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© 2023 The Author(s) Distributed as a Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2023), 51 (5), 351–365
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Zur Diskussion gestellt
Sturm und Drang im Würgegri
der Medien – Die Leiden der jungen
Generation am eigenen Geschlecht
Alexander Korte1 und Volker Tschuschke2
1 Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität
München, Deutschland
2 Ehemals Lehrstuhlinhaber im Fach Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum, Albertus-Magnus-Universität zu Köln,
Deutschland
Zusammenfassung: Das Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum Geburtsgeschlecht ist nicht neu, als Phänomen kann es bis in die antike Mytholo-
gie zurückverfolgt werden. Aber es war stets selten, wohingegen aktuell ein sprunghafter Anstieg von Abweichungen im Geschlechtsidentitäts-
erleben bei Jugendlichen zu verzeichnen ist. Der Text geht dieser Problematik anhand der Frage nach, inwieweit diese Entwicklung auch ein
Resultat kultureller und vor allem aber medientechnologischer Umbrüche ist, die bedingen, dass Jugendliche sich im „falschen Geschlecht“
wähnen und im Extremfall eine Transition anstreben. Die wichtigsten Eckpunkte des geplanten deutschen „Selbstbestimmungsgesetzes“ wer-
den vorgestellt, das allerdings der zugrundeliegenden Problematik kaum gerecht werden dürfte. Der Text schließt damit, dass er diesbezüglich
eine Reihe offener Fragen benennt, erste Antworten versucht und die Vorteile eines explorativen, genderkritischen gegenüber einem transaffir-
mativen Therapieansatz zusammenfasst.
Schlüsselwörter: Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsinkongruenz, Transsexualität, Geschlechtsidentität, Geschlechtervielfalt, Geschlechtsan-
gleichung
Media’s Stranglehold on Storm and Stress– The Sorrows of Generation Z about Sex and Gender
Abstract: The feeling of not belonging to one’s birth sex is not new; one can trace this phenomenon back even to ancient mythology. Although it
has always been rare, there has recently been a sharp increase in gender identity deviations among adolescents. This text addresses this prob-
lem by asking to what extent this development also results from upheavals in the cultural landscape and, above all, in media technology. Do
they cause young people to believe they are in the “wrong gender” and, in extreme cases, to strive for transition? We present the most salient
cornerstones of the planned German self-determination law (Self-ID), most of which, however, are unlikely to do justice to the underlying prob-
lem. The text concludes by describing several unanswered questions concerning this matter and by attempting to propose first answers. The
advantages of a gender-exploratory over the trans affirmative therapy approach are summarized.
Keywords: gender dysphoria, gender Incongruence, transsexuality, gender identity, gender diversity, gender reassignment
Influencer Economy–
Sinnsucherund Sinnverkäufer
Die Tendenz zur Individualisierung und das Streben nach
Einzigartigkeit – der „Vormarsch des Singulären“ (Reck-
witz, 2021, S. 8) – haben mit der sog. Spätmoderne einen
vorläugen Höhepunkt erreicht. Dies wird beispielsweise
dadurch oensichtlich, dass ein hoher Prozentsatz junger
Menschen tätowiert oder gepierct ist. Inge Seige-Krenke
spricht mit Blick auf die Tendenz, den Körper zu verän-
dern, vom „Zeitalter der Körperxiertheit“ (2018). Die da-
mit verbundenen „Körpermodikationen“ (Borkenhagen,
Stirn & Brähler, 2013),1 die weit über Tätowieren oder
Piercen hinausgehen, scheinen nicht nur anzuzeigen, wer
man ist und was man für wichtig und wertvoll erachtet,
sondern lassen auch vermuten, ein kohärentes Selbst wäre
nur noch zum Preis körperlicher Eingrie zu haben. Auch
bei besonders unter weiblichen Jugendlichen beliebten
TV-Formaten wie „Germany´s Next Topmodel“ habe
„Einzigartigkeit“, wie Andreas Bernard (2021) in einer Ko-
lumne auf ZEIT-online treend anmerkt, zu einer „Aus-
weitung des Bewertbaren“ geführt und sei mittlerweile
das zentrale Kriterium des Erfolgs: Hing dieser anfangs
von der erreichten Punktzahl nach durchgeführtem Ver-
1 Zur Transsexualität siehe Nieder, Cerwenka und Richter-Appelt (2013) im selben Band.
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352 A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht
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gleich attraktiver, dem gesellschaftlichen Schönheits- und
Schlankheitsideal entsprechender Körpermaße ab, stün-
den heute die „Besonderheit der Lebensgeschichte“, nicht
selten auch „die überstandene Krise einer existenziellen
Abweichung“ im Zentrum.2 Einzigartigkeit und Originali-
tät seien zum neuen Imperativ der Menschenmusterung
aufgestiegen – und gleichzeitig zum Fixstern und zum stets
aufs Neue beschworenen Mythos des self empowerment ge-
worden. Die Facetten der Diversity versorgten die Show
mit neuen Spektren des Urteils: Fluide und korrigierbar sei
nun nicht mehr nur der BMI, sondern auch die Kategorie
des Geschlechts. Dabei „wirke [es] konsequent, dass das
ausdrucksstärkste Satzzeichen unserer Gegenwart, der
Stern, mit dem herbeigesehnten Status der Prominenz
identisch ist. ‚*‘ wie ‚Star‘.“
Zudem verändern neue Informations- und Kommuni-
kationsmedien das Verhältnis der Menschen zueinander,
wobei diese veränderten sozialkommunikativen Struktu-
ren ihre Nutzer und Nutzerinnen überfordern können, vor
allem dadurch, dass zwischenmenschlicher Kontakt nicht
mehr real, sondern nur noch virtuell stattndet. In beson-
derer Weise trit dies zu für sozialkommunikative Prakti-
ken, die einen unmittelbaren Bezug zur Sexualität haben
(Korte, 2018). Eine durch die Verschiebung menschlicher
Begegnung ins Virtuelle entstehende Kluft im Realitätser-
leben kann dazu führen, dass das Gefühl des Wahrge-
nommen-Werdens – und damit das Gefühl einer Identi-
tät – erodiert, insbesondere bei jungen Menschen, deren
Persönlichkeitsentwicklung sich noch in einer vulnerab-
len Phase bendet, von der wir wissen, dass das reifende
Gehirn in dieser Zeit ganz erheblichen Umbau- und Reor-
ganisationsprozessen unterworfen ist (Giedd, Raznahan,
Mills & Lenroot, 2012). Wahrnehmungsverschiebung und
Veränderung des Kontakterlebens ereilen in besonderem
Maße die Generation der digital natives, die ihr Smartpho-
ne „in permanenter Tuchfühlung mit dem eigenen Kör-
per mit sich führen, als wäre es eines seiner Organe“
(Türcke, 2022, 22).
3
und für die sich das Gefühl zu existie-
ren oftmals nur noch einstellt, wenn sie telefonieren,
Nachrichten austauschen oder zumindest online sind,
also „medial stattnden“ (Hajok, 2015), mit möglichst
eindrucksvollen, starken Bildern: „Teenager spüren sich
selbst und ihre Gefühle nicht, wenn sie das nicht tun. Sie
sagen Sachen wie: ‚Ich habe mein iPhone verloren, es
fühlt sich an, wie wenn jemand gestorben wäre, ich mei-
nen Kopf verloren hätte oder amputiert worden wäre‘“
(Eisenberg, 2019, S. 9).
Hinzu kommt ein weiteres medial getriggertes Phäno-
men: das seit den 2000er-Jahren von selbstdarstelleri-
schen Inuencern betriebene Marketing – Menschen nut-
zen ihre Präsenz in sozialen Netzwerken, um Produkte,
aber auch Lebensstile zu bewerben (Cialdini, 2001).
Durch die technologische Weiterentwicklung des Inter-
nets von einer vormals monodirektionalen, konsumatori-
schen Nutzung (Abruf von Informationen) hin zu einer
interaktiven Mitgestaltungsmöglichkeit ist ein neuer Ty-
pus von Mediennutzern entstanden – nämlich der des
nicht mehr nur passiv-konsumierenden, sondern aktiv-
inhaltsgenerierenden „Prosumenten“ (Hajok, 2016; Kor-
te, 2018). Darin mag man eine Emanzipation sehen oder
eine Regression. Zweifellos folgt die Bedienung von Be-
dürfnissen bei gleichzeitiger Erzeugung neuer Bedürfnis-
se streng den marktwirtschaftlichen Spielregeln. Im An-
gebotsportfolio enthalten sind dabei auch neuartige
Identikationsschablonen.
4
Doch der Reihe nach.
Die aktuelle Generation der Messengerdienste, Chatfo-
ren, Blogs und sozialen Netzwerke ermöglicht Kommuni-
kation, Austausch und (vermeintliche) Begegnung, ohne
eine personale Nähe einzufordern. Trotz der Distanz ist
sichergestellt, sich verbunden fühlen zu können: keine
echte Nähe, aber doch eine suchtartige Kontaktsuche? Das
Netz bringt in der Tat widersprüchliche Eekte hervor: Es
distanziert und bringt doch einander näher, bewirkt aber
möglicherweise auch, dass die Fähigkeit, allein sein zu
können, verloren geht (Eisenberg, 2019). So gesehen ge-
neriert oenbar jede Zeit ihre Krankheitsschwerpunkte,
insofern sich in somatoformen, psychosomatischen und
psychiatrischen Krankheitssymptomen symbolisch gesell-
schaftliche Probleme manifestieren (Shorter, 1992): Die
vermeintlich weibliche Hysterie der Wendezeit vom 19.
auf das 20. Jahrhundert etwa ließe sich aus einer Frauen
unterdrückenden Sexualmoral erklären; die Somatisierun-
gen im Rahmen des Wirtschaftswunders nach dem Zwei-
ten Weltkrieg als Reaktion auf Arbeitsbelastungen (und
wohl auch kollektive Schuldverdrängung), die Zunahme
anorektischer und bulimischer Essstörungen als implizite
Kritik an Überuss und Konsumorientierung, Fatigue und
Burnout aus den Überforderungen der gegenwärtigen glo-
balisierten Leistungsgesellschaft. In Relation zu den neu-
en Kommunikationsverhältnissen wären die derzeitigen
2 https://www.zeit.de/2021/10 /germanys-next-topmodel-diversitaet-heidi-klum-hengameh-yaghoobifarah– letzter Zugriff: 12.07.2023: „Es ist
mir egal, ob ihr dick oder dünn seid, schwarz oder weiß, weiblich, trans oder nonbinär– was zählt, ist nur, dass ihr einzigartig seid.“ (Zitat von
Heidi Klum). In der Sendung sind zuletzt wiederholt Transgender-Models aufgetreten und zur Siegerin gekürt worden.
3 „Frühstück, Handy, Unterricht, Handy (falls erlaubt), Unterricht, Handy, Unterricht, Handy, Mittagessen, Handy, Hausaufgaben, Handy, Handy,
Sport, Handy, Abendessen, Handy, Handy“ (Schipp, 2021, S.13).
4 Vgl. Bilek, 2023: „Examining the Instagram account of TomBoyX underwear and Vogue model, Chellaman, a young woman who has had her
healthy breasts amputated to express a ‚non-binary identity,‘ I can feel the allure of beautiful, young faces, brilliant performance, talented pho-
tography, fashion, color, and style as the photos coalesce into corporately stylized glamour.“ Vgl. Wichert, 2022.
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Veränderungen im psychischen Krankheitsspektrum zu
werten: Waren früher Symptomneurosen in der Überzahl,
so werden seit geraumer Zeit zunehmend häuger sog.
Ich-strukturelle Störungen diagnostiziert, die dadurch ge-
kennzeichnet sind, dass sich kein stabil entwickeltes, iden-
titätsstiftendes Ich entwickeln konnte, mit entscheiden-
den Folgen für ein gestörtes Selbst (Ehrenberg, 2015;
Haidt, 2023; Tschuschke & Hopf, 2021).
Anders ausgedrückt und auf den Punkt gebracht: Das
Wissen um die Kontingenz, i. e. die historische Bedingt-
heit medizinischer Konzepte, im Speziellen der psychiatri-
schen Diagnosen und sich wandelnden Klassikationssys-
teme (Watters, 2016),5 die in besonderem Maße dem
jeweils herrschenden Zeitgeist unterworfen sind, ist von
zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Einord-
nung der gegenwärtigen Verschiebungen im Diagnose-
spektrum sowie der oensichtlichen Umbrüche auf dem
umkämpften Feld des Sexuellen. Letzteres ist freilich seit
eh und je Austragungsort von Generationskonikten, wie
allgemein bekannt – nicht erst seit in den Nullerjahren die-
ses Jahrtausends eine diskursive Dissoziation von Ge-
schlecht und Fortpanzung stattgefunden hat (Sigusch,
2005, 2013). Die Identizierung als „trans“, „non-binär“
und ähnliche Selbstkategorisierungen, für die infolge ei-
ner beispiellosen politischen Kampagne ein gesellschaftli-
cher Empfangs- und Möglichkeitsraum entstanden ist,
fungieren dabei – das ist der springende Punkt – auch als
Sinnangebote: Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftli-
chen Anforderungen, unrealistischen Schönheitsidealen,
pubertätstypischer Verunsicherung, Schamkrise und Sinn-
suche geben sie Jugendlichen die Möglichkeit, ihrem indi-
viduellen Leiden in einer zu ihrer Zeit und in ihrer Kultur
akzeptierten Form Ausdruck zu verleihen, und verheißen
zugleich Aufmerksamkeit, den Status des Besonderen,
Außergewöhnlichen.
Angebot und Nachfrage
Nach übereinstimmenden Angaben von Leistungserbrin-
gern und Einrichtungen der kinder- und jugendpsychiatri-
schen bzw. -psychotherapeutischen Versorgung ebenso
wie von schulpsychologischen oder sozialpädagogischen
Beratungsstellen ist die Anzahl von Minderjährigen, die
wegen eines Leidensdrucks infolge der empfundenen Ge-
schlechtsinkongruenz vorstellig werden, in den letzten
Jahren deutlich gestiegen. Für Schweden bestätigte das
National Board of Health and Welfare Anfang 2020 einen
Zuwachs der Diagnosehäugkeit in der Gruppe der 13- bis
17-jährigen Mädchen um nicht weniger als 1500 % in der
Zeit zwischen 2008 und 2018. Die inzwischen berühmt
gewordene Grak aus dem Gender Identity Development
Service (GIDS) im Londoner Tavistock zur Fallzahlent-
wicklung zeigt ein Rinnsal von genderdysphorischen Ju-
gendlichen in den Jahren bis 2012/13 und seitdem einen
dramatischen Anstieg, der sich in gleicher Weise in Über-
sichtsdarstellungen anderer klinischer Forschergruppen in
unterschiedlichen Ländern (westlicher Prägung) wieder-
ndet und, in Relation zu den niedrigen Prävalenzraten
früherer Jahrzehnte betrachtet, als Flutwelle bezeichnet
werden kann. In Großbritannien – wo infolge der gerichtli-
chen Aufarbeitung der Vorgänge im GIDS die Behandlung
mit GnRH-Analoga zur Pubertätssuppression (s. u.) von
genderdysphorischen Minderjährigen ebenso eingestellt
wurde wie in den skandinavischen Ländern – stieg zwi-
schen 2009 und 2016 die Zahl der Betroenen weiblichen
Geschlechts um mehr als das 70-fache (de Graaf, Giova-
nardi, Zitz & Carmichael, 2018). Zwischen 2020/2021
und 2021/2022 hat sich die Zahl der Überweisungen er-
neut verdoppelt (National Health Service, vgl. Cass, 2022).
Wenngleich es für den deutschsprachigen Raum wegen
des dezentralisierten Systems der Gesundheitsversor-
gung keine vergleichbare Erfassung der Fallzahlen gibt,
bestreitet mittlerweile niemand mehr, dass die Entwick-
lung hierzulande die gleiche ist (vgl. Herrmann et al.,
2022). Dies betrit auch die Inversion der Sex-Ratio, also
die Umkehrung des Verhältnisses von betroenen ge-
burtsgeschlechtlichen Jungen zu geburtsgeschlechtlichen
Mädchen: Heute sind die mit Abstand meisten Patienten
weibliche Jugendliche in der frühen und mittleren Adoles-
zenz (de Graaf et al., 2018; Kaltiala-Heino, Bergman, Ty-
öläjärvi & Frisén, 2018; Kaltiala-Heino, Sumia, Työläjär-
vi & Lindberg, 2015; Zhang et al., 2021) mit einer – und
auch das ist neu – zuvor geschlechtsnormativen Kindheit,
deren Transidentizierung und Outing erst während der
Pubertät erfolgten (Aitken, Steensma & Blanchard, 2015;
Chen, Fuqua & Euqster, 2016; de Graaf et al., 2018; Biggs,
2020; Hutchinson, Midgen, M. & Spiliadis, 2020; Littman
2018; Kaltiala-Heino et al., 2015, 2020; van der Loos et
al., 2023; Zucker, 2019). Uneinigkeit besteht indes über
die mutmaßlichen Gründe für diese erklärungsbedürfti-
ge, in weniger als einer Dekade eingetretene Entwicklung,
inklusive der beobachteten epidemiologischen Verschie-
bungen (Biggs, 2020). Wie bereits in früheren Arbeiten
dargelegt (Korte, Beier & Bosinski, 2017; Korte, Beier, Sie-
gel & Bosinski, 2021; Korte & Wüsthof, 2015), werden als
mögliche Ursachen für den Anstieg der Neuvorstellungs-
5 Psychiatrische Erkrankungen und Klassifikationssysteme sind nicht einfach da, sondern Diagnosen und Klassifikationen werden gemacht– so
lassen sich die Einsichten des Wissenschaftsjournalisten Ethan Watters (2016) und des Medizinhistorikers Edvard Shorter (1992) zusammen-
fassen.
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354 A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht
rate verschiedene Faktoren diskutiert, die vermutlich
zusammenwirken:
• Die zunehmende mediale Verfügbarkeit von Informatio-
nen, im Speziellen zu Geschlechtsdysphorie im Kindes-/
Jugendalter, und die einseitige Verbreitung des in der
Regel nicht hinterfragten Narrativs „Im falschen Körper
geboren“, vornehmlich über entsprechende Internetfo-
ren oder YouTube-Videos, in denen junge Leute eupho-
risch über ihre Behandlung berichten; es kann vermutet
werden, dass dies einen Anstieg der Selbstdiagnosen
nach sich zieht.
• Auch durch das gegenüber Transpersonen toleranter ge-
wordene gesellschaftliche Klima und die (fraglos positiv zu
bewertende) wachsende Akzeptanz queerer Lebensent-
würfe dürfte die Zahl der sich outenden und Behand-
lung suchenden Betroenen jedweder Altersstufe ange-
stiegen sein.
• Das Angebot neuartiger Behandlungsmethoden, vor-
nehmlich die Methode der Pubertätssuppression, dürfte
maßgeblich zu einem Anstieg der Inanspruchnahme bei-
getragen haben; gerade in diesem Punkt, der im Rahmen
des transarmativen Ansatzes vollzogenen frühzeitigen
Weichenstellung durch Einleitung einer GnRH-Analoga-
Therapie, erscheint die Erwägung einer möglichen ange-
botsinduzierten Nachfragesteigerung angebracht.
• Der sich zunehmend in vielen Bereichen der Medizin
durchsetzende Machbarkeitsgedanke, also die Annah-
me, dass ein Geschlechtswechsel problemlos mittels heuti-
ger medizinischer Möglichkeiten durchgeführt werden
kann, verbunden mit der in unserer Multioptionsgesell-
schaft weit verbreiteten Überzeugung, dass die „freie
Wahl des Geschlechts“ als Grundrecht anzusehen ist, dürf-
te ebenfalls einen Einuss gehabt haben.
Soziale Ansteckung im
medialenKontakthof
Mit Sicherheit erfolgt auch im Zeitalter der massenmedial-
digitalen Dauerberieselung die Sozialisation von Kindern
und Jugendlichen noch immer erstrangig durch individuel-
le Beziehungs-/Bindungs- und anderweitige biograsche
Erfahrungen. Diese machen sie im analogen Leben – in der
Familie, in Bildungseinrichtungen sowie in der Gruppe
gleichaltriger Peers. Fraglos ist aber die zunehmend medi-
alisierte Umwelt, vor allem das Internet mit seinen vielfäl-
tigen Nutzungsperspektiven und Austauschmöglichkeiten,
zu einem wichtigen Sozialisationsfaktor geworden. Das
wirft die berechtigte Frage auf, welche Bedeutung dem
ständigen Raunen des Internets für die Identitätsentwick-
lung von Kindern und Jugendlichen – auch für die Entwick-
lung der sexuellen und geschlechtlichen Identität – beizu-
messen ist (Korte, Calmbach, Florack & Mendes, 2020).
Auf einer Plattform wie bspw. Pinterest ist die Zahl der
Suchanfragen von 2018 bis 2019 für Transthemen um
4000 % angestiegen. Vor allem junge Mädchen äußern in
sozialen Netzwerken und Chatforen einen „Geschlechts-
wechsel- bzw. Umwandlungswunsch“
6
und tauschen sich
intensiv darüber aus, fünfmal mehr als Jungen. Inzwischen
gibt es – wie die US-Journalistin Abigail Shrier schreibt –,
„mehr als ein Dutzend social media-Websites und Plattfor-
men, die die Entdeckung von transidenten Vorstellungen
fördern. YouTube, Instagram, Tumblr, Reddit, Twitter, Fa-
cebook, DeviantArt und TikTok z. B. sind sämtlich populä-
re Hauptumschlagplätze, die es ermöglichen, die eigene
Auassung zu teilen, und die die physische Transformation
unterstützen, sich über transphobische Bedenken hinweg-
zusetzen, die die Superkraft von Testosteron zelebrieren,
die Tipps oerieren, wie Verschreibungen verkuppelt wer-
den können“ (Shrier, 2021, S. 44, Übersetzung V. T.).
Lisa Littman (2018) hat als eine der Ersten auf die Be-
deutung von social contagion für die Ausbreitung des Phä-
nomens einer plötzlich auftretenden Trans-Identizierung
unter Jugendlichen hingewiesen und im Zuge dessen die
Bezeichnung Rapid onset gender dysphoriac (ROGD) vor-
geschlagen. Als typisch für diese Gruppe von meist (in
80 % der Fälle) weiblichen Jugendlichen ohne Vorge-
schichte einer Geschlechtsinkongruenz in der Kindheit
beschreibt sie, gestützt durch die Berichte von Eltern be-
troener Kinder, ein Abtauchen in entsprechende Inter-
netforen unmittelbar vor dem Trans-Outing, inklusive
wiederholter Rezeption von YouTube-Transitionsvideos.
Selbst die World Professional Association of Transgender
Health, die sich 2018 noch vehement gegen Littmans For-
schung ausgesprochen hatte, hat in der letzten Version ih-
rer Standards of Care von 2022 die mögliche Relevanz von
Peergroupkontakten eingeräumt: „[f]or a select subgroup
of young people, susceptibility to social inuence impac-
ting gender may be an important dierential to consider“
(Coleman et al., 2022, S. 45). Inzwischen gibt es weitere
6 Vielfach wird in Texten immer noch der Begriff „Geschlechtsumwandlung“ verwendet; eine „Geschlechtsumwandlung“ ist jedoch, anders als der
Wechsel der sozialen Geschlechtsrolle und die Durchführung körperverändernder Maßnahmen zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbil-
des an das geschlechtsbezogene Identitäts- bzw. Zugehörigkeitsgefühl, ein Ding der Unmöglichkeit. Um uns von dem Narrativ des „Im falschen
Geschlecht geboren“ zu distanzieren, verwenden wir im Folgenden auch die verkürzte Form „Geschlechtsangleichung“ zur (euphemistischen)
Beschreibung einer somato-medizinischen Transitionsbehandlung nur in Anführungsstrichen.
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A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht 355
Forschungsberichte, die für einen Zusammenhang des
Prävalenzanstiegs in der Adoleszenz mit ROGD auf der
Grundlage einer vorbestehenden psychischen Erkrankung
sprechen und der sozialen Ansteckung als Co-Faktor eine
wichtige Rolle beimessen (Diaz & Bailey, 2023; Hutchin-
son et al., 2020; Schwartz, 2021; Zucker, 2019).
Shrier zufolge drängen Lehrer, Therapeuten und Ärzte
gestresste und verwirrte Teens eilfertig in Richtung „Ge-
schlechtsangleichung“. Sie führt Belege für eine längst in
der Gesellschaft platzgreifende „Transgender-Politik“ an.
Erste US-Bundesstaaten (darunter Kalifornien und New
York) hätten Gesetze erlassen, die für Gesundheitsbe-
dienstete Strafen vorsähen, die sich weigerten, von
Patienten und Patientinnen verlangte Gender-Personal-
pronomina zu benutzen. Sie beschreibt zudem die irrever-
siblen Schäden, die nicht nur der Gesellschaft durch fal-
sches Denken, sondern insbesondere jungen Mädchen
und Frauen durch operative Eingrie zugefügt würden.
Sie schildert verwirrte Mädchen, agonisierte Eltern, die
Rolle von Beratern, Therapeuten und Ärzten, die es
leichtmachten, körpermodizierende („geschlechtsan-
gleichende“) Maßnahmen vorzunehmen, und die Proble-
me der Mädchen und jungen Frauen, die ihre Transitions-
behandlung rückgängig machen wollten und bitterlich
bedauerten, was sie sich angetan hätten. Was über diese
„Teenage-Mädchen hinwegfegt, wurzelt […] in Videos,
die im Internet kursieren. Diese zeigen von Internet-Gu-
rus inspirierte Mimikry, ein mit Freundinnen eingegange-
nes Versprechen, sich an den Händen haltend, die Luft
angehalten, die Augen fest zusammengeknien. Diesen
Mädchen verspricht die Transidentikation Freiheit von
der endlos verfolgenden Angst; sie befriedigt das tiefe Be-
dürfnis nach Akzeptanz, den Thrill der Grenzüberschrei-
tung, das verführerische Trällern des Dazugehörens“
(Shrier, 2021, S. XXIXf, Übersetzung V. T.).
Existenz und Durchschlagskraft von mass-social-me-
dia-induced illness, also einer durch soziale Medien ge-
triggerten (psychischen) Erkrankung, sind gut belegt.
Müller-Vahl et al. verstehen diese als „Ausdruck einer
kulturgebundenen Stressreaktion unserer postmodernen
Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die die Einzigartigkeit
des Einzelnen betont und seine vermeintliche Außerge-
wöhnlichkeit wertschätzt, wodurch aufmerksamkeitssu-
chende Verhaltensweisen gefördert und die permanente
Identitätskrise des modernen Menschen verschärft wer-
den“ (Müller-Vahl, Pisarenko, Jakubovski & Fremer,
2022, S. 476 – Übersetzung A. K.). Mehrfach beschrieben
wurde das Phänomen u. a. im Zusammenhang mit der
Beobachtung, dass während des pandemiebedingten
Lockdowns die Rate neu diagnostizierter (vermeintli-
cher) Tic- und Tourette-Erkrankungen unter Jugendli-
chen drastisch angestiegen ist, was darauf zurückgeführt
werden konnte, dass in dieser Zeit Videos von (real be-
troenen oder die Symptomatik nur simulierenden) You-
Tubern und Inuencern im Netz kursierten. Besondere
Verbreitung fanden diese über die Video-Plattform Tik-
Tok, weshalb diese als „funktionell“ einzuordnenden –
von organisch bedingten zu unterscheidenden – Tics
auch als „TikTok-Tics“ bezeichnet wurden (vgl. Buts et
al., 2022; Han et al., 2022; Müller-Vahl et al., 2020; Mül-
ler-Vahl, Pisarenko, Jakubovski & Fremer, 2022; Paulus
et al., 2021; Pringsheim et al., 2021).
Anknüpfend an zuvor Gesagtes und aus den vorbe-
schriebenen Erfahrungen mit ähnlich gelagerten Phäno-
menen (sozialer Ansteckung) lässt sich folgende Schluss-
folgerung ziehen: Mit „trans“ ist augenscheinlich eine
neuartige Identikationsschablone im Angebot, die, über
die Massenmedien in Umlauf gebracht, auf eine Gruppe
von vulnerablen Jugendlichen mit Problemen im Bereich
der Selbstwahrnehmung, Körperakzeptanz und Integra-
tion der pubertätsbedingten Reifungsvorgänge trit. Ein
seltenes Phänomen und Minderheitenproblem, das als
solches unbestritten besteht, wird aus falsch verstande-
ner Toleranz auf Kosten identitätssuchender junger Men-
schen medial und gesellschaftspolitisch instrumentali-
siert; das ist in doppelter Hinsicht tragisch: sowohl für die
wirklich von Transsexualität Betroenen als auch für
eine anteilsmäßig vorerst nicht quantizierbare Gruppe
von vulnerablen Jugendlichen, die ihre Angst vor indivi-
dueller Emanzipation und sexueller Selbstbemächti-
gung
7
durch Identikation mit identitären Gefühlskollek-
tiven und Gruppenzugehörigkeit aufzufangen suchen,
eigentlich aber eine andere Form des Schutzes und der
therapeutischen Unterstützung benötigten (Korte, 2022,
2023; Korte et al., 2021; Korte & Siegel, 2023).
Recht auf Lifestyle statt
aufGesundheit?
Seit Ende April dieses Jahres liegt der von der Ampelkoali-
tion lange angekündigte, unter Federführung vom Famili-
en- und dem Justizministerium erstellte Referentenent-
wurf (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend & Bundesministerium der Justiz, 2023) eines
Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Ge-
schlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften
(SBGG) vor – bereit für den noch ausstehenden Kabinetts-
7 Diese schließt auch eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Geschlechtsrollenstereotypen und internalisierter Homophobie
ein.
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356 A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht
beschluss und die Lesung im Bundestag. Die gesetzliche
Neuregelung soll ein modernes „medizinisches und ge-
sellschaftliches Verständnis von Geschlechtsidentität“ ab-
bilden, vor allem das alte Transsexuellengesetz (TSG) –
mit seinen bislang erforderlichen Begutachtungen zur
Vornamens- und Personenstandsänderung – ablösen.
Denn die aktuelle Rechtslage, so die Begründung, trage
den geänderten Vorstellungen auf diesem Feld „nicht aus-
reichend Rechnung“. Künftig soll nur noch eine einfache
Erklärung beim Standesamt für die „Geschlechtsände-
rung“ nötig sein. Dem Entwurf zufolge soll damit das Ver-
fahren für die Änderung des Geschlechtseintrags und der
Vornamen bei Varianten der Geschlechtsentwicklung
(DSD) einerseits und bei Abweichungen der Geschlecht-
sidentität („trans“, „non-binär“) vom Geschlechtseintrag
andererseits vereinheitlicht werden.8
Als besonders heikle, auch (fach-)öentlich kontrovers
und hochemotional diskutierte Punkte haben sich bislang
die Themen „Hausrecht – Umgang mit Transpersonen in
Frauen vorbehaltenen Bereichen“, das sog. „Oenba-
rungsverbot“, der „Umgang mit Transpersonen im Sport“
und vor allem die „Rolle und Rechte von Kindern und Ju-
gendlichen“ herausgestellt. Bei unter 14-Jährigen müssen,
so ist es im Gesetzesentwurf vorgesehen, die Eltern oder
Sorgeberechtigten eine Änderungserklärung abgeben. Bei
älteren Jugendlichen bedarf es der Zustimmung der El-
tern, die jedoch im Falle, dass diese sich dem verweigern,
durch das Familiengericht ersetzt werden kann, sofern die
Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vornamen
dem Kindeswohl nicht zuwiderläuft. Es stellen sich hier –
unter anderem – sogleich die Fragen,
• erstens, wer denn die Bewertung vornehmen soll, ob die
Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vorna-
men dem Kindeswohl entspricht (oder diesem zuwider-
läuft) und
• zweitens, ob Kinder mit Vollendung des 14. Lebensjahres
regelhaft in der Lage sind, Bedeutung, Tragweite und
Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu
können?
Etwaige medizinische Maßnahmen, dies gilt es als Verbes-
serung gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben (den vor-
ausgegangenen Referentenentwürfen von Bündnis 90/Die
Grünen und FDP – siehe dazu Korte, 2021) anzuerkennen,
werden nicht geregelt, es wird lediglich vermerkt – ohne
dies näher zu präzisieren –, dass beabsichtigt sei, „die Bera-
tungsangebote insbesondere für minderjährige Personen
auszubauen und zu stärken“. Die Verantwortung und Zu-
ständigkeit dafür fällt unseres Erachtens erstrangig den
therapeutischen und ärztlichen Fachgesellschaften zu.
Dies sehen die politischen Entscheidungsträger und auch
die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen zu LSBTIQ-
Themen jedoch ganz anders – was bezogen auf letztere
Gruppe nicht überraschen sollte. Denn zum einen entsprä-
che die Übertragung dieser Aufgabe und Durchführung als
Peerberatung dem Wunsch nach Entpathologisierung von
„trans“. Zum anderen dürfte die Implementierung bzw. der
Ausbau entsprechender Beratungsangebote mit dem Fluss
von Fördergeldern in nicht unerheblicher Höhe verbunden
sein, wie sich aus der Gesetzesvorlage herauslesen lässt.
Die am Kindeswohl orientierten Argumente und die Be-
gründung für eine Beibehaltung des Begutachtungsver-
fahrens zumindest bei nicht volljährigen Antragsstellerin-
nen und Antragstellern sind so umfassend und komplex
(Korte, 2021; Korte, Schmidt, Mersmann, Bosinski & Bei-
er, 2016), dass eine erschöpfende Darstellung den Rah-
men sprengen würde. Es sollen hier nur zwei Punkte ange-
rissen werden: Wir wissen aus Katamnesestudien, dass
sich die Selbstdiagnose „trans“ im Entwicklungsverlauf
nicht weniger Kinder und Jugendlicher nachträglich als
Fehleinschätzung herausstellt. Dies setzt allerdings vor-
aus, dass dem Kind ein Entwicklungsraum und Zeit ge-
währt wird. Ist es aber realistisch, anzunehmen, dass die
betroenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in
jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen
Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaenen
Fakten anzugehen, sprich die getroene juristische Ent-
scheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rück-
gängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg
einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit
einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwal-
tungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung
eine Persistenz der Geschlechtsdysphorie zur Transsexua-
lität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren?
Jüngere Studien liefern Hinweise, was eine frühzeitige
soziale Transition tatsächlich bewirkt: Sie treibt die Rate
der Persister nach oben (Morandini et al., 2023; Olson,
Durwood, Horton, Gallagher & Devor, 2022). Die Ein-
schätzung des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psy-
chotherapie e. V. (DGKJP),
9
dass es für die wegweisende
und folgenreiche Entscheidung einer juristischen Transi-
tion keiner fachlich fundierten, kinder-/jugendpsychiat-
risch gutachterlichen (sic!) Stellungnahme bedürfe, son-
8 Die Bundesärztekammer (2020) hatte in einer ausführlichen Stellungnahme deutlich gemacht, dass sich mit Intersexualität/DSD und Transse-
xualität unterschiedliche medizinische, rechtliche und ethische Fragestellungen verbinden und begründet, warum es hier einer differenzierten,
jeweils eigenen rechtlichen Regelung bedarf. Das hält die Politik nicht davon ab, mit der geplanten Einführung des SBGG die für Trans-Personen
und DSD-Betroffene je unterschiedlichen Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags in ein gemeinsames Verwaltungsverfahren zu über-
führen.
9 Vgl. die Stellungnahme der DGKJP vom 31.05.2023 zum Referentenentwurf (www.dgkjp.de/entwurf-des-selbstbestimmungsgesetzes/)
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A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht 357
dern die Inanspruchnahme einer bzgl. des Umfangs nicht
weiter präzisierten „Beratung und Prozessbegleitung“
ausreichend sei, teilen wir deshalb explizit nicht – ebenso
wenig wie den Optimismus, dass eine niederschwellige
Vornamens- und Personenstandsänderung positiv dazu
beitrüge, durch eine vollständige soziale Transition „Rol-
lensicherheit und -klarheit“ zu gewinnen, die dann „zur
Erhöhung der Sicherheit etwaiger medizinischer Behand-
lungsmaßnahmen“ führen sollte. Eine solche, u. E. nicht
hinlänglich durchdachte Argumentation unterschätzt die
normative Kraft des Faktischen! Ein weiterer Aspekt: Bis-
weilen kann die Begutachtung auch eine therapeutische
Intervention sein, ähnlich der lösungsorientierten Inter-
vention in familienrechtlichen Verfahren. In Anbetracht
der Tatsache, dass erfahrungsgemäß nicht selten zwi-
schen den beiden Elternteilen kein Einvernehmen bzgl.
der Frage einer vermeintlich transsexuellen Entwicklung
ihres Kindes besteht, birgt die Beibehaltung der bisheri-
gen Praxis eindeutige Vorteile, auch gegenüber einer et-
waigen Regelung, die lediglich eine Beratung vorsähe.
Essentialistisches Denken
undinkompetentes Schweigen
Immer wieder ist davon die Rede, die „Geschlechtsan-
gleichung“ sei erforderlich und unhinterfragt zu ermögli-
chen, wenn man sich „im falschen Körper“ bende.
Könnte es aber nicht vielleicht so sein, dass es sich um
eine „falsche Psyche“ – um ein „falsches Leben“, ein „fal-
sches Selbst“ – in einem „richtigen Körper“ handelt
(Tschuschke, 2023)? Jedwede Prämisse, die a priori von
einer naturalistisch oder essentialistisch gefassten Iden-
titätsentwicklung ausgeht, respektive diese zum Inhalt
hat, basiert auf fundamentalen Missverständnissen über
psychische Entwicklungsprozesse. Sämtlichen neurobio-
logischen Erklärungsmodellen zur Transsexualität ist ge-
meinsam, dass sie davon ausgehen, diese werde durch
ein gegengeschlechtlich funktionierendes oder struktu-
riertes Gehirn verursacht. Fakt ist jedoch: Die neurowis-
senschaftlich-genetische Forschung hat bislang keine
wirklich überzeugenden Nachweise erbringen können,
dass „Geschlechtsidentität“ biologisch bedingt (determi-
niert) und eine persistierenden Trans-Identizierung auf
eine vorrangig oder gar ausschließlich genetisch bzw.
hormonell bedingte Ätiologie zurückzuführen ist.
10
Aus Sicht der Entwicklungspsychologie ist es komplett
abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas sei, mit
dem man zur Welt kommt. Schon die ersten ausführliche-
ren Monograen zum Konstrukt „Geschlechtsidentität“
(engl. gender identity) betonten deren bio-psycho-soziale
Grundlage (vgl. Stoller, 1968). Im Zuge der psychosexuel-
len Entwicklung konstituiert sich ab dem Kleinkindalter
ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht, das sich
im weiteren Verlauf, insbesondere in der Adoleszenz, im
Zusammenhang mit der Entwicklung der eigenen Sexua-
lität und den ersten soziosexuellen Kontakten konsoli-
diert und individuell ausgestaltet. Auch Ponseti und Stirn
(2019) heben hervor, dass „Geschlechtsidentität“ stets
das Ergebnis einer individuellen Bindungs-, Beziehungs-
und Körpergeschichte ist. Identitätskonstruktion ist also
ein (lebenslang anhaltender) Prozess, das geschlechtsbe-
zogene Identitätserleben ein (sic!) Teil der Persönlichkeit,
und „Geschlechtsidentität“ muss – wie Identität über-
haupt – erst mühselig entwickelt werden. In der öentli-
chen – und leider auch in der fachlichen – Debatte wird
nahezu vollständig ausgeschlossen, dass es sich bei soma-
tisch gesunden Jugendlichen mit funktionsfähigen Ge-
schlechtsorganen und normalem hormonellen Haushalt,
die eine „Geschlechtsangleichung“ anstreben, um eine
psychische Verwirrtheit bzw. Reifungskrise und somit
eine vorübergehende Störung handeln könnte. In diesem
Sinne fragt auch Christoph Türcke (2021), warum die Psy-
choanalyse das Trans-Narrativ nicht problematisiere, ge-
höre es doch zum psychoanalytischen Einmaleins, erst
einmal das ganze psychische Feld abzutasten, aus dem
heraus der Wunsch nach einer „Geschlechtsangleichung“
entspringen könne. „Und selbst in Fällen, wo seine Her-
kunft verborgen bleibt, wo er sich partout nicht auösen
lässt, wo, gemessen an seinem schwer lastenden Druck,
die Geschlechtsumwandlung als das kleinere Übel er-
scheint, müsste Fachkundigen klar sein, dass dieser
Wunsch nicht auört, etwas Zwanghaftes, Auösungsbe-
dürftiges zu sein, und dass Personen, die sich einer Ope-
ration unterziehen, diese Zwangshypothese samt ihren
unerschlossenen Ursachen in die neue Geschlechtsidenti-
tät mitnehmen. Nicht von ungefähr bleiben ja die meisten
Umgewandelten weiterhin psychotherapiebedürftig“
(Türcke, 2021, S. 189 f.).
Mit dem sprunghaften Ansteigen der Transgender-
Wünsche, so Türcke weiter, wachse in der psychoanalyti-
schen Zunft auch die Neigung zu deren „Entpathologisie-
rung“ und zur „Übernahme einer Dienstleisterrolle“
(ebd.), sodass das gut gemeinte Anliegen der Entpatholo-
10 Die zahlreichen, in den vergangenen zwei Jahrzehnten vorgelegten, durchweg interessanten und anerkennenswerten Beiträge aus den unter-
schiedlichen Forschungsfeldern der Neurogenetik, Neuroendokrinologie, Neuroanatomie und Funktionellen Bildgebung hier überblicksartig
wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Es muss auf ausführliche Darstellungen an anderer Stelle verwiesen werden (z. B. Korte et al.,
2021; Korte, 2022, 2023).
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358 A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht
gisierung zunehmend ins Gegenteil umschlägt.
11
Zweifel-
los werden diese Kinder und Jugendlichen von inneren
Nöten geplagt, die Krankheitswertigkeit besitzen können.
Wenn aber Therapeuten und Ärzte sich vorschnell auf
eine Indikation zur medizinischen Transition festlegen,
laufen sie Gefahr, die Betroenen noch weiter in die Irre
zu führen, liegt eine subjektiv verzerrte Wahrnehmung
der Wirklichkeit doch in der Natur psychischer Störun-
gen.
12
Die Psychoanalytikerin Alessandra Lemma, eine
auf die Trans-Problematik spezialisierte Therapeutin,
sieht nur sehr wenige Fälle, bei denen eine „ge-
schlechtsangleichende“ Behandlung indiziert sei. Sie
betont die unreife und labile Durchgangsphase in der Pu-
bertät und in der darauolgenden Adoleszenz. „Das sub-
jektive Erleben des Geschlechts und der Prozess der Ado-
leszenz sind beide durch eine Fluidität und Unsicherheit
gekennzeichnet. Adoleszenz ist eine Entwicklungsphase,
in der die Überzeugung, alles sei machbar, genau hier und
genau jetzt, die Omnipotenzgefühle der psychischen Vor-
gänge illustriert. In der Tat lässt sich das adoleszente Sta-
dium wie eine Checkliste narzisstischer Pathologie lesen,
aber […] die Fluidität und die Experimentiererei, die da-
mit einhergehen, veranlassen uns, diesen Narzissmus und
die Omnipotenz, die dieses Stadium mit sich bringt, etwas
dierenzierter zu betrachten. […] Das omnipotente Grei-
fen nach allen möglichen Identitäten kann genauso
schnell verworfen, wie durch ein neues Verlangen ersetzt
werden, das besser zu passen scheint“ (Lemma, 2022,
S. 63; Übersetzung V. T.).
Es gibt bislang zu wenige Studien, die die Langzeitfol-
gen von „geschlechtsangleichenden“ somato-medizini-
schen Maßnahmen untersucht haben. Die wenigen, die
einen ausreichend langen und damit ernstzunehmenden
zeitlichen Follow-up und möglichst objektiv verfügbare
Daten zugrunde legen, verweisen darauf, dass es keinen
psychischen Vorteil nach sex reassignment surgery (SRS) –
auch als GRS (gender reassignment surgery) bezeichnet –
gibt: durchschnittlich nicht weniger Arztbesuche, nicht
weniger Hospitalisierungen, nicht weniger Angststörun-
gen oder Suizidversuche, sondern, notabene, eher mehr als
vor der „Geschlechtsangleichung“! Zudem bleiben Patien-
ten und Patientinnen nach erfolgter medizinischer Transi-
tion eine Risikogruppe, die sehr lange psychotherapeuti-
sche Begleitung benötigt. Zwar verweisen verfügbare
seriöse Quellen zum einen auf die echte psychische Not
hinter dem transsexuellen Wunsch, können zum anderen
aber nicht belegen, dass begehrenskonforme Behandlun-
gen im Schnitt Verbesserungen bewirken, sondern im Ge-
genteil, sie verursachen teils mehr Unglück, als vor der
Behandlung zu konstatieren war. „2011 erschien in Schwe-
den eine repräsentative, bevölkerungsgestützte Langzeit-
studie, in der die Daten von 324 transsexuell lebenden
Personen ausgewertet wurden, die alle eine ‚Geschlechts-
umwandlungsoperation‘ hinter sich hatten. Die Studie
kommt zu dem Schluss: Die Selbstmordrate bei den ope-
rierten transsexual lebenden Personen war fast zwanzig-
mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Etwa ab dem
zehnten Jahr nach den Operationen stieg die Suizidrate
rasant an“ (Heyer, 2016).
Heyer bezieht sich auf die Langzeitkatamnese der Ar-
beitsgruppe um Dhejne (2011). Simonsen et al. (2016)
fanden in ihren Langzeit-Follow-up-Untersuchungen he-
raus, dass die Komorbiditäten bei Geschlechtsdysphorie
vor und nach „geschlechtsangleichenden“ Maßnahmen
gleichbleiben. Dies wird meist unterschlagen, wenn mit
Hinweis auf die vermehrte Suizidideation unter ge-
schlechtsdysphorischen Adoleszenten sehr für eine Pu-
bertätsblockade geworben wird – wodurch sich nicht we-
nige Eltern betroener Kinder massiv unter Druck
gesetzt fühlen.
Die Frage nach der Henne
unddemEi
Einer etwas älteren schwedischen Studie (Meybodi, Haje-
bi & Jolfaei, 2014) zufolge wiesen 62.7 % der Patienten, die
mit einer sog. Geschlechtsdysphorie diagnostiziert waren,
mindestens eine weitere psychische Erkrankung auf. 33 %
von ihnen litten an Depressionen oder Suizidgedanken.
Ob die psychischen Störungen ursächlich für die Ge-
schlechtsdysphorie waren oder eine Folge derselben –
auch im Sinne des Minoritäten-Stressmodells –, lässt sich
nicht mit Sicherheit sagen. Gerade unter Minderjährigen
mit geschlechtsbezogenem Identitätskonikt ist der Anteil
psychisch stark belasteter Patienten mit einer hohen Rate
komorbider Erkrankungen, schwerer Psychopathologie
und vergleichsweise später Erstmanifestation der ge-
schlechtsdysphorischen Symptomatik in den letzten Jah-
ren empirisch belegt kontinuierlich weiter gestiegen (Be-
cerra-Culqui et al., 2018; de Graaf et al., 2021; Hutchinson
et al., 2020; Kaltiala-Heino et al., 2018, 2020; Sorbara,
11 „Diese gute Absicht […] kippt zunehmend ins Gegenteil. Heute verschaffen sich Trans-Aktivisten lautstark Gehör mit ihren moralisch aufgelade-
nen, politischen Forderungen, die eine Minderheit betreffen, denen sich die Mehrheit aber anpassen soll. Der Verdacht ist nicht ganz abwegig,
dass sich Ärzte diesem Zeitgeist beugen, um ihre Sensibilität für soziale Gerechtigkeit zu beweisen und nicht als transphob zu gelten. Wider-
stand gegen das Modephänomen kommt inzwischen aus der Szene selbst. Viele Transgender grenzen sich von den ‚Transtrendern‘ ab. So nen-
nen sie die Trittbrettfahrer“ (Schmid, 2020).
12 Vgl. Looti (2022) zum Konzept der „parataxic distortion“ von Harry Stack Sullivan.
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A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht 359
Chiniara, Thompson & Palmert, 2020; Strang et al., 2018;
Thrower, Bretherton, Pang, Zajac & Cheung, 2020; Zu-
cker, 2019).
Wie sollten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeu-
ten und -psychiater mit geschlechtsdysphorischen bzw.
transidentizierten Patienten umgehen? Was können sie
tun, welche Haltung sollten sie einnehmen? Zunächst soll-
te klar sein, dass sich diese Kinder und Jugendlichen mehr-
heitlich in sehr ernsten psychischen Nöten benden, die
aufgrund des Leidensdrucks eine hohe Krankheitswertig-
keit besitzen. Es sollte ebenso klar sein, dass psychodyna-
misch arbeitende Psychotherapeuten nicht nur ihre per-
sönliche Sicht hintanzustellen haben, sondern sich auch
ihrer Gegenübertragungsgefühle bewusst sein sollten.
Entscheidend ist die Herstellung einer vertrauensvollen
und tragfähigen Arbeitsbeziehung, spezische Technik
kommt erst im zweiten Schritt (Tschuschke, Koemeda-
Lutz, von Wyl, Crameri & Schulthess, 2020, 2022).
Die unhinterfragte Größenfantasie, alles sei machbar,
eben auch eine „Geschlechtsumwandlung“, ist eine Grö-
ßenfantasie des pubertären Entwicklungsabschnitts und
sollte Psychotherapeuten nicht dazu verleiten, eine unbe-
wusste Kollusion mit ihren Patienten einzugehen. Jugend-
liche blenden die lebenslangen Folgen einer somato-me-
dizinischen Transitionsbehandlung in der Regel aus. Eine
operative „Geschlechtsangleichung“ bringt unvermeidbar
Verstümmelungen am Körper mit sich. Damit werden,
nebst Verlust der Fertilität, die anatomischen Vorausset-
zungen für sexuelle Erregung und Befriedigung von ihrer
funktionalen Seite her beschädigt, zumindest beeinträch-
tigt, falls nicht sogar zerstört. Die vielfältigen und gravie-
renden Nebenwirkungen und Langzeitfolgen einer medi-
zinischen Transition, soweit bislang bekannt, haben wir
an anderer Stelle wiederholt ausführlich dargelegt (Korte,
2022, 2023; Korte et al., 2017, 2021; Korte & Siegel, 2023).
Wie in jeder anderen medizinischen Disziplin sind auch
psychotherapeutische Behandlungen Eingrie in einen
Krankheitszustand der zu Behandelnden, mit dem Ziel ei-
ner Heilung (weshalb Freud ja von der Hypnose abgeleitet
zuerst die „kathartische“ Methode und später die „Rede-
kur“ entwickelte). Es muss also etwas „kuriert“, eben ge-
heilt werden. Das geht nicht ohne Schmerz vonstatten, sei
es in der somatischen Medizin der körperliche, sei es in
der „Seelenmedizin“ der psychische Schmerz. Eine tiefen-
psychologische oder psychoanalytische Behandlung stellt
naturgemäß die Arbeit an den Motiven in den Fokus:
• Warum sucht der Patient die Behandlung auf? Warum
kommt er genau jetzt?
• Geht es ihm primär oder ausschließlich um eine Bestä-
tigung oder Unterstützung seines transsexuellen Be-
gehrens und Wunsches nach sozialer Transition – etwa,
weil die Eltern (wie im neuen sog. „Selbstbestim-
mungsgesetz“ vorgesehen) zustimmen müssen und der
Patient im Therapeuten einen Verbündeten in dieser
Angelegenheit sucht?
• Geht es ihm um Zweifel an seiner Entscheidung, ist er
ambivalent, sucht er Entscheidungshilfen, was sind
seine Fantasien, wieso meint er, kommt er überhaupt
zu dieser Thematik?
• Hat er bereits eine Vorstellung oder zumindest eine
vage Ahnung davon, in welcher Zeit er eine Klärung
herbeiführen will bzw. wieviel Zeit er bereit ist, zu
investieren?
• Hat er eine Vorstellung davon, was die Ziele psychody-
namischer Behandlungen sind?
• Weiß er, wie diese Behandlungsform im Prinzip arbei-
tet, wie ist er genau zu mir oder zu meiner Einrichtung
gelangt?
• Wurde er geschickt oder kommt er aus eigenem An-
trieb? Ist er selbst- oder fremdmotiviert?
Mit diesen Fragen klären sich entscheidend die dem Pati-
enten zugänglichen Motive und auch, ob eine psychodyna-
mische, d. h. koniktorientierte, aufdeckende Behandlung
eine ausreichend günstige Prognose hat. In der Behand-
lung von geschlechtsdysphorischen Kindern und transi-
dentizierten Jugendlichen sollten selbstverständlich stets
die Eltern in den psychotherapeutischen Prozess einbezo-
gen werden. Die Arbeit mit den Eltern birgt eine Reihe von
Schwierigkeiten. Sollten die Eltern „aus allen Wolken ge-
fallen“ sein ob des Begehrens ihres Sohnes oder ihrer
Tochter, stellen sich ganz andere Probleme, als wenn be-
reits längere Zeit seit ihrer Kenntnisnahme vergangen ist.
In einigen Fällen sind Eltern getrennt und aus koniktrei-
chen Gründen heraus ist der eine oder der andere Eltern-
teil nicht bereit, mit der Ex-Partnerin bzw. dem Ex-Partner
an der Therapie teilzunehmen. Oder beide Elternteile ver-
treten konträre Auassungen bezüglich des Transitions-
wunsches ihres Kindes. Oder beide Elternteile sind strikt
abgeneigt, einer „geschlechtsangleichenden“ Behandlung
ihres Kindes zuzustimmen. Wie dann aber verfahren,
wenn mindestens ein Elternteil sich empört abwendet
oder sogar dagegen arbeitet? Womöglich tun sich hier
schwerere familiäre Konikte auf, bei denen es sich um die
eigentlichen Probleme handelt und die sich am besten in
einer systemischen Behandlung bearbeiten ließen.
Es wäre eine ganze Reihe weiterer Koniktherde denk-
bar, die mit der häug alles überstrahlenden Trans-Thema-
tik eigentlich nichts oder wenig zu tun haben. So könnte
der Patient der Symptomträger sein, der einen unausge-
sprochenen, der Familie unerkannten Konikt ausdrückt
oder der beide getrenntlebenden Eltern durch sein schwer-
wiegendes Anliegen quasi wieder zusammenzwingen will?
Und wäre die Hypothese zu gewagt, dass die heftige „Waf-
fe“ eines drohenden „Geschlechtswechsels“ seitens des
Kindes ihm – unbewusst – als einzig verbliebener Hebel er-
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scheint, die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu lenken
(wie wir das ja nicht selten auch beim Krankheitsbild der
Anorexie beobachten)? Oder folgt der Patient einem un-
ausgesprochenen Wunsch der Eltern nach einem Kind an-
deren Geschlechts, indem er die Enttäuschung der Eltern
über sein biologisches Geschlecht doch noch korrigieren
will, indem er die elterliche Enttäuschung ausräumt, quasi
deren ursprünglichen Wunsch erfüllt?
Sorgfalt und Fürsorge statt
Transaffirmation
Es ist dringend geboten, sich in der Behandlung von ge-
schlechtsinkongruenten bzw. -dysphorischen Kindern
und Jugendlichen auf zwei Prinzipien zu besinnen, die
bislang als die vielleicht wichtigsten Grundsätze der Kin-
der- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie galten,
gewissermaßen den Kern des Selbstverständnisses des
Fachs bildeten: zum einen die Übernahme einer entwick-
lungspsychiatrischen Perspektive, zum anderen die (im
Wortsinn) ganzheitliche Betrachtungsweise. Letztere fühlt
sich, in Abgrenzung zu einem tumben biologistischen De-
terminismus, einem mehrdimensionalen, bio-psycho-so-
zialen Verständnis psychischer Störungen respektive Ver-
haltensabweichungen verpichtet und macht selbige
Erkenntnis, vor allem das Wissen um die große Häug-
keit pubertätsspezischer Reifungs- bzw. Altersrollen-
konikte, zur Richtschnur des diagnostischen und thera-
peutischen Handelns.
Pathogenetisch bedeutsame familiäre Verstrickun-
gen und eventuelle elterliche Delegationstendenzen
mit Übertragung eigener sexualitätsbezogener innerer
Konikte aufs Kind, wie auch fortbestehende, die Ent-
wicklung eines krisenfesten Selbst beeinträchtigende
ich-strukturelle Dezite, eine mangelhafte Mentalisie-
rungs- und fehlende Einsichtsfähigkeit aufseiten des
Kindes/Jugendlichen, die es ihm unmöglich machen,
Bedeutung, Folgen und Tragweite einer mit lebenslan-
gen Konsequenzen verbundenen Entscheidung abse-
hen zu können, lassen sich oft erst im Laufe eines thera-
peutischen Prozesses erkennen (und im besten Fall
auösen). Dies gilt in gleicher Weise für das Erkennen
von Koniktpathologien (vgl. Korte, Beier, Vukorepa,
Mersmann & Albiez, 2014) und die Aufdeckung von
häug nachweisbaren sequenziellen Beziehungstrau-
matisierungen sowie ganz allgemein für die Entwick-
lung eines Verständnisses für die je unterschiedlichen,
oft sehr komplexen Bedingungsfaktoren, die dem trans-
sexuellen Wunsch im individuellen Fall zugrunde
liegen.
In Abgrenzung zu einem therapeutischen Ansatz, wel-
cher die Transidentizierung gar nicht kritisch hinterfragt –
und bei Kindern/Frühadoleszenten mehr oder weniger au-
tomatisch auf eine pubertätsblockierende Behandlung
hinausläuft, die von den Befürwortern dieses Vorgehens
als medizinisch unbedenklich und ethisch unproblema-
tisch dargestellt wird –, favorisieren wir eine ergebnisoe-
ne, gender-kritische intensive Psychotherapie mit der Mög-
lichkeit der Auösung der Geschlechtsdysphorie (Korte
2022, 2023; Korte et al., 2017, 2021; Korte & Siegel, 2023).
Ein solches Vorgehen ist mitnichten eine Verletzung der
Persönlichkeitsrechte des Kindes, sondern eine am Fürsor-
geprinzip orientierte legitime Unterstützung der Persön-
lichkeitsentwicklung. Auch stellt dieses Verständnis des
therapeutischen Auftrags keinen Verstoß gegen das Gesetz
zum Schutz vor Konversionsbehandlungen dar, wie wie-
derholt fälschlich behauptet wurde (z. B. Romer & Möller,
2020). Eine Anfrage beim zuständigen Bundesministeri-
um, welches das Gesetz seinerzeit auf den Weg brachte,
konnte hier Klärung herbeiführen. Der Wunsch nach „Ge-
schlechtsangleichung“ kann und sollte als Symptom aufge-
fasst werden, mehr denn als diagnostische Kategorie. An
die Stelle der Vorstellung von den „genuin“ Transsexuellen
und der Fehlannahme, dass Transsexualität eine abgrenz-
bare Krankheitseinheit sei, ist lange schon die Erkenntnis
getreten, dass der transsexuelle Wunsch und die Fixierung
darauf vielmehr die gemeinsame Endstrecke unterschied-
licher normabweichender Entwicklungsverläufe bzw.
krankheitswertiger psychischer Alterationen darstellen,
deren Gemeinsamkeit in der von den Betroenen mehr
oder weniger leidvoll erlebten Inkongruenz und dem
Wunsch nach einem Leben im anderen Geschlecht be-
steht. Das Aufgeben der ursprünglichen Auassung von
Transsexualität als nosologische Entität zugunsten der
Idee von einer Vielfalt transsexueller Entwicklungsverläu-
fe erönet auch den Blick für die entsprechend vielfältigen
Lösungswege.
In psychodynamischen Therapien geht es um die Ar-
beit an den tieferliegenden Befürchtungen, Ängsten,
Traumatisierungen oder Sehnsüchten und nicht wie in
verhaltenstherapeutischen Behandlungen um die schnel-
le Beseitigung von Symptomen. Es ist keineswegs selten,
dass sich Konikte oder strukturelle Dezite auftun, die
sich mit einer „Geschlechtsangleichung“ keineswegs be-
heben ließen. Grundsätzlich kritisch stehen wir jeder uni-
versellen Heilsvorstellung gegenüber, die eine Linderung
von psychischem Leid in der Umsetzung ästhetisch-chir-
urgischer Maßnahmen sucht. Eine hormonelle Behand-
lung und operative Eingrie am gesunden Körper können
allenfalls in den sehr seltenen Fällen einer Geschlechts-
dysphorie vom transsexuellen Typus in einem gewissen
Maße hilfreich und damit ethisch vertretbar sein. Vor der
Indikationsstellung von nebenwirkungs- bzw. komplikati-
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onsbelasteten somatischen Maßnahmen, die das äußere
Erscheinungsbild mit dem inneren Identitätsempnden
des Betroenen in Einklang bringen sollen, ist die diag-
nostische Einschätzung der Irreversibilität der Geschlecht-
sidentitätstransposition unabdingbar, was jedoch nur im
Rahmen eines längeren diagnostisch-therapeutischen
Prozesses möglich erscheint. Der Anspruch, durch eine
Binnendierenzierung des Trans-Spektrums und entspre-
chende Diagnosesicherheit die Zahl der Rückumwand-
lungsbegehren zu minimieren, sollte nicht als Einmi-
schung in persönliche Belange der Patientinnen und
Patienten („Gate-keeping“) abgetan, sondern als Ausdruck
ärztlicher Sorgfaltspicht verstanden werden.
One more thing
Im Unterschied zu Romer und Möller-Kallista (2021), Ro-
mer und Lempp (2022) oder Meyenburg und Langhirt
(2023) sind wir der Auassung, dass stattndende gesell-
schaftliche Transformationen und Veränderungen des Se-
xualitätsdispositivs zwar entsprechend adaptierte und dif-
ferenzierte Vorgehensweisen erforderlich machen, dass es
aber auch Fehlentwicklungen gibt, die in gesellschaftspo-
litischen Problemen und falschen (rechts)politischen Wei-
chenstellungen ihren Ursprung haben. Nicht jeder unter
dem Mantel vermeintlicher Progressivität und Toleranz
daherkommende Trend und nicht alles, was auf öentli-
cher Bühne den Zeitgeist und den Mainstream dominiert,
dienen dem wissenschaftlichen Fortschritt und im konkre-
ten Fall dem Wohl von Kindern und Heranwachsenden. Es
gibt auch kulturelle und zivilisatorische Krisen, die in Ver-
fallserscheinungen münden können (Tschuschke, 2023).
Dies drückt sich derzeit an vielen Stellen als Krise der
westlichen Zivilisationen und der Demokratie aus. Einen
luziden Gedanken, der die Tür zum Verständnis der Ursa-
chen für die deutliche Zunahme des (Zeitgeist-)Phäno-
mens „Transgenderismus“ önen könnte und in dem wir
unsere eigene Ansicht wiedernden, hat unlängst Arne
Burchartz (2023) formuliert: „Das ‚Wachstum‘, untrenn-
bar mit dem Kapitalismus verbunden, stößt […] allmählich
an Grenzen – spätestens 1972 in der Studie ‚Grenzen des
Wachstums‘ des Club of Rome diagnostiziert (Meadows,
1972) – und so muss er unweigerlich in alle geograschen,
sozialen und psychischen Bereiche eindringen – unter Ver-
leugnung der Grenzen. Wenn nun aber der quantitative
Optimierungszwang allerorten kaum noch zu beherr-
schende Probleme mit sich bringt, bleibt als Optimie-
rungsprojekt nur noch das Individuum und sein Selbst, das
nun, mehr noch als bisher, in einen Strudel des Selbstopti-
mierungszwanges gerissen wird, um die stockende Ma-
schinerie eines anachronistischen Systems am Laufen zu
halten. Die Illusion der grenzenlosen äußeren Verfügbar-
keit bringt die Illusion der grenzenlosen Formbarkeit
(= ‚Flexibilität‘) des Selbst hervor“ (Burchartz, 2023,
S. 101).
Wir könnten es also mit einer ins Individuum verlager-
ten Krisenlösung und mit einer klassischen Verschiebung
im psychoanalytischen Sinne zu tun haben. Inhärente
(systemimmanente) Prinzipien unseres Wirtschaftssys-
tems – dynamische Expansion des Marktes, Angebotser-
weiterung und Diversizierung, Überbietungs- und Stei-
gerungslogik – schlagen sich im Individuum nieder,
indem sie auch dieses im Wortsinn ent-grenzen. Dies ge-
schieht unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden
Technologien, auch jener der Wunscherfüllungs- und
Lifestyle-Medizin. Grenzüberschreitung und Körpermo-
dizierung als totale Bedürfnisbefriedigung, Pluralisie-
rung der Geschlechterformen, „Toyotaisierung“ aller Le-
bensbereiche, angelehnt an den Werbeslogan „Nichts ist
unmöglich“ – Ausdruck der Fortschrittsutopie der post-
modernen Konsumgesellschaft und zynisches Verspre-
chen zugleich (Korte, 2023).
In unserem Beitrag haben wir verschiedene gesell-
schaftliche Veränderungen und Einwirkungen auf die
Identitätsbildung junger Menschen angeführt. Wir wol-
len mit unseren Überlegungen dazu anregen, diese Ein-
ussfaktoren kritisch zu reektieren, wissenschaftliche
Publikationen einem prüfendem, d. h. vor allem auch ei-
nem methodenkritischen Blick zu unterziehen – was auf
dem Gebiet der „Transgender-Health“-Medizin umso
wichtiger erscheint, weil es bis heute nicht eine einzige
kontrollierte vergleichende Studie gibt! – und in einem
konstruktiven, wissenschaftlich orientierten (ideologie-
freien) Diskurs die Argumente gegeneinander abzuwä-
gen. Alles andere als zielführend, sondern vielmehr kont-
raproduktiv, weil einer weiteren Wissensgenerierung im
Wege stehend, und für das Renommee unseres Fachs
schädlich ist es, die dringend zu führende Debatte über
ethische und oene Versorgungsfragen vorzeitig zu
schließen – bspw. indem man ständig von einem angebli-
chen „Paradigmenwechsel“ spricht (Romer & Lempp,
2022; Romer & Möller, 2020), der jedoch stets nur be-
hauptet, nicht jedoch belegt oder argumentativ unter-
mauert wird, etwa durch Verweis auf möglicherweise
neue, bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse
und einen fundamentalen Verständniszuwachs.
In einer Demokratie – und speziell in einer wissen-
schaftlichen Kontroverse – muss es möglich sein, Fakten
zur Kenntnis zu nehmen und eine sachbezogene inhaltli-
che Auseinandersetzung zu führen, anstatt der Empfeh-
lung radikaler Aktivisten zu folgen, jeden Widerspruch,
jede Form von Kritik und damit jede Diskussion mit perso-
nenbezogenen Anwürfen, Denunziationen, systemati-
schem Cancelling oder gar Drohungen kleinzuhalten (vgl.
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IGLYO, Thomson Reuters Foundation & Detons, 2019)13
und auf diese Weise den Diskurs zu verweigern. Sachliche,
wissenschaftlich gestützte Argumente gegen die frühzeiti-
ge Weichenstellung und Einleitung „geschlechtsanglei-
chender“ Maßnahmen, die im ersten Schritt in einer Pu-
bertätssuppression bestehen, sollten ernst genommen
werden – es gibt derer zahlreiche – und diesbezügliche Po-
sitionierungen, die unbeirrt auf die mangelhafte, nach den
Modied-Grade-Kriterien mit „very low certainty“ zu be-
wertende Evidenz einer solchen Behandlung hinweisen
(vgl. Chew, Anderson, Williams, May & Pang, 2018; Mah-
fouda et al., 2019; Cass, 2022), nicht wahrheitswidrig als
„Außenseitermeinung“ und als „Ausdruck einer trans-
feindlichen Gesinnung“ abqualiziert werden. Das wäre
das Gegenteil einer konstruktiv-kritischen fachlichen De-
batte und eines den demokratischen Spielregeln wie auch
dem selbst gesetzten Anspruch einer guten wissenschaftli-
chen Praxis folgenden für alle Beteiligten fruchtbaren
Dialogs.
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13 Diese Empfehlungen lassen sich nachlesen in einem den Verfassern vorliegenden, inzwischen nicht mehr auf der Homepage des Netzwerks
IGLYO (International Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer and Intersex Youth& Student Organisation) abzurufenden Strategiepapiers, das
zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele unter anderem vorsieht, die Debatte um „Trans-Rechte“ aus dem medizinischen Kontext herauszulösen
und stattdessen gezielt eine Kampagne auf den Weg zu bringen, die unter der Überschrift „Menschenrechte“ firmiert.
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2023), 51 (5), 351–365 © 2023 The Author(s) Distributed as a
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Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2023), 51 (5), 351–365 © 2023 The Author(s) Distributed as a
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CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1422-4917/a000944 - Saturday, September 09, 2023 5:55:32 AM - IP Address:213.255.196.55
A. Korte& V. Tschuschke, Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht 365
Anmerkung
Dieser Beitrag erscheint sowohl in der Zeitschrift für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie als auch in einer leicht
veränderten und erweiterten Version in der Sexuologie (2023), 30
(1–2), 7–21.
Historie
Manuskript akzeptiert: 14.07.2023
Onlineveröffentlichung: 08.09.2023
Interessenkonflikte
Es bestehen keine Interessenkonflikte.
Förderung
Open-Access-Veröffentlichung ermöglicht durch die Ludwig-
Maximilians-Universität München.
Dr. med. Alexander Korte, M. A .
Ltd. Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugend-
psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
LMU Klinikum, Ludwig-Maximilians-Universität München
Nußbaumstraße 5a
80336 München
Deutschland
alexander.korte@med.uni-muenchen.de
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