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Grenzraumakademie
Grenzregionen Deutschlands mit seinen Nachbarländern
Dokumentation der Konferenz vom 20./21. April 2023 im
Ernst-Reuter-Haus in Berlin
Mai 2023
Prof. Dr. Tobias Chilla, Dominik Bertram, Stefan Hippe
FRIEDRICH-ALEXANDER-UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERG
in Kooperation mit
Dr. Kristina Zumbusch, Daniel Zwicker-Schwarm
UNIVERSITÄT ST. GALLEN
unter Mitarbeit von M. Lambracht, L. Beisenwenger, J. Brandenburg, E. Günther, D. Kamolz, T. Mannmeusel,
J. Petschler, R. Sachs, C. Schneider
2
32 Inhaltsverzeichnis
Hintergrund 4
Themenblock I: Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen
Deutschlands 6
Begrüßung 6
Impulsvortrag: Stärken, Schwächen und Handlungsoptionen der Grenzregionen
im deutschlandweiten Vergleich 7
Podiumsgespräch 8
Themenblock II: ‚Good Practice‘ der thematischen grenzüber-
schreitenden Kooperation 10
Workshop: Arbeitsmärkte & Wirtschaftsentwicklung 10
Workshop: Tourismus, Naturschutz & Klima 12
Workshop: Strategische Raumentwicklung 14
Workshop: Transport, Mobilität & Verkehr 16
Themenblock III: Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen 18
Impulsvorträge: Krisenfestigkeit von Grenzregionen: Erfahrungen aus der Krise 18
Podiumsgespräch: Erfahrungen aus der Krise 20
Podiumsgespräch: Möglichkeiten strategischer Raumentwicklung in
Grenzregionen 22
Themenblock IV: Grenzräume auf der politischen Agenda 24
Podiumsgespräch: Zusammenhalt in deutschen Grenzregionen 24
Publikationen 26
4
Hintergrund
Hintergrund
Die vorliegende Dokumentation fasst wichti-
ge Impulse aus der ‚Grenzraumakademie‘ zu-
sammen, die am 20./21. April 2023 in Berlin
stattfand. Diese Veranstaltung brachte ca. 130
Gäste aus den Grenzregionen Deutschlands
und den Nachbarstaaten in den Austausch
mit Expertinnen und Experten verschiedener
Politikbereiche und -ebenen. Die Grenzraum-
akademie war durch ein Forschungsprojekt
initiiert: Das Projekt CoBo ‚Cohesion in Bor-
der Regions‘ wird von der Universität Er-
langen-Nürnberg und der Universität St. Gal-
len bearbeitet (Januar 2021 bis Dezember
2023). Das Projekt und auch die Grenzraum-
akademie zielen auf die Beantwortung der
nachfolgenden Fragen ab:
• Was sind derzeit wichtige Trends in den
Grenzregionen mit Beteiligung Deutsch-
lands?
• Welche Chancen und Möglichkeiten er-
geben sich hieraus?
• Was heißt ‚europäischer Zusammenhalt‘
für Grenzregionen?
Letztlich geht es bei diesen Fragen darum,
wie die grenzregionale Entwicklung voran-
gebracht werden kann. Dabei ist auch zu er-
örtern, worin das ‚next level‘ grenzregionaler
Entwicklung besteht. Das Projekt wird vom
Bundeministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) gefördert. Es zeichnet sich durch ei-
nen betont praxisrelevanten Ansatz aus, der
sich insbesondere in der kontinuierlichen
Kooperation mit einschlägigen Institutionen
ausdrückt. Diesen Praxispartnern ist auch an
dieser Stelle herzlicher Dank auszusprechen
für die große und kontinuierliche Unter-
stützung über die gesamte Projektzeit.
Konkret geht der Dank an folgende Instituti-
onen:
−Das Bundesministerium für Woh-
nen, Stadtentwicklung und Bauwesen
(BMWSB), dort insbesondere das Refe-
rat ‚Europäische Raumentwicklungspo-
litik, territorialer Zusammenhalt‘ unter
der Leitung von Dr. Daniel Meltzian.
−Das Bundesministerium des Innern und
für Heimat (BMI), dort das Referat ‚Grenz-
überschreitende regionale Zusammen-
arbeit‘ unter der Leitung von Dr. Ben
Behmenburg.
−Die Arbeitsgemeinschaft Europäischer
Grenzregionen (AGEG) insbesondere in
Person von Martín Guillermo Ramírez
und Peter Hansen.
−Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR), dort das Referat
‚Europäische Raum- und Stadtentwick-
lung‘ unter der Leitung von Jens Kurnol.
54 Hintergrund
Dem BMBF ist ebenfalls zu danken, sowohl für
die großzügige Förderung des dreijährigen
Projektes als auch für die formale Flexibilität,
die den Mitteleinsatz auch für die Grenzraum-
akademie erlaubte. Da das CoBo-Projekt vor
der Corona-Pandemie konzipiert wurde, wa-
ren viele heute wichtige Debatten noch nicht
absehbar. Die Einladung zu einer überregi-
onalen ‚Akademie‘ gehört zu den Impulsen,
die erst aus den Krisenerfahrungen heraus
entstanden sind. Es ist ein wichtiges Anliegen
der Veranstaltung, aus den Pandemie-Erfah-
rungen zu lernen, und nicht – wie es Unter-
abteilungsleiter im BMI Ralf Göbel formuliert
hat, der ‚Corona-Demenz‘ zu unterliegen.
Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass der
Begriff der Grenzraumakademie mit Vor-
sicht zu lesen ist: Erstens sind die Regionen
beidseits von Staatsgrenzen in hohem und
zunehmendem Maße auch ‚Verechtungs-
räume‘, nicht nur ‚Grenzräume‘. Berufsmärkte,
Einkaufsströme, Freizeitangebote usw. sind
immer stärker über die Grenzen hinweg or-
ganisiert. Dennoch erscheint es für eine Ver-
anstaltung mit berufsmäßigen Vertreterinnen
und Vertretern aus Grenzräumen angemes-
sen, die Grenzen im Titel nicht auszublenden.
Zweitens mag der Ausdruck der Akademie
missverständlich sein: Die Zielsetzung der
Veranstaltung ist nachdrücklich praxisrele-
vant und keine akademische Veranstaltung
im engeren Sinne. Inspirationsgeber war hier
die sog. ‚Kleinstadtakademie‘, die ebenfalls
transdisziplinäre Austausch-Formate orga-
nisiert. Denn hierum geht es letztlich: Indem
zugleich analytische Erkenntnisse und politi-
sche Ansätze diskutiert werden, sollen Poten-
tiale der grenzregionalen Raumentwicklung
aufgedeckt werden. Der Verlauf der Veran-
staltung und die vorliegende Dokumentation
legen nahe, dass hier ein relevanter Beitrag
gelungen ist.
6
Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen Deutschlands
Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger beschreibt in
seinem Grußwort die Corona-Pandemie als
tiefgreifende Herausforderung für die grenz-
überschreitende Zusammenarbeit, welche
Spuren hinterlassen habe. Zugleich stellt er in
den Vordergrund, dass grenzüberschreitende
Zusammenarbeit besonders in schwierigen
Zeiten wichtig sei. In den Grenzregionen wer-
de die europäische Integration sichtbar und
der europäische Zusammenhalt gestaltet.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit sieht
er als Generationenaufgabe, welche nur ge-
linge, wenn man über längere Zeit Empathie
und Durchhaltevermögen zeige. Wie schaffen
wir es also die bestehenden Hürden an Eu-
ropas Binnengrenzen zu überwinden? Ant-
worten hierfür soll die Grenzraumakademie
liefern.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter unterstreicht, dass die
Bundesregierung in Grenzraumfragen über
Ressortgrenzen hinweg zusammenarbeite.
Dies sähe man auch bei der Grenzraumaka-
demie, an welcher vier Bundesministerien in
enger Abstimmung beteiligt seien. Die Grenz-
regionen spielten eine große Rolle, da die Be-
wohner von Grenzregionen keine Nachteile
haben dürften gegenüber Menschen, die in
den Zentren des Landes leben. Gerade durch
die Corona-Pandemie sei es bewusst gewor-
den, welche große Bedeutung Grenzen hät-
ten.
Themenblock I
Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen
Deutschlands
Begrüßung:
Dr. Rolf Bösinger, Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und
Bauwesen
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin des
Innern und für Heimat
Dr. Rolf Bösinger Rita Schwarzelühr-Sutter
76 Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen Deutschlands
Impulsvortrag
Stärken, Schwächen und Handlungsoptionen der Grenzregionen
im deutschlandweiten Vergleich
Prof. Dr. Tobias Chilla, Dominik Bertram, Stefan Hippe, (Universität Erlangen-Nürnberg)
Dr. Kristina Zumbusch, Daniel Zwicker-Schwarm (Universität St. Gallen)
Prof. Dr. Tobias Chilla begrüßt die Teilneh-
menden herzlich zur Grenzraumakademie.
Die Projektbeteiligten stellen wesentliche
(Zwischen-)Ergebnisse der Analysen vor:
Das Forschungsprojekt zeigt einen großen Be-
darf des Austauschs über Ebenen hinweg und
des voneinander Lernens. Die Grenzraum-
akademie greift dies auf, indem Akteure aus
allen deutschen Grenzregionen und deren
Nachbarländern sowie über alle politischen
und administrativen Ebenen hinweg zusam-
menkommen. Die Veranstaltung fügt sich
dabei gut ein in die aktuellen bundeswei-
ten Debatten zu den Grenzregionen (insbe-
sondere im Hinblick auf die innerstaatlichen
Vernetzungsworkshops des BMI und die Stu-
dien im Auftrag des Auswärtigen Amts zu
Grenzscouts, Regionalräten und der Experi-
mentierklausel, die im Koalitionsvertrag der
Bundesregierung erwähnt sind).
Die Vorstellung illustriert funktionale Ana-
lysen (u.a. Wirtschaftsentwicklung, grenz-
überschreitende Mobilität), institutionelle Ar-
gumente (u.a. zweistuge Delphi Studie mit
mehr als 100 grenzregionalen Experten) und
Erkenntnisse zur grenzregionalen Resilienz.
Aus der funktionalen Perspektive zeigt sich,
dass es notwendig ist die grenzüberschrei-
tenden Infrastrukturen auszubauen und die
immer noch vorhandenen Unterschiede in
den Grenzräumen zu verringern oder zu
managen. Hiermit verbunden ist eine Unter-
stützung des Integrations- und Konvergenz-
prozesses. Aus institutioneller Sicht sollten
Lücken im Mehrebenensystem geschlossen
werden, um eine bessere Verzahnung von
der lokalen bis zur nationalen/europäischen
Ebene zu gewährleisten. Des Weiteren sollten
Grenzraumakteure und -institutionen stärker
strategisch denken, um gemeinsame Visionen
für die Grenzregionen zu entwickeln. Die Re-
silienz-Analysen zeigen, dass Krisen (allen vo-
ran die COVID-19-Pandemie) auch als Chance
gesehen werden können. Die Aufmerksam-
keit für grenzregionale Belange ist gestiegen,
neue Kommunikationskanäle sind entstan-
den und die Notwendigkeit für grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit wurde deutlich.
Damit eng verbunden ist auch das Lernen
aus der Krise, um für künftige Herausforder-
ungen besser vorbereitet zu sein und resilien-
tere Strukturen zu schaffen.
Anlässlich der Grenzraumakademie wurde der
‚Grenzraumatlas‘ erstellt, welcher Visualisie-
rungen aus den CoBo-Analysen enthält. Hier-
in werden die Grenzregionen mit deutscher
Beteiligung aus verschiedenen Blickwinkeln
beleuchtet und zueinander positioniert.
8
Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen Deutschlands
Podiumsgespräch
Claire Duvernet (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung)
Martín Guillermo Ramírez, (Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen)
Jean Peyrony (Mission Opérationnelle Transfrontalière)
Dr. Egle Spudulyte (GD Regionalpolitik und Stadtentwicklung, Europäische Kommission)
Moderation: Prof. Dr. Tobias Chilla (Universität Erlangen-Nürnberg)
Die Vertreterinnen und Vertreter von höchst
einschlägigen Institutionen diskutieren den
‚Zusammenhalt in deutschen Grenzregionen’
und Erfolgsfaktoren für die ‚nächste Stufe‘ der
grenzüberschreitenden Kooperation (‚next
level‘). Claire Duvernet (BBSR) geht auf die
hohe Relevanz des systematisierten Mehr-
ebenen-Dialogs bei der Zusammenarbeit ein.
Vieles beruhe auf persönlichen Beziehungen,
was bei Personenuktuationen nicht selten
Kommunikationsprobleme mit sich bringe.
Außerdem sei es wichtig, die Grenzregionen in-
tegrierter zu verankern: „Wir sehen, dass trotz
jahrzehntelanger Zusammenarbeit Raum-
ordnungspläne grenzüberschreitend nicht
einheitlich sind“. In diesem Zusammenhang
illustriert sie die große Bedeutung der bun-
desdeutschen Modellvorhaben der Raumord-
nung (MORO).
Martín Guillermo Ramírez (AGEG) beschreibt,
dass Kooperation immer und gewissermaßen
automatisch mit Herausforderungen einher-
gehe: „The more cooperation we have, the
more obstacles we will nd“. Wichtig sei es,
nicht nur kooperieren zu wollen, sondern
auch zu können (und manchmal auch zu dür-
fen). Grenzüberschreitende Strukturen und
Ressourcen seien hierbei zentrale Themen,
die derzeit von großer Relevanz für die grenz-
überschreitende Kooperation in den europäi-
schen Grenzregionen seien.
Jean Peyrony (MOT) verweist auf die gute
Entwicklung der europäischen Grenzregio-
nen in den letzten 20 Jahren. Trotzdem gäbe
es noch etliche ‚Baustellen‘: „We need more
frameworks and more potentials for local de-
cision-makers and more openness in the ca-
pitals”.
Dr. Egle Spudulyte (EU Kommission) zeigt auf,
dass man in der aktuellen INTERREG-Periode
stark auf eine verstärkte Strategieentwicklung
hinwirke. Jetzt gehe es um die Umsetzung der
Strategien und die Erreichung der gesetzten
Ziele. Sie sieht besonders großes Potential in
innovativen Ansätzen für efziente Förderung
und Pilotprojekten, um bei der grenzüber-
schreitenden Zusammenarbeit neue Wege zu
nden.
In der Diskussion wird betont, dass die Grenz-
regionen mit deutscher Beteiligung ihre gro-
ßen Potentiale künftig stärker nutzen können,
indem grenzüberschreitende Zusammenar-
beit über alle administrativen Ebenen zu ei-
98 Aktuelle Trends und Chancen in den Grenzräumen Deutschlands
ner Selbstverständlichkeit werde. Dies würde
gleichzeitig auch die ‚nächste Stufe‘ darstel-
len: eine Routine, Regionen über die Grenze
hinweg integriert mitzudenken. Als ein In-
strument hierfür wird aus der rechtlichen Pers-
pektive die Experimentierklausel diskutiert. Es
sei ein interessanter Gedanke, bei Gesetzes-
initiativen Öffnungsklauseln für Grenzräume
systematisch mit aufzunehmen.
Die unzureichende Verfügbarkeit von regio-
nalisierten Daten wird als eine wichtige He-
rausforderung für die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit beschrieben. Die Experten
sind sich darüber einig, dass nach wie vor
kleinräumige, harmonisierte Daten und In-
formationen zu grenzüberschreitenden Ver-
echtungen fehlten. Um in diesem Bereich
die ‚nächste Stufe‘ zu erreichen, seien eine
umfangreichere europäische Koordination
für harmonisierte Daten und innovative Her-
angehensweisen für neue Datenquellen wün-
schenswert.
„Der nächste Schritt ist, dass die grenz-
überschreitende Zusammenarbeit zu
einer Routine wird.“
- Claire Duvernet
„If there are no obstacles, there is no
cooperation.“
- Martín Guillermo Ramírez
„If we want to overcome obstacles, we
need to give more competencies to local
decision-makers.“
- Jean Peyrony
„Wir brauchen grenzraumspezische
Daten.“
- Dr. Egle Spudulyte
10
‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Themenblock II
‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreiten-
den Kooperation
Workshop: Arbeitsmärkte & Wirtschaftsentwicklung
Impulsvorträge:
Grenzüberschreitende Vernetzung für die regionale Wirtschaft
Katharina Wierer (Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz)
Grenzüberschreitendes Leben und Arbeiten - GrenzInfoPunkte
Julia Dillmann (euregio rhein-maas-nord)
Moderation: Daniel Zwicker-Schwarm (Universität St. Gallen)
Durch die Coronakrise wird die grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit im Bereich der
Arbeitsmärkte und der Wirtschaft verstärkt
diskutiert. Katharina Wierer stellt die Mari-
enbader Gespräche vor, ein seit 2008 be-
stehendes Dialogformat zur Vernetzung der
regionalen Wirtschaft und wirtschaftspoliti-
scher Akteure im Grenzraum Bayern-Tsche-
chien-Österreich. Nachdem die Grenzregion
über Jahrzehnte durch den Eisernen Vorhang
getrennt war, stand anfangs das gegenseitige
Kennenlernen der Institutionen und Akteure
im Mittelpunkt. Mittlerweile habe sich diese
jährliche Veranstaltung zu einer lösungsorien-
tierten Netzwerkplattform für die Region ent-
wickelt, an der mehr als 150 Entscheidungs-
träger aus Politik, Verwaltung, Kammern und
Unternehmen teilnehmen. In Arbeitskreisen
werden aktuelle Fragen diskutiert, Erfah-
rungen ausgetauscht und politische Hand-
lungsoptionen formuliert (z.B. Fachkräfte-
sicherung, Nachwuchsförderung). Darüber
hinaus haben die ‚Marienbader Gespräche‘
eine Vorbildfunktion für die ‚Schlossgesprä-
che‘ (erstmals 2022) in der deutsch-dänischen
Grenzregion eingenommen.
Julia Dillmann berichtet aus der Beratungs-
arbeit der GrenzInfoPunkte. Die sechs Be-
ratungsstellen in den Euregios entlang der
deutsch-niederländischen Grenze bestehen
seit 2014. Sie seien vor allem als erste An-
laufstelle zu sehen für Grenzpendler, Studie-
rende, Rentner sowie Unternehmen zu allen
Fragen rund um das grenzüberschreitende
Arbeiten, Wohnen und Studieren. Wichtige
Themen dabei seien Steuern und Sozialver-
sicherung, aber auch Rechtsgebiete wie z.B.
das Erbrecht. Ein besonders hoher Informa-
tions- und Beratungsbedarf habe während
der Coronakrise bestanden, wodurch digitale
Beratungsangebote an Bedeutung gewonnen
1110 ‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
haben. So hätten die Internetseiten der Grenz-
InfoPunkte über 1,5 Mio. Zugriffe verzeichnet.
Dazu seien konkrete Problemlagen der Coro-
na-Verordnungen in die deutsch-niederländi-
sche Taskforce eingespeist worden.
Die Teilnehmer sind sich einig, dass es in der
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im
Bereich Arbeitsmärkte und Wirtschaftsent-
wicklung darum gehen müsse, die gemein-
samen Themen herauszuarbeiten. Hierbei sei
es wichtig zu berücksichtigen, dass es gerade
in Grenzräumen mit asymmetrischen Wirt-
schafts- oder Arbeitsmarktverechtungen
auch Interessensgegensätze gebe. Eine dau-
erhafte Herausforderung der Beratungszent-
ren seien die Finanzierung sowie die Gewin-
nung qualizierten Personals.
Die Vernetzung von Unternehmen, Politik und
Verwaltung und die Zugänglichkeit von Infor-
mations- und Beratungsangeboten werden
als elementarer Baustein für das ‚next level‘
der grenzregionalen Entwicklung angesehen.
Die Erfahrungen aus Dialogformaten sollten
zudem Eingang in die nationale und europäi-
sche Politik nden.
„Die Marienbader Gespräche entwickelten sich zu einer lösungsorientierten Netzwerkplatt-
form für die Region.“
- Katharina Wierer
„GrenzInfoPunkte stehen für verlässliche, kostenlose und unabhängige Information.“
- Julia Dillmann
12
‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Workshop
Tourismus, Naturschutz & Klima
Impulsvorträge:
Trilaterale Kooperation im Weltnaturerbe Wattenmeer
Anja Domnick (Gemeinsames Wattenmeersekretariat)
Vereinbarkeit von Tourismus und Naturschutz im grenzüberschreitenden
Kontext
Pavel Bečka (Nationalparke Šumava und Bayerischer Wald)
Moderation: Dominik Bertram (Universität Erlangen-Nürnberg)
Die Vereinbarkeit von Tourismus, Natur- und
Klimaschutz ist eine wichtige Herausforde-
rung für eine nachhaltige Raumentwicklung
in den Grenzregionen mit deutscher Betei-
ligung. Anja Domnick gibt hierzu einen Ein-
blick in die trilaterale Kooperation im Welt-
naturerbe Wattenmeer. Seit 2009 erzeuge
das Weltnaturerbe neue Synergien der Zu-
sammenarbeit zwischen Deutschland, Däne-
mark und den Niederlanden. Die Grenzregion
habe seit 2014 eine gemeinsame Strategie für
einen nachhaltigen Tourismus in der Desti-
nation Weltnaturerbe Wattenmeer. Das Ge-
meinsame Wattenmeersekretariat mit derzeit
13 Mitarbeitenden unterstützt, fördert und
koordiniert die Aktivitäten der grenzüber-
schreitenden Zusammenarbeit. Ein wichtiger
Erfolgsfaktor sei insbesondere eine mehrspra-
chige und ressortübergreifende Kooperation.
Anja Domnick stellt in diesem Kontext beson-
ders das ‚Place Branding‘ zum Weltnaturerbe
Wattenmeer heraus. Dieses Instrument der
Regionalentwicklung ziele auf eine gemein-
same, grenzregionale Identität ab.
Pavel Bečka ist als Koordinator für die tsche-
chisch-deutsche Zusammenarbeit in den bei-
den Nationalparken Šumava (CZ) und Bay-
erischer Wald (DE) tätig. Er berichtet, dass
bereits seit 1999 ein Memorandum zur Zu-
sammenarbeit der beiden Nationalparkver-
waltungen bestehe. In gemeinsamen grenz-
überschreitenden Projekten, beispielsweise
zur Umweltbildung oder der Verbesserung
von Besuchereinrichtungen, seien nicht nur
die beiden Nationalparkverwaltungen einge-
bunden, sondern viele transdisziplinäre Ak-
teure. Dabei seien klar denierte und langfris-
tige Ziele wichtig. Eine hieraus resultierende
Vision sei insbesondere angesichts der hohen
Fluktuation im politischen Raum von hoher
Relevanz. Darüber hinaus seien die Sprach-
barriere, unterschiedliche Finanzierungs- und
Eigentümerstrukturen ständige Herausfor-
1312 ‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
derungen. Derzeit arbeiten beide National-
parkverwaltungen an einem gemeinsamen
Kerngebiet mit Wegegebot zum Schutz von
sensiblen Biotopen und Arten, einer gemein-
samen Infrastruktur sowie einem gemeinsa-
men Konzept mehrsprachiger Infostellen.
Als besonders wichtigen Baustein für die
‚nächste Stufe‘ grenzregionaler Entwicklung
wurde die sektorübergreifende Vernetzung
von Akteuren diskutiert. Die ‚Fachebene‘ sol-
le regelmäßig zur grenzüberschreitenden
Zielangleichung zusammenkommen. In der
Diskussion werden weitere thematische An-
sätze als positiv hervorgehoben – insbeson-
dere grenzüberschreitende Klimaschutzstra-
tegien, gemeinsame regionale touristische
Produkte und ein überregionales Marketing.
„Ohne Kommunikation ist Kooperation sinnlos.“
- Anja Domnick
„Grenzüberschreitende Zusammenarbeit bedeutet langfristig zu denken.“
- Pavel Bečka
14
‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Workshop
Strategische Raumentwicklung
Impulsvorträge:
Grenzüberschreitendes Daten-Monitoring in der Großregion
Thierry Hengen (Ministerium für Energie und Raumentwicklung Luxemburg)
Gemeinsames Zukunftskonzept für den deutsch-polnischen Verechtungs-
raum
Dr. Jürgen Neumüller (Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg)
Moderation: Dr. Kristina Zumbusch (Universität St. Gallen)
Dieser Workshop spannt den Bogen von
grenzüberschreitender Raumbeobachtung
bis hin zur gemeinsamen Formulierung und
Umsetzung von übergeordneten Leitbildern
für Entwicklungsprozesse.
Thierry Hengen war maßgeblich an der Kon-
zipierung des Geograschen Informations-
systems der Großregion (GIS-GR) beteiligt
und verantwortet dessen Betrieb. Mit seinen
aktuell über 90 Indikatoren in 14 Themen-
gebieten wird es als Querschnittsinstrument
des Gipfels der Großregion aktiv genutzt und
unterstützt Raumentwicklungsprozesse auf
unterschiedlichen Ebenen. Das GIS-GR wurde
2010 als Interreg-Projekt gestartet, seit 2013
wird ein Vollzeit-Koordinator und eine Assis-
tenz durch Eigenmittel der Partner nanziert.
Zentral sei, dass Aufbau und Nutzung eines
derartigen Instruments Zeit, klare politische
Unterstützung, Strukturen, Verantwortlich-
keiten sowie eine ausreichende Finanzierung
benötigten.
Dr. Jürgen Neumüller stellt das Gemeinsame
Zukunftskonzept für den deutsch-polnischen
Verechtungsraum (GZK 2030) vor. Das Zu-
kunftskonzept wurde vom Raumordnungs-
ausschuss der deutsch-polnischen Regie-
rungskommission in den Jahren 2014 bis 2016
erarbeitet. Das GZK 2030 zeigt eine Vision für
den Verechtungsraum sowie Wege zu deren
Erreichung. Darauf aufbauend werden für fünf
Handlungsfelder umsetzungsbezogene Leitli-
nien abgesteckt (polyzentrische Siedlungs-
struktur, verkehrliche Verbindungen, Investi-
tionen in Menschen/Wissenschaft/Forschung,
nachhaltiges Wachstum und Grundlagen
für hohe Lebensqualität). Die grenzregiona-
le Entwicklung werde in hohem Maße durch
INTERREG-A Projekte im engeren Grenzraum
unterstützt. Als Herausforderungen für die
Umsetzung werden die rechtliche Unverbind-
lichkeit, geringe personelle Kapazitäten und
das Fehlen eines eigenen Förderinstruments
genannt.
1514 ‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Die Teilnehmer des Workshops bestätigen
die Notwendigkeit von grenzüberschreitend
harmonisierten, kleinräumigen Daten zu Ver-
echtungen und Entwicklungstrends. Auch
die Frage, wie Leitbilder und Strategien zu le-
bendigen Dokumenten gemacht und erfolg-
reich in die Umsetzung gebracht werden kön-
nen, beschäftigt viele Teilnehmer. Sowohl für
die Raumbeobachtung als auch für die Stra-
tegieentwicklung werden wiederkehrende
Herausforderungen benannt, insbesondere
der politische Rückhalt und die Bereitschaft,
Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Unterstrichen wird in der Diskussion, dass
die Kombination von Raumbeobachtung und
Raumentwicklung einen wesentlichen Mehr-
wert für die grenzregionale Entwicklung brin-
gen könne – entsprechende Ressourcen vor-
ausgesetzt.
„Luxemburg ist keine Insel, sondern Teil einer funktionalen Region.“
- Thierry Hengen
„Im Jahr 2030 ist der sozial, ökonomisch und ökologisch starke deutsch-polnische
Verechtungsraum als gemeinsamer Wachstumsraum ein wichtiger Motor der Entwicklung
im Herzen Europas, der auch auf andere Regionen ausstrahlt.“
- Dr. Jürgen Neumüller
16
‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Workshop
Transport, Mobilität & Verkehr
Impulsvorträge:
Grenzüberschreitender Agglomerationsverkehr
Dr. Regina Witter (Bundesamt für Raumentwicklung, Schweiz)
Verkehrliche Verbindungen im deutsch-polnischen Verechtungsraum
Dirk Gebhardt (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung)
Moderation: Stefan Hippe (Universität Erlangen-Nürnberg)
In der grenzüberschreitenden Kooperation
sind Transport, Mobilität und Verkehr beson-
ders intensiv diskutierte Themen. Wichtige
Gründe hierfür sind die erheblichen Inves-
titions-Volumina und die oft komplex orga-
nisierten Zuständigkeiten. Dr. Regina Witter
stellt die grenzüberschreitenden Agglome-
rationsprogramme der Schweiz vor. Starke
Pendlerströme in die Schweiz und daraus
resultierende infrastrukturelle Herausforde-
rungen im Grenzgebiet seien die Ausgangs-
lage für Investitionen in grenzüberschreiten-
de Projekte mit und in dem Ausland. Hierbei
stellt sie das Beispiel der Agglomeration Basel
vor. Exemplarisch zeigt sie Erfolgsprojekte,
wie z.B. die grenzüberschreitende Tram-Ver-
bindung Basel (CH) – Weil am Rhein (DE) oder
eine P+R Anlage in Saint-Louis (FR). Sie resü-
miert die positiven Erfahrungen in der Agglo-
meration Basel: „Je größer der Problemdruck
ist, desto besser scheinen die Lösungen zu
sein“.
Dirk Gebhardt stellt die sog. ‚Eisenbahnkarten‘
der Arbeitsgruppe Umsetzung des Gemeinsa-
men Zukunftskonzepts für den deutsch-pol-
nischen Verechtungsraum vor (Vision 2030).
Ein Teilziel des Zukunftskonzepts sei die Ver-
besserung der verkehrlichen Verbindungen.
In diesem Zusammenhang sei eine grenz-
überschreitende Bestandsaufnahme der be-
stehenden, geplanten und potentiellen Schie-
neninfrastruktur erstellt und ein Geoportal
eingerichtet worden. Er beschreibt die ent-
standenen Karten als Grundlage zukünftiger
grenzüberschreitender Infrastrukturplanung.
Gewissermaßen sollen die Karten auch ‚wach-
rütteln‘ und aufzeigen, was möglich ist.
Die beiden Referenten betonen einerseits die
Bedeutung administrativer und instrumentel-
ler Herausforderungen sowie kultureller bzw.
sprachlicher Hürden. Zugleich erläutern sie
die Erfolgsfaktoren für künftige grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit im Bereich
1716 ‚Good Practice‘ der thematischen grenzüberschreitenden Kooperation
Transport, Mobilität und Verkehr. Genannt
werden insbesondere Kompromissfähigkeit,
Geduld, Flexibilität, Motivation, nanzielle
Unterstützung, gemeinsame Planungen, ein
gemeinsames Ziel, gegenseitiges Protieren
und harmonisierte Abläufe. Vertieft diskutiert
wird dies im Hinblick auf einheitliche Tarife
im öffentlichen Nahverkehr, stärkere lokale/
regionale Kompetenzen für die Initiierung
grenzüberschreitender Bus- und Bahnlinien,
eine europaweite Anpassung der technischen
Standards oder die Ausweitung inländischer
Förderformate auch für grenzüberschreiten-
de Projekte.
„Je größer der Problemdruck ist, desto besser scheinen die Lösungen zu sein.“
- Dr. Regina Witter
„Die Eisenbahnkarten zeigen, was alles möglich ist.“
- Dirk Gebhardt
18
Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
Themenblock III
Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
Krisenfestigkeit von Grenzregionen: Erfahrungen aus der Krise
Impulsvorträge:
Der Initiativkreis Metropolitane Grenzregionen
Andrea Hartz (agl landschafts-, stadt- und raumplanung)
Lehren aus der Covid-19-Pandemie für grenzüberschreitende Kooperationen:
Impulse aus der Großregion
Jun.-Prof. Dr. Florian Weber und Julia Dittel (Universität des Saarlandes)
Moderation: Dr. Sebastian Wilske (Regionalverband Hochrhein-Bodensee)
Die Corona-Pandemie hat die Grenzregionen
mit deutscher Beteiligung stark getroffen.
Andrea Hartz stellt den Initiativkreis Metro-
politane Grenzregionen (IMeG) vor und gibt
einen Einblick in die Auswirkungen der Krise.
Sie beschreibt dabei eine ‚Rückkehr der Gren-
zen‘ in die Lebens- und Arbeitswelten sowie
erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und
Daseinsvorsorge in metropolitanen Grenzräu-
men. Sie hebt Erkenntnisse aus dem IMeG-Po-
sitionspapier ‚Grenzregionen in Zeiten der
SARS-CoV-2-Pandemie‘ hervor, das auf die
Entwicklung krisenfester Grenzregionen ab-
ziele. Hierbei geht es unter anderem um das
Erstellen von grenzüberschreitenden Notfall-
plänen, die Einbeziehung ortsnaher Institu-
tionen und Akteure ins Krisenmanagement
sowie die Weiterentwicklung der regionali-
sierten Datenlage in Grenzregionen. Beson-
ders wichtig sei dabei immer, die Grenzräume
ganzheitlich zu denken.
Jun.-Prof. Dr. Florian Weber und Julia Dittel
vertiefen in ihrem Impulsvortrag die Lehren
aus der Krise für grenzüberschreitende Ko-
operation am Beispiel der Großregion. Aus In-
terviews mit politischen und administrativen
Verantwortlichen aus dem grenzüberschrei-
tenden Mehrebenensystem leiten sie drei
relevante Erkenntnisse ab. Erstens sei eine
robust institutionalisierte Zusammenarbeit
ein Schlüssel für Kooperation in Krisenzeiten:
„Wir brauchen eine reguläre Zusammenar-
beit, eine Routine“, so Julia Dittel. Zweitens
solle die grenzüberschreitende Gesetzesfol-
genabschätzung als mögliches, wirksames
Instrument diskutiert werden. Drittens dürfe
der Moment des Lernens nicht verpasst wer-
den. Die Aufgabe bestehe im Nachgang der
Krise darin, das Vertrauen sowie das Wissen
über die jeweilige Arbeits- und Funktionswei-
se nachhaltig zu stärken.
1918 Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
„Grenzräume ganz denken!“
- Andrea Hartz
„Wir haben es mit asymmetrischen Zustän-
digkeiten zu tun, deswegen lohnt es sich auch
einmal in die Diagonale zu schauen.“
- Julia Dittel
„Die Krise? Wir haben es in den letzten
Jahren eher mit Krisen zu tun.“
- Jun.-Prof. Dr. Florian Weber
20
Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
Podiumsgespräch
Michael Dejozé (EVTZ Euregio Maas-Rhein)
Annika Hummel (Mittlerer Oberrhein, „Main Line for Europe“)
Dr. Ann-Veruschka Jurisch (MdB, Bundesfraktion FDP)
Dr. Patrick Leypoldt (Agglo Basel)
Pascale Mollet-Piffert (IHK Südlicher Oberrhein)
Moderation: Dr. Sebastian Wilske (Regionalverband Hochrhein-Bodensee)
Im Podiumsgespräch wurde von weiteren Er-
fahrungen aus der Krise berichtet. Die Pan-
demie habe besonders deutlich aufgezeigt,
wie stark integriert viele Grenzregionen mit
deutscher Beteiligung sind. Dabei wurde
von 360°-Arbeitsmärkten bis hin zu privaten
Beweggründen zum regelmäßigen Grenz-
übertritt berichtet. Die Krise habe mit der
Wiedereinführung der Grenzkontrollen und
teilweise -schließungen einen deutlich nega-
tiven Einuss auf die Grenzregionen gehabt.
Unterschiedliche bürokratische Prozedere zur
Erlaubnis die Grenze zu überschreiten, hätten
zu großen Problemen und stets weiterführen-
den Fragen geführt. Man habe sich morgens
beim Einpendeln nicht sicher sein können,
ob man abends wieder heimkomme, berich-
tet Pascale Mollet-Piffert. Dr. Ann-Veruschka
Jurisch beschreibt, dass der Grenzübertritt in
Krisenzeiten viel Rechercheaufwand benötigt
habe.
Um während der Krise handlungsfähig zu sein,
hätten sich besonders die bereits geknüpften
Netzwerke und das bestehende grenzüber-
schreitende Vertrauen bewährt. Michael De-
jozé bringt diese wichtige Erfahrung auf den
Punkt: „In Krisen: Köpfe kennen!“. Die Akteure
aus den Grenzregionen beschreiben ebenfalls
die wichtige Rolle des (oft diagonalen) Dialogs
im grenzüberschreitenden Mehrebenensys-
tem. In Krisenzeiten sei es relevant zu wissen,
wie die Partner arbeiten und ‚funktionieren‘,
um Informationen zu bekommen und weiter-
zugeben. Pascale Mollet-Piffert beschreibt in
diesem Kontext: „Es ist beruhigend zu hören,
dass wir alle das Gleiche durchgemacht ha-
ben“.
Damit die Grenzregionen krisenfester werden,
so sind sich die Teilnehmenden des Podiums
einig, sollten bilaterale Verträge auch Man-
date auf grenzregionaler Ebene vorsehen.
Dr. Patrick Leypoldt beschreibt hierzu: „Die
zwischenstaatliche Ebene muss dafür sorgen,
dass die bilateralen Verträge so gestaltet wer-
den, dass wir die Dinge umsetzen können“.
Außerdem sei es relevant, einen regelmäßi-
gen Austausch zwischen den Grenzregionen
und der Bundesebene zu gewährleisten, da-
mit die Politikgestaltung für grenzregionale
Problemstellungen stärker sensibilisiert wer-
den könne. Annika Hummel verweist in die-
sem Kontext darauf, dass „Zusammenarbeit in
den Grenzregionen nicht nur positive Auswir-
kungen auf die Regionen selbst hat“.
2120 Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
„In Krisen: Köpfe kennen!“
- Michael Dejozé
„Die zwischenstaatliche Ebene muss dafür
sorgen, dass die bilateralen Verträge so
gestaltet werden, dass wir die Dinge
umsetzen können.“
- Dr. Patrick Leypoldt
„Man konnte sich morgens beim Einpen-
deln nicht sicher sein, dass man abends
wieder heimkommt.“
- Pascale Mollet-Piffert
„Die Grenzüberschreitung musste eingeübt
werden.“
- Dr. Ann-Veruschka Jurisch
„Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
hat einen Mehrwert, auch über den
Grenzraum hinaus.“
- Annika Hummel
22
Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
Podiumsgespräch
Möglichkeiten strategischer Raumentwicklung in Grenzregionen
Ralf Göbel (Leiter der Unterabteilung ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse; Demograe; Kom-
munen‘ im Bundesministerium des Innern und für Heimat)
Sebastian Gröning-von Thüna (Leiter des Fachbereichs ‚Grenzüberschreitende Zusammen-
arbeit mit Frankreich und den BeNeLux-Staaten‘ im Auswärtigen Amt)
Dr. Daniel Meltzian (Leiter des Referats ‚Europäische Raumentwicklungspolitik, territorialer
Zusammenhalt‘ im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen)
Moderation: Prof. Dr. Tobias Chilla (Universität Erlangen-Nürnberg)
Die ministeriellen Vertreter heben hervor,
dass es aktuell ein großes politisches Interes-
se für die Grenzraumentwicklung gebe. Dies
illustrieren sie mit dem Verweis auf den ge-
meinsamen ressortübergreifenden Jour Fixe,
an dem alle Referenten des Podiums teilneh-
men.
Die Notwendigkeit der ressortübergreifen-
den Abstimmung sei gerade während der
COVID-19 Pandemie deutlich geworden. Die
Podiumsteilnehmer kommentieren die Ent-
scheidungen für Grenzschließungen bzw.
-kontrollen recht offen und kritisch. Beispiels-
weise haben Beurteilungen auf der Grundlage
von Daten mit eingeschränkter Aussagekraft
gemacht werden müssen. Erst spät sei klar ge-
worden, dass die Inzidenzwerte zwischen den
Ländern nicht harmonisiert und somit nicht
vergleichbar waren. Auch vor diesem Hinter-
grund appelliert Ralf Göbel, dass man nicht in
eine Art „Krisendemenz“ verfallen dürfe – für
künftige Pandemien und andere Herausfor-
derungen müssten nun die richtigen Schlüsse
gezogen werden.
Eine große Rolle spielen derzeit auch die De-
batten um Grenzscouts, Regionalräte und
Experimentierklauseln aus dem aktuellen
Koalitionsvertrag. Für die pilothafte Umset-
zung von Grenzscouts habe das BMI jüngst
Fördergelder zur Verfügung gestellt. Hierbei
komme es nun auf eine zielführende Projekt-
entwicklung mit den Grenzraumakteuren an.
Dr. Daniel Meltzian betont darüber hinaus,
dass die Modelvorhaben der Raumordnung
– beispielsweise im deutsch-polnischen Ver-
echtungsraum – als großer Erfolg zu werten
seien.
Die Diskussionsrunde beleuchtet die Potentia-
le des Instruments ‚European Cross-Border
Mechanism‘. Hierdurch könnten europaweit
rechtliche Rahmen für grenzregionale Be-
2322 Aktuelle Grundsatzfragen aus den Grenzregionen
lange geschaffen werden. Derzeit stocke der
europäische Entscheidungsprozess, könne in
den kommenden Monaten aber wieder Fahrt
aufnehmen.
Abschließend laden die ministeriellen Vertre-
ter das Publikum ein, aktiv auf die Ministerien
zuzugehen: über alle Ministerien hinweg sei
die grenzregionale Entwicklung von sehr gro-
ßem Interesse.
„Wir dürfen auf keinen Fall in den Modus der Krisendemenz verfallen.“
- Ralf Göbel
„Grenzräume sind die Nahtstellen Europas.“
- Sebastian Gröning-von Thüna
„MORO hat grenzüberschreitend große Erfolge vorzuweisen.“
- Dr. Daniel Meltzian
24
Grenzräume auf der politischen Agenda
Themenblock IV
Grenzräume auf der politischen Agenda
Zusammenhalt in deutschen Grenzregionen
Podiumsgespräch:
Gitta Connemann, MdB (CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag)
Josha Frey, MdL (Fraktion Grüne im Landtag Baden-Württemberg)
Dr. Ann-Veruschka Jurisch, MdB (Bundesfraktion FDP)
Dietmar Nietan, MdB (Bundesfraktion SPD)
Stefan Seidler, MdB (Südschleswigscher Wählerverband)
Moderation: Prof. Dr. Tobias Chilla (Universität Erlangen-Nürnberg)
Das Podium bringt politische Mandatsträger
aus fünf parteipolitischen Richtungen zusam-
men, von denen vier auf der Bundesebene
und einer auf der Landesebene vertreten sind.
Dabei herrscht Übereinstimmung, dass grenz-
regionale Entwicklung selten Gegenstand
parteipolitischer Kontroversen sei. Zwar seien
oft nationale Regelungen für grenzregiona-
le Anliegen ein wichtiger Lösungsansatz. Im
politischen Alltag würden die Themen aber
eher vor Ort in den Regionen diskutiert als
auf übergeordneter Ebene. Es sei nicht ein-
fach politische Resonanz für grenzregionale
Belange auf Bundesebene zu generieren. Bei
konkreten und regionalen Anliegen – wie bei-
spielsweise dem Ausbau konkreter Infrastruk-
tur – würden durchaus auch einmal parteipo-
litische Auseinandersetzungen geführt.
Politische Erfolge für Grenzregionen werden
zudem oft in recht spezialisierten Themenbe-
reichen anvisiert. Berichtet wurde hier unter
anderem von der Auszahlung der Energie-
pauschale auch für grenzpendelnde Studie-
rende und von grenzüberschreitenden Ver-
kehrsbrücken. Das Engagement einzelner
Politiker sei dabei von großer Bedeutung.
Diese seien aber auf Unterstützung über poli-
tische Ebenen und Parteigrenzen hinweg an-
gewiesen. Der Politikeralltag befasse sich zum
erheblichen Teil mit konkreten Belangen der
Bürgerinnen und Bürger, welche nach Berlin
oder in die Landeshauptstädte zu tragen sei-
en. Dies gehe mit facettenreicher Lobbyarbeit
und mit Netzwerken einher. Auch deshalb sei
eine gute Vernetzung mit Personen auf der
anderen Seite der Grenzen ein wichtiger Er-
folgsfaktor.
2524 Grenzräume auf der politischen Agenda
Zudem wird auf die einschlägigen Parlamen-
tariergruppen und Ausschüsse hingewiesen,
in denen Grenzregionen ein Thema unter an-
deren seien. Davon abgesehen seien grenz-
raumbezogene, parlamentarische Strukturen
auf Bundesebene nicht eingerichtet.
Die Mandatsträger stimmen auch in der Ein-
schätzung überein, dass es noch große Po-
tentiale für grenzregionale Anliegen gebe. Sie
sichern ihre Unterstützung zu und formulie-
ren konkrete Vorschläge:
−Ein jährlicher Jour Fixe mit Abgeordne-
ten aus den Wahlkreisen auf Euregio-
Ebene (beidseits der Grenze) sei ein
vielversprechender Ansatz zur Netz-
werkpege und zum ‚Agenda-Setting‘.
Solche Formate seien bisher nur aus we-
nigen Grenzregionen bekannt.
−Die direkte Kontaktaufnahme zu den
parlamentarischen Vertreterinnen und
Vertretern werde von einigen noch als
Hürde gesehen. Hier ergeht die Einla-
dung, relevante Inhalte möglichst präg-
nant zu übermitteln – dann werde poli-
tische Unterstützung in aller Regel gern
geleistet.
−Es wird für innovative Politikansätze plä-
diert. Beispielsweise sei es im Bereich der
Infrastruktur sinnvoll, grenzüberschrei-
tend auch einmal Ansätze anzuwenden,
die nicht a priori den innerstaatlichen
monetären Nutzen abdecken.
„Grenzkontrollen sind
Symbolpolitik.“
- Stefan Seidler, MdB
„Grenzübergreifende
Kooperation ist kein
Selbstläufer.“
- Gitta Connemann, MdB
„Bei den Gesetzen, die man
erlässt, sollte man auch
Grenzregionen im Blick
haben.”
- Josha Frey, MdL
„Grenzräume sind wichtig für
die europäische Integration im
Sinne eines Inkubators.“
- Dietmar Nietan, MdB
„Auch Endlagersuche für
Atommüll und Flughäfen
sind grenzüberschreitende
Herausforderungen.“
- Dr. Ann-Veruschka
Jurisch, MdB
26
Publikationen
Grenzraumatlas
Chilla, T., Bertram, D., Hippe, S., Zumbusch, K., Zwicker-Schwarm, D., Beisenwenger, L., Bran-
denburg, J., Günther, E., Kamolz, D., Mannmeusel, T., Petschler, J., Sachs, R. & C. Schneider
(2023): Grenzraumatlas - Arbeitsmaterialien aus dem BMBF-Projekt Cohesion in Border
Regions (CoBo). DOI: http://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.32406.93766
Weitere Publikationen aus dem ‚CoBo‘-Projekt
Hippe, S., Bertram, D. & T. Chilla (2023): Convergence and Resilience in border regions.
European Planning Studies. DOI: 10.1080/09654313.2023.2170214
Hippe, S., Bertram, D. & T. Chilla (2022): The COVID-19 pandemic as a catalyst for cross-
border cooperation? Lessons learnt for border-regional resilience. Europa XXI, 43, 1.
DOI: https://doi.org/10.7163/Eu21.2022.43.1
Chilla, T. & M. Lambracht (2022): Institutional mapping of cross-boder cooperation.
INTERREG programme analyses with KEEP data, European Planning Studies.
DOI: 10.1080/09654313.2022.2058321
Chilla, T., T. Große, S. Hippe, & B. B. Walker (2022): COVID-19 Incidence in Border Regions:
Spatiotemporal Patterns and Border Control Measures. Public Health 202: 80–83.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.puhe.2021.11.006
Hippe, S., & T. Chilla (2021). Cohesion and Resilience in Czech-German Border Regions: The
Impacts of Crises. In Z., Kresa (Hrsg.). Opportunities and Threats to Current Business Manage-
ment in Cross-border Comparison 2021 (S. 68-78). Chemnitz: GUC. Online.
26
Impressum
Autoren
Prof. Dr. Tobias Chilla, Dominik Bertram, Stefan Hippe (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)
Dr. Kristina Zumbusch, Daniel Zwicker-Schwarm (Universität St. Gallen)
Gestaltung
Graphik und Gestaltung: Dominik Bertam, Raphael Sachs, Stefan Hippe, Tobias Chilla
Redaktion: Dominik Bertram, Tobias Chilla, Stefan Hippe, Raphael Sachs
Stand
Mai 2023
Bildnachweise
Raphael Sachs / S. 1
Dominik Bertram, Markus Lambracht / S. 2
Bundesregierung/Guido Bergmann / S. 6 (links)
Henning Schacht / S. 6 (rechts)
Elias Günther / S. 9, 11, 15, 19, 21, 23
Julia Petschler / S. 13, 17, 25