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Rezension von: Antenhofer, Christina, Die Familienkiste

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Abstract

Christina Antenhofer, Die Familienkiste. Mensch – Objekt – Beziehungen im Mittelalter und in der Renaissance, 2 Bde. (Mittelalter-Forschungen 67). Ostfildern: Thorbecke 2022. 1320 S., 35 farb. Abb. 978-2-7995-4374-3. Geb. € 109,–
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aus guten Gründen mit dem ersten Stauferkönig Konrad III. verbunden und damit der
materiellen Kultur der Stauferzeit neu zugewiesen.
Ein mit zahlreichen Abbildungen prächtig ausgestattetes Buch, dessen durchweg anre-
gende Beiträge die rezente Stauferforschung pointiert auf die materielle Kultur des hohen
Mittelalters ausrichten und damit auch verstärkt mit der problematischen Forschungs- und
Rezeptionsgeschichte verbinden. Etliche spannende Neubewertungen „staufischer“ Arte-
fakte tragen zu seinen wesentlichen Erträgen bei, so dass die methodische Konzentration
auf die Überlieferungs- und Zuschreibungskontexte der „StauferDinge“ durchaus neue
Forschungsperspektiven aufzeigen kann.
Peter Rückert
Christina Antenhofer, Die Familienkiste. Mensch – Objekt – Beziehungen im Mittelalter
und in der Renaissance, 2 Bde. (Mittelalter-Forschungen 67). Ostfildern: Thorbecke
2022. 1320 S., 35 farb. Abb. 978-2-7995-4374-3. Geb. 109,
Während materielle Relikte aus dem Mittelalter nur spärlich überliefert sind – Schätzun-
gen gehen von höchstens einem Prozent der Goldschmiedearbeiten und noch weniger bei
Textilobjekten aus –, sind Objekte, allen voran natürlich Luxusgegenstände der Eliten, in
schriftlichen Quellen reich bezeugt. Den sich daraus ergebenden Erkenntnispotentialen im
Rahmen der „Material culture studies“ widmet die Verfasserin zwei umfangreiche Bände,
die überarbeitete Fassung ihrer 2014 an der Universität Innsbruck eingereichten Habilita-
tionsschrift. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage nach den Mensch-Objekt-
Beziehungen im Spätmittelalter. Der Ansatz verbindet quellenkundliche und philologische
Methoden mit diskursanalytischen Auswertungen und soll quantitative wie qualitative
Aussagen über Emotionen, Praktiken und Diskurse sowie die Geschichte des Verhältnisses
zwischen Menschen und Dingen ermöglichen.
Der Fokus liegt auf der analysierenden Auswertung „personenbezogener“ Inventare
(Nachlass-, Ausstattungsverzeichnisse) einiger deutscher und italienischer Dynastien im
14. und 15. Jahrhundert. Die Auswahl erfolgte überlieferungsbedingt wie aufgrund der Ehe-
verbindungen zwischen den aus dem oberitalienischen (Gonzaga, Visconti, Sforza) und
süddeutschen Raum stammenden Familien (Görz-Tirol, Habsburg, Wittelsbach, Württem-
berg). Als Quellen wurden neben 138 Inventaren auch 90 Testamente, 55 Eheverträge,
35 Hausverträge sowie weitere Urkunden und Briefe herangezogen (S. 21).
Auf die Einleitung (S. 1 45) folgen im Hauptteil der Arbeit zunächst zwei methodisch-
theoretische Kapitel: Kapitel I „Materielle Kultur: Theorien und Begriffe“ (S. 47 111)
reflektiert ausführlich die der Untersuchung zugrunde gelegten anthropologisch-soziolo-
gischen Theorien, Modelle, Begriffe und Leitparadigmen. Kapitel II „Das Mittelalter und
seine Objekte: Paradigmen und Überlieferungsformen“ (S. 113 – 205) fokussiert auf zentrale
Objektgruppen der materiellen Kultur des Mittelalters: Reliquien, Schatz und Gabe. Daran
schließen quellenkundliche Beobachtungen zu Inventaren, Testamenten, Ehe- und Haus-
verträgen sowie zu einzelnen Arten von Verwaltungsschrifttum an; auch Überlieferung,
Forschungsstand, Auswertungsmöglichkeiten und methodischer Umgang mit den jeweili-
gen Quellengattungen werden behandelt.
Die folgenden beiden Kapitel stellen ausführliche Quellenanalysen dar: Kapitel III „Din-
ge und Individuen: Fürstliche Inventare als Quellen für Lebensentwürfe und Ordnungs-
konzepte (14. und 15. Jahrhundert)“ beschäftigt sich auf über 450 Seiten (S. 207 674) mit
Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023)
© Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und
Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein e.V.
ISSN 0044-3786 (Print) und 2749-1277 (Online)
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ausgewählten Inventaren. Im Zentrum stehen dabei die Ausstattungsverzeichnisse italieni-
scher Fürstinnen, die in deutsche Fürstenfamilien einheirateten, in deren Hausarchiven sich
die Quellen erhalten haben. Als besonderes Stück wird der „Liber iocalium“, das Brautaus-
stattungsverzeichnis der Antonia Visconti von 1380 vorgestellt, detailliert analysiert
(S. 215 284) und mit weiteren Quellen verglichen: den Ausstattungsinventaren von Anto-
nias Schwestern Taddea und Elisabetta sowie weiteren an süddeutsche Höfe (Maddalena,
Viridis) und an den Gonzaga-Hof in Mantua (Agnese) verheiratete Schwestern. Daran
schließen diachrone Vergleiche an: einerseits mit dem Ausstattungsverzeichnis und dem
Garderobeninventar der Bianca Maria Sforza, andererseits mit Brautschatzinventaren deut-
scher Fürstinnen aus den Häusern Württemberg, Wittelsbach und Habsburg (Anna und
Mechthild von Württemberg, Elisabeth von Bayern, Agnes von der Pfalz, Anna und Katha-
rina von Habsburg). Diesem Frauengut wird das Männergut gegenübergestellt, erschlossen
aus Nachlassinventaren fünf ausgewählter Fürsten (Eberhard III. von Württemberg, Fried-
rich IV. von Österreich, Otto von Kärnten und Tirol, Heinrich von Kärnten).
Kapitel IV „Dinge und Dynastien: Gruppenspezifische Bedeutungen der materiellen
Kultur im Spiegel der archivalischen Überlieferung“ (S. 675 – 851) geht, geordnet nach Dy-
nastien und Quellengattungen, der Frage nach, was die Schriftquellen über die Beziehung
zwischen Objekten und Dynastien aussagen können.
Ein groß angelegtes Fazit bietet Kapitel V „Mensch-Objekt-Beziehungen im Mittelalter
und in der Renaissance: Einordnungen und Systematisierungen“ (S. 853 1082). In sechs
Unterkapiteln werden 1) Formen, Funktionen, Anlässe und Typen von Inventaren mitsamt
inhaltlichen Kategorien herausgearbeitet, 2) deren Entstehung und Entwicklung nachvoll-
zogen, 3) Objekte im Kontext des Vererbens betrachtet, vor allem mit Blick auf die Frauen-
habe, 4) Beobachtungen zu Kulturkontakt/-transfer sowie zur Wahrnehmung von Dingen
in narrativen und brieflichen Quellen angestellt, 5) Praktiken im Umgang mit Objekten
beleuchtet (Schenken, Vererben, Präsentieren, Schützen, Inbesitznehmen, Bewerten und
Beurteilen) sowie 6) ein Blick auf die heute noch erhaltenen materiellen Relikte aus den
untersuchten Beständen geworfen. Angefügt ist ein Exkurs zum sogenannten „Brautbecher
der Margarete Maultasch“ (nun besser als „Silberschale von Schloss Tirol“ zu bezeichnen).
Es folgen Resümee und Fazit (S. 1083 1107) sowie ein Anhang mit einem 35 Farbabbil-
dungen umfassenden Tafelteil, Quellen- und Literaturverzeichnis, Gestaltungsrichtlinien
für die Quellenzitate, Personen-, Orts- und Sachregister.
Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Neuen Kulturgeschichte und bietet neben
materialitäts- und geschlechtergeschichtlichen Erkenntnissen auch Beobachtungen zur Kul-
turgeschichte der Verwaltung, nicht zuletzt aber leistet sie wertvolle quellenkundliche
Grundlagenarbeit zur Quellengattung Inventar, die für jede weitere Beschäftigung mit In-
ventaren fundamental ist. Ein weiterer großer Verdienst dieser Arbeit liegt in der systemati-
schen Erschließung und Auswertung einschlägiger unedierter süddeutscher wie italieni-
scher Quellenbestände. Erfreulich ist, dass die verwendeten Quellen in den Anmerkungen
mit Links und Hinweisen auf ihre Online-Verfügbarkeit versehen wurden. Die Open Ac-
cess-Veröffentlichung der umfangreichen Studie erleichtert die Zugänglichkeit.
Die hier entworfene kulturhistorische Perspektive auf „das Zusammenspiel der Men-
schen mit ihrer materiellen Umwelt“ (S. 1082) ist überaus anregend. Sie bereichert nicht nur
die (vergleichende) landeshistorische Forschung, sondern eröffnet auch den Blick auf eine
grundlegende Quellengattung für die Erforschung der Lebenswelten von Fürstinnen. In
dieser Hinsicht darf man auch schon auf die angekündigte Edition des „Liber iocalium“ der
Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023)
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Antonia Visconti gespannt sein. Das vorgelegte Werk nimmt mit Sicherheit einen gewichti-
gen Platz in der Erforschung der materiellen Kultur des Spätmittelalters ein und wird die
künftige Beschäftigung damit befruchten. Anknüpfungspunkte bieten sich mehr als genug.
Anja Thaller
Wolfgang Wüst / Klaus Wolf (Hg.), Die süddeutsche Städtelandschaft – ein interregionaler
Vergleich. Berlin: Peter Lang 2021. 615 S., 79 Abb. ISBN 978-3-631-80117-8. 99,95
Der Sammelband enthält die Texte einer für 2020 in Erlangen geplanten interdisziplinären
und internationalen Tagung, welche „Corona“-bedingt abgesagt werden musste. Um den
„Wissensdurst zeitnah stillen zu können“ – wie Wolfgang Wüst im Vorwort schreibt –,
konnten die Referate mit Zustimmung der Autorinnen und Autoren nun in schriftlicher
Form veröffentlicht werden. Der leichteren Übersicht wegen sind sie sechs Sektionen zuge-
ordnet, die mit Attributen, wie z. B. „Die süddeutsche Städtelandschaft – regional prägend“
oder „Die süddeutsche Städtelandschaft – europäisch vergleichend“, Orientierung geben.
Der verfügbare Platz erlaubt es nicht, die Referate gebührend zu würdigen. Es muss
genügen, Autor/Autorin und Titel des Beitrags zu zitieren. Den Anfang machen die Her-
ausgeber mit Themeneinführungen, wobei der Historiker W. Wüst auf den der Geographie
entlehnten „Landschaftsbegriff“ aufmerksam macht und daran erinnert, dass es inzwischen
eine ganze Reihe von Darstellungen über Städtelandschaften gibt, die unterschiedlich räum-
lich, zeitlich und/oder thematisch konnotiert sind. Der Germanist K. Wolf hebt die sprach-
und literaturgeschichtliche Perspektive hervor, aus der Städte und Städtelandschaften be-
schrieben werden.
Ein komprimierter Überblick (S. 37 – 4 4) von Verena Gawert weckt Erwartungen über die
Inhalte der 20 Referate. Er ist mit „Zusammenfassung“ überschrieben – wäre eigentlich am
Schluss angebracht –, stellt aber eine Art „Vorschau“ auf die nachfolgenden, unterschiedlich
umfangreichen Abhandlungen dar.
Dieser „Vorschau“ schließt sich Sektion I „Die süddeutsche Städtelandschaft – land-
schaftsprägend“ mit drei Abhandlungstexten an. Wolfgang Wüst widmet sich den Städte-
bänken als Interessenvertretung auf Kreis- und Reichstagen (S. 49 – 78), Tom Scott stellt die
Oberrheinische Städtelandschaft vor (S. 79 88) vor, Helmut Flachenecker die Städteland-
schaft Franken (S. 89 116). Franken meint hier den Raum, der mit der Säkularisierung geist-
licher Herrschaften und der Mediatisierung weltlicher Standesherren und freier Reichsstäd-
te 1802/03/06 an das Königreich Bayern fiel, eine ziemlich heterogene Region. Einzelne
Städte in den Bistümern Würzburg und Eichstätt werden zudem kursorisch beschrieben.
Tom Scott beleuchtet die Verhältnisse am Oberrhein, findet aber kein passendes zentralört-
liches System, das die Genese der Mittel- und Kleinstädte in ihren engen territorialen Gren-
zen zu erklären vermag.
In Sektion II „Die süddeutsche Städtelandschaft – regional prägend“ lenkt dann Gerhard
Fritz den Blick auf die das Herzogtum Württemberg kennzeichnenden Verwaltungsstruk-
turen von Stadt, Kloster und Amt (S. 119 145). Die 14 bei der Säkularisierung (1552) aufge-
hobenen Klöster blieben als Verwaltungsbezirke mit einem evangelischen Abt als Vertreter
des Herzogs bestehen, die Bürgerschaft aber hatte es schwer, sich Gehör zu verschaffen.
Wie es mit dem Bildungswesen in süddeutschen Reichsstädten nach der Reformation und
während der frühen Neuzeit bestellt und wie die Schulaufsicht organisiert war, diesen Fra-
gen geht Wolfgang Mährle (S. 359 378) nach und stellt fest, dass überall der städtische Rat
Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 82 (2023)
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Württembergischer Geschichts- und Altertumsverein e.V.
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