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Wie Sie Ihr eigener Entscheidungsarchitekt werden und bessere Karriereentscheidungen treffen

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Abstract

DDie einzige Möglichkeit, wie Sie etwas in Ihrem Leben gezielt beeinflussen können, sind Ihre Entscheidungen. Der Rest Ihres Lebens passiert einfach. Dieser Artikel bietet praktische Konzepte und nützliche Verfahren, die Sie befähigen, Ihr eigener oder Ihre eigene Entscheidungsarchitekt(in) zu werden, um systematisch bessere Entscheidungen zu treffen und Ihr Leben zu verbessern. Darüber hinaus werden konkrete Tipps für Karriereentscheidungen abgeleitet. Kommentar: Es handelt sich um die Übersetzung des geringfügig angepassten Manuskripts des TEDxTalks „Nudge yourself to make better decisions“ (https://bit.ly/TEDxTalkSiebert)
Entscheide, welches
Transportmittel zu
nutzen
Entscheide, welches
Auto zu kaufen
Informationen rStudium und Beruf
Wie Sie IhreigenerEntscheidungsarchitekt
werden und bessereKarriereentscheidungen
treffen
Die einzige Möglichkeit, wie Sie etwas in IhremLeben gezielt beeinflussen
können, sind Ihre Entscheidungen. Der Rest Ihres Lebens passiert einfach.
Dieser Artikel bietet praktische Konzepte und nützliche Verfahren, die Sie
befähigen, Ihr eigener oder Ihre eigene Entscheidungsarchitekt(in) zu
werden, umsystematisch bessere Entscheidungen zu treffen und Ihr Leben
zu verbessern. Darüber hinaus werden konkrete Tipps für Karriereentschei-
dungen abgeleitet.
Prof. Dr. Johannes Ulrich Siebert
ist Inhaber der Professur für Entscheidungs-
wissenschaften und Verhaltensökonomik am
MCI
Die Unternehmerische Hochschule
ˆ
und Privatdozent an der Universität Bay-
reuth. Bevorzugte Forschungsgebiete: Ent-
scheidungswissenschaften und Verhaltensö-
konomik.
Summary: The only way that you can purposefully in-
fluence anything in your life is by your decisions. The
rest of your life just happens. This article provides
practical concepts and useful procedures empowering
you to become your own decision architect to make
systematically better decisions and improve your life.
In addition, specific tips for career decisions are pre-
sented.
Stichwörter: Entscheidungstheorie, Verhaltensöko-
nomie, Nudging, Decision-Theoretic Sound Self-
Nudging, Karriereentscheidung
1. Entscheidungen mit Scheuklappen
Haben Sie jemals eine wirklich schlechte Entscheidung ge-
troffen? Wenn ja, was war der Grund dafür? In diesemArti-
kel erkläre ich, warumviele Menschen schlechte Entschei-
dungen treffen und wie sie dies verhindern können. Ich
zeige einfache Methoden, die jeden befähigen, systema-
tisch bessere Karriereentscheidungen zu treffen.
Abb. 1: Enges und breites Entscheidungsstatement und die
entsprechenden Alternativen
Vor zehn Jahren war mein Auto kaputt und ich stand vor
einer Entscheidung. Was hatte ich zu entscheiden? Überle-
gen Sie einmal. Mein Auto war kaputt, also brauchte ich ein
neues Auto. Das macht doch Sinn, oder? Zumindest denken
das viele Menschen. Und vor zehn Jahren war ich zweifellos
einer von ihnen. Ich machte mich sofort auf die Suche nach
demAuto, das ich kaufen wollte. Ich hatte sehr schnell
Dutzende Autos gefunden. Dann habe ich sehr lange ge-
braucht, umdas beste Auto zu identifizieren. AmEnde ha-
be ich ein Auto gekauft. Aber das war eine wirklich
schlechte Entscheidung. Lassen Sie mich Ihnen erklären
warum.
Ohne darüber nachzudenken, was ich eigentlich wollte,
machte ich mich sofort auf die Suche nach einemAuto, das
ich kaufen wollte. Aber worumging es in meiner Entschei-
dungssituation eigentlich? Es ging nicht umdie Entschei-
dung, welches Auto ich kaufen sollte. Nein! Es ging umdie
Entscheidung, welches Verkehrsmittel ich benutzen wollte.
Ein Auto zu kaufen, ist nur eine von vielen Alternativen:
WiSt Heft 10 · 2023 47
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Abb. 2: Scheuklappen verhindern gute Entscheidungen
Ich hätte öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder und Motor-
roller benutzen oder zu Fuß gehen können (vgl. Abb. 1). Ei-
niges davon wäre für mich sicherlich besser gewesen als der
Kauf eines Autos. Diese anderen Alternativen habe ich nicht
berücksichtigt. Ohne mir dessen bewusst zu sein, habe ich
unmittelbar die Entscheidung getroffen, dass ich ein Auto
als Transportmittel benutzen wollte. Infolgedessen habe ich
sehr eng nach Alternativen gesucht: nur nach Autos.
Abb. 2 veranschaulicht meine Entscheidungsfindung vor
zehn Jahren. Und nein, das sind nicht die neuesten Ray-
Ban-Modelle. Das sind nur einfache Scheuklappen. Sie
schränken unserSichtfeld ein und sind also nicht wirk-
lich hilfreich bei der Entscheidungsfindung. In diesemAr-
tikel werde ich Ihnen zeigen, wie Sie diese Scheuklappen
ablegen können. Dafür werde ich das Konzept des „Nud-
ging“ kurz zusammenfassen und Ihnen zeigen, wie Sie sich
selbst „anstupsen“ können, umsystematisch bessere Ent-
scheidungen zu treffen.
2. Nudging
Nobelpreisträger Richard Thaler hat in zahlreichen Experi-
menten gezeigt, dass die Auswahl einer Alternative vor al-
lemdavon abhängt, wie die Alternativen präsentiert wer-
den (vgl. Thaler/Sunstein, 2008, S. 1 ff.). Auf demBuchco-
ver wird Nudging mit einer Elefantenmutter illustriert, die
ihren Nachwuchs sanft „anstupst“, umdas zu tun, was gut
für ihn ist. Für den Menschen übernehmen sog. Entschei-
dungsarchitektinnen und -architekten die Rolle der Ele-
fantenmutter. Sie geben einen Rahmen vor, der den Men-
schen hilft, gute Entscheidungen zu treffen, wobei die
Wahlfreiheit gewahrt bleibt.
Einige Lebensmittel gelten als gesünder als andere. Viele
Menschen nehmen sich vor, sich gesünder zu ernähren.
Dennoch greifen sie häufig zu ungesunden Lebensmitteln.
Sie entscheiden sich also situativ gegen das, was sie ei-
gentlich wollen. Wenn beispielsweise direkt imEingangsbe-
reich einer Cafeteria eine gut aufgemachte Salatbar steht,
dann werden die Essenden „angestupst“ und entscheiden
sich häufiger für Salat als für Currywurst mit Pommes. In
diesemFall ist die Leitung der Cafeteria in der Rolle des
Entscheidungsarchitekten und kann das Entscheidungsver-
halten der Essenden durch die Positionierung der Angebote
beeinflussen und das imSinne der Essenden, die ja eigent-
lich mehr Salat essen wollen.
Allerdings ist es nicht immer möglich, dass ein(e) Entschei-
dungsarchitekt(in) Sie „anstupst“, oder Sie wollen das gar
nicht, zumBeispiel bei sehr persönlichen oder sehr indivi-
duellen Entscheidungen wie bei einer Karriereentschei-
dung. In seinemneuen Buch „Give Yourself a Nudge: Hel-
ping Smart People Make Smarter Personal and Business De-
cisions“ erweitert Ralph Keeney (2020) das Nudging-Kon-
zept für genau diese Situationen und ermöglicht es den
Entscheidenden, ihr(e) eigene(r) Entscheidungsarchitek-
t(in) zu sein. Die Ideen befähigen Sie dazu, Ihr(e) eige-
ne(r) Entscheidungsarchitektin zu werden. Und ich werde
Ihnenzeigenwie.
Die meisten Menschen verhalten sich reaktiv, wenn sie Ent-
scheidungen treffen. Sie sehen Entscheidungssituationen
als Entscheidungsprobleme an, die es zu lösen gilt (vgl.
Keeney, 1992, S. 1 ff.). Oft identifizieren sie mit wenig Auf-
wand die naheliegenden Alternativen.Diemeiste Zeit
verbringen sie anschließend mit der Bewertung dieser Al-
ternativen, demsog. Decision-Backend. Nehmen wir das
Auto-Beispiel. Anstatt die meiste Mühe auf den Vergleich
der offensichtlichen Alternativen zu verwenden, sollte man
sich mehr Gedanken über das sog. Decision-Frontend ma-
chen und sicherstellen, dass einemeine Reihe attraktiver
Alternativen zur Wahl stehen. Zu diesemZweck sollten Sie
drei Dinge tun.
1. Definieren, worumes bei Ihrer Entscheidung geht.
2. Herausfinden, was Sie wollen (Ihre Ziele).
3. Herausfinden, wie Sie das Gewünschte bekommen (Ihre
Alternativen).
3. Definition einerEntscheidung
Viele Menschen treffen falsche Entscheidungen. Damit
meine ich nicht, dass die in einer Entscheidung gewählten
Alternativen „falsch“ wären, sondern dass viele Menschen
die falschen, weil viel zu engen, Entscheidungssituationen
betrachten.
Oft steht man vor einer Reihe von zusammenhängenden,
engen Entscheidungssituationen, die eine breitere Ent-
scheidungssituation betreffen. ImWesentlichen treffen Sie
mehrere enge Entscheidungen, die zusammen die gewählte
Alternative für die breitere Entscheidungssituation erge-
ben, die Sie nicht ausdrücklich erkannt haben. Manchmal
führt die Wahl der scheinbar besseren Alternativen für die
engen Entscheidungssituationen zu einer schlechten Wahl
für die breitere Entscheidungssituation. Klingt kompli-
ziert? Lassen Sie mich das veranschaulichen.
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WiSt Heft 10 · 202348
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Alice zur Katze: „Könntest du mir bitte sagen,
welchen Weg ich von hier aus gehen sollte?“
Katze: „Das hängt sehr stark davon ab, wo du
hinkommen möchtest.
Alice: „Es interessiert mich nicht sehr, wo ich
hinkomme.
Katze: „Dann ist es egal, welchen Weg du
einschlägst. ...
(Alice im Wunderland, Lewis Carroll)
Abb. 3: Alice imWunderland,
Lewis Carroll
Nehmen Sie an, Ihre Großeltern wohnen sechs Stunden
entfernt. Ihr Großvater ruft Sie an und fragt Sie: „Möchtest
Du uns nächstes Wochenende besuchen? Wir würden uns
sehr freuen, Dich zu sehen.“ Was würden Sie sagen? „Ich
würde gerne kommen, aber leider habe ich schon etwas
vor.“ Wir alle haben Verpflichtungen und Pläne. Bei einer
Fahrtzeit von sechs Stunden für die Hin- und Rückfahrt
würden Sie mindestens ein ganzes Wochenende für den Be-
such brauchen. Zwei Wochen später ruft Ihre Großmutter
Sie an, mit demgleichen Ergebnis. Und so geht es immer
weiter. Nach einemhalben Jahr haben Sie Ihre Großeltern
immer noch nicht besucht.
Die Entscheidungssituation warzu eng formuliert. Es
geht umdas nächste Wochenende und es gibt nur zwei Al-
ternativen: Ja und Nein. Eine breiter gefasste Formulierung
wäre: „Wann passt es dir ambesten, uns in den nächsten
drei Monaten zu besuchen?“ Dann könnten Sie zumBei-
spiel denken, in drei und neun Wochen könnte es klappen,
und in fünf Wochen könnte ich es vielleicht mit einer Ge-
schäftsreise verbinden. Die breitere Formulierung der Ent-
scheidungssituation erhöht die Wahrscheinlichkeit erheb-
lich, dass Sie Ihre Großeltern tatsächlich besuchen werden.
Als mein Auto vor zehn Jahren kaputtging, habe ich unre-
flektiert meine Entscheidungssituation viel zu eng formu-
liert: „Entscheide, welches Auto das bestmögliche ist“. Die
breitere Entscheidungssituation „Entscheide, welches Ver-
kehrsmittel das bestmögliche ist“ habe ich nicht erkannt.
Infolgedessen habe ich mich ausschließlich auf Autos kon-
zentriert und attraktivere Alternativen übersehen.
Wir treffen schlechte Entscheidungen, weil wir Entschei-
dungssituationen als gegeben hinnehmen. Wie eine Ent-
scheidungssituation formuliert wird, ist eine Entscheidung
für sich. Sich dessen bewusst zu sein, ist ein entscheiden-
der Schritt, umbessere Entscheidungen zu treffen. Sie kön-
nen sich selbst anstupsen“, indemSie über die richtige
Formulierung Ihrer Entscheidungssituation nachdenken.
1. Entscheiden Sie aktiv, welcher Entscheidungssituation
Sie sich stellen wollen, und
2. wie eng oder weit Sie die Entscheidungssituation for-
mulieren.
4. Ziele
Unsere Ziele sind der Grund, warumwir Entscheidungen
treffen. Dies lässt sich gut mit einemDialog aus Lewis Ca-
rolls „Alice imWunderland“ veranschaulichen (vgl. Abb. 3).
Wenn Sie nicht wissen, wohin Sie gehen wollen, dann er-
gibt es wenig Sinn, überhaupt zu gehen, zumindest wenn
Ihr Lebensziel nicht darin besteht, einfach nur herumzu-
laufen. Und wir alle wollen etwas für uns, unsere Familie,
unsere Freunde und Freundinnen oder unsere Gesellschaft
erreichen. Deshalb müssen wir uns unserer Ziele bewusst
sein, wenn wir vor Entscheidungen stehen.
Wissen Sie, wohin Sie gehen wollen? Kennen Sie Ihre Ziele?
Die meisten Menschen denken, sie würden ihre Ziele ken-
nen. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Menschen
bei wichtigen Entscheidungen nurdie Hälfte ihrerrele-
vanten Ziele kennen. Oft sind sie sich nicht einmal der
wichtigsten Ziele bewusst. Aber wie kann man gute Ent-
scheidungen treffen und das bekommen, was man will,
wenn man nicht weiß, was man eigentlich will?
In meiner engen Entscheidungssituation beimAutokauf
habe ich auf die Kosten, den Kilometerstand und den Zu-
stand des Wagens geachtet. Andere Ziele wie Bequemlich-
keit, Umweltfreundlichkeit und Fahrtzeit, die für meine
breitere Entscheidung, der Wahl des Verkehrsmittels, von
Bedeutung waren, waren mir jedoch nicht bewusst. Ohne
diese Ziele zu kennen, konnte ich nichts aktiv tun, umsie
zu erreichen.
Es gibt viele Brainstorming-Techniken, umIhre Ziele zu er-
mitteln. Das Problemist, dass die meisten Menschen sich
nicht die Mühe machen, ihre relevanten Ziele zu ermitteln.
Siebert, Wie Sie Ihr eigener Entscheidungsarchitekt werden und bessere Karriereentscheidungen treffen
WiSt Heft 10 · 2023 49
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Entscheide, mit welchem Job
Sie die Wahrscheinlichkeit
maximieren, in Ihrem
Traumberuf zu arbeiten
Entscheide, welchen Job
nach Beendigung des
Studiums / der Ausbildung
zu wählen
Abb. 4: Enge und breite Formulierungen einer Karriereentscheidung
In jeder Entscheidungssituation können Sie sich selbst
„anstupsen“, indemSie aktiv darüber nachdenken, was Ih-
nen wichtig ist. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlich-
keit erheblich, dass Sie bekommen, was Sie wollen.
5. Alternativen
Sobald Sie wissen, was Sie wollen, müssen Sie herausfin-
den, wie Sie dieses bekommen. Studien zeigen, dass Men-
schen nur 40 % der für sie relevanten Alternativen kennen.
Selbst die besten Alternativen werden oft übersehen (vgl.
Siebert/Keeney, 2015, S. 1144 ff.). Das mag trivial erschei-
nen, aber man kann sich nicht für eine Alternative ent-
scheiden, die man vorher nicht erkannt hat.
Wie kann man attraktive Alternativen identifizieren? Die
Antwort ist ganz einfach. Nutzen Sie Ihre Ziele, umsyste-
matisch mehr und bessere Alternativen zu entwickeln. Die
effektivste Methode besteht aus drei Schritten. Imersten
Schritt sollten Sie Alternativen ermitteln, die in einemZiel
möglichst gut sind. ZumBeispiel: günstig, umweltfreund-
lich, usw. Imzweiten Schritt sollten Sie Alternativen ermit-
teln, die in zwei Zielen möglichst gut sind: günstig und
umweltfreundlich. Imletzten Schritt sollten Sie Alternati-
ven ermitteln, die in möglichst vielen Zielen gut sind. Mit
dieser Methode stellen Sie sicher, dass Sie breit nach Alter-
nativen suchen, keine attraktiven Alternativen übersehen
und die Qualität der Alternativen sukzessive erhöhen (vgl.
Siebert/Keeney, 2015, S. 1144 ff.).
Lassen Sie mich auf meine Entscheidungssituation zurück-
kommen, als ich ein Auto gekauft habe. Dabei habe ich mit
viel Aufwand die Alternativen gesucht und bewertet. Aller-
dings habe ich wünschenswerte Alternativen wie öffent-
liche Verkehrsmittel oder ein E-Bike gar nicht berücksich-
tigt. Wenn ich mir meines Ziels „Umweltfreundlichkeit“ be-
wusst gewesen wäre, hätte ich sicherlich auf die Idee kom-
men können, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen an-
statt ein Auto zu kaufen.
In jeder Entscheidungssituation können Sie sich selbst
„anstupsen“, indemSie aktiv über Ihre Alternativen nach-
denken.
1. Geben Sie sich nicht mit den offensichtlichen Alternati-
ven zufrieden.
2. Nutzen Sie Ihre Ziele, umsystematisch mehr und besse-
re Alternativen zu entwickeln.
6. BessereKarriereentscheidungen
Viele von Ihnen beschäftigen sich möglicherweise damit,
welchenJobSienachStudiumoder Ausbildung wählen sol-
len. Als Außenstehende(r) gewinnt man manchmal den
Eindruck, es ginge darum,möglichst schnell, den bestmög-
lichen Job zu finden. Dabei wird zumeist relativ eng ge-
sucht. Beispielsweise lautet das Entscheidungsstatement
„Entscheide, welchen Job imControlling zu wählen“. Der
hellgraue Kreis in Abb. 4 steht für die Menge möglicher
Jobs. Es soll aber in einer bestimmten Branche sein. „Ent-
scheide, welchen Job imControlling in der Automobilin-
dustrie zu wählen“. In der Schnittmenge der Kreise gibt es
weniger Jobs. Und wenn dann noch der Wunsch nach einer
bestimmten Region dazukommt, gibt es nur noch sehr we-
nige potenzielle Jobs.
Wer sehr eng sucht, findet möglicherweise wenige oder gar
keinen Job und wählt amEnde ggf. eine gerade noch zuläs-
sige Notlösung, mit der er oder sie eigentlich gar nicht zu-
frieden sind. VergrößernSieIhrSuchfeld! Formulieren
Sie Ihr Entscheidungsstatement breiter. Beispielsweise
können Sie die Branche weglassen. Vielleicht finden Sie
dann einen Job in einer anderen Branche, der Ihnen insge-
samt viel besser gefällt als Ihre Notlösung.
Glauben Sie, dass Sie nach Ihrer Ausbildung direkt in Ih-
remTraumjob arbeiten dürfen? Das ist leider äußerst un-
wahrscheinlich. Sie können aber durch proaktives Ent-
scheiden die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, in Ih-
remTraumjob zu arbeiten! Nutzen Sie Ihre(n) ersten Job(s)
als Sprungbrett, damit Sie dahin kommen, wohin Sie wol-
len. Die Entscheidungssituation mit breiterem zeit-
lichen Fokus lautet dann „Entscheide, mit welchen Job Sie
die Wahrscheinlichkeit maximieren, (später) in Ihrem
Traumjob zu arbeiten“. Dafür müssen Sie überlegen, welche
Ziele Ihre Traumorganisation verfolgt, wenn sie Ihren
Traumjob vergibt; mit anderen Worten, was Bewerbende al-
les mitbringen müssen. Dann schauen Sie, was Ihnen ggf.
noch fehlt. Wenn es Ihnen an Sprachen oder internationa-
ler Erfahrung mangelt, dann gehen Sie erst mal ins Aus-
land. Wenn Sie imBereich IT nicht sattelfest sind, dann
wählen Sie doch erst einmal einen Job, wo Sie das Entspre-
chende lernen.
Der Schlüssel für eine gute (Karriere-)entscheidung liegt in
der bewussten Definition derEntscheidungssituation.
Darauf aufbauend können Sie zielgerichtet Alternativen su-
chen.
Informationen für Studiumund Beruf
WiSt Heft 10 · 202350
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7. Zusammenfassung und Empfehlungen
Vor zehn Jahren, bevor ich meinen Mentor und persön-
lichen Freund Ralph Keeney kennenlernte, war ich sehr re-
aktiv in meiner Entscheidungsfindung und traf viele
schlechte Entscheidungen. Selbst in wichtigen Entschei-
dungssituationen habe ich nicht darüber nachgedacht,
welche Entscheidung ich eigentlich treffen sollte. Ich war
mir meiner Ziele nicht bewusst, habe nur die offensicht-
lichen Alternativen berücksichtigt und dadurch viele gute
Alternativen verpasst. Infolgedessen traf ich nicht gerne
Entscheidungen und hatte das Gefühl, wenig Kontrolle
über mein Leben zu haben. Ralph Keeney hat mir beige-
bracht, wie ich mein eigener Entscheidungsarchitekt wer-
den kann. Letztlich geht es darum,Entscheidungen be-
wussterzu treffen und sich intensiver mit der Strukturie-
rung der Entscheidung, demDecision Frontend, zu be-
schäftigen.
1. Entscheiden Sie sich aktiv, mit welchen Entscheidungs-
situationen Sie sich befassen wollen.
2. Wie eng oder breit Sie diese Entscheidungssituationen
formulieren.
3. Identifizieren Sie, was Sie wollen.
4. Entscheiden Sie sich nicht für die offensichtlichen Al-
ternativen.
5. Nutzen Sie Ihre Ziele, umweitere und bessere Alternati-
ven zu identifizieren.
Diese Empfehlungen sind der Ausgangspunkt. Keeney
(2020) bietet einen sehr guten Einstieg in differenziertere
Methoden. Darüber hinaus fasst der kostenlose Onlinekurs
„Smarte Entscheidungen machen richtig glücklich“ (abruf-
bar unter: https://imoox.at/course/smartentscheiden)
von Siebert/Keeney die Kerninhalte anhand von Karriere-
entscheidungen prägnant zusammen.
Vielleicht bekommen Sie nicht immer, was Sie wollen. Aber
eine proaktive Entscheidungsfindung erhöht die Wahr-
scheinlichkeit erheblich, es zu bekommen. Aktuelle Stu-
dien zeigen, dass proaktives Entscheiden trainiert werden
kann und dass proaktiv Entscheidende zufriedener mit ih-
remLeben sind (vgl. Siebert/Kunz, 2016,Siebertetal.,
2020, 2021). Ich hoffe, dass mein Artikel Sie in die Lage
versetzt, bessere (Karriere-)Entscheidungen zu treffen.
Entscheidungen sind Ihre einzige Möglichkeit, aktiv Ein-
fluss auf das zu nehmen, was Ihnen wichtig ist. Nutzen Sie
diese Gelegenheit!
Anmerkung: Dieser Artikel basiert auf demTEDxInnsbruck
„Give yourself a nudge: How you can make better deci-
sions”, 2021, (abrufbar unter https://www.ted.com/talks/
johannes_siebert_nudge_yourself_to_make_better_decisi
ons). Darüber hinaus werden konkrete Tipps für Karriere-
entscheidungen gegeben.
Literatur
Keeney,R.L., Value-Focused Thinking: A Path to Creative Decision Ma-
king, Cambridge 1992.
Keeney, R. L., Give Yourself a Nudge: Practical Procedures for Making Bet-
ter Personal and Business Decisions, Cambridge 2020.
Siebert, J. U., Keeney, R. L., Creating More and Better Alternatives for De-
cisions Using Objectives, in: Operations Research, Vol. 63 (2015),
S. 11441158.
Siebert, J. U., Keeney, R. L., Entscheidungen: Probleme oder Chancen? Wie
Sie proaktiv unangenehme Entscheidungssituationen vermeiden können,
Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Vol. 49 (2020), Nr. 6, S. 4–9.
Siebert, J. U., Kunz, R., Developing and Validating the Multidimensional
Proactive Decision-Making Scale, in: European Journal of Operational Re-
search, Vol. 249 (2016), Nr. 3, S. 864877.
Siebert, J. U., Kunz, R., Rolf, P., Effects of proactive decision making on
life satisfaction in: European Journal of Operational Research,Vol.280
(2021), S. 1171–1187.
Siebert, J. U., Kunz, R., Rolf, P., The impact of decision training on indivi-
duals’ decision-making proactivity, in: European Journal of Operational
Research,Vol. 294 (2021), Nr. 1, S. 264–282.
Siebert, J. U., von Nitzsch, R., Das Jobauswahlproblemr Berufseinstei-
ger: Eine entscheidungstheoretische Anwendung -Teil 1: Problemstruktu-
rierung in Ziele, Alternativen und Unsicherheiten, in: Wirtschaftswissen-
schaftliches Studium, Vol. 47 (2018), Nr. 10, S. 4–11.
Thaler, R.H., Sunstein C.R., Nudge: improving decisions about health, we-
alth, and happiness, New Haven 2008.
Siebert, Wie Sie Ihr eigener Entscheidungsarchitekt werden und bessere Karriereentscheidungen treffen
WiSt Heft 10 · 2023 51
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Article
Full-text available
Decision sciences are in general agreement on the theoretical relevance of decision training. From an empirical standpoint, however, only a few studies test its effectiveness or practical usefulness, and even less address the impact of decision training on the structuring of problems systematically. Yet that task is widely considered to be the most crucial in decision-making processes, and current research suggests that effectively structuring problems and generating alternatives—as epitomized by the concept of proactive decision making—increases satisfaction with the decision as well as life satisfaction more generally. This paper empirically tests the effect of decision training on two facets of proactive decision making—cognitive skills and personality traits—and on decision satisfaction. In quasi-experimental field studies based on three distinct decision-making courses and two control groups, we analyze longitudinal data on 1,013 decision makers/analysts with different levels of experience. The results reveal positive training effects on proactive cognitive skills and decision satisfaction, but we find no effect on proactive personality traits and mostly non-significant interactions between training and experience. These results imply the practical relevance of decision training as a means to promote effective decision making even by more experienced decision makers. The findings presented here may be helpful for operations research scholars who advocate for specific instruction concerning proactive cognitive skills in courses dedicated to decision quality and/or decision theory and also for increasing, in such courses, participants’ proactive decision making and decision satisfaction. Our results should also promote more positive decision outcomes.
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Entscheidungssituationen werden häufig als Probleme wahrgenommen, die es zu lösen gilt. Allerdings sind Entscheidungen die einzige Möglichkeit, Einfluss auf das zu nehmen, was wichtig ist. Dieser Beitrag grenzt Entscheidungsprobleme und Entscheidungschancen ab und zeigt auf, wie durch proaktives Entscheiden nicht nur die Wahrscheinlichkeit, mit Problemen konfrontiert zu werden, reduziert werden kann, sondern auch systematisch attraktive Entscheidungschancen identifiziert werden können.
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Proactive decision making, a concept recently introduced to behavioural operational research and decision analysis, addresses effective decision making during its phase of generating alternatives. It is measured on a scale comprising six dimensions grouped into two categories: proactive personality traits and proactive cognitive skills. Personality traits are grounded on such theoretical constructs as a proactive attitude and proactive behaviour; cognitive skills reflect value-focused thinking and decision quality. These traits and skills have been used to explain decision satisfaction, although their antecedents and other consequences have not yet been the subject of rigorous hypotheses and testing. This paper embeds proactive decision making within a model of three possible consequences. We consider—and empirically test—decision satisfaction, general self-efficacy, and life satisfaction by conducting three studies with 1,300 participants. We then apply structural equation modelling to show that proactive decision making helps account for life satisfaction, an explanation mediated by general self-efficacy and decision satisfaction. Thus proactive decision making fosters greater belief in one’s abilities and increases satisfaction with one’s decisions and with life more generally. These results imply that it is worthwhile to help individuals enhance their decision-making proactivity. Demonstrating the positive effects of proactive decision making at the individual level underscores how important is the phase of generating alternatives, and it also highlights the merit of employing “decision quality” principles and being proactive during that phase. Hence the findings presented here confirm the relevance of OR, and of decision-analytic principles, to the lives of ordinary people.
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The quality of alternatives is crucial for making good decisions. This research, based on five empirical studies of important personally relevant decisions, examines the ability of decision makers to create alternatives for their important decisions and the effectiveness of different stimuli for improving this ability. For decisions for which the full set of potentially desirable alternatives is not readily apparent, our first study indicates that decision makers identify less than half of their alternatives and that the average quality of the overlooked alternatives is the same as those identified. Four other studies provide insight about how to use objectives to stimulate the alternative-creation process of decision makers and confirm with high significance that such use enhances both the number and quality of created alternatives. Using results of the studies, practical guidelines to create alternatives for important decisions are presented.
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On the basis of an extensive interdisciplinary literature review proactive decision-making (PDM) is conceptualised as a multidimensional concept. We conduct five studies with over 4,000 participants from various countries for developing and validating a theoretically consistent and psychometrically sound scale of PDM. The PDM concept is developed and appropriate items are derived from literature. Six dimensions are conceptualised: the four roactive cognitive skills ‘systematic identification of objectives’, ‘systematic search for information’, ‘systematic identification of alternatives’, and ‘using a ‘decision radar’’, and the two proactive personality traits ‘showing nitiative’ and ‘striving for improvement’. Using principal component factor analysis and subsequent item analysis as well as confirmatory factor analysis, six conceptually distinct dimensional factors are identified and tested cceptably reliable and valid. Our results are remarkably similar for individuals who are decision-makers, decision analysts, both or none of both with different levels of experience. There is strong evidence that individuals with high scores in a PDM factor, e.g. proactive cognitive skills or personality traits, show a significantly higher decision satisfaction. Thus, the PDM scale can be used in future research to analyse other concepts. Furthermore, the scale can be applied, e.g. by staff teams to work on OR problems effectively or to inform a decision analyst about the decision behaviour in an organisation.
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Every day, we make decisions on topics ranging from personal investments to schools for our children to the meals we eat to the causes we champion. Unfortunately, we often choose poorly. The reason, the authors explain, is that, being human, we all are susceptible to various biases that can lead us to blunder. Our mistakes make us poorer and less healthy; we often make bad decisions involving education, personal finance, health care, mortgages and credit cards, the family, and even the planet itself. Thaler and Sunstein invite us to enter an alternative world, one that takes our humanness as a given. They show that by knowing how people think, we can design choice environments that make it easier for people to choose what is best for themselves, their families, and their society. Using colorful examples from the most important aspects of life, Thaler and Sunstein demonstrate how thoughtful "choice architecture" can be established to nudge us in beneficial directions without restricting freedom of choice. Nudge offers a unique new take-from neither the left nor the right-on many hot-button issues, for individuals and governments alike. This is one of the most engaging and provocative books to come along in many years. © 2008 by Richard H. Thaler and Cass R. Sunstein. All rights reserved.
  • J U Siebert
  • R Von Nitzsch
Siebert, J. U., von Nitzsch, R., Das Jobauswahlproblem für Berufseinsteiger: Eine entscheidungstheoretische Anwendung -Teil 1: Problemstrukturierung in Ziele, Alternativen und Unsicherheiten, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Vol. 47 (2018), Nr. 10, S. 4-11.