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Emotionale und soziale Geografien in der polnischen Literatur:
Räume der Reflexion und der Transformation
Emotionales und soziales Lernen durch literarische Bildung: Entwicklung und Erprobung von Materialien
für Schule, Universität, Weiterbildung und selbstverantwortliches Lernen in transformativen Projekten
No. 17: Über die Reproduktion von sadomasochistischen Erlebnismustern im Raum der Kleinfamilie: Körperliche Züchtigung eines
Jungen durch seinen Vater in Wojciech Kuczoks Roman „Dreckskerl. Eine Antibiographie“ (Gnój: Antybiografia)
Universitätsprofessor Dr. habil. Joachim Bröcher, Europa-Universität Flensburg
Der Autor
Wojciech Kuczok wurde 1972 in Chorzów geboren und studierte an der Schlesischen Universität in
Kattowitz. Er arbeitete als Journalist, Filmkritiker und Drehbuchautor. In seinen Texten beschäftigt
er sich unter anderem mit Tabuthemen, etwa männlicher Homosexualität, Gewalt, Sadomasochis-
mus usw.
Der Roman
Bei dem Buch handelt es sich um eine oberschlesische Familiengeschichte aus den 1970er und 80er
Jahren. Diese ist gekennzeichnet durch Stumpfsinn, kleinbürgerliche Enge und Gewalt. Die einlei-
tende Familienchronik enthüllt etwas über die Entstehungsgeschichte des väterlichen Sadismus. Am
Ende kippt das Geschehen ins Surreale. Das gesamte Haus geht in einer Jauchegrube unter, wohl ei-
ne Art symbolischer Befreiungsakt. Die polnische Version von
Gnój (antybiografia)
ist zuerst 2003
bei Wydawnictwo W.A.B., in Warzsawa erschienen. Für das Poster wurde eine erneute Auflage von
2004 verwendet. Die deutsche Ausgabe erschien 2007 unter dem Namen
Dreckskerl. Eine Antibio-
graphie
, bei Suhrkamp, in Frankfurt am Main, übersetzt von Gabriele Leupold und Dorota Stroińs-
ka.
Kontext und Ziel
In Weiterentwicklung der
Lebensweltorientierten Didaktik
(Bröcher, 1997, 2022) und aufbauend
auf früheren deutsch-polnischen Projekten (Bröcher und Toczyski, 2021; Toczyski und Broecher,
2021; Toczyski, Broecher und Painter, 2022), soll exemplarisch die polnische Literatur in ihrer Be-
deutung für die pädagogische Arbeit mit emotionalen und sozialen Themen erschlossen werden,
stellvertretend für andere und weitere Sprachen und Literaturen, die im multikulturellen Deutsch-
land der Gegenwart und anderen Migrationsgesellschaften, etwa den USA, eine Rolle spielen.
Kennzeichen der Lebensweltorientierten Didaktik ist traditionsbedingt der subjektzentrierte päda-
gogische Zugang, durch die Fokussierung auf Lebensthemen und Daseinstechniken der jungen
Menschen, eben in ihren diversen
Lebensräumen
, nun ergänzt durch das Konzept der
emotionalen
und sozialen Geografien
sowie um Konzepte aus dem Bereich
Social and Emotional Development
through Literacy Education
. Im nächsten Schritt geht es um das Schaffen von Übergängen in sach–
und wissenschaftsorientierte Lernprozesse, etwa in den Bereichen Sprache, Literatur, Soziologie,
Philosophie, Psychologie, Geschichte oder Politik. Natürlich müssen literarische Texte altersgemäß
und je nach Zielgruppe und Situation ausgewählt und aufbereitet werden. Oftmals sind handlungs-
orientierte, fächerübergreifende oder kreativ-schöpferische Aneignungs– und Auseinandersetzungs-
formen denkbar und möglich. Die Poster dieser Serie sollen in der nächsten Zeit in Schulen, Uni-
versitäten, in der Weiterbildung und in
transformativen Projekten
, wo selbstverantwortlich gelernt
wird, jenseits von Institutionen (Broecher und Painter, 2023), erprobt werden. Ein einzelnes Poster
hat nicht den Anspruch, die inhaltliche Komplexität oder die formale Besonderheit eines Werkes in
seiner Gesamtheit zu erfassen. Ich greife stets Einzelthemen heraus, die mir bedeutsam erscheinen.
Kooperationspartner_innen beim Projekt: Janet F. Painter, Lenoir-Rhyne University, Hickory, NC,
USA; Karolina Walkowska, Berlin und Piotr Toczyski, Maria Grzegorzewska Universität, War-
schau. Laufzeit des Projekts: 1.1.2020 - 31.12.2030.
Warum die polnische Literatur?
Erstens
war die von 1569 bis 1795 bestehende polnisch-litauische Adelsrepublik, die
Rzeczpospoli-
ta
, ein pulsierender Vielvölkerstaat von enormen Ausmaßen, wodurch sich Erkenntnisse für das
heutige multikulturelle Deutschland ergeben könnten.
Zweitens
verschwand Polen durch die Erobe-
rungspolitik Preußens, Österreich-Ungarns und Russlands im Zuge von drei Teilungen (1772, 1793,
1795) für 123 Jahre (bis 1918) vollständig von der Landkarte und überlebte als Nation vor allem
auch durch seine Literatur.
Drittens
: Die Deutschen haben 1939 beim Überfall auf Polen und wäh-
rend der nachfolgenden Besatzungszeit (bis 1941 Besetzung des westlichen Teils Polens und nach
der Kriegserklärung gegen Russland auch des östlichen Teils) versucht, die polnische Intelligenz
vollständig zu vernichten. Professor_innen wurden verhaftet und interniert, Lehrer_innen erschos-
sen und in polnischen Schulen wurde eine radikale Germanisierungspolitik betrieben.
Viertens
:
1945 verschob die Sowjetunion, die bis 1941 den östlichen Teil von Polen besetzt hielt, den kom-
pletten polnischen Staat nach Westen, was Vertreibungen und Umsiedlungen mit sich brachte. Auch
in der nun folgenden, bis 1989 andauernden, kommunistisch-stalinistischen Zeit war es für die pol-
nische Intelligenz kaum möglich, sich frei zu entfalten. Die Literatur lebte daher teils im Unter-
grund, teils im Exil fort.
Fünftens
: Das heutige Polen erscheint zerrissen zwischen europäischer Of-
fenheit und nationaler Abschottung, ein Prozess der nun, nach Jahrzehnten nahezu grenzenloser Of-
fenheit, auch in Deutschland beginnt. Die polnische Literatur hat durch die genannten besonderen
historischen Hintergründe immer schon einen sehr stark politischen und gesellschaftlichen Charak-
ter gehabt, viel stärker als es in Deutschland der Fall war und ist. Natürlich geht es bei alldem auch
um Emotionen und die Lebensthemen der Menschen, um die Räume, in denen sie leben, um die
emotionalen und sozialen Geografien eben, denn diese sind intensiv mit den historischen, politi-
schen und gesellschaftlichen Ereignissen verflochten. Wir haben also etliche Gründe die polnische
Literatur zu lesen und aus den Werken polnischer Autor_innen zu lernen, um emotionales und so-
ziales Lernen voranzubringen und unser Verständnis alles Humanen und Gesellschaftlichen zu ver-
tiefen und zu erweitern.
Theoretischer Rahmen
Bilczewski, T., Bill, S., and Popiel, M. (Eds.) (2022).
The Routledge world companion to Polish li-
terature.
Milton Park, Abingdon, Oxon: Routledge.
Bröcher, J. (2022).
Lebenswelt und Didaktik. Unterricht mit sogenannten „verhaltensauffälligen“
Jugendlichen auf der Basis ihrer (alltags-)ästhetischen Produktionen
(2. korr. und ergänzte Aufl.).
Heidelberg: Universitätsverlag Winter, Download.
Broecher, J. and Painter, J. F. (2023). Transformative community projects in East Germany's rural
spaces: Exploring more sustainable forms of learning, working, and living.
Frontiers in Sociology,
Vol. 8,
1164293, https://doi.org/10.3389/fsoc.2023.1164293, Download.
Bröcher, J. und Toczyski, P. (2021). Europäische Lernräume: Pädagogischer Austausch zwischen
Polen und Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges. In J. Bröcher,
Anders lernen, arbeiten und le-
ben. Für eine Transformation von Pädagogik und Gesellschaft
(S. 223-238). Bielefeld: transcript,
Download.
Davidson, J., Bondi, L., and Smith, M. (2017).
Emotional geographies
(first release: Ashgate Publ.,
2005). London, New York: Routledge.
Skórczewski, D. and Polakowska, A. (2020).
Polish literature and national identity. A postcolonial
perspective.
Rochester, NY: University of Rochester Press.
Toczyski, P. i Broecher, J. (2021). Niemiecko-polskie doświadczenie, spotkanie, kontakt i dialog w
europeizacyjnej pedagogice Andrzeja Jaczewskiego i Karla-Josefa Klugego.
Kwartalnik Pedago-
giczny
, 66(1), 124-152, Download.
Toczyski, P., Broecher, J., and Painter, J. F. (2022). Pioneers of German-Polish inclusive exchange:
Jaczewski’s and Kluge’s Europeanization in education despite the Iron Curtain.
Prospects: Compa-
rative Journal of Curriculum, Learning, and Assessment,
52(3-4), 567-583, Download.
Trojanowska, T., Niżyńska, J., Czapłiński, P., and Polakowska, A. (Eds.) (2019).
Being Poland: A
new history of Polish literature and culture since 1918.
Toronto: University of Toronto Press.
Körperliche Züchtigung eines Jungen durch seinen Vater in Wojciech Kuczoks Roman
„Dreckskerl. Eine Antibiographie“ (Gnój: Antybiografia)
Diese Peitsche mußte ihren Geruch haben, denn bevor der alte K. zu den pädagogi-
schen Seancen schritt, ob mit der Hündin oder mit mir, hielt er uns diese Peitsche unter
die Nase und ließ uns riechen; schon leicht zitternd, aufgereizt von der Macht, den Mo-
ment schon kaum erwartend, in dem er die Schläge versetzen würde, sagte er noch
„hier riech mal“ (50).
T e n pejcz musiał mieć swój zapach, bo zanim stary K. przystępował do seansów
wychowawczych, czy sto w stosunku do suki, czy do mnie, podtykał nam pod nos t e
n pejcz i kazał wąchać; już drżąc lekko podekscytowany władzą, już nie mogąc
doczekać się chwili, w której zada pierwsze razy, mówił jeszcze „no, powąchaj” (63).
... eigentlich reichte dieser erste Hieb für den ganzen Tag, und sogar länger, eigentlich
hätte dieser erste Streich des ersten Streichs fürs ganze Leben gereicht, aber ich konnte
das dem alten K. nicht begreiflich machen. Ich konnte nur schreien „Papa, nicht hau-
en“, jedesmal dasselbe, daher beachtete der alte K. es nicht... er konnte nicht wissen,
daß ein Hieb mit dieser Peitsche ausreichte, daß ich mich den ganzen Tag nicht hinset-
zen konnte, daß ich die ganze Nacht nicht einschlafen konnte, daß ich den ganzen fol-
genden Tag menschliche Blicke meiden würde (51).
... w zasadzie to pierwsze uderzenie wystarczało na cały dzień, a nawet na dłużej, w
zasadzie ten pierwszy z razów pierwszego razu wystarczyłby na całe życie, ale nie
mogłem tego wytłumaczyć staremu K. Mogłem tylko krzyczeć „Tato, nie bij”, za
każdym razem samo, toteż stary K. nie zwracał uwagi... nie mógł wiedzieć, że jedno
uderzenie t y m pejczem wystarczało, żeby przez cały dzień nie móc usiąść, żeby
przez cała noc nie móc zasnąć, żeby przez cały dzień następny unikać ludzkiego
wzroku (63 f.).
Auch der Schmerz hatte, gleich der Peitsche, seine Dichte. Schon nach dem ersten Hieb
ergoß er sich als Schwere über den ganzen Körper; der erste Hieb zeichnete sich durch
seine Plötzlichkeit aus, war am schlimmsten anzunehmen, denn am längste erwartet, er-
zielte durch seinen Einbruch in den unvorbereiteten Körper die größte Wirkung. Im
Prinzip hätte der erste Hieb ausgereicht zum Erzielen des sogenannten Erziehungsef-
fekts, oder in diesem Fall zum Erzwingen absoluter und bedingungsloser Unterwer-
fung, und dieses Prinzip flößte der alte K. seinen Hunden und seinem Kind der mensch-
lichen Rasse ein, nach dem ersten Hieb jedoch, der sich nur als vorbereitende Injektion
erwies, kamen die folgenden, die die Allgegenwart des Schmerzes verstärkten, festig-
ten... Und wie nach einer Injektion hat der Schmerz die Flüssigkeit von Blei (52).
I ból na podobieństwo pejcza miał swoją gęstość. Już po pierwszym uderzeniu rozle-
wał się ciężarem po całym ciele; pierwsze uderzenie wyróżniało się nagłością, było
najgorsze do przyjęcia, bo najdłużej oczekiwane, przez wtargnięcie do nieprzygoto-
wanego ciała odnosiło największy skutek. W zasadzie to pierwsze uderzenie
wystarczyłoby do osiągnięcia tak zwanego efektu wychowawczego, czyli w tym
wypadku do wymuszenia absolutnej i bezwarunkowej podległości, a taką zasadę,
wpajał stary K. swoim psom i swojemu dziecku rasy ludzkiej, ale po pierwszym uder-
zeniu, które okazywało się, jedynie wstępna iniekcją, nastęmpowały kolejne,
wzmacniające, utrwalające wszędobylstwo bólu... I jak po iniekcji ból ma płynność
ołowiu (64 f.).
Aber ich konnte gar nichts, außer zu schreien „Papa, nicht hauen!“; obwohl später, nach
dem zweiten oder dritten Streich, nach der zweiten oder dritten pädagogischen Seance
nur noch „nicht hauen!“; und später, nach dem zwanzigsten oder dreißigsten Streich,
nur noch „nein!“ (53).
Ale nie potrafiłem niczego, poza wykrzykiwaniem „Tato, nie bij!”; choć później, za
drugim czy trzecim razem, za drugim czy trzecim seansem wychowawczym już tylko
„Nie bij!”; a później, za dwudziestym czy trzydziestym razem, już tylko „Nie!” (65
f.).
Er fragte: „Wirst du noch?“ – (Hieb) – „Wirst du noch?“ – (Hieb) – „Wirst du?“ –
(Hieb) – „Wirst du?“ – (Hieb) – „Wirst du noch?“ – (Hieb) (53).
Pytał: - Bedziesz jeszcze? – (cios) - Bedziesz jeszcze? – (cios) - Bedziesz? – (cios) -
Bedziesz? – (cios) - Bedziesz jeszcze? – (cios) (66).
Und obwohl ich nicht ganz genau wußte, worum es ihm ging... Ich schrie also „nein“
oder auch manchmal, wenn ich noch die Kraft zum Aussprechen von zwei Wörtern hat-
te, eins nach dem anderen, „werd nicht!“... Manchmal auch, wenn auch wesentlich sel-
tener, fragte er etwas anderes, gewöhnlich dann, wenn er mich in jemandes Gegenwart
schlug (53).
I choć nie do końca byłem pewien, o co mu chodzi... Krzyczałem więc „Nie!” lub też
czasem, kiedy miałem jeszcze siły na wymówienie dwóch słów, jednego po drugim,
„Nie bede!”...Czasem też, choć znacznie rzadziej, pytał o co innego, zwykle wtedy,
kiedy bił mnie w czyjejś obecności (66 f.).
Impulse zur Reflexion
Wie manifestiert sich hier die väterliche Gewalt?
Wie erlebt der Junge die väterlichen Züchtigungen?
Sehen Sie das Risiko, dass sich in dem Jungen sadomasochistische Erlebnismuster her-
ausbilden, die ihn sein gesamtes späteres Leben hindurch prägen können?
Recherchieren Sie einmal in der wissenschaftlichen Literatur, was Sie an Analysen und
Interpretationen zu dem Themenfeld finden. veröffentlicht am 16.11.23