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Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen. Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts "SIKID - Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt"

Authors:
  • Leibniz Institute for Media Research | Hans-Bredow-Institut (HBI)
WAHRNEHMUNG, BEWERTUNG UND
BEWÄLTIGUNG BELASTENDER ONLINE-
ERFAHRUNGEN VON JUGENDLICHEN
Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts
„SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“
Kira Thiel / Claudia Lampert
Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 65
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
2
Thiel, Kira; Lampert, Claudia (2023): Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Er-
fahrungen von Jugendlichen. Eine qualitative Studie im Rahmen des Projekts „SIKID – Sicherheit für Kinder
in der digitalen Welt“. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Mai 2023 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-
Instituts | Projektergebnisse Nr. 65)
DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.86633
ISSN 1435-9413
ISBN 978-3-87296-179-2
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz CC BY 4.0.
Die Hefte der Schriftenreihe „Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts“ finden sich zum Download auf
der Website des Instituts.
Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) erforscht den Medienwandel und die
damit verbundenen strukturellen Veränderungen öffentlicher Kommunikation. Medienübergreifend, inter-
disziplinär und unabhängig verbindet es Grundlagenwissenschaft und Transferforschung und schafft so
problemrelevantes Wissen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Eine derartige Medienforschung setzt
Kooperation voraus: Mit Partnern in vielen Ländern werden international vergleichende Fragestellungen be-
arbeitet. Mehr unter www.leibniz-hbi.de.
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) bedankt sich für die institutionelle
Förderung durch die Freie und Hansestadt Hamburg (Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung
und Bezirke, BWFGB) und die Bundesrepublik Deutschland (Bundesministerium für Bildung und Forschung,
BMBF).
Die Autorinnen und Autoren
Kira Thiel, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-
Institut (HBI) und beschäftigt sich im Rahmen verschiedener Projekte mit den Online-Erfahrungen von Her-
anwachsenden und insbesondere mit der Frage, wie sie mit belastenden Erlebnissen umgehen.
Dr. Claudia Lampert ist Senior Researcher am HBI und untersucht seit vielen Jahren, wie Kinder in digitali-
sierten Medienumgebungen aufwachsen, welchen Herausforderungen ihnen begegnen und welche Unter-
stützung sie benötigen, um die Potenziale zu nutzen und Risiken souverän begegnen zu können.
Projekt „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen Welt“
Das Arbeitspapier dokumentiert Ergebnisse, die im Rahmen des BMBF-Projekts
„Sicherheit von Kindern in der digitalen Welt - SIKID” (2021-2024) entstanden sind.
Wir danken den Kolleginnen und Kollegen aus dem Konsortium, insbesondere Dr.
Stephan Dreyer und Sünje Andresen sowie Steffen Südhoff für ihre Mitarbeit und
ihr konstruktives Feedback.
Verlag
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Rothenbaumchaussee 36 | 20148 Hamburg / Germany | Tel.: (+49 40) 450 217-0 | info@leibniz-hbi.de |
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Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
3
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ..................................................................................................................... 5
1.Einleitung ............................................................................................................................... 7
2.Methodische Vorgehensweise ............................................................................................... 9
3.Online-Erfahrungen von Heranwachsenden.......................................................................... 12
3.1 Online-Nutzung von Jugendlichen ............................................................................... 12
3.2Belastende Erfahrungen in Online-Interaktionskontexten ........................................... 16
3.2.1Gemeines bzw. verletzendes Verhalten und Beleidigungen ................................ 17
3.2.2Sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe....................................................... 20
3.2.3Belastungspotenzial negativer Online-Erfahrungen und ausgewählter
Risikophänomene .............................................................................................. 25
3.2.4Bewertung der Situation und emotionales Erleben ............................................ 25
3.2.5Belastungsfaktoren ........................................................................................... 27
3.2.6Stressorspezifische Unterschiede .................................................................... 35
3.3Zusammengefasst: Online-Nutzung bedeutet (auch) Risikomanagement in multiplen
Online-Öffentlichkeiten ................................................................................................ 37
4.Bewältigung belastender Online-Erfahrungen ..................................................................... 38
4.1 Formen der Bewältigung ............................................................................................. 38
4.2Wahrgenommene Wirksamkeit ................................................................................... 43
4.3Bewältigung als Prozess ............................................................................................. 44
4.4Zusammengefasst: Kombinationsvielfalt unterschiedlicher Reaktionen und
Bewältigungsstrategien .............................................................................................. 46
5.Unterstützungsangebote: Kenntnis, Nutzung und Verantwortungszuschreibung ............... 47
5.1 Wissen über und Inanspruchnahme verschiedener Unterstützungsmöglichkeiten ..... 47
5.1.1Vertrauenspersonen aus dem persönlichen Umfeld: Eltern, Familie,
Freund*innen ..................................................................................................... 47
5.1.2Ansprechpersonen im Schulkontext .................................................................. 48
5.1.3(Seelsorgerische) Beratungsangebote .............................................................. 48
5.1.4Psychologische Unterstützung .......................................................................... 49
5.1.5Polizei ................................................................................................................ 49
5.1.6Anbieter / Plattformen / Spieleentwickler ......................................................... 50
5.2Gute Unterstützung aus Sicht von Jugendlichen.......................................................... 51
5.3Verantwortungszuschreibung ..................................................................................... 52
5.4Zusammengefasst: Notwendigkeit bedarfsorientierter Unterstützungsangebote und
gemeinsamer Verantwortungsübernahme .................................................................. 55
6.Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von
Jugendlichen – Implikationen für Forschung und Praxis ...................................................... 56
6.1 Jugendliche nutzen vielfältige Strategien, um Risiken zu managen und negative
Erfahrungen zu bewältigen ......................................................................................... 56
6.2Implikationen für die Forschung und medienpädagogische Praxis .............................. 58
Literatur ..................................................................................................................................... 61
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
4
Anhang ...................................................................................................................................... 63
Anschreiben ......................................................................................................................... 63
Szenarien ............................................................................................................................. 66
Codewortbaum ...................................................................................................................... 67
Glossar .................................................................................................................................. 71
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Zusammensetzung des Samples ......................................................................... 9
Abbildung 2: Beispiele für die Legeaufgaben ........................................................................... 11
Abbildung 3: Faktoren, die Einfluss auf die Bewertung und das Erleben einer
risikobehafteten Situation haben können. ......................................................... 28
Abbildung 4: Übersicht über verschiedene Bewältigungsformen ........................................... 42
Tabelle 1: Übersicht über Themenschwerpunkte und Fragestellungen ............................... 8
Tabelle 2: Überblick über die Kommunikationsmöglichkeiten und
Nutzungsweisen der meistgenannten Online-Angebote ..................................... 14
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
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Zusammenfassung
Mit dem Aufkommen interaktiver Online-Angebote haben sich die Nutzungsmöglichkeiten digita-
ler Medien für Heranwachsende deutlich erweitert und ausdifferenziert. Verschiedene Studien
zeigen, dass Kinder immer früher und sehr ausgiebig soziale Netzwerkplattformen wie TikTok,
Instagram und BeReal nutzen, um sich zu informieren und sich mit anderen auszutauschen oder
sich mit anderen verbunden zu fühlen. Gleichzeitig ist die Interaktion mit anderen in unterschied-
lichen Online-Öffentlichkeiten, aber auch mit Herausforderungen und möglichen Risiken verbun-
den. Im Rahmen des BMBF-Projekts „Sicherheit von Kindern in der digitalen Welt (SIKID)” werden
diese sogenannten „Interaktionsrisiken” genauer in den Blick genommen und untersucht, was Ju-
gendliche in der Online-Kommunikation als belastend wahrnehmen, wie sie sich hinsichtlich ihres
Belastungserlebens unterscheiden und wie sie versuchen, diese belastenden Situationen zu be-
wältigen. Im Sommer 2022 wurden hierzu Interviews mit 16 Jugendlichen im Alter von zwölf bis
17 Jahren geführt. Die Interviews geben einen differenzierten Einblick in die Vielschichtigkeit der
Online-Erfahrungen Heranwachsender sowie Hinweise auf erforderliche Unterstützung durch
z. B. Eltern, Pädagog*innen, Plattformanbieter, Polizei etc. Im Folgenden werden die wichtigsten
Ergebnisse zusammenfassend dargestellt.
Jugendliche bewegen sich in vielfältigen Öffentlichkeiten, z. B. mit Mitschüler*innen in halb-
öffentlichen Klassenchats, mit Online-Bekanntschaften in Multiplayer-Spielen oder mit
Fremden oder Bots auf Social-Media-Plattformen.
Das Erleben von Interaktionsrisiken, wie z. B. unfreundliches und verletzendes Verhalten, se-
xuelle Grenzverletzungen und Übergriffe oder Cybergrooming, variiert sowohl in der Anzahl
der Vorfälle als auch in der Bewertung der Situation, der Intensität der Belastung und der je-
weiligen Emotion.
Aus den Aussagen der Jugendlichen konnten ereignis-, absender-, subjekt-, wahrnehmungs-
sowie kontextbezogene Belastungsfaktoren identifiziert werden, die jeweils einen Einfluss
auf das individuelle (Belastungs-)Erleben haben.
Bei belastenden Online-Erfahrungen wird von Kindern und Jugendlichen auf ein vielfältiges
Spektrum an Handlungsweisen zurückgegriffen. Einige wenden Strategien an, die auf den
Stressor gerichtet sind (z. B. technische Abwehrstrategien, passive Vermeidungsstrategien
oder Konfrontation), während andere versuchen, den Stressor z. B. Kommunikationsinhalte,
Personen oder Erlebnisse) zu ignorieren. Darüber hinaus finden sich in den Interviews auch
Hinweise auf kognitive und emotionsregulierende Strategien (z. B. Abwertung des Stressors
oder Ablenkung und Fokussierung auf etwas Positives).
Die Bewältigungsstrategien werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedli-
chen Kombinationen eingesetzt, je nach Situation und Belastungsgrad. Dabei können sich
einzelne Strategien, wie z. B. den Chatverlauf zu löschen oder unerwünschte Bildinhalte zu
entfernen, mitunter als kontraproduktiv erweisen, da sie eine strafrechtliche Verfolgung er-
schweren.
Im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Unterstützungs- und Hilfsangeboten lässt sich eine
Art „Unterstützungskaskade” erkennen. So wird nach dem Scheitern eigener Bewältigungs-
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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bemühungen zunächst auf die Hilfe von nahestehenden Personen wie Eltern und Freund*in-
nen zurückgegriffen und erst wenn diese an Grenzen stoßen, die Unterstützung weiter ent-
fernter Akteurs- und Personengruppen in Anspruch genommen.
Die Jugendlichen äußern unterschiedliche Bedarfe in Bezug auf Unterstützungsangebote.
Während für einen Teil der Befragten die instrumentelle und informationelle Unterstützung
(z. B. gemeinsam das Problem beheben oder einen Rat und weitere Informationen erhalten)
im Vordergrund steht, wünschen sich andere vor allem eine emotionale Unterstützung.
Eine gute Unterstützung zeichnet sich aus Sicht der befragten Heranwachsenden vor allem
durch wert- und vorurteilsloses Zuhören, Verschwiegenheit und das Gefühl, mit den eigenen
Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen zu werden, aus.
Jugendliche scheinen oft nicht zu wissen, welche Rechte sie im digitalen Raum haben und
wie sie diese durchsetzen können (z. B. in welchen Fällen die Polizei zuständig ist).
Die Ergebnisse geben wertvolle Hinweise darauf, wie Jugendliche versuchen, mit den vielfälti-
gen, teilweise auch belastenden Online-Erfahrungen, umzugehen und an welchen Stellen sie Un-
terstützung brauchen. Aus medienpädagogischer Perspektive sind vor allem solche Ansätze zu
befürworten, die Jugendliche für ihre Rechte im digitalen Raum sensibilisieren, ihr Unrechtsbe-
wusstsein schärfen und ihre Selbstbehauptung stärken. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf
sexuelle Grenzverletzungen, aber auch mit Blick auf das Thema Zivilcourage im digitalen Raum.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
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1. Einleitung
Mit dem Aufkommen interaktiver Online-Angebote haben sich die Nutzungsmöglichkeiten digita-
ler Medien für Heranwachsende deutlich erweitert und ausdifferenziert (Hasebrink, Lampert &
Thiel 2019; mpfs 2019, 2020). Neben Unterhaltungsangeboten sind es vor allem kommunikative
Dienste, wie z. B. Messenger-Apps und Social-Media-Plattformen, die eine besondere Faszina-
tion auf junge Nutzer*innen ausüben. Bereits im Grundschulalter zählt das Verschicken von
WhatsApp-Nachrichten zu den am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten im Internet bzw. am
Smartphone (mpfs, 2019). Im Medienalltag älterer Kinder und Pre-Teens gewinnen zunehmend
auch soziale Netzwerke, insbesondere Instagram, Snapchat und TikTok an Bedeutung (Cousseran
et al., 2021; mpfs, 2020).
Interaktive Online-Angebote wie diese bieten Heranwachsenden allerdings nicht nur Teilhabe-
möglichkeiten und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten (Livingstone & Haddon, 2009), sondern
gehen auch mit neuen Risiken einher, die eine unbeeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung und
-entfaltung im Sinne des Jugendschutzgesetzes gefährden.
Das betrifft insbesondere sogenannte Online-Interaktionsrisiken. Diese umfassen Phänomene
wie Cybermobbing, Grooming oder Hate Speech und können verstanden werden als „Potenziale
für negative Folgen, die sich aus digital vermittelter sozialer Interaktion ergeben“ (Dreyer et al.,
2022, S. 2).
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Studie mit der Frage, welchen Online-Risiken Her-
anwachsende begegnen und wie sie mit negativen Online-Erfahrungen umgehen. Ein besonderer
Fokus richtet sich dabei auf die Phänomene Cybermobbing, Grooming, Hate Speech und sexuelle
Grenzverletzungen.
Die Studie ist Teil des BMBF-geförderten Projekts „SIKID – Sicherheit für Kinder in der digitalen
Welt”, das in Kooperation mit dem Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften
(IZEW) der Eberhard Karls Universität Tübingen und der TU Berlin aktuelle Fragen der zivilen Si-
cherheit von Kindern in Onlineumgebungen und dabei speziell Sicherheitsgefährdungen durch In-
teraktionsrisiken in den Blick nimmt. Ziel ist es, mögliche Ansätze zur Regulierung, Strafverfol-
gung, Prävention und Medienmündigkeit interdisziplinär aus sicherheits- und medienethischer,
kinderrechtlicher sowie juristischer und psychologischer Perspektive zu erforschen und auf
diese Weise Kinder und ihre Rechte online zu stärken.
Der vorliegende Bericht bezieht sich auf die sozialwissenschaftliche, qualitative Teilstudie, in de-
ren Mittelpunkt die Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen
von Jugendlichen stehen. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die forschungslei-
tenden Fragestellungen für die Interviews:
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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Tabelle 1: Übersicht über Themenschwerpunkte und Fragestellungen
Themenschwerpunkt Fragestellung
Belastende Online-
Erfahrungen
Welche belastenden Erfahrungen haben die Jugendlichen
in Online-Interaktionskontexten schon selbst erlebt?
Wie sehen die jeweiligen Erlebnisse aus? (Dauer, Betei-
ligte, Rolle der Jugendlichen selbst)
Persönliche Grenzver-
letzungen/ Belastungs-
faktoren
Was sind persönliche Grenzverletzungen aus Sicht von Ju-
gendlichen?
An welchem Punkt kippt es bzw. wird es den Jugendlichen
zu viel?
Wo verläuft die Grenze? (auch kontextspezifisch)
Coping
Welche Strategien (sowohl kognitiv als auch Handlungen)
werden eingesetzt, um eine belastende Situation zu be-
wältigen?
Unterstützungs-
möglichkeiten
Welche Unterstützungsmöglichkeiten sind den Befragten
bekannt? Von wem oder was wird Unterstützung in An-
spruch genommen?
Verantwortungszuschreibung: Wer ist aus Sicht der Be-
fragten dafür verantwortlich, ihnen im Umgang mit belas-
tenden Online-Erfahrungen zu helfen? (Anbieter, Eltern
etc.)
Soziale Unterstützung: Welche Personen werden zu wel-
chem Zweck adressiert?
Welche Erwartungen haben Jugendliche an bestimmte
Unterstützungsangebote?
Wirksamkeit
Welche Copingstrategien werden in welchem Zusammen-
hang als hilfreich wahrgenommen?
Was macht gute Unterstützung aus?
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
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2. Methodische Vorgehensweise
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein qualitatives Vorgehen gewählt, das sich eng
an den ethischen Leitlinien für die Forschung zu sensiblen Themenbereichen (Stapf et al., 2022)
orientierte. Im Sommer 2022 wurden qualitative Leitfadeninterviews mit 16 Jugendlichen zwi-
schen 12 und 17 Jahren durchgeführt, wobei gezielt Heranwachsende befragt wurden, die schon
einmal eine (aus ihrer Sicht) negative Online-Erfahrung mit anderen Nutzenden gemacht haben.
Die Rekrutierung erfolgte über Jugendeinrichtungen sowie direkte Ansprache.1
Insgesamt nahmen 16 Jugendliche an der Studie teil, von denen sich neun dem männlichen und
sieben dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Teilt man die Teilnehmenden entsprechend
ihres Alters in zwei Gruppen ein (12 bis 14 Jahre und 15 bis 17 Jahre), ergibt sich eine Verteilung
von sechs Jugendlichen in der jüngeren und zehn Jugendlichen in der älteren Altersgruppe, wo-
bei das durchschnittliche Alter der Befragten zum Zeitpunkt der Interviews bei 15,1 Jahren lag.
Erwähnenswert ist, dass verhältnismäßig viele 17-Jährige an der Befragung teilgenommen ha-
ben. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die genaue Alters- und Geschlechterverteilung.
Abbildung 1: Zusammensetzung des Samples
12 bis 14 Jahre (n=6) 15 bis 17 Jahre (n=10)
Von den befragten Jugendlichen streben zehn einen höheren Schulabschluss (Fachabitur oder
Allgemeine Hochschulreife) an, während sechs auf einen mittleren Bildungsabschluss hinarbei-
ten.
Die Interviews fanden zwischen Juli und September 2022 in Hamburg, Niedersachsen, Thüringen
und im Saarland, und dort sowohl in städtischen als auch in dörflichen Gegenden statt. Die leitfa-
dengestützten Gespräche dauerten zwischen 40 und 103 Minuten und enthielten jeweils vier Fra-
genkomplexe mit wechselnden aktivierenden Methoden.2 Der Leitfaden gliederte sich in fol-
gende Themenbereiche:
1. Online-Nutzung: Zu Beginn des Gesprächs wurden die Jugendlichen zu ihren Online-Nut-
zungsgewohnheiten und -praktiken befragt. Neben den genutzten Geräten und der geschätz-
ten täglichen Nutzungsdauer stand die Nutzung von Angeboten, die Kontakt- und Interakti-
onsmöglichkeiten mit anderen Nutzenden (z. B. Social-Media-Plattformen, Messenger-
Dienste und Multiplayer-Games) bieten, im Vordergrund. Zu den genannten Plattformen
wurde jeweils erfasst, wie die Jugendlichen die Angebote typischerweise nutzen (z. B. ob sie
auch selbst etwas posten oder ob sie eher passiv-rezeptiv die Inhalte anderer konsumieren)
und mit wem sie dort in Kontakt stehen.
1
Angesichts der sensiblen Thematik wurden keine Jugendlichen einbezogen, die sich aufgrund schwerwiegender
negativer Online-Erfahrungen zum Zeitpunkt der Erhebung in psychologischer Behandlung befanden. Für den Fall,
dass die Jugendlichen psychologische Unterstützung gebraucht hätten, wurde eine Webseite mit verschiedenen
Beratungs- und Unterstützungsangeboten bereitgestellt.
2
Der Leitfaden befindet sich im Anhang.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
10
2. Belastende Erfahrungen in Online-Interaktionskontexten und ihre Bewältigung: Im zweiten
Teil des Leitfadens wurden zunächst konkrete Negativerfahrungen thematisiert, die die Ju-
gendlichen bei der Internetnutzung mit anderen gemacht haben. Die Jugendlichen wurden
eingeladen, die Situation(en) hinsichtlich der beteiligten Personen, der Dauer und des emoti-
onalen Erlebens zu schildern und bezüglich ihrer Belastungsintensität auf einer Skala von 1
bis 5 einzuordnen. Daraufhin wurden die individuellen Bewältigungsbemühungen und die
Wirksamkeit der eingesetzten Strategien mithilfe einer Legeaufgabe3 in den Blick genom-
men.
Um weitere Gesprächsanlässe zu schaffen und die Einschätzung der Jugendlichen zu ausge-
wählten risikobehafteten Online-Phänomenen zu erfassen, die sie ggf. nicht selbst erlebt ha-
ben, wurden hypothetische Szenarien zu den im Fokus stehenden Risikobereichen Cyber-
mobbing, Hate Speech und sexuelle Grenzverletzungen eingesetzt (s. Anhang). Diese Vorge-
hensweise ermöglichte es, über die eigenen Erfahrungen hinaus, das Wissen der Jugendli-
chen über Bewältigungsstrategien sowie (angebotsspezifische) Hilfs- und Unterstützungs-
möglichkeiten zu erfassen.
3. Wissen über (institutionelle) Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfsangebote: Der dritte
Teil des Leitfadens rückte die Frage nach der Bekanntheit institutioneller Unterstützungs-
möglichkeiten und Hilfsangebote in den Fokus. Um diese zu ermitteln, wurden die Jugendli-
chen gefragt, welche Hilfsangebote sie kennen und gebeten, diese hinsichtlich der wahrge-
nommenen Wirksamkeit in einem konzentrischen Kreis anzuordnen.
4. Verantwortungszuschreibung Online-Sicherheit: Im letzten Teil des Interviews wurden die
Jugendlichen gebeten – gestützt durch eine Liste vorgegebener jugendmedienschutzrele-
vanter Akteure – anzugeben, welchen Personengruppen und Institutionen sie Verantwortung
für die Sicherheit junger Menschen im Internet zuschreiben. In diesem Zusammenhang konn-
ten sie zudem äußern, was die entsprechenden Akteursgruppen aus ihrer Sicht tun könnten,
um die Online-Sicherheit für Kinder und Jugendliche zu erhöhen.
Am Ende des Gesprächs wurden in einem schriftlichen Kurzfragebogen allgemeine Angaben zur
Online-Nutzung (z. B. Nutzungshäufigkeit bestimmter Geräte und Angebote) sowie soziodemo-
grafische Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildung) erfasst. Die Erhebungen wurden mithilfe einer
Audioaufnahme, die entstandenen Materialien anhand von Fotos dokumentiert. Für ihre Teil-
nahme erhielten die Jugendlichen einen Online-Wunschgutschein im Wert von zehn Euro oder
zehn Euro in bar. Das Untersuchungsdesign wurde vor Beginn der Datenerhebung der Ethikkom-
mission der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPS) vorgelegt und von dieser als unbe-
denklich eingestuft. Im Vorfeld wurde der Fragebogen inklusive der interaktiven Elemente und
des Stimulusmaterials (Szenarien) zudem von Jugendlichen getestet und das Instrument ent-
sprechend angepasst.
Im Rahmen einer strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) wurden die transkribierten In-
terviews systematisch im Hinblick auf die zentralen Themenbereiche „Online-Nutzung”, „Belas-
tende Erfahrungen in Online-Interaktionskontexten und ihre Bewältigung”, „Wissen über Unter-
stützungsmöglichkeiten” und „Verantwortungszuschreibung Online-Sicherheit” zusammenge-
3
Die genannten Strategien wurden einzeln notiert und die Jugendlichen gebeten, die Notizzettel entweder zu einem
grünen Symbol (= hilfreich) oder einem roten Symbol (= nicht hilfreich) zuzuordnen.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
11
fasst und analysiert. Auf diese Weise ist es möglich, das Belastungspotenzial verschiedener In-
teraktionsrisiken sowie einzelne Copingstrategien zu identifizieren und diese (1) in Bezug zu den
konkreten Belastungssituationen (stressorspezifisch) zu setzen und (2) auf einer stressorunab-
hängigen, fallübergreifenden Ebene zu betrachten.
Abbildung 2: Beispiele für die Legeaufgaben
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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3. Online-Erfahrungen von Heranwachsenden
3.1 Online-Nutzung von Jugendlichen
Jugendliche sind auf vielen verschiedenen (Kommunikations-)Kanälen online. Die verfügbaren
Online-Angebote nutzen sie dabei sehr unterschiedlich und schneiden die vielfältigen Nutzungs-
möglichkeiten auf ihre Interessen und Bedürfnisse zu. Neben Unterhaltung, Spielen und der In-
formationssuche stellt Kommunikation ein zentrales Nutzungsmotiv online-basierter Anwen-
dungen dar. Viele Angebote ermöglichen eine Kontaktaufnahme bzw. einen Austausch zwischen
den Nutzenden, sei es auf Individualebene in Form einer persönlichen (Chat-)Nachricht, in halb-
öffentlichen Umgebungen wie z. B. Gruppenchats und Multiplayer-Games oder für alle öffentlich
sichtbar in der Kommentarspalte. Mit wem die Jugendlichen online in Kontakt sind bzw. kommen
und ob dieser Kontakt intentional erfolgt, hängt dementsprechend stark vom jeweiligen Angebot,
dessen Funktionen und Features, aber auch von der individuellen Nutzungsweise ab. Negative
Online-Erfahrungen sind also immer auch im jeweiligen Nutzungskontext zu betrachten. Daher
wird im Folgenden ein kurzer Überblick über die Nutzung verschiedener Plattformen durch die
befragten Jugendlichen gegeben.
Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema werden von fast allen Jugendlichen ge-
nutzt. Selbst die Jüngeren, deren Online-Nutzungsrepertoire meist noch weniger breit aufge-
stellt ist (Hasebrink et al., 2019), geben an, Messenger-Dienste, insbesondere WhatsApp, zu nut-
zen. Dabei steht klar die Kommunikation mit Bekannten, insbesondere den Eltern bzw. Familien-
mitgliedern, Freund*innen und Klassenkamerad*innen, im Vordergrund. Neben der Individual-
kommunikation nutzen einige Jugendliche Messenger-Dienste auch, um sich in Gruppen zu orga-
nisieren (häufig im Zusammenhang mit ihren Hobbys), wobei sich die meisten WhatsApp-Grup-
pen aus bekannten Personen (z. B. der Schulklasse oder Personen aus dem Sportverein) zusam-
mensetzen. Im Vergleich zu anderen Apps ist die Wahrscheinlichkeit hier gering, dass sie von
fremden Personen kontaktiert werden. WhatsApp scheint für die befragten Jugendlichen viel-
mehr einen Kommunikationskanal für engere persönliche Kontakte darzustellen, u. a. auch des-
halb, weil für die Kommunikation über WhatsApp die eigene Handynummer weitergegeben wer-
den muss (z. B. 02_w16).
„[...] du bist eigentlich auf so Apps so, um so mit
Freunden zu schreiben, einfach so, oder auch um neue
Leute über die kennenzulernen.” (Carla, 14 Jahre)
Etwas weniger wählerisch bezüglich ihrer Gesprächspartner*innen sind die Interviewteilneh-
menden auf Social-Media-Plattformen wie Snapchat. Zwar sind die Jugendlichen auch bei Snap-
chat großteils mit ihren Freund*innen in Kontakt, allerdings werden auf diesem Weg auch lose
Bekanntschaften (z. B. Urlaubsbekanntschaften und Freundesfreunde) gepflegt oder neue Kon-
takte geknüpft. So nehmen einzelne Jugendliche auch Kontaktanfragen von fremden Personen
an. Aus einigen Interviews geht hervor, dass die Plattform durchaus genutzt wird, um neue Leute
kennenzulernen. In diesem Zusammenhang wird auf eine Funktion von Snapchat verwiesen, bei
der Snapchat den Nutzenden neue Kontakte vorschlägt. Wie der Kontakt mit diesen verschiede-
nen Personen(gruppen) aussieht, ist dabei sehr unterschiedlich. Über die Plattform werden Fotos
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
13
mit anderen geteilt – entweder individuell an ausgewählte Personen oder als „Rundsnap” an meh-
rere Personen gleichzeitig –, „Flammen” gesammelt4 und gechattet. Einige Befragte sehen es als
eine Art digitales Tagebuch und als gute Möglichkeit, mit fremden Personen in Kontakt zu treten
und mit entfernten Bekannten in Kontakt zu bleiben, weil sie für die Nutzung von Snapchat ihre
Handynummer nicht herausgeben müssen und trotzdem chatten können.
Auch Instagram ist unter den befragten Jugendlichen beliebt. Welche Interaktionserfahrungen
Nutzer*innen auf Instagram machen, ist stark vom Nutzungsmodus (aktiv oder passiv-rezeptiv)
und von den persönlichen Privatsphäreeinstellungen (öffentlich vs. privat) abhängig. Diejenigen,
die zumindest hin und wieder etwas posten, bekommen diesbezüglich Feedback in Form von Li-
kes, Kommentaren oder Direktnachrichten – auch von fremden Personen (z. B. 11_m15, 12_w17,
14_w17). Allerdings lässt sich festhalten, dass viele der befragten Jugendlichen angeben, die App
hauptsächlich rezeptiv zu nutzen, um sich von den Fotos, Videos und Storys von Influencer*innen,
Stars und Idolen inspirieren zu lassen oder das Leben ihrer Freund*innen mitzuverfolgen und
dass sie, was das Posten eigener Inhalte betrifft, „eher zurückhaltend” (02_w16) sind. Zudem wird
die Plattform von einigen genutzt, um mit Freund*innen und Peers mittels der plattformeigenen
Direktnachrichtenfunktion zu chatten (z. B. 08_m15). Bezüglich der dort relevanten Kontaktper-
sonen berichten einige Jugendliche außerdem von der (meist unerwünschten) Kontaktaufnahme
in Form von Privatnachrichten durch unbekannte Personen oder Bots (z. B. 04_m17, 08_m15,
11_m15, 13_w17).
Obwohl TikTok, das von vielen Teilnehmenden als Lieblingsapp genannt wird, durchaus interakti-
ons- und kommunikationsorientierte Features bietet (wie z. B. Direktnachrichten, die Kommen-
tarspalte und die Möglichkeit, in Form eines Duetts oder Stitches auf die Clips von anderen zu re-
agieren), steht dort für die befragten Jugendlichen weniger der Kontakt bzw. die Kommunikation
mit anderen, sondern vielmehr der Unterhaltungsaspekt im Vordergrund. Dementsprechend sind
die Jugendlichen dort mit vergleichsweise wenigen Personen in Kontakt. Einige folgen ihren
Freund*innen und schicken sich ausgewählte TikToks hin und her (03_w14), im Vordergrund steht
allerdings für viele die Rezeption der in ihrem algorithmusbasierten „For you”-Feed angezeigten
Videos. Ob man auf TikTok mit anderen in Kontakt kommt, hängt – ähnlich wie bei Instagram
stark von der individuellen Nutzungsweise ab. So werden Jugendliche, die dort selbst Clips hoch-
laden, durchaus mit Kommentaren von anderen Nutzenden konfrontiert, und auch das Kommen-
tieren der Inhalte anderer kann zu einer Anschlusskommunikation bzw. Interaktion mit anderen
Nutzenden führen. In diesen Fällen sind es häufig fremde Personen, mit denen die Jugendlichen
auf TikTok in Kontakt kommen (z. B. 12_w17, 13_w17, 14_w17).
Ähnlich verhält es sich mit dem Videoportal YouTube, wo der Unterhaltungs- und Informations-
aspekt deutlich im Vordergrund steht. Zwar bietet die Plattform die Möglichkeit, in der Kommen-
tarspalte mit anderen in Kontakt zu treten (z. B., um Nachfragen zu stellen oder die eigene Mei-
nung zu kommunizieren). Diese Funktion wird von den Interviewteilnehmenden aber nur verein-
zelt genutzt (z. B. 07_m17). Auch auf YouTube ist der Nutzungsmodus – passiv-rezeptionsorien-
tiert oder aktiv – ausschlaggebend dafür, ob die Jugendlichen mit anderen Personen in Kontakt
kommen bzw. von Fremden kontaktiert werden. Jugendliche, die eigene Videos auf der Plattform
4
Hierbei handelt es sich um eine Funktion bei Snapchat, mit der mittels des Flammen-Emojis
🔥
neben den Namen
einzelner Kontakte angezeigt wird, wie regelmäßig man sich gegenseitig Snaps in Form von Bildern oder Videos
schickt.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
14
hochladen, können mittels der Kommentarfunktion von anderen Nutzenden angeschrieben wer-
den.
In Multiplayer-Online-Games wie Fortnite oder GTA kommen fast alle der interviewten (zumeist
männlichen) Jugendlichen, die sich nach eigener Aussage auf diesen Plattformen bewegen, mit
unbekannten Personen in Berührung. Dies hat den Grund, dass es bei vielen Games üblich ist, mit
unbekannten, zufällig zusammengewürfelten Personen zu spielen. Dabei gibt es die Möglichkeit,
über den Voice-Chat oder schriftlich miteinander zu kommunizieren. Hin und wieder ergeben sich
dabei längerfristige Kontakte, teilweise auch plattformübergreifend, mit denen sich die Jugend-
lichen häufiger zum Spielen verabreden (z. B. 01_m13). Meist bleiben die Kontakte mit unbekann-
ten Personen allerdings einmalig. Darüber hinaus verabreden sich einige der befragten Jugend-
lichen mit Freund*innen und Peers zum Zocken. Genannt werden im Zusammenhang mit Online-
Games auch Plattformen wie Discord, über die die Nutzenden mit anderen Gamer*innen chatten
und sprechen können. Auch dort kommt es vor, dass Jugendliche – teilweise auch über die Dauer
eines Spiels hinweg – neue Kontakte knüpfen (z. B. 15_m14).
Ein paar wenige Jugendliche geben an, Tellonym zu nutzen, eine Plattform, auf der Nutzer*innen
anonym Nachrichten, Fragen und Bewertungen posten können. Mit wem die Jugendlichen dort
in Kontakt kommen, ist für sie aufgrund der Anonymität nur bedingt nachzuvollziehen.
Einen Überblick über die Kommunikationsmöglichkeiten und den in den Interviews identifizierten
Nutzungsweisen der meistgenannten Online-Angebote gibt Tabelle 2.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
15
Tabelle 2: Überblick über die Kommunikationsmöglichkeiten und Nutzungsweisen der
meistgenannten Online-Angebote
Angebot Nutzungsmodi/
-motivation
Kommunikations- und
Interaktionsmöglichkeiten
Interaktionspartner*innen
Messenger
Kommunikation,
Alltagsorganisation
Privatchat (Individualkommunikation)
Gruppenchat
(z. B. Klassenchat; häufig auch Bezug
zu Hobbys)
Setzt voraus, dass
Gesprächspartner*in über
Handynummer verfügt
Kontakt hauptsächlich mit
bekannten Personen
(Freund*innen und Familie)
Snapchat Kommunikation,
Unterhaltung,
Beziehungsaufbau und
-pflege
Fotos versenden als Snap (an einzelne,
ausgewählte Personen) oder Rundsnap
(an alle Kontakte)
Flammen sammeln
Private Chatfunktion
Snap Map
Kontakt mit bekannten und
unbekannten Personen (auch
Bots)
Wird u. a. genutzt, um neue
Leute kennenzulernen
(zentrales Feature:
Kontaktvorschläge)
Instagram Unterhaltung,
Inspiration, seltener
Kommunikation
Privatchat (Individualkommunikation)
Bei aktiver Nutzung: (teil-)öffentlich in
Kommentarspalte
Kontakt mit bekannten und
unbekannten Personen (auch
Bots)
Abhängig von Nutzungsmodus:
Eher passive,
rezeptionsorientierte Nutzung
vs. aktive Nutzung
TikTok Unterhaltung und
Videos im „For you”-
Feed im Vordergrund
Privatnachricht mit Freund*innen
(Individualkommunikation)
Bei aktiver Nutzung: (teil-)öffentlich in
Kommentarspalte oder in Form von
Anschlusskommunikation nach
Kommentieren der TikToks anderer
Kontakt mit bekannten und
unbekannten Personen (auch
Bots)
Abhängig von Nutzungsmodus:
Eher passive,
rezeptionsorientierte Nutzung
vs. aktive Nutzung
YouTube Unterhaltung im
Vordergrund
Eingeschränkte
Kommunikationsmöglichkeiten
Bei aktiver Nutzung:
(teil-)öffentlich in
Kommentarspalte
oder in Form von
Anschlusskommunikation nach
Kommentieren der Videos
anderer
Kontakt mit bekannten und
unbekannten Personen
Abhängig von Nutzungsmodus:
Eher passive,
rezeptionsorientierte Nutzung
vs. aktive Nutzung
Online-
Games
Spielen Chatfunktion (persönlich/privat oder
„Alle-Chat”)
Kontakt mit bekannten und
unbekannten Personen
Wird u. a. genutzt, um neue
Leute zum gemeinsamen
Spielen kennenzulernen
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
16
3.2 Belastende Erfahrungen in Online-Interaktionskontexten
Fragt man Jugendliche offen danach, welche belastenden Online-Erfahrungen sie gemacht ha-
ben, werden sehr unterschiedliche Situationen genannt, die sich nicht immer klar einem konkre-
ten Risikobereich zuordnen lassen. Dennoch schien für die Auswertung und Darstellung der Er-
gebnisse eine grobe Einteilung der offenen Antworten in die übergeordneten Bereiche „Gemei-
nes und verletzendes Verhalten” (inklusive Cybermobbing und Hate Speech) und „Sexuelle Grenz-
verletzungen und Übergriffe” (einschließlich „Grooming”) sinnvoll.
Unter der Kategorie „Gemeines und verletzendes Verhalten” werden – in Anlehnung an die Opera-
tionalisierung im Forschungsprojekt EU Kids Online (Smahel et al., 2020; Hasebrink et al., 2019) –
alle Erfahrungen subsumiert, die antisoziale, aggressive Verhaltensweisen umfassen, wie z. B.
Beleidigungen, Verleumdung, Ehrverletzung, Ausgrenzung, Diskriminierung und die Herabwürdi-
gung einer anderen Person. Dabei reicht die Bandbreite von punktuellen Auseinandersetzungen
über diskriminierende Beleidigungen bis hin zu systematischem Cybermobbing.
Eine gezielt gegen bestimmte Personengruppen gerichtete Form aggressiven Verhaltens im
Netz stellt Hate Speech (dt. Hassrede) dar. Dabei handelt es sich um eine „kommunikative Aus-
drucksform in der Öffentlichkeit mit Botschaftscharakter [...], die absichtlich Ausgrenzung, Ver-
achtung und Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen fördert, rechtfertigt oder verbreitet
und durch die diese in diskriminierender Weise in ihrer Würde verletzt oder gedemütigt werden”
(Wachs et al., 2020, S. 224). Online kommt Hate Speech in Form herabwürdigender Nachrichten
oder Äußerungen, z. B. in Beiträgen, Kommentaren, Nachrichten, Videos oder Bildern vor (Wachs
& Wright, 2020). Diese beziehen sich häufig auf gruppenbezogene Merkmale wie die Hautfarbe,
(vermeintliche) Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion oder das Geschlecht. Bei der Auseinan-
dersetzung mit diesem Phänomen ist die begriffliche Abgrenzung zu „Hate” zu berücksichtigen.
Auch wenn die Begriffe „Online-Hate” oder „Cyberhate” im wissenschaftlichen Diskurs teilweise
synonym zu „Hate Speech” verwendet werden (z. B. in Wachs & Wright, 2021), wird der Begriff
„Hate” im alltäglichen Sprachgebrauch von Jugendlichen häufig deutlich allgemeiner verwendet,
beispielsweise um beleidigende Kommentare (auch ohne diskriminierenden Gruppenbezug) und
Shitstorms zu beschreiben (z. B. 04_m17, 05_w17, 13_w17, 14_w17). Aus Sicht der Befragten kann
Hate also sowohl individuell als auch gruppenbezogen sein und umfasst neben gruppenbezoge-
ner Diskriminierung auch Formen persönlicher Anfeindungen. Wenn in diesem Bericht von „Hate”
oder „Hate-Kommentaren” die Rede ist, ist daher in der Regel nicht Hate Speech im engeren Sinne
gemeint.
Sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe umfassen „Situationen, in denen eine Person ohne
Zustimmung und unaufgefordert in unterschiedlichem Maße sexuell konotierte [sic!] bzw. klar
sexuelle Äußerungen oder Darstellungen über elektronische Medien an Dritte übermittelt”
(Andresen & Dreyer, 2021, S. 2). Dazu zählen beispielsweise die unfreiwillige Konfrontation mit
sexuellem Bildmaterial, die unfreiwillige sexuelle Annäherung und Anmache sowie der Miss-
brauch von im Rahmen von Sexting generierten Inhalten (Dekker et al., 2016).
Eine besondere Form sexualisierter Grenzüberschreitungen im Online-Raum stellt Cy-
bergrooming dar. Dabei handelt es sich Webster et al. (2012) zufolge um „the process by which a
person befriends a young person online to facilitate online sexual contact and/or a physical meet-
ing with them, with the goal of committing sexual abuse“ (Webster et al., 2012, S. 5). Neben dieser
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
17
recht offenen Definition finden sich in der Literatur auch Begriffsbestimmungen, denen zufolge
Grooming sich durch bestimmte Charakteristika und Strukturmerkmale wie die Beteiligung er-
wachsener Gesprächspartner*innen, eine gewisse Zeit des Beziehungsaufbaus und verschie-
dene Manipulationsversuche (z. B. Geschenke, Schmeicheleien oder Drohungen) auszeichnet
(Wachs, 2014, S. 5).
Bei der Betrachtung und Einordnung der im Folgenden präsentierten Erfahrungen sollte berück-
sichtigt werden, dass diese, wie in Kapitel 3.3.1 näher erläutert wird, nicht immer ein starkes Be-
lastungserleben nach sich gezogen haben.
3.2.1 Gemeines bzw. verletzendes Verhalten und Beleidigungen
Viele der interviewten Jugendlichen berichten von gemeinem und verletzendem Verhalten, das
ihnen von anderen Personen online entgegengebracht wird. Beleidigungen, Ausgrenzung und
Diskriminierung finden dabei in verschiedenen Kontexten und in unterschiedlichen Personen-
konstellationen statt.
Einen möglichen Schauplatz für Beleidigungen und Cyberaggression stellen Multiplayer-Games
und im Kontext der Game-Nutzung etablierte Plattformen wie Discord dar. Dort kommen Jugend-
liche teils über den Voice-Chat, teils schriftlich mit verschiedenen Arten von Beleidigungen in
Berührung. Diese können eine Reaktion auf eine besonders gute oder schlechte spielerische
Leistung sein (07_m17, 08_m15) und von unfreundlichen Kommentaren bis hin zu wüsten Be-
schimpfungen reichen. 5
„Die brüllen einen dann einfach an und schreiben: ,Ja,
komm verpiss dich.‘ […] Ja, weil, also wenn du natürlich
Spaß an der Runde hast selber, egal ob da jetzt einer
beleidigt oder nicht, dann ist das gut, aber es verdirbt ja
jetzt einem ein bisschen auch die Laune und auch die
Konzentration im Spiel, wenn einer die ganze Zeit
beleidigt und beleidigt und beleidigt.“ (Tim, 13 Jahre)
Es gibt allerdings auch Beleidigungen ohne konkreten Anlass, dann nämlich, „wenn Leute einfach
aus Jux und Dollerei in eine Runde reingehen, nur um andere zu beleidigen und dann schnell wie-
der verlassen” (01_m13).
Solche expliziten Beleidigungen unterscheiden sich von eher impliziten Beleidigungen bzw.
Hassbotschaften, die sich nicht an eine konkrete Person richten, oder versteckte diskriminie-
rende Botschaften, die sich z. B. im Usernamen widerspiegeln. So berichtet ein 17-Jähriger von
einem User namens „N*****killer”, der ungerichtet rassistische Beleidigungen über den Chat ver-
breitete. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Jugendliche auch als Bystander mit Hass, Aggression
und Hate Speech in Online-Game-Kontexten in Berührung kommen. Auch auf Discord finden sich
5
Dies ist allerdings nur möglich, wenn der*die Äußernde über das Wissen verfügt, welcher Discord-Account zu einem
Spielerprofil in einem Spiel gehört. In der Regel sind das Bekannte. Es ist nicht möglich, jemandem auf Discord zu
beleidigen, von dem man innerhalb eines Spiels nur den dortigen Game-Nutzernamen kennt.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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diskriminierende, intolerante Äußerungen, die sich dem Phänomen der Hate Speech zuordnen
lassen (15_m14).
Diese boshaften Formen der Beleidigung werden von zwei Jugendlichen klar von spaßigen bzw.
scherzhaften Beleidigungen, insbesondere mit Freund*innen, abgegrenzt, bei denen ihnen zu-
folge alle Beteiligten wüssten, dass es sich hier um Spaß handelt (01_m13, 07_m17):
„Ja und ansonsten teils, also bei Fornite so untereinander mit Kumpels, die ich lange
kenne, so beste Freunde so, da macht mal man so ein Spaß, beleidigen sie auf Spaß,
da wissen wir auch, das ist untereinander Spaß” (01_m13).
Interessant ist außerdem, dass die Atmosphäre in manchen Spielen grundsätzlich als „toxisch”
wahrgenommen wird. Beleidigungen und aggressives Verhalten sind aus Sicht der Gamer*innen
also nichts Ungewöhnliches:
„So und ich weiß nicht warum, aber dieses Spiel ist einfach so unfassbar toxisch.
Wirklich, es gibt da Runden, wo teilweise nur im eigenen Team oder im All-Chat ge-
schrieben wird: ,Kill yourself’, oder so was” (08_m15; auch 01_m13).
Beleidigungen und Aggressionen begegnen Jugendlichen nicht nur im Gaming-Kontext, auch
über Messenger-Apps kann es zu beleidigenden, verletzenden Interaktionen kommen. Da Mess-
enger-Dienste wie oben bereits beschrieben – hauptsächlich für die Kommunikation mit be-
kannten Personen genutzt werden, stammen Beleidigungen oder aggressive, verletzende Nach-
richten, die über WhatsApp, Signal oder Threema versendet werden, meist von Menschen, die
auch im analogen Leben der Jugendlichen eine Rolle spielen. Dabei zeigt sich eine große Band-
breite an Phänomenen – von Ausgrenzung über Streitigkeiten und Drohungen bis hin zu systema-
tischem Cybermobbing.
„Dann ist es so, man schreibt irgendwie rein [in den
WhatsApp-Klassenchat], das war glaube ich, ja, ich habe
reingeschrieben: ,Ich fahre nächste Woche in Urlaub‘. So.
Und dann heißt es so: ,Juckt keinen, halt doch die Klappe.
[…] [E]s ist immer das gleiche, man schickt was rein und
man wird beleidigt, man schickt was rein, man wird
beleidigt, ja.“ (Tim, 13 Jahre)
Häufig gehen beleidigende, gemeine und verletzende Verhaltensweisen und Nachrichten in die-
sem Kontext von Gleichaltrigen aus. Diese können entweder in halböffentlichen Gruppenchats
(z. B. der Klassengruppe) oder in privaten Chats verschickt werden. In diesem Zusammenhang
berichten ein paar der befragten Jugendlichen von Konflikten und Beleidigungen, die erst in der
Online-Welt entstehen. Öfter scheint es allerdings vorzukommen, dass zwischenmenschliche
Probleme aus dem analogen Leben in die digitale Welt übergehen und dort weiter ausgetragen
werden. Dies wiederum kann zu negativen Konsequenzen wie einem Ausschluss aus dem Klas-
senchat führen. Im Zusammenhang mit dem Klassenchat wird zudem das als unangenehm emp-
fundene Ausmaß der dort geteilten Sticker und Nachrichten thematisiert. Ein Jugendlicher ver-
weist zudem auf eine grundsätzlich negative Kommunikationskultur im Klassenchat:
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
19
„[E]s ist immer das gleiche, man schickt was rein und man wird beleidigt, man schickt
was rein, man wird beleidigt, ja” (01_m13). Dabei werden vereinzelt auch Sticker als
Ausdrucksmittel thematisiert.
Hin und wieder kommt es vor, dass die Handynummer von (ehemaligen) Freund*innen ungefragt
an Dritte weitergegeben wird, wodurch auch unbekannte Personen oder entfernte Bekannte in
der Lage sind, die Jugendlichen über Messenger-Apps zu kontaktieren und sie zu bedrängen
(02_w16). Ein Jugendlicher (09_m12) berichtet zudem von der unerwünschten Kontaktaufnahme
auf WhatsApp durch eine fremde Person, die er vor allem deshalb als unangenehm erlebte, weil
er die Nummer nicht zuordnen und sich nicht erklären konnte, wie der Kontakt zustande gekom-
men war.
Im Peer-Kontext können zudem Streiche, sogenannte Pranks, vorkommen. Ein zwölfjähriger Be-
fragter erzählt in diesem Zusammenhang von einer Situation, in der er bei WhatsApp von einer
unbekannten Nummer kontaktiert wurde, die, wie sich später herausstellte, seinem Freund ge-
hörte. Dieser gab sich unter der unbekannten Nummer als Horrorclown aus und schickte ihm
Nachrichten wie „Ich weiß, wie du heißt, [Name des Befragten]. Ich weiß, wo du wohnst. Und so”
(06_m12).
„[…] Ja, also so ich wurde halt in der Grundschule auch
schon gemobbt wegen [Krankheit]. […] Und da hieß es
halt: ,Gehe verrecken an [deiner Krankheit].‘ Habe halt
auch früher deswegen tagelang wirklich geweint, und es
war halt einfach sehr schlimm für mich. Weil ich kann halt
einfach nichts für [meine Krankheit] und das war dann
halt irgendwie so frisch, das war dann einfach zu viel.“
(Pia, 17 Jahre)
Die Bandbreite der Art, Dauer und Intensität der Beleidigungen und antisozialen Verhaltenswei-
sen ist groß. Während es sich bei vielen der genannten Situationen um eher punktuelle Ereignisse
handelt, die die Jugendlichen bestenfalls untereinander klären können, gibt es auch Fälle von an-
dauerndem, systematischem Cybermobbing, die auch über unterschiedliche Plattformen statt-
finden können. Eine solche Erfahrung hat der 12-jährige Julien (09_m12) gemacht:
„Ja, meine ganze Klasse hat mich mal gemobbt. Die haben dann eine Gruppe erstellt,
„Hate Julien“, und da wurde ich reingeschickt, da haben alle verlassen, und haben halt
alle reingeschrieben ,Hate Julien‘ und so, also ,Hasse Julien‘. Und es haben mich halt
oft auch alle in der Klasse alle beleidigt, und aus so vielen Sachen ausgeschlossen”
(09_m12).
Als – nach Eingreifen der Lehrerin – die Gruppe kurze Zeit später gelöscht wurde, wurden ihm
weiterhin private Nachrichten wie „Ich hasse dich, oder ich mag dich nicht” (09_m12) über
WhatsApp zugeschickt.
Auch auf Social-Media-Plattformen kommt es vor, dass Jugendliche mit Beleidigungen, verlet-
zenden Verhaltensweisen und Hate konfrontiert werden. Das betrifft insbesondere Jugendliche,
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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die die Plattformen aktiv nutzen, d. h. die eigene Inhalte produzieren oder Persönliches von sich
preisgeben und diese Inhalte auf TikTok, Instagram oder YouTube hochladen. Die Kommentare,
von denen die befragten Jugendlichen berichten, reichen von eher unspezifisch beleidigenden
Aussagen (z. B. „Da kamen auch Kommentare drunter wie: Nutzlos’ und Sonstiges”, 11_m15) bis hin
zu sehr persönlichen Kommentaren, die sensible Themenbereiche berühren (z. B. „Ich hoffe, du
verreckst an [deiner Krankheit]”, 14_w17; auch 11_m15 und 12_w17). Von wem die Kommentare
stammen, ist für die Jugendlichen dabei nur bedingt nachzuvollziehen. Zwar haben einige der be-
troffenen Jugendlichen die Vermutung, dass es sich bei den Kommentierenden um bekannte
Personen, in der Regel um Peers, handeln könnte, und manche haben sogar einen konkreten Ver-
dacht, wer hinter den Kommentaren stecken könnte (12_w17, 14_w17). Sicher sind sie sich aller-
dings nicht. Grundsätzlich lässt sich mit Blick auf die in den Interviews geschilderten Situationen
festhalten, dass gemeine und verletzende Nachrichten dieser Art auf allen Plattformen auftreten
können, die über eine Kommentarfunktion verfügen.
Doch nicht nur die Kommentarfunktion, auch andere Funktionen und Features der Apps können
genutzt werden, um Personen zu beleidigen und zu diffamieren. So berichtet eine Befragte von
einer (mindestens halböffentlichen) Instagram Story ihres Ex-Freundes, in der „drin steht, dass
ich ja die größte Hure wäre und mein Freund ja Nacktbilder von mir verschicken würde” (12_w17).
Sie selbst wurde auf die Story aufmerksam, weil eine Bekannte sie darauf ansprach.
Nicht zuletzt lässt sich festhalten, dass die in Bezug auf Messenger-Dienste angesprochenen Ar-
ten von Beleidigungen und verletzenden Verhaltensweisen auch auf Social-Media-Plattformen
stattfinden können, die über eine Chat- bzw. Direktnachrichtenfunktion verfügen (z. B. 08_m15).
Es gibt auch einzelne Fälle, in denen die Interaktion plattformübergreifend stattfindet. So berich-
tet ein Jugendlicher von einem Vorfall, bei dem er über ein Online-Game jemanden kennenlernte,
dem er zunächst seinen Instagram-Kontakt weiterleitete und schließlich seine Handynummer
gab (11_m15).
3.2.2 Sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe
Ein weiteres Risiko, das sich aus der Interaktion mit anderen ergibt, stellen sexuelle Grenzverlet-
zungen und Übergriffe dar. Zwei typische Formen sexueller Grenzverletzungen in Online-Umge-
bungen sind der unerwünschte Erhalt sexueller Bilder und sexuell konnotierter Nachrichten. In
den Interviews berichteten mehrere der befragten Jugendlichen – insbesondere Mädchen – von
entsprechenden Erlebnissen.
„Ja, also, mir ist es auch schon passiert, tatsächlich, dass
man dann einfach annimmt, man guckt sich das dann an,
ohne groß drüber nachzudenken und dann ist es ein… ich
sage jetzt mal Schwanzfoto oder so. […] Da ist Snapchat
schon Plattform für, würde ich jetzt mal behaupten.“
(Sina, 16 Jahre)
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
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Die Mehrheit der befragten Mädchen hat schon explizite Fotos, z. B. „Schwanzfotos” (02_w16)
bzw. „Dick Pics” (02_w16, 03_w14, 14_w17) zugeschickt bekommen oder weiß von Freundinnen,
dass diese ähnliche Erfahrungen gemacht haben (02_w16, 03_w14, 13_w17, 14_w17). Zum Teil
scheint ihnen dieses Phänomen weit verbreitet zu sein („irgendwie [..] gang und gäbe”, 02_w16).
„Also dann kommt auf einmal Smalltalk. Also einfach
Smalltalk. Und dann sagt du, ja okay. Dann redet man halt
und dann auf einmal kommt halt ein Foto.”
(Carla, 14 Jahre)
Häufig geht dem Erhalt der Fotos eine kurze Chatunterhaltung (mit einer unbekannten Person)
voraus: Eine Teilnehmende berichtet:
„Und zwar war das ungefähr vor zwei Wochen oder so. Da hat mir jemand nicht ge-
glaubt, weil ich glaube, ich hatte aus Versehen ein Bild irgendwie von meiner Ge-
sichtshälfte oder so fotografiert und da hat man halt deutlich gesehen, dass ich kurze
Haare habe. Dann hat er mir nicht geglaubt, dass ich halt weiblich bin und dann wollte
er halt ein Intimfoto von mir haben, wo ich gesagt habe: ,Nein’. Und dann hat er mich
gefragt, ob ich seinen Intimbereich sehen will. Und ich habe halt nein gesagt und er
hat mir trotzdem ein Bild geschickt, ja” (14_w17).
Wenn es um Berührungspunkte mit derartigen Bildern geht, wird von den Jugendlichen oftmals
die Plattform Snapchat genannt. Aus ihrer Sicht ist dies wenig überraschend, da die Plattform
einige Funktionen bietet, die ein solches Verhalten begünstigen. Das betrifft u. a. die Funktion
der selbstlöschenden Fotos. Viele Snaps können nur einmal aufgerufen werden und werden nur
eine vom Absender festgelegte Zeit angezeigt, bevor sie automatisch gelöscht werden. Dass
man – zumindest unbemerkt – keine Screenshots machen kann, ist einerseits ein positives Fea-
ture, da es Sicherheit suggeriert. Andererseits erweist es sich als Problem, da unangemessene
Inhalte nicht als Beweis gesichert werden können:
„Weil da ist es halt auch so, du kannst nichts, also nicht unauffällig screenshoten,
ohne dass die andere Person das weiß. Wenn man einen Screenshot macht, wird das
angezeigt im Chat. Und das heißt, du kannst die Person auch nicht irgendwie, sage
ich jetzt mal, anzeigen oder so wegen Belästigung, weil du kennst halt auch nicht ih-
ren richtigen Namen” (03_w14). Neben Snapchat werden aber auch Instagram und O-
meTV im Zusammenhang mit sexuellen Bildern genannt (02_w16, 03_w14).
Meist sind es fremde Personen, die unerwünschterweise sexuelle Fotos an die Jugendlichen ver-
schicken. Es gibt aber auch Fälle, in denen entsprechende Bilder von bekannten Personen stam-
men.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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„Die haben mich halt geaddet, und da ich wusste, wer die
sind, habe ich halt angenommen, und da haben die mir
das geschickt und da habe ich gesagt: ,Ich habe gar
keinen Bock auf so was’, und da habe ich die auch direkt
wieder gelöscht” (Chiara, 17 Jahre).
Jugendlichen werden nicht nur sexuell konnotierte Bilder zugeschickt, sie werden auch darum
gebeten, entsprechende Fotos aufzunehmen und an die Kontaktperson zu senden oder sie wer-
den zu sonstigen sexuellen Handlungen aufgefordert. Diesen Aufforderungen geht in der Regel
ein unverfängliches Gespräch im Privatchat voraus, bevor der Kontakt das Gespräch in eine se-
xuelle Richtung lenkt:
„Ich wurde einfach auf Snapchat geaddet. Und dann wurde ich so einfach so: ,Hi!
Kennt man sich?’ Keine Ahnung. Oder so. Halt so einen ganz normalen, sage ich jetzt
mal, Smalltalk. Und dann ging das so in die Richtung, war so: ,Hä? Verstehe ich jetzt
nicht.’ Da war ich total verwirrt. Dann kam halt die Frage” (03_w14).
Im Zusammenhang mit sexuell konnotierten Online-Interaktionen verweisen einige Teilneh-
mende konkret auf den Aspekt der Freiwilligkeit bzw. Einvernehmlichkeit und unterscheiden un-
freiwillige Kontakte dieser Art von einvernehmlichen Interaktionen: „Auch bei einer Fünf6. Außer
man will es halt” (14_w17). So scheint es aus Sicht mancher Jugendlicher auch normal und nach-
vollziehbar, nach einer gewissen Zeit des Chattens nach einem Foto zu fragen:
„Also ich muss ehrlich sagen, es kommt immer so drauf an, ob man jetzt vorher ge-
schrieben hat. Weil, ich meine, wenn man jemanden über das Internet kennenlernt,
ist ja verständlich, dass man gerne sehen würde, ob die überhaupt echt ist, die Per-
son, und dann z. B. ein Bild vom Gesicht haben möchte oder so. Das finde ich nicht
schlimm. Also das kann man ja dann auch nach einer Stunde schreiben oder so fra-
gen. Das würde ich so in eine, ja, eins oder so/ Aber dann halt dieses Direkte und, also
dieses direkte Fragen und du weißt genau, dass die nicht das Bild von meinem Ge-
sicht haben wollen, würde ich schon sagen, dass es echt nicht cool ist, also so schon
so eine neun, zehn” (05_w17).
„[…] Da hat mein Ex damals, da war ich auch in einer
Beziehung, war ich eigentlich glücklich, und auf einmal
ruft mich eine Freundin an und sagt: „Du, hast du seine
[Instagram-]Story gesehen?“ Ich so: „Nein, er hat mich
blockiert“. Dann bekomme ich das zugeschickt, wo drin
steht, dass ich ja die größte Hure wäre und mein Freund ja
Nacktbilder von mir verschicken würde.“ (Chiara, 17 Jahre)
6
Die Zahl bezieht sich auf die Bewertung der negativen Online-Erfahrung anhand einer fünfstufigen Skala (1=gar
nicht schlimm, 5 = sehr schlimm).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
23
Es ist auffällig, dass im Rahmen der Interviews deutlich mehr Mädchen vom Erhalt unerwünsch-
ter sexuell konnotierter Fotos oder Nachrichten berichten (eine Ausnahme stellt 11_m15 dar, der
auf Instagram einmal mit Nacktfotos konfrontiert wurde). Sexuelle Darstellungen werden aller-
dings auch von einigen Jungen thematisiert. In diesen Fällen ist meist von Bots die Rede, die
ihnen über Instagram oder Snapchat per Direktnachricht Links zu bestimmten Seiten (z. B. On-
lyFans) zuschicken: „Und da kam dann so was wie: ,Hey, so und so, willst du meine Bilder sehen,
oder so was.’ Das war irgendein Bot oder sowas, weiß ich nicht” (08_m15; auch 04_m17, 08_m15,
10_m13, 11_m15, 13_w17). Neben dem Inhalt der Nachrichten fühlen sich manche auch durch die
Aufdringlichkeit entsprechender Accounts gestört:
„Boar, dann nervt das schon richtig, weil man kriegt dann so am Tag vierzig Nachrich-
ten von denen, ich ignoriere die meistens.“ (10_m13).
Im Sample finden sich drei Fälle, die die von Wachs (2014) herausgearbeiteten charakteristischen
Merkmale von Cybergrooming (s. o.) zumindest in Grundzügen aufweisen. Da es sich bei Cy-
bergrooming um einen sehr individuellen Prozess handelt, werden die Fälle im Folgenden zu-
nächst einzeln deskriptiv dargestellt, um im Anschluss einige fallübergreifende Gemeinsamkei-
ten zu identifizieren.
Fall 1: Sina (02_w16)
Sina (16) wurde, als sie 14 Jahre alt war, auf Instagram von einem fremden, vorgeblich 18-jährigen
Mann angeschrieben, der im weiteren Verlauf des Gesprächs allerdings unterschiedliche Anga-
ben zu seinem Alter machte. Nach einer gewissen Zeit des Smalltalks lenkte ihr Gesprächs-
partner das Gespräch in eine sexuelle Richtung. Als Einstieg in die Thematik nutzte er den Film
„Fifty Shades of Grey”. Sina beschreibt die Situation folgendermaßen:
„Ich bin jetzt 16 und damals war ich 14. Und er hatte halt damals dann so/ hin und her
hatte man erst irgendwie geschrieben so, Geplänkel. So wer bist du? Wie heißt du?
Und so weiter, wie alt bist du? Und dann fragte er mir irgendwann die Frage, kennst
du Fifty Shades of Grey? [...] Das ist auch sowas mit/ ja, was Sexuelles ist das. Über-
wiegend. Und er wollte sich halt dann treffen und hat das halt so weitergeleitet, dass
er mir Sachen kaufen würde, dafür, dass ich ihn bestrafe”.
So schickte der Mann ihr beispielsweise Fotos von Reiterschuhen, die er angeblich schon für sie
gekauft hatte. Nachdem auch Sinas Freundin auf Snapchat von dem Mann kontaktiert worden
war und einen Amazon-Gutschein von ihm eingelöst hatte, drohte der Mann den beiden Mädchen
mit Konsequenzen, sollten sie nicht auf seine Forderungen eingehen. Daraufhin wandten sich
Sina und ihre Freundin an ihre Eltern, die schließlich die Polizei informierten. Der gesamte Kon-
takt erstreckte sich über ca. zwei Monate.
Fall 2: Tobias (15_m14)
Tobias (14) lernte bei Discord einen 44-jährigen Mann kennen, als er mit einem gemeinsamen
Freund Werbung für seinen Server machte und in diesem Zusammenhang wahllos fremde Nut-
zende kontaktierte. Daraus entwickelte sich ein regelmäßiger Kontakt (hauptsächlich über pri-
vate Direct Calls auf Discord), den der Gesprächspartner, der von Anfang an betonte, dass er ei-
gentlich „viel zu alt” für den damals 12-jährigen Tobias sei, mit der Zeit in eine romantisch-sexuelle
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
24
Richtung lenkte. Er eröffnete Tobias, dass er sich in Tobias verliebt habe, sich von seiner Frau
trennen und eine Beziehung mit ihm führen wolle. Zudem fragte er nach Telefonsex. Schließlich
wurde es Tobias zu viel und er blockierte den Mann.
Fall 3: Emily (05_w17)
Emily (17) wurde auf Snapchat von jemandem angeschrieben, der nach eigener Aussage fast 30
war. Auf Emilys Hinweis, dass sie (zu diesem Zeitpunkt) erst 14 Jahre alt sei, antwortete der Mann:
„,Ja, ein bisschen jung, aber geht ja noch’“ (05_w17). Zunächst ging es in dem darauffolgenden
Gespräch um Hobbys, was sie so macht und wo sie wohnt. Im Laufe des Tages schickte der Mann
ihr aber auch immer wieder Selfies, d. h. Fotos von seinem Gesicht, und fragte, ob sie ihm im Ge-
genzug auch Fotos von sich schicken könne. Daraufhin antwortete Emily ihm nicht mehr:
„Also das war mir dann auch ein bisschen, ja, suspekt, nenne ich es mal” (05_w17).
Fallübergreifend lässt sich festhalten: Es sind zumeist unbekannte Personen beteiligt, die die
betroffenen Jugendlichen über Online-Plattformen kontaktieren und versuchen, eine Beziehung
zu ihnen aufzubauen. Zudem sind die Groomingfälle im Vergleich zu den oben beschriebenen eher
punktuellen sexuellen Grenzüberschreitungen – sofern die Jugendlichen, wie im Fall von Emily,
nicht vorher intervenieren – von einer längeren Kontaktdauer (Wochen bis Monate) geprägt. Ge-
nannt wurden im Zusammenhang mit Cybergrooming verschiedene Plattformen, wobei sich in
den Fällen von Sina und Tobias ein plattformübergreifender Kontakt erahnen lässt. Außerdem
lassen sich verschiedene Manipulationsstrategien beobachten. Während der Täter bei Sina und
ihrer Freundin zunächst auf Geschenke und dann auf Drohungen setzte, versuchte Tobias’ Ge-
sprächspartner durch Schmeicheleien sein Opfer zu sexuellen Handlungen zu bewegen.
In den Gesprächen mit den Jugendlichen lassen sich auch Erklärungsansätze dafür finden, wa-
rum sie den Kontakt mit der – nach einiger Zeit – durchaus als suspekt wahrgenommenen Person
über einen relativ langen Zeitraum aufrechterhielten. Als Erklärung für ihr – im Nachhinein als
„naiv” (02_w16) bewertetes – Verhalten nennen die Jugendlichen vor allem das Bedürfnis nach
Aufmerksamkeit und Wertschätzung:
„Am Ende war, kam schon diese Angst, dass wenn ich das abbreche, dass es nicht gut
ausgeht. Aber irgendwie hat es mir gefallen, dass irgendwer mir Aufmerksamkeit ge-
geben hat. Und deswegen habe ich gar nicht daran gedacht, an die Umstände. Son-
dern ich war eigentlich nur, der mag mich und der gibt mir Aufmerksamkeit und des-
wegen war ich da froh drüber sozusagen. [...] Eh ja, willkommen, also so herzlich ir-
gendwer, der was von mir will und der mich schätzt. Weil ich hab auch [...] gehörlose
Eltern und meine Eltern sind auch beide schwerbehindert und so und deswegen war
ich sehr oft auf mich oder sehr selbstständig in jungen Jahren. Und das meinte ich
dann auch zu dem und habe dann auch so meine Situation erzählt. Mit meinen Eltern,
mein Vater hat auch Krebs und alles Mögliche so. Aber gut überstanden, äh, und der
hat das so geschätzt und war schon eigentlich stolz auf mich, dass ich das dann mit
12 Jahren so entwickelt wäre oder so. Und diese Komplimente waren dann einfach
so/ [...] Ich fand das einfach angenehm und nett. Ich fand das toll und ich hab‘ auf den
Rest gar nicht so geachtet. Ich war da nicht wie eine rosarote Brille, aber irgendwie
auch schon so und ich war sehr beglückt davon, von den Aussagen von ihm.” (Tobias,
14)
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
25
„Er hatte mir dann halt Sachen für das Reiten und so kaufen wollen und hatte mir wirk-
lich auch, also der hatte mir Bilder von/ es gibt so Reiterschuhe. Und die hatte der
dann wirklich gekauft für mich auch und hat halt davon auch Bilder von geschickt und
so weiter. Und dann bist du ja erst mal so fasziniert. Und lässt dich halt darauf ein.”
(Sina, 16)
„Also so mit 14, da denkt man ja noch so: ,Oh, okay, ich kriege Aufmerksamkeit, mir
schreibt jemand.’ Und ja, dann antwortet man halt mehr, sage ich jetzt mal. So ein-
fach, weil man denkt: ‘Okay, jemand interessiert sich für mich, der möchte mich ken-
nenlernen, sogar, obwohl er mich gar nicht kennt.’“ (Emily, 17)
Tobias’ Schilderungen legen nahe, dass Jugendliche mit schwierigen familiären Umständen mit-
unter besonders vulnerabel und anfällig für den Beziehungsaufbau mit unbekannten Personen im
Internet sind.
3.2.3 Belastungspotenzial negativer Online-Erfahrungen und ausgewählter Risikophänomene
In Abhängigkeit von situativen Kontextfaktoren, Persönlichkeitsmerkmalen, Erfahrungswerten
und Ressourcen nehmen Menschen Situationen teils sehr unterschiedlich wahr und erleben diese
mitunter als unterschiedlich belastend. Folglich stellt sich die Frage, wie die Jugendlichen die
beschriebenen Situationen wahrgenommen und emotional erlebt haben und wie sie diese hin-
sichtlich ihres Belastungspotenzials bewerten. Daher wurden die Teilnehmenden gebeten, die
geschilderte Situation auf einer fünfstufigen Skala dahingehend einzuordnen, wie schlimm sie
diese fanden (von 1 = überhaupt nicht schlimm bis 5 = total schlimm). Darüber hinaus wurden sie
nach ihrem emotionalen Erleben in Bezug auf den jeweiligen Stressor befragt. Es war von Inte-
resse, wie die Jugendlichen auch unabhängig von eigenen Erfahrungen, die geschilderten Risi-
kophänomene (verschiedene Formen gemeinen und verletzenden Verhaltens, sexuelle Grenzver-
letzungen und Hate Speech) hinsichtlich ihres Belastungspotenzials einschätzen. Dafür wurden
den Jugendlichen zwei bis drei kurze Szenarien (s. Anhang) vorgelegt, die sie ebenfalls anhand
der Skala bewerteten.
3.2.4 Bewertung der Situation und emotionales Erleben
Die Wahrnehmung und das Erleben der geschilderten Ereignisse fällt bei den befragten Jugend-
lichen sehr unterschiedlich aus, und auch die Belastungsintensität variiert sehr deutlich. Das in-
dividuelle Erleben reicht dabei von einem diffusen Gefühl des Genervtseins (01_m13, 02_w16,
08_m15) bis hin zu einem starken Belastungserleben (z. B. „Ich war richtig zerstört”, 09_m12;
„Habe halt auch früher deswegen tagelang wirklich geweint und es war halt einfach sehr schlimm
für mich”, 14_w17). In diesem Zusammenhang weisen einige Jugendliche konkret auf den Unter-
schied zwischen den Gefühlen Genervt- und Belastetsein hin.
„Und das war jetzt nicht schlimm, aber es war halt
nervig.“ (Sina, 16 Jahre)
Dementsprechend unterschiedlich fallen die (zahlenmäßigen) Bewertungen der Jugendlichen
hinsichtlich der Belastungsintensität aus. Während beleidigendes Verhalten in der Game-Szene
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
26
tendenziell als nicht so belastend eingestuft wird und in den meisten Fällen Werte zwischen 2 und
3 vergeben werden (01_m13, 07_m17, 08_m15, 10_m13, 15_m14), werden Cybermobbing sowie Vik-
timisierungs- und Ausgrenzungserfahrungen in der Peer-Group, die meist in Messenger-Diens-
ten stattfinden, von den betroffenen Befragten als (sehr) belastend (4-5) empfunden (01_m13,
09_m12). Auch die Auseinandersetzung mit dem Cybermobbing-Szenario (Lennart, s. u.) deutet
darauf hin, dass die Jugendlichen das Belastungspotenzial in diesem Fall sehr hoch einschätzen
(02_w16, 05_w17, 10_m13, 12_w17, 14_w17, 16_w15).
Szenario Cybermobbing: Lennart (14) hat in der Schule Schwierigkeiten mit einigen seiner
Klassenkameraden. Sie beleidigen ihn sowohl auf dem Schulhof als auch bei WhatsApp.
Dort bekommt er immer wieder Nachrichten, in denen er von unterschiedlichen Personen
aus seiner Klasse beschimpft wird. Auch im Klassenchat bei WhatsApp machen sie sich
über Lennart lustig.
In Bezug auf sexuelle Grenzverletzungen ergibt sich ein ähnliches Bild. Abgesehen von wenigen
Ausnahmen (02_w16, 12_w17, 10_m13) bewerten sowohl die Jugendlichen, die von eigenen Erfah-
rungen dieser Art berichteten, als auch die mittels der Szenarien (Ezra, s. u.) dazu befragten Ju-
gendlichen sexuell konnotierte Nachrichten und Bildinhalte als sehr schlimm (01_m13, 03_w14,
05_w17, 08_m15, 11_15, 13_w17, 14_w17, 16_w15).
Szenario sexuelle Inhalte: Ezra (15) wurde auf Snapchat von jemandem geaddet, den sie
nicht kennt und hat den Kontakt aus Neugier angenommen. Kurz darauf schickt dieser Kon-
takt ihr einen Snap. Als Ezra den Snap öffnet, sieht sie, dass es ein Nacktfoto ist.
Die Grooming-Fälle werden von den Betroffenen jeweils mit einer 4 bewertet (02_w16, 14_m15).
Bemerkenswert ist dabei, dass die betroffenen Jugendlichen nicht nur von negativen, sondern
auch von anfänglich positiven Gefühlen in Bezug auf die Interaktion berichten. Das Cy-
bergrooming-Szenario (Klara, s. u.) erhält bezüglich seines Belastungspotenzials von den Ju-
gendlichen ebenfalls hohe Werte (04_m17, 06_m12, 09_m12, 12_w17, 14_w17).
Szenario Cybergrooming: Klara (13) wurde vor einiger Zeit von einer Person, die sich als
Tom (13) vorgestellt hat, über Instagram angeschrieben. Am Anfang haben sie sich vor allem
über Hobbys und Schule ausgetauscht. Irgendwann wollte Tom nur noch auf WhatsApp mit
ihr chatten, das war OK für Klara. Jetzt fragt er sie ständig, welche Klamotten sie beim
Schlafen trägt, macht ihr viele Komplimente und möchte sich mit ihr treffen.
Interessant ist, dass Erlebnisse, die strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen und sich aus analyti-
scher Perspektive dem gleichen Phänomenbereich zuordnen lassen, teilweise sehr unterschied-
lich bewertet werden. So bewertet beispielsweise eine Jugendliche (14_w17), die auf Musical.ly
(die Vorgängerversion von TikTok) mit Hate-Kommentaren konfrontiert wurde, die Situation mit
einer 5, d. h. als „total schlimm”, während ein anderer Jugendlicher (11_m15), der gemeine Kom-
mentare zu seinen selbst produzierten YouTube-Videos erhielt, das Erlebte nach eigenen Anga-
ben als gar nicht schlimm (1 auf der Skala) empfand. Auch im Bereich der sexuellen Grenzverlet-
zungen ist die Bewertungsspanne groß. Zwar nehmen die meisten der befragten Jugendlichen
sexuelle Übergriffe online als schlimm und belastend wahr. Es gibt aber auch Jugendliche, die
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
27
sich an entsprechenden Vorkommnissen offenbar weniger stören und den Erhalt von Dick Pics
mit einem niedrigen Zahlenwert (1 oder 2) versehen (02_w16, 12_w17).
Bezüglich des emotionalen Erlebens fällt auf, dass einige Jugendliche sehr präzise benennen und
offen darüber sprechen können, wie sie sich in der Situation gefühlt haben, z. B. „verletzt”
(01_m13), „geschockt” (03_w14), „traurig” (09_m12, 14_w17) oder „sauer” (11_m15), während dies an-
deren tendenziell eher schwerfällt. So bedienen sich einige Jugendliche eher unkonkreter Be-
grifflichkeiten wie „komisch” (z. B. 04_m17) oder „verwirrt” (z. B. 14_w17), um ihre Empfindungen zu
beschreiben.
Aus einer analytischen Perspektive lassen sich die von den Jugendlichen als negativ wahrgenom-
menen Online-Erfahrungen in mindestens drei Kategorien einteilen: (1) als unproblematisch
wahrgenommene Situationen, (2) Unannehmlichkeiten, die als „nervig” oder „unnötig” empfunden
und beschrieben werden, die allerdings keine schwerwiegende Belastung darstellen, sowie (3)
Belastungen, die mit einem (starken) affektiven Negativerleben einhergehen.
3.2.5 Belastungsfaktoren
Eine zentrale Forschungsfrage war, was bestimmte Situationen aus Sicht der Jugendlichen be-
lastend macht bzw. welche Faktoren Einfluss auf das Belastungspotenzial bzw. das Belastungs-
erleben der Jugendlichen haben. Aus den Aussagen der Jugendlichen – sowohl in Bezug auf die
selbst erlebten Situationen als auch auf die vorgelegten Szenarien – lassen sich verschiedene
Faktoren ableiten, die das Belastungspotenzial der jeweiligen Situation zu beeinflussen schei-
nen.
Als Einflussfaktoren auf die Bewertung und das Erleben der (potenziell) belastenden Situation
ergeben sich aus den Interviews verschiedene Aspekte, die sich in (1) ereignisbezogene, (2) ab-
senderbezogene, (3) subjektbezogene und (4) wahrnehmungsbezogene Faktoren unterscheiden
lassen (Abb. 3). Überdies wird das Erleben bestimmter Situationen auch von verschiedenen Kon-
textfaktoren beeinflusst (z. B. Tagesform oder Nutzungssituation), die in der nachfolgenden Ab-
bildung 3 den Rahmen bilden.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
28
Abbildung 3: Faktoren, die Einfluss auf die Bewertung und das Erleben einer risikobehafteten
Situation haben können
Ereignisbezogene Faktoren beziehen sich auf verschiedene Merkmale der einzelnen Situation
und umfassen situations- bzw. stressorspezifische Aspekte, wie z. B. den Inhalt, die Art (z. B.
Zielgerichtetheit, Aufdringlichkeit/Einseitigkeit, Direktheit/Unvermitteltheit) sowie den Tonfall
der Kommunikation (konstruktive Kritik vs. harsche Kritik), die Einvernehmlichkeit der Interak-
tion (erwünschte vs. unerwünschte Interaktion), den Grad der Öffentlichkeit (Privatnachrichten
vs. Gruppenchat vs. Kommentarspalten), die Dauer und Häufigkeit der Interaktion (singulär bzw.
punktuell vs. sehr häufig), sowie die Erwartbarkeit der Interaktion.
Absenderbezogene Faktoren, die einen Einfluss auf die Bewertung und das Erleben der Situation
haben, beziehen sich auf bestimmte Merkmale des Interaktionspartners*der Interaktionspartne-
rin und umfassen z. B. das Alter, das Geschlecht und die Bekanntheit (unbekannt vs. bekannt) des
Interaktionspartners*der Interaktionspartnerin.
Als subjektbezogene Faktoren, also Personenmerkmale der Betroffenen, lassen sich das Alter
und Geschlecht sowie das Vorhandensein bestimmter (sozialer) Ressourcen (z. B. vertrauens-
volle Beziehungen zu Eltern und Freund*innen), Kenntnisse (z. B. Wissen über Privatsphäre-Ein-
stellungen) und Erfahrungswerte bezüglich ähnlicher Situationen identifizieren. Auf das Belas-
tungserleben können zudem die Stimmung bzw. Tagesform einen Einfluss haben.
Kontext
(z. B. Tagesform oder Nutzungssituation)
Ereignisbezogene Faktoren
Inhalt der Kommunikation
Art der Kommunikation
Einvernehmlichkeit/ Freiwilligkeit
Einseitigkeit
Tonfall
Unmittelbarkeit/ Unvermitteltheit
Unausweichlichkeit/ Direktheit
Grad der Öffentlichkeit
Online vs. offline
Dauer/Häufigkeit
Erwartbarkeit
Wahrnehmungsbezogene Faktoren
Relevanz
Implikationen/Konsequenzen
Bewältigungspotenzial/
Kontrollierbarkeit
Normative Signifikanz (z. B. wahrge-
nommene Normverletzung)
Wahrgenommene (Mit-)Schuld
Subjektbezogene Faktoren
Alter
Geschlecht
Wert- und Moralvorstellungen
(Soziale) Ressourcen und Kenntnisse
Erfahrungswerte
Eigene Biografie
Individuelle Merkmale
Familialer Hintergrund
Absenderbezogene Faktoren
Alter
Geschlecht
Bekanntheit
Anzahl der Absender*innen
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
29
Die individuelle Wahrnehmung und kognitive Beurteilung eines Stressors („Appraisal”) hat einen
erheblichen Einfluss auf die Stressentstehung und -intensität (Lazarus & Folkman, 1984). Ent-
sprechend ergeben sich neben den ereignis-, subjekt- und absenderbezogenen Einflussfaktoren
verschiedene wahrnehmungsbezogene Faktoren, die das individuelle Belastungserleben Ju-
gendlicher beeinflussen. In Anlehnung an kognitionspsychologische Arbeiten (Lazarus & Folk-
man, 1984; Scherer, 20017) lassen sich im Datenmaterial die folgenden wahrnehmungsbezogenen
Aspekte identifizieren: die Relevanz des Ereignisses („Wie unmittelbar relevant ist das Ereignis
für mich?”), die Implikationen bzw. Konsequenzen des Ereignisses („Was sind die konkreten Im-
plikationen oder Konsequenzen des Ereignisses?”; z. B. Schulwechsel nach Cybermobbing), das
Bewältigungspotenzial bzw. die wahrgenommene Bewältigbarkeit („Wie gut kann ich die Situa-
tion bewältigen oder mich ihr anpassen?”) sowie die normative Signifikanz („Wie wichtig ist das
Ereignis in Bezug auf mein Selbstkonzept und auf soziale Normen und Werte?”; die wahrgenom-
mene Verletzung sozialer Normen, z. B. Diskriminierung). Als weiterer relevanter Aspekt ergab
sich aus dem Datenmaterial die selbstzugeschriebene (Mit-)Schuld, d. h. die Frage, inwieweit
man selbst - z. B. durch Äußerungen oder andere Verhaltensweisen - eine kritische Situation pro-
voziert hat.
Auf welche Weise die genannten Faktoren das individuelle Belastungserleben prägen und welche
stressorspezifischen Unterschiede sich abzeichnen, wird im Folgenden genauer erläutert.
3.2.5.1 Ereignisbezogene Faktoren
Die Wahrnehmung und Bewertung der Situation und die individuell erlebte Belastung sind stark
stressorspezifisch bzw. ereignisbezogen, d. h. eng an die Merkmale der jeweiligen Situation ge-
knüpft. Einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung der Situation und
somit auch auf das Belastungserleben hat für einige der interviewten Jugendlichen der Kommu-
nikationsinhalt. Nicht alle Äußerungen und Beleidigungen werden als gleichermaßen schlimm
empfunden. Als besonders problematisch und verletzend werden (Todes-)Drohungen, Beleidi-
gungen, die sich gegen die Familie richten, und bösartige, herabwürdigende Kommentare, die
persönliche, sensible Lebensbereiche und Themen betreffen, wahrgenommen. Auch diskrimi-
nierende, rassistische oder sexistische Äußerungen bewerten fast alle der diesbezüglich befrag-
ten Jugendlichen als schlimm. Diejenigen, die nicht der diskriminierten Minderheit angehören,
fühlen sich davon tendenziell aber nicht weiter betroffen oder gar belastet. Nicht zuletzt sorgen
sexuell konnotierte Inhalte bei vielen Jugendlichen für Irritation. Anfänglich nette und unverfäng-
liche Gespräche mit unbekannten Kommunikationspartner*innen werden spätestens dann als
unangenehm wahrgenommen, wenn sie unvermittelt und ungewollt in eine sexuelle Richtung ge-
lenkt werden.
7
Appraisal-Theorien, wie z. B. das Komponenten-Prozess-Modell (CPM) von Scherer (2001; 2009), gehen davon aus,
dass Stress das Ergebnis eines kognitiven Bewertungsprozesses ist. Das CPM unterteilt die kognitive Bewertung
eines Stressors in vier verschiedene Phasen: (1) Prüfung der Relevanz, (2) Prüfung der Implikationen bzw. Konse-
quenzen, (3) Prüfung des Bewältigungspotenzials und (4) Bewertung der normativen Signifikanz. Diese Einteilung
ließ sich auch auf das Datenmaterial anwenden. Die Strukturierung der aus dem Material gewonnenen wahrneh-
mungsbezogenen Belastungsfaktoren (s. Kapitel 3.3.2.3) orientiert sich daher an der von Scherer postulierten Ein-
teilung und wurde induktiv um die Kategorie „Verantwortungszuschreibung bzw. selbst zugeschriebene (Mit-)
Schuld“ ergänzt.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
30
Hier wird bereits deutlich: Nicht nur der Kommunikationsinhalt, auch die Art der Kommunikation
kann das Belastungspotenzial einer Situation beeinflussen. Kommunikations- und Kontaktversu-
che werden u. a. dann als negativ erlebt, wenn sie sich durch fehlende Einvernehmlichkeit und
Freiwilligkeit (02_w16, 03_w14, 04_m17, 11_m15, 13_w17, 14_w17), durch Zielgerichtetheit (15_m14)
sowie ein gewisses Maß an Aufdringlichkeit (04_m17, 05_w17), Einseitigkeit (13_w17), Direktheit
bzw. Unvermitteltheit (01_m13, 02_w16, 03_w14, 05_w17) auszeichnen. So unterscheidet ein
Gaming-affiner Befragter z. B. zwischen ungerichteten Beleidigungen, die im Spiel an alle Anwe-
senden adressiert werden, und Beleidigungen, die sich gezielt an eine ausgewählte Person rich-
ten (15_m14). In Bezug auf sexuelle Grenzverletzungen verweisen fast alle Betroffenen auf die
fehlende Einvernehmlichkeit bzw. Freiwilligkeit. Persönliche Grenzen sehen die Jugendlichen
hier insbesondere dann überschritten, wenn sie ungefragt entsprechende Inhalte zugeschickt
bekommen oder ein „Nein” ignoriert wird. Auch der „Tonfall“, also die Art und Weise, wie konstruk-
tiv oder destruktiv-unsachlich eine Botschaft vermittelt wird, kann das Belastungspotenzial ei-
ner Situation beeinflussen (01_m13, 03_w14, 14_w17).
„Ich glaube, ja, dass sozusagen die Dosis das Gift macht,
sage ich jetzt mal.“ (Carla, 14 Jahre)
In anderen Fällen scheint sich die Belastung weniger aus dem konkreten Inhalt oder der Art der
Kommunikation, sondern vielmehr aus der Häufigkeit und Dauer zu ergeben. So kann es vorkom-
men, dass eine einzelne Beleidigung noch in einem aus Sicht der Betroffenen aushaltbaren Rah-
men liegt, wohingegen wiederholte Beleidigungen und länger anhaltende Ausgrenzungs-, Diskri-
minierungs- und Viktimisierungserfahrungen als belastend wahrgenommen werden. Interessan-
terweise scheint es aber auch Fälle zu geben, in denen eine wiederholte Negativerfahrung zu ei-
ner Art „Gewöhnungseffekt“ führt, wodurch das Belastungserleben aus Sicht der Jugendlichen
verringert wird. Nicht ersichtlich ist allerdings, in welchen Fällen bzw. unter welchen Bedingun-
gen/Voraussetzungen ein „stressreduzierender”, entlastender Effekt eintritt und wann eine wie-
derholte Exposition zu einem erhöhten Stresserleben führt. Gerade in Bezug auf Phänomene wie
sexuelle Grenzverletzungen und provozierende bzw. beleidigende Kommentare in der Game-
Szene entsteht allerdings der Eindruck, dass diese als gängiger, wenn auch lästiger, Teil der
Netzkultur wahrgenommen und dadurch teilweise normalisiert werden. In einigen Interviews
zeichnet sich auch eine Art Resignation in Bezug auf bestimmte als gängig und erwartbar wahr-
genommene Phänomene wie Hate-Kommentare auf Social Media-Plattformen ab:
„Wenn sie das aber öffentlich machen will und sich eine Reichweite aufbauen will,
dann muss sie halt damit rechnen. Es ist nicht toll und so, aber man kann es halt nicht
verhindern. Solange ihr Konto öffentlich ist, wird das halt wahrscheinlich immer pas-
sieren. Also entweder soll sie sich damit abfinden oder ihr Konto auf privat stellen
und dass nur Freunde ihr folgen” (15_m14).
Problematisch wird diese Einstellung, wenn durch die vermeintliche Erwartbarkeit bzw. Vorher-
sehbarkeit die Verantwortung für die Situation den betroffenen Jugendlichen zugeschrieben
wird:
„Aber ich sage mal so, es gibt auch häufiger Kinder, die sind unter 13, also so 9 oder 8.
Und bei denen denke ich mir dann so, das ist trotzdem nicht schön. Aber im Endeffekt
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
31
bist du nicht alt genug für TikTok und wenn du so klein bist und damit nicht klar-
kommst, dann ist es deren Schuld”, 15_m14.
Aus einigen Interviews lässt sich zudem ableiten, dass Online-Erfahrungen wie Cybermobbing
und -grooming, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und ggf. eine gewisse Dynamik
aufweisen, häufig als belastend wahrgenommen werden (02_w16, 09_m12, 15_m14).
Auch der Aspekt der Erwartbarkeit scheint in einigen Fällen eine Rolle zu spielen. Aus Sicht der
Jugendlichen ist auf bestimmten Plattformen und in bestimmten Nutzungskontexten, u. a. auf-
grund der dort vorherrschenden Konventionen, mit bestimmten Phänomenen bzw. Negativrefah-
rungen zu rechnen. Das gilt insbesondere für Hate-Kommentare auf Social-Media-Plattformen
oder Beleidigungen bzw. eine grundsätzlich toxische Atmosphäre in Multiplayer-Games. Die Tat-
sache, dass es sich hierbei um wenig überraschende Phänomene handelt, scheint für einige Ju-
gendliche das Belastungspotenzial zu reduzieren. Als Gründe hierfür geben sie an, dass es dem-
entsprechend möglich sei, sich (emotional) darauf vorzubereiten und dass es teilweise Möglich-
keiten gäbe, das Risiko unangenehmer Interaktionen zu verringern (z. B. im Online-Game alle Per-
sonen schon vor Beginn des Spiels zu muten, d. h. stumm zu schalten). Im Umkehrschluss betont
eine Befragte, der Erhalt sexueller Nachrichten und Fotos auf Snapchat habe sie vor allem des-
halb geschockt, weil diese unvermittelt, „aus heiterem Himmel” (03_w14) kamen und sie nicht da-
mit gerechnet hatte:
„Dann klickt man einfach nichtsahnend drauf und dann ist es da” (03_w14). Ein Befrag-
ter berichtet zudem, von der Kontaktaufnahme durch eine fremde Person auf
WhatsApp vor allem deshalb „erschrocken [gewesen zu sein], weil ich halt nicht
wusste, woher die Nummer kommt“ (09_m12).
In verschiedenen Interviews finden sich darüber hinaus Hinweise, dass auch der Grad der Öffent-
lichkeit einen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung der Situation hat. Einige Jugendli-
che bringen in den Interviews zum Ausdruck, dass sie herabwürdigendes Verhalten, das ihnen in
öffentlichen oder halböffentlichen Online-Räumen entgegengebracht wird, schlimmer finden,
als wenn sie in geschlossenen Kommunikationsräumen damit konfrontiert werden (01_m13,
15_m14, 16_w15). Ein Befragter erzählt in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass er die Si-
tuation auch deshalb als verletzend empfand, weil er von einem Mitschüler im Klassenchat „vor
der ganzen Klasse“ (01_m13) beleidigt wurde.
Ein weiterer Belastungsfaktor ergibt sich aus der vor allem in Bezug auf Cybermobbing und anti-
sozialen Verhaltensweisen im Peer-Kontext auftretenden Verschränkung realweltlicher und di-
gital vermittelter Interaktionen. Über Messenger-Dienste und Online-Plattformen geht das Mob-
bing häufig auch nach der Schule weiter, sodass die betroffenen Jugendlichen auch zuhause
nicht zur Ruhe kommen können.
„Wenn man // zu Hause ist, dann denkt man so: ,Jetzt ist
es vorbei, jetzt kann ich mich entspannen.’ Dann geht man
kurz auf sein Handy, und dann sieht man solchen
Nachrichten, ist dann nicht ganz so gut.” (Boris, 13 Jahre)
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
32
Fragt man die Jugendlichen, ob sie Online- oder Offline-Mobbing schlimmer oder beides gleich
schlimm finden, ergibt sich kein eindeutiges Bild. Während einige Offline-Mobbing tendenziell et-
was schlimmer zu finden scheinen, finden andere beides gleich schlimm. Grundsätzlich sind aber
viele der Meinung: „beides zusammen ist halt doppelt doof” (02_w16).
Auch Kontextfaktoren und situative Gegebenheiten wie die jeweilige Tagesform können beein-
flussen, wie belastend eine Situation wahrgenommen wird. So gibt ein Befragter an, Beleidigun-
gen in Online-Games grundsätzlich gut händeln zu können. Aber „wenn ich einen schlechten Tag
habe, dann geht mich das ein bisschen an” (08_m15). Zudem kann es einen Unterschied machen,
ob man der Situation alleine ausgesetzt ist oder ob man in Gesellschaft ist. Eine Befragte, die
sowohl alleine als auch im Beisein ihrer Freund*innen mit sexuellen Bildinhalten konfrontiert
wurde, beschreibt den Unterschied folgendermaßen:
„Man guckt sich dann gegenseitig an. Und man weiß auch nie, was man tun soll. Und
mit Freuden so, weil dann lacht man einfach so, weil du denkst so, keine Ahnung, das
ist uns jetzt einfach passiert. Was soll man tun? Und zu Hause bist du dann eher so,
okay (…) okay, dann bist du halt so ein bisschen sprachlos, sage ich jetzt mal. Wenn
du jetzt bei Freunden bist, dann weißt du so, okay, wir können da nichts für, wir haben
das jetzt alle gesehen” (03_w14).
Ihr scheint die Anwesenheit der Freundinnen und Freunde die Vergewisserung zu ermöglichen,
dass sie selbst keine Schuld an der Situation trifft. In Gaming-Kontexten kann es darüber hinaus
entlastend sein, wenn man einen Freund*eine Freundin und somit eine*n Verbündete*n im eige-
nen Team hat (01_m13).
Einige Interviewpassagen legen nahe, dass Jugendliche die Situation (zumindest rückblickend)
als weniger belastend bewerten, wenn sie ein Gefühl von Abgeschlossenheit haben, also das Ge-
fühl, dass die Situation abschließend geklärt bzw. beendet ist (z. B. „Weil ich es, wie gesagt, blo-
ckiere. Melde. Und dann ist es für mich weg”, 16_w15). Bestimmte Aspekte digitaler Kommunika-
tion tragen aus ihrer Sicht allerdings dazu bei, dass eine Situation nicht richtig abgeschlossen
werden kann, z. B. dass viele Inhalte, wenn man sie nicht aktiv löscht, im Chat dokumentiert sind
und immer wieder aufgerufen werden können (03_w14, 13_w17). Auch die Möglichkeit einer platt-
formübergreifenden Kontaktaufnahme, z. B. weil man mit der Person auf mehreren Plattformen
in Kontakt steht und man auch nach dem Blockieren auf einer Plattform über eine andere App
kontaktiert werden kann, kann dazu beitragen, dass das Gefühl, die Situation abschließend be-
endet zu haben, ausbleibt:
„Und wenn du jemand natürlich blockierst, ist die Person erst mal weg, kannst du lö-
schen. Und wenn natürlich die Person sich eine andere Nummer holt und deine Num-
mer immer noch hat, schreibt dich halt über einen anderen an. Wenn er vielleicht
noch dein Instagram hat oder so, dann schreibt er dich auch noch darüber an. Also du
bist einfach dadurch, dass du dann so selber verknüpft bist in so vielen sozialen Me-
dien, gibt es so viele Bereiche, wo dich jemand anschreiben kann” (13_w17).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
33
3.2.5.2 Absenderbezogene Faktoren
Eine entscheidende Rolle bei der Einordnung und Bewertung der Situation kommt außerdem der
Frage zu, wer an der Interaktion beteiligt ist, also von wem das gemeine, verletzende oder über-
griffige Verhalten ausgeht. Hier hat vor allem die Bekanntheit des Interaktionspartners*der In-
teraktionspartnerin einen Einfluss darauf, ob die Situation als schlimm empfunden wird. So ge-
ben einige Jugendliche an, der Meinung fremder Menschen aus dem Internet zu ihrer Person
grundsätzlich nur wenig Bedeutung beizumessen, während es sie durchaus tangiert, wenn sie mit
negativem Feedback und gemeinen Kommentaren von Personen aus ihrem Freundes- und Be-
kanntenkreis konfrontiert werden. Eine Distanzierung von gemeinen und verletzenden Kommen-
taren und Nachrichten scheint einigen der befragten Jugendlichen leichter zu fallen, wenn es
sich beim Aggressor um eine unbekannte Person handelt (z. B. „Hm, ist ja eigentlich ja egal, was
die schreiben, die wissen ja nicht, wie du eigentlich lebst“, 12_w17). Inwiefern sie die Beleidigun-
gen fremder Personen wirklich unberührt lassen oder ob es sich bei der Distanzierung von Kom-
mentaren unbekannter Personen um eine kognitive Copingstrategie handelt, lässt sich an dieser
Stelle nicht abschließend klären.
„Also mich hatte auf Snapchat, ich glaube, der war fast
dreißig und da war ich noch 14, und der hat das dann
trotzdem weitergemacht und das war ein bisschen,
ja, eklig.“ (Emily, 17 Jahre)
Neben der Bekanntheit können auch das Alter und das Geschlecht des Interaktionspartners bzw.
der Interaktionspartnerin eine Rolle spielen. Einige Jugendliche finden es offenkundig suspekt
und unangemessen, wenn ältere Männer mit ihnen Kontakt aufnehmen wollen. Einige Passagen
zum Thema Cybermobbing deuten außerdem an, dass die Situation als besonders schlimm und
hoffnungslos wahrgenommen wird, wenn es mehr als einen Aggressor gibt, wenn „du alleine bist
und die anderen alle gegen dich” (16_w15; auch 09_m12).
3.2.5.3 Subjektbezogene Faktoren
Viele Jugendliche sehen vor allem das Alter der betroffenen Person als zentralen Einflussfaktor.
Sie gehen davon aus, dass jüngere Kinder von bestimmten Situationen – u. a. aufgrund von Un-
wissenheit und Unbeholfenheit – stärker belastet werden und schlechter mit ihnen umgehen
können als ältere (02_w16, 07_m17, 11_m15, 13_w17, 14_w17, 15_m14, 16_w15). Dies begründen sie
zum einen damit, dass mit zunehmendem Alter und mehr Interneterfahrung das Bewusstsein für
bestimmte Risiken sowie das Wissen über präventive Maßnahmen (z. B. Privatsphäreeinstellun-
gen, keine fremden Kontakte annehmen) und (vor allem technische) Copingstrategien (z. B. Wis-
sen über Meldemöglichkeiten) steigt. Zum anderen nehmen sie Jüngere grundsätzlich, vor allem
aber in Bezug auf sexuelle Inhalte, als vulnerabler und weniger resilient wahr (Third-Person-Ef-
fekt8). Einige berichten in diesem Zusammenhang von eigenen Online-Erfahrungen, die sie, als
8
Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass Menschen einen möglichen (in der Regel negativen und unerwünsch-
ten) Einfluss von Medien auf andere Personen als deutlich wahrscheinlicher einschätzen als auf sich selbst (Carolus
& Schwab, 2008).
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
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sie jünger waren, irritiert und überfordert haben, mit denen sie heute aber umzugehen wüssten
(02_w16, 11_m15, 14_w17).
Auch persönliche Ressourcen können einen Einfluss auf die Wahrnehmung und das Erleben einer
potenziell belastenden Situation haben. Vor allem soziale Ressourcen scheinen eine Art „Puffer-
effekt” zu haben und starke Belastungsreaktionen abzufedern. Für einige Jugendliche scheint
das Wissen, dass sie im Ernstfall auf Eltern oder Freund*innen zählen können, eine entlastende
Wirkung zu haben (11_m15, 12_w17).
Im Fall sexueller Grenzverletzungen deutet sich an, dass auch das eigene Geschlecht eine Rolle
spielen kann. Auf die Frage, weshalb sie das aufdringliche Fragen nach Fotos als sehr schlimm
empfindet, verwies eine Befragte auf den Aspekt der Objektifizierung:
„Ich finde, das ist so ein bisschen erniedrigend. Also das ist so: ,Ja, du bist ein Mäd-
chen, also schreibe ich dich an, um ein Bild von dir zu bekommen.’ Was ich dann, was
dann der Junge zum Beispiel, ich meine, ich will es ihm jetzt nicht unterstellen, aber
vielleicht für nicht so, ja, schöne Zwecke benutzt, sage ich jetzt mal so. [...] Ich finde,
man fühlt sich dann auch bei manchen so ein bisschen so wie so ein Objekt: ,Okay,
ich möchte einfach nur, ja, ein Bild haben’” (05_w17).
Zudem können persönliche Umstände, Vorerfahrungen und bereits bestehende Unsicherheiten
die Wahrnehmung einer Situation beeinflussen. In Bezug auf gemeine Kommentare und Beleidi-
gungen deutet sich beispielsweise an, dass bestimmte Kommentare deshalb als besonders ver-
letzend empfunden werden, weil sie sensible Themen und Lebensbereiche berühren und einen
ohnehin wunden Punkt bei den Betroffenen treffen (11_m15, 12_w17, 14_w17).
3.2.5 4 Wahrnehmungsbezogene Faktoren
Entscheidend dafür, wie belastend ein Ereignis erlebt wird, ist die individuelle Wahrnehmung der
Situation, wobei davon auszugehen ist, dass die zuvor genannten Faktoren zum Teil einen Ein-
fluss auf die kognitive Bewertung des Stressors haben.
Ein zentraler Aspekt ist hierbei die wahrgenommene Auftretenswahrscheinlichkeit negativer
Konsequenzen. Diese Konsequenzen können in Online-Interaktionskontexten zum einen techni-
scher Natur sein, z. B., wenn durch das Anklicken eines durch eine unbekannte Person zuge-
schickten Links ein Virus heruntergeladen wird, man seine Mailadresse verliert oder gehackt wird
(10_m13, 11_m15, 13_w17). Neben technischen Konsequenzen erhöhen zum anderen auch mögli-
che realweltliche Konsequenzen wie Stalking, körperliche Gewalt, sexuelle Übergriffe oder finan-
zielle Verluste das Belastungspotenzial einer Situation (03_w14, 04_m17, 06_m12, 10_m13,
11_m15). Auf die Frage, warum sie die Situation als schlimm bzw. belastend einschätzen, wurden
in ein paar Interviews – vor allem im Zusammenhang mit Hate-Kommentaren, Hate Speech und
Mobbing-Erfahrungen – zudem (gravierende) negative Auswirkungen auf das psychische Wohl-
befinden der betroffenen Person genannt („Also es kann halt auch zu Selbsthass führen. Dass
man sich dadurch einfach nicht mehr schön findet”, 14_w17; auch 11_m15, 13_w17). Im Umkehr-
schluss begründen mehrere Jugendliche eine niedrige Einschätzung des Belastungspotenzials
damit, dass keine negativen Konsequenzen zu erwarten seien (04_m17, 05_w17, 06_m12, 16_w15).
Damit zusammenhängend bewerten einige Jugendliche Situationen als wenig belastend, wenn
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
35
sie den Eindruck haben, entsprechende Konsequenzen durch ihr Handeln verhindern bzw. ver-
meiden zu können:
„Wenn mir z. B. gleich jemand gesagt hat: ,Ja, okay, kannst du Bilder schicken?’, habe
ich ja nicht mehr geantwortet. Das heißt, richtig schlimm ist es jetzt nicht wirklich
geworden” (05_w17).
Hier zeigt sich, dass die wahrgenommenen Kontrollierbarkeit einer Situation einen großen Ein-
fluss auf die Belastungsintensität hat: Wird die Situation als bewältigbar wahrgenommen,
scheint das die Belastungsintensität zu verringern (z. B. „Das Gute ist, man kann diese Leute, die
einen beleidigen, die kann man rausschmeißen meistens”, 07_m17; auch 05_w17, 12_w17, 14_w17).
Von vielen werden Online-Interaktionen zudem dann als problematisch und schlimm bewertet,
wenn sie soziale Normen und persönliche Werte verletzt sehen. Das betrifft insbesondere Fälle,
in denen rassistische und sexuelle Diskriminierung eine Rolle spielen. So wurden bei der Bewer-
tung der Szenarien zum Thema rassistische Hate Speech (Mo, s. Anhang) und zum Zusenden se-
xueller Fotos (Esra, s. Anhang) von den Befragten sehr hohe Zahlenwerte vergeben, und auch die
von den Befragten berichteten selbst erlebten sexuellen Übergriffe wurden in den meisten Fällen
als sehr schlimm bewertet. Voraussetzungen dafür, dass die Situation nicht nur auf einer von
Normen und Wertvorstellungen geleiteten Bewertungsebene als schlimm, sondern auch als
emotional belastend empfunden wird, scheint allerdings zu sein, dass man selbst Teil der diskri-
minierten Minderheit ist (07_m17, 15_m14).
Ein weiterer Aspekt, der die Einordnung und Bewertung des Erlebten zu beeinflussen scheint, ist
die Frage nach der eigenen Beteiligung bzw. Schuld an der Situation. So deutet sich in einigen
Interviews an, dass Jugendliche aggressives und verletzendes Verhalten ihnen gegenüber u. a.
dann als schlimm empfinden, wenn sie sich selbst als gänzlich unschuldig wahrnehmen und sie
nicht nachvollziehen können, weshalb die andere Person sich ihnen gegenüber auf diese Weise
verhält („Ich war ziemlich traurig, und doof, dass mich alle nicht mögen, weil eigentlich habe ich
nichts gemacht”, 09_m12; auch 01_m13, 03_w14, 08_m15, 14_w17). Gleichzeitig kann es – insbe-
sondere im Fall von sexuellen Grenzverletzungen – vorkommen, dass die Wahrnehmung, an der
Situation eventuell eine Mitschuld zu tragen bzw. diese durch ein bestimmtes (Kommunikations-
)Verhalten verursacht oder begünstigt zu haben, die Betroffenen verunsichert und zusätzlich be-
lastet (03_w14).
3.2.6 Stressorspezifische Unterschiede
In den Interviews deutet sich an, dass nicht alle der identifizierten Belastungsfaktoren in allen
Fällen gleichermaßen relevant sind bzw. zum Tragen kommen, sondern dass in unterschiedlichen
Situationen unterschiedliche Faktoren das Belastungserleben unterschiedlich stark prägen.
Konkret zeichnen sich folgende kontext- bzw. stressorspezifische Tendenzen ab:
In Fällen digitaler aufgedrängter Sexualität kristallisieren sich – abgesehen davon, dass sexuelle
Inhalte von vielen generell als irritierend und verstörend wahrgenommen werden – vor allem feh-
lende Freiwilligkeit bzw. Einvernehmlichkeit, Unmittelbarkeit und Direktheit als relevante Belas-
tungsfaktoren heraus. Grenzüberschreitungen sehen die Jugendlichen insbesondere dann,
wenn sie ungefragt sexuell konnotierte Bilder oder Nachrichten zugeschickt bekommen oder ein
im Vorfeld klar geäußertes „Nein” ignoriert wird.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
36
„Dann hat er mir nicht geglaubt, dass ich halt weiblich bin
und dann wollte er halt ein Intimfoto von mir haben, wo
ich gesagt habe: ,Nein.’ Und dann hat er mich gefragt, ob
ich seinen Intimbereich sehen will. Und ich habe halt nein
gesagt und er hat mir trotzdem ein Bild geschickt, ja.“
(Pia, 17 Jahre)
Mit Blick auf gemeines und verletzendes Verhalten, das sich, wie in Kapitel 3.2.1 dargestellt, je
nach Online-Umgebung stark unterscheiden kann, ist es schwieriger, pauschale Aussagen zu
treffen. Grundsätzlich scheinen hier verschiedene Faktoren eine Rolle zu spielen. Dazu zählen der
Kommunikationsinhalt sowie die Art der Kommunikation – und hier vor allem die Zielgerichtetheit
und der Tonfall -, die Dauer und Häufigkeit, die Frage nach einer möglichen Mitschuld, aber auch
Personenfaktoren wie die persönlichen Umstände bzw. Vorerfahrungen und die Bekanntheit der
Gesprächspartner*innen. In Interaktionskontexten wie z. B. Online-Games, die sich durch Anony-
mität und eine hohe personelle Fluktuation auszeichnen, was den wiederholten Kontakt mit einer
beleidigenden Person unwahrscheinlich macht, spielen absenderbezogene Faktoren eine gerin-
gere Rolle. Hier scheinen es eher bestimmte Kommunikationsinhalte und eine zielgerichtet-ag-
gressive Art der Kommunikation bei gleichzeitig wahrgenommener Schuldlosigkeit zu sein, die
das Auftreten einer Belastungsreaktion begünstigen. Gleichzeitig scheint der Aspekt der Erwart-
barkeit in diesem Zusammenhang insofern eine Rolle zu spielen, als entsprechende Verhaltens-
weisen Gaming-erfahrene Jugendliche nicht überraschen und sie teilweise Strategien entwi-
ckelt haben, um damit umzugehen. In Bezug auf Hate-Kommentare auf Social Media deutet sich
an, dass die Allgegenwärtigkeit und damit Erwartbarkeit entsprechender Kommentare das wahr-
genommene Belastungspotenzial teilweise verringert:
„Aber generell eine 1 [bezieht sich auf die Bewertung anhand der fünfstufen Skala,
Anmerk. der Autorinnen], weil es ist halt nicht besonders und es kommt sehr häufig
vor und damit muss man, was heißt muss man, aber damit rechnet man, weil man
kann es im Internet nie allen recht machen, es gibt immer jemanden, der sich darüber
beschwert. Das ist halt Social Media. Wenn man etwas öffentlich postet, dann kann
es halt jeder sehen und bestimmt auch jemand, der es nicht mag und dann wird er
halt mit einem Kotzsmiley kommentieren. Von daher, an sich finde ich das nicht allzu
schlimm” (15_m14).
Mit Hate Speech im engeren Sinne (gruppenbezogene Diskriminierung bzw. Menschenfeindlich-
keit) sind die befragten Jugendlichen bisher höchstens als Bystander in Berührung gekommen.
Aus der Auseinandersetzung mit dem Hate-Speech-Szenario ergeben sich als zentrale Belas-
tungsfaktoren der Kommunikationsinhalt, die klare Verletzung von Normen und Werten („Weil
Rassismus scheiße ist und auch einen Menschen etwas zerstört”, 14_w17) sowie mögliche gravie-
rende negative Konsequenzen (z. B. körperliche Gewalt und negative Auswirkungen auf das psy-
chische Wohlbefinden).
Letztendlich gilt es bei der Betrachtung der hier identifizierten Belastungsfaktoren zu beachten,
dass diese nicht unabhängig voneinander existieren, sondern dass sie häufig zusammenhängen
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
37
und dass sich das individuelle Belastungserleben in der Regel aus einem Zusammenspiel ver-
schiedener Faktoren ergibt.
3.3 Zusammengefasst: Online-Nutzung bedeutet (auch) Risikomanagement in multiplen Online-
Öffentlichkeiten
Die befragten Jugendlichen sind auf vielen verschiedenen Plattformen unterwegs und nutzen
diese in sehr individueller Weise. Die Angebote haben nicht nur eine spezifische Funktion im Me-
dienrepertoire der Heranwachsenden, sie werden auch für unterschiedliche Formen der Kom-
munikation, Interaktionen und Unterhaltung genutzt. Die Jugendlichen bewegen sich dabei in
multiplen Öffentlichkeiten, z. B. mit Mitschüler*innen in halböffentlichen Klassen-Chats, mit On-
line-Bekanntschaften in Multiplayer-Games oder mit Fremden oder Bots auf Social-Media-Platt-
formen. Entsprechend vielfältig ist auch das Spektrum an belastenden Erfahrungen in Online-
Interaktionskontexten. Im Rahmen der Studie wurden drei Erfahrungsbereiche genauer in den
Blick genommen:
Erfahrungen mit gemeinem und verletzendem Verhalten wurden von vielen der Jugendliche be-
richtet. Beleidigungen, Ausgrenzung und Diskriminierung finden dabei in verschiedenen Kontex-
ten (u. a. Mulitplayer-Spielen und Messenger-Diensten) und in unterschiedlichen Personenkons-
tellationen statt. Neben einer Vielzahl an (punktuellen) Ereignissen werden auch Fälle von andau-
erndem, systematischem Cybermobbing genannt, die über unterschiedliche Plattformen statt-
finden (können).
Hinsichtlich der Erfahrungen mit sexuellen Grenzverletzungen und Übergriffen wird von den über-
wiegend weiblichen Jugendlichen auf den unerwünschten Erhalt oder die Aufforderung zum Ver-
senden sexueller Bilder und sexuell konnotierter Nachrichten verwiesen. Snapchat wird dabei als
Plattform genannt, die aufgrund bestimmter Funktionen (z. B. selbstlöschende Fotos) ein sol-
ches Verhalten begünstige.
Hinweise auf Formen von Cybergrooming finden sich in drei Fällen. Die Beispiele von Sina und
Tobias zeigen, wie sich ein Kontakt über einen längeren Zeitraum aufbaut und wie anfängliche
Faszination und das Gefühl von Wertschätzung ins Gegenteil verkehrt. Zugleich finden sich Hin-
weise, dass schwierige familiäre Umstände die Empfänglichkeit für externe Ansprache und damit
auch die Vulnerabilität von Heranwachsenden erhöhen können.
Je nachdem, welche Sozialen Netzwerkdienste und -plattformen die Jugendlichen in welcher
Weise nutzen (z. B. beobachtend, kommentierend, aktiv, nur mit engen Freunden oder mit breiter
Öffentlichkeit etc.), werden sie mit unterschiedlichen Inhalten und Verhaltensweisen konfron-
tiert, die sie in unterschiedlicher Weise und zusätzlich zum Informations-, Identitäts- und Bezie-
hungsmanagement (Schmidt et al. 2009) fordern. Analog zu den Managementaufgaben ließe sich
hier entsprechend auch von einem Risikomanagement sprechen. 9
9
Der Begriff des Risikomanagements wurde 2015 zur Beschreibung eines Modells zum „Intelligenten Risikomanage-
ment” verwendet, das aufzeigte, wie verschiedenen Instrumente des Jugendmedienschutzes im Rahmen einer
zeitgemäßen Strategie miteinander verknüpft werden können (I-KiZ Jahresbericht 2015). Im vorliegenden Kontext
wird er für die Charakterisierung einer komplexen Aufgabe gebraucht, die vor allem von den Onlinenutzer*innen
geleistet werden muss. Auch im wissenschaftlichen Diskurs zu Coping taucht der Begriff des Risikomanagements
stellenweise auf. Hier wird Risikomanagement mit präventiven Copingbemühungen in Verbindung gebracht und
umfasst folglich verschiedene Handlungen, die darauf abzielen, möglichen (komplexen und nicht immer absehba-
ren) Risiken vorausschauend zu begegnen (Schwarzer & Knoll, 2003, S. 5f.).
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
38
4. Bewältigung belastender Online-Erfahrungen
Im Umgang mit belastenden Online-Situationen stehen Nutzer*innen vielfältige Strategien zur
Verfügung. Entsprechend zeigt sich in den Interviews eine große Bandbreite an handlungsbezo-
genen, kognitiven, problem- und emotionsorientierten Bewältigungsstrategien, die sich – u. a. in
Anlehnung an den Coping with Cyberhate Questionnaire (Wachs et al., 2020), den Coping with Cy-
berbullying Questionnaire (Sticca et al., 2015) und eine im Rahmen einer Literaturanalyse entstan-
denen Systematisierung von Perren et al. (2012)10 – zu verschiedenen übergeordneten Kategorien
zusammenfassen lassen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich dabei nicht immer
um distinkte, unabhängig voneinander zu betrachtende Kategorien handelt, sondern dass Coping
ein Prozess ist, in dessen Verlauf – je nach Anforderung der spezifischen Situation – verschie-
dene, unterschiedlich hilfreiche Strategien eingesetzt werden können.
4.1 Formen der Bewältigung
Zum einen lassen sich verschiedenartige Strategien beobachten, die der Verringerung oder dem
Abbruch von Online-Kontakten dienen. Dabei kann es sich um aktive, technische Abwehrstrate-
gien handeln, die darauf abzielen, die als unangenehm erlebte Person durch Blockieren, Melden,
Löschen des Kontakts aus der Kontaktliste oder Stummschalten aktiv aus der eigenen Online-
Umgebung zu entfernen bzw. seine Kontaktmöglichkeiten einzuschränken und auf diese Weise
die eigene Online-Umgebung so zu gestalten, dass man sich dort (wieder) wohlfühlen kann. In
diesem Zusammenhang werden auch Strategien thematisiert, die zum Ziel haben, die Spuren
bzw. Inhalte der anderen Person zu entfernen (z. B. den Chatverlauf zu löschen oder beleidigende
oder verletzende Kommentare und Fragen zu löschen). Beim Melden spielt zudem der Aspekt,
andere vor einer ähnlichen Erfahrung bewahren zu wollen, eine Rolle. So geben mehrere der be-
fragten Jugendlichen an, unangenehme Personen aus „moralischen” Gründen zu melden, damit
diese von der Plattform verwiesen werden und keinen weiteren Schaden anrichten können (z. B.
01_m13, 02_w16, 03_w14).
Eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zu einer als unangenehm erlebten Internetbekanntschaft
zu beenden, besteht darin, dem Gegenüber zu kommunizieren, dass kein weiterer Kontakt ge-
wünscht wird. Einige berichten wiederum davon, die Person so lange zu ignorieren, bis sich der
Kontakt von selbst einstellt. Wenn diese Strategien nicht zu dem gewünschten Ergebnis, einem
Kontaktabbruch, führen, greifen viele der befragten Jugendlichen schließlich doch auf techni-
sche Möglichkeiten wie das Blockieren zurück.
Es finden sich zudem eher passiv-vermeidende Strategien, die mit einem kurzzeitigen oder auch
längerfristigen Rückzug von der jeweiligen Online-Umgebung einhergehen. Zu eher kurzfristigen
Strategien zählen z. B., das Spiel zu verlassen bzw. zu beenden, das Gerät auszuschalten, die App
oder den offenen Tab zu schließen und sich stattdessen einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Ein
10
Im „Coping with Cyberbullying Questionnaire” finden sich sieben übergeordneten Strategien: „Distal Advice”, „Close
Support”,”Assertiveness”, „Helplessness/Self-blame”, „Active Ignoring”, „Retaliation” und „Technical Coping”. Abge-
sehen von der Kategorie des aktiven Ignorierens konnten diese Kategorien bei der Entwicklung des „Coping with
Cyberhate Questionnaires” bestätigt werden. Eine etwas andere Einteilung/Systematisierung nehmen Perren et al.
(2012) vor. Als relevante Strategien extrahieren sie aus der vorhandenen Literatur „support seeking”, „responding
(confrontation or retaliation)”, „technical solutions”, „avoidant coping” und „emotion-focussed strategies”.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
39
paar wenige Jugendliche berichten auch von einem längerfristigen Rückzug, d. h. dass sie bei-
spielsweise die App löschen, sie eine Weile nicht mehr nutzen oder den Gruppenchat verlassen.
In diesen Fällen entfernen die Jugendlichen also nicht die störende Person aus ihrer persönlichen
Online-Umgebung, sondern ziehen sich selbst aus dieser zurück. Einige Jugendliche entfernen
in Folge einer unangenehmen Interaktion zudem eigene Inhalte (z. B. TikTok- oder YouTube-Vi-
deos).
Eine andere Strategie zielt auf einen konfrontativen Umgang mit belastenden Online-Interaktio-
nen. Eine Konfrontation kann dabei entweder freundlich oder unfreundlich bzw. beleidigend
(08_m15) sein und – falls es sich um eine bekannte Person handelt – persönlich oder online statt-
finden. Dabei werden verschiedene Arten der Konfrontation thematisiert, u. a. die Person auf ihr
Fehlverhalten hinzuweisen und nach Beweggründen für das Verhalten zu fragen, die Person
ebenfalls zu beleidigen oder schlagfertig zu kontern. Tendenziell scheinen konfrontative Strate-
gien häufiger eingesetzt zu werden, wenn es sich um Interaktionen mit bekannten Personen han-
delt, die auch im analogen Leben eine Rolle spielen und die nicht so leicht im eigenen Leben „blo-
ckiert” werden können. Strategien, die auf Rache abzielen, wurden von den befragten Jugendli-
chen nur vereinzelt thematisiert. Ein Jugendlicher nennt beispielsweise die Möglichkeit, ein Spiel
absichtlich zu verlieren (08_m15). Ein anderer Befragter deutet an, dass er körperliche Gewalt an-
wenden würde, wenn er den*die Verfasser*in eines besonders verletzenden Tellonym-Kommen-
tars ausfindig machen könnte (11_m15).
Diesen stressorzugewandten Strategien gegenüber stehen Strategien wie „nicht auf Kontaktver-
suche eingehen”, „nicht antworten”, „abwarten”, „nicht weiter darüber nachdenken”, „versuchen
die Situation zu vergessen”, „verdrängen” oder „ignorieren“. In diesem Zusammenhang themati-
sieren ein paar der befragten Jugendlichen Verdrängung als dysfunktionale Copingstrategie
(11_m15, 15_m14) und grenzen sie damit klar von aktivem Ignorieren ab, das häufig mit Strategien
wie Blockieren oder Löschen einhergeht.
„Ignorieren ist einfach angucken, löschen, fertig, nicht
drauf eingehen. Verdrängen ist, es aufzunehmen, auch
wenn es einem wehtut und es einfach in den Hinterkopf
zu stecken und einfach mit niemandem drüber reden. (..)
Und einfach (..) selbst dran kaputtzugehen.“
(Dustin, 15 Jahre)
Bei der Betrachtung der dieser Kategorie zuzuordnenden Strategien sind zwei Dinge auffällig:
Zum einen treten sie in der Regel im Zusammenhang mit anderen Strategien wie Löschen, Blo-
ckieren oder Melden auf. Zum anderen können sie im Copingprozess zu unterschiedlichen Zeit-
punkten eingesetzt werden und haben dementsprechend unterschiedliche Funktionen. Das Ig-
norieren kann sich auf die Kommunikationsinhalte und/oder die beteiligte Person (während der
akuten Stresssituation) oder aber auf die Erfahrung (nach „Abschluss“ der akuten Situation) be-
ziehen.
Zudem finden sich in den Interviews Hinweise auf kognitive Strategien, d. h. Strategien, die auf
gedanklicher Ebene ablaufen und z. B. eine gedankliche Abwertung des Gesprächspartners oder
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
40
eine Distanzierung von oder eine Umdeutung der Situation umfassen (01_m13, 12_w17). Interes-
sant ist in diesem Zusammenhang, dass ein paar Mädchen im Umgang mit sexuellen Grenz- und
Ehrverletzungen davon sprechen, dass sie das Erlebte als „lustig” (12_w17) wahrnehmen, sich mit
Freund*innen darüber lustig machen (12_w17) oder darüber lachen (03_w14). Fragt man sie, was
sie daran als lustig empfinden, deutet sich an, dass es sich hierbei entweder um eine Art Über-
sprungshandlung („Also es ist jetzt sozusagen einfach so ein Schock und du, ich sage jetzt mal,
du lachst es einfach weg”, 03_w14) oder um eine kognitive Abwertung der übergriffigen Person
handelt („weil die Leute sich halt zum Affen machen damit” (12_w17). Zudem geht aus den Aussa-
gen hervor, dass Humor im Umgang mit einer als belastend wahrgenommenen Online-Interaktion
vor allem im Beisein anderer Personen auftritt.
„Früher war ich selber sehr aggressiv. Ich zähle zum
Beispiel, wenn ich kurz vor dem Platzen bin, zähle ich für
mich einmal bis zehn, zwanzig, bis es halt einen beruhigt,
atme tief durch.“ (Dustin, 15 Jahre)
Während der Großteil der genannten Strategien eher problemorientiert zu sein scheint, d. h. auf
die Bewältigung bzw. Veränderung der jeweiligen Situation abzielt, thematisieren ein paar Ju-
gendliche auch emotionsregulierende Strategien, die der Bewältigung der mit dem Stressor ein-
hergehenden Emotionen dienen. Zu diesen zählen vor allem Aktivitäten, die Spaß machen, ablen-
ken und helfen, „den Kopf freizukriegen” (14_w17). Als Beispiele hierfür nennen die Jugendlichen,
Hobbys nachzugehen (z. B. Reiten, Zeichnen, Musik oder Sport machen), YouTube-Videos anzu-
schauen, einen Spaziergang zu machen oder etwas mit Freund*innen zu unternehmen. Zudem
verweist ein Jugendlicher auf die Möglichkeit, mit speziellen Entspannungsübungen, z. B. Medi-
tation oder Yoga, das eigene Gefühlsleben zu regulieren. Diese Strategien, die sich unter dem
Begriff der „konstruktiv-palliativen Emotionsregulation” (Eschenbeck et al., 2006) zusammenfas-
sen lassen, stehen destruktiv-ärgerbezogene Strategien gegenüber. So verweist ein Jugendli-
cher (11_m15) im Zusammenhang mit der Bewältigung von Wut auf Selbstverletzung (z. B. gegen
die Wand schlagen) oder Alkoholkonsum als mögliche Bewältigungsstrategien, wobei er diese
nach eigener Aussage nicht einsetzen würde.
Eine zentrale Strategie im Umgang mit belastenden Erlebnissen stellt die Suche nach sozialer
Unterstützung dar. Dabei kristallisieren sich in den Interviews insbesondere Eltern und
Freund*innen als relevante Ansprechpersonen heraus. Grundsätzlich können aber unterschiedli-
che Vertrauenspersonen aus dem familiären und Peer-Kontext hinzugezogen werden. Im Zusam-
menhang mit Mobbing und Beleidigungen im Klassenchat werden vermehrt auch Lehrkräfte als
mögliche Ansprechpartner*innen genannt. Wen die Jugendlichen ansprechen, ist von verschie-
denen Faktoren abhängig. Wenig überraschend ist, dass Vertrauen hier eine zentrale Rolle spielt
und dementsprechend das Eltern-Kind-Verhältnis einen starken Einfluss darauf zu haben
scheint, ob die Eltern hinzugezogen werden oder ob sich die Jugendlichen eher an Peers wenden.
Zudem zeigt sich bei einigen Jugendlichen eine stressor- bzw. themenspezifische Tendenz:
Während manche Jugendlichen angeben, mit ihren Eltern grundsätzlich über alles zu sprechen
(05_w17), zögern andere vor allem bei sexuell konnotierten Erfahrungen, ihren Eltern davon zu
berichten (z. B. 03_w14, 10_m13). Einige äußern außerdem die Sorge, dass sie – sollten sie ihren
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
41
Eltern von dem belastenden Erlebnis erzählen – die App nicht mehr verwenden dürfen (03_w14,
15_m14). Entscheidend für die Auswahl ist zudem, dass die Ansprechperson als verständnisvoll,
einfühlsam und kompetent wahrgenommen wird. So werden in Bezug auf inhaltliche Aspekte
häufig Freund*innen, die über ähnliche Erfahrungswerte verfügen, als Ansprechpartner*innen
bevorzugt (z. B. „Ja, aber sonst, ja, mit Freunden auch drüber geredet, so allgemein ausge-
tauscht, also mit den anderen, also, weil die ja das auch sozusagen durchgemacht haben”,
05_w17). Eltern dagegen werden gerade von den Jüngeren häufig aufgrund ihrer wahrgenomme-
nen Technikkompetenz als Unterstützungsquelle in den Blick genommen (06_m12, 09_m12). Ge-
nerell zeigt sich aber, dass viele Jugendliche sowohl mit ihren Eltern als auch mit Peers über das
Erlebte sprechen. Dabei lassen sich verschiedene Arten der Unterstützung beobachten: emoti-
onale und instrumentelle Unterstützung. Instrumentelle Unterstützung umfasst problemlö-
sungsorientierte, praktische Hilfe wie Ratschläge bezüglich eines guten Umgangs mit der Situa-
tion oder technische Hilfe (z. B. ein Reset des Handys). Emotionale Unterstützung dagegen zielt
darauf ab, emotionalen Beistand zu erhalten, z. B. durch den Austausch über negative Erfahrun-
gen und damit verbundene Emotionen, Trost oder emotionale und körperliche Nähe. Es deutet
sich an, dass die Suche nach sozialer Unterstützung mit steigendem Belastungserleben an Be-
deutung gewinnt. So geht aus einigen Interviews hervor, dass Vertrauenspersonen und insbe-
sondere die Eltern vor allem dann hinzugezogen werden, wenn sich die Jugendlichen nicht mehr
anders zu helfen wissen (02_w16).
Neben Unterstützung aus dem näheren persönlichen Umfeld berichten einige Jugendliche auch
von der Inanspruchnahme institutioneller Unterstützung (z. B. Polizei, Schulleitung). Interessant
ist, dass in diesen Fällen häufig die Eltern als eine Art vermittelnde Instanz bzw. als Bindeglied
fungieren (02_w16, 09_m13), die die Kontaktaufnahme zur Polizei und teilweise auch den Lehr-
kräften oder den Eltern der beleidigenden Person in die Wege leiten. Mit Blick auf die Inanspruch-
nahme polizeilicher Unterstützung ist zu berücksichtigen, dass Kinder selbst nicht zum Stellen
eines Strafantrags berechtigt sind. Insofern kann es sein, dass die Eltern bei der Kontaktauf-
nahme mit der Polizei zwangsläufig einbezogen werden mussten. Im Kontext institutioneller Un-
terstützung durch die Polizei ergibt sich aus einem Interview, dass bestimmte Copingstrategien
wie das Löschen des Chatverlaufs oder das Entfernen unerwünschter Bildinhalte eine strafrecht-
liche Verfolgung erschweren (02_w16). 11
Eine Übersicht über die genannten Bewältigungsformen gibt die folgende Abbildung (Abb. 4).
11
Wie bereits oben erwähnt, wird bei einigen Angeboten (z. B. Snaptchat) die Beweisführung durch die anbietersei-
tige Löschung von Inhalten erschwert.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
42
Abbildung 4: Übersicht über die von den Jugendlichen genannten Bewältigungsformen
Beenden der Situation/Kontaktabbruch
(aktiv)
Technische Strategien, z. B.
Blockieren
Melden
Vom Server schmeißen
Person löschen
Stummschalten
Person aus Spiel rausschmeißen
Person mitteilen, dass kein Kontakt mehr
gewünscht ist
Aktives Ignorieren (z. B. nicht Anworten)
Spuren der anderen Person entfernen,
z. B.
Chatverlauf löschen
Kommentare löschen
Beenden der Situation/Kontaktabbruch
(passiv-vermeidend)
a) Kurzfristig
Spiel verlassen/beenden
Gerät ausschalten
Tab/App schließen
Sich zurückziehen
Eigene Inhalte (z. B. Videos auf TikTok)
löschen
b) Längerfristig
App löschen
App temporär nicht mehr verwenden
Gruppenchat verlassen
Alternative Plattform nutzen
Schule wechseln
Interaktionsbezogen-konfrontative
Strategien
a) Konfrontation
Nachricht in Gruppenchat schicken
Person persönlich darauf ansprechen
Freundschaftsanfrage schicken, um
Person persönlich zu konfrontieren
Sich wehren
Auf Fehlverhalten hinweisen
Gründe für Verhalten erfragen
Schlagfertig kontern
b) Rache
Spiel absichtlich verlieren
(„Game throwing“)
Rache im echten Leben
Emotionsregulation
a) Konstruktiv
Aktivitäten, die Spaß machen,
ablenken und helfen, den Kopf
freizukriegen, z. B.
Hobbys nachgehen
YouTube-Videos schauen
Einen Spaziergang machen
Freund*innen treffen
Gezielter Einsatz von
Entspannungstechniken (z. B.
Meditation oder Yoga)
b) Destruktiv
Selbstverletzung
(z. B. gegen die Wand schlagen)
Alkoholkonsum
Ablenken (z. B. Sport machen)
Sich zurückziehen
Suche nach Unterstützung
a) Soziale Unterstützung
Mit jemandem darüber sprechen
Eltern
Freund*innen
Lehrkräfte
Hilfe in Online-Umgebung suchen
Admin rufen
Im Game Verbündete suchen
Humor (gemeinsam darüber lachen)
b) Institutionelle Unterstützung, z. B.
Zur Polizei gehen
Schulleitung kontaktieren
Kognitive Strategien
Strategien, die auf gedanklicher Ebene
ablaufen, z. B.
Gedankliche Abwertung des
Gesprächspartners
Distanzierung von Erlebnis
Umdeutung der Situation
Kommunikationsinhalt ignorieren
Versuchen zu vergessen
Verdrängen
Humor (darüber lachen)
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
43
4.2 Wahrgenommene Wirksamkeit
Da individuelle Bewältigungsbemühungen nicht immer bzw. automatisch erfolgreich und effektiv
sind, stellt sich die Frage, welche Strategien die Jugendlichen im Umgang mit negativen Online-
Erfahrungen als hilfreich empfinden. Um dies herauszufinden, wurden die Teilnehmenden gebe-
ten, die im Vorfeld von ihnen genannten und notierten Strategien zu einem grünen (hilfreich) oder
roten Daumen (nicht hilfreich) zuzuordnen und ihre Einordnung kurz zu begründen. Dabei zeigt
sich: Grundsätzlich werden technische Abwehrstrategien wie Blockieren, das Entfernen bzw. Lö-
schen des Kontakts, Stummschalten oder Melden als positiv bzw. hilfreich bewertet. Als Gründe
hierfür nennen die Jugendlichen die damit einhergehenden eingeschränkten Kontaktmöglich-
keiten bzw. den daraus resultierenden Kontaktabbruch und die sofortige Wirkung dieser Maß-
nahmen. Einschränkungen hinsichtlich der Effektivität sehen einige Jugendliche allerdings be-
züglich der Meldefunktion. Zwar nutzen die meisten diese Möglichkeit und würden sie auch ande-
ren Jugendlichen empfehlen. Gleichzeitig zweifeln sie aber daran, ob das Melden wirklich eine
Wirkung, d. h. Konsequenzen für die gemeldete Person, hat. Eine Befragte verweist in Bezug auf
die Möglichkeit, nach dem Erhalt von Dick Pics über eine externe, nicht näher benannte Website
eine Strafanzeige zu stellen, die sie grundsätzlich als hilfreich empfindet, auf den negativen As-
pekt, dass man dort das Foto hochladen und es dementsprechend noch einmal anschauen muss
(14_w17).
Nicht immer werden konfrontative Strategien als hilfreich bzw. sinnvoll empfunden. Schließlich
hat eine Konfrontation der beleidigenden oder übergriffigen Person nicht zwangsläufig eine po-
sitive Wirkung. Das gilt beispielsweise, wenn die Person sich der Diskussion entzieht, indem sie
nicht antwortet, einen sogar blockiert oder ihr Fehlverhalten nicht einsieht. Gleichzeitig äußern
einige Jugendliche im Zusammenhang mit konfrontativen Strategien die Befürchtung, dass eine
Konfrontation die Situation noch verschärfen und unangenehmen Konsequenzen wie „unnötige
Diskussionen in der Schule” (14_w17) nach sich ziehen könnte. Zudem verweisen sie darauf, dass
eine genervte Reaktion ihrerseits genau das ist, was die andere Person mitunter erhoffen
könnte:
„Weil die machen sich lustig und amüsieren sich, wenn irgendwer versucht, ihnen et-
was einzulabern” (15_m14).
„Aber sie hat ihm, glaube ich, nicht zurückgeschrieben, oder wir haben sie davon ab-
gehalten, glaube ich zurückschreiben, weil sie eben eigentlich erst zurückschreiben
wollte. Und ich glaube, wenn du das machst, hast du ja seine Aufmerksamkeit. Oder
er weiß dann, dass du ihm quasi Aufmerksamkeit schenkst” (13_w17).
Andererseits haben einige Jugendliche positive Erfahrungen damit gemacht, die Person (persön-
lich) zur Rede zu stellen, ihr die eigene Meinung zu sagen, nach den Beweggründen für das unso-
ziale Verhalten zu fragen und eine Entschuldigung einzufordern. Ob die Konfrontation als hilfreich
empfunden wird, hängt letztendlich also von der Art der Konfrontation, der Zugänglichkeit des
Gegenübers und vom Gesprächsausgang ab.
Auch vermeidende Strategien werden nicht per se als hilfreich wahrgenommen. Zwar kann es –
insbesondere in Kombination mit anderen Strategien wie Ablenkung oder der Suche nach sozia-
ler Unterstützung – für den Moment helfen, sich aus der Online-Umgebung zurückzuziehen und
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
44
die Interaktion damit zu beenden. Allerdings sehen einige Jugendliche einen längerfristigen
Rückzug von der Plattform kritisch:
„Daumen nach unten ist Musical.ly Pause oder App-Löschen, weil man sollte trotzdem
sein Ding durchziehen und an sich glauben” (14_w17).
In Bezug auf Strategien, die das Ignorieren von Kommunikationsinhalten und/oder der Interakti-
onspartner*innen beinhalten, lässt sich feststellen, dass diese nicht in allen Fällen als wirksam
bewertet werden. Gepaart mit anderen technischen Strategien können sie aber durchaus als hilf-
reich empfunden werden.
„Dann die ignorieren. Ignoriere ich sie einfach, höre gar
nicht zu, dann fühle ich mich irgendwie besser.
Blockieren, dass sie nicht mehr mich doof nennen oder
so.“ (Julien, 12 Jahre)
Voraussetzung dafür scheint allerdings zu sein, dass die Situation damit abgeschlossen ist. So
berichtet ein Junge von der Erfahrung seines Freundes, der im Fall von Cybermobbing zunächst
versuchte, die Nachrichten zu ignorieren und die Situation auszusitzen, damit aber wenig erfolg-
reich war und letztendlich die Schule wechseln musste (10_m13). Ignorieren scheint auch dann als
dysfunktional bewertet zu werden, wenn es eine verdrängende Funktion hat und dazu führt, dass
eine notwendige Auseinandersetzung und Einordnung des Erlebten nicht erfolgen kann (z. B.
15_m14).
Sozialer Unterstützung wird von den befragten Jugendlichen stressorunabhängig eine hohe
Wirksamkeit attestiert (z. B. „Deshalb finde ich, dass allgemein Menschen, also mit einer anderen
Person zu reden, das ist ganz wichtig”, 07_m17; auch 05_w17). Dabei ist es allerdings wichtig, dass
zum einen die unterstützende Person mit den ihr zugeschriebenen Kompetenzen zur jeweiligen
Situation passt und zum anderen, dass die Art der Unterstützung (emotions- vs. problemlösungs-
orientiert) den situativen Bedürfnissen der Jugendlichen entspricht (14_w17). Zudem verweist ein
Jugendlicher darauf, dass es nicht allen Menschen leichtfällt, über Belastendes bzw. negative
Gefühle zu sprechen, was die Inanspruchnahme sozialer Unterstützung erschweren kann (11_15).
Konstruktive Strategien der Emotionsregulation, die in einigen Interviews eher generell und nicht
unbedingt in Bezug auf negative Online-Erfahrungen thematisiert wurden, nehmen die Jugendli-
chen grundsätzlich – auch im Umgang mit nicht online-bezogenen Stressoren – als hilfreich wahr.
Diese Strategien, die dazu dienen, „runterzukommen” (08_m15), „den Kopf freizukriegen” (14_w17)
und sich abzulenken, können also dazu beitragen, sich besser zu fühlen. Ärgerbezogen-destruk-
tive Strategien dagegen werden von den wenigen Jugendlichen, die diese thematisieren, als dys-
funktional wahrgenommen.
4.3 Bewältigung als Prozess
Bei der Betrachtung dieser deskriptiv-zusammenfassenden Ergebnisse ist zu berücksichtigen,
dass die Jugendlichen bei der Bewältigung eines online-basierten Stressors in der Regel nicht
nur eine Strategie, sondern meist mehrere Strategien – entweder parallel oder aufeinander fol-
gend – einsetzen. So scheint es für viele Jugendliche eine Art „Standardprogramm” im Umgang
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
45
mit unangenehmen Interaktionspartner*innen im Internet zu geben, das daraus besteht, nicht
weiter auf die Kommunikationsinhalte einzugehen (aktives Ignorieren), die Person zu blockieren
bzw. zu entfernen und zu melden. Dieses „routinierte” Vorgehen weisen vor allem Jugendliche
auf, die eine Erfahrung schon häufiger gemacht haben und die dementsprechend von einer Art
Gewöhnungseffekt berichten. Je nachdem, wie stark das individuelle Belastungserleben ausfällt,
werden zudem emotionsorientierte Copingstrategien eingesetzt oder soziale Unterstützung in
Form von Eltern und Peers in Anspruch genommen. Diese wiederum können neue Impulse geben
und somit weitere Copinghandlungen anregen. Für viele Jugendliche scheint das Erlebte mit dem
– ggf. um emotionsorientierte Strategien ergänzten – Kontaktabbruch erledigt zu sein. Wie der
Fall von Tobias [15_m14] veranschaulicht, kann es aber auch vorkommen, dass – obwohl die akute
Situation durch einen Kontaktabbruch beendet wurde – das Erlebte noch nicht verarbeitet oder
bewältigt ist.
Dass es sich bei Coping um einen Prozess handelt, zeigt sich insbesondere mit Blick auf solche
Erfahrungen, die einen weniger punktuell-singulären Charakter aufweisen und sich über einen
längeren Zeitraum erstrecken, beispielsweise die in den Interviews thematisierten Cybermob-
bing- oder Grooming-Fälle. Am Beispiel von Sinas Erfahrung (02_w16) lässt sich dieser prozess-
hafte Charakter veranschaulichen. So versuchte sie zunächst, die Sache allein zu klären: Sie
teilte ihrem Gesprächspartner mit, dass sie keinen Kontakt mehr wolle, löschte den Chatverlauf
und blockierte ihn schließlich. Als er den Kontaktabbruch nicht akzeptierte und ihr drohte, wusste
Sina sich allein nicht mehr zu helfen und wandte sich an ihre Eltern. Mit diesen ging sie schließlich
zur Polizei.
Gerade in Interaktionskontexten, die durch die Beteiligung einer anderen Person, deren Handlun-
gen und Reaktionen nur begrenzt kontrollierbar sind, zwangsläufig einer gewissen Dynamik un-
terliegen, kann es also notwendig sein, verschiedene Strategien einzusetzen bzw. auszuprobie-
ren und diese immer wieder anzupassen.
Grundsätzlich unterscheiden sich die Strategien, die die Jugendlichen im Umgang mit verschie-
denen online-basierten Stressoren einsetzen, nicht gravierend voneinander. In den meisten Fäl-
len spielen technische Möglichkeiten eine Rolle. Diese Strategien werden teilweise um emotion-
sorientierte Strategien oder die Suche nach Unterstützung ergänzt. Dennoch gibt es auch Stra-
tegien, die nur im Umgang mit bestimmten Stressoren eingesetzt werden (können) bzw. sinnvoll
sind. Auffällig ist beispielsweise, dass konfrontative Strategien im Kontext sexueller Grenzver-
letzungen kaum eine Rolle zu spielen scheinen. Dies ist möglicherweise damit zu begründen, dass
die meisten sexuellen Grenzverletzungen in den von den Jugendlichen beschriebenen Fällen von
Unbekannten ausgingen. So gibt eine Befragte an, dass sie bei bekannten Absendern immer ei-
nen konfrontativen Umgang mit der Situation wählen würde:
„Also meistens sind das halt auch fremde Personen, aber so, das ist mir jetzt noch nie
passiert, aber wenn das Personen sind, die du kennst, würde ich die auf jeden Fall
konfrontieren damit so, warum machst du das?“ (03_w14).
Dieses Vorgehen scheint allerdings nicht für alle Jugendlichen in Frage zu kommen. So wählte
Chiara (12_w17), die von gleichaltrigen Bekannten Nacktfotos zugeschickt bekam, die Strategie,
die betreffenden Personen online kommentarlos zu blockieren und im „echten Leben“ zu ignorie-
ren. Zudem gibt es nicht auf allen Plattformen, sondern hauptsächlich in Games, die Möglichkeit,
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
46
Admins oder Moderator*innen hinzuzuziehen. Dagegen ist es auf Social-Media-Plattformen gän-
gig, beleidigende und übergriffige Personen zu melden und zu blockieren, während dies in Online-
Games nicht die gängige Praxis zu sein scheint.
Neben reaktiven Copingstrategien, Strategien also, die auf die Bewältigung eines akuten Stres-
sors abzielen, werden auch Strategien thematisiert, die dazu beitragen, das Risiko negativer In-
teraktionen zu reduzieren. So verweisen einige Jugendliche auf die Möglichkeit, auf Social-Me-
dia-Plattformen nur bekannte Personen anzunehmen und die Privatsphäre-Einstellungen – falls
möglich – entsprechend einzurichten (z. B. das Profil privat stellen, das Konto so einstellen, dass
man die Nachrichtenanfragen von fremden Personen erst annehmen muss oder den Standort bei
Snapchat ausschalten). Zudem haben einige Jugendliche – häufig in Folge einer oder mehrerer
Negativerfahrungen – spezielle, teils plattformspezifische, Strategien entwickelt, um mögliche
Gefahren und Risiken besser abschätzen zu können. So kann es helfen, bei Snapchat einen Blick
auf den Snapscore des Kontakts zu werfen. Dieser gibt einen Hinweis darauf, wie lange der Ac-
count einer Person schon existiert (03_w14). Zudem empfiehlt ein Jugendlicher, Links, die einem
von einer fremden Person zugeschickt werden, vor dem Anklicken genau durchzulesen. Nicht zu-
letzt kann der Name des Accounts einen Hinweis darauf geben, dass es sich beim Absender um
eine nicht vertrauenswürdige Person handelt. In Multiplayer-Online-Games, bei denen man in ei-
ner zufällig zusammengestellten Runde mit unbekannten Personen zusammenspielt, empfiehlt
es sich nach Aussage eines Befragten, vor Beginn des Spiels grundsätzlich alle Mitspieler*innen
stummzuschalten (08_m15).
4.4 Zusammengefasst: Kombinationsvielfalt unterschiedlicher Reaktionen und
Bewältigungsstrategien
Kinder und Jugendliche greifen bei belastenden Online-Erfahrungen auf ein vielfältiges Hand-
lungsspektrum zurück. Neben Strategien, die auf den Stressor ausgerichtet sind (z. B. techni-
sche Abwehrstrategien, passiv-vermeidende Strategien oder Konfrontation), finden sich auch
solche, die darauf abzielen, sich nicht mit dem Stressor – dies können Kommunikationsinhalte,
Personen oder Erfahrungen sein – zu befassen, sondern diesen bewusst zu ignorieren. Weiterhin
lassen sich kognitive und emotionsregulierende Strategien erkennen (z. B. Abwertung des Stres-
sors bzw. Ablenkung und Fokussierung auf etwas Positives), die Jugendliche anwenden, um mit
einer belastenden Online-Situation besser zurecht zu kommen. Eine große Bedeutung kommt –
insbesondere bei steigendem Belastungserleben – der sozialen Unterstützung durch Eltern,
Freund*innen oder Lehrer*innen zu, wobei die Heranwachsenden je nach negativer Online-Erfah-
rung, Vertrauensverhältnis und möglichen Konsequenzen abwägen, an wen sie sich wenden. Ver-
einzelt wird auch institutionelle Hilfe (z. B. Polizei, Schulleitung) in Anspruch genommen, wobei
häufig die Eltern als Vermittler fungieren (s. Kapitel 5.1).
In der alltäglichen Onlinenutzung werden die Bewältigungsstrategien – je nach Situation und Be-
lastungsgrad – zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Kombinationen einge-
setzt. Dabei können einzelne Strategien wie beispielsweise das Löschen des Chatverlaufs oder
das Entfernen unerwünschter Bildinhalte mitunter auch kontraproduktiv wirken, da sie eine
strafrechtliche Verfolgung erschweren.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
47
5. Unterstützungsangebote: Kenntnis, Nutzung und
Verantwortungszuschreibung
Im Umgang mit belastenden Online-Erfahrungen sind Kinder und Jugendliche nicht auf sich allein
gestellt, sondern können auf vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfsangebote zurück-
greifen – vorausgesetzt, sie kennen entsprechende Anlaufstellen und empfinden diese als hilf-
reich. Daher wurden die Jugendlichen gefragt, welche Unterstützungsmöglichkeiten ihnen be-
kannt sind, wie sie diese bewerten, von wem sie schon einmal Unterstützung in Anspruch genom-
men haben und was aus ihrer Sicht gute Unterstützung ausmacht.
5.1 Wissen über und Inanspruchnahme verschiedener Unterstützungsmöglichkeiten
Im Gespräch mit den Jugendlichen kristallisieren sich verschiedene Personen- und Akteursgrup-
pen heraus, die die Befragten kennen und im Fall negativer Online-Erfahrungen heranziehen.
Dazu zählen neben den bereits thematisierten Vertrauenspersonen aus dem persönlichen Um-
feld (z. B. Eltern und Freund*innen), verschiedene Ansprechpersonen im Schulkontext (z. B.
Lehrkräfte, Vertrauenslehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen oder Medienscouts), seelsorgeri-
sche Beratungsangebote (z. B. die Nummer gegen Kummer oder die Telefonseelsorge), die Poli-
zei, psychologische Unterstützung sowie anbieterseitige Unterstützungs- und Meldemöglichkei-
ten. Inwiefern diese in Anspruch genommen und als hilfreich und unterstützend wahrgenommen
werden, wird im Folgenden näher betrachtet.
5.1.1 Vertrauenspersonen aus dem persönlichen Umfeld: Eltern, Familie, Freund*innen
Es zeigt sich, dass die befragten Jugendlichen vor allem an Personengruppen aus dem näheren
persönlichen Umfeld als potenzielle Ansprechpersonen denken und in Erwägung ziehen. Bei die-
sen handelt es sich um nahe Familienmitglieder, allen voran Eltern und Geschwister sowie
Freund*innen. Diese können helfen, indem sie gut zureden und die betroffene Person aufheitern,
aber auch indem sie mögliche Lösungswege aufzeigen. Die Unterstützung dieser Personen-
gruppe wird in der Regel als positiv bewertet. Als Auswahlkriterien dafür, dass eine bestimmte
Person als Unterstützer*in herangezogen wird, werden in den Interviews Vertrauenswürdigkeit,
Lebenserfahrung, Einfühlungsvermögen und wahrgenommene Medien- und Plattformkompe-
tenz genannt. So verweisen einige Jugendliche als Voraussetzung dafür, dass die Eltern hinzu-
gezogen werden, auf die Notwendigkeit eines guten Eltern-Kind-Verhältnisses (04_m17, 05_w17).
Zudem schätzen einige es als hilfreich ein, dass ihre Eltern im Gegensatz zu Freund*innen über
mehr Lebenserfahrung verfügen und daher möglicherweise bessere Ratschläge geben können.
Während vor allem die Jüngeren darauf vertrauen, dass ihre Eltern ihnen „immer helfen können”
(06_m12), zeigen ein paar Jugendliche auch Grenzen elterlicher Unterstützung auf. Aus ihrer
Sicht sind Eltern keine gute Anlaufstelle, wenn es um sexuelle Grenzverletzungen geht (03_w14),
u. a., weil dies ein Nutzungsverbot nach sich ziehen könnte. Zudem gibt eine Befragte an, die El-
tern könnten an der Situation selbst „auch nicht so viel ändern” (16_w15).
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
48
5.1.2 Ansprechpersonen im Schulkontext
Im Schulkontext gibt es aus Sicht der Jugendlichen verschiedene Ansprechpartner*innen, die bei
Problemen im Netz helfen können. In diesem Zusammenhang werden am häufigsten Lehrkräfte,
im Speziellen auch Vertrauenslerher*innen, genannt. Zudem verweisen einige auf Schulsozialar-
beiter*innen, Hortpersonal oder Medienscouts. In Bezug auf die Lehrkräfte geht aus mehreren
Interviews hervor, dass diese hauptsächlich dann als potenzielle Ansprechpersonen wahrgenom-
men werden, wenn es um unangenehme Online-Interaktionen geht, die sich im (schulischen)
Peer-Kontext abspielen, z. B. „[w]enn es mit der Schule zu tun hat, z. B. gemobbt zu werden”
(10_m13) oder „wenn es um den Klassenchat geht” (01_m13). Ein Vorteil kann in diesem Fall sein,
dass die Lehrkräfte die beteiligten Personen kennen, die Situation dementsprechend besser ein-
ordnen und darauf reagieren können (01_m13) oder vielleicht auch einen Rat haben (16_w15).
„In der Schule, finde ich, ist zu sehr das, was du irgendwie
immer hast. Also du bist, glaube ich, zu sehr in deinem
eigenen Privatgedöns vielleicht drin und brauchst mehr
Abstand eigentlich. Weil die Lehrer dann natürlich auch
dich kennen und auch die anderen Leute kennen, mit
denen du sprichst.” (Tara, 17 Jahre)
Als uneingeschränkt hilfreich stufen allerdings nur die wenigsten der dazu befragten Jugendli-
chen diese Personengruppe ein. Als Gründe dafür, dass Lehrkräften bezüglich ihrer Unterstüt-
zungskompetenz bei Online-Stress nur eine mittlere Wirksamkeit attestiert wird, ergeben sich
ein fehlendes Vertrauensverhältnis (02_w16, 16_w15), fehlende Distanz bzw. Neutralität bzw. ein
gewisses Spannungsverhältnis aus Nähe und Distanz („Weil die ja meistens nicht so neutral sind.
Weil die ja beide Seiten nicht kennen, aber halt, ja, schon irgendwie kennen”, 14_w17) und das Ge-
fühl bzw. die Erfahrung, dass sich einige Lehrkräfte für solche Dinge nicht zuständig fühlen bzw.
diese nicht ernst nehmen (10_m13), was insgesamt die Hemmschwelle erhöhen kann, sich an
Lehrpersonen zu wenden (13_w17). Dennoch gehen einige Jugendliche davon aus, dass Lehr-
kräfte und vor allem Vertrauenslehrer*innen für andere Kinder und Jugendliche eine gute Anlauf-
stelle sein können (02_w16, 10_m13, 15_m14). Die Medienscouts, die nur von einer Teilnehmenden
genannt wurden, wurden von dieser aufgrund fehlender Erfahrungswerte als „mittelhilfreich” be-
wertet.
5.1.3 (Seelsorgerische) Beratungsangebote
Einige der befragten Jugendlichen haben schon einmal von seelsorgerischen Beratungsangebo-
ten wie z. B. der Telefonseelsorge (12_w17) oder der Nummer gegen Kummer (03_w14), themen-
spezifischen Angeboten wie „Anti-Mobbing-Gesprächen” (11_m15), Internetforen, der Initiative
Klicksafe (13_w17) oder Möglichkeiten der Mail-Beratung gehört. In Anspruch genommen hat ein
solches Angebot bisher aber kein*e Teilnehmende*r. Auf Nachfrage können sie diese häufig auch
nicht näher spezifizieren bzw. keine konkreten Namen nennen, wie folgende Aussage illustriert:
„Ich weiß, dass es sowas gibt. Aber ich weiß nicht, wo. Das sind alles Sachen, die ich
mal gehört habe. Persönlich habe ich an sowas nie teilgenommen” (11_m15).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
49
Dementsprechend wird vereinzelt der Wunsch geäußert, diese Angebote sichtbarer zu machen
und ihre Bekanntheit zu erhöhen (05_w17). Einige Jugendliche scheinen von diesen Angeboten
eher zufällig erfahren zu haben („Also da habe ich mal irgendwo einen Aufkleber vielleicht gese-
hen. Weiß nicht mehr genau”, 04_m17). Gründe, die abhalten können, entsprechende Angebote in
Anspruch zu nehmen, sind aus Sicht der Befragten – neben fehlender Bekanntheit – bestimmte
Zugangsbarrieren bzw. fehlende Ausstattung (z. B. kein Smartphone oder kein Guthaben, um bei
einer Hotline anzurufen; 06_m12, 14_w17), im Fall von Telefonhotlines eine generelle Abneigung
zu telefonieren (14_w17), die Asynchronität digitaler Kommunikation und damit einhergehend
eine zeitversetzte Rückmeldung von (Mail-)Beratungsstellen (13_w17, 15_m14), sowie fehlender
Bedarf (15_m14, 16_w15). Zudem verweist eine Teilnehmende auf die Notwendigkeit der persönli-
chen Passung von Berater*in und der betroffenen Person:
„Vielleicht kommt man gerade bei der Telefonhotline mit dieser Person auch nicht
klar [...]. Oder vielleicht möchte das Mädchen nicht mit einem Jungen, also mit einem
Mann telefonieren, sondern lieber mit einer Frau oder halt auch andersrum” (05_w17).
5.1.4 Psychologische Unterstützung
Einzelne Befragte thematisieren psychologische bzw. therapeutische Unterstützung als Mög-
lichkeit, mit belastenden Online-Erfahrungen umzugehen. Bezüglich der Zweckmäßigkeit sol-
cher Angebote zeichnen sich unterschiedliche Meinungen ab: Während manche Jugendlichen
diese Möglichkeit als hilfreich und sinnvoll wahrnehmen (07_m17, 08_m15, 15_m14), weil Thera-
peut*innen oder psychologische Berater*innen aus ihrer Sicht wissen, „was man da für sich ma-
chen kann, um sich wohler zu fühlen” (07_m17) und weil sie der Schweigepflicht unterliegen
(08_m15), sind andere eher skeptisch und sehen keinen persönlichen Mehrwert („ich sehe keinen
Sinn dahinter, ihm irgendwas von meinem Leben zu erzählen, dass er dann irgendwas draus
schlussfolgert”, 11_m15). Ein paar Jugendliche äußern die Sorge, dort bedrängt zu werden („Bei
meinem Freund wurde das gemacht, und er musste dann halt jede Woche zu einer bestimmten
Zeit dahin gehen, und er meinte, dass er darauf keine Lust hätte, und dass es ihn einfach nervt,
dass ihm irgendeine Person darüber ausfragt. Hat sich bedrängt gefühlt”, 10_m13) oder „auf
Krampf” Tipps zu bekommen.
„Das ist halt, also das ich sage mal, ich glaube, ich tippe mal, dass das eher diese psy-
chologische Art ist, dass du irgendwie probierst auf Krampf irgendwelche Tipps zu
geben”, 08_m15).
Eine weitere Teilnehmende verweist darauf, dass Therapie nach wie vor stigmatisiert ist und
dass diese Anlaufstelle aufgrund langer Wartezeiten „nicht für den Akutfall geeignet” ist und dem-
entsprechend vermutlich nur dann in Frage kommt, wenn eine Person ohnehin schon in Behand-
lung ist (13_w17).
5.1.5 Polizei
In gravierenden Fällen – „im absoluten Notfall” (10_m13) und „wenn es wirklich schlimm ist”
(09_m12) – sehen einige Jugendliche auch die Möglichkeit, sich an die Polizei zu wenden. Solche
gravierenden Fälle umfassen aus ihrer Sicht u. a. Datenklau (01_m13), Morddrohungen und Ge-
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
50
waltandrohungen (13_w17, 15_m14), wenn die Online-Bekanntschaft den eigenen Wohnort her-
ausfindet (15_m14) oder wenn Cybermobbing mit realer Gewalt einhergeht (10_m13). Generell
scheint die Polizei für die meisten allerdings keine realistische oder zumindest keine nahelie-
gende Anlaufstelle darzustellen. Vereinzelt äußern die Jugendlichen Bedenken, dass sie mit ih-
rem Anliegen bei der Polizei nicht ernst genommen werden könnten („vielleicht ist mein Thema
viel zu klein, die haben gar keinen Bock darauf und interessieren sich nicht dafür”, 13_w17) bzw.
dass die Polizei Besseres zu tun habe, als Kindern und Jugendlichen bei Internet-Problemen zu
helfen (16_w15). Ein Befragter gibt zudem zu bedenken, dass möglicherweise Anwaltskosten an-
fallen könnten und dass der Aufwand, den eine Kontaktaufnahme zur Polizei mit sich bringen
würde, unverhältnismäßig hoch sei (15_m14). Zudem zweifeln einige an den Erfolgschancen poli-
zeilicher Ermittlungsarbeit, u. a. aufgrund der Anonymität im digitalen Raum und – insbesondere
im Fall von Cybermobbing – aufgrund der Strafunmündigkeit von Personen unter 14 Jahren
(01_m13, 06_m12, 10_m13). Andere wiederum trauen der Polizei durchaus zu, die Online-Bekannt-
schaft ausfindig zu machen und zu sanktionieren (07_m17, 09_m12). Eine Befragte verweist, ohne
dies näher auszuführen, zudem darauf, dass es ihres Wissens nach ein „Aufklärungsteam gibt bei
der Polizei zum Thema Cyberkriminalität und auch zum Thema Internetsicherheit und so”
(13_w17). Grundsätzlich deuten die Interviewpassagen darauf hin, dass Jugendliche keine genaue
Vorstellung davon haben, welche Rechte sie im digitalen Raum haben, in welchen Fällen sie sich
an die Polizei wenden können, was das für sie bedeuten würde (z. B. wie die Meldung bei der Poli-
zei abläuft) und wie die Polizei mit ihrem Anliegen weiter verfahren würde. Zudem scheint bei vie-
len Jugendlichen die Vorstellung vorherrschend zu sein, dass digitale Gewalt keine „richtige“ Ge-
walt sei, dass Probleme im „echten“ Leben wichtiger seien als Probleme in der digitalen Welt, und
dass sie „als Kinder“ mit ihren Problemen nicht relevant und wichtig genug seien.
5.1.6 Anbieter / Plattformen / Spieleentwickler
In Bezug auf Anlaufstellen und Unterstützungsmöglichkeiten werden vereinzelt auch die Anbie-
ter sozialer Netzwerke ins Feld geführt. Hier nennen ein paar Jugendliche die Möglichkeit, die
Anbieter bei Problemen telefonisch oder schriftlich zu kontaktieren und herabwürdigende, dis-
kriminierende Kommentare und Beiträge zu melden (04_m17, 05_w17). Diese Optionen werden al-
lerdings nur bedingt als hilfreich bewertet. Dies wird u. a. damit begründet, dass zum einen nicht
klar ist, ob und inwiefern die Anfrage zur Kenntnis genommen und bearbeitet wird und dass zum
anderen nicht davon auszugehen ist, dass man eine Antwort erhält (06_m12, 15_m14). Generell
scheint für viele der Jugendlichen unklar zu sein, was auf der Anbieterseite nach einer Meldung
passiert. Zwar gehen sie davon aus, dass die gemeldete Person im Idealfall (zumindest zeitweise)
von der Plattform verbannt bzw. gesperrt wird, ihren Account verliert oder, wenn es um Beleidi-
gungen in Games geht, aus einer Runde oder aus dem Spiel ausgeschlossen wird. Dass ihre Mel-
dung tatsächlich Konsequenzen hat, bezweifeln allerdings viele der befragten Jugendlichen. Ein
Jugendlicher äußert die Vermutung, dass die Plattformen den Großteil der Meldungen grundsätz-
lich nicht bearbeiten („aber man weiß halt auch nicht, ob jetzt irgendwas gemacht wurde. Weil ich
glaube, neunzig Prozent der Fälle, passt Snapchat gar nicht darauf auf und überspringt einfach
die Nachricht”, 10_m13). Andere nehmen an, dass erst eine bestimmte Anzahl an Meldungen vor-
liegen muss, damit die gemeldete Person sanktioniert wird (01_m13, 12_w17, 14_w17).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
51
„Manchmal hat man Glück und die werden gesperrt, aber
manchmal auch nicht.“ (Chiara, 17 Jahre)
Bezüglich der Frage, wie viele Meldungen benötigt werden, gibt es je nach Plattform – verschie-
dene Spekulationen (z. B. „Und wenn der zehn Mal gemeldet wird, passiert nichts, also ich sage
mal so, ab (...) fünf, also ab so hundert Mal, gucken die schon eher auf einen.”, 01_m13). Ein Ju-
gendlicher hat zudem den Eindruck, dass in Online-Games, wo verschiedene Gründe für die Mel-
dung angeben werden können, bestimmtes Fehlverhalten stärker sanktioniert wird als anderes:
„Also meist wird man schneller rausgeschmissen, wenn man so cheatet, wenn man
wegen cheaten gemeldet wird.”, 01_m13).
Dies scheint dazu zu führen, dass es auf einige Jugendliche willkürlich und wenig beeinflussbar
wirkt, wer für welches Fehlverhalten auf welche Weise bestraft wird.
5.2 Gute Unterstützung aus Sicht von Jugendlichen
Fragt man die Jugendlichen, was für sie gute Unterstützung ausmacht, werden verschiedene As-
pekte genannt. Zunächst scheint vielen wichtig zu sein, dass die Ansprechpersonen ihnen auf
verständnisvolle, nicht wertende Weise zuhören – „ohne Vorurteile” (05_w17), ohne Schuldzuwei-
sungen und ohne bedrängt zu werden. Dazu gehört für einige auch, dass die Personen sie ernst
nehmen, das Problem nicht kleinreden und ihre Gefühle nachempfinden können und bestätigen.
Generell ist ihnen eine gute Gesprächsatmosphäre wichtig („Dass man sich beim Reden darüber
gut fühlt”, 14_w17). Nicht selten wird darüber hinaus der Aspekt der Verschwiegenheit bzw. der
Anonymität als Merkmal guter Unterstützung genannt. Vielen ist es sehr wichtig, dass die An-
sprechperson das Erzählte für sich behält. Zudem verweist eine Teilnehmende auf die Wichtig-
keit der persönlichen Passung zwischen Berater*in und der betroffenen Person („vielleicht
möchte das Mädchen nicht mit einem Jungen, also mit einem Mann telefonieren, sondern lieber
mit einer Frau oder halt auch andersrum”, 05_w17). Für den Fall, dass ihre Eltern ihr nicht weiter-
helfen können, wünscht sich eine 17-Jährige, dass diese ihr neue Unterstützungsmöglichkeiten
vorschlagen bzw. sie bei der Problembewältigung begleitend dorthin vermitteln:
„[...] und halt dann auch sagt, okay, z. B., wenn man ehrlich ist: ,Okay, ich kann dir da
jetzt nicht raushelfen oder so.‘ Und dann soll er halt mit jemand anderem darüber re-
den. Oder halt sagen, okay, also wirklich Tipps geben. Ich weiß ehrlich gesagt nicht
wirklich, was man da am besten macht. Aber vielleicht, wenn man jetzt z. B. mit den
Eltern drüber redet, dass die dann sagen: ,Okay, gut, komm, wir gehen zu jemandem,
der sich damit auskennt und der gibt dir dann Tipps sozusagen‘„, 05_w17.
Darüber hinaus zeichnet sich der Wunsch nach bzw. Bedarf an unterschiedlichen Unterstüt-
zungsformen ab. Während manche Jugendliche sich konkrete Hilfe bei der Problemlösung bzw.
Tipps im Umgang mit der Situation wünschen (problemorientierte Unterstützung), steht für an-
dere die emotionale Unterstützung in Form von Trost, gutem Zureden und emotionaler Nähe im
Vordergrund. Als dritte Unterstützungsform ergibt sich informationelle Unterstützung, die die
Zurverfügungstellung von Informationen umfasst. Neben den genannten Unterstützungsformen,
die sich auf den Fall einer akuten Belastungssituation beziehen, wird vereinzelt auch präventive
Unterstützungsbedarfe verwiesen. Eine Befragte beispielsweise nennt im Zusammenhang mit
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
52
bekannten Unterstützungsangeboten ein von der Polizei durchgeführtes Präventionsangebot,
das an ihrer Schule stattgefunden hat (16_w15). Eine andere Jugendliche verweist auf die Verant-
wortung der Eltern, die sich mit der Anschaffung des ersten Smartphones für ihr Kind über ge-
eignete Anlaufstellen informieren und ihr Kind darüber aufklären sollten (02_w16).
5.3 Verantwortungszuschreibung
Abschließend wurden die Jugendlichen gefragt, welchen Personen- und Akteursgruppen sie
beim Thema Online-Sicherheit wie viel Verantwortung zuschreiben. Angelehnt an das Instrumen-
tarium des Jugendmedienschutzindex (Gebel et al., 2023) wurde ihnen eine Liste mit verschiede-
nen Personen- und Akteursgruppen (Politik, Schulen, Bildungseinrichtungen außerhalb der
Schule, Anbieter von Sozialen Netzwerkplattformen, Hersteller von Betriebssystemen und End-
geräten, Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle von Medienanbietern, Eltern, Kinder bzw.
Jugendliche selbst) vorgelegt, die sie hinsichtlich ihrer Verantwortung bewerten sollten.
Vor allem die Anbieter sozialer Netzwerkplattformen sehen die befragten Jugendlichen in der
Pflicht, aktiv zu einer verbesserten Online-Sicherheit für Heranwachsende beizutragen. Konkret
wünschen sie sich konsequente, unumgängliche Alterskontrollen („dass ein neunjähriges Kind
z. B. nicht unbedingt dann bei Instagram reinkommt und so weiter. Also dass es halt einfach stär-
ker kontrolliert wird”, 02_w16) – z. B. durch Vorlegen des Ausweises bei der Anmeldung (13_w17) –
, die Bereitstellung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten („und so auch die Social-Media-
Plattform, dass die halt wirklich diese Hilfe auch anbieten”, 05_w17) oder eine (ggf. KI-basierte)
Vorab-Überprüfung von Nachrichteninhalten:
„Ja, und vielleicht, keine Ahnung, irgendwelche Bots einschalten, bei den Plattfor-
men. Die einmal überprüfen, was für ein Account das ist, bevor er einem was schickt,
das einmal anschaut, was er schickt, und das dann halt einmal überprüfen bevor er
es dann weiterleitet.”, 10_m13.
Andere fänden eine schnellere und ernst- bzw. gewissenhafte Verfolgung von mittels der platt-
formeigenen Meldefunktion getätigten Meldungen sinnvoll, die konsequente Durch- und Umset-
zung von Sanktionen und dass bei der Anmeldung ein Hinweis zu sicheren Privatsphäreeinstel-
lungen bzw. eine direkte Möglichkeit, das Profil privat zu stellen, implementiert wird (16_w15). Zu-
dem schlägt ein Befragter vor, dass Plattformen mit Unterstützungsangeboten (z. B. Beratungs-
hotlines) kooperieren und Links und Hinweise auf die entsprechenden Anlaufstellen in der App
zur Verfügung stellen könnten (01_m13). Im Rahmen einer Kooperation könnten aus seiner Sicht
zudem Nutzer*innendaten von der Plattform an Beratungsstellen übermittelt werden, sodass
diese die entsprechenden Personen kontaktieren können:
„[…]wenn das so eine Kooperation von der App selber, von der Social Media-App sel-
ber, z. B. von TikTok und der Beratungshotline ist, können die ja praktisch kooperie-
ren und sagen: Guck mal, du Beratungshotline, du kannst auf unsere Nutzer zugreifen
und denen sagen, du hast den und den User beleidigt, lass das bitte sein, sonst wirst
du geblockt so”, 01_m13).
Neben den Anbietern schreiben viele schon allein aufgrund der allgemeinen Erziehungspflicht
(15_m14) den Eltern eine große Verantwortung zu. Ihrer Meinung nach sollten Eltern bereits im
Zuge der Smartphone-Anschaffung über mögliche Risiken, angemessene Verhaltensweisen und
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
53
Sicherheitsmaßnahmen aufklären, Regeln für die Online-Nutzung aufstellen (07_m17), den Zu-
gang zu bestimmten Angeboten und/oder die Nutzungszeit regulieren bzw. die Nutzung be-
stimmter Angebote erst ab einem gewissen Alter erlauben und Social-Media-Accounts gemein-
sam mit den Kindern einrichten.
Zudem wird in diesem Zusammenhang auf die Rolle der Eltern als Ansprechpartner*innen bei
Problemen im Netz verwiesen. Diesbezüglich ist es aus Sicht der Jugendlichen zum einen wich-
tig, sowohl bei der Problemlösung als auch emotional zu unterstützen und für das Kind da zu sein.
„Auf jeden Fall bei der Lösung, also bei der Problemlösung
helfen und gut zureden. Halt einfach für das Kind da sein.“
(Niklas, 17 Jahre)
Zum anderen sei es wichtig, zu signalisieren, dass sich die Kinder im Fall belastender Online-Er-
fahrungen immer an die Eltern wenden können, „dass man da halt wirklich auch vorher aufklärt
und auch sagt: ,Okay, wenn wirklich was passiert, dann kannst du auch zu mir kommen und ich
helfe dir deswegen.‘„ (05_w17).
Aus Sicht einiger Interviewteilnehmer*innen gibt es allerdings Dinge, die Eltern die Verantwor-
tungsübernahme und die Umsetzung der genannten Dinge erschweren. Das betrifft zum einen
die Tatsache, dass es für Kinder und Jugendliche ohne großen Aufwand möglich ist, ohne Wissen
der Eltern bestimmte Einstellungen zu ändern und Altersgrenzen sowie Nutzungsverbote bzw.
Regeln zu umgehen. Zum anderen kann die Unwissenheit vieler Eltern in Bezug auf die genutzten
Plattformen zum Problem werden:
„Weil, also, wenn die nicht wissen, was man auf Instagram alles machen kann, sollten
die es vielleicht auch dem Kind nicht erlauben. Sondern erst mal gucken, was man da
überhaupt tun kann. Und dann halt auch drauf achten, dass so Einstellungen wie pri-
vater Account oder so aktiviert sind” (16_w15).
Auch die Politik sieht ein Großteil der Befragten in der Verantwortung, wenn es darum geht, Her-
anwachsenden ein unbeschwertes Aufwachsen mit digitalen Medien zu ermöglichen. Als Grund
hierfür nennen sie vor allem die grundsätzliche, allen anderen Akteuren übergeordnete Entschei-
dungshoheit politischer Akteur*innen und deren Möglichkeit, gesellschaftliche Teilsysteme und
Bereiche zu regulieren, Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen. Hier fällt es den Jugendlichen
– vermutlich aufgrund der Komplexität bzw. Undurchsichtigkeit des politischen Systems und der
Verwobenheit mit anderen Akteursgruppen – allerdings schwer, konkrete Verbesserungsvor-
schläge und Wünsche zu artikulieren. Ein paar Jugendliche verweisen darauf, dass der Staat die
finanzielle Grundlage und den gesetzlichen Rahmen für Awarenesskampagnen sowie die Bereit-
stellung und Umsetzung von Online-Sicherheitsmaßnahmen und Hilfs- bzw. Unterstützungsan-
geboten schafft (04_m17) und wünschen sich folglich mehr Geld für entsprechende sicherheits-
relevante Maßnahmen und Akteure. Andere plädieren dafür, dass der Staat Chats und Social-Me-
dia-Posts nach unangemessenen Inhalten durchsucht, auch wenn dieses Vorgehen möglicher-
weise mit Datenschutzbedenken konfligieren würde (08_m15, 12_w17).
Auch den Schulen wird von vielen Jugendlichen Verantwortung zugeschrieben. Diese Verantwor-
tungszuschreibung erfolgt in vielen Fällen allerdings gegenstandsbezogen. So sind Schulen aus
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
54
Sicht der Jugendlichen vor allem gefragt, wenn es um die Themen (Cyber-)Mobbing und antisozi-
ale Verhaltensweisen in Peer-Kontexten, z. B. Konflikte und Beleidigungen im Klassenchat, geht.
Hier könnten Schulen und Lehrkräfte Verantwortung übernehmen, indem sie Mobbing stärker
thematisieren, den Klassenchat kontrollieren bzw. Regeln für den Klassenchat aufstellen
(01_m13). Ein paar Jugendliche wünschen sich generell mehr Aufklärung zum Thema Online-Si-
cherheit, „was im Internet abgeht und wie man das vermeiden kann” (12_w17), im schulischen Kon-
text (15_m14). Weniger Verantwortung schreiben die Interviewteilnehmenden außerschulischen
Bildungseinrichtungen (z. B. Jugendzentren) zu.
Auch Kinder und Jugendliche selbst können den befragten Jugendlichen zufolge etwas dazu bei-
tragen, dass sie sicher durch die Online-Welt kommen. Aus Sicht einiger Jugendlicher sind Her-
anwachsende insofern verantwortlich für ihre eigene Online-Sicherheit, als dass sie Apps alters-
angemessen und unter Berücksichtigung potenzieller Gefahren auswählen und nutzen, Alters-
kontrollen nicht umgehen und die Verbote und Regeln ihrer Eltern berücksichtigen sollten. Für
den Fall, dass sie bei der Online-Nutzung dennoch eine negative Erfahrung machen sollten, sehen
einige Befragte die Betroffenen in der Verantwortung, sich Hilfe zu suchen (04_m17, 07_m17).
Gleichzeitig verweisen einige Jugendliche aber auch darauf, dass Kinder und Jugendliche nicht
nur Verantwortung für sich selbst, d. h. ihr eigenes Wohlbefinden im digitalen Raum tragen, son-
dern auch für ihr Verhalten gegenüber anderen Nutzenden (07_m17). So schreiben einige Jugend-
liche auch der auf den verschiedenen Plattformen agierenden „Community” Verantwortung für
ein soziales Miteinander in virtuellen Medienumgebungen zu (14_w17).
Aus Sicht einiger der befragten Jugendlichen tragen auch die Einrichtungen der Freiwilligen
Selbstkontrolle (zumindest teilweise) Verantwortung dafür, Kinder und Jugendliche vor Online-
Risiken zu schützen. In diesem Zusammenhang wird allerdings vielfach die Zweckmäßigkeit von
Alterskennzeichnungen angezweifelt und betont, dass sich die Altersfreigaben problemlos um-
gehen lassen (05_w17, 08_m15). Zudem sehen einige die Notwendigkeit einer Verschärfung bzw.
strengeren Bewertung der Plattformen:
„Und meistens ist es zu wenig. Also, z. B. meine Schwester ist ja jetzt elf und hört Sa-
chen ab zwölf. Aber ich glaube, auch mit zwölf würde sie vieles nicht verstehen, was
eigentlich ab zwölf ist, ja” (14_w17);
„[…] finde ich gut, wenn man so etwas verschärft und durchsetzt und härter wird”
(15_m14).
Wenig Verantwortung schreiben die Jugendlichen tendenziell den Hersteller*innen von Be-
triebssystemen und Endgeräten zu. Dies begründen sie damit, dass diese mit der Auswahl bzw.
dem Download einzelner Apps und den Inhalten der heruntergeladenen Angebote nichts zu tun
haben:
„[W]eil, die stellen ja einfach nur ihr Handy her. Da ist ja noch keine Plattform drauf
und man entscheidet sich ja dann, wenn man das Handy hat, dafür, ob man jetzt die
Plattform runterlädt oder nicht” (05_w17).
Nichtsdestotrotz merkt eine Teilnehmende an, dass Herstellende von Betriebssystemen über
eine auf allen Geräten vorinstallierte Hilfe-App nachdenken könnten (05_w17).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
55
5.4 Zusammengefasst: Notwendigkeit bedarfsorientierter Unterstützungsangebote und gemeinsamer
Verantwortungsübernahme
Im Fall von negativen Online-Erfahrungen stehen Heranwachsenden verschiedene Unterstüt-
zungsmöglichkeiten zur Verfügung. Von diesen nutzen die befragten Jugendlichen allerdings nur
einen Bruchteil und greifen in erster Linie auf Personen aus dem Nahfeld, insbesondere Eltern
und Freund*innen zurück. Geht es um Cybermobbing und Beleidigungen, die sich im Klassenver-
band bzw. Peer-Kontext (z. B. im Klassenchat) ereignen, kommen für einige Jugendliche auch
Lehrkräfte als Ansprechpersonen infrage. Als Auswahlkriterien ergeben sich neben Vertrauens-
würdigkeit, Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen auch die wahrgenommene Technik- und
Plattformkompetenz der Ansprechperson, bezüglich derer viele Eltern aus Sicht der Jugendli-
chen eher schlecht abschneiden. Zudem kann die Angst vor möglichen negativen Konsequenzen
und Repressalien (z. B. Nutzungsverbot) die Inanspruchnahme elterlicher Unterstützung entge-
genwirken. Institutionelle (insbesondere seelsorgerische) Unterstützungsmöglichkeiten sind un-
ter den befragten Jugendlichen weniger bekannt und werden entsprechend selten genutzt.
Die Polizei wird nur im absoluten Notfall als hilfreiche Anlaufstelle im Falle negativer Online-Er-
fahrungen wahrgenommen. Die Aussagen der Jugendlichen deuten darauf hin, dass sie – wenn
überhaupt – nur vage Vorstellungen haben, welche Rechte sie online haben, wie die Polizei bei
(sozialen) Onlineproblemen helfen kann, geschweige denn, welche Folgen ihr Intervenieren für
die Betroffenen, aber auch für die Täter*innen hat.
Hinsichtlich der von den Plattformbetreibern angebotenen, meist technischen Hilfsmaßnahmen
zeigt sich ein anderes Bild: Trotz der angezweifelten Wirksamkeit machen die befragten Jugend-
lichen vergleichsweise häufig davon Gebrauch. Allerdings kritisieren viele Jugendliche, dass sie
nicht genau wissen und nachverfolgen können, was mit einer Meldung passiert.
Insgesamt deutet sich in den Aussagen der befragten Jugendlichen – in Anlehnung an die von
Bodenmann (2000) postulierte Stress-Coping-Kaskade – eine Art „Unterstützungskaskade” an.
So werden nach dem Scheitern individueller Bewältigungsbemühungen zunächst nahestehende
Personen als Unterstützungsquellen hinzugezogen und die Unterstützung und Ressourcen ent-
fernterer Akteurs- und Personengruppen nur „im Notfall” bzw. erst dann in Anspruch genommen,
wenn die erste Anlaufstelle nicht weiterhelfen konnte. Ein Grund dafür, dass bestimmte Ange-
bote von den Jugendlichen noch nicht in Anspruch genommen wurden, könnte also sein, dass sie
bisher noch keinen Bedarf hatten bzw. gut allein zurechtkamen. Gleichzeitig zeigt sich, dass be-
züglich bestimmter Anlaufstellen, insbesondere bei der Polizei und anbieterseitigen Meldemög-
lichkeiten, Unsicherheiten, Vorbehalte und teilweise Unwissenheit in Bezug auf die eigenen
Rechte bestehen, die der Inanspruchnahme dieser Unterstützungsmöglichkeiten im Weg stehen
können.
Die befragten Jugendlichen sehen vor allem die Anbieter von sozialen Netzwerkplattformen und
Eltern, aber auch Schule und Politik in der Verantwortung, Kindern eine sichere und teilhabeori-
entierte Nutzung zu ermöglichen (s. a. Gebel et al. 2023). Ihre Antworten geben Hinweise auf mög-
liche Handlungsoptionen, verweisen aber vor allem auf die Notwendigkeit einer geteilten Verant-
wortungsübernahme(bereitschaft) sowie einer Auseinandersetzung mit alters- und entwick-
lungsangmessenen Nutzungspraktiken.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
56
6. Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-
Erfahrungen von Jugendlichen
Implikationen für Forschung und
Praxis
Gegenwärtig bieten nahezu alle Online-Plattformen Features, die es den Nutzenden ermöglichen,
mit anderen in Kontakt zu treten. Das bietet nicht nur vielfältige Chancen der Vernetzung und
Beziehungspflege, sondern bringt vor allem auch für Kinder und Jugendliche verschiedene Risi-
ken – sogenannte Online-Interaktionsrisiken – mit sich. Dazu zählen u. a. verschiedene Formen
gemeinen und verletzenden Verhaltens (u. a. Cyberaggression und Cybermobbing), sexuelle
Grenzverletzungen (Cybergrooming) und Hate Speech. Gleichzeitig zeigen Studien, dass nicht alle
Heranwachsenden, die mit entsprechenden risikobehafteten Online-Phänomen in Berührung
kommen, diese als Belastung empfinden oder gar einen längerfristigen Schaden davontragen
(Hasebrink et al., 2019). Da bislang wenige (prozessorientierte) Befunde dazu vorliegen, welche
Faktoren das Auftreten einer Belastung begünstigen und wie Jugendliche diese bewältigen, be-
stand das Ziel der vorliegenden Studie darin, die Bewertung, Wahrnehmung und Bewältigung
ausgewählter Interaktionsrisiken durch Jugendliche genauer zu beleuchten.
6.1 Jugendliche nutzen vielfältige Strategien, um Risiken zu managen und negative Erfahrungen zu
bewältigen
Die Ergebnisse der qualitativen Interviews verdeutlichen die Komplexität und Vielfältigkeit von
(belastenden) Online-Erfahrungen. Es zeigt sich, dass Jugendliche, je nach Nutzungsgewohnhei-
ten und -praktiken, mit unterschiedlichen Interaktionsrisiken in Berührung kommen, die sie wie-
derum unterschiedlich wahrnehmen und mit denen sie entsprechend unterschiedlich umgehen.
Während über Messenger-Dienste vor allem Konflikte und Beleidigungen mit bekannten Gleich-
altrigen (z. B. Klassenkamerad*innen) auftreten, kommt es auf Social-Media-Plattformen vor,
dass Jugendliche, die dort selbst aktiv Inhalte erstellen und hochladen, mit verletzenden Kom-
mentaren und Hate von bekannten und unbekannten, häufig auch anonymen Personen konfron-
tiert werden. Andere berichten davon, auf Instagram oder Snapchat per Direktnachricht von (in
der Regel unbekannten) Personen oder Bots mit sexuell konnotierten Nachrichten und Fotos be-
lästigt zu werden.
So unterschiedlich die Erfahrungen sind, von denen die Jugendlichen im Rahmen der Interviews
berichten, so unterschiedlich ist ihre Wahrnehmung und Bewertung der einzelnen Situationen.
Es zeigt sich, dass Situationen, obwohl sie sich analytisch dem gleichen Phänomenbereich zu-
ordnen lassen, hinsichtlich ihres Belastungspotenzials teils sehr unterschiedlich bewertet wer-
den. Entsprechend unterscheiden sich das berichtete individuelle Belastungserleben und die
emotionale Reaktion teilweise deutlich. Während einige Jugendliche sich lediglich etwas genervt
zeigen, berichten andere von einem starken negativen Erleben. Bemerkenswert ist, dass im Zu-
sammenhang mit Cybergrooming auch anfängliche positive Emotionen erwähnt werden, weil
sich die betroffenen Kinder und Jugendlichen gesehen und wertgeschätzt fühlten.
Mit dem Ziel, diese Unterschiede in der Bewertung und Wahrnehmung der jeweiligen Situationen
zu erklären, wurden ereignis-, absender-, subjekt- und wahrnehmungsbezogene Belastungsfak-
toren identifiziert, aus deren Zusammenspiel sich das individuelle (Belastungs-)Erleben ergibt.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
57
Hinsichtlich der Bewältigung als belastend wahrgenommener Online-Interaktionen deuten die
Ergebnisse auf eine Art „Standard-Copingrepertoire“ hin. Dieses umfasst Verhaltensweisen, die
dem Kontaktabbruch und der Kontaktverringerung dienen, allen voran technische Strategien wie
Blockieren, Melden und Stummschalten oder die als unangenehm wahrgenommene Person zu ig-
norieren. Je nach Belastungsintensität, emotionaler Reaktion und zu erwartenden negativen
Konsequenzen wird dieses Repertoire um weitere Formen der Bewältigung ergänzt. Dazu zählen
passiv-vermeidende, konfrontative und emotionsregulierende Strategien sowie die Suche nach
sozialer Unterstützung (insbesondere von Vertrauenspersonen wie Eltern und Freund*innen).
Dabei werden die einzelnen Copingstrategien nicht zwangsläufig als hilfreich wahrgenommen.
Während problemlösungsorientierte Strategien, die auf einen Kontaktabbruch abzielen, der Su-
che nach sozialer Unterstützung und konstruktiven Formen der Emotionsregulation in der Regel
eine hohe Wirksamkeit attestiert wird, werden passiv-vermeidende Strategien, bestimmte For-
men des Ignorierens (insbesondere Verdrängung) und destruktiv-ärgerbezogene Emotionsregu-
lationsstrategien als weniger hilfreich eingeschätzt. Bei konfrontativen Strategien scheint es da-
gegen auf die Art der Auseinandersetzung, der Zugänglichkeit des Gegenübers und auf den Aus-
gang des Gesprächs anzukommen. Hier wird deutlich, dass es sich bei Coping um einen Prozess
handelt, der verschiedene handlungsbezogene und kognitive Strategien umfassen kann. Interes-
sant ist, dass einige dieser Strategien in Bezug zueinander stehen und sich wechselseitig unter-
stützen, sich umgekehrt aber auch einzelne Strategien behindern können. So kann es z. B. zu-
nächst als hilfreich empfunden werden, den Chatverlauf zu löschen, wenn man sich durch diesen
belästigt fühlt. Das Löschen wiederum verhindert allerdings eine Beweisführung, falls die Polizei
kontaktiert wird.
Erst wenn individuelle Bewältigungsbemühungen und die
Unterstützung aus dem persönlichen Umfeld nicht mehr
weiterhelfen, ziehen die Jugendlichen institutionelle oder
formale Unterstützungsmöglichkeiten in Betracht.
Mit Blick auf bekannte und in Anspruch genommene Anlaufstellen, Beratungs- Unterstützungs-
angebote zeigt sich, dass die befragten Jugendlichen im Fall belastender Online-Erfahrungen vor
allem Vertrauenspersonen aus ihrem näheren Umfeld zu Rate ziehen. Weniger bekannt und ge-
nutzt werden seelsorgerische Unterstützungsangebote wie Telefonhotlines oder Mailberatung.
In den Interviews zeichnet sich eine Art „Unterstützungskaskade” ab: Stoßen individuelle Bewäl-
tigungsbemühungen an Grenzen, werden zunächst Unterstützer*innen aus dem persönlichen
Umfeld (Eltern, Freund*innen oder Lehrkräfte) adressiert. Nur wenn diese nicht weiterhelfen
können, ziehen die Jugendlichen die Inanspruchnahme institutioneller oder formaler Unterstüt-
zungsmöglichkeiten in Betracht. Deutlich wird außerdem, dass Jugendliche die Folgen entspre-
chender Unterstützung oftmals nicht abschätzen können. Dies gilt beispielsweise auch für die
Konsequenzen, die es hat, eine Person auf der Plattform zu melden oder sich an die Polizei zu
wenden - sowohl für sie selbst als auch für die gemeldete Person.
Gute Unterstützung zeichnet sich aus Sicht der befragten Jugendlichen vor allem durch wert-
und vorurteilsfreies Zuhören, Verschwiegenheit und das Gefühl, ernst genommen zu werden,
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
58
aus. Es zeigt sich darüber hinaus ein Bedarf an verschiedenen Unterstützungsangeboten. Wäh-
rend für einige der befragten Jugendlichen die instrumentelle und informationelle Unterstützung
im Vordergrund steht, wünschen sich andere vor allem eine emotionale Unterstützung.
6.2 Implikationen für die Forschung und medienpädagogische Praxis
Die gewählte qualitative Vorgehensweise eignete sich, um tiefere Einblicke in die vielfältigen On-
line-Praktiken, -Erfahrungen und Herausforderungen Heranwachsender zu bekommen und bes-
ser zu verstehen, wie sie diesen begegnen. Gleichwohl erwies es sich methodisch als herausfor-
dernd, das Belastungserleben der Befragten zu erfassen – zum einen, weil retrospektive Metho-
den bei Themen wie der Online-Nutzung, die von sehr kurzen und teilweise beiläufigen Hand-
lungsepisoden geprägt ist, teilweise an Grenzen stößt und zum anderen, weil es nicht nur Ju-
gendlichen schwerfällt, das eigene emotionale Erleben zu reflektieren und (verbal) auszudrü-
cken. Zudem stoßen Befragungen, die auf einer retrospektiven Beschreibung der Teilnehmen-
den basieren, an ihre Grenzen, wenn es darum geht, längerfristige Effekte negativer Online-Er-
fahrungen zu erfassen und Aussagen über die langfristige Wirksamkeit der eingesetzten Coping-
strategien zu treffen. Längsschnittlich angelegte Studien könnten dazu beitragen, diese For-
schungslücke zu schließen. Überdies wäre es aufschlussreich zu untersuchen, wann und unter
welchen Bedingungen eine wiederholte Exposition mit einem bestimmten Online-Phänomen ei-
nen stressverstärkenden oder auch stressreduzierenden, abfedernden Effekt hat (s. der oben
beschriebene Gewöhnungseffekt).
Es ist es wichtig, Jugendliche für ihre Rechte im digitalen
Raum zu sensibilisieren und ihr Unrechtsbewusstsein zu
schärfen.
Die Ergebnisse verweisen auf verschiedene Implikationen für die (medienpädagogische) Praxis.
Aus den Interviews geht deutlich hervor, dass Jugendliche häufig nicht wissen, welche Rechte
sie im digitalen Raum haben und wie sie diese durchsetzen können (z. B. in welchen Fällen die
Polizei zuständig ist). Daher ist es wichtig, Jugendliche für ihre Rechte im digitalen Raum zu sen-
sibilisieren und ihr Unrechtsbewusstsein zu schärfen. Das gilt insbesondere in Bezug auf sexu-
elle Grenzverletzungen. Lediglich eine Befragte, die vom Erhalt unerwünschter Inhalte berich-
tete, benannte den Vorfall klar als sexuelle Belästigung. Die Befunde der vorliegenden Studie ha-
ben eher den Eindruck verstärkt, dass viele Jugendliche meinen, Hate, übergriffiges Verhalten
und Beleidigungen als „notwendiges Übel” oder unangenehme Begleiterscheinung der Nutzung
von Sozialen Netzwerkplattfomen in Kauf nehmen zu müssen. Es scheint daher wichtig, Kinder
und Jugendliche zu stärken und zu verdeutlichen, dass sie bestimmte Verhaltensweisen (auch
online) nicht tolerieren müssen – sowohl gegenüber sich selbst als auch gegenüber anderen Per-
sonen(gruppen). In diesem Zusammenhang sollte daher auch die grundsätzliche Solidarität mit
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
59
Opfern betont und die Jugendlichen über Phänomene wie das „Victim Blaming”12, aufgeklärt wer-
den. Auch wäre es sinnvoll, Heranwachsende zu digitaler Selbstbehauptung13 und Zivilcourage zu
befähigen, beispielsweise indem Strategien der Gegenrede („Counterspeech”) thematisiert und
erprobt werden.
Gleichzeitig zeigen die Interviews, dass sich viele Interaktionsrisiken im Peer-Kontext realisieren
und antisoziale Verhaltensweisen von Gleichaltrigen ausgehen. Hier wäre insbesondere die För-
derung prosozialer Kompetenzen und der individuellen Empathiefähigkeit angezeigt. Ein An-
satzpunkt könnte beispielsweise sein, in der Schule oder in Freizeiteinrichtungen über Verhal-
tensverträge oder Social-Media-Verträge nachzudenken, in denen klare Regeln für das Miteinan-
der auf Online-Plattformen formuliert werden (z. B. „Wir machen und verbreiten keine Fotos von
anderen, ohne zu fragen”). In diesem Zusammenhang kann auch das Thema individuelle Grenz-
überschreitung diskutiert werden.
Mit Blick auf antisoziale Verhaltensweisen wäre
insbesondere die Förderung prosozialer Kompetenzen
und der individuellen Empathiefähigkeit angezeigt.
Im Umgang mit belastenden Erfahrungen in Online-Interaktionskontexten kennen und nutzen die
befragten Jugendlichen verschiedene Copingstrategien. Gängige Strategien wie z. B. Blockie-
ren, Melden, aktives Ignorieren scheinen dem Gros der Jugendlichen bekannt. Pädagogische An-
sätze sollten darauf zielen, sowohl die Resilienz als auch das Handlungsspektrum der Heran-
wachsenden in Bezug auf unterschiedliche Online-Risiken zu erweitern. Besondere Unterstüt-
zung ist im Fall von Cybergrooming angezeigt. Die Kontaktanbahnung verläuft oftmals unauffällig
und ist aufgrund der Aufmerksamkeit und Schmeichelei anfänglich eher mit positiven Gefühlen
verbunden, was es den Betroffenen erschwert, zu erkennen, ab wann die Interaktion problema-
tisch wird und sie sich Hilfe holen sollten. Hier bedarf es entsprechender Informations- und Un-
terstützungsangebote, die Heranwachsenden alternative Handlungsmöglichkeiten und Stellen
aufzeigen, an die sich wenden können.
In den Interviews äußerten einige Jugendliche doch deutliche Bedenken und Vorbehalte in Bezug
auf die Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen, insbesondere was die anbieterseitige Melde-
möglichkeiten und polizeiliche Unterstützung betrifft. Einige Jugendliche haben den Eindruck,
dass es wenig beeinflussbar ist, wer für welches Fehlverhalten online auf welche Weise bestraft
12
Beim „Victim Blaming” handelt es sich um eine Strategie, bei dem Opfer die Schuld für ein negatives Ereignis zuge-
schrieben wird (auch Täter*innen-Opfer-Umkehr).
13
Bisher findet sich der Begriff der digitalen Selbstbehauptung vor allem im Zusammenhang mit Projekten der Kin-
der- und Jugend(sozial)arbeit und Weiterbildungsangeboten und wird dabei recht unspezifisch verwendet. Im Pro-
jekt #digitaleselbstbehauptung (Jugendförderung Solingen, o. D.), das u. a. mithilfe des gleichnamigen Instagram-
Accounts über Risiken bei der Online-Nutzung aufklärt und digitale Selbstbehauptung fördern will, wird darunter
verstanden, „zu wissen, wie man selbstbewusst und (selbst-)sicher auf Vorfälle reagieren und sich und andere
schützen kann”. In anderen Projekten, wie z. B. dem maedchen#channel, bezieht sich digitale Selbstbehauptung in
erster Linie auf das Empowerment bzw. die Ermächtigung von Mädchen und jungen Frauen (Normann & Dünen, o.
D.). Der Begriff scheint aus unserer Sicht sehr geeignet, weil er - anders als der Begriff der Medienkompetenz - auf
die psychosoziale Stärkung des Subjekts abzielt.
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
60
wird. Hier könnte mitunter ein „Blick hinter die Kulissen” dabei helfen, Klarheit über die Konse-
quenzen des eigenen Coping-Handelns zu erlangen und somit ein Gefühl von Selbstwirksamkeit
erzeugen.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
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Webster, S., Davidson, J., Bifulco, A., Gottschalk, P., Caretti, V., Pham, T., Grove-Hills, J., Turley,
C., Tompkins, C., Ciulla, S., Milazzo, V., Schimmenti, A., & Craparo, G. (2012). European Online
Grooming Project—Final Report. European Online Grooming Project.
Zentrum für Kinderschutz im Internet (I-KIZ) (2016): Jahresbericht 2015. Berlin. https://kinder-
rechte.digital/assets/includes/sendtext.cfm?aus=11&key=1496
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
63
Anhang
Anschreiben
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
64
Leitfaden
Themenbereiche Fragen Material
Online-Nutzung allgemein / Nutzungsgewohnheiten
Nutzungs-
gewohnheiten
Welche Apps und Angebote nutzt du regelmäßig?
Welche sind deine drei Lieblings-Apps/-Plattformen/-Ange-
bote und warum?
Postest du auch selbst etwas auf Social Media?
Gesprächs-
partner*innen
Mit wem bist du über soziale Netzwerke in Kontakt?
Mit wem bist du über Messenger-Apps (z. B. WhatsApp, Tele-
gram etc.) in Kontakt?
Wem folgst du so auf Instagram, Snapchat, TikTok?
Verwendete Ge-
räte für die Online-
Nutzung
Welche Geräte verwendest du, um online zu gehen?
Nutzungszeit
Wie viel Zeit verbringst du online?
Belastende Online-Erfahrungen, persönliche
Grenzverletzungen und Coping
Persönliche
belastende Erfah-
rung
Wie genau sah die Situation aus, als das passierte?
Warst du mit dem Smartphone oder über ein anderes Gerät
online?
Warst du zuhause oder unterwegs?
Warst du allein, als dir das
passiert ist?
Auf welcher Plattform/App ist, das passiert?
War das eine Person, die du kennst oder war das eine fremde
Person?
Wie hat das Ganze angefangen? Womit hat es aufgehört?
Wahrnehmung,
Bewertung und
Coping
Wie hast du dich in der
Situation gefühlt?
Auf einer Skala von 1 bis 5 - 1 ist „gar nicht schlimm“ und 5 ist
„total schlimm“
-, wie schlimm fandest du das?
Warum?
Skala von 1 bis 5
Was hast du dann gemacht, um mit der Situation klarzukom-
men bzw. um dich besser zu fühlen?
Hast du sonst noch weitere Strategien verwendet?
Was könnte man noch tun, um damit besser klarzukom-
men/umzugehen bzw. um sich besser zu fühlen?
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
65
Hast du
mal mit
j
emandem darüber gesprochen?
Gab es sonst noch jemanden, der dir in dieser Situation ge-
holfen hat?
Welche der von dir genannten Strategien haben dir gehol-
fen? Inwiefern hat dir das geholfen?
Piktogramme
(Daumen nach
oben/ unten)
zum
Zuordnen
Welche der von dir genannten Strategien hat dir nicht gut
geholfen? Warum hat dir das nicht geholfen?
Piktogramme
(Daumen nach
oben/ unten)
zum Zuordnen
Szenarien
Identische Fragen
für die 6 Szenarien
Offene Frage: Was geht dir durch den Kopf, wenn du das so
liest?
Szenarien (s.u.)
Wenn du das jetzt auf einer Skala von 1 bis 5 einordnen soll-
test – 1 ist „gar nicht schlimm“ und 5 ist „total schlimm“ -, wo
würdest du diese Situation einordnen? Warum, was ist daran
schlimm
für dich?
Was müsste an der Situation anders sein, damit sie weniger
schlimm oder gar nicht schlimm ist?
Ist dir selbst schon mal so etwas in dieser Art passiert?
Wissen über (institutionelle, formale) Unterstützungsmöglichkeiten
Wissen über An-
gebote
Welche Unterstützungsmöglichkeiten kennst du? Konzentrischer
Kreis
Wo können sich Jugendliche Hilfe / Unterstützung in solchen
konkreten Situationen holen?
Welche Unterstützungsangebote findest du besonders
hilfreich?
Welche der Angebote würdest du selbst in Anspruch
nehmen?
Welche Angebote würdest du eher nicht in Anspruch
nehmen und warum?
Wie gut oder schlecht sind aus deiner Sicht die Möglichkei-
ten für Jugendliche, sich bei negativen Online-Erfahrungen
Hilfe zu suchen? Was fehlt, was würdest du dir wünschen?
Was macht aus deiner Sicht gute Unterstützung aus?
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
66
Verantwortung
Verantwortungs-
zuschreibung
Wer trägt aus deiner Sicht die Verantwortung, wenn es da-
rum geht, Jugendlichen eine sichere Onlinenutzung zu er-
möglichen?
Liste mit Akteu-
ren
Nachfragen zu jenen, denen eine große Verantwortung zuge-
schrieben wird: Was können sie deiner Ansicht nach tun, um
die Sicherheit von
Kindern in der digitalen Welt zu erhöhen?
Szenarien
Klara (13) wurde vor einiger Zeit von einer Person, die sich als Tom (13) vorgestellt hat, über Insta-
gram angeschrieben. Am Anfang haben sie sich vor allem über Hobbys und Schule ausgetauscht.
Irgendwann wollte Tom nur noch auf WhatsApp mit ihr chatten, das war OK für Klara. Jetzt fragt
er sie ständig, welche Klamotten sie beim Schlafen trägt, macht ihr viele Komplimente und
möchte sich mit ihr treffen.
Ezra (15) wurde auf Snapchat von jemandem geaddet, den sie nicht kennt und hat den Kontakt aus
Neugier angenommen. Kurz darauf schickt dieser Kontakt ihr einen Snap. Als Ezra den Snap öff-
net, sieht sie, dass es ein Nacktfoto ist.
Lennart (14) hat in der Schule Schwierigkeiten mit einigen seiner Klassenkameraden. Sie beleidi-
gen ihn sowohl auf dem Schulhof als auch bei WhatsApp. Dort bekommt er immer wieder Nach-
richten, in denen er von unterschiedlichen Personen aus seiner Klasse beschimpft wird. Auch im
Klassenchat bei WhatsApp machen sie sich über Lennart lustig.
Freya (13) hat seit kurzem TikTok. Hier verfolgt sie die Influencerin Charli D’Amelio. Besonders gut
gefallen ihr die Tanzvideos. Vor kurzem hat daher auch Freya ein solches Tanzvideo bei TikTok
hochgeladen. Hierunter kommentierte ein Mädchen aus ihrer Schule, wie peinlich das Video sei.
Eine andere TikTok-Userin, die Freya aber nicht kennt, kommentierte das Video mit einem
Kotzsmiley.
Lisa (16) spielt gerne unterschiedliche Multiplayer-Spiele im Internet. Besonders gefällt ihr, dass
sie viele neue Spieler*innen kennenlernt. Sie chattet während der Spiele mit den anderen über
die In-Game-Chatfunktion. Seit kurzem wird sie von einer anderen Spielerin mit dem Usernamen
BlackWidow98 während der gemeinsamen Spiele auch im öffentlichen Chat immer wieder be-
schimpft und beleidigt.
Mo (15) ist bei eBay Kleinanzeigen mit seinem vollen Namen und einem Bild von seinem Gesicht
angemeldet. Er möchte über die Plattform seine Playstation verkaufen. Plötzlich wird er von ei-
nem ihm unbekannten User angeschrieben und aufgrund seiner Hautfarbe rassistisch be-
schimpft und bedroht. Außerdem sagt ihm der User, er solle zurückgehen in das Land aus dem er
hergekommen sei.
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
67
Codewortbaum
Online-Nutzun
g
all
g
emein
Genutzte An
g
ebote
Di
g
itale Spiele
E-Mail
Tele
g
ram
Discord
Eba
y
Kleinanzei
g
en
Facebook
Goo
g
le
Insta
g
ram
Ome
g
le
Si
g
nal
Snapchat
Tellon
y
m
TikTok
Twitch
Pinterest
WhatsApp
Nachrichten (Apple
)
YouTube
YouTube Kids
Sonsti
g
es
(z.
B.
Netflix, Spotif
y)
Nutzun
g
spraktiken
Fol
g
en
Posten
Kontaktpersonen
Gruppenchat
Keine
Fremde Erwachsene
Erwachsene (nicht Familie), die man kennt
Gleichaltri
g
e, die man nicht kennt
Freund*innen und Gleichaltri
g
e, die man kennt
Familie
Nutzun
g
smotivation
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
68
Flammen sammeln
Am Leben von anderen
teilhaben
Di
g
itales Ta
g
ebuch/Erinnerun
g
sfunktion
Inspiration
Spiele
Unterhaltun
g
Informationssuche
Kommunikation
Lieblin
g
sapps
[
Subcodes s.
„Genutzte Angebote“]
g
liche Nutzun
g
szeit
Genutzte Geräte
Smartwatch
Smartphone
Laptop
Tablet
Spielekonsole
Fernseher
Belastende Erfahrun
g
/Situation
Beschreibun
g
der Situation (Plattform, Beteili
g
te, Dauer etc.
)
Plattform
[
Subcodes s.
„Genutzte Angebote“]
Art der Situation
Gemeines, verletzendes, antisoziales Verhalten
Sexuelle
Grenzverletzun
g
en (sexuelle Bilder/Nachrichten
)
C
y
ber
g
roomin
g
Hate Speech
Sonsti
g
es
Beteili
g
te Personen
Kommunikationspartner*in/
„An
g
reifer*in
Sonsti
g
e Beteili
g
te
Dauer
Bewertun
g
der Situation
Skala (1-5
)
Warum ist die Situation
schlimm/belastend?
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
69
Wahrnehmun
g
sbezo
g
ene Faktoren
Sub
j
ektbezo
g
ene Faktoren
Absenderbezo
g
ene Faktoren
Erei
g
nisbezo
g
ene Faktoren
Retrospektives Unverständnis für ei
g
enes Handeln
Emotionales Erleben
Copin
g
Präventives Copin
g
Passiv-vermeidendes Copin
g
Technische Strate
g
ien
Konfrontation
(Aktives) I
g
norieren
Emotionsorientiertes Copin
g
Suche nach Unterstützun
g
Ko
g
nitives Copin
g
Humor (darüber lachen
)
Sonsti
g
e Hilfe (nicht aktiv
g
esucht
)
Wahr
g
enommene
Wirksamkeit der Copin
g
strate
g
ien (+ Erklärun
g)
Nicht hilfreich
Mittelhilfreich
Hilfreich
Retrospektive Einordnun
g
/Reflexion
Szenarien (nicht selbst erlebt
)
Szenario 1: Lisa (16), Beleidi
g
un
g
en Online-Games
Erste Gedanken zur
g
eschilderten Situation
Bewertun
g
der Situation
Warum ist die Situation schlimm/belastend?
Wahrnehmun
g
sbezo
g
ene Faktoren
Sub
j
ektbezo
g
ene Faktoren
Absenderbezo
g
ene Faktoren
Erei
g
nisbezo
g
ene Faktoren
Skala (1-5
)
Empfohlene
Copin
g
strate
g
ien
Präventives Copin
g
Passiv-vermeidendes Copin
g
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
70
Technische Strate
g
ien
Konfrontation
(Aktives) I
g
norieren
Emotionsorientiertes Copin
g
Suche nach Unterstützun
g
Ko
g
nitives Copin
g
Humor (darüber lachen
)
Szenario 2: Ezra (15),
Nacktfotos
[
Subcodes s. Szenario 1]
Szenario 3: Lennart (14), (C
y
ber-)Mobbin
g
[
Subcodes s. Szenario 1]
Szenario 4: Fre
y
a (13), verletzende Kommentare
[
Sucodes s. Szenario 1]
Szenario 5: Mo (15), Hate Speech (Diskriminierun
g)
[
Subcodes
s. Szenario 1]
Szenario 6: Klara (13), C
y
ber
g
roomin
g
[
Subcodes s. Szenario 1]
Unterstützun
g
san
g
ebote
Bekannte An
g
ebote
Vertrauenspersonen aus dem persönlichen Umfeld
(z.
B.
Eltern, Freund*innen
)
Ansprechpersonen im Schulkontext
(z.
B.
Lehrkräfte, Vertrauenslehrer*innen, Schulsozialarbeit
)
(Seelsor
g
erische) Beratun
g
san
g
ebote
Ps
y
cholo
g
ische Unterstützun
g
Polizei
Anbieter/Plattformen/Spieleentwickler
Bewertun
g
Wirksamkeit
Nicht hilfreich
Mittelhilfreich
Hilfreich
Was macht
g
ute Unterstützun
g
aus?
Was wünschen sich Ju
g
endliche?
Verantwortun
g
szuschreibun
g
Zu
g
eschriebene Verantwortun
g
Viel Verantwortun
g
Communit
y
Kinder bzw. Ju
g
endliche selbst
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71
Eltern
Einrichtun
g
en der freiwilli
g
en Selbstkontrolle
Hersteller von
Betriebss
y
stemen und End
g
eräten
Anbieter von SNS oder Messa
g
in
g
-Diensten
Bildun
g
seinrichtun
g
en außerhalb der Schule,
z.
B.
Ju
g
endzentren
Schulen
Politik
Mittlere Verantwortun
g
[
Subcodes
s. Zugeschriebene Verantwortung/Viel Verantwortung]
Weni
g
Verantwortun
g
[
Subcodes s. Zugeschriebene Verantwortung/Viel Verantwortung]
Was könnten/sollten die
j
eweili
g
en Personen/Institutionen tun?
[
Subcodes
s. Zugeschriebene Verantwortung/Viel Verantwortung]
Glossar
BeReal ist eine Foto-Sharing-App, über die Nutzende ein Foto pro Tag posten können, um ihren
Freund*innen ohne Filter und Bearbeitung an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Die Nutzende er-
halten einmal pro Tag zu einem zufälligen Zeitpunkt eine Benachrichtigung mit dem Text „Zeit für
ein BeReal“. Anschließend haben sie zwei Minuten lang Zeit, um ein Foto von sich selbst in der
aktuellen Situation zu machen. Später hochgeladene Fotos werden als „Late“ gekennzeichnet.
Bei BeReal gibt es keine Möglichkeit, Fotos aus der Galerie hochzuladen. Stattdessen wird das
Bild in der App selbst aufgenommen. Das Besondere dabei ist, dass gleichzeitig ein Foto mit der
Frontkamera und mit der Selfie-Kamera gemacht wird, die später als Bild-im-Bild angezeigt wer-
den. Erst nachdem sie ein Foto gepostet haben, können Nutzende auf der Entdecken-Seite die
Fotos ihrer Freund*innen anschauen, liken und kommentieren.
Discord ist eine plattformübergreifende App, die vor allem für die Kommunikation in Online-Com-
munitys und Gaming-Gruppen verwendet wird. Viele Gaming-Communitys nutzen Discord, um in
Spielen zusammenzuarbeiten und Strategien zu besprechen. Die App ermöglicht es Nutzenden,
schriftlich, per Voice-Chat oder Videoanruf in Echtzeit, sowohl in Gruppen- als auch in Privatge-
sprächen, miteinander zu kommunizieren. Daneben bietet Discord auch die Möglichkeit, sich an-
deren Online-Communitys anzuschließen. Nutzende können sich Servern anschließen, die von
anderen Benutzern erstellt wurden, um sich zu unterhalten und an Spielen oder Diskussionen teil-
zunehmen.
eBay Kleinanzeigen ist eine Verkaufsplattform. Diese bietet u. a. eine Messaging-Funktion, mit
der Käufer*innen und Verkäufer*innen direkt miteinander kommunizieren können. Darüber hin-
aus bietet die Plattform eine Bewertungsfunktion.
Facebook ist eine Social-Media-Plattform, die es Nutzenden ermöglicht, ein persönliches Profil
zu erstellen und sich mit Freund*innen, Familienmitgliedern und Bekannten zu vernetzen. Auf Fa-
cebook können Nutzende Beiträge und Links teilen, Fotos und Videos hochladen und Status-Up-
dates veröffentlichen. Auf Facebook gibt es zudem die Möglichkeit, Gruppen beizutreten und sich
Arbeitspapiere des HBI | Projektergebnisse Nr. 65
72
mit Personen auszutauschen, die ähnliche Interessen haben. Darüber hinaus verfügt Facebook
über eine Messaging-Funktion, den „Facebook Messenger“, mit dem Nutzende direkt mit anderen
chatten, Gruppenchats erstellen sowie Sprach- und Videoanrufe tätigen können.
Die Google-Suchmaschine bietet die Möglichkeit, das Internet nach Websites, Informationen, Bil-
dern, Videos und vielem mehr zu durchsuchen.
Instagram ist eine Foto-Sharing-Plattform, die es den Nutzenden ermöglicht, Fotos und Videos
zu teilen, diese zu liken und zu kommentieren. Beiträge können entweder als Fotos oder Videos
im eigenen Profil gepostet oder als Story geteilt werden. Storys werden nach 24 Stunden auto-
matisch gelöscht. Darüber hinaus verfügt Instagram über eine Direktnachrichten-Funktion, die
es den Nutzenden ermöglicht private Nachrichten an andere zu senden und zu empfangen.
Messenger-Apps wie WhatsApp, Signal oder Threema bieten die Möglichkeit, Nachrichten,
Sprachnachrichte, Bilder (z. B. Fotos, Emojis, GIFs und Sticker), Videos und andere Dateien
schnell und einfach mit anderen zu teilen. Einige Messenger-Dienste bieten auch die Möglichkeit,
Sprach- und Videoanrufe zu tätigen. Im Gegensatz zu öffentlichen Postings, Storys und Kommen-
taren, sind Messenger-Apps meist privat und ermöglichen es Nutzenden, nur mit ausgewählten
Personen zu kommunizieren. Voraussetzung hierfür ist in der Regel, dass die Handynummer der
anderen Person bekannt ist. Zudem können Messenger-Apps genutzt werden, um Gruppenchats
zu erstellen.
Omegle ist eine Online-Chat-Plattform, um per Text- oder Video-Chat anonym mit zufälligen
Fremden aus der ganzen Welt zu chatten. Die Nutzenden können im Vorfeld ihre Interessen an-
geben und werden mit anderen Nutzenden gematcht, die ähnliche Interessen haben (z. B. neue
Leute kennenlernen oder Sprachtandem und kultureller Austausch).
OnlyFans ist eine Plattform, auf der Content-Creator*innen, Abonnements für exklusive Inhalte
anbieten. Nutzende können sich auf der Plattform anmelden und die Inhalte der Content-Crea-
tor*innen abonnieren, die sie interessieren. Die Plattform ist bekannt dafür, dass sie häufig von
Personen genutzt wird, um explizite oder pornografische Inhalte anzubieten.
Online-Multiplayer-Games wie World of Warcraft, Fortnite, League of Legends, Minecraft und
Call of Duty sind Videospiele, die es mehreren Nutzenden ermöglichen, gemeinsam in einer vir-
tuellen Welt zu spielen. Im Gegensatz zu Einzelspieler-Spielen, bei denen man allein gegen den
Computer spielt, ermöglichen Multiplayer-Online-Games Nutzenden, mit anderen Spielern online
zu interagieren. Kommunikations- und Nutzungsmöglichkeiten in Multiplayer-Games können
vielfältig sein. Viele Spiele bieten Text- oder Sprachchat-Systeme, über die Nutzenden in Echt-
zeit mit anderen Spielern kommunizieren können. Einige Spiele haben außerdem spezielle Emo-
jis, Symbole und Gesten, mit denen Nutzende ihre Emotionen ausdrücken und mitteilen können.
Viele Spiele bieten zudem die Möglichkeit, Avatare und Charaktere zu personalisieren und indivi-
duelle Gegenstände oder Ausrüstungen zu kaufen oder zu verdienen.
Ein Prank (auf Deutsch „Streich“) ist eine Art Streich, der häufig auf Social Media oder anderen
digitalen Plattformen gespielt oder dort geteilt wird. Pranks reichen von harmlosen und lustigen
Streichen (z. B. Verstecken von Gegenständen) bis hin zu unangemessenen oder sogar gefährli-
chen Situationen (z. B. das Vortäuschen von Notfällen).
Thiel / Lampert | Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung belastender Online-Erfahrungen von Jugendlichen
73
Snapchat ist eine Social-Media-Plattform, die es den Nutzenden ermöglicht, Fotos und Videos
kreativ zu bearbeiten und mit Freund*innen zu teilen. Die App ist bekannt für ihre „Snap“-Funk-
tion: Die versendeten Fotos oder Videos werden für eine begrenzte Zeitdauer angezeigt, bevor
sie automatisch verschwinden. Neben dem Teilen von sogenannten Snaps können Nutzende
auch „Storys“ erstellen, eine Sammlung von Snaps, die für 24 Stunden auf ihrem Profil sichtbar
sind. Nicht zuletzt bietet Snapchat die Möglichkeit, über die Messaging-Funktion direkt mit
Freund*innen zu chatten, Sprach- und Videoanrufe zu tätigen sowie Gruppenchats zu erstellen.
Ein besonderes Feature ist darüber hinaus die Snap Map, die es den Nutzenden ermöglicht, ihren
Standort mit ihren Freund*innen zu teilen und sich im Gegenzug den Standort ihrer Freund*innen
anzeigen zu lassen.
Tellonym ermöglicht es den Nutzenden, anonyme Fragen an andere Nutzende zu stellen. Mit
Funktionen wie „Gefällt mir“ und „Antworten“ bietet die Plattform weitere Interaktionsmöglich-
keiten. Nutzende können zudem ihre Profile bearbeiten, indem sie Profilbilder und eine kurze Bio
hinzufügen.
TikTok ist eine Kurzvideo-App, die es den Nutzenden ermöglicht, ohne großen Aufwand kurze,
kreative Videos zu erstellen, zu teilen und die Videos anderer anzusehen. Die Plattform wurde
ursprünglich als Musical.ly im Jahr 2014 gestartet, bevor sie 2018 von der chinesischen Firma
ByteDance übernommen und in TikTok umbenannt wurde. TikTok verfügt über eine Like- und
Kommentar-Funktion, sodass Nutzende Feedback zu ihren Videos erhalten können. Zudem kön-
nen Nutzende anderen Personen auf der Plattform folgen und deren Videos in ihrem Feed sehen.
Eine darüber hinaus beliebte Funktion sind Livestreams, in denen
YouTube ist eine Video-Plattform, auf der Nutzende Videos hochladen, ansehen, kommentieren
und teilen können. Neben der Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen, können die Videos mit
einem „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ bewertet werden. Einige YouTuber*innen bieten zu-
dem Live-Streams an, bei denen Nutzende in Echtzeit mit den YouTuber*innen und anderen Zu-
schauer*innen kommunizieren können.
YouTube Kids ist eine kinderfreundliche Version der Video-Plattform YouTube, die speziell für
jüngere Zuschauer*innen entwickelt wurde. Die Plattform bietet altersgerechte Inhalte, die vor
allem für Kinder bis 12 Jahre geeignet sind. Eltern haben die Möglichkeit, die App zu personalisie-
ren und Inhalte zu blockieren oder freizugeben. Anders als auf YouTube gibt es auf YouTube Kids
keine Kommentarfunktion und die direkte Interaktion mit anderen Nutzer*innen ist nicht mög-
lich. YouTube Kids ist in erster Linie als reine Video-Plattform für Kinder konzipiert, auf der sie
altersangemessene Inhalte anschauen können.
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Article
Full-text available
It is well known that victims of violence are more likely than non-victims to be perpetrators, and that perpetrators are more likely than non-perpetrators to be victims. However, the overlap between being the victim of violence and the perpetrator of violence is not well understood when it comes to online hate. An explanatory mechanism in this relationship could potentially be the use of specific coping strategies. We sought to develop a better understanding of the relationship between the victims and the perpetrators of online hate to inform effective intervention and prevention initiatives in the field of media education. Self-report questionnaires on receiving and committing online hate and on technical and assertive coping were completed by 1,480 young people between 12 and 17 years old (M = 14.21 years; SD = 1.68). Results showed that increases in being the recipient of online hate were positively related to being a perpetrator of online hate. Technical and assertive coping strategies were negatively related to perpetrating online hate. Furthermore, victims of online hate reported less instances of perpetrating online hate when they reported higher levels of technical and assertive coping strategies, and more frequent instances of perpetrating online hate when they reported lower levels of technical and assertive coping strategies. In conclusion, our findings suggest that, if they are to be effective, prevention and intervention programs that target online hate should consider educating young people in problem-focused coping strategies.
Technical Report
Full-text available
This report presents the findings from a survey of children aged 9–16 from 19 European countries. The data were collected between autumn 2017 and summer 2019 from 25,101 children by national teams from the EU Kids Online network. A theoretical model and a common methodology to guide this work was developed during four phases of the network’s work, and is discussed at the outset of this report. The main findings from the key topic areas are summarised, which correspond to the factors identified in the theoretical model: Access, Practices and skills, Risks and opportunities, and Social context.
Research
Full-text available
Findings on online experiences of 9 to 17 year olds in Germany, based on the EU Kids Online Instrument.
Article
Full-text available
Cyberhate exposure can have serious negative impacts on adolescents' development. However, there has been scarce research on adolescents' coping strategies for cyberhate. Deepening the knowledge of how adolescents deal with cyberhate might help researchers, teachers, and parents find a way to alleviate negative effects of cyberhate on adolescents. Therefore, the present study investigates adolescents' coping strategies for cyberhate, while considering differences in adolescents’ sex, age, socioeconomic status (SES), and victim status. The sample consists of self-reports of 1480 participants who were between 12 and 17 years old (Mage = 14.21 years, SD = 1.22) and attended 7th through 10th grades. Results showed that six varying coping strategies could be confirmed, namely Distal advice, Assertiveness, Helplessness/Self-blame, Close support, Technical coping, and Retaliation. Technical coping was the most frequently used coping strategy followed by Assertiveness, Close support, Helplessness/Self-blame, Retaliation, and Distal advice. Girls more frequently used all coping strategies, except for Retaliation which had no sex differences. Younger adolescents reported more often using Technical coping than older adolescents. Distal advice and Technical coping were higher among participants with lower SES, compared with adolescents with higher SES. Distal advice and Close support were higher for non-victims than victims, whereas the mean of Retaliation was higher for victims than non-victims. Implications for future research and practice are discussed.