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Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen

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Der vorliegende Band ist dem Verhältnis von Informationen, Wahlen und Demokratie gewidmet. Deutschland, aber auch andere Länder in den Blick nehmend, widmen sich die Autor:innen vor allem den Bürger:innen, ihren Einstellungen, Interessen und Wahlentscheidungen. Auch die Rolle von Kontexten wird beleuchtet, insbesondere von Informationskontexten: Wie und mit wem sprechen Menschen über Politik, wie informieren sie sich über neue und alte Medien, welche Rollen spielen intermediäre Instanzen?
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Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in
Mischwahlsystemen
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
1. Einleitung
In prototypischen gemischten Wahlsystemen geben die Wähler zwei Stim‐
men ab, eine für eine geschlossene Parteiliste in einem Wahlkreis mit
mehreren Sitzen, gewöhnlich auf regionaler oder nationaler Ebene, und
eine für einen Kandidaten in einem Einerwahlkreis auf lokaler Ebene.
Mit der Verbreitung gemischter Wahlsysteme durch Übernahme in den
Transformationsländern und auch in etablierten Demokratien wie Neusee‐
land, Italien oder Japan in den 1990er Jahren, schien ein kontrollierter
Vergleich der Auswirkungen von Mehrheits- und Verhältniswahl möglich,
da in gemischten Systemen beide in ein und derselben Wahl angewendet
werden. Dabei zeigte sich allerdings schnell, dass gemischte Wahlsysteme
eher eine eigene Gattung sind, da hier das Akteursverhalten in der Mehr‐
heits- und in der Verhältniswahlkomponente vielfältig aufeinander bezogen
oder „kontaminiert“ zu sein scheint. Nach Ferrara et al. (2005: 8-9)liegt
eine Kontamination auf der Mikroebene vor, wenn das Verhalten eines
Wählers, einer Partei, eines Kandidaten oder eines Gesetzgebers auf einer
Wahlebene nachweislich von institutionellen Regeln auf der anderen Ebene
beeinflusst wird“.
Wir konzentrieren uns auf das Wählerverhalten in gemischten Systemen
mit zwei Stimmen, halten jedoch die Einschränkung auf Spillover-Effekte
institutioneller Regeln für zu einschränkend. Den Wählern mögen institu‐
tionelle Regeln egal sein, etwa wenn sie einfach aus Protest „Partei X“ un‐
terstützen wollen und beispielsweise ihre Erststimme für den Kandidaten
der Partei abgeben, die sie mit der Verhältniswahlstimme wählen – selbst
wenn sie den Kandidaten gar nicht kennen. Wir modifizieren deshalb die
Definition, indem wir nicht nur auf die Wechselwirkung institutioneller Re‐
geln achten, sondern indem wir Motive für eine gemeinsame Zwei-Güter-
Entscheidung postulieren, die zusätzlich zu den Motiven für das Verhalten
in jeder Ebene auftreten können. Damit ändert sich auch die Perspektive
auf den Gegenstand der Analyse. Wenn Motive für eine gemeinsame Zwei-
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Güter-Entscheidung relevant sind, dann gilt es, die simultan verbundenen
Entscheidungen eines Wählers in dem aus dem kartesischen Produkt von
Kandidaten und Parteilisten zusammen gesetzten Entscheidungsraum zu
erklären. Anstatt einer separaten Analyse von Partei- und Kandidatenstim‐
men betrachten wir die Stimmabgabe für Kandidaten-Partei-Paare. Dabei
mag es Motive geben, die sich auf eine bestimmte Kombination von Stim‐
men beziehen und sich nicht auf die sicher zuvorderst relevanten Motive
der Kandidaten- und Parteistimme reduzieren lassen. Kontamination um‐
fasst auch dies.
Unser Beitrag tgt zur laufenden Diskussion über das Wählerverhalten
in gemischten Wahlsystemen bei. Wir stellen ein Modell für eine Wahl‐
entscheidung vor, das die Verbindung zwischen den zwei Ebenen berück‐
sichtigt. Wenn die beiden Abstimmungen nicht unabhängig sind und ein
kontrollierter Vergleich“ der beiden Ebenen eines gemischten Systems zur
Beurteilung der Wirkung von reinem Mehrheit- gegenüber Verhältniswahl‐
system nicht funktioniert, stellt sich die interessante Frage, wie genau die
beiden Ebenen miteinander verbunden sind, wenn die Bürger ihre zwei
Stimmen abgeben. Der Mechanismus dieser Verbindung auf individueller
Ebene ist bislang weitgehend ungeklärt. Wir argumentieren, dass die Wäh‐
ler einer simultanen Entscheidung oder einem Zwei-Güter-Wahlproblem
gegenüberstehen, bei dem die Individuen mit J × K Alternativen konfron‐
tiert sind und nicht nur mit J Kandidaten auf der ersten Ebene und K
Parteilisten in der zweiten. Die Individuen haben möglicherweise nicht
separable Pferenzen und wägen Gewinne aus der (strategischen oder
aufrichtigen) Stimmabgabe in der einen Ebene gegen Verluste aus einer
nicht derselben Partei zugutekommenden Stimme in der anderen Ebene
ab. Hinweise für nicht separable Pferenzen können dann dazu verwendet
werden, zu argumentieren, dass die Stimmen in der Tat nicht unabhängig
sind und eine Kontamination vorhanden ist, die über die durch institutio‐
nelle Regeln verursachte hinausgeht.
Für die empirische Untersuchung bedeutet dies, dass wir Informationen
darüber benötigen, wie die Wähler sowohl die Kandidaten als auch die
Parteien bewerten – und nicht nur die Parteien. Während eine breite empi‐
rische Literatur eine Kontamination von Erst- und Zweitstimme bestigt,
beruhen die meisten Belege auf aggregierten Daten, die zwar Informatio‐
nen über die ideologische Ausrichtung der Parteien liefern, aber nicht
die der Kandidaten. In einem ersten Schritt verwenden wir daher eine
bayesianische Entfaltung von Daten aus einer Nachwahlbefragung in zwei
Wahlkreisen bei der Bundestagswahl 2013, um Schätzungen der Wähler‐
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wahrnehmungen von Parteien und Kandidaten zu erhalten. Insbesondere
schätzen wir Positionen und Valenzen von Parteien und Kandidaten sowie
die Wählerpositionen in einem gemeinsamen Raum.
Diese Informationen nutzen wir dann, um unser theoretisches Modell
der Wahlentscheidung im deutschen Mischwahlsystem zu kalibrieren. Wir
verwenden eine Spezifikation eines gemischten Logit-Modells, das es uns
ermöglicht, Interdependenzen oder Substitutionsmuster zwischen Alterna‐
tiven zu untersuchen. Die empirische Schätzung ergibt vier wichtige Ergeb‐
nisse. Erstens hat die geschätzte ideologische Nähe der Wähler zu Kandi‐
daten und Parteien den erwarteten positiven Effekt, das Gleiche gilt für
die Valenz und die Parteiidentifikation. Zweitens gibt es deutliche Hinwei‐
se darauf, dass Wähler strategisch in Bezug auf die Erststimme wählen.
Drittens gibt es eine offensichtliche Tendenz der Individuen, über die zwei
Ebenen hinweg kongruent zu wählen. Und viertens, andere, denkbare und
durchaus vernünftige Substitutionsmuster sind von geringer Bedeutung.
2. Literatur
Wir interessieren uns dafür, wie Wähler ihre Stimme in Mischwahlsyste‐
men abgeben, ein Forschungsgebiet, in dem wir glücklicherweise auf eine
umfangreiche Literatur zurückgreifen können. In den letzten zwanzig Jah‐
ren hat die Untersuchung gemischter Wahlsysteme an Zahl und Bedeutung
zugenommen, da sich diese Systeme als dritte, eigenständige Art neben rei‐
nen Verhältniswahlsystemen und reinen Mehrheitswahlsystemen etabliert
haben.
Die erste Welle von Studien betrachtete gemischte Systeme als die Kom‐
bination von zwei, weitgehend unabhängigen Wahlmodi, die die Möglich‐
keit für kontrollierte Vergleiche von reinen Proporz- und Majorzsystemen
ermöglichen sollen, was in länderübergreifenden Studien unerreichbar zu
sein scheint. Stratmann und Baur (2002) beispielsweise untersuchten die
Parlamentsarbeit von Bundestagsabgeordneten und stellten fest, dass direkt
gewählte Abgeordnete häufiger Ausschussvorsitze in lokal ausgerichteten
Politikbereichen erlangen als über Listen gewählte Abgeordnete. Moser
und Scheiner (2004) betrachten die Wahlergebnisse in 15 Ländern mit
Mischwahlsystemen und stellen fest, dass Verhältnis- und Mehrheitswahl‐
systeme „tendenziell die erwarteten Effekte approximieren, selbst wenn sie
in gemischten Systemen kombiniert werden. Andere Studien haben vielfäl‐
tig Belege dafür geliefert, dass Mehrheitsregeln in gemischten Systemen
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zu einer „strategischen Stimmabgabe“ führen, wenn man davon ausgeht,
dass Verhältnisstimmen aufrichtig sind und eine getrennte Stimmabgabe
vorgesehen ist; Wähler würden dann wie erwartet dazu neigen, ihre Kandi‐
datenstimme nicht an wenig aussichtsreiche Kandidaten im Wahlkreis zu
verschwenden (Bawn 1993; Cox 1997).
In der neueren Literatur wird die Annahme der Durchführbarkeit kon‐
trollierter Vergleiche zunehmend skeptisch beurteilt (Ferrara et al. 2005).
Bei der Erklärung des Wahlverhaltens im deutschen Mischwahlsystem ha‐
ben sich Autoren allenthalben auf die Zweitstimme konzentriert, da nach
der deutschen Kompensationsregel (Anrechnung der Wahlkreismandate
auf die einer Partei nach der Verhältniswahl zustehenden Quote) die Zweit‐
stimme entscheidend für die Zusammensetzung des Bundestages ist. Aus‐
nahmen sind Analysen der strategischen Kandidatenwahl aufgrund des
Duverger’schen Stimmenvergeudungsmotivs (Schoen 1999; Pappi/Thurner
2002; Gschwend 2007; Herrmann/Pappi 2008; Herrmann 2012), Arbeiten
zu persönlichen Kampagnen von Wahlkreiskandidaten und deren Auswir‐
kung auf Kandidaten- und Parteilistenstimmen (Gschwend/Zittel 2012)
und experimentelle Untersuchungen zu abweichendem Wählen bei Vor‐
liegen einer weiteren Stimme (Huber 2012). Ein innovativer Ansatz zur
Entflechtung der kausalen Beziehungen zwischen den zwei Stimmabgaben
wird von Rheault et al. (2020) vorgestellt. Diese Autoren fragen nach der
zuerst gebildeten Verhaltensabsicht, der für einen Kandidaten oder der für
eine Parteiliste. Die zuerst gebildete Absicht kann die andere Absicht beein‐
flussen, aber nicht umgekehrt. Da 46 Prozent der Befragten eine simultane
Entscheidung angeben, scheint unser Ansatz der simultan verbundenen
Zwei-Güter-Entscheidung vielversprechender zu sein.
Ein erster Indikator dafür, dass die Mehrheitskomponente von gemisch‐
ten Systemen anders funktioniert als ein reines Mehrheitswahlsystem, ist
die größere Anzahl von Kandidaten in den Wahlkreisen. Sie deutet darauf
hin, dass diese Kandidaturen weniger durch rationale Erwartungen moti‐
viert sind, das Mandat zu gewinnen (vgl. Herron/Nishikawa 2001; Manow
2010: 68). Vielmehr könnten die Parteien eine solche Strategie in der Hoff‐
nung verfolgen, dass die Wähler eine aufrichtige Parteistimme mit einer
Stimme für den Kandidaten derselben Partei verbinden, ungeachtet der
Erfolgschancen des Kandidaten (Ferrara et al. 2005: 35). Zudem könnten
sich die Wähler gezwungen fühlen, in beiden Wahlentscheidungen konsis‐
tent zu sein, indem sie für den Direktkandidaten der in der Verhältniswahl‐
komponente bevorzugten Partei stimmen. Eine solche Strategie würde den
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psychologischen Effekt abschwächen (Duverger 1954), d.h. die strategische
Erststimmabgabe zur Vermeidung einer Stimmenverschwendung, während
die mechanische Wirkung dieselbe ist. Deutschland ist ein gutes Beispiel
(Ferrara/Herron 2005).1 Einerseits ist der nach Duverger zu erwartende
Trend zu einem Zweiparteiensystem in der Mehrheitswahlkomponente
stark ausgepgt; er war lange Zeit sogar stärker als in Großbritannien
(Shikano 2009). Andererseits stellen alle Bundestagsparteien in fast allen
Wahlkreisen Kandidaten auf. Es könnte durchaus sein, dass die Anhänger
kleinerer Parteien in kompensatorischen Mischwahlsystemen großzügig
mit ihrer Kandidatenstimme umgehen – da die Anzahl der Sitze, die eine
Partei erhält, durch den Verhältnisstimmenanteil bestimmt wird –, zumin‐
dest großzügiger als in Grabenwahlsystemen, wo sowohl der Mehrheits- als
auch der Verhältniswahlerfolg die Sitzzahl bestimmen.
Umgekehrt wird auch die Proporzkomponente in einem gemischten
Wahlsystem anders funktionieren als in einem reinen Verhältniswahlsys‐
tem. Herron und Nishikawa (2001) beispielsweise zeigen für Japan und
Russland, wie die schiere Existenz von Direktkandidaten den Stimmenan‐
teil der Partei in der Proporzkomponente erhöht (s. auch Cox/Schoppa
2002), Hainmüller et al. (2006) finden für Deutschland einen Amtsinha‐
berbonus des Wahlkreiskandidaten auch im Zweitstimmen-Ergebnis. Die
Parteien hätten somit einen Anreiz, auch wenig aussichtsreiche Direktkan‐
didaten aufzustellen.
Das Problem, mit dem wir uns in diesem Beitrag befassen, ist spezifi‐
scher als auch umfassender. Es ist spezifischer, da wir uns für das Verhal‐
ten der Wähler und nicht für die Strategien der Parteien interessieren.
Es ist breiter angelegt, da wir ein allgemeines Kalkül der Stimmabgabe
für gemischte Systeme mit zwei Stimmen konstruieren. Es beginnt mit
Bewertungen von Parteien als unmittelbares Motiv für die Zweitstimme
und mit Bewertungen der Direktkandidaten als unmittelbares Motiv für
die Erststimme und bringt schließlich Motive für spezielle Kombinationen
von Verhältnis- und Mehrheitswahl-Stimmen ein. Ob die bloße Platzierung
eines Kandidaten in der Mehrheitskomponente den Erfolg der Partei in
1Ferrara und Herron (2005) argumentieren, dass kleine Parteien Kandidaten aufstellen
können, weil sie erwarten, dass die Kandidaten die Parteikampagne vorantreiben.
Nicht aussichtsreiche Kandidaten haben ihrerseits Anreize zu kandidieren, wenn eine
Kandidatur ihre Chancen auf einen vorderen Platz auf der geschlossenen Parteiliste
erhöht. Für Deutschland weisen Schüttemeyer und Sturm (2005) darauf hin, dass eine
Kandidatur im Wahlkreis oft eine informelle Voraussetzung für die Aufnahme in eine
Parteiliste ist.
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der Proporzkomponente erhöht, ist eine andere Frage, die wir hier nicht
behandeln. Die Stimmabgabe im deutschen Mischwahlsystem bietet jeden‐
falls ein ideales Testfeld für unsere gemeinsame Analyse der zwei Stimmen,
da alle großen Parteien in fast allen Wahlkreisen Kandidaten aufstellen.
Da wir uns aus Gründen der Datenverfügbarkeit ohnehin auf die fünf
Bundestagsparteien im Wahlkampf 2013 beschränken müssen, gibt es auch
keine Unterschiede in Bezug auf die Platzierung oder Nicht-Platzierung
von Kandidaten.2
3. Theorie
Wir argumentieren, dass die Wähler bei der Stimmabgabe vor einer simul‐
tan verbundenen Entscheidung stehen (oder es so empfinden), wenn sie
ihre Erststimme für einen Kandidaten im Wahlkreis und ihre Zweitstimme
für eine Parteiliste abgeben. Dies wird nicht zuletzt durch die besondere
Form des Stimmzettels befördert, auf dem beide Stimmen abzugeben sind
(und nicht auf getrennten Zetteln) und die Direktkandidaten und deren zu‐
gehörige Parteilisten in einer Zeile angeordnet sind. Wir betrachten daher
die Wahlsituation als eine Zwei-Güter-Entscheidung, bei der die Individuen
Pferenzen über die Alternativen im kartesischen Produkt der beiden
Entscheidungsoptionen haben.
Wir betrachten einen allgemeinen Pferenztyp, insbesondere beschrän‐
ken wir uns nicht auf separable Pferenzen. Nicht-separable Pferenzen
sind dadurch gekennzeichnet, dass die optimale Entscheidung auf einer
Ebene, zum Beispiel für einen Kandidaten, von der Entscheidung auf der
anderen Ebene, d. h. der Partei, abhängt. Im Prinzip können nicht-separa‐
ble Pferenzen viele Formen annehmen. Sie können negative Komplemen‐
tariten haben, wie z. B. Budget-Allokationspferenzen (wobei Ausgaben
in einem Bereich gegen Ausgaben in einem anderen Bereich abgewogen
werden), oder positive Komplementariten wie bei den öffentlichen Fi‐
nanzen (wenn umsichtige Finanzminister Gesamtausgaben bevorzugen,
die mit den Steuereinnahmen übereinstimmen, gegenüber nichtüberein‐
stimmenden Ausgaben). In unserem Kontext wäre eine nicht separable
Pferenzordnung über Paare (C, P) von Kandidaten und Parteien z. B.
2Kurella (2016) liefert eine überzeugende Analyse des fehlenden Zweitstimmenverstär‐
kungseffekts von Wahlkreiskandidaturen der neu gegründeten Partei „Alternative für
Deutschland“ im Jahr 2013.
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gekennzeichnet durch eine erste Pferenz für (C1, P2) und eine zweite
Pferenz für (C2, P1), während die Paare (C1, P1) und (C2, P2) nachrangig
wären (vgl. Kreps 2013: 40).
Während für simultan verbundene Wahlentscheidungen verschiedene
Muster der Nicht-Separabilit denkbar sind, betrachten wir einen Typus,
der auf konsistentem Verhalten beruht und den wir für den relevantesten
halten. In praktisch allen Mischwahlsystemen – ebenso wie in reinen
Mehrheitswahlsystemen – treten fast alle Wahlkreiskandidaten nicht als
Unabhängige, sondern als Parteimitglieder an. Daher ist die Parteizugehö‐
rigkeit des Kandidaten das Bindeglied zwischen den beiden Komponenten,
was zu einer möglichen Kontamination der beiden Entscheidungen führt:
Die Wähler könnten einfach bestrebt sein, sich bei beiden Entscheidungs‐
optionen konsistent zu verhalten. Wir können uns zwar verschiedene Me‐
chanismen vorstellen, die zu dieser Art von Motivation führen können,
wir verwenden aber hier den Begriff „konsistentes Verhalten“ als einen
allgemeinen Begriff, der dazu dienen soll, Gewinne aus (strategischer oder
ehrlicher) Stimmabgabe auf einer Ebene mit Verlusten durch inkonsistentes
Verhalten auf der anderen Ebene abzuwägen.3
Wir nehmen daher an, dass die Pferenzen der Wähler über die Wahl‐
alternativen im kartesischen Produkt aus der Menge der Kandidaten und
der Menge der Parteilisten durch eine Nutzenfunktion der folgenden Form
dargestellt werden können:
U x,y=u1x+u2y+u3x,y
wobei x und y Kandidaten- bzw. Parteilistenoptionen sind. Entscheidend
ist nun, dass U möglicherweise eine nicht separable Nutzenfunktion ist, so
dass u1(x) der Teil des Nutzens ist, der nur mit dem Kandidaten variiert,
und u2(y) der Teil des Nutzens ist, der ausschließlich mit Parteienlisten
des Paares (x, y) variiert. Daher ist u1(x) nicht der Nutzen von Kandidat x
und der Kandidat, der u1(x) maximiert, ist nicht notwendig der bevorzugte
Kandidat. Sind die Pferenzen nicht-separabel, hat der Begriff „bevorzug‐
ter Kandidat“ keine richtige Bedeutung, da der Kandidat, bei dem U ein
3Der Begriff Inkonsistenz bezieht sich ausschließlich auf die Nichtübereinstimmung der
Stimmabgabe bei zwei Wahlgängen in Bezug auf die Parteizugehörigkeit. Er deutet
nicht auf irgendeine Art von Irrationalit des Verhaltens hin. Im Gegensatz dazu
geht unser Ansatz davon aus, dass solche separablen Pferenzen für Kandidaten und
Parteien nicht geeignet sind, um individuelle Motivationen abzubilden; idealerweise
sollten die beiden Arten von Pferenzen gemeinsam für die J × K-Paare gemessen
werden (vgl. Luce/Tuckey 1964).
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Maximum annimmt, mit der Parteiliste y variiert; und umgekehrt gilt dies
für die bevorzugte Parteiliste.
Welche Faktoren bestimmen nun wesentlich die Wählerpferenzen über
die Kandidaten-Partei-Paare? Das ist eine konzeptionell-empirische Fra‐
ge, bei der wir uns auf die umfangreiche Literatur zum Wählerverhalten
stützen und annehmen, dass die Wähler einerseits an Politikergebnissen
interessiert sind, andererseits auch dem Wahlakt selbst eine Bedeutung
zuschreiben, also dass sowohl instrumentelle als auch expressive Motivatio‐
nen vorliegen können.
3.1 Instrumentelle Wählermotivation
Der instrumentelle Nutzen beruht zunächst auf der Bereitstellung von öf‐
fentlichen Gütern, die für den Wähler wertvoll sind, durch die Gewählten.
Wir folgen den Standardargumenten aus der Literatur und stellen uns die
öffentliche Politik als Punkte in einem n-dimensionalen Themenraum vor
und Wählerpferenzen als Euklidische Pferenzen in diesem Raum. Dies
läuft auf das Standardmodell der räumlichen Wahl hinaus, bei dem die
Wähler durch ihren Idealpunkt im mehrdimensionalen Politikraum reprä‐
sentiert werden und Alternativen, die näher an ihrem Idealpunkt liegen,
denen vorziehen, die weiter entfernt sind.
Eine zweite Quelle des instrumentellen Nutzens ist die Valenz von Kan‐
didaten und Parteien. Die Valenz bezieht sich auf die Beurteilung der Wäh‐
ler über die Qualit oder Kompetenz eines Kandidaten oder einer Partei
(Stokes 1992). Da alle Wähler wahrscheinlich Kandidaten mit hoher gegen‐
über solchen mit geringer Kompetenz bevorzugen, gilt statt der Nähe-Logik
mit unterschiedlichen Idealpunkten der Wähler eine Mehr-ist-besser-Lo‐
gik mit demselben Wähler-Idealpunkt bei den Valenzwerten. Oder anders
ausgedrückt: die instrumentelle Bewertung von Kandidaten und Parteien
durch die Wähler drückt sich in zwei Arten von öffentlichen Gütern aus:
Güter, bei denen sich die Idealpunkte der Wähler unterscheiden (darge‐
stellt durch räumliche Pferenzen über Politikpositionen) und Güter (oder
Übel), bei denen sich die Idealpunkte der Wähler nicht unterscheiden
(hier dargestellt durch Valenz). Das Konzept der Valenz wurde in neueren,
sowohl formalen als auch empirischen Studien zum Wahlverhalten und
zum Parteienwettbewerb vielfach verwendet (Ansolabehere/Snyder 2000;
Groseclose 2001; Schofield/Sened 2006). Wir folgen dieser Literatur und
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fügen einen Valenzterm zur Nähekomponente des instrumentellen Nutzens
hinzu.
Dabei ist zu bedenken, dass von Kandidaten und Parteien nicht er‐
wartet werden kann, dass sie die gleichen öffentlichen Güter oder das
gleiche öffentliche Gut in gleichem Maße anbieten. Erstens können die
Bewertungen von Parteien und ihren Kandidaten sehr unterschiedlich aus‐
fallen. Während eine erfolgreiche Regierungspartei mit einem beliebten
und kompetenten Parteivorsitzenden einen hohen Valenzvorteil bei den
Wählern haben mag, kann ein neuer Herausforderer der gleichen Partei
in einem Wahlkreis, der gegen den erfahrenen lokalen Amtsinhaber der
nationalen Hauptkonkurrenzpartei antritt, schlecht abschneiden. Zweitens
können Wahlkreiskandidaten und ihre Parteilisten auch aufgrund der Platt‐
formen oder Positionen, die sie zu einem Thema vertreten, unterschiedlich
bewertet werden. Man könnte argumentieren, dass es gerade die Aufgabe
gemischter Wahlsysteme ist sicherzustellen, dass verschiedene lokale Forde‐
rungen in einer geografisch heterogenen Bevölkerung aufgegriffen werden
und in den politischen Prozess einflien. Wenn lokale Kandidaten nur
Klone ihrer Parteien wären, würde einfache Verhältniswahl ausreichen.
Wir ziehen daher die Möglichkeit in Betracht, dass sich Kandidaten und
ihre Listenparteien in den Positionen oder der Politik, die sie anbieten,
unterscheiden.4
Schließlich gilt es, die strategische Reaktion der Wähler zu bedenken,
die sich aus dem mechanischen Effekt des Wahlsystems ergibt (Duverger
1954). Da im Allgemeinen nicht alle Kandidaten oder Parteien mit gleicher
Wahrscheinlichkeit gewählt werden und bei der Bereitstellung öffentlicher
Güter effektiv sind, stellt sich für den Wähler nicht nur die Frage, wer
der Kandidat oder die Partei ist, die, wenn überhaupt, die vorteilhafteste
Politik bietet. Es geht auch um die Frage, welcher der Kandidaten oder
Parteien überhaupt die Macht oder Chance hat, diese Güter bereitzustellen.
Infolgedessen können die Wähler strategisch in dem Sinne wählen, dass sie
nicht für ihren bevorzugten Kandidaten oder ihre bevorzugte Partei stim‐
men, sondern für die Alternative, die mit größerer Wahrscheinlichkeit das
4Eine etwas andere Argumentation würde von der Annahme ausgehen, dass Kandidaten
und Listenparteien nach unterschiedlichen Kriterien bewertet werden, da von ihnen
erwartet wird, dass sie unterschiedliche Arten von öffentlichen Gütern liefern, nämlich
lokal versus national zielgerichtete Güter. Dies scheint am plausibelsten in kompensa‐
torischen gemischten Wahlsystemen wie in Deutschland, wo das Ergebnis der Wahl auf
lokaler Ebene nur in Ausnahmefällen einen Einfluss auf die Gesamtverteilung der Sitze
hat.
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gewünschte Ergebnis liefern wird. Die wichtigste Quelle für Unterschiede
in der Effektivit der eigenen Stimmabgabe wird durch institutionelle Re‐
geln und in gewissem Maße auch durch den politischen Prozess bestimmt.
So sind Koalitionsregierungen in gemischten Wahlsystemen wahrschein‐
lich, und wenn also die Politikgestaltung von der Regierung dominiert
wird, ist eine strategische Koalitionswahl in der Komponente der Verhält‐
niswahl eine sinnvolle Strategie zur Beeinflussung der politischen Ergeb‐
nisse (Duch et al. 2010; Herrmann/Pappi 2008). Strategisches Koalitions‐
wählen ist jedoch ziemlich komplex, da es mit der Unsicherheit zurecht‐
kommen muss, die mit dem wahrscheinlichen Wahlergebnis und der Unsi‐
cherheit der Koalitionsverhandlungen einhergeht. Demgegenüber ist eine
strategische Stimmabgabe, mit der eine „verschwendete Stimme“ für einen
weniger aussichtsreichen Direktkandidaten vermieden werden soll, weni‐
ger anspruchsvoll. Die Wähler können erkennen, dass ein Kandidat eine
geringe Wahrscheinlichkeit hat, gewählt zu werden, und daher den instru‐
mentellen Nutzen, der mit dem Kandidaten einhergeht, außer Acht lassen.
In diesem Papier betrachten wir die letztere Art der strategischen Wahl,
nämlich die strategische Wahl in der Mehrheitskomponente, die mit dem
Motiv der Vermeidung einer Stimmenverschwendung verbunden ist. Wir
lassen die Koalitionswahl außer Acht (die für uns hier nicht von Interesse
ist) und wir beachten auch nicht die strategische Stimmabgabe vom Typ
verschwendete Stimme bei der Verhältniswahl, da die Wahrscheinlichkeit
der hier betrachteten Bundestagsparteien, in der Verhältniswahlkomponen‐
te an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, gering ist und damit nicht
ausreichend Variation bietet.5
3.2 Expressive Wählermotivation
Während sich die instrumentelle Bewertung der Wahlobjekte auf den er‐
warteten Nutzen im Zusammenhang mit dem Wahlausgang konzentriert,
ist die expressive Motivation für das Verhalten mit dem Akt der Stimmab‐
5In der folgenden empirischen Analyse betrachten wir Kandidaten und Listen der
fünf Bundestagsparteien. Wir haben keine Informationen über die Bewertungen der
Wähler und die Stimmabgabe für eine der kleineren Parteien, von denen bei der Bun‐
destagswahl 2013 zu erwarten war, dass sie die Schwelle (mehr oder weniger deutlich)
verfehlen würden. Letztendlich hat die FDP mit einem in Umfragen vor der Wahl
erwarteten Stimmenanteil von 5,5 Prozent die Hürde schließlich verfehlt. Doch von
allen anderen Parteien wurde erwartet, dass sie die Hürde mit ziemlicher Sicherheit
nehmen würden.
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gabe selbst verbunden. Der Grundgedanke dabei ist, dass ein bestimmtes
Verhalten die Überzeugungen, Werte, Identit oder Ideologie des Einzel‐
nen ausdrückt und dass dieser Ausdruck wertvoll ist, unabhängig von der
Tatsache, dass zum Beispiel die Stimmabgabe für einen wenig aussichtsrei‐
chen Kandidaten in einem Mehrheitswettbewerb aus instrumenteller Sicht
eine verschwendete Stimme ist (für einen ausgezeichneten Überblick, siehe
Hamlin/Jennings 2011).
Eine Reihe von Motivationslagen kann expressives Wählen hervorrufen.
Riker und Ordeshook (1968) verwenden die Idee einer Bürgerpflicht als
eine Form der expressiven Stimmabgabe, um das Paradoxon der Stimm‐
abgabe trotz minimalen Einflusses des einzelnen Wählers auf das Ender‐
gebnis zu lösen. Schuessler (2000) betrachtet die Stimmabgabe als einen
expressiven Akt, mit dem sich der Wähler mit anderen Individuen, die
für die gleiche Partei stimmen, identifiziert; Brennan und Lomasky (2008)
betrachten expressive Wahl als eine moralische Wahl. Wir verwenden hier
eine engere Definition des expressiven Wählens, das mit dem Konzept
der Parteianhängerschaft verbunden ist, und betrachten den expressiven
Nutzen als einen Vorteil, der sich aus der Bestigung der Identifizierung
mit Parteien oder Kandidaten ergibt (Brennan/Hamlin 1998).
3.3 Wählerpferenzen über Kandidaten-Parteien-Paare
Insgesamt verwenden wir eine Nutzenfunktion für Kandidat j1 und Partei j2
der folgenden Form:
Uij1,j2=u1ij1+u2ij2+u3ij1,j2
u1ij1=β1+β2pj1vj1+β3+β4pj1xixj1+β5tij1
u2ij2=β6vj2+β7xixj2+β8tij2
u3ij1,j2=β9Cj1j2
wobei vj der Valenzterm des Kandidaten oder der Partei j ist, xi der Ideal‐
punkt des Wählers i, xj die Plattform von Kandidat oder Partei j und pj1 die
Wahrscheinlichkeit, dass Kandidat j1 aussichtsreich kandidiert. C ist eine
Indikatorfunktion, die den Wert eins annimmt, wenn die Wahl „konsistent
ist, also j1 = j2 gilt, und ansonsten Null. Schließlich nimmt tij den Wert eins
an, wenn die Person i eine Parteiidentifikation mit j hat, andernfalls hat es
den Wert Null.
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Wir können dann die Nicht-Separabilit der Nutzenfunktion U verwen‐
den, um auf eine Kontamination zwischen beiden Komponenten auf der
Mikroebene der Wähler zu testen. In den Begriffen von Ferrara et al.
(2005) ist Kontamination vorhanden, wenn das Verhalten eines Wählers in
einer Komponente nachweislich von den institutionellen Regeln der ande‐
ren Komponente beeinflusst wird. Wie bereits erwähnt, modifizieren wir
diese Definition, indem wir zulassen, dass nicht nur institutionelle Regeln
auf die andere Komponente übergreifen, sondern auch indem wir erstens
Motive für jede Ebene postulieren und zweitens Motive für eine spezielle
Kombination von Kandidaten- und Parteilistenoptionen vorsehen. Unter
der Annahme, dass unser Modell die Wählerpferenzen einigermaßen gut
abbildet, liegt eine Kontamination vor, wenn die Nutzenfunktionen nicht
in x und y separierbar sind. Wenn hingegen die empirische Kalibrierung
der Nutzenfunktionen nahelegt, dass die Pferenzen separabel sind, gibt
es keine Kontamination. Mit der oben formulierten Nutzenfunktion U für
die gleichzeitige Abgabe von Erst- und Zweitstimme ist dieser Test einfach.
Wenn die empirische Schätzung anzeigt, dass der Nutzen aus konsistentem
Verhalten, u3(x, y), Null ist, ist U separabel. Dies ist eine Implikation von
Debreus (1959) double cancellation-Bedingung.6
4. Statistisches Modell
Wir versuchen, die Wahlentscheidung im deutschen Mischwahlsystem auf
der Grundlage der Wählerbewertungen der Direktkandidaten und der fünf
Bundestagsparteien zu analysieren. Die Menge der Wahloptionen ist defi‐
niert durch das Kreuzprodukt der Alternativen in beiden Komponenten
und umfasst somit 25 Alternativen. Diese Wahlmöglichkeiten sind jedoch
auf zwei nicht-hierarchischen Ebenen geclustert: Je fünf Optionen beziehen
sich auf denselben Kandidaten und je fünf Optionen beziehen sich auf die‐
selbe Partei. Es ist daher zweifelhaft, dass die Annahme der Unabhängigkeit
von irrelevanten Alternativen (IIA) des multinomialen Logit-Modells hier
erfüllt ist.
6 Die double cancellation-Bedingung besagt, dass wenn für drei beliebige Bündel (x1,x2),
(y1, y2), (z1, z2) und eine Pferenzrelation R (x1, x2) R (y1, y2) und (y1, z2) R (z1, x2) gilt,
dann muss auch (x1, z2) R (z1, y2) gelten. Debreu hat gezeigt, dass bei zwei Gütern die
double cancellation-Bedingung genau dann erfüllt ist, wenn die Pferenzen durch eine
additiv separable Nutzenfunktion darstellbar sind (siehe auch Luce/Tuckey 1964).
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
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Wir verwenden daher ein gemischtes Logit-Modell, das fixe, d. h. nicht
zufällige Effekte für die Kovariaten des theoretischen Modells und zufällige
Null-Mittelwert-Effekte für eine Reihe von Indikatorvariablen vorsieht, die
die Gruppierung der Alternativen in den beiden Komponenten erfassen.
Genauer schätzen wir das folgende Modell:
Uij1,j2=β1+β2pj1vj1+β3+β4pj1xixj1+β5tij1
+β6vj2+β7xixj2+β8tij2+β9Cj1j2
+k= 1
5μikIkj1+ k= 1
5μikIkj2+ϵij1j2.(1)
Dabei bezeichnet I eine Indikatorvariable, die den Wert 1 annimmt, wenn
Kandidat j1 (Partei j2) der kte Kandidat (Partei) ist und ansonsten den
Wert Null hat. Wir nehmen an, dass die Fehlerkomponenten μik und μik
identisch und unabhängig normalverteilt verteilt sind mit Erwartungswert
0 und Varianzen σk bzw. σk. Wie im herkömmlichen Logit-Modell sind die
εij1j2 unabhängig und identisch Typ I extremwertverteilt.7
Es ist klar, dass dieses Substitutionsmuster immer noch restriktiv ist.
In einem multinomialen Probit-Modell mit korrelierten Fehlern könnten
wir die vollständige Kovarianzmatrix der normalisierten Fehlerdifferenzen
schätzen, in unserem Fall wären dies aber (J-1)J/2-1 = 299 Parameter. Dies
ist mit der vorliegenden Datenmenge nicht möglich und selbst wenn, so
wäre aus den Fehlerdifferenzen schwerlich etwas über Substitutionsmuster
zu erfahren. Unsere zweistufige Gruppierung mit zehn Parametern ermög‐
licht jedoch die Untersuchung der wahrscheinlichsten Korrelations- und
Substitutionsmuster.
Um dies zu erkennen, betrachten wir die Kovarianz der Zufallsvariablen
η=μ+μ+ε zweier Alternativen j1,j2 und j1,j2
, die sich auf denselben
Kandidaten, aber unterschiedliche Parteien beziehen:
Cov ηj1j2,ηj1j2
= E μj1+μj2+εj1j2μj1+μj2
+εj1j2
=σj1
wobei wir uns die Tatsache zunutze machen, dass der Erwartungswert der
angenommenen Extremwertverteilung gleich Null ist. Analog ist die Kova‐
rianz zwischen zwei Alternativen j1
, j2 und j1,j2, die dieselbe Partei,
aber unterschiedliche Kandidaten haben, Cov ηj1j2,ηj1
j2=σj2. Weiterhin ist
die Kovarianz von zwei Optionen, die sich auf denselben Kandidaten und
dieselbe Partei beziehen, einfach die Varianz für die Alternative j1,j2:
7Genauer nehmen wir einen Skalenparameter von 1 und einen Lageparameter von ‑γ,
der negativen Euler-Mascheroni-Konstanten, an.
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
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Var ηj1j2= E μj1+μj2+ϵj1j2
2=σj1+σj2+π2/6.
Die Korrelation zwischen zwei beliebigen Alternativen j1,j2 und j1
, j2
ist
somit
12
Var𝜂E󰇣𝜇𝜇𝜖󰇤𝜎
𝜎𝜋/6.
Die Korrelation zwischen zwei beliebigen Alternativen 󰇛𝑗,𝑗󰇜 und 󰇛𝑗
󰆒,𝑗
󰆒󰇜 ist somit
Corr󰇛𝑗,𝑗󰇜,󰇛𝑗
󰆒,𝑗
󰆒󰇜
1 𝑓𝑎𝑙𝑙𝑠 𝑗𝑗
󰆒 𝑢𝑛𝑑 𝑗𝑗
󰆒

󰆓
󰆓 𝑓𝑎𝑙𝑙𝑠 𝑗𝑗
󰆒 𝑢𝑛𝑑 𝑗𝑗
󰆒

󰆓
󰆓 𝑓𝑎𝑙𝑙𝑠 𝑗𝑗
󰆒 𝑢𝑛𝑑 𝑗𝑗
󰆒
0 𝑓𝑎𝑙𝑙𝑠 𝑗𝑗
󰆒 𝑢𝑛𝑑 𝑗𝑗
󰆒
(2)
Wir verwenden Markov-Chain-Monte-Carlo-Simulation in einem bayesianischen Ansatz, um
Parameterschätzungen für das gemischte Logit-Model zu erhalten. Als Ausgangsverteilungen für die
Modellparameter wählen wir 𝛽∼𝑁󰇛0, 100󰇜, und 1/𝜎∼Γ󰇛0,01, 0,01󰇜. Die Simulation wird in
JAGS (Plummer 2003) implementiert, mit zwei Markov-Ketten mit jeweils 5000 Iterationen
(ausgedünnt um den Faktor 10; nach einem Burn-in von 15.000 Iterationen). Als Startwerte für die β-
Koeffizienten verwenden wir in der einen Kette die Schätzungen eines konventionellen konditionalen
Logit-Modells ohne den μ-Term und in der anderen Kette die gleichen Schätzungen plus zufälliges
Rauschen. Die Standardabweichungen σk werden mit Zufallszahlen aus einer uniformen Verteilung über
dem Intervall [0, 2] initialisiert. Zur Überprüfung der Konvergenz verwenden wir den Ansatz von
Gelman und Rubin (1992). Die vollständigen Replikationsunterlagen sind auf Anfrage bei den Autoren
erhältlich.
5. Daten
Komponentenübergreifende Effekte in Mischwahlsystemen zu untersuchen erfordert auf empirischer
Ebene relevante Informationen über Wählerinnen und Alternativen. Das größte Hindernis für eine
empirische Analyse der Präferenzen von Wählern auf der Mikroebene ist der Mangel an Daten über die
Wahlkreiskandidaten. Während viele Wahlumfragen Informationen über Wähler und Parteien liefern,
sind Daten über die wahrgenommenen Merkmale der Kandidaten, die möglicherweise für die Wahl
relevant sind, aus offensichtlichen Gründen selten. In Deutschland hat eine prototypische nationale
Wahlumfrage etwa 2000 Befragte, so dass bei 299 Wahlkreisen die Zahl der Befragten, die die
Bewertungen eines einzelnen lokalen Kandidaten abgeben könnten, gering ist.
Wir wählen einen anderen Ansatz und führen eine Fallstudie über eine kleine Anzahl von
Wahlkreisen durch, so dass die Zahl der Befragten, die sowohl Parteien als auch Direktkandidaten
bewerten, hinreichend groß ist. Da wir vermuten, dass es für den Einzelnen schwieriger ist, Kandidaten
zu bewerten als Parteien, haben wir zwei Wahlkreise mit allgemein bekannteren Direktkandidaten
Wir verwenden Markov-Chain-Monte-Carlo-Simulation in einem bayesia‐
nischen Ansatz, um Parameterschätzungen für das gemischte Logit-Model
zu erhalten. Als Ausgangsverteilungen für die Modellparameter wählen wir
βkN0, 100 , und 1/σk Γ 0,01, 0,01 . Die Simulation wird in JAGS
(Plummer 2003) implementiert, mit zwei Markov-Ketten mit jeweils 5000
Iterationen (ausgedünnt um den Faktor 10; nach einem Burn-in von 15.000
Iterationen). Als Startwerte für die β-Koeffizienten verwenden wir in der
einen Kette die Schätzungen eines konventionellen konditionalen Logit-
Modells ohne den μ-Term und in der anderen Kette die gleichen Schätzun‐
gen plus zufälliges Rauschen. Die Standardabweichungen σk werden mit
Zufallszahlen aus einer uniformen Verteilung über dem Intervall [0, 2]
initialisiert. Zur Überprüfung der Konvergenz verwenden wir den Ansatz
von Gelman und Rubin (1992). Die vollständigen Replikationsunterlagen
sind auf Anfrage bei den Autoren erhältlich.
5. Daten
Komponentenübergreifende Effekte in Mischwahlsystemen zu untersuchen
erfordert auf empirischer Ebene relevante Informationen über Wählerin‐
nen und Alternativen. Das größte Hindernis für eine empirische Analyse
der Pferenzen von Wählern auf der Mikroebene ist der Mangel an Daten
über die Wahlkreiskandidaten. Während viele Wahlumfragen Informatio‐
nen über Wähler und Parteien liefern, sind Daten über die wahrgenomme‐
nen Merkmale der Kandidaten, die möglicherweise für die Wahl relevant
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
392
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Open Access – - http://www.nomos-elibrary.de/agb
sind, aus offensichtlichen Gründen selten. In Deutschland hat eine proto‐
typische nationale Wahlumfrage etwa 2000 Befragte, so dass bei 299 Wahl‐
kreisen die Zahl der Befragten, die die Bewertungen eines einzelnen lokalen
Kandidaten abgeben könnten, gering ist.
Wir wählen einen anderen Ansatz und führen eine Fallstudie über eine
kleine Anzahl von Wahlkreisen durch, so dass die Zahl der Befragten, die
sowohl Parteien als auch Direktkandidaten bewerten, hinreichend groß
ist. Da wir vermuten, dass es für den Einzelnen schwieriger ist, Kandida‐
ten zu bewerten als Parteien, haben wir zwei Wahlkreise mit allgemein
bekannteren Direktkandidaten ausgewählt. Da wir uns außerdem für die
Eigenschaften der Kandidaten und nicht für das Ansehen ihrer Kreispartei
interessieren, versuchen wir, die Varianz des lokalen Parteiensystems zu
minimieren, die nicht auf die einzelnen Kandidaten zurückzuführen ist.
Wir haben daher zwei benachbarte Wahlkreise in Stuttgart ausgewählt, die
Wahlbezirke 258 und 259 (im Folgenden S1 und S2) der Bundestagswahl
2013, die am 22. September stattfand. In S1 trat der bisherige Inhaber des
Direktmandats Stefan Kaufmann (CDU) wieder an, herausgefordert von
der ehemaligen Landesvorsitzenden der SPD, Ute Vogt, einem der dama‐
ligen Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir, und einer bei der
Vorwahl erfolgreichen Listenabgeordneten der FDP, Judith Skudelny. In S2
kandidierte die amtierende Wahlkreisabgeordnete Karin Maag (CDU) ge‐
gen eine Abgeordnete der Grünen, Brigitt Bender, und zwei politische Neu‐
linge, den Sozialdemokraten Nicolas Schäfstoß und den Freidemokraten
Matthias Werwigk. Wir berücksichtigen auch die lokalen Kandidaten der
sozialistischen Partei ‘Die LINKE’ (Christina Frank bzw. Marta Aparicio de
Eckelmann) und somit alle damals im Bundestag vertretenen Parteien.
In 20 zufällig ausgewählten Stimmbezirken wurde eine Wahltagsbefra‐
gung durchgeführt, bei der jeder fünfte Wähler, der das Wahllokal verli,
gebeten wurde, einen zweiseitigen Fragebogen auszufüllen. Die Zielgruppe
ist also die Gruppe der Wahllokal-Wähler. Insgesamt haben 1252 bzw. 839
Wähler an der Umfrage in den Wahlkreisen S1 bzw. S2 teilgenommen. Die
Unterschiede zwischen den aggregierten Umfrage- und den tatsächlichen
Ergebnissen bei den Wahllokal-Wählern sind gering (s. Anhang A).
Mit der Umfrage wurde die Erst- und Zweitstimmenentscheidung erfasst
(unter Verwendung der oben genannten Wahlmöglichkeiten plus „Ande‐
re“), Skalometer-Bewertungen der fünf Direktkandidaten und der fünf
Bundestagsparteien auf einer von „halte sehr viel“ über „ziemlich viel“
teils/teils“ „ziemlich wenig“ bis „gar nichts“ laufenden Skala, eine Angabe
zur Parteianhängerschaft (Welcher Partei fühlen Sie sich im Allgemeinen
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
393
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zugehörig?) sowie eine offene Frage zu dem wahrscheinlichen Wahlkreis‐
gewinner. Diese Fragen verwenden wir zur Modellierung der Wählerpfe‐
renzen über den Entscheidungsraum. Mit dem Ausschluss von Befragten,
die angaben einen Kandidaten oder eine Partei jenseits der fünf Bundes‐
tagsparteien gewählt zu haben (n=264) oder keine bzw. unvollständige
Angaben zur Wahlentscheidung oder beim Skalometer machten (n=559),
reduziert sich die Fallzahl für die Modellschätzung auf 1268.
5.1 Instrumentelle Bewertung von Kandidaten und Parteien
Wir betrachten Politiknähe und Valenz als die beiden Quellen des instru‐
mentellen Nutzens, die Wähler mit Kandidaten und Parteien verbinden.
Der gängige Ansatz zur Erfassung der Nähe der Wähler zu Parteien ist die
Befragten zu bitten, sich selbst und die Parteien auf einer oder mehreren
ideologischen oder inhaltlichen Politikdimensionen zu verorten und dann
die Nähe durch eine Form des Abstands zwischen der Selbsteinordnung
der Wähler und dem Mittelwert der wahrgenommenen Parteipositionen zu
operationalisieren. Die Verwendung des Mittelwerts der Parteipositionen
ist zwar in der Literatur mindestens schon seit Markus und Converse (1979)
bekannt, ihre weite Verbreitung auch in länderübergreifenden Umfragen
(z. B. CSES) hat diesen Ansatz zunehmend populär gemacht (siehe z. B.
Alvarez/Nagler 2004; Bawn/Somer-Topcu 2012). Allerdings haben Wäh‐
lerbefragungen zur Schätzung von Parteipositionen einige offensichtliche
Nachteile. Der wichtigste Nachteil ist, dass es nicht unwahrscheinlich ist,
dass die Befragten die Skalen und ihre Endpunkte unterschiedlich interpre‐
tieren. Zur direkten Erfassung von Valenzmerkmalen gibt es überhaupt
keine etablierte Methode. Viele empirische Studien, die das Konzept der
Valenz verwenden, versuchen nicht, diese ex ante zu messen, sondern
interpretieren alternativenspezifische Konstanten in z. B. multinomialen
Regressionsmodellen als ex post-Proxy der Valenz.
Wir greifen deshalb auf den Bewertungsskalometer, wie in der Umfrage
verwendet, zurück. Derartige Skalometer liefern ja gerade eine Gesamtbe‐
wertung von Objekten, die potenziell sowohl räumliche Nähe als auch
Valenzmerkmale widerspiegelt. Genau auf diese angenommene Doppelin‐
formation baut unser Ansatz. Wir nutzen die Methode der statistischen
Entfaltung der Skalometerwerte der Befragten, um Positionen und Valen‐
zen von Kandidaten und Parteien sowie die Positionen der Befragten aus
den Daten abzuleiten. Wir verwenden dann diese entfalteten Daten und
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
394
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nicht die Skalometerwerte selbst, da wir nicht ausschlien können, dass
Wähler bei der Bewertung von Kandidaten und Parteien ideologische Nähe
und Valenz in unterschiedlicher Weise gewichten.
Konkret wenden wir eine Variante von Coombs (1964) Entfaltungsme‐
thode an (siehe auch Enelow/Hinich 1984; Brady 1990). Der Skalometer‐
wert s der Person i für das Objekt (Partei oder Kandidat) j wird als lineare
Funktion der Valenz des Objekts vj und des Abstands des Idealpunkts der
Person von dem Bewertungsobjekt ||xi–xj || angenommen:
s i,jN vj+α xixj,σ
wobei α die Gewichtung der Nähe relativ zur Valenz ist, N für die Nor‐
malverteilung mit Varianz σ steht, und s im Bereich von ‑2 und +2 liegt.
Alle Parameter auf der rechten Seite werden aus den Daten bayesianisch
geschätzt.8 Es ist zu beachten, dass wir die Makrovalenz der Parteien und
Kandidaten schätzen und nicht individuelle Werte der Befragten. Individu‐
elle Abweichungen von der Makrovalenz sind vermutlich auf die Logik
der Nähe bei der Beantwortung der Bewertungsfragen zurückzuführen.
Daher halten wir es für gerechtfertigt, unser Maß für die Makrovalenz als
Allgemeinwissen in dem jeweiligen Wahlkreis zu interpretieren. Abbildung
1 zeigt die latenten Positionen und Valenzschätzungen für die Kandidaten
und Parteien in den beiden Wahlkreisen.
8Hier sind zwei Anmerkungen zu machen. Erstens ist die Bewertungsskala in
{-2, -1, 0, 1, 2} kodiert, so dass wir tatsächlich eine zensierte Normalverteilung mit den
Grenzen -2 und +2 verwenden. Zweitens haben Käppner und Shikano (2015) gezeigt,
dass die Behandlung solcher Skalometerwerte als ordinale Multinomialverteilung ana‐
loge Ergebnisse liefert, sodass wir trotz der vorliegenden 5er Skala bei der einfacheren
Variante bleiben.
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
395
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Aus den Bewertungsskalen rekonstruierte Positionen und
Valenzen von Kandidaten und Parteien
15
Abbildung 1: Aus den Bewertungsskalen rekonstruierte Positionen und Valenzen von Kandidaten und
Parteien
(a) Wahlkreis S1 (b) Wahlkreis S2
Latente Position Latente Position
Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Regionen mit 95% höchster Dichte. Entfaltung mit latenten
Positionen der Parteien und Kandidaten, normalisiert auf einen Mittelwert von 0 und eine
Standardabweichung von 1. Die Schätzungen basieren auf den Bewertungsskalometern von N = 959
Personen in S1 bzw. N = 570 in S2 nach Ausschluss von Befragten mit 5 oder mehr ungültigen oder
Nicht-Antworten auf die 10 Stimuli (fünf Parteien und fünf Kandidaten) (n = 293 und n = 269).
Auf der Nähe-Dimension erscheinen die Parteien in der Reihenfolge, in der wir sie auf einer
ideologischen Links-Rechts-Dimension erwarten würden: Die Partei „Die Linke“ stehen am weitesten
links, gefolgt von Grünen und Sozialdemokraten, während Liberale und Christdemokraten die rechte
Seite des Spektrums besetzen. Wir bezeichnen daher die Positionen auf der Nähe-Dimension als
ideologische Links-Rechts-Positionen. Auf der zweiten, der Valenzdimension, sind die Parteien mit der
höchsten Valenz CDU und SPD, dicht gefolgt von den Grünen, während FDP und Linke dahinter
zurückbleiben. Drei Dinge sind in diesem Gesamtbild erwähnenswert. Erstens sind die Positions- und
Valenzeinschätzungen der Parteien in den beiden Bezirken sehr ähnlich, was darauf hindeutet, dass der
Stimulus „Partei“ einen Bezug zu einem Objekt auslöst, der über den Wahlkreis hinausgreift. Zweitens
sind die Positionen von Kandidaten und Parteien oft fast identisch, was darauf schließen lässt, dass die
Kandidaten entweder nicht viel Spielraum zum Aufbau eines persönlichen Profils auf der Grundlage
von Politik haben oder aber sie haben diesen, die Befragten sind jedoch nicht in der Lage, diese
Unterschiede wahrzunehmen. Drittens unterscheiden sich Kandidaten und Parteien häufiger erheblich
in Bezug auf die zugeschriebene Valenz. Dabei schneiden Parteien fast immer besser ab als Kandidaten.
Dies alles deutet darauf hin, dass Valenzmerkmale und Positionen tatsächlich unterschiedliche
Anmerkung: Die Abbildung zeigt die Regionen mit 95% höchster Dichte. Entfaltung
mit latenten Positionen der Parteien und Kandidaten, normalisiert auf einen Mittelwert
von 0 und eine Standardabweichung von 1. Die Schätzungen basieren auf den Bewer‐
tungsskalometern von N = 959 Personen in S1 bzw. N = 570 in S2 nach Ausschluss von
Befragten mit 5 oder mehr ungültigen oder Nicht-Antworten auf die 10 Stimuli (fünf
Parteien und fünf Kandidaten) (n=293 und n=269).
Auf der Nähe-Dimension erscheinen die Parteien in der Reihenfolge, in der
wir sie auf einer ideologischen Links-Rechts-Dimension erwarten würden:
Die Partei „Die Linke“ stehen am weitesten links, gefolgt von Grünen
und Sozialdemokraten, während Liberale und Christdemokraten die rechte
Seite des Spektrums besetzen. Wir bezeichnen daher die Positionen auf
der Nähe-Dimension als ideologische Links-Rechts-Positionen. Auf der
zweiten, der Valenzdimension, sind die Parteien mit der höchsten Valenz
CDU und SPD, dicht gefolgt von den Grünen, während FDP und Linke
dahinter zurückbleiben. Drei Dinge sind in diesem Gesamtbild erwähnens‐
wert. Erstens sind die Positions- und Valenzeinschätzungen der Parteien in
den beiden Bezirken sehr ähnlich, was darauf hindeutet, dass der Stimulus
„Partei“ einen Bezug zu einem Objekt auslöst, der über den Wahlkreis
hinausgreift. Zweitens sind die Positionen von Kandidaten und Parteien
oft fast identisch, was darauf schlien lässt, dass die Kandidaten entwe‐
der nicht viel Spielraum zum Aufbau eines persönlichen Profils auf der
Grundlage von Politik haben oder aber sie haben diesen, die Befragten
sind jedoch nicht in der Lage, diese Unterschiede wahrzunehmen. Drittens
Abbildung 1:
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
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unterscheiden sich Kandidaten und Parteien häufiger erheblich in Bezug
auf die zugeschriebene Valenz. Dabei schneiden Parteien fast immer besser
ab als Kandidaten. Dies alles deutet darauf hin, dass Valenzmerkmale und
Positionen tatsächlich unterschiedliche Objektattribute sind. In den folgen‐
den Analysen verwenden wir diese Valenz von Kandidaten und Parteien
sowie die räumliche Distanz von Kandidaten und Parteien zu den Wählern.
5.2 Psychologische Wirkung der Wahlformel
Erst- und Zweitstimme unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf das
zu wählende Objekt, sondern auch in der Wahlformel. In der Verhältnis‐
wahl-Komponente werden die Parteien im Wesentlichen proportional zu
ihren Stimmenanteilen vertreten. In der Mehrheits-Komponente gewinnt
der Kandidat mit der relativen Mehrheit, was zu einer strategischen Stimm‐
abgabe motivieren kann, um die eigene Stimme nicht an aussichtslose
Kandidaten zu verschwenden. Wenn Individuen also zukunftsorientiert
sind, werden sie den instrumentellen Nutzen eines Kandidaten mit dessen
Gewinnchancen abwägen. Während strategisches Wählen tatsächlich ein
spieltheoretisches Problem ist, kann man sich in erster Näherung die
Gewinnchancen eines Kandidaten vor der Wahl als Diskontierungsfaktor
für den instrumentellen Nutzen vorstellen. Theil (1969) und King (1990)
schlugen vor, die erwartete Gewinnwahrscheinlichkeit in einem Mehrpar‐
teiensystem durch das Verhältnis der Stimmenanteile zu operationalisieren,
die mit einer Konstante ρ potenziert werden, was wir hier aus dem ein‐
fachen Grund nicht tun können, weil uns für unsere beiden Wahlkreise
keine Vorwahlumfragen oder andere Informationen über die erwarteten
Stimmenanteile zur Verfügung stehen.
Wir können uns jedoch die Tatsache zunutze machen, dass sich die loka‐
len Parteiorganisationen der Sozialdemokraten und Grünen während des
Wahlkampfs koordiniert und öffentlich empfohlen haben, für den grünen
Kandidaten in S1 und den SPD-Kandidaten in S2 zu stimmen. Angesichts
des Siegs der Amtsinhaber bei der letzten Wahl kann man annehmen, dass
die aussichtsreichsten Kandidaten in den beiden Wahlkreisen die Kandida‐
ten der CDU und der Grünen im ersten und der CDU und SPD im zweiten
Wahlkreis sind. Auch wenn sich daraus kein Wahrscheinlichkeitsmaß er‐
gibt, können wir eine einfache Dummy-Variable verwenden, um zwischen
nicht aussichtsreichen Kandidaten (für die wir einen Malus erwarten) und
aussichtsreichen Kandidaten (für die wir keinen Malus erwarten) zu un‐
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
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terscheiden. Schließlich machen wir Gebrauch von einer Frage, die offen
nach dem „wahrscheinlichsten Gewinner“ der Mehrheitswahlen fragte. Nur
wenn die Befragten in der Lage waren, einen der in Frage kommenden
Kandidaten zu nennen, betrachten wir diesen als möglichen Empfänger
strategischer Stimmen. Dafür ist die Variable „aussichtsreich“ gedacht.
5.3 Expressive Motivation zur Kandidaten- und Parteiwahl
Die Wahltagsbefragung enthielt auch die Frage, welcher Partei man sich
im Allgemeinen „nahe fühlt. Sie erfasst nicht die instrumentelle, sondern
die expressive Motivation für die Wahlentscheidung. Mit der Frage wird
weniger die Parteiidentifikation im Sinn einer langfristigen und stabilen af‐
fektiven Orientierung an einer Partei erfasst, die der Einzelne in seiner po‐
litischen Sozialisation entwickelt hat. In europäischen Mehrparteiensyste‐
men war es vor allem die vermeintliche Langfristigkeit des ursprünglichen
Konzepts der Parteiidentifikation (Campbell et al. 1954, 1960), das sich
als Hindernis für die Anwendung des Konzeptes herausgestellt hat (Pappi
2011). Wir denken, dass die Frageformulierung „sich einer Partei nahe füh‐
len“ eine affektive Bindung jenseits kurzfristiger Kampagneneffekte erfasst,
die gleichzeitig weniger anspruchsvoll ist in Bezug auf die Langlebigkeit als
das ursprüngliche Konzept der Parteiidentifikation.
6. Ergebnisse
Die ersten drei Spalten von Tabelle 1 enthalten eine Zusammenfassung der
A-posteriori-Werte der fixen, nicht zufälligen sowie der zufälligen Parame‐
ter des statistischen Modells auf der Grundlage von Gleichung 1. Wir geben
die Mittelwerte und die Spannweite der Regionen mit der höchsten 95-pro‐
zentigen Dichte der A-posteriori-Werte an. Die Ergebnisse sind recht beein‐
druckend, da sie insgesamt darauf hindeuten, dass die Wahlentscheidung
bei der Zwei-Komponenten-Wahl durch Faktoren in allen drei Bereichen
des theoretischen Modells erheblich beeinflusst wird. Erstens hängt die
Wahlentscheidung zwischen den 25 Optionen von der Nähe des Einzelnen
und der Valenz der Partei auf die erwartete Weise ab. Der negative Mittel‐
wert des geschätzten Werts für die Distanz zur Partei (‑0,924) deutet darauf
hin, dass die Positionen der Partei und des Wählers umso näher beieinan‐
derliegen, je wahrscheinlicher es ist, dass die Person für die Partei stimmen
Thomas Bräuninger, Franz Urban Pappi
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wird. Der Mittelwert der Parteivalenz ist positiv bei 0,260, was darauf
hindeutet, dass Parteien, denen eine hohe Valenz zugeschrieben wird, mit
größerer Wahrscheinlichkeit eine Zweitstimme erhalten. Wir stellen auch
fest, dass die „Parteiidentifikation bei der Stimmabgabe für die Parteiliste
von Bedeutung ist (mittlerer Schätzwert von 2,144).
Parameterschätzungen des gemischten konditionalen Logit-Mo
dells der Wahlentscheidung (95-prozentige Wahrscheinlichkeitsbe
reiche)
Modell 1 Modell 2
2,5% Mittel-
wert
97,5% 2,5% Mittel-
wert
97,5%
Räumliche Distanz: Kandidat -1,229 -0,967 -0,732 -1,116 -0,917 -0,715
Valenz: Kandidat 1,181 1,623 2,069 1,495 1,984 2,507
Räumliche Distanz: Partei -1,206 -0,924 -0,684 -0,934 -0,798 -0,665
Valenz: Partei -0,107 0,260 0,590 0,245 0,478 0,719
Parteiidentifikation: Kandidat 1,193 1,467 1,762 1,128 1,313 1,506
Parteiidentifikation: Partei 1,571 2,144 2,632 1,475 1,643 1,816
Distanz Kandidat × aussichtsreich -0,518 -0,242 0,029 -0,485 -0,235 0,022
Valenz Kandidat × aussichtsreich 1,045 1,454 1,849 0,917 1,290 1,654
Kongruente Wahl 0,546 0,826 1,112
Kongruente Wahl: CDU 0,748 1,012 1,290
Kongruente Wahl: SPD 0,999 1,241 1,510
Kongruente Wahl: FDP -0,419 0,416 1,117
Kongruente Wahl: Grüne -0,337 -0,080 0,179
Kongruente Wahl: LINKE 1,645 2,174 2,708
σ10,100 0,804 1,741 0,056 0,133 0,373
σ20,096 0,397 0,829 0,049 0,117 0,250
σ30,095 0,248 0,541 0,052 0,106 0,217
σ40,102 0,428 1,015 0,049 0,117 0,225
σ50,085 0,540 1,435 0,044 0,114 0,226
σ10,123 1,240 2,800 0,048 0,125 0,261
σ20,087 1,468 3,267 0,044 0,091 0,166
σ30,089 0,517 1,642 0,045 0,127 0,336
σ40,137 1,006 2,024 0,052 0,104 0,204
σ50,079 0,481 1,136 0,050 0,112 0,203
N 1268 1268
Zweitens, und das ist am interessantesten, haben wir Hinweise auf einen
analogen Mechanismus, der sich bei der Erststimme abspielt. Tabelle 1
zeigt, dass die Distanz zu den Kandidaten negativ mit ‑0,967 die Kandi‐
datenwahl beeinflusst und der Effekt wiederum mit hoher Sicherheit die
Tabelle 1:
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
399
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erwartete Richtung hat. Die Kandidatenvalenz wirkt sich positiv auf die
Stimmabgabe für diesen Kandidaten aus, wie auch die Parteiidentifikation.
Am bemerkenswertesten ist wohl die starke Evidenz, die wir für strategi‐
sches Wählen mit der Erststimme finden. Die Parameterschätzung für die
Interaktionsterme des bekannten aussichtsreichen Kandidaten (die wir in
Ermangelung besserer Daten als einfache Dummy kodiert haben) und der
Kandidatendistanz und -valenz, die die instrumentelle Motivation der In‐
dividuen erfassen, haben die erwartete negative bzw. positive Wirkung. Ge‐
nauer gesagt, die Kandidatenwahl von Personen, die zu einer strategischen
Wahlentscheidung neigen (stellvertretend für die korrekte Wahrnehmung
der in Frage kommenden Kandidaten), wird stärker durch die Nähe des
Kandidaten und seiner Valenz bestimmt als die einer vermutlich nicht-stra‐
tegischen Person. Tatsächlich ist der Effekt für die Kandidatenvalenz fast
doppelt so groß (1,623 + 1,454 = 3,077 am Mittelwert).
Drittens finden wir Belege für die erwartete Motivation, sich konsistent
über die zwei Stimmabgaben hinweg zu verhalten, und damit für die Nicht-
Unabhängigkeit der Erst- und Zweitstimme. Der geschätzte Koeffizient
der Dummy-Variablen, die eine kongruente Abstimmung anzeigt, d. h. die
Wahl eines Kandidaten derselben Partei, die man mit der Zweitstimme
wählt, ist positiv, was darauf hindeutet, dass kongruente Wahloptionen
ceteris paribus häufiger attraktiver sind als nicht-kongruente. Wir stellen
fest, dass fast alle diese Parameter sehr hoch „signifikant“ in dem Sinne
sind, dass wir fast sicher sein können, dass der Effekt negativ (bzw. positiv)
ist, da die A-posteriori-Werte fast vollständig im negativen (bzw. positiven)
Halbraum liegen. Ob diese Effekte auch substantiell in dem Sinne sind,
dass die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe für diese oder jene Option
in erheblichem Maße mit den Kovariaten variiert, ist eine andere Frage.
Wir kommen auf diese Frage zurück, wenn wir die Vorhersagewahrschein‐
lichkeiten diskutieren.
An dieser Stelle scheint es angebracht, eine Pause einzulegen, um die Re‐
levanz dieser auf den ersten Blick recht plausiblen und einfach anmutenden
Ergebnisse sowie einige Einschränkungen zu bedenken. Einerseits könnte
man die oben dargelegten Ergebnisse als Beweis dafür interpretieren, dass
Erst- und Zweitstimmen, Kandidaten- und Parteilistenstimmen von densel‐
ben Faktoren beeinflusst werden. Was wir über die Wahl der Parteilisten
wissen – die im Mittelpunkt früherer Studien über gemischte Wahlsysteme
standen – scheint sich gut auf die Kandidatenstimme übertragen zu lassen.
Man sollte aber auch betonen, dass die Parameterschätzungen für Kandida‐
ten und Parteiliste in signifikanter Weise variieren: Die Valenz der Kandi‐
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daten hat einen größeren Einfluss auf die Erststimme als die Parteivalenz
(während sich die Wirkung der Distanz nicht unterscheidet). Umgekehrt
ist der Effekt der Parteiidentifikation doppelt so groß für die Parteiliste
wie der für die Kandidaten. Dies alles deutet darauf hin, dass die Erststim‐
me tatsächlich durch eine Personalisierung der Stimme gekennzeichnet
ist. Für den lokalen Kandidaten sind persönliche Eigenschaften wie Integri‐
t, Kompetenz und was auch immer eine Valenz aufbaut, vergleichsweise
wichtiger als seine oder ihre Parteizugehörigkeit. Wenn sich jemand einer
Partei verbunden fühlt, hat er eine starke Motivation, für eben diese Partei‐
liste zu stimmen, aber nicht in gleichem Maße für den Kandidaten dieser
Partei.
Andererseits sollten wir einen Hinweis zur Vorsicht hinzufügen. Wie wir
aus den obigen Ausführungen wissen, unterscheiden sich die ideologischen
Positionen der Parteien und ihrer Kandidaten nicht sehr stark. Größere
Unterschiede gibt es bei der Valenz, die den Kandidaten und Parteien
zugeschrieben wird, aber auch hier sind die Unterschiede eher gering. Was
wäre, wenn die Wähler die Parteinähe und Parteivalenz auf die lokalen
Kandidaten der Parteien übertragen, so dass die Kandidaten eher Klone
als Persönlichkeiten sind und die vermeintlichen Wirkungen der Kandi‐
dateneigenschaften in Wirklichkeit Auswirkungen der Parteieigenschaften
sind? Wir denken, dass dies weniger plausibel ist, wenn wir die geschätz‐
ten Effektgrößen berücksichtigen. Wenn die Valenz der Kandidaten ein
bescheidener Ersatz für die Parteivalenz wäre, würde man einen größeren
Effekt der Partei- als der Kandidatenvalenz beobachten (was nicht der Fall
ist). Wir würden auch erwarten, dass der Effekt der Parteiidentifikation
praktisch der gleiche auf beiden Ebenen ist (was hier ebenfalls nicht der
Fall ist). Ein direkter Test würde eine erneute Schätzung des Modells,
nachdem ein Kandidatenmerkmal nach dem anderen durch ein Merkmal
der Partei des Kandidaten ersetzt wurde, beinhalten. Wenn die Parteiei‐
genschaften einfach übertragen wurden, würde die Varianz zwischen den
Kandidaten- und Parteieigenschaften nur weißes Rauschen bedeuten, und
wir würden erwarten, dass das so geschätzte Modell besser zu den Daten
passt als das ursprüngliche Modell. Anhang B enthält die Ergebnisse dreier
multinomialer Logit-Modellen, in denen wir einen denkbaren Transfer
von Parteiwahrnehmungen untersuchen. Die Ergebnisse sind nicht völlig
eindeutig. Sie deuten aber darauf hin, dass die Wahl der Kandidaten besser
durch die Kandidatenvalenz „erklärt“ wird als durch die Parteivalenz.
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
401
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6.1 Nicht-modellierte Substitutionsmuster
Als nächstes wenden wir uns den Zufallstermen μ zu, die zur Modellierung
von Korrelationen zwischen Wahloptionen verwendet werden, um geeigne‐
te oder wahrscheinliche Substitutionsmuster zu entdecken, die nicht mit
den Kovariaten erfasst werden. Die Zufallsterme wurden als normalverteilt
mit Mittelwert Null angenommen. Zugegebenermaßen können die Varianz‐
schätzungen für jeden einzelnen Cluster nur begrenzt interpretiert werden.
Intuitiver ist die Korrelation der Residualnutzen für die Wahloptionen, die
sich aus diesen Schätzungen mit Hilfe der Gleichung 2 ergeben.
Korrelationen der Residualnutzen der 25 Wahloptionen des
gemischten konditionalen Logit-Modells (Matrizen nach der
Zweitstimme sortiert)
20
6.1 Nicht-modellierte Substitutionsmuster
Als nächstes wenden wir uns den Zufallstermen μ zu, die zur Modellierung von Korrelationen zwischen
Wahloptionen verwendet werden, um geeignete oder wahrscheinliche Substitutionsmuster zu
entdecken, die nicht mit den Kovariaten erfasst werden. Die Zufallsterme wurden als normalverteilt mit
Mittelwert Null angenommen. Zugegebenermaßen können die Varianzschätzungen für jeden einzelnen
Cluster nur begrenzt interpretiert werden. Intuitiver ist die Korrelation der Residualnutzen für die
Wahloptionen, die sich aus diesen Schätzungen mit Hilfe der Gleichung 2 ergeben.
Abbildung 2: Korrelationen der Residualnutzen der 25 Wahloptionen des gemischten konditionalen
Logit-Modells (Matrizen nach der Zweitstimme sortiert)
(a) Modell 1 (b) Modell 2
Anmerkung: Die Felder zeigen die geschätzten Korrelationen der Fehlerkomponente von Gleichung 1
auf der Grundlage der A-posteriori-Mittelwerte der Varianzen σ und 𝜎 für die Modelle (1) und (2) in
Tabelle 1.
Panel (a) von Abbildung 2 zeigt die Korrelationsmatrix der paarweise betrachteten Fehler der 25
Optionen. Die Zeilen und Spalten sind nach der Zweitstimme sortiert, beginnend mit der Option
(CDU, CDU), gekennzeichnet mit CC, dann SC, FC, GC und so weiter bis LL für das Paar (Linke,
Linke) als 25. Zeile bzw. Spalte. Die Korrelationen in der Hauptdiagonalen sind definitionsgemäß 1,
die Korrelationen in den Blockmatrizen außerhalb derer entlang der Hauptdiagonalen sind nur in den
jeweiligen Diagonalen empirisch gewonnen, außerhalb aber annahmegemäß 0 (vgl. Gleichung 2).
Letztere haben weder eine Erst- noch eine Zweitstimmenwahl gemeinsam. Die empirisch gewonnenen
Korrelationen deuten darauf hin, dass die Fehler zwischen den Wahloptionen eher gering korrelieren;
die Koeffizienten reichen bis 0,4. Wenn zwei Wahloptionen weder bezüglich der Kandidaten- noch der
Parteiwahl übereinstimmen, gehen wir nicht davon aus, dass die eine Alternative die andere ersetzen
könnte. Im Gegensatz dazu teilen sich z. B. die Optionen SS und CS die Zweitstimme – die
Anmerkung: Die Felder zeigen die geschätzten Korrelationen der Fehlerkomponente
von Gleichung 1 auf der Grundlage der A-posteriori-Mittelwerte der Varianzen σ und σ
für die Modelle (1) und (2) in Tabelle 1.
Panel (a) von Abbildung 2 zeigt die Korrelationsmatrix der paarweise be‐
trachteten Fehler der 25 Optionen. Die Zeilen und Spalten sind nach der
Zweitstimme sortiert, beginnend mit der Option (CDU, CDU), gekenn‐
zeichnet mit CC, dann SC, FC, GC und so weiter bis LL für das Paar
(Linke, Linke) als 25. Zeile bzw. Spalte. Die Korrelationen in der Hauptdia‐
gonalen sind definitionsgemäß 1, die Korrelationen in den Blockmatrizen
außerhalb derer entlang der Hauptdiagonalen sind nur in den jeweiligen
Diagonalen empirisch gewonnen, außerhalb aber annahmegemäß 0 (vgl.
Abbildung 2:
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Gleichung 2). Letztere haben weder eine Erst- noch eine Zweitstimmen‐
wahl gemeinsam. Die empirisch gewonnenen Korrelationen deuten darauf
hin, dass die Fehler zwischen den Wahloptionen eher gering korrelieren;
die Koeffizienten reichen bis 0,4. Wenn zwei Wahloptionen weder bezüg‐
lich der Kandidaten- noch der Parteiwahl übereinstimmen, gehen wir nicht
davon aus, dass die eine Alternative die andere ersetzen könnte. Im Gegen‐
satz dazu teilen sich z. B. die Optionen SS und CS die Zweitstimme –
die sozialdemokratische Parteiliste –, was es wahrscheinlicher macht, dass
ihre Fehler korreliert sind. In dem Maße, in dem wir Stimmen für die
SPD-Parteiliste nicht erklären können, leisten wir sowohl bei SS als auch
bei CS eine schlechte Arbeit.
Die nach der Zweitstimme sortierten Blockmatrizen entlang der Haupt‐
diagonalen weisen insgesamt höhere Korrelationen auf, insbesondere für
Optionen, die Listenwahlen für die beiden größten Parteien, die Christde‐
mokraten und die Sozialdemokraten, beinhalten. Offensichtlich ist unser
Modell einer Zwei-Güter-Wahl am wenigsten aussagekftig für Wahlmög‐
lichkeiten innerhalb dieser beiden Cluster. Mit anderen Worten, wir tragen
vergleichsweise wenig zur Erklärung von Listenwahlen der CDU und SPD
bei, was zu großen Fehlervarianzen für diese Wahloptionen führt. Die gute
Nachricht hier ist, dass die Korrelationsmuster darauf hindeuten, dass wir
die Erststimmen bemerkenswert gut erklären können. Dies ist in der Tat
bemerkenswert, da die Kandidatenwahl eine strategische Wahl beinhaltet,
die den Wahlmechanismus komplexer macht.
Panel (b) von Abbildung 2 psentiert die Korrelationen eines erweiter‐
ten Modells, das eine mögliche Variation des Effekts einer kongruenten
Stimmabgabe berücksichtigt.9 Die letzten drei Spalten von Tabelle 1 zeigen
die Parameterschätzungen für dieses zweite Modell. Die Ergebnisse sind
einfach, aber auch aufschlussreich. Erstens finden wir in Bezug auf die
9Wir haben auch ein erweitertes Modell betrachtet, das separate Effekte für den kon‐
gruenten Wahlanreiz Cj1j2 für Personen mit und ohne angegebene Parteiidentifikation
schätzt. Da ein stark parteigebundener Wähler der Partei, der er nahesteht, seine
beiden Stimmen geben würde, könnte der bedingte Effekt der kongruenten Stimmab‐
gabe für Parteianhänger kleiner sein als für Nicht-Parteianhänger. Die empirischen
Ergebnisse sind nicht schlüssig. Wenn wir den Term β10tij2Cj1j2 hinzufügen (wobei tij2
gleich 1 ist, wenn i sich mit der Partei j2 identifiziert, und andernfalls gleich Null),
dann ist der Posterior-Wert von β10 nur mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 60
Prozent positiv. Während jedoch die meisten Posterior-Werte in Bezug auf Skala und
Streuung robust sind, steigt der Effekt von C, β9, auf das 15-fache und der Effekt der
Parteivalenz wird negativ.
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
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Determinanten der Erst- und Zweitstimme praktisch die gleichen Effekte
wie in Modell 1. Zweitens unterscheidet sich die Bedeutung der kongru‐
enten Stimme tatsächlich zwischen Parteien: Die Ergebnisse zeigen, dass
die Abgabe einer kongruenten Stimme besonders wichtig ist, wenn es um
die Bewertung der Parteien und Kandidaten von CDU und SPD geht.
Dies könnte die Tatsache widerspiegeln, dass der CDU-Kandidat in beiden
Bezirken aussichtsreich ist, und während der SPD-Kandidat nur in einem
Bezirk aussichtsreich ist, werden einige (langjährige) SPD-Parteimitglieder
eine kongruente Abstimmung für ihre Partei als die natürlichste Option
ansehen – eine Reminiszenz an das alte Dreiparteiensystem, in dem der
SPD-Kandidat immer ein aussichtsreicher Kandidat war. Anders ist dies
bei den Liberalen und den Grünen, für die strategisches „split-ticket-Wäh‐
len schon immer eine wichtige Überlegung war. Am interessantesten und
möglicherweise überraschend ist, dass wir den größten positiven Effekt
für die Die LINKE finden. Dies deutet darauf hin, dass ihre Anhänger
am ehesten geneigt sind, eine kongruente Stimme abzugeben, weil eine
strategische, getrennte Stimmabgabe nicht attraktiv ist (d. h. die aussichts‐
reichen Kandidaten sind nicht attraktiv, sodass sie von den Positions- und
Valenzmerkmalen, die im Modell enthalten sind, nicht gut erfasst werden),
möglicherweise weil linke Parteianhänger stärker ideologisch orientiert
sind. Drittens, die Zufallseffekte (σ) sind viel kleiner und gleichmäßiger
verteilt, so dass die resultierende Korrelationsmatrix von Panel (b) durch‐
gängig nur sehr geringe Werte aufweist. Insgesamt deutet dies alles darauf
hin, dass Modell 2 die Logik der strategischen Stimmabgabe im deutschen
Mischwahlsystem sehr gut erfasst.
6.2 Vorhergesagte Stimmabgabe
Tabelle 2 zeigt eine Kreuztabelle der vorhergesagten und der beobachteten
Wahlentscheidungen. Insgesamt ist die Anzahl der korrekt vorhergesagten
Wahlentscheidungen 767, was 60,5 Prozent entspricht. Nach den Daten
verzeichnet das Paar (CDU, CDU) mit 435 Stimmen oder 36,3 Prozent die
größte Häufigkeit, gefolgt von den kongruenten Paaren (SPD, SPD) mit
226 Stimmen (18,8 Prozent) und (Grüne, Grüne) mit 165 Stimmen (13,8
Prozent). Alle anderen Optionen erhalten deutlich weniger Stimmen. Unser
Modell bildet dieses Gesamtmuster sehr gut ab. Interessanter aber ist, wo
wir scheitern. Ein Punkt ist die kongruente Stimmabgabe für die Grünen.
Das Modell prognostiziert 290 Stimmen für (GRÜ, GRÜ), was fast das
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Doppelte der tatsächlichen Zahl ist. In gewisser Weise ist dies nicht wirk‐
lich überraschend angesichts der der grünen Partei und den Kandidaten
in beiden Wahlkreisen zugeschriebenen hohen Valenz, und der Tatsache,
dass viele Befragte angaben, den Grünen nahe zu stehen (insgesamt 306
im Vergleich zu 323 für die SPD). Dies deutet darauf hin, dass es einen
„Fehlanreiz“ für eine kohärente Grünen-Stimme und einen Anreiz für eine
getrennte Stimmabgabe für einen grünen Kandidaten oder die grüne Partei
gibt, die wir nicht erfassen.
Vorhergesagte (Spalten) und beobachtete (Zeilen) Wahlentschei
dung auf Basis der A-posteriori-Mittelwerte
CC CF SS SG FF GS GG LL Gesamt
CC 406 4 18 0 1 0 5 1 435
CS 10 0 10 1 0 0 2 0 23
CF 58 6 0 0 0 0 0 0 64
CG 5 0 2 0 0 0 8 0 15
CL 3 0 0 0 0 0 0 3 6
SC 10 0 8 0 0 0 0 0 18
SS 15 0 185 3 0 0 23 0 226
SF 0 1 0 0 0 0 0 0 1
SG 0 0 20 3 0 0 22 0 45
SL 1 0 10 0 0 0 6 6 23
FC 7 0 0 0 0 0 0 0 7
FF 9 1 0 0 1 0 0 0 11
FG 0 0 0 0 0 0 1 0 1
GC 15 0 2 1 0 0 10 1 29
GS 4 0 46 0 0 0 41 1 92
GF 3 4 1 0 0 0 1 0 9
GG 4 0 15 6 0 1 134 5 165
GL 0 0 5 0 0 0 25 10 40
LS 0 0 3 0 0 0 1 0 4
LG 0 0 1 0 0 0 1 2 4
LL 1 0 7 0 0 0 10 32 50
Gesamt 551 16 333 14 2 1 290 61 1268
Diese Interpretation wird durch eine zweite Beobachtung gestützt. Eine
betchtliche Anzahl von Befragten gibt an, dass sie für den grünen Kan‐
didaten, aber die sozialdemokratische Liste (N = 92) oder umgekehrt
für den SPD-Kandidaten und die grüne Liste (N = 45) gestimmt haben.
Dies ist jedoch genau das, was wir erwarten sollten, wenn SPD- und Grü‐
nen-Parteianhänger auf ihre lokalen Parteigliederungen gehört haben, die
öffentlich empfohlen hatten, die aussichtsreichsten linken Kandidaten im
Tabelle 2:
Kontaminationseffekte bei Wahlfunktionen in Mischwahlsystemen
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jeweiligen Wahlkreis zu unterstützen. Unser Modell ist gegenüber dieser
Art von Wahlverhalten unempfindlich. Unser Modell sieht diese Art von
Wahlkoordinierung bei der Erststimme nicht vor, so dass wir beide Optio‐
nen unterschätzen. Schließlich unterschätzen wir auch die Wahl CF des
CDU-Kandidaten und der FDP-Liste (beobachtet N = 64, vorhergesagt
N = 16). Ein Grund hierfür könnte sein, dass einige konservative Wähler,
die sonst die CDU wählen würden, die liberale Liste unterstützten, um si‐
cherzustellen, dass die Partei die Fünf-Prozent-Hürde überschreitet. Da wir
die strategische Stimmabgabe im Zusammenhang mit der Fünf-Prozent-
Hürde nicht berücksichtigen, haben wir die CF-Option erwartungsgemäß
unterschätzt.
7. Schlussfolgerungen
Unser Aufsatz liefert einen Beitrag zur laufenden Diskussion über das
Wahlverhalten in gemischten Wahlsystemen. Wenn es eine Kontamination
auf der Ebene der Wähler gibt, was genau verbindet dann die zwei Stim‐
men, die Mehrheitswahl- und die Verhältniswahl-Stimme? Wir argumentie‐
ren, dass die Entscheidungssituation tatsächlich eine simultan verbundene
Entscheidung zwischen Parteilisten und Kandidaten darstellt. Infolgedes‐
sen schlagen wir vor, die Pferenzen der Wähler über die gesamte Menge
aller Kombinationen von Parteilisten und Kandidaten zu modellieren, so
dass split-ticket-Wählen die Regel und nicht die Ausnahme oder der abwei‐
chende Fall ist, der erklärt werden muss.
Obwohl unsere Modellierungsstrategie einfach ist, weicht sie von frühe‐
ren Annäherungen an Spillover-Effekte in wichtiger und vorteilhafter Weise
ab. Erstens unterscheiden wir zwischen der Bewertung von Wahlmöglich‐
keiten und der tatsächlichen Wahl. Wenn eine Kontamination vorliegt,
wird sie sich auf die individuellen Pferenzen gegenüber den Wahlmög‐
lichkeiten auswirken. Wir schlagen daher vor, die Kontamination auf der
Ebene der Pferenzen zu betrachten. Verändert die Bewertung von Optio‐
nen in der einen Komponente die Bewertung der Optionen in der anderen
Komponente? Zweitens ermöglicht uns die Betrachtung der verbundenen
Entscheidung als ein Wahlproblem mit zwei Gütern es uns, einen eindeuti‐
gen Test auf Kontamination zu entwickeln. Wir argumentieren, dass eine
Kontamination dann und nur dann vorliegt, wenn die Pferenzen nicht
separabel sind. Für zwei Güter bedeutet Separabilit sowohl notwendig als
auch hinreichend, dass die Nutzenfunktion additiv separabel ist. Drittens
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erfordert dies auf der empirischen Ebene Informationen darüber, wie Wäh‐
ler sowohl Kandidaten als auch Parteien bewerten. In der Literatur gibt
es zwar zahlreiche Belege für die Kontamination von Erst- und Zweitstim‐
men, aber die meisten Belege beruhen auf aggregierten Daten, die in den
meisten Fällen zwar Informationen über die ideologische Ausrichtung der
Parteien liefern, aber nicht die der Kandidaten.
Aus diesem Grund ist auch unsere empirische Strategie anders. Wir
führen eine Fallstudie zu zwei Wahlkreisen der Bundestagswahl 2013 durch,
so dass die Menge der Befragten, die Auskunft über ihre Bewertungen
sowohl der Parteien als auch der Kandidaten geben, groß ist. Wir nutzen
diese Informationen, um unser theoretisches Modell der Wahlentscheidung
zu kalibrieren und zusätzlich eine Zufallskomponentenspezifikation eines
gemischten Logit-Modells einzuführen, die es uns ermöglicht, Interdepen‐
denzen oder Substitutionsmuster zwischen Alternativen zu untersuchen.
Die empirische Schätzung führt zu mehreren wichtigen Ergebnissen.
Erstens, die politische Distanz der Wähler zu Kandidaten und Parteien
hat den erwarteten negativen Effekt, und Valenz und Parteianhängerschaft
wirken sich erwartungsgemäß positiv aus. Zweitens, und in Übereinstim‐
mung mit der theoretischen Erwartung, sind Valenz-Eigenschaften für die
Bewertung von Kandidaten wichtiger als für die Bewertung von Parteien,
während die Parteianhängerschaft für die Verhältniswahl wichtiger ist als
für die Mehrheitswahl. Drittens gibt es deutliche Hinweise darauf, dass
Individuen strategisch wählen in Bezug auf die Kandidatenwahl. Viertens
gibt es eine offensichtliche Tendenz der Individuen ihre zwei Stimmen
kongruent abzugeben, während andere sinnvolle Substitutionsmuster von
geringerer Bedeutung sind.
Diese Ergebnisse unterstreichen unser anfängliches Argument, dass
die Konzentration auf Spillover-Effekte von institutionellen Regeln wahr‐
scheinlich zu einschränkend ist, wenn man Nicht-Unabhängigkeit oder
Kontamination im Wahlverhalten in gemischten Wahlsystemen betrachtet.
Unser Argument über den Anreiz zur kongruenten Stimmabgabe hängt
nicht mit den spezifischen institutionellen Regeln zusammen, die in der
einen oder der anderen Komponente gelten. Die Ergebnisse deuten auf
einen psychologischen Mechanismus der Dissonanzvermeidung hin, wenn
Kandidaten-Parteilisten-Paare der gleichen Partei mehr pferiert werden
als es die individuellen Eigenschaften der Kandidaten und Parteien vermu‐
ten lassen. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei nicht um eine einfache
Folge der Parteianhängerschaft (die sich direkt auf die Pferenzen von
Kandidaten und Parteilisten auswirkt) handelt.
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Anhang
A Amtliche Ergebnisse und Nachwahlbefragung
Erst- und Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2013 in den
Wahlkreisen Stuttgart I und II (in Prozent)
Erststimmen Zweitstimmen
Kandidat GesamtaWahllokal-
WählerbNachwahl-
BefragungcPartei GesamtaWahllokal-
WählerbNachwahl-
Befragungc
Wahlkreis Stuttgart I
Kaufmann 42,0 44,4 43,5 CDU 37,5 40,8 39,9
Vogt 16,6 18,7 21,0 SPD 21,0 24,7 26,0
Skudelny 2,6 2,3 1,3 FDP 8,3 8,2 7,3
Özdemir 27,5 29,9 30,0 Grüne 17,5 18,6 18,0
Frank 3,9 4,7 4,2 Linke 6,2 7,8 8,8
Sonstige 7,6 Sonstige 9,5
N 151.248 93.076 1.130 N 151.500 90.932 1.083
Wahlkreis Stuttgart II
Maag 43,8 47,4 46,8 CDU 39,3 43,6 43,2
Schäfstoß 26,1 30,4 33,0 SPD 22,9 27,0 28,1
Werwigk 2,7 2,4 1,2 FDP 6,7 6,8 5,3
Bender 13,9 13,8 14,1 Grüne 13,8 14,4 14,7
Aparicio 5,0 6,0 5,0 Linke 6,7 8,2 8,8
Sonstige 8,4 Sonstige 10,6
N 132.835 87.872 740 N 133.041 85.593 702
Anmerkungen: a) Gültige Stimmen im Wahlkreis, b) Gültige Stimmen abzgl. Brief‐
wahlstimmen, Prozentuierung nach Gesamtzahl der Stimmen für die fünf Kandidaten
bzw. Listen, c) Befragte mit vollständigen Angaben (aus 1252 bzw. 839 Befragten).
Quelle: Landeshauptstadt Stuttgart 2013, S. 62-67 (Gesamt/Wahllokalwähler), eigene
Berechnung (Nachwahlbefragung).
B Verwendung von Parteieigenschaften als Stellvertreter für
Kandidateneigenschaften
Um zu testen, ob die Wähler Parteidistanzen und Parteivalenzen auf die
lokalen Kandidaten der Parteien übertragen, so dass die vermuteten Effek‐
te der Kandidateneigenschaften tatsächlich Effekte der Parteieigenschaften
sind, schätzen wir Modell 1 erneut, mit Parteidistanz (Modell 2) und Par‐
teivalenz (Modell 3) als Proxies für Kandidatendistanz bzw. -valenz. Die
nachstehende Tabelle zeigt die Ergebnisse von multinomialen Logit-Model‐
len (d. h. Modelle, die Substitutionsmuster außer Acht lassen), angepasst an
Tabelle 3:
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die Daten von N = 1268 Befragten. Die Ergebnisse sind nicht schlüssig. Das
Basismodell in der ersten Spalte (bei dem wir sowohl kandidaten- als auch
parteispezifische Informationen verwenden, wie aus der Entfaltung der Be‐
wertungsskalen gegeben) liefert Schätzungen für die β-Koeffizienten, die in
Bezug auf Größe und Richtung denjenigen des bayesianischen gemischten
Logit-Modells im Haupttext ziemlich ähnlich sind. Ein wesentlicher Unter‐
schied zwischen den Modellen besteht in der Wirkung der Interaktion von
Kandidatendistanz und aussichtsreicher Kandidatur, die im bayesianischen
Modell höchstwahrscheinlich negativ ist, sich aber im hier dargestellten
Basismodell nicht signifikant von Null unterscheidet.
Multinomiale Logit-Modelle der Wahlentscheidung bei Ersetzung
der Kandidaten durch Parteieigenschaften
(1) (2) (3)
Basismodell Partei- statt Partei- statt
Kandidatendistanz Kandidatenvalenz
βSE βSE βSE
Räumliche Distanz: Kandidat -0,966 0,087 -0,951 0,086 -0,999 0,088
Valenz: Kandidat 2,191 0,166 2,254 0,167 1,884 0,150
Räumliche Distanz: Partei -0,695 0,064 -0,693 0,065 -0,694 0,064
Valenz: Partei 0,161 0,136 0,155 0,135 0,130 0,136
Parteiidentifikation: Kandidat 1,155 0,091 1,158 0,091 1,109 0,090
Parteiidentifikation: Partei 1,557 0,083 1,558 0,083 1,556 0,083
Distanz: Kandidat × aussichtsreich 0,056 0,195 0,093 0,194 0,071 0,196
Valenz: Kandidat × aussichtsreich 0,352 0,278 0,341 0,277 0,369 0,238
Kongruente Wahl 0,878 0,093 0,878 0,093 0,879 0,092
Log-likelihood -1809,228 -1807,589 -1819,194
N 1.268 1.268 1.268
Wenn wir die Kandidatendistanz durch die Parteiendistanz ersetzen (Mo‐
dell 2), ändern sich die Ergebnisse wenig. Das Gleiche gilt für Modell 3,
bei dem die Kandidaten- durch die Parteivalenz ersetzt wurde, wenngleich
die Effektgröße der nun „falsch“ gemessenen Valenz geringer ist. Weiterhin
kann man feststellen, dass die Log-likelihood der Modelle 1 und 2 kleiner
ist als die von Modell 3. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass die Parteiva‐
lenz ein suboptimaler Ersatz für die Kandidatenvalenz ist.
Tabelle 4:
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Article
Full-text available
This paper introduces a model of vote choice in mixed-member proportional representation systems where electors cast two votes. Despite the growing popularity of mixed systems around the world, a recent stream of literature suggests that the candidate vote contaminates the list vote, inducing the type of behavior observed under majority rule. We propose a new approach to account for these so-called “contamination” effects, a phenomenon that we define as a causal influence making choices more similar across the vote decisions. Since causality entails a time ordering, we argue that contamination arises only when voters choose sequentially. By making use of new survey questions asking respondents about the timing of vote decisions, we can estimate the magnitude of these contamination effects directly. The model is tested using Bayesian multinomial probit models with survey data from the 2013 federal election in Germany. A key contribution of this paper is to show that contamination effects are present only among voters with lower levels of education, and work primarily from the list vote to the candidate vote. We also test a number of predictions about the determinants of the two vote choices in mixed systems.
Book
Popular elections are at the heart of representative democracy. Thus, understanding the laws and practices that govern such elections is essential to understanding modern democracy. In this book, Cox views electoral laws as posing a variety of coordination problems that political forces must solve. Coordination problems - and with them the necessity of negotiating withdrawals, strategic voting, and other species of strategic coordination - arise in all electoral systems. This book employs a unified game-theoretic model to study strategic coordination worldwide and that relies primarily on constituency-level rather than national aggregate data in testing theoretical propositions about the effects of electoral laws. This book also considers not just what happens when political forces succeed in solving the coordination problems inherent in the electoral system they face but also what happens when they fail.
Article
Recent studies on strategic voting and entry in elections that combine plurality or majority and proportional representation (PR) have found candidate placement in single-member district (SMD) races to improve a party's PR performance. The primary implication of the existence of "contamination effects" is that parties have an incentive to nominate candidates in as many single-member districts as possible. Pre-electoral coordination in the majoritarian component of mixed electoral systems, however, is far from uncommon. In this article, we identify a number of institutional incentives that induce political parties to form pre-electoral alliances in spite of contamination effects. By identifying institutions that favor and hamper coordination, we seek to advance the understanding of PR-SMD interactions and to assess their implications for the design, classification, and empirical analysis of mixed electoral rules. Our statistical tests evaluate strategic entry in a diverse sample of countries.
Article
Much recent theorizing about the utility of voting concludes that voting is an irrational act in that it usually costs more to vote than one can expect to get in return. 1 This conclusion is doubtless disconcerting ideologically to democrats; but ideological embarrassment is not our interest here. Rather we are concerned with an apparent paradox in the theory. The writers who constructed these analyses were engaged in an endeavor to explain political behavior with a calculus of rational choice; yet they were led by their argument to the conclusion that voting, the fundamental political act, is typically irrational. We find this conflict between purpose and conclusion bizarre but not nearly so bizarre as a non-explanatory theory: The function of theory is to explain behavior and it is certainly no explanation to assign a sizeable part of politics to the mysterious and inexplicable world of the irrational. 2 This essay is, therefore, an effort to reinterpret the voting calculus so that it can fit comfortably into a rationalistic theory of political behavior. We describe a calculus of voting from which one infers that it is reasonable for those who vote to do so and also that it is equally reasonable for those who do not vote not to do so. Furthermore we present empirical evidence that citizens actually behave as if they employed this calculus. 3
Chapter
Die AfD kandidierte 2013 erstmalig bei einer Bundestagswahl und scheiterte knapp an der 5%-Hürde. Ein Unterschied zur Kandidatur etablierter Parteien ist, dass die AfD nicht in allen Wahlkreisen Direktkandidaten nominierte. Der Beitrag untersucht die Kandidatur der AfD basierend auf der Hypothese der Kontaminationsliteratur, welche einen positiven Kandidateneffekt auf den Parteistimmenanteil in gemischten Wahlsystemen postuliert. Konkret wird untersucht, ob bei der AfD-Kandidatur ein solcher Effekt nachweisbar ist. Damit soll die Frage beantwortet werden, ob die AfD bei flächendeckender Kandidatennominierung den Einzug in den Bundestag geschafft hätte. Nach Berücksichtigung möglicher Endogenität und eines heterogenen Kausaleffekts kann jedoch kein Kandidateneffekt nachgewiesen werden.
Article
"Microeconomic Foundations I develops the choice, price, and general equilibrium theory topics typically found in first-year theory sequences, but in deeper and more complete mathematical form than most standard texts provide. The objective is to take the reader from acquaintance with these foundational topics to something closer to mastery of the models and results connected to them.
Book
Using election returns, public opinion surveys, and legislative roll-call data from many mixed systems in every world region, the authors show that contamination systematically affects party strategy, voting behaviour, legislative cohesion and overall structure of partisan competition.