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Christoph Stolzenberger1
Florian Frank1
Hagen Schwanke1
Annika Kreikenbohm1
Thomas Trefzger1
1Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Augmented Reality in der Physikausbildung
Durch „Augmented Reality“ (AR) können Realobjekte mit zusätzlichen digitalen
Informationen überlagert werden, was neue Arten des Lernens ermöglicht. Internationale
Studien beschreiben verschiedene Vorteile von AR-gestützten Lernumgebungen (Bacca et al.,
2014; Ibáñez, 2018). Zwei Metastudien berichten über positive Auswirkungen auf die
Lernleistung, die Zusammenarbeit in Gruppen, die Motivation und die Entwicklung des
räumlichen Vorstellungsvermögens von Schülerinnen und Schülern, insbesondere in MINT-
Fächern (Ibáñez, 2018; Radu, 2014). Die zusätzliche kognitive Belastung oder die nicht
intuitiven Benutzeroberflächen der Anwendungen, gepaart mit den mangelnden digitalen
Kompetenzen der Lernenden, sind die wichtigsten beschriebenen negativen Auswirkungen
von AR (Ibáñez, 2018; Radu, 2014). Für den Einsatz von AR in Lernsituationen braucht es
daher sowohl geschulte Lehrkräfte als auch professionell entwickelte AR-Applikationen.
Das Seminar ProjektARbeit
Die Ausbildung der Lehrkräfte im Bereich AR wird in Würzburg u.a. durch das semesterweise
angebotene Seminar ProjektARbeit erreicht (Stolzenberger et al., 2020). Dieses ist im
Wahlpflichtbereich des Elitestudiengangs MINT Lehramt PLUS angesiedelt und wird in der
Regel als Blockveranstaltung durchgeführt.
Ziel des Seminars ist die Schulung von Lehramtsstudierenden in der Erstellung, dem Umgang
mit und dem Einsatz von AR-Applikationen. Dafür setzen sich die teilnehmenden
Studierenden im Seminar kritisch mit mediendidaktischen und erzieherischen Themen
auseinander. Essenzieller Bestandteil des Seminars ist die eigenständige Konzeption und
Erstellung einer individuellen Augmented Reality-Applikation mit dem Ziel der Vermittlung
eines selbstgewählten naturwissenschaftlichen Phänomens. Die Studierenden erarbeiten die
Umsetzung dafür sowohl auf didaktischer, methodischer als auch auf technischer Ebene.
Durch diesen großen Praxis-Anteil im Seminar wird die eigene Medienkompetenz der
Studierenden zusätzlich gestärkt.
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Abb. 1 Überblick über die Inhalte des Seminars
Das Projekt PUMA – PhysikUnterricht Mit Augmentierung
Neben kompetenten Lehrkräften im Bereich AR müssen diesen auch entsprechende Apps zum
Einsatz in ihrem Unterricht zur Verfügung stehen. Die professionelle Entwicklung und
Evaluation von AR-Applikationen für den Schulunterricht ist das Ziel des Projekts PUMA -
PhysikUnterricht Mit Augmentierung. Unter diesem Projektdach werden in kleinen Teams
(u.a. im Rahmen von Dissertationsvorhaben) Applikationen für die Vermittlung ausgewählter
physikalischer Themen konzipiert und realisiert. Hier sollen zwei dieser Projekte vorgestellt
werden.
Die Applikation PUMA : Spannungslabor (Stolzenberger et al., 2022) thematisiert das in der
Sekundarstufe I angesiedelte Thema der einfachen elektrischen Stromkreise und
grundlegenden elektrischen Konzepte. Zur Vermittlung der Elektrizitätslehre, etwa bei der
Erklärung zur Bewegung der Ladungsträger, werden an Schulen meist Analogiemodelle
verwendet. Das Verständnis der Elektrizitätslehre hängt dabei stark vom verwendeten Modell
ab. Die hier vorgestellte Applikation visualisiert auf intuitive Art und Weise zwei Modelle,
welche sich als lernfördernd erwiesen haben (Burde & Wilhelm, 2017; Burde & Wilhelm,
2021): Das Elektronengasmodell (Burde, 2018) und das Höhenmodell (z.B. Koller, 2008;
Burde & Wilhelm, 2021).
Die Entwicklung der Applikation wurde durch eine qualitative Interviewstudie mit
Lehrkräften begleitet, wodurch eine optimale Passung der entwickelten Applikation an die
Bedürfnisse der Lehrkräfte gewährleistet wurde (Frank et al., 2022). Im Rahmen einer
quantitativen Interventionsstudie in Schülerlaboren soll der Einfluss des Einsatzes einer AR-
Applikation auf das konzeptuelle Verständnis der Lernenden (ausgedrückt in Lernleistung und
Aufkommen von fehlerhaften Schülervorstellungen) untersucht werden. Dies geschieht in
Abgrenzung zum Einfluss einer bildschirmgestützten Simulation oder der Nutzung von
Infografiken.
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Nähere Informationen dazu im Beitrag „PUMA : Spannungslabor – Pilotuntersuchung zur Lernwirksamkeit
von AR“ von Frank et al. in diesem Tagungsband
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Abb. 2 AR-Applikation zur Darstellung von Analogiemodellen der Elektrizität
Die App PUMA : Magnetlabor (Schwanke et al., 2021) beschäftigt sich thematisch mit dem
ebenfalls in der Sekundarstufe I angesiedelten Thema des Magnetismus. Dabei handelt es sich
um eine Rahmenapplikation, welche sechs verschiedene Experimentierstationen eines Lehr-
Lern-Labors beinhaltet. Anhand ausgewählter Experimente erhalten die Lernenden durch die
Überblendung der Realobjekte mit dem dreidimensionalen und sich zeitlich möglicherweise
veränderlichen magnetischen Feld u.a. Zugang zu den teilweise komplexen und unsichtbaren
Vorgängen der Induktion oder der Regel von Lenz. Die Einbindung von realen Versuchsdaten
aus dem Experiment lässt eine hohe Interaktivität zu, welche sich in Echtzeit auf dem Display
verfolgen lässt. Die Applikation wurde mittels des qualitativen Usabilitykonzepts evaluiert
(Schwanke & Trefzger, 2022, im Druck) und entsprechend angepasst.
Im Rahmen einer quantitativen Interventionsstudie wird dabei der Einfluss des Einsatzes einer
AR-Applikation auf den Cognitive Load und das situationale Interesse untersucht. Als
Vergleichsgruppen werden Experimente, die mit einer Simulation angereichert sind, und
klassisch durchgeführte Experimente gewählt. Die Pilotierung ist bereits abgeschlossen.
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Abb. 3 AR-Applikation zur Darstellung von Magnetfeldphänomenen
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Nähere Informationen zur Pilotierung und der kommenden Hauptstudie im Beitrag „Der Einfluss von AR
auf das Lernen: Lernförderlich und wenig belastend?“ von Schwanke et al. in diesem Tagungsband.
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Zusammenfassung & Ausblick
Um den Anforderungen an ein lernförderliches Lernszenario mithilfe von AR-Applikationen
(als ein Beispiel des Einsatzes digitaler Medien) gerecht zu werden, benötigt man neben der
professionellen Entwicklung des eingesetzten Mediums (hier: der AR-Applikation) auch
entsprechend gut ausgebildete Lehrkräfte. Beide Anforderungen werden an der Universität
Würzburg im Rahmen des Seminars ProjektARbeit und des Projekts PUMA adressiert und
mithilfe empirischer Begleitforschung abgesichert.
So bleibt zu hoffen, dass in der Zukunft immer mehr Lehrkräfte intuitiv und passgenau für den
Unterricht entwickelte digitale Werkzeuge nutzen können und sie selbst kompetent sind, diese
in ihren eigenen Lernsituationen gewinnbringend einzusetzen.
Literatur
Bacca, J., Baldiris, S., Fabregat, R., Graf, S. & Kinshuk. (2014). Augmented Reality Trends in Education: A
Systematic Review of Research and Applications. In Educational Technology & Society, 17(4), S. 133-149
Burde, J.-P. (2018). Konzeption und Evaluation eines Unterrichtskonzepts zu einfachen Stromkreisen auf Basis
des Elektronengasmodells. In H. Niedderer, H. Fischler & E. Sumfleth (Hrsg.), Studien zum Physik- und
Chemielernen. Logos-Verlag, Berlin.
Burde, J.-P. & Wilhelm, T. (2017). Modelle in der Elektrizitätslehre – Ein didaktischer Vergleich verbreiteter
Stromkreismodelle. In Naturwissenschaften im Unterricht Physik, Nr. 157, S. 8-13
Burde, J.-P. & Wilhelm, T. (2021). Unterrichtkonzeptionen zu elektrischen Stromkreisen. In T. Wilhelm, H.
Schecker & M. Hopf (Hrsg.), Unterrichtskonzeptionen für den Physikunterricht. S. 231-277. Springer-
Verlag, Berlin.
Frank, F., Stolzenberger, C. & Trefzger, T. (2022). Vorstellung einer qualitativen Studie zur Eignung einer AR-
Applikation zur Unterstützung der Modellvorstellungsbildung in der E-Lehre. In S. Habig & H. van Vorst
(Hrsg.), Unsicherheit als Element von naturwissenschaftsbezogenen Bildungsprozessen (Tagungsband der
virtuellen GDCP-Jahrestagung 2021). S. 684-687.
Ibáñez, M.-B. & Delgado-Kloos, C. (2018). Augmented reality for STEM learning: A systematic review. In
Computers & Education, 123, S. 109–123
Koller, D. (2008). Entwurf und Erprobung eines Unterrichtskonzepts zur Einführung in die Elektrizitätslehre.
Zulassungsarbeit am Lehrstuhl Didaktik der Physik der LMU München. Unterrichtsmaterialien verfügbar
unter https://www.didaktik.physik.uni-muenchen.de/archiv/inhalt_materialien/einf_elektrizitaet/ [zuletzt
aufgerufen: 17.10.2022]
Radu, I. (2014). Augmented reality in education: A meta-review and cross-media analysis. In Personal and
Ubiquitous Computing, 18(6), S. 1533–1543
Schwanke, Hagen; Kreikenbohm, Annika; Trefzger, Thomas (2021): Augmented Reality in Schülerversuchen
der E-Lehre in der Sekundarstufe I. In: Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) (Hg.):
Naturwissenschaftlicher Unterricht und Lehrerbildung im Umbruch?, Band 41. Unter Mitarbeit von
Sebastian Habig: Universität Duisburg-Essen (Band 41), S. 641–644. Online verfügbar unter
https://www.gdcp-ev.de/wp-content/tb2021/TB2021_641_Schwanke.pdf.
Schwanke, Hagen; Trefzger, Thomas (2022): Augmented Reality in Schülerversuchen der Elektrizitätslehre in
der Sekundarstufe I. In: Michael Baum, Katja Eilerts, Gabriele Hornung, Jürgen Roth und Thomas Trefzger
(Hg.): Die Zukunft des MINT-Lernens : Konzepte für guten Unterricht mit digitalen Methoden. Digitale
Tools und Methoden im MINT-Unterricht, Band 2. 2 Bände: Springer Spektrum.
Stolzenberger, C., Wolf, N., Kreikenbohm, A. & Trefzger, T. (2020). Augmented Reality in der
Lehramtsausbildung. In S. Becker, J. Meßinger-Koppelt & C. Thyssen (Hrsg.), Digitale Basiskompetenzen.
S. 128 - 131. Joachim-Herz-Stiftung, Hamburg.
Stolzenberger, C., Frank, F. & Trefzger, T. (2022). Experiments for students with built-in theory: ‚PUMA:
Spannungslabor‘ – an augmented reality app for studying electricity. In Physics Education, 57(4), 045024.
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