutz widmen (z. B. System Change Not Climate Change), aktiv.
Auch mehrere FFF-Aktivist:innen waren zusätzlich zu FFF bei weiteren Klimagrup-
pen engagiert (siehe Tab. 1).
Bei der Datenerhebung wurde in einer Verbindung von Purposive Sampling (Pat-
ton 2002) und Theoretical Sampling (Strauss und Corbin 1996; Strübing 2022 und
2021) darauf geachtet, dass der Datensatz sowohl Homogenitäten als auch Heteroge-
3Die Interviewten der österreichischen Studie (zwei Männer, sechs Frauen) waren zwischen 18 und
25 Jahren alt (IP1–IP8). Die Interviewten der deutschen Studie (fünf Männer, drei Frauen) waren mindes-
tens 16 Jahre und höchstens 29 Jahre alt (eine exakte Alterseingrenzung kann aufgrund fehlender Angaben
nicht geschehen) (IP9–IP16). IP10 und IP11 sowie IP12, IP13 und IP14 wurden in je einer Gruppendiskus-
sion mit der Absicht weiterer Exploration (Lamnek 2005) befragt, wobei in der Auswertung wie bei den
Einzelinterviews auf die Darstellungen subjektiver Erfahrungen fokussiert wurde. Die Interviews der öster-
reichischen Studie wurden im Rahmen einer Lehrveranstaltung („Forschungswerkstatt“) unter der Leitung
von Natalia Waechter von den Studierenden durchgeführt.
4Es stellte sich erst im Interview heraus, dass sich die Person momentan nicht im Bildungssystem befindet.
Sonst befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung die Interviewpersonen in einer matura-/abiturführenden
Schule der Sekundarstufe 2 (ISCED 3) oder an einer Hochschule/in der Tertiärstufe (ISCED 4).
5Die soziale Lage der Befragten wurde nicht erhoben.
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N. Waechter, N. M. Steinmann
Tab . 1 Sample: Beschreibung des Aktivismus der Interviewpartner:innen (IP)
FFF-Aktivist:in
(seit)
Anderes politisches Klima-Engage-
ment
Regelmäßige FFF-Demo-
Teilnahme (aber nicht in
FFF-Gruppe aktiv)
IP1 Ja (in Regional-
gruppe aktiv, seit
2. Demo)
––
IP2 Ja (Gründungsmit-
glied Regionalgrup-
pe)
Vorher und parallel andere regionale
Klimagruppe
–
IP3 Ja (in Regional-
gruppe aktiv, seit
2. Demo)
Vo r h e r S C N C C –
IP4 Ja, aber momentan
nicht in Gruppe
aktiv
Ist in verschiedenen Klima-Organi-
sationen aktiv und nahm an vielen
Aktionen in Ö und D teil
–
IP5 Nein In Dumpster-Gruppe aktiv Ja
IP6 Nein Bei Kostnix-Laden aktiv Ja
IP7 Nein, aber macht ge-
meinsame Aktionen
mit FFF
Seit 3 Jahren bei SCNCC Ja
IP8 Nein – Ja
IP9 Nein NGO Ja
IP10 Nein Parteimitgliedschaft Ja
IP11 Ja, in Ortsgruppe
aktiv
––
IP12 Ja, in Ortsgruppe
aktiv (seit 1. Demo)
Verband für Umweltschutz –
IP13 Ja, aber momentan
nicht in Gruppe
aktiv
––
IP14 Ja, organisatorische
Mitwirkung (seit
1. Demo)
––
IP15 Ja, Gründungsmit-
glied Ortsgruppe
––
IP16 Ja, in Ortsgruppe
aktiv
X (anonymisiert) –
nitäten aufweist. Der Idee des Purposive Sampling folgend, wurden die Kriterien zur
Auswahl bereits vorab bestimmt (Patton 2002). Zuallererst wurde die Stichprobe auf
in der FFF-Bewegung engagierte Personen festgelegt, um „information rich cases“
(Patton 2002) gewährleisten zu können. Auch hinsichtlich Alter (junge Erwachse-
ne) und Bildungsbeteiligung (noch im Bildungssystem/in Ausbildung, d.h. höheres
Bildungsniveau) wurde basierend auf dem Stand zur Forschung zu FFF eine homo-
gene Stichprobe gewählt. Hinsichtlich der Art des Engagements in der Bewegung
(siehe Tab. 1) sowie der Teilnahme in deutschen und österreichischen Regional-
und Ortsgruppen wurde auf eine heterogene Stichprobe geachtet. Das sollte im
Sinne einer „konzeptuellen Repräsentativität“ (Strübing 2021, S. 33) ermöglichen,
falls vorhanden, verschiedene Konzepte von Selbstwirksamkeit zu erhalten. Bei der
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Art des Engagements wurden neben Personen aus dem organisatorischen Kern, die
sich der Bewegung und den entsprechenden lokalen Gruppierungen schon früh an-
geschlossen hatten, auch solche rekrutiert, die nicht organisatorisch aktiv waren.
Die unterschiedlichen Regional- und Ortsgruppen werden aus Datenschutzgründen
nicht genannt. Die Befragten konnten zunächst durch Feldaufenthalte und persön-
liche Kontakte, und später auch durch (Kontakt-)Verweise durch bereits befragte
Personen akquiriert werden.
Zusätzlich zur qualitativen Befragung wurden Internetrecherchen zu Organisati-
onsformen und Zielen der Bewegung (etwa auf den Länderhomepages der Bewe-
gung) durchgeführt und kontextuell in die Auswertungen einbezogen. Im Rahmen
der deutschen Erhebung konnten zudem teilnehmende Beobachtungen an drei Pro-
testen in Nordrhein-Westfalen und einem mehrtägigen Sommerkongress realisiert
werden. Die Interviewdaten wurden transkribiert und anonymisiert, die Beobach-
tungsdaten unmittelbar nach den Feldaufenthalten schriftlich protokolliert, um sie
analytisch nutzen zu können (Hitzler und Honer 1997).
Die Datenauswertung erfolgte in Anwendung kodierender Methoden in Anleh-
nung an die Grounded Theory (Strauss und Corbin 1996). Der Schwerpunkt lag
zuerst bei einer materialbasierten, offenen Kodierung. Theoretische Vorkenntnisse
wurden nicht gänzlich ausgeblendet, sondern im Sinne der „theoretischen Sensi-
bilität“ für die Einschätzung der Relevanz des Datenmaterials (in unserem Fall
hinsichtlich einer Akteursperspektive) verwendet (vgl. Glaser und Strauss 2010).
Auf Basis der offen generierten Codes konnten in der Folge abstraktere, in sich
ausdifferenzierte Kategorien zum Rahmenthema „Einschätzungen der politischen
Selbstwirksamkeit“ entwickelt werden. In der interpretativen Weiterarbeit wurden
diese zu den Schlüsselkategorien „Politische Selbstwirksamkeit innerhalb der Be-
wegung“, „Strategien zur Förderung politischer Selbstwirksamkeit“ und „Politische
Selbstwirksamkeit außerhalb der Bewegung“ verdichtet.
Bei der Auswertung wurde der Fokus explorativauf Gemeinsamkeiten und „stabi-
le Ausprägungen“ (Strübing 2022, S. 595) gelegt. Hinsichtlich der unterschiedlichen
Regional- und Ortsgruppen zeigten sich in der Analyse der Selbstwirksamkeitser-
fahrungen keine relevanten Auffälligkeiten bzw. Widersprüchlichkeiten. Die Unter-
schiede basierend auf der Art des Engagements werden in der Ergebnisdarstellung
thematisiert. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung entlang der bei-
den Schlüsselkategorien dargestellt.
5 Empirische Ergebnisse: Politische Selbstwirksamkeit im Verständnis
junger Protestierender
5.1 Politische Selbstwirksamkeit in Kontexten innerhalb der Bewegung
Der Glaube an die eigene politische Selbstwirksamkeit scheint bei den befragten
jungen FFF-Engagierten grundlegend mit ihren Wirksamkeitserfahrungen zusam-
menzuhängen. Zu diesen Erfahrungen gehört zum einen, inwieweit die Aktionen
der Bewegung auf Regierungen und Politiker:innen Einfluss genommen und diese
zu entsprechenden Maßnahmen und Gesetzen veranlasst haben. Hier zeigt sich, dass
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N. Waechter, N. M. Steinmann
die Interviewpersonen eine gewisse politische Wirksamkeit der Bewegung feststel-
len, die sich zum größeren Teil in einer allgemeinen wachsenden politischen Präsenz
des Klimathemas und zum kleineren Teil in konkreten Maßnahmen ausdrückt. Zum
anderen soll auch die Bevölkerung erreicht und für das Thema sensibilisiert werden.
Die Zielerwartungen sind hier erstens Veränderungen im individuellen Klimahan-
deln (z. B. weniger Autofahren) und zweitens die Ermöglichung von politischen
Maßnahmen durch gesellschaftlichen Konsens. Das entspricht in etwa den beiden
Dimensionen der direkten und indirekten Wirksamkeit (Cologna et al. 2021,Ha-
mann Karen und Reese 2020). Der Einfluss auf Regierungen und Politker:innen ist
dabei als direkte Wirksamkeit und die Sensibilisierung der Bevölkerung als indirekte
Wirksamkeit zu verstehen.
Hinsichtlich des Einflusses auf politische Akteur:innen (Regierungen, Politi-
ker:innen) werden konkrete Auswirkungen genannt. Zum Beispiel wird betont, dass
der Wahlerfolg der Grünen bei den letzten österreichischen Nationalratswahlen, der
zu einer Regierungsbeteiligung geführt hat, auf die FFF-Proteste zurückzuführen
ist (z.B. IP2, Z. 646–647).6Zudem wurde die Bewegung auch dafür verantwortlich
angesehen, dass auf mehreren politischen Ebenen in Deutschland und Österreich ein
Klimanotstand ausgerufen wurde, der Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise
begünstigen soll. Auch wenn es sich hier um eine „Claiming Credit“ Strategie (Ein-
wohner 2002) handeln könnte, d.h. dass Erfolge, die keiner direkten politischen Ein-
flussnahme der Bewegung zugrunde liegen, auf das eigene Konto verbucht werden,
scheinen diese Narrative über erreichte Erfolge zur subjektiven politischen Selbst-
wirksamkeit, also zur Überzeugung über die eigene politische Handlungsfähigkeit,
beizutragen.
Darüber hinaus werden kaum konkrete (politische) Maßnahmen benannt, in de-
nen die Bewegung Wirksamkeit entfalten konnte. Als Gründe werden externe Pro-
blematiken (vgl. Bandura 1982), konkret vor allem die Verflechtungen von Po-
litik und Wirtschaft („Oft hakt’s daran, dass die Interessensverbände hinter den
Entscheidungsträgern... also Lobbyismus so ein machtvolles Instrument ist“,IP4,
Z. 210–211), sowie die dem politischen System inhärente kurzfristige Perspektive
genannt: „[...] weil Politiker gerne die Politik so betreiben, dass sie nächstes Mal wie-
der gewählt werden und weil es für den Klimawandel solche langfristigen Lösungen
braucht, die in der kurzen Frist erstmal vielleicht ungemütlich erscheinen, macht sich
damit niemand beliebt.“ (IP4, Z. 214–217). Befragte berichten übereinstimmend von
wiederholten Erfahrungen, dass ihre Forderungen von der Politik zwar gehört, aber
nicht oder nur scheinbar umgesetzt werden (vgl. auch IP3, Z. 194–220):
„Politiker sagen oft, FFF ist super, laden uns zu Gesprächen ein und drehen und
wenden die Thematik dann so, dass was anderes rauskommt. (...) Zum Beispiel
’ja, wir müssen alle viel weniger mit dem Auto fahren’. (...) Was eigentlich gar
nicht das Thema war (...) und das wird halt auf das Individuelle abgewälzt.“
(IP2, Z. 561–572).
6Zitationen von Interviews werden folgendermaßen abgekürzt: IP= Interviewpartner:in, TT = Teiltranskription
(falls zutreffend), Z = Z eile im Transkript.
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Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
Zur Sensibilisierung der Bevölkerung erklären dagegen mehrere Interviewpart-
ner:innen übereinstimmend, durch die Sichtbarkeit ihres Protests die Bevölkerung
zu einem Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit bewegt zu haben:
„Ich sehe, dass überall über das Thema Klimakrise gesprochen wird und die-
ses Thema es wirklich mittlerweile überallhin geschafft hat, dass jeder darüber
spricht und dass in vielen Köpfen einfach ein Umdenken stattgefunden hat be-
ziehungsweise gerade stattfindet (...) und auch wenn wir auf politischer Ebene
bisher noch nicht viel erreicht haben, merke ich, dass wir auf gesellschaftlicher
Ebene super viel erreicht haben“ (IP16, TT5, Z. 4–10).
Die Wahrnehmung eines Einflusses auf die Bevölkerung ist insofern wichtig,
als mit einer Sensibilisierung der Bevölkerung der Boden dafür bereitet werden soll,
politische Maßnahmen zur Nachhaltigkeit zu verabschieden, die von der Gesellschaft
langfristig mitgetragen werden:
„Aber es geht auch darum, gesellschaftlich sichtbar zu sein, dass man auch
vielleicht mehr Unterstützer gewinnt, dass wir mehr Druck ausüben können auf
die Politik. Und dass auch vielleicht der Unwille nicht so groß ist, wenn dann
Klimaschutzmaßnahmen folgen, die uns vielleicht im Lebensstil ein bisschen
beschneiden.“ (IP2, Z. 500–504)
Neben politischen Maßnahmen und Sensibilisierung der Bevölkerung hat die
subjektive politische Selbstwirksamkeit noch eine weitere Dimension: Vor allem
die befragten Demonstrationsteilnehmer:innen, die sich nicht organisatorisch in Re-
gional- oder Ortsgruppen engagieren, erfahren Selbstwirksamkeit, indem sie sich
mit Gleichgesinnten zu einer als stark wahrgenommenen Gemeinschaft zusam-
menschließen. Dieses Gemeinschaftserleben und die Erfahrung, Teil einer Bewegung
zu sein, scheint bereits dazu beizutragen, sich als selbstwirksame:n Akteur:in zu be-
greifen (IP9, TT 5, Z. 5–10, IP12, Z. 652–655 und Z. 733–741, IP14, Z. 284–291).
Das kann auch die Vermutung von Costa und Wittmann (2021) stützen, dass diese
jungen Menschen sogar mehr Selbstwirksamkeit erfahren, weil sie im Gegensatz zu
den organisatorisch Engagierten weniger auf die politische Zielerreichung fokussiert
sind.
Von Aktivist:innen, die sehr viel Zeit in die politische Arbeit für die Erreichung
der Ziele investieren, wird dementsprechend viel von Enttäuschungen und Frustra-
tion berichtet, wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass Ziele nicht und vor allem
nicht schnell und einfach erreicht werden („Politischer Aktivismus ist unglaublich
frustrierend“, IP1, Z. 416). Diese Erfahrungen werden allgemein als Gefahr für die
politische Selbstwirksamkeit der FFF-Engagierten eingeschätzt: „Das sehe ich auch
als eines der größten zukünftigen Probleme, die Fridays haben wird, dass man die
Leute bei Stange hält, dass die Leute nicht zu frustriert werden.“ (IP2, Z. 620–623).
5.1.1 Strategien zur Förderung politischer Selbstwirksamkeit
Zweifel, ob sich der persönliche Einsatz lohnt, scheinen innerhalb von FFF weit
verbreitet zu sein, und werden in der Bewegung auch thematisiert: „In Lausanne
[SMILE for Future – Summer Meeting in Lausanne Europe] war sicher eines der
K
N. Waechter, N. M. Steinmann
größten Themen, neben ’wie bekommen wir noch mehr Menschen auf die Straße,
was wollen wir, wie gehen wir vor’, ’wie schaffe ich es, dabei selber nicht verrückt
zu werden’“ (IP1, Z. 431–433). Mit der internen Auseinandersetzung und dem Aus-
tausch scheinen persönliche Zweifel abgefedert, die Gemeinschaft gefestigt sowie
der Glaube an die eigene Handlungsfähigkeit gestärkt werden zu können.
Um negativen Erfahrungen hinsichtlich der politischen Zielerreichung und damit
einhergehenden Frustrationen entgegenzuwirken, wird zudem auf eine optimisti-
sche, fröhliche Grundstimmung gesetzt. Das entspricht der Einschätzung von Gla-
zer Myron und Glazer (1999) für die frühere Umweltbewegung, die ebenfalls einen
unerschütterlichen Optimismus als Erfolgsrezept für die Aufrechterhaltung der Be-
wegung beschreiben. Dieser Optimismus betrifft bei der heutigen FFF auch die
internen Sitzungen, vor allem aber werden die Demonstrationen als sehr fröhlich
beschrieben:
„Im letzten Bundesplenum haben wir beschlossen, dass wir einen neuen Grund-
satz einführen, und zwar, dass wir positiv öffentlich, extern und intern, formu-
lieren. Weil das ganz, ganz wichtig ist für uns alle, die Hoffnung nicht zu verlie-
ren. (...) Deswegen sind auch unsere Demos alle sehr fröhlich. Also wir haben
coole Musik, wir tanzen, wir versuchen daraus eine kleine Party zu machen.
(...) Also wir müssen (...) weil ich glaub, dass sonst die Leute einfach aufhö-
ren.“ (IP1, Z. 405–415).
Das Interview zeigt, dass ein fröhlicher Optimismus sogar offiziell als Strategie
eingesetzt wird. Hier zeigt sich aber auch ein jugendkulturelles Element (Waechter
und Steinmann 2023) der Bewegung: Politisches Engagement für den Klimaschutz
soll auch Spaß machen:
„Also es ist schon eher durchwegspositiv durch Musik und Gesang undTanzen,
und es wäre blöd, wenn es nicht so wäre, weil dann würde es auch keinen
mehr scheren, das nächste Mal wiederzukommen. Klimaschutz kannauch Spaß
machen.“ (IP4, Z. 268–271)
Es scheint damit auch, als feiert sich die Bewegung selbst und politische Selbst-
wirksamkeit wird von den Teilnehmenden im Zusammenschließen von Gleichge-
sinnten und dem Erleben von Gemeinschaft erfahren (IP9, TT 5, Z. 5–10, IP12,
Z. 652–655 und Z. 733–741, IP14, Z. 284–291).
Eine weitere Strategie zur Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen und
zur Stärkung subjektiver politischer Selbstwirksamkeit, die wir aus dem Datenma-
terial herausarbeiten konnten, ist die Niederschwelligkeit des Zugangs zum Enga-
gement. Die Aufnahme und Mitarbeit in einer lokalen FFF-Gruppe sind vorausset-
zungslos gestaltet, und bei den regelmäßigen Treffen sind alle Anwesenden dazu
aufgerufen, gleichermaßen mitzureden und mitzubestimmen:
„Da kann sprichwörtlich jeder kommen. Und jeder, der da ist, hat sofort ein
Stimmrecht. Also es ist jetzt nicht so, dass du dich erst anmelden und un-
terschreiben musst, sondern du bist da, damit hast du genug Bereitschaft ge-
K
Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
zeigt, dass du stimmen kannst. (...) Was bei uns so angenehm ist, du kommst
und kannst gleich mithelfen, du kannst gleich mitmachen.“ (IP1, Z. 256–258;
331–334).
Mit diesem offenen Zugang werden Interessierte sofort in die Rolle eines/einer
politischen Akteur:in versetzt, indem ihnen ein Mitsprache- und Stimmrecht gege-
benwird(„Wer da ist, hat ein Stimmrecht“, IP2, Z. 59–60). Es ist anzunehmen, dass
die aktive Ausübung dieser Rolle (mitzureden und mitzustimmen) auch zu einem
dementsprechenden Selbstverständnis als politische:r Akteur:in und zur Wahrneh-
mung von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit beiträgt. Diese Niederschwel-
ligkeit wird auch für Neugründungen von regionalen Gruppen, also „Ortsgruppen“
(Deutschland) bzw. „Regionalgruppen“ (Österreich), beschrieben: „Es kann jede
Stadt eine Regionalgruppe ausrufen. Das ist ganz, ganz wichtig.“ (IP2, Z. 349–351).
5.1.2 Politische Selbstwirksamkeit in Kontexten außerhalb der Bewegung
Die Befragten sehen sich übereinstimmend in der Eigenverantwortung, ihr eigenes
Leben möglichst klimaschonend zu gestalten. Dabei werden zahlreiche Beispiele aus
den Bereichen Ernährung, Konsum, Mobilität und Energie ausführlich geschildert.
Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass regionale, biologische, saisonale,
vegane und verpackungsfreie Produkte zur Ernährung bevorzugt werden. In Be-
zug auf Konsum scheint allgemein das Ideal vorzuherrschen, sich möglichst ganz
dem Konsum zu entziehen und stattdessen alternative Praktiken wie Kleidertausch,
DIY-Kosmetik und Dumpstern anzuwenden. Zum Beispiel erklären zwei Befragte:
„Ja und ich versuch schon viel auf Sachen zu verzichten, indem ich mir keine neue
Kleidung, Fabrik-neue-Kleidung kaufe oder irgendwie auch beim Kochen, ja manche
Zutaten jetzt nicht unbedingt noch brauche oder dann auch keine tropischen Früchte
kaufe.“ (IP4, Z. 65–68)
„Ich persönlich probier’ auf extrem viele Sachen zu verzichten. Ich verzich-
te auf, also ich schau wirklich aktiv, dass ich kein Palmöl kaufe, was echt
schwer ist grad wenn’s zu Süßigkeiten kommt und da steht man teilweise ziem-
lich frustriert vorm Süßigkeitenregal im Supermarkt [lacht]. Ich esse auch kein
Fleisch mehr mittlerweile seit zwei Jahren, ich probier’ wirklich möglichst we-
nig Milchprodukte und Eier zu mir zu nehmen, also tierische Produkte.“ (IP2,
Z. 81–86)
Im Bereich Mobilität wird übereinstimmend versucht, motorisierten Individual-
verkehr (vor allem Auto und Flüge) zu vermeiden („Ich habe beschlossen, nicht
mehr zu fliegen“, IP1, Z. 148; „Ich habe keinen Führerschein gemacht, bewusst“, IP
Z. 96–97) bzw. nur dann zu nutzen, wenn es notwendig erscheint und dann auch zu
kompensieren. Im Bereich Energie werden Praktiken des Energiesparens sowie die
Unterstützung von Öko-Strom betont.
Als private, engagierte Personen sehen sich die Befragten auch als Vorbilder und
versuchen damit, ihr soziales Umfeld (mehr oder weniger aufdringlich) zu beeinflus-
sen. So beschreibt zum Beispiel ein Befragter seine vorsichtige, aber erfolgreiche
Einflussnahme auf das Umweltverhalten in der Familie folgendermaßen:
K
N. Waechter, N. M. Steinmann
„Und es ist auch so, dass die [nachhaltigen] Produkte gekauft werden, wenn
ich sie halt gern hab und dann die auch teilweise mitgegessen werden bzw. dass
ich halt [nicht-nachhaltige] Produkte nicht mehr ess, die gekauft werden und
demnach meine Familie die weniger kauft.“ (IP2, Z. 122–137)
Auch Erfahrungen im Kontext des Freundeskreises können zur Herausbildung
von politischer Selbstwirksamkeit beitragen. Eine Befragte berichtet davon, dass
sie ihren Freundeskreis zum Wechsel zu einem klimafreundlichen Lebensstil (in
eher vehementer Weise) überzeugen konnte: „Je mehr ich da rein gerutscht bin, sind
auch meine ganzen Freunde mit rein gerutscht, weil ich jetzt mittlerweile jeden dazu
verdonner bitte klimagerecht zu leben.“ (IP15, Z. 362–372).
Die subjektive Handlungsfähigkeit drückt sich im veränderten eigenen Konsum-
verhalten und in einem verstärkt nachhaltigen Lebensstil aus. Zudem wird sie durch
positive Erfahrungen, wie sie in der Beeinflussung vom persönlichen sozialen Um-
feld gemacht werden, gestärkt. Hier sind vor allem zwei Formenan Erfahrungen rele-
vant, einerseits das Einnehmeneiner Vorbildfunktion, wobei andere zum Nachahmen
animiert werden (teils absichtsvolle, aber indirekte Beeinflussung) und andererseits
nachdrückliche Aufklärungsarbeit im Familien- und Freundeskreis (absichtsvolle,
direkte Beeinflussung).
6 Diskussion
Zusätzlich zu den bisher entwickelten Konzepten politischer Selbstwirksamkeit,
konnten aus dem Datenmaterial auch neue Dimensionen herausgearbeitet werden.
Die Befragten der FFF-Bewegung unterscheiden kaum in persönliche und kollektive
Selbstwirksamkeit (vgl. Bandura 1982 und 1997, Beaumont 2010), berichten aber
von subjektiven Erfahrungen, die sie persönlich machen (eigenes Engagement wird
als zielführend erlebt) und von subjektiven Erfahrungen, die die gesamte Bewegung
betrifft (Bewegung wird als politisch wirksam wahrgenommen), wobei beide Arten
zum Glauben an die eigene politische Handlungsfähigkeit beitragen. Dabei tren-
nen sie ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen, die sie als politische:r Akteur:in in
Kontexten außerhalb der Bewegung machen von jenen, die sie als FFF-Aktivist:in
innerhalb der Bewegung machen. Zusätzlich zu ihrem Engagement in der FFF-Be-
wegung erfahren die Befragten politische Selbstwirksamkeit, indem sie ihren per-
sönlichen Lebensstil nachhaltig gestalten. Diese Betonung der individuellen Verant-
wortlichkeit, die aus den Interviews herausgearbeitet wurde, sich einen nachhaltigen
Lebensstil, der auch einen Verzicht auf bisherige Gewohnheiten beinhaltet, anzueig-
nen, entspricht dem allgemeinen Trend zur Individualisierung von Verantwortung
in der Risikogesellschaft (Beck 1986). So wird im aktuellen öffentlichen Diskurs
zur Klimakrise der persönliche Beitrag und Lebensstil aller Gesellschaftsmitglieder
K
Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
verstärkt thematisiert, und auch empirisch lässt sich eine große Bereitschaft, seinen
Lebensstil nachhaltiger zu gestalten, zeigen.7
Hinsichtlich des Konzepts der direkten und indirekten politischen Wirksamkeit
(Cologna et al. 2021; Hamann Karen und Reese 2020) konnten wir zeigen, dass es
sowohl beim Engagement innerhalb von FFF als auch beim persönlichen Engage-
ment in Kontexten außerhalb der FFF-Bewegung direkte und indirekte Wirksam-
keitserfahrungen gibt, die zur Einschätzung der persönlichen Handlungsfähigkeit
beitragen. Direkte Wirksamkeit umfasst dabei Erfahrungen mit der Einflussnahme
auf die Politik (beim Engagement innerhalb der Bewegung) und ein veränderter
Konsum und Lebensstil (beim Engagement außerhalb der Bewegung). Indirekte
Wirksamkeitserfahrungen beziehen sich auf Beeinflussung der Bevölkerung (beim
Engagement innerhalb der Bewegung) und auf Beeinflussung des Familien- und
Freundeskreises (beim Engagement außerhalb der Bewegung).
Die in unseren Interviews erörterten Strategien zur Erhöhung der subjektiven
politischen Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden der Bewegung decken sich zum
Teil mit früheren Arbeiten zu sozialen Bewegungen. Wie auch zum Beispiel für die
Tierrechtsbewegung festgestellt (Einwohner 2002), zeigen auch unsere Daten, dass
FFF Erfolge, die in einem komplexen Kontext stehen und vielschichtige Ursachen
haben, für sich beanspruchen (z. B. Wahlerfolge der Grünen). Solche Prozesse des
„claiming credit“ können über politische Niederlagen und Schwierigkeiten bei der
Zielerreichung wieder zu einer optimistischen Grundstimmung beitragen und Ver-
lusten subjektiver Selbstwirksamkeit entgegenwirken. Wie auch Glazer Myron und
Glazer (1999) für vergangene Umweltbewegungen in mehreren Ländern beschrei-
ben, werden politische Erfolge durch eine Kultur der Hoffnung ersetzt: „They [...]
refuse to accept a future without the possibility of change. Despite the power of the
opposition, they had faith in their own values and in their belief that others would
rally for their cause. This tenacious dedication was their hallmark. They embodied
the democratic tradition that citizens could unite for a redress of grievances; that
those in the media or in government would see the justice of their cause, and that
their legitimate concerns would be met.“ (Glazer Myron und Glazer 1999, S. 280).
Unsere Interviewdaten verweisen auf hohe Arbeits- und Zeitinvestitionen, die von
den jungen FFF-Aktivist:innen, die sich auch in der Organisation der Bewegung
engagieren, in ihrer Freizeit neben Schule, Studium und anderen Verpflichtungen
geleistet werden. Umso wichtiger erscheint die Strategie der Verbreitung einer hoff-
nungsvollen, optimistischen Grundstimmung. Die Ergebnisse legen nahe, dass mit
diesem Narrativ der Hoffnung einerseits bereits aktive Mitglieder der Bewegung zum
Durchhalten motiviert werden und andererseits auch neue (junge) Menschen für die
Bewegung begeistert werden sollen.8Der Zulauf zur Bewegung, die Gemeinschaft
7So zeigen z.B. Ergebnisse der globalen Generation Z Studie, dass etwa ein Drittel der befragten jungen
Menschen angibt, das persönliche Verhalten oder den eigenen Lebensstil für ein soziales Anliegen wie die
Bekämpfung der Klimakrise verändert zu haben (Seemiller & Grace, in Druck).
8Vor dem Hintergrund des bislang wenig konkreten politischen Erfolgs und des zeitlichen Aufwands, den
der FFF-Aktivismus mit sich bringt, sind das Durchhaltevermögen (entgegen diesbezüglicher Befürchtun-
gen in den Interviews) und die Strategien zur Mobilisierung erstaunlich erfolgreich. Im dritten Jahr ihres
Bestehens hat FFF die Corona-Krise mit den umfassenden Einschränkungen überdauert, und dem Aufruf
K
N. Waechter, N. M. Steinmann
und die Aufrechterhaltung der Bewegung selbst werden als Erfolg gefeiert und da-
mit notwendige politische Selbstwirksamkeit, die über direkte politische Erfolge
nicht erfahren werden kann, wahrgenommen. Als weitere Strategie zur Stärkung des
Glaubens an die eigene politische Handlungsfähigkeit der Mitglieder zeigte sich in
unseren Daten der niederschwellige Zugang zu Engagement und Mitbestimmung
für neue Teilnehmende der Bewegung.
7Conclusio
Wir konnten mit unserer empirischen Arbeit zeigen, dass sich junge Teilnehmende
der FFF-Bewegung als politisch selbstwirksam wahrnehmen, sowohl als Aktivist:in
innerhalb der Bewegung als auch politische Akteur:in außerhalb der Bewegung. Die
befragten Aktivist:innen geben sich einerseits hoffnungsvoll und von der Wirksam-
keit ihrer Handlungen überzeugt, andererseits scheinen sie sich aufgrund von per-
sönlichen Erfahrungen und Auseinandersetzungen den Schwierigkeiten bewusst, die
Erfolgen von sozialen Bewegungen entgegenstehen und den Glauben an die Selbst-
wirksamkeit von FFF-Mitgliedern schwächen könnten. Dazu gehören zum einen
externe Problematiken (langwierige politische Prozesse) und zum anderen interne
Problematiken (über einen langen Zeitraum ist viel persönliches Durchhaltevermö-
gen notwendig). Es werden zwar konkrete Erfolge der politischen Einflussnahme ge-
nannt, allerdings scheint es sich hier um Prozesse von „claiming credit“ (Einwohner
2002) zu handeln, d. h. es werden Erfolge für die Bewegung beansprucht, wo keine
direkte Einflussnahme möglich war. So verweisen die Befragten auf ihren Einfluss
auf den öffentlichen Diskurs, die Einstellung der Bevölkerung oder Wahlergebnisse.
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Glaube an die politische Selbstwirksamkeit
der deutschen und österreichischen FFF-Bewegung eher von Hoffnung, denn von
konkreten politischen Erfolgen getragen ist. Zudem scheint die subjektive politische
Selbstwirksamkeit nicht ausschließlich an die Erreichung der formulierten politi-
schen Ziele, sondern auch an das Erleben einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten
und dem Handeln als Aktivist:in geknüpft.
Die empirischen Ergebnisse konnten zeigen, dass sich die Befragten als Ak-
teur:innen sozialen Wandels (vgl. Pohl et al. 2011) verstehen, wobei den einzelnen
Aktivist:innen der FFF-Bewegung eine Mehrfachrolle als Akteur:in zukommt. Die
befragten jungen Erwachsenen in Deutschland und Österreich begreifen sich als
politisch selbstwirksam, indem sie sich als Teil der gesamten nationalen und globa-
len Bewegung verstehen und indem sie sich persönlich als FFF-Aktivist:in für den
Erfolg der Bewegung einsetzen. Zudem tragen Selbstwirksamkeitserfahrungen in
Kontexten außerhalb der Bewegung (wie Eigenverantwortung im eigenen Handeln
als Privatperson wahrzunehmen und auch im Alltag klimaschonend und als Vorbild
zu agieren) zum Glauben an die eigene politische Handlungsfähigkeit bei.
Einschränkend ist für unsere Ergebnisse festzuhalten, dass sie trotz des Unter-
suchungsdesigns, das verschiedene Orts- und Regionalgruppen in Deutschland und
zum globalen Klimastreik am 23. September 2022 waren in Deutschland und Österreich hunderttausende
Protestierende gefolgt.
K
Fridays for Future zwischen Hoffnung und Frustration: Politische Selbstwirksamkeit im...
Österreich berücksichtigt, doch auf einer Auswahl möglicher Erfahrungen und Er-
lebnisse von FFF-Aktivist:innen in jeweils spezifischen Kontexten (z. B. lokale An-
liegen, lokale politische Verhältnisse, etc.) beruhen. Zudem wurden mögliche un-
terschiedliche Auswirkungen aufgrund national-spezifischer Kontexte (spezifische
Geschichte sozialer (Umwelt-)Bewegungen, politische Landschaft, aktuelle politi-
sche Diskurse zur Klimakrise und darüber hinaus, Organisationsstrukturen der Be-
wegung, etc.) auf die Einschätzung der politischen Selbstwirksamkeit der Befragten
im Untersuchungsdesign nicht explizit berücksichtigt. Um darüber Aufschluss zu
gewinnen, können für zukünftige Forschungsarbeiten kontextspezifische Analysen
empfohlen werden. Für die weitere Forschung zur individuell und kollektiv erfahre-
nen politischen Selbstwirksamkeit im Rahmen von FFF wären auch vergleichende
Studien zu Alter, Bildungsniveau und sozialer Lage aufschlussreich.
Funding Open access funding provided by University of Graz.
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Hinweis des Verlags Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeich-
nungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Assoz. Prof. Dr. Natalia Waechter ist Professorin in Sozialpädagogik an der Universität Graz am Institut
für Erziehungs- und Bildungswissenschaft und leitet das Forschungsteam des EU-Projekts „Youth Skills“
an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungs-
forschung. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen Jugend- und Lebenslaufforschung im Zusammenhang mit
Digitalisierung, Bildung, sozialer Ungleichheit, Identität und Diversität sowie international vergleichende
quantitative und qualitative Sozialforschung.
Nico Maximilian Steinmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät Sozialwissenschaften
der Technischen Universität Dortmund. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den nicht standardisierten
Methoden der empirischen Sozialforschung sowie der Konsum- und Jugendsoziologie.
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