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Emotionale und soziale Geografien in der polnischen Literatur:
Räume der Reflexion und der Transformation
Emotionales und soziales Lernen durch literarische Bildung: Entwicklung und Erprobung von Materialien
für Schule, Universität, Weiterbildung und selbstverantwortliches Lernen in transformativen Projekten
No. 1: Liebe, Macht, Unterwerfung und Selbstbefreiung in Szczepan Twardochs Roman „Demut“ (Pokora)
Joachim Bröcher, Europa-Universität Flensburg, Website
Der Autor
Szczepan Twardoch, geboren 1979 in Żernica, Gmina Pilchowice, Oberschlesien, studierte Sozio-
logie und Philosophie an der Universität in Katowice; besondere Bindung an den schlesischen
Raum; zahlreiche Romanveröffentlichungen; mehrere Literaturpreise; Olaf Kühl übersetzt seine
Texte ins Deutsche.
Das Buch
Der aus einer kinderreichen Bergmannsfamilie stammende Alois Pokora erhält die Möglichkeit zu
höherer Schulbildung und Studium, doch er hat keinen leichten Weg vor sich; im Ersten Weltkrieg
kämpft er auf Seiten der Preußen, die bis 1918 Schlesien regierten; nach dem Krieg gelangt er ins
turbulente Berlin. Dort macht er neue sexuelle Erfahrungen, wird von seinen alten Lebensthemen
eingeholt und in die revolutionären Ereignisse verstrickt. Der Roman
Pokora
ist 2020 in Kraków
im Verlag Wydawnictwo Literackie erschienen; die deutsche Ausgabe erschien 2022, unter dem
Titel
Demut
bei Rowohlt, Berlin, übersetzt von Olaf Kühl.
Kontext und Ziel
In Weiterentwicklung der
Lebensweltorientierten Didaktik
(Bröcher, 1997, 2022) und aufbauend
auf früheren deutsch-polnischen Projekten (Bröcher und Toczyski, 2021; Toczyski und Broecher,
2021; Toczyski, Broecher und Painter, 2022), soll exemplarisch die polnische Literatur in ihrer
Bedeutung für die pädagogische Arbeit mit emotionalen und sozialen Themen erschlossen wer-
den, stellvertretend für andere und weitere Sprachen und Literaturen, die im multikulturellen
Deutschland der Gegenwart und anderen Migrationsgesellschaften, etwa den USA, eine Rolle
spielen. Kennzeichen der Lebensweltorientierten Didaktik ist traditionsbedingt der subjektzen-
trierte pädagogische Zugang, durch die Fokussierung auf Lebensthemen und Daseinstechniken
der jungen Menschen, eben in ihren diversen
Lebensräumen
, nun ergänzt durch das Konzept der
emotionalen und sozialen Geografien
sowie um Konzepte aus dem Bereich
Social and Emotional
Development through Literacy Education
. Im nächsten Schritt geht es um das Schaffen von Über-
gängen in sach– und wissenschaftsorientierte Lernprozesse, etwa in den Bereichen Sprache, Lite-
ratur, Soziologie, Philosophie, Psychologie, Geschichte oder Politik. Natürlich müssen literarische
Texte altersgemäß und je nach Zielgruppe und Situation ausgewählt und aufbereitet werden. Oft-
mals sind handlungsorientierte, fächerübergreifende oder kreativ-schöpferische Aneignungs– und
Auseinandersetzungsformen denkbar und möglich. Die Poster dieser Serie sollen in der nächsten
Zeit in Schulen, Universitäten, in der Weiterbildung und in transformativen Projekten, wo selbst-
verantwortlich gelernt wird, jenseits von Institutionen (Broecher und Painter, 2023), erprobt wer-
den. Ein einzelnes Poster hat nicht den Anspruch, die inhaltliche Komplexität oder die formale
Besonderheit eines Werkes in seiner Gesamtheit zu erfassen. Ich greife stets Einzelthemen heraus,
die mir bedeutsam erscheinen. Kooperationspartner_innen beim Projekt: Janet F. Painter, Lenoir-
Rhyne University, Hickory, NC, USA; Karolina Walkowska, Berlin und Piotr Toczyski, Maria
Grzegorzewska Universität, Warschau. Laufzeit des Projekts: 1.1.2020 - 31.12.2030.
Warum die polnische Literatur?
Erstens
war die von 1569 bis 1795 bestehende polnisch-litauische Adelsrepublik, die
Rzeczpospo-
lita
, ein pulsierender Vielvölkerstaat von enormen Ausmaßen, wodurch sich Erkenntnisse für das
heutige multikulturelle Deutschland ergeben könnten.
Zweitens
verschwand Polen durch die Er-
oberungspolitik Preußens, Österreich-Ungarns und Russlands im Zuge von drei Teilungen (1772,
1793, 1795) für 123 Jahre (bis 1918) vollständig von der Landkarte und überlebte als Nation vor
allem auch durch seine Literatur.
Drittens
: Die Deutschen haben 1939 beim Überfall auf Polen
und während der nachfolgenden Besatzungszeit (bis 1941 Besetzung des westlichen Teils Polens
und nach der Kriegserklärung gegen Russland auch des östlichen Teils) versucht, die polnische
Intelligenz vollständig zu vernichten. Professor_innen wurden verhaftet und interniert, Leh-
rer_innen erschossen und in polnischen Schulen wurde eine radikale Germanisierungspolitik be-
trieben.
Viertens
: 1945 verschob die Sowjetunion, die bis 1941 den östlichen Teil von Polen be-
setzt hielt, den kompletten polnischen Staat nach Westen, was Vertreibungen und Umsiedlungen
mit sich brachte. In der nun folgenden, bis 1989 andauernden, kommunistisch-stalinistischen Zeit
war es für die polnische Intelligenz kaum möglich, sich frei zu entfalten. Die Literatur lebte daher
teils im Untergrund, teils im Exil fort.
Fünftens
: Das heutige Polen erscheint zerrissen zwischen
europäischer Offenheit und nationaler Abschottung, ein Prozess der nun, nach Jahrzehnten nahezu
grenzenloser Offenheit, auch in Deutschland beginnt. Die polnische Literatur hat durch die ge-
nannten besonderen historischen Hintergründe immer schon einen sehr stark politischen und ge-
sellschaftlichen Charakter gehabt, viel stärker als es in Deutschland der Fall war und ist. Natürlich
geht es bei alldem auch um Emotionen und die Lebensthemen der Menschen, um die Räume, in
denen sie leben, um die emotionalen und sozialen Geografien eben, denn diese sind intensiv mit
den historischen, politischen und gesellschaftlichen Ereignissen verflochten. Wir haben also etli-
che Gründe die polnische Literatur zu lesen und aus den Werken polnischer Autor_innen zu ler-
nen, um emotionales und soziales Lernen voranzubringen und unser Verständnis alles Humanen
und Gesellschaftlichen zu vertiefen und zu erweitern.
Theoretischer Rahmen
Bilczewski, T., Bill, S. and Popiel, M. (Eds.) (2022).
The Routledge world companion to Polish li-
terature.
Milton Park, Abingdon, Oxon: Routledge.
Bröcher, J. (2022).
Lebenswelt und Didaktik. Unterricht mit sogenannten „verhaltensauffälligen“
Jugendlichen auf der Basis ihrer (alltags-)ästhetischen Produktionen
(2. korr. und ergänzte Aufl.).
Heidelberg: Universitätsverlag Winter, Open Access, Download.
Broecher, J. and Painter, J. F. (2023). Transformative community projects in East Germany's rural
spaces: Exploring more sustainable forms of learning, working, and living.
Frontiers in Sociology,
Vol. 8,
1164293, https://doi.org/10.3389/fsoc.2023.1164293, Download.
Bröcher, J. und Toczyski, P. (2021). Europäische Lernräume: Pädagogischer Austausch zwischen
Polen und Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges. In J. Bröcher,
Anders lernen, arbeiten und le-
ben. Für eine Transformation von Pädagogik und Gesellschaft
(S. 223-238). Bielefeld: transcript,
Open Access, Download.
Davidson, J., Bondi, L., and Smith, M. (2017).
Emotional geographies
(first release: Ashgate
Publ., 2005). London, New York: Routledge.
Skórczewski, D. and Polakowska, A. (2020).
Polish literature and national identity. A postcolonial
perspective.
Rochester, NY: University of Rochester Press.
Toczyski, P. i Broecher, J. (2021). Niemiecko-polskie doświadczenie, spotkanie, kontakt i dialog
w europeizacyjnej pedagogice Andrzeja Jaczewskiego i Karla-Josefa Klugego.
Kwartalnik Pe-
dagogiczny, 66
(1), 124-152, Open Access, Download.
Toczyski, P., Broecher, J., and Painter, J. F. (2022). Pioneers of German-Polish inclusive exchan-
ge: Jaczewski’s and Kluge’s Europeanization in education despite the Iron Curtain.
Prospects:
Comparative Journal of Curriculum, Learning, and Assessment, 52
(3-4), 567-583, Open Access,
Download.
Trojanowska, T., Niżyńska, J., Czapłiński, P., and Polakowska, A. (Eds.) (2019).
Being Poland: A
new history of Polish literature and culture since 1918.
Toronto: University of Toronto Press.
Tussey, J. and Haas, L. (Eds.) (2021).
Handbook of research on supporting social and emotional
development through literacy education
. Hershey, PA: IGI Global u.a.m.
Von einer anderen Person emotional und geistig abhängig sein, sich selbst dieser Person
unterwerfen und von dieser unterworfen werden
Ich wusste, ich darf dich nicht warten lassen, nach drei Sekunden kniete ich schon vor dir,
erst auf dem einen, dann auf beiden Knien, weil ich anders deinen Fuß nicht erreichen
konnte. Ich kniete und küsste (118)
Wiedziałem, że nie mogę pozwolić ci długo czekać, więc po jakichś trzech sekundach
klęknąłem przed tobą na jedno, a potem na oba kolana, bo inaczej nie mogłem przecież
twojej stopy dosięgnąć. Klęknąłem i pocałowałem (132)
Dann hast du dich umgedreht, den Schlafrock zugebunden und gesagt, ich solle jetzt ge-
hen, gleich würde dein Verlobter kommen und du müsstest dich vorbereiten. „Ich werde
mit ihm den Wein trinken, den du gebracht hast“, hast du gesagt (118 f.)
Potem odwróciłaś się, zawiązałaś szlafrok i powiedziałaś, że powinienem już iść, bo za-
raz przyjedzie twój narzeczony i musisz się przygotować. Wypiję z nim to wino, które
przyniosłeś, powiedziałaś (133)
...schlägst ein Bein über das andere, ich stehe vor dir. „Auf die Knie.“ Worte wie Peit-
schenhiebe. Drei Jahre habe ich dich nicht gesehen. Ein Schauder läuft durch meinen gan-
zen Leib. „Auf die Knie“, wiederholst du, eine Stimme wie ein Messer…Ich hebe den
Kopf. „Ich wollte…“ „Ich habe dir nicht erlaubt zu sprechen. Oder mich anzusehen…Du
stehst auf, machst ein paar Schritte, stehst über mir. „Ohne mich bist du ein Niemand,
siehst du das nicht?...Ich habe dich erschaffen (430 f.)
...zakładasz nogę na nogę, ja stoję przed tobą. Na kolana. Słowem jak batem. Nie
widziałem trzy lata. Przez całe ciało przebiega mi dreszcz. Na kolana, powtarzasz, głos
jak nożem…Podznoszę głowę. Ja nie… Nie pozwoliłam ci mówić. Ani patrzeć na mnie
(481)…Wstajesz, robisz parę kroków, stoisz nade mną. Beze mnie jesteś niczym, nawet
nie nikim, nie widzisz tego?...Ja cię stworzyłam (482)
„Du darfst gucken, Alois, aber nur für einen Augenblick.“ Ich schaue auf. Du stehst nackt
über mir…Du schlägst mit offener Hand ins Gesicht von Alois Pokara…„Schau weg“,
sagst du,…„Sehr schön. Zieh dich aus“, befiehlst du….Du gibst ihm eine weitere Ohrfeige
(433)… „Ausziehen“, fauchst du leise (434)…noch eine Ohrfeige…„und jetzt küss meine
Füße“…Ich bücke mich und küsse deine Füsse, Agnes (435)
Możesz spojrzeć, Alois. Ale tylko przez chwilę. Podnoczę oczy. Stoisz przede mną naga
(484)…Bijesz mnie otwartą dłonią w policzek Aloisa Pokory… Oczy w dół, mówisz…
Świetnie. Rozbierz się, rozkazujesz…Wymierzasz mu kolejny policzek (485)…
Rozbieraj się, syczysz cicho…Kolejny policzek (486)…A teraz ucałuj moje stopy…
Pochylam się i całuję twoje stopy (487).
Macht über jemand anderen haben, nur bedingt auf die Wünsche des/der anderen einge-
hen, um ihn/sie in Abhängigkeit zu halten
Ich sehe ein Flehen…Ich nehme die Hand von seinem Schoß, denn ich habe plötzlich et-
was begriffen, was ich vorher nicht geahnt hatte…, dass Smilos von mir unerwiderte Lie-
be mir Macht über ihn gibt…In meinem Körper nimmt die Erregung ebenfalls zu, ja ich
könnte mit von Kattwitz gehen, so wie ich mit Salmakis ging (308)…Ja ich könnte ihn
lassen, ich habe Lust darauf, aber dann würde ich die Macht verlieren, die er mir unverse-
hens gegeben hat und die ich mehr brauche als seine Berührung (309)
Widzę błaganie…Zabieram dłoń z krocza von Kattwitza, ponieważ nagle rozumiem coś,
o czym wcześniej nie miałem pojęcia…, rozumiem że nieodwzajemniona przeze mnie
miłość Smila daje mi nad nim władzę (342)…W moim ciele również wzbiera podnie-
cenie, tak, mógłbym pójść z von Kattwitzem, tak jak chodziłem z Salmakis…Tak,
mógłbym mu pozwolić, mam na to ochotę, ale wtedy straciłbym tę władzę, którą nagle
nieopatrznie mi darował, a której potrzebuję bardziej niż tego, by mnie dotykał (343)
Sich schließlich aus dem selbst mitkonstruierten Abhängigkeits– und Dominanzverhältnis
befreien, die vermeintliche Macht, die der/die andere über mich selbst hat, negieren und so
dem Ganzen die Grundlage entziehen
...ich fasse deine Hand im Flug, quetsche sie zusammen, „Das tut weh“, zischst du, ich
lasse los, stoße dich weg, es ist vorbei, Agnes, vorbei, du hast keine Macht mehr über
mich…wie viele Eigenschaften habe ich dir verliehen?...Und plötzlich war es, als wäre ich
zum Teich von Siloah gegangen und hätte mich gewaschen, ich war blind und bin sehend
geworden…„Du kommst zurück“, schreit Agnes. „Du kommst jetzt zurück und bettelst!“
Ich gehe raus, laufe die Treppe runter und weiß, dass ich nicht zurückkommen werde (440
f.)
… ja jednak chwytam twoją rękę w powietrzu, zaciskam mocno palce, to boli, syczysz,
puszczam, odpycham cię, to koniec. Agnes, to koniec, nie masz już nade mną władzy…
Jak wiele cech ci nadałem? (492)…I nagle jakbym wszedł do sadzawki Siloe i obmył się
w niej, nie widziałem, a widzę…Wrócisz tutaj! - krzyczy Agnes. Wrócisz tutaj i będziesz
żebrał! Wychodzę, zbiegam po schodach i wiem, że nie wrócę (493)
Impulse zur Reflexion:
Was sind das für Situationen, Szenen und Kontexte?
Was geschieht hier auf der äußerlichen Ebene des Verhaltens? Was geschieht auf der inne-
ren Ebene der Emotionen und Gedanken?
Worin besteht die Problematik des Ganzen?
Durch welche Beziehungserfahrungen entstehen solche Skripte und Drehbücher?
Wie lassen sich solche Skripte und Drehbücher verändern?
Zeigen sich solche Dominanz– und Unterwerfungsverhältnisse auch in anderen Lebensbe-
reichen? Wie und Wo?
Haben Sie selbst Berührung mit solchen Themen gehabt?
Gibt es solche Thematisierungen auch in anderen literarischen Werken?
Wie lässt sich diese Thematik wissenschaftlich einrahmen, mithilfe welcher Theorien, Mo-
delle und Konzepte?
veröffentlicht am 22. Juli 2023