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WA1996

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Abstract

Gegenstandsbereich dieser Arbeit ist die Interaktionsstruktur des sozialen Systems "Familie". Zentrale Annahme ist dabei, daß das elterliche Verhalten gegenüber dem Kinde wesentlich das Interaktionsklima und grundlegende familiäre Interaktionsmuster (als Voraussetzung für die kindliche Identitätsbildung) bestimmt. Es handelt sich um Auszüge aus einer Arbeit aus dem Jahre 1996.
Uwe Habricht
Elterliches Erziehungsverhalten
im rollentheoretischen Kontext
Einführung ins rollentheoretische Paradigma in der
Erziehungswissenschaft
3
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis...................................................................................................7
0. EINLEITUNG.....................................................................................................11
1. GRUNDLEGENDE DISKUSSION UM SOZIALISATIONSTHEORETISCHE
GRUNDANNAHMEN UND IHRER PÄDAGOGISCHEN RELEVANZ ....................19
1.1. Zur historischen Entwicklung sozialisationstheoretischer Paradigmen.............21
1.2. Rollentheoretische Konzepte in der Erziehungswissenschaft ..........................27
2. DIE FAMILIE: SOZIOKULTURELLE UND GESELLSCHAFTSHISTORISCHE
ASPEKTE DER FAMILIENSTRUKTUR..................................................................36
2.1. Überlegungen zu einer biophysisch-substrukturellen Bedingtheit der
Familienstruktur .................................................................................................... 38
2.2. Zum Verhältnis von Gesellschaft und Familie: Grundlegende Überlegungen
zur Familie als gesellschaftliche Erziehungs- und Sozialisationsinstanz...............41
2.3. Historischer Wandel der Familie ................................................................... 48
2.3.1. Die Auflösung des "ganzen Hauses" .......................................................... 50
2.3.2. Die Entdeckung der Kindheit als eigenständige Entwicklungsphase ......... 52
2.3.3. Zum Funktionswandel der Familie.............................................................. 53
2.4. Zur neueren Entwicklung von Autoritäts- und Arbeitsteilungsverhältnissen .. 57
2.4.1. Zur bürgerlichen Geschlechterphilosophie: Polarität und Komplementarität
............................................................................................................................. 58
2.4.2. familiäre Geschlechtsrollen: Elternschaft und Arbeitsteilung ..................... 62
2.5. Zwischenbemerkung .................................................................................... 66
7
3. FAMILIENSOZIOLOGISCHE THEORIEBILDUNG........................................ 68
3.1. Familiensoziologische Perspektiven zum Begriff "Familie"......................... 68
3.2. Das funktionalistische Paradigma ..............................................................71
3.3. Ansätze einer interpretativen Familiensoziologie........................................ 78
4. SOZIOLOGICHE GRUNDLAGEN FÜR EINE THEORIE
DER IDENTITÄTSBILDUNG ............................................................................. 83
4.1. Theoriegeschichtliche Rekonstruktion der Rollentheorie............................ 85
4.2. Zur sozialisationstheoretischen Relevanz der Rollentheorie ...................... 91
4.3. Die strukturfunktionalistische Theorie PARSONS....................................... 96
4.4. GOULDERs Kritik an der PARSONSschen Theorie.................................. 100
4.5. Zur Theorie des Symbolischen Interaktionismus MEADs .........................107
4.6. Zur Begründung einer kritischen Rollen- und Interaktionstheorie .............109
4.6.1. Das Identitäts- und Rollenkonzept bei GOFFMAN .................................110
4.6.2. Das Identitäts- und Rollenkonzept bei HABERMAS und KRAPPMANN..113
4.6.3. Das Konzept der Rollenübernahme bei KELLER.....................................117
4.7. Exkurs: Norm und psychosexuelle Entwicklung .......................................123
4.8. Zwischenbemerkung .................................................................................127
5. "ELTERLICHES ERZIEHUNGSVERHALTEN": ZUR ALLGEMEINEN
PROGRAMMATIK DER ERZIEHUNGSSTILFORSCHUNG .............................129
5.1. Elterliches Erziehungsverhalten Begriffsbestimmung..............................131
5.2. Das "mechanistische" Programm und bedingungsanalytische Probleme ..136
5.3. Zur theoretisch-methodischen Pluralität......................................................141
5.4. Erzieherisches Handeln und Handlungsträger...........................................145
8
6. DIMENSIONEN ELTERLICHEN ERZIEHUNGSVERHALTENS:
KONZEPTE UND ERGEBNISSE......................................................................145
6.1. Typenkonzepte ..........................................................................................150
6.2. Die familiäre Kommunikationsstruktur Schichtzugehörigkeit und
Bildungsgrad der Eltern ...................................................................................158
6.3. Elterliche Erziehungsvorstellungen...........................................................163
6.4. Geschlechtstypische Unterschiede im tatsächlichen Verhalten................167
6.5. Erlebtes Erziehungsverhalten und Persönlichkeitsentwicklung................173
7. ZUR BEDINGUNGSSTRUKTUR VON ELTERN-KIND-INTERAKTIONEN...176
7.1. Einordnung des Konstrukts "elterliches Erziehungsverhalten" in ein
rollentheoretisches Rahmenkonzept ................................................................180
7.1.1. Der normative Aspekt von Eltern-Kind-Interaktionen...............................184
7.1.2. Die individuelle Ausgestaltung der Elternrolle: Zur Relation von
Erziehungseinstellung und Erziehungsvorstellung ...........................................187
7.1.3. Rahmenpersönlichkeit und Erziehungsverhalten....................................192
7.1.4. Grunddimensionen elterlichen Erziehungsverhaltens als Kennzeichnung
des Interaktionsklimas......................................................................................194
7.2. Der Zusammenhang von elterlicher Identität und Struktur der Eltern-Kind-
Interaktionen.....................................................................................................197
7.2.1. Relevanzkriterien des funktionalistischen Ansatzes: Normative Aspekte
Zur elterlichen Rollenidentität ...........................................................................198
7.2.2. Relevanzkriterien des interaktonistischen Ansatzes: Individuelle und
situative Aspekte ...............................................................................................204
8. SCHLUßBETRACHTUNG ..........................................................................219
Anmerkungen: ................................................................................................230
9
Literatur.......................................................................................................246
10
0. EINLEITUNG
Um welche Bedingungen es sich in Art und Umfang des Erziehungsgeschehens
handelt, darauf wird in der Erziehungswissenschaft sehr differenziert
geantwortet. Hinsichtlich der Bedingungen und Bedingungsstrukturen für das
Erziehungsgeschehen und der Verwirklichung von Erziehungszielen bietet die
Erziehungswissenschaft ein sehr differenziertes Bild. Viele erziehungswissenschaftliche
"Objekttheorien" favorisieren Einzelbedingungen und Teilstrukturen von
Teilbedingungen. Dabei ist Gegenstand inhaltlicher Kontroversen zwischen den
einzelnen Richtungen im allgemeinen:
- Die Persönlichkeit des Erziehers und sein Handeln
- Die Lernfähigkeit und Bildsamkeit des Edukanden
- Die Interaktions- und Kommunikationsstruktur zwischen Erzieher und Edukand
- Kleingruppen wie Familie und Schulklasse, in denen Erziehung primär
stattfindet, ihre Struktur und Dynamik
- Die sozioökologische Nahumwelt
- Die soziale, wirtschaftliche und politische Makrostruktur
- Die Kultur, Werte und Normen, das System von Objektivationen, Institutionen
Wenn man auch davon ausgeht, daß der gesamte Problembereich der Mittel,
Maßnahmen und Bedingungen der Erziehung die wissenschaftliche Forschung
zu erfassen hat, so ist doch der zentrale Aspekt der erzieherischen Einflußnahme
der Handlungsträger selbst, also der Erziehende mit seinen Absichten, Haltungen
und Handlungskompetenzen.
Eine erziehungswissenschaftliche Theorie muß aber, obwohl sie die Person
des Erziehenden als zentrale Bedingung des Erziehungsgeschehens und -erfolges
ansieht, eine polykonditionale Theorie sein, in der alle Bedingungen des Erzie-
11
hungsgeschehens und -resultates erfaßt werden. Nur dadurch wird sie der komplexen
Bedingungsstruktur menschlicher Entwicklung und der intendierten, bewußten
sowie der unbeabsichtigten und indirekten Einflüsse, gerecht. Obwohl die
Interaktion zwischen Erziehenden und Edukand eine zentrale Teilbedingung des
Erziehungsgeschehens darstellt, spricht gegen ihre Verabsolutierung (gerade in
der geisteswissenschaftlichen Pädagogik), daß diese Beziehung auch durch die
Rollen bestimmt wird, die sie im Rahmen einer Erziehungsinstitution wie Familie
und Schule inne haben. Der "Erziehungserfolg" hängt so wesentlich von den
institutionellen Regelungen ab, die das pädagogische Beziehungsverhältnis
mitbestimmen und charakterisieren.
Erzieherisches Handeln wird aber allein aus gesellschaftlichen Rollenzuweisungen,
institutionellen Regelungen und sozioökonomischen Bedingungen
nicht erklärbar. Im konkreten Erziehungsverhältnis spielt das konstruktive und
kreative Potential und die Handlungskompetenz des Erziehenden eine wesentliche
Rolle.
Theorien, die mit Einzelbedingungen des Erziehungsgeschehens arbeiten,
darf nicht jeder Erkenntnis- und Erklärungswert abgesprochen werden, da sie als
partielle Theorien auf einem Teilsektor zur Aufklärung der hochkomplexen Bedingungs-
und Zusammenhangsverhältnisse beitragen und eine wesentliche Vorarbeit
für die Konstituierung einer umfassenden Erziehungstheorie leisten. Wesentlich
ist dafür, das besondere Gewicht und die Wirkungsweise von Teilstrukturen
in einem Gesamtbedingungszusammenhang zu berücksichtigen.
Gegenstandsbereich dieser Arbeit ist die Interaktionsstruktur des sozialen
Systems "Familie". Zentrale Annahme ist dabei, daß das elterliche Verhalten gegenüber
dem Kinde wesentlich das Interaktionsklima und grundlegende Interaktionsmuster
bestimmt.
In der gegenwärtigen Diskussion ist viel vom "Niedergang" der Familie und
einer "Sinnkrise" der Jugend die Rede. Die konservative Familiensoziologie
macht häufig Desorganisationserscheinungen der Familie für die Sinn- und
Motivationskrise der Jugend verantwortlich, wie auch für die Phänomene "Sucht" und
"Gewalt". Jedoch besteht in dieser Interpretation die Gefahr einer zu mono-
12
kausalen Interpretation dieser Erscheinungen und die Vernachlässigung exogener
gesellschaftlicher Entwicklungen, wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit
usw. Alle diese gesellschaftlichen Faktoren sind nicht nur exogene Bedingungen
einer Persönlichkeitsentwicklung, sondern wirken unmittelbar auf familiäre
Kommunikations- und Interaktionsprozesse. Die Erfassung dieser Zusammenhänge
soll jedoch nicht Aufgabe dieser Arbeit sein.
In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf das "elterliche
Erziehungsverhalten". Dieses begriffliche Konstrukt impliziert einen Komplex
unterschiedlicher Bedeutungsebenen. Zum einen deutet der positionale Hinweis
"elterlich" auf ein spezifisches Interaktionsfeld mit einer spezifischen institutionellen
Verfassung und Organisation. Zum zweiten impliziert der Begriff "Erziehung" die
traditionelle Vorstellung von Erziehung als bewußt-intendierte gleichgerichtete
Einflussnahme vom Erziehenden auf den Edukanden. Der Begriff "Verhalten"
deutet auf die orthodox-behavioristische Auffassung des Verhaltensbegriffs als
beobachtbare psycho-motorische Aktivität eines Subjekts. Desweiteren deutet
der Wortlaut des Themas auf ein besonderes Interaktionsverhältnis zwischen
Erziehenden und Edukand, deren interaktionale Beziehung durch die "sozialen Rollen"
gekennzeichnet ist, die sie im Rahmen eines institutionell-organisierten
Handlungsfeldes inne haben.
Erziehung gehört zu den "selbstverständlichen Rollen", die Eltern auszuüben
haben. Dies ist nicht im Sinne eines kontinuierlichen Geschehens gemeint,
welches sich ständig bewußt vollzieht, sondern in akuten Situationen der Notwendigkeit
im Sinne erzieherischer Einsicht und Verantwortung. Direkte erzieherische
Handlungen heben sich auf Grund ihres relativ hohen Reflexionsniveaus
von dem "Strom" des relativ unreflektierten Umganges der Eltern mit den Kindern
ab. Das resultiert aus der Tatsache, daß Eltern die Erziehung ihrer Kinder
als "quasi-natürlich" empfinden und somit besondere Ansprüche ihrer "Erzieherrolle"
und daraus resultierenden inneren Konflikten weniger reflektieren. Eltern
sind einfach "da" für ihre Kinder; damit stehen die Eltern den Kindern mit ihrem
"Selbst" entgegen und nicht mit der ständig bewußt präsenten Erziehungsabsicht
eines z.B. Berufspädagogen. Hierin liegt die spezifische Besonderheit des
"Erziehungsverhältnisses" zwischen Eltern und Kind, welches auf Grund einer "quasi-
13
natürlichen" Organisation gekennzeichnet ist.
Die dieser Arbeit zugrundeliegende Fragestellung lautet: Inwiefern kann
dem "elterlichem Erziehungsverhalten" eine Interaktionsstruktur zugrunde gelegt
werden, aus der sich strukturelle Bedingungen dieses Verhaltens ableiten lassen?
Und inwiefern bildet dieses Verhalten im Kontext sozialer, institutioneller und
ökonomischer Strukturbedingungen der Familie eine Determinante kindlicher
Persönlichkeitsentwicklung?
Hier deuten sich zwei wesentliche Prämissen der Fragestellung an, unter
denen das Konstrukt "Elterliches Erziehungsverhalten" geklärt werden kann:
Zum einen stellt sich die Variable "Erziehungsverhalten" -unter entsprechender
Problemstellung- als abhängige Variable dar. Hier gilt die Klärung des Konstrukts
"Elterliches Erziehungsverhalten" hinsichtlich seiner strukturellen Bedingungen
für das Zustandekommen bestimmter Erziehungsstilmerkmale. Der Aufweis
sozioökonomischer Bedingungen könnte hier zum Beispiel die interindividuelle
Varianz in den Merkmalen des Erziehungsverhaltens aufklären und so
individuell-therapeutische Interventionen als gering wirksam einschätzen. Zum
zweiten läßt sich die Variable "Erziehungsstil" analytisch als unabhängige Variable
verwenden, in der die Klärung dieses Konstruktes hinsichtlich seiner direkten
Einflüsse auf Persönlichkeitsvariablen des Kindes von Bedeutung ist.
Der hier entwickelten Problematik liegt die Annahme zugrunde, daß sich
die Identität und grundlegende sozial-kognitive Kompetenzen des Heranwachsenden
im primären Sozialisationsraum "Familie" entwickeln. Die Bedeutung
des elterlichen Erziehungsverhaltens als strukturelle Bedingung für die Genese
der kindlichen Identitätsbildung ist in der Sozialisationsforschung und in der
sozialwissenschaftlich-orientierten Pädagogik allgemein anerkannt. Insofern ist das
Konstrukt "elterliches Erziehungsverhalten" als analytisches Instrument zur Fassung
struktureller Bedingungen der ontogenetischen Entwicklung nicht nur als
unabhängige Variable, sondern auch als abhängige Variable von Bedeutung.
Die Genese kindlicher Identitätsbildung soll im Zusammenhang mit den
Grenzdimensionen elterlichen Verhaltens, also in Abhängigkeit zum familiären
Interaktionsklima beleuchtet werden. Die Betonung in dieser Arbeit liegt jedoch
14
auf die Klärung des Konstrukts "elterliches Erziehungsverhalten" als abhängige
Variable. Es gilt die Frage, inwieweit strukturelle Bedingungen der institutionellen
und personalen Familienorganisation, sozioökologische Bedingungen, gesellschaftliche
Normen sowie Persönlichkeitsmerkmale des Elternteils einen zusammenhängenden
Bedingungskomplex für das Zustandekommen grundlegender Dimensionen
(Verhaltensdispositionen) des Elternverhaltens darstellen.
Die Struktur des elterlichen Verhaltens soll dabei systematisch aus der
Bedingungsstruktur familiärer Interaktionsprozesse abgeleitet werden, welche wiederum
ihre Bedingungsstruktur im sozio-gesellschaftlichen Umfeld hat, in dem
die Familie eingebettet ist. Dazu wird als zentraler theoretischer Aspekt dieser
Arbeit das Konstrukt "Elterliches Erziehungsverhalten" in ein rollentheoretisches
Rahmenkonzept eingeordenet. Das bedeutet eine "rollentheoretisch-interaktionistische
Verifizierung" dieses Konstruktes, also die Identifizierung der
wesentlichen Komponenten des Elternverhaltens als Komponenten des
Rollenhandelns; diese Komponenten sind rollentheoretisch begrifflich zu fassen. Auf
dieser Grundlage kann die Bedingungsstruktur der interaktionalen Eltern-Kind-
Beziehung aus einer rollentheoretisch orientierten Theorie des sozialen Handelns
deduziert werden, welche sich im Kapitel sieben als allgemeines Rahmenkonzept
darstellt; in dem funktionalistische, sowie interaktionistische und kritische
Rollenkonzepte in komplementärer Weise ein "dynamisches" Rollenkonzept darstellen
sollen (Kapitel 7).
Es ist hier anzumerken, daß das elterliche Erziehungsverhalten nicht unter
einem klinischen Aspekt behandelt wird. Das in der gängigen Familientherapie
zugrundegelegte systemische Familienmodell läßt die Diagnostik von klinischen
Phänomenen zu. Für die Diagnostik von problematischen Interaktionsmustern
wird meistens von mindestens drei Organisationsebenen der Familie ausgegangen:
Der individuellen, interpersonellen und gesamtsystemischen Ebene. Der
hier behandelte rollentheoretische Ansatz erlaubt den Schnittpunkt von individueller
und interpersoneller Ebene und kann gut in ein systemisches Familienmodell
integriert werden. Klinisch relevant wäre der Schnittpunkt aller Ebenen
unter besonderer Berücksichtigung der Funktionsweise des gesamten Familiensystems
mit seiner besonderen Struktur von Hierarchien und intrafamiliären
15
Grenzen und Regeln. Dieser klinische Aspekt des Interaktionssystems "Familie"
tritt in dieser Arbeit in den Hintergrund. Im Vordergrund steht der positionale
Verweis des Erziehungsverhaltens als familien-/ erziehungssoziologische Interpretation
und nicht als Abhandlung zu klinischen Phänomenen in familiären Beziehungen.
Als "Vorarbeit" einer rollentheoretischen Konzeptualisierung des "elterlichen
Erziehungsverhaltens" soll in mehreren Schritten vorgegangen werden.
Im ersten Kapitel soll das Verhältnis der Erziehungswissenschaft zu
sozialisationstheoretischen Paradigmen und rollentheoretischen Konzepten allgemein
beleuchtet werden, um Status und Relevanz dieser theoretischen Ansätze für die
pädagogische Argumentation der ontogenetischen Entwicklung, besonders für
die nähere Bestimmung der Kategorie des Subjekts als normativen Aspekt, zu
diskutieren. Zudem geht es hier um die Darstellung der Abhängigkeit des
Persönlichkeitsbegriffes vom jeweiligen gesellschaftshistorischen Kontext und
Wissenschaftsverständnisses.
Im zweiten Kapitel wird der gesellschaftshistorische Charakter der Familienstruktur
thematisch. Hier steht das Verhältnis von Gesellschaft und Familie im
Mittelpunkt der Betrachtung. Es soll deutlich werden, daß sich die Familie nicht
als ahistorische Kategorie verwenden läßt und ihre Funktionen und Dysfunktionen
mit dem Umstrukturierungsprozeß der letzten 200 Jahre zusammenhängen.
Desweiteren werden Annahmen über biologisch determinierte Wesensheiten von
Mann und Frau vor dem Hintergrund gesellschaftshistorischer Entwicklungen relativiert.
Dies wird besonders vor dem Hintergrund geschlechtstypischer Arbeitsteilung
als Ausdruck der Geschlechtsrolleninterpretation relevant. Implizite Rollenerwartungen
der Geschlechtsrollen lassen sich aus Differenzierungsprozessen
im Verlauf der historisch-gesellschaftlichen Strukturveränderungen in den letzten
zweihundert Jahren erklären, die vor allem zur Trennung von Familien- und
Erwerbsleben geführt haben. Einige sozialhistorische Betrachtungen sollen die
historische Variabilität und die gesellschaftliche Prägung des Zusammenhangs von
Geschlecht und Geschlechterrollen deutlich machen und auch die Wirksamkeit älterer
Normensysteme bis in das heutige Verständnis der Geschlechtercharaktere
aufweisen.
16
Im dritten Kapitel werden grundlegende Perspektiven familiensoziologischer
Theoriebildung dargestellt und diskutiert. Unter verschiedensten Fragestellungen,
Forschungsinteressen und Methoden wird die Familie als Objekt soziologischer
Betrachtungen behandelt. Obwohl sich eine quantitative Mehrheit
funktionalistischer Ansätze hierzulande abzeichnet, bildet sich hierzu immer
mehr eine interpretative Richtung aus, die besonders die Genese von
Interaktionskompetenzen und Identitätsbildung zum Schwerpunkt hat. Beide Ansätze
bilden in ihrer kritischen Gegenüberstellung eine komplementäre Grundlage für ein
"dynamisches" Familienkonzept.
Familiensoziologische Interpretationen gründen sich in den meisten Ansätzen
auf zwei wesentliche sozialisationstheoretische "Stränge", welche die Grundlage
für rollentheoretisch orientierte Theorien der Identitätsbildung und sozialen
Interaktion darstellen. Diese werden im vierten Kapitel ausführlich dargestellt
und diskutiert, da diese in komplementärer Weise den theoretischen Rahmen für
ein "dynamisches" Familienkonzept bilden können, in dem sowohl makrostrukturelle
Interdependenzen der Handlungsorientierung zur Geltung kommen, als
auch die mikrostrukturelle Dynamik familiären Geschehens als Ausdruck interpretativer,
individueller Prozesse der "Rollenausführung" unter Hinzunahme der Kategorie
sozial-kognitiver Handlungskompetenzen der Interaktionspartner; durch
der auch die Genese der Ausbildung dieser Kompetenzen in der Familie hinsichtlich
der Identitätsbildung thematisch wird.
In Kapitel fünf und sechs geht es um eine begriffliche und theoretisch-
methodische Verortung des Konstrukts "Elterliches Erziehungsverhalten" in einer
allgemeinen Programmatik der Erziehungsstilforschung. Hier wird deutlich, daß
dieser Gegenstandsbereich als Forschungsgegenstand weder über eine einheitliche
theoretisch-methodische Konzeption verfügt, also in empirischer Hinsicht
ungeklärt ist, noch über einheitliche Untersuchungsergebnisse, die eine umfassende
Theorie stützen könnten, da eine Vielzahl unzusammenhängender Daten
keine einheitlichen und schlüssigen Interpretationen zuläßt.
In Kapitel sieben geht es um eine "synthetische Fassung" der vorgestellten
theoretischen Ansätze. Gleichermaßen stellen beide theoretischen "Stränge" eine
Theorie dar, die den Zusammenhang von Identitätsbildung und Interaktion auf-
17
as
zeigt. Sie eignen sich daher als theoretische Grundlage der Analyse elterlichen
Erziehungsverhaltens. Aufzugeigen ist, daß elterliches Erziehungsverhalten von
beiden Komponenten (normative und interpretative) bestimmt ist und daß eine
kritische Gegenüberstellung beider rollentheoretischer Ansätze unter Hinzunahme
einiger wesentlicher Elemente der kritischen rollen- und interaktionstheoretischen
Rezeptionen wesentliche Strukturbedingungen von Eltern-Kind-Beziehungen
aufzuzeigen vermag. Die hier diskutierten theoretischen Ansätze
sind nicht unmittelbar für eine empirische Analyse verwendbar, da sich in vielen
Kategorien Schwierigkeiten in der Operationalisierung ergeben. Auch die interpretative
Familienforschung ist in empirischer Hinsicht nicht völlig geklärt. Ein
methodisches Problem ist die Verknüpfung qualitativer Forschungsmethoden mit
den traditionellen quantitativen Erhebungsverfahren. Die empirisch-methodische
Umsetzung der hier angesprochenen Theorien wäre eine Voraussetzung für die
empirische Analyse des Problembereichs "elterliches Erziehungsverhalten". Vor
einer solchen empirisch-methodischen Umsetzung steht jedoch die theoretische
Klärung der jeweiligen Ansätze und ihrer Schwierigkeiten sowie eine sinnvolle
Integration des Konstruktes "Elterliches Erziehungsverhalten" in ein theoretisches
Rahmenkonzept; das soll Aufgabe der vorliegenden Bemühungen sein.
18
z
thematisiert. Als Nachteil sieht er, daß bei PARSONS die konkreten
Vermittlungsprozesse in den Interaktionen der Familienmitglieder nicht als dynamisches
Geschehen begriffen werden, sondern ausschließlich an ein Konglomerat aus
Handlungsvorgaben orientiert ist.164
Man kann sagen, daß eine von der vollständigen Identifikaion des Individuums
mit dem Wert- und Normensystem der Familie ausgehenden Familientheorie,
welche die Familie als reine Rollenträger versteht, deren reflexive Fähigkeit
zur Bewältigung familiärer Probleme in der Handlungsstruktur nicht erklärbar
macht. Da hier Familie hauptsächlich als abstraktes System, nicht im historischen
Kontext eines Gesamtzusammenhangs von Produktion und Reproduktion
gesehen wird, lassen sich familiäre Normen und die Besonderheiten subkultureller
familiärer Biographie in einem Selbstverständigungsprozeß der handelnden
Familienmitglieder nicht ableiten, sondern müssen ständig als objektiv vorausgesetzt
werden. Damit werden die subjektiven interpretativen Momente familiärer
Handlungszusammenhänge ignoriert. Als Vorteil dieses Ansatzes ist zu sehen,
daß das Aufdecken funktionaler Bezüge von Gesellschaft und Familie Aufschluß
über normative Orientierungen der Handelnden in Systemen und Subsystemen
(Familie) gibt. Insofern sind makrostrukturelle Interdependenzen der Familienstruktur
zu äußeren sozialen Ebenen und die Konstitution der Persönlichkeitsstruktur
im "Mittelpunkt" der sozialen Ebenen, in die das Subjekt integriert ist, in
diesem integrationistischen Ansatz analytisch besser zu fassen.
3.3. Ansätze einer interpretativen Familiensoziologie
Im Zuge der Weiterentwicklung einer kommunikationstheoretischen und
interaktionalen Familienforschung wie auch einer familienorientierten
Schizophrenieforschung wurde zunehmend die innere Dynamik der Familie als
eigenständiges und einheitliches Interaktions- und Kommunikationsfeld gefaßt, welches
zwar durch Einbettung in einen kulturellen und traditionellen Kontext einen
Anteil an Handlungsvorgaben aufweist, jedoch spezifische Beziehungsstrukturen
mit eigenständiger innerer Dynamik und integrativer Kraft besitzt. KREPPNER
legt nahe, in einer von der Beziehungsstruktur ausgehenden Untersuchung, die
Familie als eine Art Subkultur zu behandeln, die eine gesellschaftskulturell
78
determinierte, jedoch individuelle Kultur darstelle.164
Die empirische Vorgehensweise einer systemtheoretisch orientierten Familiensoziologie
orientiert sich vor allem an einer analytischen Sozialforschung
(multivariate Verfahren, repräsentative Untersuchungen, statistische Erhebungen).
Diesem systemfunktionalistischen Ansatz, auf den sich die meisten
familiensoziologischen Ansätze stützen, hat sich insbesondere in den USA eine
interpretative Familiensoziologie abgezeichnet, welche die Erfassung von
Alltagserfahrungen und Sinnkategorien zum Schwerpunkt hat. Im Unterschied zum
strukturfunktionalistischen Verständnis entwickelten hauptsächlich BURGESS, LOCKE
und THOMAS einen Familienbegriff, der die interaktiven und kommunikativen
Prozesse des Familienlebens zu thematisieren versucht. Der Ansatz stützt sich
dabei vor allem auf Theorien des sozialen Handelns, die in der Tradition des
Pragmatismus (DEWEY) und des symbolischen Interaktionismus (MEAD, BLUMER)
und der Chicagoer Schule (THOMAS, PARK) stehen.165 Vor allem geht es
um die Interpretation realer Alltagsprobleme und nicht um die Analyse eines
abstrakten Systems Familie. Wesentlich wurde die interpretative Familiensoziologie
von der Familienberatung und -therapie beeinflußt. Einen besonderen
Stellenwert in der interpretativen Familiensoziologie hat der symbolische
Interaktionismus, da hier der Schwerpunkt auf der Reflexibilität sozialen Handelns
liegt. Das heißt, daß die Individuen sich selbst und anderen gegenüber den Sinn
von Handlungen aufzeigen, antizipieren und zwischen alternativen
Handlungsmöglichkeiten wählen, impliziert ein reflexives Verhältnis des Individuums zu
sich selbst und zur Situation. Somit können auch Probleme und Prozesse der
Identitätsbildung aufgewiesen werden, welche zum einen im Verhältnis der Individuen
zueinander, im Verhältnis zum Normensystem, sowie in der Veränderung
der Identität im Familienzyklus liegen.
Die eigene Rolle und Identität entwickelt sich hier durch die Antizipation
der Rolle des anderen. Dies erfordert im Aufbau der Identität einen ständigen
"Balanceakt" zwischen angenommenen Erwartungen und subjektiven Bedürfnissen
in einer bestimmten Situation. Von besonderer Relevanz für die Familienmitglieder
als Teilhaber an Interaktionssystemen ist die angemessene Balance zwischen
außerfamiliären und familiären Identitätsentwürfen und -angeboten zu fin-
79
den.166 Eine zweite große Dimension im interpretativen Ansatz ist das Verhältnis
zwischen Individuum und Normensystem. Identitätsfindung läßt sich hier als
Ausbildung der Fähigkeiten zur Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz beschreiben.
Dabei beschreibt die Ambiguitätstoleranz die Fähigkeit, im Rahmen bestimmter
Interaktionssituationen die verschiedenen Ansprüche und Erwartungen
für sich zu einer Synthese zusammenzufassen. Für die Ausbildung dieser Fähigkeit
ist im Rahmen der Erziehung ein grundsätzlicher Konsens und gegenseitige
Respektierung der Ehepartner Voraussetzung. Divergierende Ansprüche der Eltern
können auf das Kind deligiert werden, aus denen beim Kind Abwehr bei
schon geringer Divergenz von Ansprüchen in einer Situation führen kann. Die
Möglichkeit zur Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz ist von der Rigidität und
Repressivität des familiären Klimas abhängig. Gerade für den Ablösungsprozeß
der Kinder von den Eltern ist ein gewisses Maß an Autonomie und Selbstbewußtsein
wichtig. Wenn es den Familienmitgliedern nicht gelingt, die im Entwicklungsprozeß
und im Famlienzyklus erforderlichen Rollenübergänge zu vollziehen,
so kann es zu erheblichen Störungen des Familienlebens und der individuellen
Entwicklung kommen167 .
Das funktionalistische Rollenverständnis impliziert eine Konformität des
Verhaltens an vorgegebene Normen, durch die jeder soziale Agent seine
positionsspezifischen Rollen zugewiesen bekommt. Abweichungen im Verhalten werden
entsprechend sanktioniert. Rollenerwartungen sind aber, gerade was die
Familie anbelangt, nicht allgemein festgelegt, sondern hängen recht unterschiedlich
von Erfahrungen in bestimmten Generationen, sowie von subkulturellen und
schichtspezifischen Differenzen ab. Hier setzt die Kritik vor allem von HABERMAS
und sein Identitätsbegriff an, welcher persönliche und soziale Identität zu einer
ICH-Identität zusammenfasst und eine permanent erforderliche Balance zur Herstellung
und Erhaltung des Gleichgewichts zwischen diesen Identitäten postuliert.
168 Zu einer Erweiterung des Identitätsbegriffes kommt es bei KRAPPMANN,
der drei wesentliche Komponenten der Balanceherstellung und -erhaltung postuliert:
a. Das Gleichgewicht zwischen divergierenden Rollenerwartungen
(Ambiguitätstoleranz), b. Gleichgewicht zwischen Forderungen anderer und eigenen
Bedürfnissen, c. Gleichgewicht zwischen individueller Darstellung und erwarte-
80
tem Rollenverhalten. Diese Fähigkeiten als Leistungen des ICHs werden im Laufe
der Sozialisation ausgebildet und in Interaktionsprozessen realisiert.168
Rollenerwartungen sind in unserer Kultur nicht starr. Nach HILLEBRANDT
unterscheiden sie sich von Familie zu Familie, von Schicht zu Schicht. HILLEBRANDT
geht davon aus, daß die Betonung des "Rollenlernens" hinsichtlich
der Sozialisation ungerechtfertigt und unhaltbar ist. HILLEBRANDT stützt sich
hierbei auf die Kritik mit Hilfe des Identitätsbegriffes, welcher impliziert, daß das
Individuum nach Erhaltung seines individuellen ICH als Person bestrebt sei. In
seine Überlegungen bezieht HILLEBRANDT neben der durch gegebene Abhängigkeit
des Kindes bestehende "soziale Rolle" eine "persönliche Rolle" mit ein, die zu
einem Verhältnis zur sozialen Rolle steht. Diese beiden Rollen machen seine
"Rollendispositionen" aus.
Die soziale Rolle zeigt sich also im Gefüge sozialer Beziehungen als Verhaltensweisen,
die an Positionen geknüpft sind. Dies betrifft die Stellung in der
Geschwisterung und gegenüber den Eltern, der Stellung in Gruppengemeinschaften
durch Leitvorstellungen des Verhaltens als Interaktionsnormen. Die ICH-
Leistungen als Steuerung der sozialen Rolle durch die "persönliche Rolle" sind in
den Beziehungsrollen und Leistungsrollen am meisten erforderlich (Abb.). Die
"persönliche Rolle" balanciert unter dem Drange einer "Ich-Prägung" und dem
Zwang der Anpassung unter den Interaktionsnormen zwischen Anpassung und
Nicht-Anpassung, Einordnung und Nicht-Einordnung. Das ICH des Kindes wählt
zwischen "Kontakt oder Distanzrollen"169. Die Rollenflexibilität des Kindes ermöglicht
deren Gestaltung im Sinne der kindlichen Persönlichkeitsprägung, Fähigkeiten
zur Rollendistanz erleichtern und bestimmen die Qualität des interaktiven
Verhaltens. Insofern bezieht sich die Kritik HILLEBRANDTs auf das Rollenlernen
als Prozeß der Erziehung als das ausschließliche Hinführen des Edukanden zu einer
Rollenidentiät als Konglomerat gesellschaftlicher sozialer Rollen, in dem sich
der Erzogene ausschließlich an den sozio-gesellschaftlichen Erwartungen und
Verhaltensvorschriften orientiert. Wie noch näher auszuführen ist, heißt im
interaktionistischen Sinn die Rollenübernahme nicht das Übernehmen sozialer Rollen
als ausschließlich normative Verhaltensorientierung, sondern die Rollenübernahme
bildet hier die Bedingung zur Interaktionsfähigkeit und die Bedingung der
81
Möglichkeit für die Bildung eines reflexiven Bewußtseins zu Normen und Erwartungen
(sozialen Rollen) hin zur Konstitution einer ICH-Identität. In diesem Sinne
sind "Rollenlernen" (normativ) und "Rollenübernahme-Fähigkeit"
(Perspektivenübernahme des Interaktionspartners als Grundlage jeder Intersubjektivität)
zu unterscheiden.
Handeln wird in diesem Ansatz vor allem im Kontext soziokultureller Lebenswelten,
weniger aus historisch gesellschaftlichen Dimensionen interpretiert; d.h. eher aus
kulturspezifischen Erfahrungsbereichen und nicht aus geschichtlich gesellschaftlicher
"Wirklichkeit". Die interpretative Familiensoziologie erklärt
Handeln vorwiegend in ihrem Zusammenhang als intersubjektiv erfahrbaren
Sinn, weniger aus ihren gesellschaftsbezogenen Zusammenhängen. Genauer
müßte gefragt werden, in welcher Weise sich die Familienmitglieder mit
gesellschaftlichen Rollenerwartungen und -normen auseinandersetzen und inwieweit
sie die institutionellen Bedingungen ihres Handelns mitreflektieren.170 Der
hermeneutische Denkansatz der interpretativen Familiensoziologie verwehrt zumindest
zum großen Teil den Blick für objektiven Strukturen sozialer Tatsachen. Eine
interpretative Familiensoziologie sollte also gerade wegen der Zusammenhänge
von Arbeit und Reproduktion in eine Theorie der Gesellschaft integriert
werden, um nicht in die Gefahr zu geraten, die Familie isoliert von gesellschaftlichen
Prozessen zu sehen.
82
4.5. Zur Theorie des Symbolischen Interaktionismus MEADs
DEWEYs Modell der "sachbezogenen Interaktion" erklärt die Auseinandersetzung
des Einzelnen mit natürlichen und sozialen Produkten. MEADs Handlungstheorie
führt den Gedanken DEWEYs weiter, indem er die "sachbezogensoziale
Interaktion" als konstitutiv für die Bildung der Person postuliert und damit
die Genese der Kultur und deren Repräsentation im menschlichen Bewußtsein
beleuchtet. Mit Hilfe "signifikanter Symbole" erlernt das Individuum symbolisch
vermittelte Erwartungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bezugspersonen
(z.B. Eltern) und internalisiert die Rollen der anderen als "innere Erfahrung".
Der Hauptvertreter des "Symbolischen Interaktionismus", MEAD postuliert
die Sprachfähigkeit des Menschen, welche in einem System signifikanter Symbole
zum Ausdruck kommt, als Voraussetzung der Handlungsfähigkeit und der
Rollenübernahme überhaupt. Sie ist die Voraussetzung für intelligentes Verhalten,
also für die Fähigkeit, sich in andere Rollen einzufühlen, zur Antizipation des
Antwortverhaltens des Gegenübers. Das Ziel des Sozialisationsprozesses ist in
diesem Ansatz die Fähigkeit, verschiedene divergente und ambivalente soziale
Umwelterfahrungen auszubalancieren, die verschiedenen Rollenanforderungen
zu koordinieren und im Lebensverlauf zu einer kontinuierlichen Identität
zusammenzufassen.201 Der von MEAD im Zusammenhang mit der pragmatischen,
funktionalen Psychologie (DEWEY) entwickelte Begriff der Identität wird in einer
naturalistischen Handlungstheorie fundiert. Er fragt nach den spezifischen
Voraussetzungen symbolisch vermittelter Interaktion. Besonderer Aspekt ist hierbei die
Verwendung signifikanter Symbole wie Körpersprache und verbale Sprache.202
Auch tierische Gesten sind bereits elementare Formen von Sozialität, mit denen
sie gegenseitig in Beziehung treten. Antizipationsfähigkeit gewährleistet menschliche
Kommunikation und bestimmt den reflexiven Charakter menschlicher Interaktion.
Identität fundiert sich hier in Kommunikations- und Interaktionsprozessen,
Sozialisation und Individuierung bedingen sich.203 Im Gegensatz zu PARSONS
ist Rolle nicht der dynamische Aspekt von Status als Teil einer Struktur,
sondern sie bedeutet lediglich die Antizipation der Verhaltenserwartungen und
deren Reflexion. Die Vorstellung von "dem Bild, das andere von mir haben",
nennt MEAD "me". Anders als bei PARSONS konstituiert sich die ICH-Identität
107
nicht durch Konformität zu diesen Erwartungen, sondern durch deren Relativierung
durch das "I". Die ICH-Identität, welche dem "self" am nächsten kommt, ist
sozusagen das Gegenteil des rollen-konformen "homo sociologicus" und basiert
auf subjektive Aktivität; ein Verhältnis seiner eigenen individuellen Bedürfnisse
zu den gesellschaftlichen Normen zu schaffen. Grundlage jeder Interaktion ist
also die grundsätzliche Interpretationsbedürftigkeit von Rollenanforderungen,
Situation und Selbst. Die Entwicklung der Persönlichkeit erfolgt durch die sukzessive
Integration von immer komplexeren "me s" bis hin zur höchsten Allgemeinheit
des "generalisierten Anderen" als psychische Repräsentation der Gesellschaft.
Dieser Aneignungsprozeß betont jedoch im Gegensatz zur Internalisierung
bei PARSONS den reflexiven Charakter der Identitätsbildung und erlaubt
damit Distanzierung zu Verhaltenserwartungen, -forderungen, deren Ablehnung
und Uminterpretation. Das Begreifen von Identität als reflektiven, kommunikativen
Lernprozeß ist wichtiger Beitrag MEADs zur Sozialisationstheorie und trug zu
emanzipatorischen gesellschaftstheoretischen Ansätzen bei, auch zur Überwindung
der funktionalistischen Rollentheorie PARSONS . Beispiele für die hier anknüpfende
neuere Theorieentwicklung finden sich vor allem bei KRAPPMANN und
HABERMAS.
In der Theorie des Symbolischen Interaktionismus wird Identität als Leistung
des Individuums gesehen, als ein offenes, prozeßhaftes Geschehen und
nicht als fester Bestand von erworbenen Eigenschaften. Gesellschaft als komplexes
System ist schwer interaktionistisch zu begreifen, da sie in vielen Bereichen
starr und verselbstständigt und daher nicht mehr kontrollierbar ist. Gesellschaft
ist aus interaktionistischer Sicht nicht Identität schaffendes und damit zugängliches
und reflektierbares, sondern bestimmendes von repressiven Charakter.
Gesellschaftliches Bewußtsein ist in der Interaktion von Individuen immer präsent
als ein rahmenhaftes Konstrukt der Wirklichkeit. Der interaktionistische Ansatz
bringt die Möglichkeit, auf Grund seiner an Handlung, Kommunikation und Erfahrung
orientierten Begrifflichkeit, identitätsbildende Prozesse in konkreten mikrostrukturellen
Interaktionsfeldern, vor allem im primären Sozialisationsraum "Familie",
aufzuzeigen.
Damit müssen abweichende Verhaltensweisen nicht mehr wie bei PAR-
108
SONS als "pathologische" Ausnahmen gesehen werden, sondern können aus
Interaktionsstrukturen abgeleitet werden. Insofern bedeutet der Prozeß der Sozialisation
einen Vorgang der gesellschaftlichen Integration des Individuums, aus
dem sich eine "soziale Identität" bildet. Gleichwohl entwickelt das Individuum
eine "personale Identität"204 , mit der es soziale gesellschaftliche Konfliktsituationen
zu lösen vermag und mit der es ein Verhältnis zu seinen sozialen Rollen zu
konstituieren vermag.
4.6. Zur Begründung einer kritischen Rollen- und Interaktonstheorie
MEAD legt das anthropologische Fundament für das Konzept der "balancierten
Identität", wie es bei HABERMAS, KRAPPMANN und auch GOFFMAN möglich
ist. Möglich ist dies grundlegend durch MEADs Konzept der Rollenübernahme,
welches KELLER hinsichtlich familiärer Kommunikations- und Interaktionsstrukturen
und der Genese von Interaktionskompetenz und Identitätsbildung untersucht
und konzeptualisiert. HABERMAS, KRAPPMANN und GOFFMAN sind
durch ihre Rezeptionen unter Einbeziehung einiger wesentlicher Kategorien des
Interaktionismus bekannt geworden. Ihre Rezeptionen unterscheiden sich hinsichtlich
besonderer Akzentsetzungen im Identitäts- und Rollenkonzept.
Durch die genannten Autoren, deren grundlegende Positionen im folgenden
Abschnitt ausgeführt werden, sind wesentliche Aspekte einer kritischen Erweiterung
des Rollenkonzepts hinsichtlich der Genese von Handlungskompetenz und
Identitätsbildung erschlossen, die auf interaktionistischer Grundlage Identitätsbildung
und Interaktion aus einem Anpassungsverständnis des Konformitätstheorems
befreien und -mit GOULDNER -Möglichkeiten von Repression und Asymmetrie
als Struktureigenschaften in sozialen Systemen einführen.
Wesentlich für das Konzept der Rollenübernahme bei KELLER ist die Feststellung
MEADs, daß Intelligenzentwicklung, also die Genese kognitiver Strukturen,
mit der Entwicklung der Sprache und des Spracherwerbs einhergeht, da
Sprachanwendung die aktive Aneignung von Begriffen, Konzepten und syntaktischen
Strukturen ist. Im Zusammenhang mit der Frage, welche familiären Bedin-
109
gungen für die Genese von sozialen Kompetenzen relevant sind, werden im zweiten
Teil dieses Kapitels Bedingungen, Folgen und Emergenz der Rollenübernahme
im familiären Interaktionsraum thematisiert. Das Konzept der Rollenübernahme
soll vor dem Hintergrund des symbolischen Interaktionismus MEADs diskutiert
werden, um vorallem die sozialisatorischen Bedingungen der Genese der
Rollenübernahme in der Familie näher zu fassen.
4.6.1. Das Identitäts- und Rollenkonzept bei GOFFMAN
Rollen als verbindliche Erwartungen erfordern durch ihren Mangel an Eindeutigkeit
interpretative, individuelle Ausgestaltung, welche sich auf die individuelle
Einzigartigkeit des Rolleninhabers bezieht, die als subjektives Empfinden
die eigene biographische Kontinuität reflektiert. GOFFMAN konzeptualisiert diesen
ambivalenten Dualismus der Konformität und Nonkonformität in den Begriffen
der "sozialen Identität" und "persönlichen Identität"205 , in denen sich durch
einen dynamischen Prozeß der Ausbalancierung zwischen persönlicher und sozialer
Identität die "Ich-Identität" konstituiert. Auf dieser Grundlage sind Fähigkeiten
wie Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz zu erklären.
Anknüpfend an die Rolle im normativen Sinn, die in der Tätigkeit besteht,
in der sich ein Positionsinhaber im Sinne normativer Rollenerwartungen verhält,
unterscheidet GOFFMAN diese Rolle vom Rollenverhalten in einer bestimmten
Situation, welche immer auch in Konfiguration mit Rollenpartnern in direkten sozialen
Situationen in Beziehung steht.206 GOFFMAN geht davon aus, daß jedes
Individuum im Laufe des Lebens Positionen einnimmt, die an Rollenerwartungen
geknüpft sind. Insofern bedeutet Rolle einen sozialen Determinismus und "eine
Lehrmeinung über Sozialisation"206 , in der die Rolle die Grundeinheit der Sozialisation
darstellt. Die funktionale Bedeutung der Rolle expliziert GOFFMAN als
Aufrechterhaltung oder Zerstörung eines Systems, wobei zwischen Eufunktion und
Dysfunktion unterschieden wird, um die konstruktiven von den destruktiven Wirkungen
zu unterscheiden.206
Das "Eigenimage", das eine bestimmte Position dem Individuum jeweils
bietet, kann zu einer affektiven wie kognitiven Selbstidentifikation führen; dies
nennt GOFFMAN als eine "Verhaftung mit der Rolle". In dieser Dimension besteht
110
die Möglichkeit des "zu sehr verhaftet" mit, oder "zusehr entfremdet" sein von
seiner Rolle. Interessant ist in diesem Kontext das angeführte Beispiel der Elternrolle,
mit denen Personen verpflichtet sein können, ohne mit ihr verhaftet zu
sein oder mit denen sie verhaftet sein können, ohne ihr verpflichtet zu sein.206
GOFFMAN verweist auf die Schwierigkeiten der klassischen Begriffe von
Position und Rolle, in deren Zusammenhang die Begriffe "Rechte" und "Pflichten"
immanent recht unterschiedliche Bedeutungen haben können. Sie können sich
auf normative oder interpretative Zusammenhänge beziehen. Die Position des
Individuums (auch im traditionellen Sinne) ist auch immer seine Situation. Das
"Bild", das eine Person von sich oder andere von ihm haben, hängt nicht nur von
gesellschaftlichen Normen, sondern auch von direkten Interaktionen und Beziehungen
ab. Insofern unterscheidet GOFFMAN die "typische" Rolle als Verhaltenserwartungen
und -vorschriften vom tatsächlichem Rollenverhalten einer Person
in einer gegebenen Position. Das heißt, typische und tatsächliche Reaktionen
weisen gewöhnlich Differenzen auf, die das Verhältnis eines Individuums zu seiner
Rolle charakterisieren. Es erscheint GOFFMAN deshalb als bedeutsam,
Rollenverhalten in bestimmten sozialen Situationen zu untersuchen, in denen
Handlungssysteme nicht unbedingt postionsabhängig, sondern konkret
situationsabhängig sind. Am Beispiel der Position des Arztes macht GOFFMAN deutlich,
daß der Arzt hinsichtlich einer gemeinsamen Aufgabe, die er mit anderen teilt, in direkte
Interaktion mit anderen steht. Das jeweilige Rollenverhalten wird in diesem
konkreten Handlungssystem durch die Aktivitäten der anderen bestimmt. So
unterscheiden sich die Rollen in bestimmten sozialen Situationen von allgemeinen
Rollen, hauptsächlich deshalb und dadurch, daß diese "situierten" Rollen Teil eines
konkreten, selbstkom-pensierenden und selbstregulierenden Handlungssystems
sind.206 In diesem Zusammenhang entstehen die Begriffe "situiertes Aktivitätssystem",
"situierte Rollen" und "situiertes ICH". Entscheidend nennt GOFFMAN
hier, daß in situierten Aktivitätssystemen (-situationen) nicht die traditionellen
Rollenkonzepte zu deren Erklärung herangezogen werden sollten, sondern
die "Komplexität konkreten Verhaltens" zu untersuchen ist.207 Hier postuliert
GOFFMAN zwei "Grundannahmen der Rollenperspektive". Zum einen das
Rollenverhalten, welches man zu der Identifizierung seiner selbst hinnimmt und den
111
Erwartungen aus dem Bild, welches andere von einer Person haben, welche die
Person als unangenehm empfindet; dies umso mehr, je mehr diese "Unterstellungen"
durch die Rolle legitimiert werden. Andere Erwartungen dagegen, die als
angemehm empfunden werden, sind nicht unbedingt rollenlegitimiert.207 Insofern
besteht eine Intention des Individuums in konkreten Situationen, Situation und
eigene Rolle so zu interpretieren, daß sie mit dem Bild über sich selbst übereinstimmen.
Eine Rolle ist "erfaßt", wenn die Bindung an die Rolle ausgedrückt
wird, wenn Qualifikationen und Fähigkeiten zu ihrer Ausübung demonstriert werden,
wenn man aktiv und spontan in das Rollenhandeln einbezogen ist. Daraus
folgt, daß ein Individuum das Erfassen der Rolle vortäuschen kann, um die mangelnde
Bindung zu verbergen oder einen sichtbaren Widerwillen demonstriert,
um sich gegen psychologische Gefahren einer Bindung an die Rolle zu wehren.
Eine "effektiv" ausgedrückte, demonstrierte Trennung zwischen dem Individuum
und seiner mutmaßlichen Rolle nennt GOFFMAN "Rollendistanz".207 Rollendistanz
ist ein Begriff, der die Vermittlung effektiv ablehnender Gleichgültigkeit des Darstellers
einer Rolle ausweist, die er vorführt. Der "Darsteller einer Rolle" demonstriert
nicht die Ablehnung der Rolle selbst, sondern die Ablehnung seines
Selbst gegenüber dieser Rolle. Rollendistanzierung soll einen "Manövrierraum"
für die Ansprüche schaffen, die sich an das Innehaben bestimmter Positionen
richtet. Inkompetenzen und Versagungen können dadurch an Gewicht verlieren
und Demütigungen vermeiden. GOFFMAN geht daher von defensiven Funktionen
der Rollendistanzierung aus. Sie kann aber auch, wie am Beispiel des Aktivitätssystems
der Chirurgie aufgezeigt, systemerhaltende und stabilisierende Funktionen
aufweisen. Situierte Rollen lassen so oft Rollendistanz entstehen, in dem ein
Teil des Selbst demonstriert, außerhalb der Zwänge einer zugewiesenen Rolle
zu liegen, unter deren Zuständigkeit sich eine konkrete Situation ereignet.
"Rollendistanz" liegt also im Raum zwischen Rollenvorschrift und tatsächlichem
Rollenverhalten.207
Insofern bietet dieser Begriff ein soziologisches Mittel, einen Typ
der Divergenz zwischen Rollenvorschrift und tatsächlichem Verhalten zu erfassen.
Zum anderen ist die Rollendistanz ein Teil der typischen Rolle, wenngleich
sie kein Teil des normativen Rahmens der Rolle ist. Das expressive Situationsverhalten
steht also in Beziehung zu einer situierten Aktivitätsrolle, zu denen es
112
organisiert ist und dem Individuum einen Spielraum der Interpretation und
Manövrierfähigkeit freihält. Die Notwendigkeit, ein Handlungssystem zu erhalten,
kann zu Bedürfnissen führen, die durch den Gebrauch von Rollendistanz realisiert
werden können. Rollendistanz meint hier eine Diskrepanz zwischen dem
Selbst in einem Handlungssystem und dem Selbst, welches verbunden ist mit
einem formalen Status und der damit einhergehenden sozialen Rolle. Die Rollendistanz
ist ein typischer, nicht-normativer Aspekt der Rolle, welche ein situiertes
Handlungssystem (-situation) voraussetzt. So gesehen ist die Rollendistanz eine
Antwort auf einen normativen Rahmen in konkreten Interaktionssituationen bzw.
Handlungssystemen. Sie ist typisch und nicht-normativ. Rollendistanz scheint
deutlich einen Grad der Nicht-Identifizierung auszudrücken. In der Rollendistanz
ist der "persönliche Stil" des Menschen zu finden, in dem sich sein Verhältnis zu
vorgegebenen normativen gesellschaftlichen Rollenanforderungen manifestiert.208
Hier zeichnet sich der Zusammenhang von Sozialisation, Interaktion und
Identitätsbildung als offenes, prozeßhaftes und dynamisches Geschehen in Situation
und Selbstdarstellung.
4.6.2. Das Identitäts- und Rollenkonzept bei HABERMAS und KRAPMANN
In Anknüpfung an die strukturfunktionalistische Theorie als normativer Ansatz
einer Theorie der sozialen Interaktion problematisiert HABERMAS die Konformität
bzw. Nonkonformität sozialen Handelns. Er weist in der Problematisierung
der theoretischen Annahme einer Konformität und Reziprozität "funktionierender"
Interaktionssysteme auf drei mögliche Dimensionen von Freiheitsgraden
des Handelns hin, die der "klassische" Funktionalismus ausschließt; eine
Differenzierung sozialen Handelns nach ihrem Grad der Reppressivität, Rigidität und
Autonomie.209 Die funktionalistische Rollentheorie mache das zu normalen Bedingungen
stabiler Interaktion, die nur für Interaktionsprozesse in "totalen Institutionen"
empirische Gültigkeit hat. HABERMAS setzt dem Integrationstheorem
(auf kognitiver Ebene besteht Komplementarität der Erwartungen, dann impliziert
dies auf motivationaler Ebene eine Reziprozität der Bedürfnisse) ein
Repressionstheorem entgegen, welches besagt, daß auf der Ebene der Reziprozität
meistens ein Ungleichgewicht herrscht, wenn Machtverhältnisse entscheiden, wer
seine Bedürfnisse besser durchsetzen kann. Dem Konformitätstheorem setzt er
113
ein Distanztheorem entgegen (zwischen Normen und Verhalten). Dem
Identitätstheorem, welches eine wechselseitige Kongruenz von Rollendefinition und
interpretation impliziert, ein Diskrepanztheorem (Fehlen einer deckungsgleichen
Interpretation). Diese drei Theoreme bedeuten bei HABERMAS drei mögliche
Freiheitsgrade des Handelns und ermöglichen die Unterscheidung von Institutionen
nach dem Grad ihrer Rigidität, Repressivität und der Art der Verhaltenskontrolle.
Eine zentrale Bedeutung in HABERMAS Interaktionskonzept hat der Identitätsbegriff.
Wesentlich impliziert die Bildung einer Identität hier die Ausbildung
von Fähikeiten, im Kontext unterschiedlicher Lebenszusammenhänge und ihren
divergierenden Anforderungen eine bestimmte Form von Stablität zu erlangen.
Die Grundqualifikationen für die Entwicklung einer solchen Identität sind
Frustrationstoleranz (Rollenambivalenz), kontrollierte Selbstdarstellung (Rollendistanz)
und flexible ÜBER-ICH-Formation.209 Wesentlich kennzeichnend für die Ausbildung
dieser Qualifikationen ist, ob der Handelnde der Rollenambivalenz gewachsen
ist oder abwehrt, die Rollenambiguität durch ein angemessenes Verhältnis
von Rollenübernahme und Rollenentwurf zu balancieren versteht oder zu
Rollenprojizierung oder restringierter Rollendefinitionsübernahme neigt; ob er relativ
autonom verinnerlichte Normen zu reflektieren versteht (flexible Über-Ich-
Formation) oder auf Grund repressiver Verhaltenskontrolle rigide verinnerlichte
Normen zwanghaft anwendet (neurotische ÜBER-ICH-Formation). Diese Kategorien
der ICH-Identität als soziologischer Begriff entsprechen denen des Begriffs
der ICH-Stärke in der Psychoanalyse.210 Eine Ambivalenz von sozialer und personaler
Identität bildet nach HABERMAS die Grundlage jeder Interaktion und
verweist damit auf die Notwendigkeit einer bewußten reflexiven Haltung des
Individuums.210
Familie - Geschlechtsrollendifferenzierung - Identitätsentwicklung
Mit dem Erwerb der Geschlechtsrolle werden wesentliche Entwicklungsschritte
vollzogen, die zu den Grundqualifikationen des Rollenhandelns gehören.
KRAPPMANN interpretiert die "Familientriade" als balanciertes Interaktionssystem,
in dem das Kind Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz durch die internali-
114
sierten Geschlechts- und Generationsrollen erwirbt.211 Ambiguitätstoleranz ist die
Fähigkeit, im Rahmen einer bestimmten Interaktionssituation, die aus verschiedenen
Interaktionssystemen resultierenden Ansprüche und Erwartungen für sich
zu einer Synthese zusammenzufassen. Andererseits besteht bei nicht ausgeprägter
Ich-Identität die Tendenz, Abwehrmechnismen aufzubauen, um so divergierende
Erwartungen zu bewältigen. KRAPPMANN ordnet die Abwehrmechanismen
in zwei Kategorien: "Mechanismen, die die Außenwelt leugnen" und "Mechanismen,
die die Bedürfnisstrukturen zu verändern oder zu verdrängen sich bemühen"212.
Ambiguitätstoleranz bildet sich bei der Geschlechtsrollenverinnerlichung
heraus und bezieht sich auf das Verhältnis von gegenseitigen Erwartungen und
reziproker Bedürfnisbefriedigung. Diese Fähigkeit macht Interaktion auch dann
möglich, wenn Bedürfnisse frustriert bzw. interferiert werden. Voraussetzung für
die Ausprägung der Ambiguitätstoleranz ist eine gelungene
Geschlechtsrollenidentifikation, da diffuse Ausprägungen der Geschlechtsrollen keinen
Anspruch an Balance divergierender Erwartungen haben. Auf der Basis einer
gelungenen primären Sozialisation ist in der zweiten Phase der Individuierung eine
zunehmende Unabhängigkeit gegenüber sozialen Systemen bzw. sozialen Rollen
möglich.
HABERMAS folgt zunächst dem funktionalistischen Muster der Rollendifferenzierung,
nimmt aber für den Jungen eine stärkere Orientierung des zweckrationalen
Handelns und leistungskompetenteren Handelns und für Mädchen des
kommunikativen und gefühlsintegrativen Handelns an: "Mit dem virtuellem Rolleninhalt
verbinden sich aber geschlechtsspezifische Bündel von Motivationen"213.
Hinsichtlich des kognitiven Aspekts der Geschlechtsrollenidentifikation folgt
HABERMAS der Auffassung KOHLBERGs, der die Geschlechtsrolle als wesentliches
Interpretationsschema für die Organisation der kindlichen Wahrnehmung
ansieht, welche wiederum von der allgemeinen intellektuellen Entwicklung ab-
hängt.HABERMAS betont jedoch stärker den motivationalen Aspekt der
Geschlechtsrolle, da sie Antriebsenergien in bestimmte Richtungen lenkt und mit
Emotionen verbunden ist.213 So können sich aus ungelösten Problemen der ödipalen
Krise Konsequenzen für das Ausmaß der Abhängigkeit, der Aggressivität
115
und Verhaltenskontrolle ergeben. Merkmale auf motivationaler Ebene erweisen
sich bis zum Adoleszenzende als stabiler als kognitive Merkmale, und zwar umso
eindeutiger, je stärker sie mit der tradierten Geschlechtsrolle übereinstimmen.
Das erklärt die Variation der Stabilitätsmuster bestimmter Merkmale nach
Geschlechtszugehörigkeit.213 Hinsichtlich der psychosexuellen Entwickliung folgt
HABERMAS dem Identifikationsmodell FREUDs und PARSONS , in dem die
psychosexuelle Entwicklung nach Art der Geschlechtsrollenidentifikation und Ausbildung
der Über-Ich-Strukturen bestimmt wird. HABERMAS sozialisationstheoretischer
Ansatz der Motivationsgenese geht in erster Linie von Kommunikationsstrukturen
und Erziehungsstile in der Familie aus, wovon die Lernprozesse der
Rollen abhängen. Die Form der Interaktion in der Familie ist bei der Ausbildung
interaktiver Kompetenzen und des reflexiven Sprachgebrauchs von Bedeutung.
Die elterliche Präsentation der Geschlechtsrollen, die möglichst eine klare
Differenzierung bei gleichzeitiger "balancierter Solidarität" aufweisen sollen (kein
Machtgefälle, keine diffuse Geschlechtsrollendarstellung) bedingt im starken Maße
kindliche Identifikationsprozesse, da Kinder klare Modelle für die Identifikation
brauchen.214 Mit der Internalisierung von Generations- und Geschlechtsrollen
lernt das Kind die Unterscheidung partikularer Beziehungen zu bestimmten Personen
von generalisierten Verhaltenserwartungen.
Bezüglich familiärer Rollenstruktur lehnt sich HABERMAS relativ stark an
die PARSONSsche Definition von Familie an, wenn er unter Hinzuziehung des
PARSONSschen Ansatzes die instrumentelle und expressive Rolle jeweils Mann
und Frau zuordnet und als Orientierungspunkt der heranwachsenden Generation
postuliert.213 Die vermeintliche Funktionalität der geschlechtsspezifischen Rollenstruktur
wird aber nicht weiter diskutiert. Die Komplementarität der Geschlechterrollen
muß nicht unbedingt eine Reziprozität der Bedürfnisbefriedigung bedeuten
(Repression, Asymmetrie). Mit Hilfe des Machtbegriffs ließe sich die Divergenz
von Komplementarität und Reziprozität erfassen. Sinnvoll wäre die Anwendung
der genannten Theoreme für die Analyse von Familienstrukturen.
Jedoch weist dieser Ansatz gegenüber dem funktionalistischen Konzept,
welches unter Sozialisation Anpassung versteht, Vorteile auf. Es müssen abweichende
Verhaltensweisen nicht mehr wie bei PARSONS als "pathologische" Aus-
116
nahmen gesehen werden, sondern können aus Interaktionsstrukturen abgeleitet
werden. Nach HABERMAS führt die Balance zwischen sozialer und personaler Identität
zu einer stabilen Struktur der ICH-Identität, mit der sich das Individuum
den sozialen Anforderungen und Erwartungen situationsadäquat stellen kann.
Diese Verhaltensadäquanz bedeutet jedoch nicht eine konforme Anpassung an
positionsabhängige Normen, sondern eine individuelle Interpretation der Situation
und des Selbst in einem bestimmten normativen Rahmen.
4.6.3. Das Konzept der Rollenübernahme bei KELLER
Für MEAD ist der Spracherwerb mit dem Erwerb des Denkens identisch,
durch sie finden die Menschen erst Zugang zueinander. Die Genese des Denkens
ist für MEAD ein sprachlicher Prozeß, ein Prozeß der Symbolisierung sozialer
Beziehungen.
Demgegenüber steht die Annahme PIAGETs, welcher Denken als instrumentelles
Handeln, das sich allmählich nach innen verlagert, versteht. Im
Gegensaz zu MEAD ist Intelligenzentwicklung für PIAGET unabhängig vom Erwerb
sprachlicher Fähigkeiten.215 Wesentlich für das Konzept der Rollenübernahme
bei KELLER ist die Feststellung MEADs, daß Intelligenzentwicklung, also
die Genese kognitiver Strukturen, mit der Entwicklung der Sprache und des
Spracherwerbs einhergeht, da Sprachanwendung die aktive Aneignung von Begriffen,
Konzepten und syntaktischen Strukturen ist.
Im Zusammenhang mit der Frage, welche familiären Bedingungen für die
Genese von sozialen Kompetenzen relevant sind, wird nunmehr Bedingungen,
Folgen und Emergenz der Rollenübernahme thematisiert. Das Konzept der
Rollenübernahme soll vor dem Hintergrund des symbolischen Interaktionismus
MEADs diskutiert werden, um vor allem die sozialisatorischen Bedingungen der
Genese der Rollenübernahme zu erfassen. Entwicklungspsychologische Aspekte,
die vor allem an kognitiven Fähigkeiten wie z.B. der Intelligenz und ihrer Beziehung
zur Rollenübernahmefähigkeit anknüpfen, müssen im Rahmen dieser Arbeit
in den Hintergrund treten. Gleichwohl wird ihr Stellenwert im hier behandelten
Kontext angedeutet.
117
tion und Imitation sind neben ihrer Bedeutung als Mechanismen des sozialen
Lernens auch Bestätigungsstrategien der eigenen Person, in der internalisierte
Verhaltensmuster "vorgeführt" werden. Hieraus läßt sich schlußfolgern, daß
sozialisatorische Bedingungen die Rollenübernahme dann fördern, wenn ein
Gleichgewicht an Bedürfnisbefriedigung vorliegt, wenn das Kind also eigene
Bedürfnisbefriedigung erfährt und gleichermaßen auf die Bedürfnisse der Eltern
reagieren kann.220 KELLER geht weiter davon aus, daß dementsprechend die
emotionale Eltern-Kind-Beziehung eine motivationale Basis für die Rollenübernahme
bildet und auf dieser Grundlage sich kognitive Lernprozesse, die ebenfalls für die
Rollenübernahme emergent sind, vollziehen. Das wird zum Teil damit begründet,
daß eine explorative Haltung der Umwelt gegenüber auf gesicherte emotionale
Beziehungen angewiesen ist, die eine Explorationshemmung überwinden hilft.
Aus interaktionistischer Sicht dürfte die Freiheit zum Rollenverhalten als ein
wichtiger Anreiz zur Rollenübernahme dann als wesentliche Grundlage erfüllt
sein, wenn kindliche Äußerungen der Bedürfnisse auf positive Resonanz treffen
und Antizipationen signifikanter anderer bestätigt werden; wenn eine affektive
und kognitive Balance einer reziproken Interaktion der Bedürfnisbefriedigung
vorliegt. Dann ist die Motivation zur Übernahme der Perspektive des anderen
und, diese Fähigkeit zu erweitern, am "optimalsten" gegeben.
4.7. Exkurs: Norm und psychosexuelle Entwicklung
Aus psychoanalytischer Sicht stehen im Vordergrund der primären
Persönlichkeitsentwicklung des Menschen die Entwicklungsstufen der Libido: Die
"orale" Phase mit Lustempfindung bei der Nahrungsaufnahme. Die zweite Stufe ist die
"anal-sadistische" zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr. Sie ist
gekennzeichnet durch Lustempfindung beim Ausscheiden und Zurückhalten des
Darminhaltes.
Die dritte Phase zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr wird als
"phallische" Phase bezeichnet, in der der Phallus Hauptinteresse der Kinder beider
Geschlechts ist und bei Jungen durch phantasierte Wunschvorstellungen als
"Mutters Liebhaber" zur Besetzung des Vaters zum "Rivalen" führt. Diese Liebes-
und Haßreaktion bildet den Ödipuskonflikt, der in der Persönlichkeitsentwicklung
eine zentrale Stellung einnimmt. WALLNER führt in Anlehnung an MEISTER-
123
MANN-SEEGER drei dynamische Bewegungen zwischen Kind und Eltern in der
frühen Entwicklung des Kindes an: Die Symbiose zwischen Mutter und Kind ermöglicht
eine stabile Struktur und den Aufbau eines positiven Wertesystems innerhalb
des Selbst-Gefühls des Kindes. Die primären Strukturen des Kindes, Vertrauen
und "ambivalenter Kern", bestimmen lebenslang die Austauschprozesse
zur Umwelt. Die Objekt-Beziehung zum Vater löst die Symbiose (Dyade) zwischen
Mutter und Kind auf. Die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil
als dritte Bewegung in der Eltern-Kind-Beziehung löst den Ödipuskonflikt
am Ende der phallischen Phase auf, über die Identifikation mit dem Vater partizipiert
der Knabe über den Vater an der Mutter.221
Die eigene Geschlechtsrollenidentität ist das Resultat eines gelungenden
Ausgangs des Ödipuskonflikts. Nachdem die drei wichtigsten Beziehungsphasen
genannt sind, wird die wichtigste, der Ödipus-Konflikt, kurz ausgeführt. Dieser
bildet den zentralen Aspekt der Genese der Geschlechtsidentität aus
psychoanalytischer Sicht.
Die Liebe des Jungen zu seiner Mutter weckt gleichzeitig die Angst vor der
Vergeltung des Rivalen (Vaters). Diese resultierende phantasierte Kastrationsangst
bewirkt die Verdrängung seiner Inzestwünsche und die Identifizierung mit
dem Vater, um über ihm an der Mutter zu partizipieren. Beim Mädchen tritt eine
zweifache Verlagerung seiner libidinösen Wünsche ein. Zum einen gibt es das
anfängliche Liebesobjekt der Mutter auf, weil sie für das Fehlen des Penis
verantwortlich gemacht wird, zum anderen begehrt sie nun den Vater als Sexualobjekt
und wünscht sich als "Entschädigung" für des Fehlen des Penis ein Kind von
ihm. Aus der Enttäuschung dieses Wunsches und aus Angst vor Vergeltung der
Rivalin gibt sie diesen Wunsch wieder auf und identifiziert sich mit der Mutter.
Vater und Mutter werden aus der Identifizierung zum Vorbild der eigenen Weiblichkeit
und Männlichkeit. Weil das Kind seine libidinösen Bestrebungen vergessen
muß, hilft ihm die Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil
an der Partizipation am geliebten gegengeschlechtlichen Elternteil; ein Teil des
Selbst wird der Vater oder die Mutter, der die sexuellen Bestrebungen nicht erlaubt
und daher "besitzt". Der gelungene Ausgang des Ödipuskonflikts liegt darin,
daß das Kind seine Inzestwünsche aufgibt, weil sie nicht befriedigt werden können
(Inzesttabu)
124
und das Kind die Möglichkeit hat, jeweils über die Identifikation mit dem
gleichgeschlechtlichen Elternteil am gegengeschlechtlichen Elternteil zu partizipieren.
Dieses "Ausweichen" über das gleichgeschlechtliche Elternteil ist aber nur möglich,
wenn sich die Eltern weder als befriedigende noch als repressive, punitive
"Macht" verhalten. Die Möglichkeit der Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen
Elternteil als Partizipationsmöglichkeit erlaubt die Internalisierung von
Mann-Frau-Beziehungsstrukturen und der eigenen Geschlechtsrolle; Vater und
Mutter werden so zum Vorbild eigener Männlichkeit und Weiblichkeit.
Die Gemeinschaftsleistung der Eltern als Paar ist die wichtigste. Hier besteht
die Gefahr, daß der ödipale Konflikt in der phallischen Phase zu Schuldkomplexen
wegen unterdrückter Begierden führt, wenn sich die Eltern dem Kind
als befriedigende oder beängstigende Macht gegenüberstellen.
Während der phallischen Phase gewinnt die genitale Region an Bedeutung,
es wird sexuelle Lust autoerotisch empfunden und durch Masturbation befriedigt.
Eine gewährende Haltung der Erziehenden erlaubt den Lustgewinn unter dem
Primat der Genitalien und läßt eine funktionelle Gleichwertigkeit der weiblichen
und männlichen Geschlechtsorgane erfahren, worauf Penisneid und Kastrationsangst
abgebaut werden können. Elterliches Verhalten ist so eine wesentliche Bedingung
für die psychosexuelle Entwicklung des Kindes. In dieser Sichtweise
wurde elterliches Verhalten als unabhängige Variable begriffen. Das Verhalten
des Erziehenden ist jedoch selbst ein Resultat seiner Biographie als individuelles
Triebschicksal und komplexer mikro- und makrostruktureller Faktoren. In den
folgenden Überlegungen sind die sozial-strukturellen Bedingungen von Interesse,
die das elterliche Verhalten (als abhängige Variable) auf die kindliche Sexualität
und Sexualität überhaupt wesentlich mitbeeinflussen.
Elterliches Verhalten gegenüber der kindlichen Triebentwicklung, also seinen
Triebäußerungen, hängt zum einen sehr stark mit der eigenen Einstellung
des Erziehenden zur Sexualität ab. Individuelle Probleme des Erziehenden können
primär mit psychoanalytischen Ansätzen erklärt werden, z.B. H.-E.RICHTER,
H.STIERLEIN, A.ADLER, A.FREUD u.a.
Schwerpunktmäßig ist hier die moralische Einstellung zur Sexualität durch gesell-
125
schaftliche Normen relevant, also Bedingungsfaktoren des Erziehungsverhaltens
unter soziologischen Aspekten. KENTLER ist der Meinung, daß "die Normierung
des Sexualverhaltens das wirkungsvollste Instrument ist, um das gesellschaftliche
Verhalten des einzelnen zu regulieren."222 . Eine Wurzel der
gesellschaftsstabilisierenden Funktion der Triebunterdrückung sieht KENTLER in der
frühkapitalistischen Epoche, in der Grundwerte der bestehenden Ethik durch
Unterdrückung der Sexualität vermittelt wurden. "Der Sexualtrieb muß aus kulturellen
Gründen reguliert werden."222 . KENTLER sieht weiter als das wirkungsvollste
Instrument zur Sicherung der Herrschaftsverhältnisse die Unterdrückung und
Normierung der Sexualität. Gesellschaftliche Sexualnormen hätten nach diesem
Verständnis repressiven Charakter mit der Funktion der Systemerhaltung.
Wenn gesellschaftliche Normen den individuellen Bedürfnissen nicht entsprechen,
ist hier im Individuum ein Konflikt angelegt. Erlebt es seine Bedürfnisse
zu gesellschaftlichen Normen non-konform, erlebt es diesen Konflikt innerpsychisch
als Schuldgefühl. Will der Erziehende die kindlichen Bedürfnisse des Kindes
gerade hinsichtlich seiner Sexualität stärker berücksichtigen, ist er mit den
gesellschaftlichen Normen und den eigenen Hemmungen stark konfrontiert. Die
Intention einer nichtrepressiven Sexualerziehung kann hier durch diese
Schwierigkeiten zu einer Diskrepanz zum tatsächlichen Verhalten führen. Auch
REICHE geht von einer Einwirkung auf die Triebentwicklung durch die
sozioökonomischen Voraussetzungen einer Kultur als ein Zusammenhang zwischen
Sozialcharakter und Wirtschaftssystem aus.223 Die unterdrückten sexuellen Energien
werden dem Produktionsprozeß zugeführt. Dieser rigide Funktionalismus war vor allem
für Formen des Konsumaufschubs und der Investition nützlich. Jedoch
müssen sexuelle Zwänge fortführend deshalb gelockert werden, weil das Individuum
im Spätkapitalismus lernen muß, im Umfange des Systems zu konsumieren.
Hierfür wäre der "klassische anale Zwangscharakter" dysfunktional. Durch
die Erweiterung der sexuellen Befriedigungsmöglichkeiten geschieht so eine Anpassung
an gesellschaftliche Reproduktionsbedingungen und bleibt somit eine
Sicherung der Herrschaftsverhältnisse. Sexuelle Normen haben so weiter repressiven
und gesellschaftsstabilisierenden Charakter.223
Diskrepanzen zwischen Erziehungintention und -verhalten können durch
126
unbewußte Motive (psychoanalytischer Ansatz) und Normen (soziologischer Ansatz)
erklärt werden. Individuelle Triebschicksale der Familienmitglieder haben
dabei in der psychoanalytischen Argumentation hohen Stellenwert. In soziologischen
Theorien wird diese Diskrepanz weniger auf Verdrängungsvorgänge als auf
die Internalisierung gesellschaftlicher Normen im Widerspruch zu individuellen
Interessen zurückgeführt. Je repressiver die Erziehung durch die Eltern ist, umso
stärker tritt eine Verinnerlichung dieser Normen ein. Aus seiner Abhängigkeit
und Liebe des Kinds zu seinen Eltern übernimmt das Kind ihre Einstellungen.
Somit haben die innere Repräsentation gesellschaftlicher Normen wie auch die
individuelle Einstellung des Erziehenden zur Sexualität Einfluß auf Haltung, Absicht
und tatsächlichem Verhalten gegenüber Triebbedürfnissen und Sexualität,
die liberal oder rigide sein können. Eine Diskrepanz zwischen Erziehungsintention
und -verhalten tritt dann auf, wenn internalisierte, repressive Normen unbewußt
bleiben und anstelle der eigentlichen Intention das Verhalten bestimmen. Dieser
intrapsychische Konflikt kann nur im Bewußtmachen der verinnerlichten Einstellungen
als Basis für bewußte Entscheidungen zwischen individuellen Interessen
und gesellschaftlichen Anforderungen aufgelöst werden.
4.8. Zwischenbemerkung
Es wurden in den letzten beiden Kapiteln sozialisationstheoretische Ansätze
vorgestellt, die für die Analyse der in der Familie ablaufenden Handlungs- und
Interaktionsprozesse von Relevanz sind. Die seit Jahrzehnten andauernde Diskussion
um die Rollentheorie und ihren methodologischen Stellenwert dauert an
und es ist keine einheitliche Definition absehbar. Es ist jedoch deutlich geworden,
daß die Rollentheorie gerade in der Komplementarität der unterschiedlichen
Rollenkonzepte eine implizite Sozialisationtheorie darstellt, die für eine soziologische
Betrachtung familiärer Prozesse der Identitätsbildung hinsichtlich Vergesellschaftung
und Individuation, sowie der Strukturen ablaufender Interaktionsprozesse,
wesentliche analytische Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Aufgabe dieses
Kapitels sollte die theoretische Klärung der jeweiligen Ansätze und deren Akzente
und Schwierigkeiten sein.
Während der funktionalistische Ansatz mit seinem Rollenverständnis im
127
normativ-analytischen Sinn den Schwerpunkt auf den normativen Aspekt sozialen
Handelns und der Identitätsbildung verlagert; legt der interaktionistische Ansatz
den Schwerpunkt auf die Genese der Identitätbildung und Handlungskompetenz
in konkreten Interaktionsfeldern vom Subjekt her, wobei die Ausbildung von
Interaktionskompetenzen und die Identitätsbildung als interpretatives, prozeßhaftes
Geschehen begriffen wird.
Die hier diskutierten theoretischen Ansätze sind nicht unmittelbar für eine
empirische Analyse verwendbar, da sich in vielen Kategorien Schwierigkeiten in
der Operationalisierung ergeben. Auch die interpretative Familienforschung ist in
empirischer Hinsicht nicht völlig geklärt. Ein methodisches Problem ist die Verknüpfung
qualitativer Forschungsmethoden mit den traditionellen quantitativen
Erhebungsverfahren. Die empirisch-methodische Umsetzung der hier angesprochenen
Theorien wäre eine Voraussetzung für die empirische Analyse familiärer
Kommunikations- und Interaktionsprozesse. Vor einer solchen empirisch-
methodischen Umsetzung steht jedoch die theoretische Klärung der jeweiligen
Ansätze und ihrer Schwierigkeiten, welche in den Kapiteln 3 und 4 Gegenstand
der Betrachtung waren.
128
relativ autonom verinnerlichte Normen zu reflektieren versteht (flexible Über-Ich-
Formation) oder auf Grund repressiver Verhaltenskontrolle rigide verinnerlichte
Normen zwanghaft anwendet (neurotische ÜBER-ICH-Formation). Die Einordnung
der Ausbildung dieser Fähigkeiten als grundlegende Stabilität in der Identität
und daraus resultierenden Interaktionskompetenz in die Rahmenpersönlichkeit
des Elternteils als strukturelle Bedingung familiärer Interaktion ist dahingehend
emergent, als ein Fehlen dieser Fähigkeiten in der elterlichen Persönlichkeitsstruktur
zu kompensatorischen Mechanismen führen kann, die die familiäre
Interaktionsstruktur als repressiv und rigide kennzeichnet. Außerdem wird deutlich
werden, daß Interaktion bei fehlender Rollenübernahmefähigkeit (im interaktionistischen
Sinne der Ausbildung der Grundqualifikationen des Rollenhandelns)
der Agenten (Eltern) eher positional ausgerichtet ist als personal-orientiert.
Thematisch wird in diesem Zusammenhang vor allem die Beziehung zwischen
sozioökonomischen Bedingungen, Sprachgebrauch und Rollenübernahmefähigkeit,
welche BERNSTEIN in seinem soziolinguistischen Ansatz problematisiert.
7.1.4. Grunddimensionen elterlichen Erziehungsverhaltens als Kennzeichnung
des Interaktionsklimas
Eltern und Kind reagieren von Anfang an in einem reziproken Beziehungssystem,
indem reziproke Antizipation und Verstärkung von Reaktionen das Verhältnis
charakterisieren. Problembesetzt wird die Interaktion dann, wenn das reziproke
Gleichgewicht von Erwartung und Bedürfnisbefriedigung nicht mehr gegeben
ist; daraus können negative Erwartungen und negative emotionale Erfahrungen
resultieren, die den weiteren Verlauf der Interaktion bestimmen. Diese
Annahme geht vor allem auf PIAGETs kognitiven Strukturfunktionalismus zurück,
welcher die Struktur der Schemata des Handelns und der kognitiven Operationen
in das funktionale Gleichgewicht (Reziprozität) von Bedürfnis und deren Befriedigung
kontextualisiert. Die Reziprozität der Beziehung zwischen Selbst (des Kindes)
und anderen (Bezugsperson) ist wesentlich über Belohnung und Strafe realisiert.
Mit zunehmender Verbalisierung der Interaktion kommt den Intentionen
des Handelns und deren Rechtschaffenheit und Konformität immer größere Bedeutung
zu, indem zunehmend eine Orientierung an universale Normen, repräsentiert
durch elterliche Verbote und Gebote, der Internalisierungsprozeß statt-
193
findet. Identifikation und Imitation sind neben ihrer Bedeutung als Mechanismen
des sozialen Lernens auch Bestätigungsstrategien der kindlichen Persönlichkeit,
in der internalisierte Verhaltensmuster "vorgeführt" werden. Hieraus läßt sich
schlußfolgern, daß sozialisatorische Bedingungen die Rollenübernahme und
Identitätsbildung dann fördern, wenn ein Gleichgewicht an Bedürfnisbefriedigung
vorliegt, wenn das Kind also eigene Bedürfnisbefriedigung erfährt und gleichermaßen
auf die Bedürfnisse der Eltern reagieren kann. (vgl. 4.6.3.) KELLER geht
weiter davon aus, daß dementsprechend die emotionale Eltern-Kind-Beziehung
eine motivationale Basis für die Rollenübernahme bildet und auf dieser Grundlage
sich kognitive Lernprozesse, die ebenfalls für die Rollenübernahme emergent
sind, vollziehen. Das wird zum Teil damit begründet, daß eine explorative Haltung
der Umwelt gegenüber auf gesicherte emotionale Beziehungen angewiesen
ist, die eine Explorationshemmung überwinden hilft. Aus interaktionistischer
Sicht dürfte die Freiheit zum Rollenverhalten als ein wichtiger Anreiz zur
Rollenübernahme dann als wesentliche Grundlage erfüllt sein, wenn kindliche
Äußerungen der Bedürfnisse auf positive Resonanz (nicht unbedingt Bejahung) treffen
und Antizipationen signifikanter anderer bestätigt werden; wenn eine affektive
und kognitive Balance einer reziproken Interaktion der Bedürfnisbefriedigung
vorliegt. In diesen Überlegungen wird deutlich, wie wichtig strukturelle Faktoren
wie Reziprozität, also ein Gleichgewicht an Bedürfnisbefriedigung, für die kindliche
Entwicklung sind. Mit dem Vorhandensein eines emotional-affektiven Gleichgewichts
zwischen Eltern und Kind verbinden sich gleichermaßen Achtung, Wärme
und Zuneigung; wesentliche sozialisatorische Bedingungen für die
Persönlichkeitsreifung und emotional-kognitiver Stabilität des Heranwachsenden. In
diesen Überlegungen wird gleichermaßen die Relevanz des Interaktionsklimas
deutlich, in dem erzieherische Maßnahmen stattfinden und sich Identität und soziale
Kompetenz des Sozialisanden herausbilden sollen. Das Klima der Familie
bildet eine wesentliche strukturelle Bedingung für den Verlauf der familiären
Sozialisation.
Kategorien des allgemeinen Klimas, indem erzieherische Aktionen stattfinden,
werden allgemein als "autoritär", "demokratisch" und "laussez-faire" klassifiziert.
Diese Einteilung entspricht den traditionellen Unterscheidungen in Typen-
194
konzepte des elterlichen Verhaltens. Interessant bei der Kategorisierung des
Erziehungsklimas ist die parallele Verbindung zu der "emotionalen"
Erziehungseinstellung der Eltern, welche implizit einen Zusammenhang von Klima und
elterlicher Einstellung vermuten läßt. Bei der Analyse von Erziehungseinstellungen
werden drei Dimensionen von komplementären Polen bezeichnet: Wärme-
Feindseligkeit; Restriktivität-Permissivität; Ängstliches Engagement-Ruhige Distanz.
Diese Kategorien bilden Relevanzkriterien elterlicher Verhaltensweisen für
den Verlauf von Sozialisationsprozessen und für die Formung der
Persönlichkeitsstruktur des Heranwachsenden.
KELLER rezeptualisiert hinsichtlich der Überlegung einer basalen Bedingungssituation
des Familienklimas Idealtypen des Erziehungsverhaltens nach
DANZIGER:
a.) Eltern befriedigen die Ansprüche des Kindes und stellen selbst wenig
Forderungen (Zuwendung)
b.) Eltern stellen selbst hohe Forderungen (Kontrolle)
c.) Befriedigen die Bedürfnisse des Kindes nicht und stellen selbst keine
Forderungen (Vernachlässigung)
d.) Befriedigen die Bedürfnisse des Kindes nicht und stellen selbst hohe
Forderungen (feindselige Restriktivität)300
Es ist festzustellen, daß die deskriptive Kategorisierung des Erziehungsverhaltens
die emotionalen Grenzdimensionen der elterlichen Einstellung gegenüber
dem Kind erfaßt (KREPPNER) und den Grad der Repressivität bzw. Reziprozität
(DANZIGER) der Eltern-Kind-Beziehung. Das elterliche Erziehungsverhalten bzw.
die elterliche Erziehungseinstellung bestimmen also den Grad der Reziprozität,
Repressivität und Rigidität der Eltern-Kind-Beziehung. Diese "Systemeigenschaften"
des familiären Interaktionssystems sind mit der allgemeinen Typenkonzeption
der Grenzdimensionen in den genannten Kategorien des "Interaktionsklimas"
erfaßt. Insofern beschreiben diese systemtheoretischen Begriffe hinreichend die
195
Grenzdimensionen elterlichen Verhaltens und können als begriffliches Äquivalent
zu den Kategorien des "Erziehungsklimas" verwendet werden.
7.2. Der Zusammenhang von elterlicher Identität und Struktur
der Eltern-Kind-Interaktionen
Bestimmender Faktor für die Gestaltung der familiären Struktur ist zunächst
das Geschlecht und die Generation. Diese beiden Merkmale bilden die
Grundlage für einen Komplex von Erwartungen und Verhaltensweisen; sie bilden
ein Rollensystem, indem die Rollenträger durch ihre Position sozial qualifiziert
werden. Im Verlauf der ausgeführten sozialhistorischen Strukturveränderungen
bilden sich die komplementären Pole "expressiv" und "instrumental" heraus, die
PARSONS am Beispiel der familiären Rollendifferenzierung als notwendige
Funktionalität der Arbeitsteilung einer jeden Kleingruppe kennzeichnenden Dynamik
postuliert. Die familiäre Rollendifferenzierung ist zunächst positional gekennzeichnet.
Über das besondere Verhältnis der Familienrollen zueinander greift HILLEBRANDT
die Position CLAESSENS auf, der als tragende Rolle für das Kernfamiliensystem
die Mutter bestimmt und die autoritätstragende Rolle den Vater. Jedoch
wird betont, daß die Autoritätsansprüche sich vorwiegend auf den Außenbereich
der Familie richten, womit die Kernfamilie zwei Autoritätsrollen "verschiedenen
Charakters"301 innehat.
Die Differenzierung der Familienrollen als familiäre Rollenstruktur ist in den
jeweiligen funktionalistischen sowie interpretativen Familienkonzepten
gegenübergestellt worden. Allgemein einheitlich kann davon ausgegangen werden, daß
die Familienrollen in beiden familiensoziologischen Ansätzen durch die Generations-/
Geschlechtsmatrix bestimmt werden, wodurch die Familienmitglieder zunächst
sozial qualifiziert werden. Im folgenden Abschnitt sollen die jeweiligen
Akzentsetzungen des funktionalistischen und des interpretativen Ansatzes für die
Interpretation der Eltern-Kind-Interaktionsstruktur herangezogen werden. Dabei
sind die strukturellen Bedingungen, die die familiäre Interaktionsstruktur weitgehend
bestimmen, durch die eher makrosoziologische Sichtweise des funktionalistischen
Ansatzes, sowie durch die eher mikrostrukturell orientierte Sichtweise
des interpretativen Ansatzes zu erfassen. Schwerpunktmäßig wird dabei auf die
196
elterliche Identitätsbildung als Sozialisation in die Elternrolle eingegangen, welche
im Kontext zur Familienstruktur eine wesentliche Bedingung und Folge der
Interaktionstruktur in der Familie darstellt. Infolge der Komplexität der analytisch
zu trennenden Ebenen der familiären Interaktion, wird die Sphäre der Eltern-
Kind-Interaktionen durch ihre allgemeine Kennzeichnung der ausgeführten
Grenzdimensionen mit der Kennzeichnung des familiären Interaktionsklimas
gleichgesetzt, da der Interaktionsbeziehung zwischen Eltern und Kinder notwendig
die Struktureigenschaften der familiären Interaktion zugrundeliegen und aus
dem gesamten Interaktionsklima ableitbar und bestimmbar sind.
7.2.1. Relevanzkriterien des funktionalistischen Ansatzes: Normative
Aspekte - Zur elterlichen Rollenidentität
Gesellschaftliche Differenzierung vollzieht sich bei PARSONS als Prozeß
funktionaler Differenzierung. Damit werden die Rollenerwartungen an die Individuen
komplizierter. Verschiedene Subsysteme erfordern unterschiedliche Rollen.
Damit ergibt sich die Anforderung an das Individuum, die verschiedene Rollen
in einen Interpretationsrahmen zu integrieren. Diesen Aspekt des
Persönlichkeitssystems nennt PARSONS "Identität". Die Identität als höchste
Steuerungsinstanz ist zwar mehr als nur die Summe aller Rollen, es bleibt jedoch offen,
woher diese individuelle Fähigkeit zur Identitätsbildung kommen soll. PARSONS
Identitätsbegriff verfügt nicht über eine anthropologisch oder sozialpsychologisch
abgesicherte Konzeption.
PARSONS als Vertreter des funktionalistischen Theorieansatzes sieht die
Rolle im normativ-analytischen Sinn als Inbegriff normativer Verhaltensmuster
mit den Elementen verbindlicher Vorschriften und Sanktionen. Eine systematische
Ableitung konformen Verhaltens ist das Sozialisationsziel. Bei PARSONS ist
das Individuum stets an seine Rolle gebunden; Rollenidentität. Ausgangsposition
des Strukturfunktionalismus ist die Annahme, daß jeder Akteur die Grundeinheit
aller sozialen Systeme darstellt. Jede Integration des Individuums erfordert bestimmtes
Handeln und Handlungsorientierung.
In diesem "normativen" Sinn des strukturfunktionalistischen Ansatzes bedeutet
Elternschaft einen Teil der gesellschaftlichen, kulturellen Rolle, die die
197
Normen und Werte in Form von Verhaltensvorschriften und Erwartungen an die
Position des Vaters und der Mutter knüpft. Die Sozialisation in die Elternschaft bedeutet
hier die Einnahme einer gesellschaftlichen Position in der Institution "Familie",
in der sich der oder die Positionsinhaber verbindlichen Verhaltensvorschriften
und Erwartungen gegenüber der Gesellschaft und den Familienmitgliedern
gegenübersehen. Damit ist die elterliche Rollenidentität eine partikulare
Rolle im Gesamt der Rollenidentität, welche ein Konglomerat verschiedener Rollen
darstellt und sich auf alle Positionen bezieht, die das Individuum im
soziogesellschaftlichen Feld inne hat. PARSONS Konzept einer systematischen
Ableitung konformen Verhaltens aus gesellschaftlichen Normen gestattet hinsichtlich
der elterlichen Rollenidentität keinen Spielraum für Interpretationsleistungen der
Elternrolle und eignet sich lediglich für das Erfassen eines normativen Rahmens
der geschlechtsspezifischen Elternrolle, in der sich der Elternteil mit der
Positionseinnahme gegenübersieht.
Eine sozialisatorische Wirkung anderer Elemente, wie z.B. retroaktive
Sozialisationseinflüsse durch die Kinder, sind hier so gut wie ausgeschlossen. Die
Sozialisationswirkung ist ein gleichgerichteter Prozeß von den Eltern auf die Kinder,
die Sozialisation in die Elterschaft ist ein "positionaler" Vorgang.
Die "positionale" Familie
Der strukturfunktionalistische Ansatz sieht die Erziehung nicht nur als Rollenauftrag,
sondern in der Position eines Erziehenden bzw. Elternteils begegnen
verbindliche Verhaltensvorschriften zum Verhalten als Vater/ Mutter gegenüber
dem Kind.
Das normative Rollenkonzept betont den positionalen und damit auch normativen
Aspekt der Rolle und Rollenübernahme, auf welche sich die Erwartungen
der Interaktionspartner stets mit beziehen. Die Interaktion ist hier Resultat der
Orientierung an verbindliche Wertorientierungen (kulturelle System). Diese
verbindlichen Verhaltensnormen bilden Stabilität erzeugende Orientierung. Der Prozeß
der Integration des kulturellen Systems in das soziale System nennt PARSONS
Institutionalisierung, in das Persönlichkeitssystem Internalisierung. Unter
Rolle versteht PARSONS das organisierte System der Partizipation des Indivi-
198
duums an dem sozialen System, sie ist jener Sektor des sozialen Systems, der
sich aus institutionalisierten Werten ergibt, sich auf die Interaktion bezieht und
sich auf Bedürfnisse stützt.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Komplementarität und Asymmetrie
der männlichen und weiblichen (familiären) Geschlechtsrollen steht auch
die Frage nach einer Reziprozität der Eltern-Kind-Beziehung. Die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird hier durchaus als funktional gesehen,
insofern wird (im PARSONSschen Verständnis von Funktionalität) vorausgesetzt, daß
das Verhalten, welches sich auf diese gesellschaftlichen Normen stützt, mit einer
Reziprozität der Bedürfnisbefriedigung einhergeht. Mit Hilfe des Machtbegriffs ließe
sich die Divergenz von Komplementarität und Reziprozität (gerade in der heutigen
"Dysfunktionalität" väterlicher Autorität) erfassen. War die väterliche Autorität
ursprünglich aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ableitbar, bestand
die funktional ableitbare Reziprozität der Vater-Mutter-Kind-Beziehung in der
materiellen Versorgung der Kinder auf der einen Seite und der Gehorsamspflicht
der Kinder auf der anderen Seite. Je besser der Vater seine instrumental-
adaptive Funktion im produktiven gesellschaftlichen Außenbereich vertrat, desto
stärker wurde seine Autorität in der Familie hinsichtlich der Mann-Frau Beziehung
und der Vater-Kind-Beziehung. Diese Form der Autorität muß bei Aufrechterhaltung
der funktionalen Reziprozität (Aufgabenverteilung) noch nicht repressiv
sein, wenngleich positionale Kontrolle auf Grund des an rigiden Geschlechtsrollen-
Stereotypen orientierten Verhaltens eher restriktiv wirkt.
Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher und damit familiärer
Arbeitsteilungsverhältnisse ist eine rigide Verhaftung mit diesen traditionellen
Normen nicht mehr als funktional zusehen. Eine Verhaftung an traditionelle
Geschlechtsrolleninhalte ist jedoch zu beobachten, wo sie sich gerade in der familiären
Arbeitsteilung durchsetzt (vgl. Kap.2.4.). Wo die Autorität des Mannes aus
seiner "ursprünglichen" Funktion nicht mehr gerechtfertigt ist, und dennoch an
alten Normensystemen festgehalten wird, tritt eine Autoritätverlagerung zur
Mutter ein. Die traditionelle adaptiv-instrumentelle Funktion der männlichen Rolle
wird mit abnehmenden sozialen Status (sozialer Schicht) weniger erfüllt, es
treten so in den Unterschichten eher Statusunsicherheiten auf, welche vom Mann
199
mit überhöhter Strenge kompensiert werden. Die vermeintliche Autorität des
Mannes ist dann keine Autorität im Sinne des Wortes, sondern rigide Machtausübung
mit repressiven Charakter. Machtbeziehungen können fehlende funktionale
Reziprozität kompensieren. Aus dem Besagten wird klar, daß funktionale Reziprozität
in sozialen Strukturmustern nicht einfach als wirksam angenommen
werden kann, sondern auch jene kompensatorischen Einrichtungen empirisch
ermittelt werden müssen, die ein funktionales Substitut für Reziprozität darstellen
können. Da im anthropologische Funktionalismus ein uneingeschränktes
Reziprozitätsprinzip vorausgesetzt wurde, konnte Asymmetrie entweder nur als
Systemzerfallstendenz interpretiert werden oder ganz ignoriert werden.(
vgl.Kap.4.4.) Demzufolge sollte die Annahme einer Reziprozität der Eltern-Kind-
Beziehung, wie auch die der Ehepartner vor dem Hintergrund ungleicher
Machtverhältnisse gesehen werden. Dies sollte vor dem Hintergrund der die Familie
umfassenden soziokulturellen Lebenswelt analysiert werden.
POPITZ leitet den Begriff der sozialen Rolle aus zwei umfassenden Begriffen
ab: Soziale Normierung und soziale Differenzierung. Stets gelten in einer Gesellschaft
bestimmte Regelmäßigkeiten des Handelns als verbindliche Normen.
Dabei gelten für unterschiedliche Klassen von Individuen unterschiedliche
Verhaltensmuster und -normen. In dieser spezifischen wie differenzierten Verknüpfung
und Bezogenheit aufeinander bilden sie die Struktur einer Gesellschaft. POPITZ
geht davon aus, daß nur da, wo eine "positionelle Verfestigung" nachweisbar
ist, also da, wo soziale Differenzierung diesen besonderen "Aggregatzustand"
erreicht, regelmäßige Verhaltensweisen normativen Charakter haben.302
BERNSTEIN unterscheidet die Formen der sozialen Kontrolle nach dem Kriterium
des Alternativbereiches, also der zugestandene Ermessensspielraum einzelner
Rollen. Die Unterscheidung der "imperativen", "positionalen" und "personalen"
Form des Appells (vgl. Kap.6.2.) wurde mit zwei Idealtypen der Familienformen
in Zusammenhang gebracht. Die "positionale" und "person-orientierte"
Familie. In der ersteren ist primär der formale Status der Familienmitglieder für
den Entscheidungsbereich bestimmend. Beim zweiten Familientyp bestimmen eher
psychische Qualitäten einer Person den Entscheidungsbereich als formale
Stellung. Sie bringen meist ein offenes Kommunikationssystem hervor, in dem
200
Eltern wie Kindern ein größerer Rollenspielraum zur Verfügung steht, in dem weniger
formale Definitionen als vielmehr psychische Merkmale Geltung erlangen.
Das Rollensystem in positionalen Familien verlagert verbale Auseinandersetzung
auf Anpassung. Der Definitionsspielraum der Rolle ist relativ begrenzt und das
Kind entwickelt sich in unzweideutigen familiären Rollenbeziehungen. Das
Kommunikationssystem ist nur innerhalb der Altersgenossen relativ "offen".
Das Beispiel der "positionalen" Familie eignet sich für das Herausstellen eines
Interaktionssystems mit besonders hohem Grad an Konformität mit normativen
Rollenvorschriften, die die Interaktion bestimmen, wobei man hier entsprechend
ZIGANNs Ausführungen von subkulturellen Normen der Unterschicht sprechen
kann. Als wesentliche Varianzquelle für eine rigide Orientierung an traditionellen
Normen sind sozioökonomische Bedingungen zusehen, die mit Bildung,
gesellschaftlicher Stellung (Status) und Sprachgebrauch einhergehen und in der
Kategorie (Schichtzugehörigkeit) als Kennzeichnung eines bestimmten soziokulturellen
Feldes, in denen diese Familien situiert sind, erfaßt werden.
Im allgemeinen ist in Anlehnung an empirische Ergebnisse (Kap. 2.4/6)
festzustellen, daß der Autoritätsanspruch des Mannespositional abgeleitet wird,
weniger auf Grund konkreter (familiärer) Arbeitsteilungsverhältnisse. Es ist weiter
besonders in unteren Schichten festzustellen, daß der Autoritätsanspruch des
Mannes weniger aus der sozialen Kompetenz und gesellschaftlichen Stellung
gerechtfertigt wird als vielmehr durch unreflektierte Einstellung, daß der "Mann"
eben die Autorität ist. Jedoch bewirkt die einseitige Sozialisationsfunktion der
Mutter eine Autoritätsverlagerung auf sie. Dies kann aus Rollen-konflikten des
Mannes als seine "Schwäche" empfunden und durch übermäßige Strenge kompensiert
werden.
Gehorsam der Kinder könnte dann unterschiedlichen Haltungen zugrunde-
liegen. Gehorsam aus Konformität mit vorgegebenen Normen und Gehorsam als
positive Anerkennung legitimer Regeln, welche interaktionale Kompetenz voraussetzt
und zu weiteren positiven interaktionalen Erfahrungen führt.
Eine starke Orientierung an positionalen Normen zeigt sich also vor allen
am positionalen Autoritätsanspruch des Mannes und des geschlechtsstereotypi-
201
schen Verhaltens gegenüber den Kindern. Desweiteren können besondere
Struktureigenschaften der Familie neben Determinanten wie Bildungsgrad und
sozioökonomischer Schichtzugehörigkeit zu einer eher positionalen Verhaltenskontrolle
gegenüber den Kindern führen. Das Erziehungsverhalten der Eltern wird durch
die Anzahl der Kinder mitbestimmt. Während eine kleinere Familie mehr
Eigenständigkeit und auch Konkurrenz unter den Kindern zuläßt, halten Eltern einer
größeren Familie eher zu Unterordnung und Konformität an. Dies scheint mit einer
notwendigeren "positionalen" Kontrolle der Eltern zu deren Entlastung ein-
herzugehen. Auch wurde nachgewiesen, daß mit zunehmender Familiengröße die
restriktiven und autoritären Tendenzen zunehmen.
Festzuhalten ist, daß positional orientierte Interaktion zwischen Eltern und
Kindern als rigide Befolgung traditionell frühbürgerlicher Normen eher zur Repressivität,
vor allem aber zur Restriktivität und Rigidität der Eltern-Kind-
Beziehung führt. Die Befolgung rigider Geschlechtsrollenstereotypen muß vor
dem Hintergrund gewandelter gesellschaftlicher Verhältnisse der Arbeitsteilung,
besonders hinsichtlich außerhäuslicher Erwerbstätigkeit, zur Asymmetrie häuslicher
Arbeitsteilung der Eltern führen. In Anlehnung an GOULDNER kann angenommen
werden, daß das Fehlen der Reziprozität in Form asymmetrischer Arbeitsteilung
durch eine Machtstellung des Mannes in der, die Familie umgebenen,
Subkultur legitimiert ist. Eine starke Internalisierung dieser subkulturellen Normen
und Werte von Seiten der Frau führt wahrscheinlich dazu, daß die Machtstellung
des Mannes als normal empfunden wird. Die Rididität der Eltern-Kind-
Interaktionen in Form positionaler Verhaltenskontrolle läßt wenig Raum für individuelle
Bedürfnisse, Neigungen und Anlagen des Kindes in Eltern-Kind-
Interaktionen. Eine relativ starre Geschlechtsrollenidentifikation mit relativ geringen
Fähigkeiten zur Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz sind die Folge.
Zusammenfassend kann festhalten werden, daß Repressivität und Rigidität
als Kennzeichnung der Verhaltenskontrolle in Eltern-Kind-Interaktionen durch die
"positionale" Interaktion einer Familie bestimmt wird. Eine Konformität mit
vorgegebenen Verhaltensnormen führt ohne das Vorhandensein von Fähigkeiten wie
Rollenübernahme in Form des "einfühlenden Verstehens" der Interaktionspartner
und Rollendistanz als Ausbildung von Steuerungs- und Interpretationsfähigkeiten
202
von positionalen Normen (also ohne das Vorhandensein der in Kapitel 4.6. ausgeführten
Grundqualifikationen sozialer Interaktion als Resultat einer ICH-
Identitätsbildung) zu einer Institution "Familie" als "totale Institution" (KRAPPMANN;
GOFFMAN). Obwohl an Hand der empirischen Ergebnisse (schichtenspezifisches
Erziehungsverhalten) Interpretationsleisungen der Eltern in der Arbeiterschaft
nicht abgesprochen werden sollten, so ist doch eine normenkonforme Befolgung
der Geschlechtsrollen erkennbar. Grundlage für die Interpretation übernommener
Rollen ist nicht nur ihr normativer Gehalt, sondern auch die Erfahrung
des Vater- und Muttermodelles in der eigenen Kindheit, in der durch positionale
Interaktion und rigider Geschlechtsrollenidentifikation in "positionalen" Familien
von vorne herein wenig Interpretationsspielraum gegeben ist.
Obwohl im normativen Ansatz ein Bezug zu gesellschaftlichen und subkulturellen
Normen, die ohne Zweifel in das Interaktionsverhalten der Familienmitglieder
einfließen, gegeben ist, erscheint dieser Ansatz für das Erfassen dynamischer
und individueller Interaktionsleistungen der Familienmitglieder ungeeignet.
Die Interaktion der jeweiligen Familienmitglieder wird nicht nur von normativen
Orientierungen bestimmt, sondern auch wesentlich von der Interpretation ihrer
sozialen Rollen und ihrer Beziehungen zueinander. Die Unterscheidung von
"positionaler" von "personaler" Familie ist idealtypisch. Die Interaktionsstruktur enthält
(im Verhältnis jeweils variabel) beide Elemente der Handlungsmotivation
und -orientierung. Das Beispiel der "positionalen" Familie kann somit als Beispiel
einer sozialen Struktur mit hohen Institutionalisierungsniveau, bzw. analytisch
als soziale Manifestation des Normensystems gelten, welches die familiären Rollen
differenziert und ihren normativen Rollengehalt darstellt.
7.2.2. Relevanzkriterien des interaktonistischen Ansatzes: Individuelle
und situative Aspekte
Schwerpunktmäßig sollen dabei im ersten Teil Aspekte elterlicher Identität
im Vordergrund stehen, welche im interaktionistischen Sinne Aufschluß gibt über
deren Handlungskompetenz, welche als mikrostrukturelle Gegebenheit der Familie
als personales System wesentlich das Interaktions- und Kommunikationsgeschehen
mitbestimmt. Es soll deutlich werden, daß die Elternrolle ein Teil des
203
elterlichen Selbstkonzeptes ist und im Rahmen der ICH-Identitätsentwicklung ein
interpretatives Verhältnis zur Rolle als Elternteil, zur Situation und zum Kind
konstitutiv ergeben. Im Rahmen interaktionisischer Sichtweise sind dabei weitere
Einflußgrößen für die Sozialisation in der Elternrolle relevant als "nur" die positionale
Rollenübername als normativer Aspekt elterlicher Identitäts- und Verhaltensorientierung.
Aspekte retroaktiver Sozialisation sollen auf den interdependenten
Charakter der elterlichen und kindlichen Identitätsformung aufmerksam
machen, da hier Sozialisationswirkung nicht als gleichgerichteter Prozeß begriffen
wird, sondern als wechselseitig interdependenter Prozeß der Einflußnahme.
Im zweiten Teil sollen dagegen die Eltern als "identitätsschaffende" Elemente in
der Familienstruktur (als unabhängige Variable) begriffen werden, um die kindliche
Identitätsbildung in der Familienstruktur in den Vordergrund zustellen. Es
soll herausgestellt werden, welche wesentlichen Momente der familiären Interaktion
die kindliche Identitätsbildung bestimmen. Dabei soll besonders der Zusammenhang
von elterlicher Interaktionskompetenz (also die elterliche Ausbildung
der Grundqualifikaionen des Rollenhandelns) und Interaktionsklima am
Beispiel der "personalen" Familie beleuchtet werden (dritter Abschnitt).
Zur Sozialisation in die und in der Elternrolle: Zum elterlichen Selbst-
Konzept
Im Gegensatz zu PARSONS ist Rolle im interaktionistischen Konzept nicht
der dynamische Aspekt von Status als Teil einer Struktur, sondern sie bedeutet
lediglich die Antizipation der Verhaltenserwartungen und deren Reflexion. Die
Vorstellung von dem Bild, was andere von mir haben, nennt MEAD "me". Anders
als bei PARSONS konstituiert sich die ICH-Identität nicht durch Konformität zu
diesen Erwartungen, sondern durch deren Relativierung durch das "I". Die ICH-
Identität, welche dem "self" am nächsten kommt, ist sozusagen das Gegenteil
vom rollenkonformen "homo sociologicus" und basiert auf subjektive Aktivität,
die ein Verhältnis seiner eigenen individuellen Bedürfnisse zu den gesellschaftlichen
Normen schafft. Voraussetzung einer jeden Interaktion ist die grundsätzliche
Interpretationsbedürftigkeit von Rollenanforderungen, Situation und Selbst.
Die Entwicklung der Persönlichkeit erfolgt durch die sukzessive Integration von
204
immer komplexeren "me s" bis hin zur höchsten Allgemeinheit des "generalisierten
Anderen" als psychische Repräsentation der soziogesellschaftlichen Kultur.
Dieser Aneignungsprozeß betont jedoch im Gegensatz zur Internalisierung bei
PARSONS den reflexiven Charakter der Identitätsbildung und erlaubt damit
Distanzierung zu Verhaltenserwartungen, -forderungen, deren Ablehnung und
Uminterpretation.
Beispiele für die hier anknüpfende neuere Theorieentwicklung
finden sich vor allem bei KRAPPMANN und HABERMAS, deren Identitätskonzepte
im Kapitel 4.6. als kritische Rezeptionen des interaktionistischen Ansatzes ausgeführt
wurden.
Der interaktionistische Ansatz bringt die Möglichkeit, auf Grund seiner an
Handlung, Kommunikation und Erfahrung orientierten Begrifflichkeit, identitätsbildende
Prozesse aufzuzeigen. GOFFMAN konzeptualisiert diesen ambivalenten
Dualismus der Konformität und Nonkonformität in den Begriffen der "sozialen
Identität" und "persönlichen Identität"303 , in denen sich durch einen dynamischen
Prozeß der Ausbalancierung zwischen persönlicher und sozialer Identität
die "Ich-Identität" konstituiert. Das Ziel des Sozialisationsprozesses ist in diesem
Ansatz die Fähigkeit, verschiedene divergente und ambivalente soziale
Umwelterfahrungen auszubalancieren, die verschiedenen Rollenanforderungen zu
koordinieren und im Lebensverlauf zu einer kontinuierlichen Identität
zusammenzufassen.
Auf dieser Grundlage sind Fähigkeiten wie Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz
zu erklären. Geht man also davon aus, daß die "Ich-Identität" eine
prozessuale Erweiterung erfährt, die sich in der Übernahme und Identifizierung
mit unterschiedlichen Rollen zu einem Selbstkonzept konstituiert, - im Sinne einer
generalisierten Selbstwahrnehmung in den verschiedenen Rollen -, dann bedeutet
"Elternidentität" ein Teil dieses Selbstkonzeptes, eine -aus der gesellschaftlich
vermittelten Verantwortlichkeit-selbstreflexiven Übernahme der Elternrolle.
Auf der Grundlage einer Konstituierung einer Ich-Identität ist die Elternidentität
als Rollenidentität ein Teil des Selbstkonzeptes, in dem das "eigentliche
Selbst" mit seinen individuellen Dispositionen integriert ist.
Allein mit der sozio-gesellschaftlichen Position einer Rolle ist die Identität
des Rolleninhabers also nicht hinreichend geklärt. Rollen als verbindliche Erwar-
205
tungen erfordern durch ihren Mangel an Eindeutigkeit interpretative, individuelle
Ausgestaltung, welche sich auf die individuelle Einzigartigkeit des Rolleninhabers
bezieht und wozu das Individuum eine "ICH-Identität" konstituiert, die als subjektives
Empfinden die individuelle biographische Kontinuität reflektiert.
Mit diesem interaktionistischen Verständnis der "Elternrolle" als Teil des
Selbstkonzeptes wird die individuelle Biograghie des Rolleninhabers, die subjektive
Reflexion individueller Erfahrungen, sowie persönlichkeitsstrukturelle Anlagen
und Kompetenzen als identitätskonstituierend mit erfaßt. Verhaltensorientierungen
und Motivationsstrukturen sind dann aus der subjektiven Interpretation
normativer Rollenvorgaben ableitbar. So kann im Verhältnis von sozialer und
personaler Identität die Relation zwischen normativen Inhalten der übernommenen
Rolle und einer weitgehend unbewußten, unreflektierten Interpretation dieser
Rolle aus eigener biographischer Erfahrung als generelle affektiv-kognitive
Haltung aufzufinden sein. So gesehen reflektiert die Grundeinstellung des
Rolleninhabers, die in alltäglichen Situationen Ausdruck findet, die biographische
Kontinuität einer dynamischen, prozeßhaften ICH-Identitätsbildung, in der das
Verhältnis von sozialer Identität und individueller Interpretation als "Antwortreaktion"
des ICH eine generelle Haltung des "Self" gegenüber der Situation und den
Interaktionspartnern darstellt.
Wesentlich bestimmend für das Selbstkonzept einer Elternperson sind die
gesellschaftlichen Normen, die sich an die Elternrolle knüpfen. Ein "Vaterbild"
bzw. "Mutterbild" kann definiert werden als ein auf gesellschaftlicher Ebene sich
konstituierendes Leitbild im Sinne einer kollektiven Idealvorstellung, welches mit
seinem normativen Moment die Identität der Person als Elternteil, also individuelle
Vorstellungen über die Vaterrolle/Mutterrolle, als auch die familiäre Struktur
mitbestimmt. Beispielsweise die Rollen des Vaters als Sozialmittler sind die
Erzieherrolle, die persönliche Rolle des Vaters aus seiner eigenen Erzogenheit, die
gesellschaftliche Rolle eines Mitgliedes der Gesellschaft mit bestimmten männlich
typischen Aufgaben im Wirtschaftsgefüge. Die Kriterien der aufgeführten partikularen
Rollen können weitgehend als geschlechtsneutral gelten und haben ebenso
für die (tendenziell typische) Mutterrolle Gültigkeit (nicht für den tradierten normativen
Rollengehalt).
206
Ein Problem ist die Integration des elterlichen Erziehungsverhalten in die
Rahmen-Persönlichkeit der Eltern, also die Korrelation zwischen bestimmten
Erziehungsmerkmalen und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen der Eltern. Der
in diesem Themenbereich relevante Index "Zufriedenheit mit der Elternrolle"
deutet das Verhältnis von ICH und sozialer Identität, in dem eine gelungene
Synthetisierung sozialer Anforderungen in der Position als Elternteil mit individuellen
Bedürfnissen ein "zufriedenes Selbst", also eine immanent harmonische
und stabile ICH-Identität hervorbringt. In Verweisung auf die ausgeführten Ergebnisse
eines Zusammenhangs der Zufriedenheit mit der Elternrolle und Erziehungsverhalten,
kann eine in diesem Sinne stabile elterliche ICH-Identität eine
strukturelle Bedingung für das Eltern-Kind-Interaktionsklima bedeuten.
Obwohl GOFFMAN das Phänomen der Rollendistanz eher auf soziostruktureller
Ebene als auf der Persönlichkeitsebene behandelt, ist in diesem Zusammenhang
die "typische" Rolle als nicht-normativer Aspekt einer Rolle in spezifischen
Handlungsfeldern relevant. Dieser Aspekt kommt besonders im Abschnitt
7.3.3. zur Geltung. Abschließend zu diesem Abschnitt soll es um das GOFFMANsche
Verständnis der "Rollendistanz" gehen. Das "Eigenimage", das eine bestimmte
Position dem Individuum jeweils bietet, kann zu einer affektiven wie
kognitiven Selbstidentifikation führen; dies nennt GOFFMAN als eine "Verhaftung
mit der Rolle". In dieser Dimension besteht die Möglichkeit des "zusehr verhaftet"
mit, oder "zusehr entfremdet" sein von seiner Rolle. Interessant ist in diesem
Kontext das angeführte Beispiel der Elternrolle, mit denen Personen verpflichtet
sein können, ohne mit ihr verhaftet zu sein (um sich vor psychologische
Gefahren einer wirklichen Bindung zu schützen) oder mit denen sie verhaftet
sein können, ohne ihr verpflichtet zu sein.304
In diesen Kategorien finden sich bestimmte Formen des Verhältnisses zu
übernommenen sozialen Rollen, welche auch das Verhältnis zur Elternrolle beschreiben
können. Die Position des Individuums (auch im traditionellen Sinne) ist
auch immer seine Situation. Das "Bild", das eine Person von sich oder andere
von ihm haben, hängt nicht nur von gesellschaftlichen Normen, sondern auch
von direkten Interaktionen und Beziehungen ab. Insofern unterscheidet GOFFMAN
die "typische" Rolle als Verhaltenserwartungen und -vorschriften in konkre-
207
ten Interaktionsbeziehungen und -feldern zur normativen Rollenvorschrift in
gesellschaftlichen Positionen. Die typische Rolle bezieht sich dabei auf die
dynamischen Verhaltensorientierungen in konkreten und spezifischen
Handlungsfeldern, die so das Verhältnis zu normativ-positionalen Rollenanforderungen
bestimmt.
Rollendistanz scheint deutlich einen Grad der Nicht-Identifizierung auszudrücken.
In der Rollendistanz ist der "persönliche Stil" des Menschen zu finden,
in dem sich sein Verhältnis zu vorgegebenen normativen gesellschaftlichen
Rollenanforderungen zeigt.
Aspekte der retroaktiven Sozialisation
Die traditionelle Begriffsbestimmung NEIDHARDTs an Beispielen für Sozialisatoren
und Sozialisanden, welche sich stark an das Rollenlernen anlehnt, sollte
keineswegs zu der Annahme führen, daß die Persönlichkeitsstruktur des Sozialisanden
lediglich ein Spiegelbild der Sozialstruktur oder vermittelter sozialer Angebote
ist.305 Sozialisation ist kein bloßer Prozeß der "Anpassung", sondern ein
komplexer Prozeß der Auseinandersetzung mit der durch Sozialisatoren repräsentierten
soziokulturellen Umwelt. In diesem Prozeß können Sozialisationsinhalte
durchaus selektiv aufgenommen oder abgelehnt werden. KLEWES führt verschiedene
Dimensionen von Sozialisationsprozessen aus, um auf bestimmte Variationsrichtungen
hinzuweisen und rückwirkende Sozialisationseinflüsse zu verdeutlichen.
Retroaktive Sozialisation wird hier als Teil der Sozialisation durch Elternschaft
und diese wiederum als Ausschnitt von Erwachsenensozialisation gesehen.306
208
Um eine bestimmte Ausprägung dieser Dimension "Reziprozität" hinsichtlich
familiärer Sozialisation geht es in diesem Abschnitt, um retroaktive
Sozialisationsprozesse in der Familie. Dieser Begriff impliziert das Primat von
traditionell verstandenen Sozialisationsrichtungen, der Begriff "Reziprozität" gestattet
die Frage nach wechselseitigen Einflußrichtungen auf analytischer Ebene unter dem
komplementären Aspekt der Sozialisation. Es ist im Vorfeld darauf hinzuweisen,
daß rückwirkende Sozialisationseinflüsse in der Familie nur ein Teil der
"Erwachsenensozialisation" darstellt; als weitere Sozialisationseinflüsse auf die Eltern
können Sozialisationsprozesse in die Elternrolle bedeuten. Außerdem sind nicht
alle Einflüsse der Kinder auf die Eltern unter dem Begriff "retroaktive
Sozialisationseinflüsse" zusammenzufassen. KLEWES faßt unter diesem Begriff im
wesentlichen nur die Einflüsse, die zu "Identitätsveränderungen" bei den Eltern führen.
Desweiteren geht KLEWES von der "Interdependezannahme" FREYs aus, welche
für die Gesamtheit der Personen-Außenwelt-Beziehung wie für die besondere
Beziehung zwischen Sozialisationsagent und Sozialisand gilt. Deshalb ist die
Betrachtung reziproker Sozialisatioseinflüsse auf mikrosoziologischer Ebene ein
"analytischer Kunstgriff", durch den die von einem a priori definierten Sozialisanden
auf seinen Interaktionspartner ausgehenden Einflüsse besser untersucht
werden können, somit also binnenfamiliäre reziproke Sozialisationsprozesse relativ
"familientypisch" betrachtet werden können. Das Verhältnis der Familienmitglieder
zueinander läßt sich als familienspezifische "Koordination" begreifen, in
209
der in einer konkreten Sozialisationssituation der Sozialisator und Sozialisand zu
identifizieren ist. Desweiteren findet sich in den Ausführungen KLEWES die wesentliche
Unterscheidung von drei Dimensionen einer Beeinflußung der Elternpersonen
auf Grund ihrer Elternschaft, da nicht alle Einflußwirkungen in der Elternschaft
direkt von den Kindern ausgehen.
Die "Sozialisation in die Elternrolle" hat den stärksten Aspekt in deren gesellschaftlichen
Vermittlung. Normative Erwartungen an die Elternrolle gehen zunächst
nicht von den Kindern aus, wenngleich die Anwesenheit eines Kindes diese
gesellschaftlich bestimmten elternrollenspezifischen Erwartungen und Anforderungen
aktualisiert. Eine Erweiterung der kommunikativen Kontakte bringen
die Eltern vornehmlich in Kontakte, in denen sie in Beziehung mit Interaktionspartnern
stehen, die gegebenenfalls mit den Kindern zutun haben und somit Erwartungen
an die Eltern richten, die diese zu erfüllen haben. Elternspezifische
Kontakte bringen die Eltern zunehmend in ein Interaktionsfeld, in dem Einflüsse
der Interaktionspartner in Form von Rollenerwartungen auf die Eltern wirksam
werden. Diese Veränderung von Rollenerwartungen mit Beginn der Elternschaft
bringt eine Veränderung der sozialen Identität mit sich, "..die nicht ohne Einfluß
auf ihre ICH-Identität bleiben kann".307
Inwiefern nun transferieren die Mitglieder der jungen Generation einer Familie
Kulturelemente (Sozialisationsinhalte) auf die ältere Generation? Dies würde
bedeuten, daß Kinder oder Jugendliche "soziale Stimuli", also Rollenerwartungen,
an ihre Eltern richten, deren Prozeß man als retroaktive Sozialisation der
Elternrolle ansehen kann. Die jüngere Generation tritt somit als Rollenpartner
der Eltern auf und ist durch ihre Rollenerwartungen auch Quelle sozialer Identität.
KLEWES unterscheidet hier analytisch zwei Formen des ablaufenden Transfers
von Kulturelementen: Zum einen,daß die vom Nachwuchs ausgehenden sozialen
Stimuli vorhandene soziale Orientierungen verstärken oder schwächen,
zum anderen der Transfer von Kulturelementen, die den Eltern subjektiv neu
sind; dabei ist es irrelevant, wie intendiert und bewußt die Prozesse ablaufen.
Retroaktive Sozialisation ist also Teil der Erwachsenensozialisation durch die
Elternschaft.
Sie kann situationsübergreifend sein, wenn die Anwesenheit des Kindes
Auslöser für die Konfrontation mit normativen Erwartungen der Elternrolle
210
für deren Aktualisierung ist; sie kann aber auch durch direkte Erwartungen in
Form sozialer Stimuli der Kinder das Ergebnis kumulativer situationaler Einflüsse
auf die Eltern sein.Voraussetzung für direkte sozialisatorische Wirkungen von
den Kindern auf die Eltern ist m.E. ein "personales" Interaktionssystem "Familie",
in dem die Interaktion nicht in Form gleichgerichteter sozialer Kontrolle abläuft,
sondern in dem die Eltern relativ "offen" für die Interessen und Bedürfnisse
der Kinder, und damit für die von ihnen ausgehenden Stimuli sind.
Struktur der Eltern-Kind-Interaktionen und kindliche Identitätsbildung
HABERMAS sozialisationstheoretischer Ansatz der Motivationsgenese geht
in erster Linie von Kommunikationsstrukturen und Erziehungsstile in der Familie
aus, wovon die Lernprozesse der Rollen abhängen. Die Form der Interaktion in
der Familie ist bei der Ausbildung interaktiver Kompetenzen und des reflexiven
Sprachgebrauchs von Bedeutung. Die elterliche Präsentation der Geschlechtsrollen,
die möglichst eine klare Differenzierung bei gleichzeitiger "balancierter Solidarität"
aufweisen sollen (kein Machtgefälle, keine diffuse Geschlechtsrollendarstellung)
bedingt im starken Maße kindliche Identifikationsprozesse, da Kinder
klare Modelle für die Identifikation brauchen. In der Familie erlernt das Kind
fundamentale Rollen mit hohen Allgemeinheitsgrad und erwirbt so eine "um Geschlecht
und Alter zentrierte und mit dem eigenen Körperbild integrierte Rollenidentität.
Bezüglich familiärer Rollenstruktur lehnt sich HABERMAS affirmativ an die
PARSONSsche Definition von Familie an, wenn er unter Hinzuziehung des PAR-
SONSschen Ansatzes die instrumentelle und expressive Rolle jeweils Mann und
Frau zuordnet und als Orientierungspunkt der heranwachsenden Generation postuliert.
Der Zusammenhang von Familienstruktur (institutionelle Organisation der
Familienstruktur als strukturelle Bedingung der Identitätsgenese) ist hinreichend
in den Unterpunkten 3.3./ 4.6.2. ausgeführt worden. Schwerpunkt der Betrachtung
ist hier das Interaktonsklima als mikrostrukturelle Bedingung der Entwicklung
kindlicher Interaktionskompetenzen.
In der engen Mutter-Kind-Beziehung spielt eine wesentliche Rolle, daß die
Mutter selbst im System der sozialen Organisation der Geschlechter lebt und es
211
durch ihre Handlungen reproduziert. Deshalb erlebt und behandelt sie ihre Söhne
und Töchter unterschiedlich, worin ein wesentliches Erklärungsmoment für die in
Kapitel 6.4./6.5. ausgeführten empirischen Ergebnisse zu Verhaltensunterschieden
in homo- und heterogeschlechtlichen Eltern-Kind-Beziehungen liegen kann.
Töchter werden von der Mutter als ähnlich, Söhne als verschieden wahrgenommen.
Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit werden auf der sexuellen Ebene wahrgenommen,
die Mutter sexualisiert damit die Beziehung. Darin kann ein Anlaß
für den frühen Eintritt des Jungen in die ödipale Krise liegen. Um sich in der ödipalen
Situation angemessen "männlich" fühlen zu können, muß der Junge die
primäre Beziehung zur Mutter zurückweisen. Die Identifikation mit dem Vater
erfolgt nicht auf Grund einer affektiven Bindung zum Vater, sondern es handelt
sich um eine "positionale" Identifizierung mit Aspekten der väterlichen Männlichkeit
und mit kulturellen Vorbildern von Männlichkeit. Also insgesamt mit dem
kulturellem Stereotyp der männlichen Geschlechtsrolle. Dagegen ist die Identifikation
des Mädchens mit der Mutter eine persönliche Identifizierung, die sich auf
Aspekte der Rolle der eigenen Mutter bezieht, sie stellt die Fortsetzung der frühen
primären Identifikation dar. Die Entwicklung des Jungen ist von der Leugnung
des Gefühls der primären Verbundenheit und strikter Separierung durch
Differenzierung bestimmt, die Identifikationsprozesse und das Rollenlernen sind
kaum oder gar nicht in die Beziehung zum Vater eingebettet, sondern stellen
durch die Orientierung am kulturellen Stereotyp der männlichen Rolle eher abstrakte
Lernprozesse dar als persönliche Identifikation. Damit werden Verhaltensdispositionen
entwickelt, die als geschlechtsspezifische Beziehungspotentiale
Frauen und Männer für die Arbeitsteilung prädisponieren und die soziale Organisation
der Geschlechter reproduzieren.
Die Relevanz affektiver Interaktionsdimensionen als Bedingung für Identifikations-
und Interaktionskompetenzbildung ist unbestreitbar, in denen die Erfahrung
von Wärme, Zuneigung, Feindseligkeit, Macht, Ablehnung kognitive und
emotionale Lernprozesse bedingen. Sie konstituieren beim Heranwachsenden
Erwartungen, die zur Hinwendung oder Vermeidung von sozialen Situationen führen
und somit die Rollenübernahme-Fähigkeit als soziale Kompetenz beeinflussen.
Ausgehend von der FREUDschen Theorie der Identifikation sind triebdyna-
212
mische und lerntheoretische Konzepte relevant, die Annäherungs- und
Vermeidungstendenzen beschreiben und damit die Interaktions- und
Interpretationsstruktur thematisieren.
Es ist die Schlußfolgerung zulässig, daß die emotionale Qualität der Eltern-Kind-
Interaktion eine wesentliche Bedingung für die Entwicklung sozialer Kompetenzen
darstellt. Zugleich sind die kognitiven Dimensionen der Interaktion gerade
zwischen Eltern und Kind hinsichtlich kognitiver Vermittlungsstrategien relevant,
die im Erziehungsverhalten zur Geltung kommen und Lernerfahrungen
beim Kind bedingen. Kommunikation (in der Familie) beinhalten die lerntheoretischen
Dimensionen expliziter Lernerfahrungen aus direkten Lehrstrategien der
Eltern und die der impliziten Lernerfahrungen der Regeln, die das Kind aus aktuellen
Interaktionssituationen herleitet und interpretiert. Somit verknüpfen sich
affektive und kognitive Momente der Lernerfahrung, in der sich das Subjekt in
familiären Beziehungen erfährt und definiert. KELLER geht davon aus, daß affektive
Erfahrungen den Verlauf kognitiver Lernprozesse steuern (vgl.Kap.4.6.3).
Hieraus läßt sich schlußfolgern, daß sozialisatorische Bedingungen die
Rollenübernahme dann fördern, wenn ein Gleichgewicht an Bedürfnisbefriedigung
vorliegt, wenn das Kind also eigene Bedürfnisbefriedigung erfährt und gleichermaßen
auf die Bedürfnisse der Eltern reagieren kann. Aus interaktionistischer Sicht
dürfte die Freiheit zum Rollenverhalten als ein wichtiger Anreiz zur Rollenübernahme
dann als wesentliche Grundlage erfüllt sein, wenn kindliche Äußerungen
der Bedürfnisse auf positive Resonanz treffen und Antizipationen signifikanter
anderer bestätigt werden; wenn eine affektive und kognitive Balance einer reziproken
Interaktion der Bedürfnisbefriedigung vorliegt. Denn dann ist das Motiv
der Übernahme der Perspektive des anderen und diese Fähigkeit zu erweitern
am optimalsten gegeben. Hiermit ist die grundlegende Bedingung eines Gleichgewichts
der Eltern-Kind-Beziehung hinsichtlich funktionaler Reziprozität der
Bedürfnisbefiedigung angesprochen, die sich in kognitiven Vermittlungsstrategien
der Eltern und ihrer affektiv-emotionalen Grundhaltung gegenüber dem Kinde
realisieren. Insofern kann elterliches Sanktionsverhalten durch positional-repressive
Verhaltenskontrolle oder durch personal-orientierte Steuerung des
eigenen und kindlichen Verhaltens hin zur Reziprozität bestimmt und gekennzeichnet
sein. In der letzteren Dimension liegt die Kennzeichnung einer elterli-
213
chen Autorität als Ausdruck für deren kognitiv-emotionale Interaktionskompetenz.
Zumindest ist für die kindliche Interpretation der Strafe und deren kognitive
und emotionale Verarbeitung basal das Familienklima wesentlich. Die Erfahrung
von Macht und auch Feindseligkeit kann Fähigkeiten zur Rollenübernahme
insoweit erfordern, als es (das Kind) durch sein Verhalten das Ausmaß elterlicher
Sanktionen steuern lernt. Die Rollenübernahme bedeutet dann im Kontext zu
Gehorsamssituationen konformes Verhalten. Jedoch trägt die Rollenübernahme
dann nicht mehr funktional zur Lösung von Problemen bei, sondern ihr Charakter
ist instrumentell-vermeidend.
Die ausgeführten empirischen Ergebnisse (vgl. Kapitel 6.5.) bestätigen den
Zusammenhang des Interaktionsklimas hinsichtlich Repressivität und Rigidität
zur Ausbildung der Rollenübernahmefähigkeit als Determinante sozialer
Interaktionskompetenz; die theoretisch-empirische Konzeption KELLERs weist klar die
strukturellen Zusammenhänge zwischen elterlicher Handlungskompetenz
(Erziehungsverhalten), Interaktionsstruktur und kindlicher Identitätsbildung (als Bildung
sozialer Grundkompetenzen) auf. Inkonsistent erlebtes Erziehungsverhalten
geht tendenziell dann mit postiven Rollenübernahme-Kompetenzeffekten
einher, wenn die Mutter weniger streng bzw. höher unterstützend erlebt wird.
Dieses empirische Ergebnis ist dahingehend relevant, als es einen Zusammenhang
zur Genese der Geschlechtsrolleninternalisierung als Generaliserung von
Beziehungsstrukturen zu Vater und Mutter aufzeigt, welche hinsichtlich einer
"positionalen" Orientierung geschlechtsrollentypisierende Wahrnehmungsmuster
konstitiert (HABERMAS). Diese generalisierten Wahrnehmungsmuster, die aus
der Generalisierung geschlechtsdifferenter Beziehungsstrukturen hervorgehen,
lassen den "strengeren" Vater (zwechrational) gegenüber der weniger "strengen"
Mutter (emotional) entsprechend des familiären Interaktionsmusters mit der positionalen
Komponente des Selbstkonzeptes kongruent erscheinen, es wird also
von den Kindern als "normal" empfunden und entspricht deren positionalorientierten
Erwartungen.
Mit dem Erwerb der Geschlechtsrolle werden wesentliche Entwicklungsschritte
vollzogen, die zu den Grundqualifikationen des Rollenhandelns gehören.
KRAPPMANN interpretiert die "Familientriade" als balanciertes Interaktionssys-
214
tem, in dem das Kind Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz durch die internalisierten
Geschlechts- und Generationsrollen erwirbt.308 Ambiguitätstoleranz bildet
sich bei der Geschlechtsrollenverinnerlichung heraus und bezieht sich auf das
Verhältnis von gegenseitigen Erwartungen und reziproker Bedürfnisbefriedigung.
Diese Fähigkeit macht Interaktion auch dann möglich, wenn Bedürfnisse frustriert
bzw. interferiert werden. Voraussetzung für die Ausprägung der Ambiguitätstoleranz
ist eine gelungene Geschlechtsrollenidentifikation, da diffuse Ausprägungen
der Geschlechtsrollen keinen Anspruch an Balance divergierender Erwartungen
haben. Auf der Basis einer gelungenen primären Sozialisation ist in
der zweiten Phase der Individuierung eine zunehmende Unabhängigkeit gegenüber
sozialen Systemen bzw. sozialen Rollen möglich.
HILLEBRANDT geht von vier Dimensionen des Erwerbs sozialer Kompetenzen
im Laufe des Sozialisationsprozesses aus: Von der Rollendistanz (im Sinne
GOFFMANs), der Rollenübernahme und -interpretation (im Sinne MEADs und
TURNERs), der Ambiguitätstoleranz und der Identitätsdarstellung (im Sinne
KRAPP-MANNs).309 Die Herausbildung der Ambiguitätstoleranz erfolgt innerhalb
des Sozialisationsprozesses offenbar durch eine Art vorgelebte Ambiguität. Das
heißt für die familiäre Interaktionsstruktur, daß Vater und Mutter gleichermaßen
Autorität zukommt. Diese Autorität verteilt sich entsprechend der Rollenzuteilung
schwerpunktmäßig. Wesentlich ist für die Herausbildung der Ambiguitätstoleranz,
daß trotz unterschiedlicher Aufgaben in der Erziehung und auch der Einschätzung
und Erwartungen beider Eltern ein grundsätzlicher Konsens und gegenseitige
Respektierung der Ehepartner vorhanden ist, da eine fehlende Ehepartnerkoalition
und die daraus resultierenden divergierenden elterlichen Standpunkte
für das Kind übermächtig werden und zum inneren Konflikt führen. Diese
"Hilflosigkeit" überträgt sich dann auf alle Situationen, in denen sich widersprechende
Erwartungen präsentieren.
Die "personale" Familie und Interaktion
In Anknüpfung an die strukturfunktionalistische Theorie als normativer Ansatz
einer Theorie der sozialen Interaktion problematisiert HABERMAS die Konformität
bzw. Nonkonformität sozialen Handelns. Er weist in der Problematisie-
215
rung der theoretischen Annahme einer Konformität und Reziprozität "funktionierender"
Interaktionssysteme auf drei mögliche Dimensionen von "Freiheitsgraden
des Handelns" hin, die der "klassische" Funktionalismus ausschließt; eine
Differenzierung sozialen Handelns nach ihren Grad der Reppressivität, Rigidität
und Autonomie.310 Die funktionalistische Rollentheorie mache das zu normalen
Bedingungen stabiler Interaktion, was nur für Interaktionsprozesse in "totalen
Institutionen" empirische Gültigkeit hat. Die drei in Kapitelabschnitt 4.6.2. ausgeführten
Theoreme bedeuten bei HABERMAS drei mögliche Freiheitsgrade des
Handelns und ermöglichen die Unterscheidung von Institutionen nach dem Grad
ihrer Rigidität, Repressivität und der Art der Verhaltenskontrolle. Ausgehend von
diesen Theoremen läßt sich die "positionale" Familie als Inbegriff normativer Interaktion
zur "personalen" Familie unterscheiden, in der sich diese möglichen
"Freiheitsgrade des Handelns" als individuelle Ausprägung der genannten sozialen
Kompetenzen (der Ich-Identitätsbildung) niederschlagen. BERNSTEIN stellt
dabei den Zusammenhang von Art der Rollenübernahme im Rollensystem "Familie"
und Interaktion als sprachlichen Prozeß dar, welcher die Familie als "positional"
und "personal" kennzeichnet (vgl. Kap. 6.2. und 7.2.3.) Diesbezüglich bedeutet
dies in einer personenorientierten Eltern-Kind-Beziehung ein Zugeständnis
eines relativ großen Spielraumes der kindlichen Rollenselbstdefinition im familiären
Rollensystem. Dies bedeutet weiter eine positive Tendenz zur Reziprozität
der Eltern-Kind-Beziehung in personalen Rollensystemen, in der die Eltern für
die individuellen Merkmale der Kinder sehr offen sind und dadurch von ihren
Kindern gleichermaßen sozialisiert werden. So kann selbst elterliche Autorität
positiv erfahren werden, wenn die Eltern in ihren Entscheidungen und Verhalten
die individuellen Bedürfnisse des Kindes solidarisch berücksichtigen. In einem
positionalen Rollensystem ist das nicht der Fall, da die Rollenselbstdefinition keinen
Spielraum gestattet und das Kind somit in ein vorgegebenes Rollenschemata
eingeengt ist und zugewiesen wird. Der Prozeß der Beeinflussung ist hier
gleichgerichtet, da die Eltern auf Grund der rigiden Rollenzuweisung wenig
"empfänglich" für individuelle Merkmale und Äußerungen des Kindes sind und für
situationsadäquate Interpretationen und Modifikationen nicht flexibel sind. Hier wird
der Vorgang und die higkeit zur Rollenübernahme eher auf den Aspekt von
216
Gehorsam und Konformität begrenzt.
Auch GOFFMAN untersucht Rollenverhalten in bestimmten sozialen Situationen,
in denen Handlungssysteme nicht unbedingt postionsabhängig, sondern
konkret situationsabhängig sind. Das jeweilige Rollenverhalten wird in diesem
konkreten Handlungssystem durch die Aktivitäten der anderen bestimmt. So
unterscheiden sich die Rollen in bestimmten sozialen Situationen von allgemeinen
Rollen, hauptsächlich deshalb und dadurch, daß diese "situierten" Rollen Teil eines
konkreten, selbstkompensierenden und selbstregulierenden Systems sind.311
Entscheidend nennt GOFFMAN hier, daß in situierten Aktivitätssystemen (-situationen)
nicht die traditionellen Rollenkonzepte zu deren Erklärung herangezogen
werden sollten, sondern die "Komplexivität konkreten Verhaltens" untersucht
werden soll. Rollendistanzierung soll einen "Manövrierraum" für die Ansprüche
schaffen, die sich an das Innehaben bestimmter Positionen in konkreten
sozialen Handlungsfeldern richtet. GOFFMAN geht daher von defensiven und
kompensierenden Funktionen der Rollendistanzierung aus. Sie kann aber auch,
wie am Beispiel des Aktivitätssystems der Chirurgie aufgezeigt, systemerhaltende
und stabilisierende Funktionen aufweisen. Situierte Rollen lassen so oft Rollendistanz
entstehen, in dem ein Teil des Selbst demonstriert, außerhalb der
Zwänge einer zugewiesenen Rolle zuliegen, unter deren Zuständigkeit sich eine
konkrete Situation ereignet. Rollendistanz liegt also im Raum zwischen Rollenvorschrift
und tatsächlichem Rollenverhalten. Dies kann für das Aktivitätssystem
"Familie" bedeuten, die Asymmetrie familiärer Arbeitsteilung, die sich aus den tradierten,
normativen Geschlechtsrolleninhalten ergibt, durch die im konkreten
Handeln zum Ausdruck kommende Rollendistanz zu kompensieren. Die Distanzierung
zu diesen Normen bringt eine "typische" Rolle hervor, die sich im konkreten
Interaktionsraum "Familie" im konkreten Handeln zeigt und so jene Dynamik
familiärer Interaktion aufweisen läßt, die sie zu einem eigenständigen (mit
einer Eigendynamik ausgestattenden) Handlungsbereich werden läßt. Insofern
bietet dieser Begriff ein soziologisches Mittel, einen Typ der Divergenz zwischen
Rollenvorschrift und tatsächlichem Verhalten zu erfassen. Zum anderen ist die
Rollendistanz ein Teil der typischen Rolle, wenngleich sie kein Teil des normativen
Rahmens der Rolle ist. Das expressive Situationsverhalten steht also in Be-
217
ziehung zu einer situierten Aktivitätsrolle, zu denen es organisiert ist und dem
Individuum einen Spielraum der Interpretation und Manövrierfähigkeit freihält.
Die Notwendigkeit, ein Handlungssystem zu erhalten, kann zu Bedürfnissen führen,
die durch den Gebrauch von Rollendistanz realisiert werden können. Rollendistanz
meint hier eine Diskrepanz zwischen dem Selbst in einem Handlungssystem
und dem Selbst, welches verbunden ist mit einem formalen Status und der
damit einhergehenden sozialen Rolle. Die Rollendistanz ist ein typischer, nicht-
normativer Aspekt der Rolle, welche ein situiertes Handlungssystem (-situation)
voraussetzt. So gesehen ist die Rollendistanz eine Antwort auf einen normativen
Rahmen in konkreten Interaktionssituationen bzw. Handlungssystemen (z.B.
Familie). Sie ist typisch und nicht-normativ.
Man kann festhalten: Während die "personen-orientierte" Rollenübernahme
(beziehungsorientierte Interaktion) eine differenzierte Erschließung der Bedeutungen
von Handlungen ermöglicht, bleibt die positional-orientierte Rollenübernahme
dem normativen Bezugsrahmen einer Situation verhaftet. Die "personale"
Familie ist aus dem interaktionistischen Ansatz und ihrer kritischen Erweiterung
heraus faßbar, da dieser eher auf die Dynamik mikrostruktureller
Interaktionsbedingungen, individueller Interaktionskompetenz und Rollenausgestaltung
focussiert ist. Der funktionalistische Ansatz gibt eher Aufschluß über normative
Verhaltensorientierungen der interagierenden Familienmitglieder, die zwar ohne
Zweifel in das alltägliche Verhalten einfließen, jedoch nicht einzige Determinante
sozialen Verhaltens in der Familie darstellen.
218
8. SCHLUßBETRACHTUNG
Wesentliche pädagogische Relevanz erfahren Erziehungsstile als voraussagende
und vorauszusagende Variable. Der prognostische Blickwinkel stellt zum
einen die Frage, welche Lebensumstände elterliches Erziehungsverhalten
vorauszusagen gestatten, zum anderen nach der Prädikation des Kindes hinsichtlich
elterlichen Erziehungsverhaltens als Kennzeichnung binnenfamiliärer
Interaktionsklimata. Z.B. wäre die Voraussagbarkeit bestimmter Varianten elterliches
Erziehungsverhalten in Beziehung zu sozialer Schichtzugehörigkeit denkbar oder
familienstrukturelle Merkmale wie Familiengröße als "Vorhersagevariable" für elterliches
Erziehungsverhalten. Nützlich wäre bei erfolgreichen Nachweis der Determinationskraft
bestimmter struktureller Bedingungen, entsprechende Interventionen
in der elterlichen Erziehungspraxis zu konzeptualisieren, um
Verhaltensfehlentwicklungen zu verhindern. Dieser präventive und intervenierende
Aspekt als Zielsetzung einer Veränderung des Elternverhaltens kann als wesentliche
grundlegende Intention dieses Forschungsgebietes genannt werden, um
problematisches Kindverhalten auf dem Wege der Elternbeeinflußung zu modifizieren.
Allgemein kann formuliert werden, daß sich die Systematisierung von
Erziehungsstilmerkmalen - die Klassifizierung der Erziehungsstilvariable in deskriptive
und normative Metaebenen auf kognitiver und verhaltensnaher Ebene - auf
eine Theorie der sozialen Interaktion stützt. Weiter wurde deutlich, daß der empirischen
Analyse des Elternverhaltens in diesem Forschungsbereich keine einheitliche
Theorie zugrundeliegt, der Methodenpluralismus keine einheitliche Interpretation
der oft unzusammenhängenden Daten zuläßt. Anliegen dieser Arbeit
war es, das begriffliche Konstrukt "elterliches Erziehungsverhalten" aus dem
entsprechenden Forschungsgebiet begrifflich zu erfassen und in der allgemeinen
Programmatik eines umfassenden Bedingungszusammenhangs als zu klärendes
Konstrukt bedingungsanalytisch zu verorten. Dabei wurde deutlich, daß sich bei
diesem Konstrukt hinsichtlich seiner komplexen Interdependenzverhältnisse je
nach Fragestellung und der zugrundeliegenden theoretisch-methodischen Konzeption
verschiedene bedingungsanalytische Beschränkungen und Probleme
aufweisen lassen. Diese offenen Fragen sind aus einem allgemeinen "mechanisti-
219
schen" Programm der Erziehungsstilforschung ableitbar. Weiter war es Aufgabe
dieser Arbeit, ein allgemeines rollentheoretisches Rahmenkonzept, also
funktionalistische, interaktionistische und kritische rollentheoretische Ansätze für die
Klärung dieses Konstrukts nutzbar zu machen. Dazu wurde dieses Konstrukt
begrifflich erfaßt, in seinen Komponenten klassifiziert und in rollentheoretischen
Kategorien identifiziert. Auf dieser Grundlage war es möglich, dem elterlichen
Erziehungsverhalten eine Interaktionsstruktur zugrunde zulegen und deren
strukturelle Bedingungen auf makrostruktureller Ebene (gesellschaftliche und
subkulturelle Normen), sozioökonomischer Ebene und mikrostruktureller Ebene
(Familie als Handlungssystem, individuelle Aspekte) zu analysieren. Entsprechend
der Aufgabenstellung ist hier die Variable "Elternverhalten" als abhängige
Variable begriffen worden, unter dessen Primat die komplexen Strukturbedingungen
des Elternverhaltens hinsichtlich sozialstruktureller Bedingungen (institutionalisierte
und personale Struktur des Interaktionsfeldes "Familie"), sozioökonomische
und individuelle Aspekte der Identitätsbildung der Eltern erfaßt
werden konnten. Sie bilden in ihrem interdependenten Wirkungszusammenhang
wesentliche Determinanten elterlichen Verhaltens, von dem im entscheidenden
Maß das Interaktionsklima der Familie abhängt. Aus interaktionistischer Sicht ist
dabei die Variable "Elternverhalten" in allen, aber primär in mikrostrukturellen
Interdependenzverhältnissen, als abhängig zu denken, kann jedoch entsprechend
experimentalpsychologischer Paradigmen durchaus als unabhängig begriffen
werden. Dies war für die Darstellung des Zusammenhangs von elterlicher
Handlungskompetenz und Interaktionsklima wesentlich der Fall, in der am Beispiel
positionaler und personal-orientierter Interaktion das elterliche Verhalten
als strukturelle Bedingung des Interaktionsklimas und damit der kindlichen
Identitätsgenese deutlich gemacht wurde. Die Variable "Persönlichkeit des Kindes"
als sekundärer Gegenstand dieser Arbeit wurde unter zwei wesentlichen Aspekten
dargestellt. Zum einen bildet die institutionell-organisierte Verfassung der
Familienstruktur eine wesentliche Bedingungsstruktur für dort ablaufende
Identifikationsprozesse (vgl.Kap. 3.; 4.3.; 4.5.; 4.6.2.; 4.6.3.), zum anderen bildet
das Interaktionsklima (Zwischen Eltern und Kind) eine wesentliche strukturelle
Bedingung für die Ausbildung der Identität und der sozialen Grundqualifikationen
220
des Handelns (vgl.Kap. 7.2.2.).
Desweiteren war Anliegen dieser Arbeit, die prinzipielle Brauchbarkeit des
"normativen" Rollenmodelles sowie des interaktionistischen und kritisch erweiterten
Rollenkonzeptes für die Klärung von familiären Interaktionsprozessen aufzuzeigen
und dabei auf die jeweiligen Schwierigkeiten und Grenzen der verschiedenen
Ansätze hinzuweisen. Insbesondere hinsichtlich institutioneller Strukturbedingungen
sozialer Interaktion in spezifischen rollendifferenzierten Handlungsfeldern
erweist sich der "normative" Ansatz für den Aufweis funktionaler Bezüge
und normativer Handlungsorientierungen als brauchbar, der interaktionistische
Ansatz stellt dynamische, situationsrelevante und individuelle Aspekte in den
Vordergrund. Insofern eignet sich ein solches Rollenkonzept auch für die Erklärung
von Interaktionsprozessen in institutionellen Handlungssystemen mit ihren
besonderen Struktureigenschaften, wie beispielsweise Desorganisatons- und
Desintegrationserscheinungen der Familienstruktur. Die unterschiedlichen
Rollenmodelle erwiesen sich hinsichtlich des Erwartungsbegriffs als problematisch.
Zum einen konstituieren Rollenerwartungen im normativen Sinn eine Struktur
der Verhaltensorientierung. Zum anderen kann der Erwartungsbegriff einen affektiv-
kognitiv erschlossenen Einstellungskomplex beschreiben; dies im interaktionistischen
Sinn situativer und interpretativer "Rollenerwartungen", welche so
affektiv besetzt sind. Eine "legitime" Forderung eines Elternteils als an normativen
Regeln orientiert kann so einer affektiv gegensätzlichen Erwartung des gleichen
Elternteil entgegenstehen, welche sich im Sinne einer biographisch und situativ
geformten Erlebnishaltung konstituiert hat. Hier wird das grundsätzliche
Konsistenzproblem zwischen Vorstellung und Einstellung deutlich, welches sich
erst mit Einbeziehung interaktionistischer Kategorien fassen läßt.
Sozialisationstheoretische Ansätze können zur Erklärung der Genese psychischer
Strukturen durch die Analyse sozial vermittelter Lernprozesse in der
Kindheit beitragen. Eine Beschreibung der sozialisatorischen Praxis der Eltern
(Distanz; Forderung/ Unterforderung; Permissivität/Restriktiviät, usw.) in der
Dimension von Interaktion und Kommunikation sollte nicht den Kontext verbergen,
in dem ihre Handlungen stehen. Dieser liegt in den Zusammenhang von
binnenfamiliärer Rollenaufteilung, den Bedingungen der außerhäuslichen Er-
221
werbstätigkeit und dem Problem von beruflichen und familienbezogenen Aufgaben.
Es ist daher grundsätzlich zu fragen, inwieweit die traditionelle bürgerliche
Familie mit ihrer rollenspezifischen Autoritätslegitimation und Arbeitsteilung die
ICH-Autonomie des Kindes vermag zu fördern. Aus neueren theoretischen Ansätzen
zur sozialen und psychischen Geschlechtsrollendifferenzierung wird ersichtlich,
daß es unzureichend ist, Sozialisationsprozesse isoliert zu betrachten und
auf der Ebene familiärer Interaktion zu beschränken, ohne die Geschlechtsrollen
der Eltern unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung nach Geschlecht
zu sehen. Nicht die soziale Komponente der Mutterrolle/ Vaterrolle allein,
sondern die asymmetrische Beteiligung der Eltern an der Kleinkindsozialisation
in der gegenwärtig vorherrschenden Familienform ist zu berücksichtigen. In
jüngeren theoretischen Ansätzen tritt die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse
der Geschlechter und die außer- wie binnenfamiliäre Arbeitsteilung als Asymmetrie
in Erscheinung. Das bedeutet für den Sozialisationsprozeß unterschiedliche
Bedingungen für die Aneignung der sozialen Realität der Geschlechtsrollen
für Mädchen und Jungen.
Bezüglich familiärer Rollenstrukturen lehnt sich auch HABERMAS relativ
stark an die PARSONSsche Definition von Familie an, wenn er unter Hinzuziehung
seiner Arbeiten die instrumentelle und expressive Rolle entsprechend Mann
und Frau zuweist und als Orientierungspunkt der heranwachsenden Generation
postuliert. Ein Zusammenhang der familiären Geschlechtsrollen zu ihrer
gesellschaftlichen Wertung wird bei HABERMAS kaum vorgenommen und weitgehend
ausgeblendet. Kritisch ist desweiteren anzumerken, daß hier die elterlichen
Geschlechtsrollen zu einem Lernmodell stilisiert werden, welche ihren
Geltungsanspruch nur aus der Tatsache von sozialen Bindungen und Beziehungen in
der Kleinfamilie herleitet. Damit ist aber die makrosoziale Eingebundenheit der
Elternrollen in sozialstrukturelle Zusammenhänge ausgeblendet, in denen die
Geschlechtsrolleninhalte eher asymmetrische Arbeitsteilungsverhältnisse und
Lebenschancen repräsentieren. Mit Einbeziehung makrostruktureller Zusammenhänge
würden Probleme asymmetrischer Verhältnisse von Lebenschancen und repressive
gesellschaftliche Strukturen offenbar, die jedoch in der ausschließlichen Behandlung
der Geschlechtsrollen als Familienrollen weitgehend ausgeblendet werden.
222
Die vermeintliche Funktionalität der geschlechtsspezifischen Rollenstruktur
wird aber nicht weiter diskutiert. Die Komplementarität der Geschlechterrollen
muß nicht unbedingt eine Reziprozität der Bedürfnisbefriedigung bedeuten
(Repression).
Mit Hilfe des Machtbegriffs ließe sich die Divergenz von Komplementarität
und Reziprozität erfassen. Sinnvoll wäre die Anwendung der genannten
Theoreme für die Analyse von Familienstrukturen. Jedoch weist es gegenüber dem
funktionalistische Konzept, welches unter Sozialisation Anpassung versteht, Vorteile
auf. Von Bedeutung wäre die Verknüpfung einer kritischen Interaktionstheorie
und Gesellschaftsanalyse für die Theoriediskussion in der Sozialisationsforschung.
Soziale Interaktionen, in denen sich Handlungspartner an eindeutig fixierten
Rollenvorschriften orientieren, wie GOFFMAN am Beispiel der totalen Institutionen
aufgewiesen hat, erweisen sich als Grenzfall einer "repressiven Interaktion".
Das Identitätstheorem der klassischen rollentheoretischen Annahme (Kongruenz
zwischen Rollendefinition und Rolleninterpretation) vernachlässigt die
Interpretationsbedürftigkeit von sozialen Situationen. Dem Konformitätstheorem
steht das Konzept der Rollendistanz (Goffman 1973) gegenüber, welches kritisches
Befragen internalisierter Normen ermöglicht und ein "autonomes, mit sich
selbst identisches, handlungsfähiges Subjekt" kennzeichnet (Oevermann 1974).
Es kann davon ausgegangen werden, daß die Perspektive des symbolischen
Interaktionismus für die Betrachtung des Rollenhandelns als Sozialisationstheorie
fruchtbarer ist, da der Mensch nicht "nur" als Schnittpunkt gesellschaftlich vorgegebener
Rollen zu sehen ist, sondern dessen "Selbst" und die soziale Struktur,
in die er sich befindet, durch kreative Interpretationsvorgänge gleichermaßen
konstituiert und ein Verständnis von Sozialisation als Individuation ermöglicht.
Zur Frage der Veränderbarkeit der analysierten gesellschaftlichen und subjektiven
Strukturen geben die Theorien keine einheitliche Antwort. Es überwiegt
aber die Auffassung, daß die Familie und die in ihr vorherrschende Arbeitsteilung
die soziale wie psychische Geschlechtsrollendifferenzierung aufrechterhalten. In
diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß Erwerbstätigkeit und
Karriereorientierung zwar zunehmend als Bestandteil der weiblichen Biographie
akzeptiert werden, jedoch in erster Linie eine Angleichung des weiblichen Lebenszu-
223
sammenhangs an den männlichen darstellen. Umgekehrte Tendenzen sind kaum
zu beobachten. Hier ist eine fundamentale Umgestaltung der Elternfunktionen in
der Kleinkindsozialisation ein wesentlicher Analtspunkt, den männlichen
Lebenszusammenhang in seiner spezifischen Einseitigkeit und Stereotypisierung zu
verändern.
Eine grundsätzliche Veränderung in der sozialen Organisation der Geschlechter
wird m.E. nicht durch Appelle, wie etwa an Mütter, mehr Distanz zu
wahren oder an Väter, bessere Modelle für ihre Söhne zu sein, erreicht. Eine
fundamentale Neuorganisation der Elternschaft, d.h. eine Aufteilung der primären
Elternfunktionen auf beide Elternteile gleichsam, kann bei beiden Geschlechtern
eine beziehungsorientierte Persönlichkeitsstruktur entwickeln. Ob Veränderungen,
die sich aus der Berufstätigkeit von Frauen und der verstärkten Beteiligung
der Väter an elterlichen Aufgaben ergeben, bereits eine qualitative Veränderung
der Elternschaft und eine positive Tendenz zur symmetrischen Organisation
darstellen, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur schwer sagen. Dazu ist
vor allem die schwerpunktmäßige Betrachtung realer Lebensbedingungen notwendig,
die als relevante Sozialisationseinflüsse gelten müssen. Eine traditionelle
Arbeitsteilung in der Familie (meist mit Geburt des ersten Kindes) liegt nicht an
der unterschiedlichen Beziehungsfähigkeit von Frauen und Männern oder der
ideologisch gestützten Mutterrolle, sondern auch an äußeren Faktoren wie
Arbeitszeitregelungen usw.
Seit den siebziger Jahren ist zwar eine tendenzielle "Wende" in der Aufteilung
der Erziehungsarbeit feststellbar -ist auch die Vater-Kind-Beziehung zunehmend
durch eine emotionale Bindung gekennzeichnet- jedoch ist die Beteiligung
an der Erziehungsarbeit vorwiegend auf dem spielerischen Sektor der Erziehung
gegeben und primär auf die finanzielle Versorgung beschränkt, so daß
soziale Elternschaft weiterhin an die Frau gebunden ist, vorwiegend durch alltägliche,
praktische und organisatorische Seiten des Erziehungsgeschehens.311 Dazu
kommen Belastungen der Frau in Form von Schuldgefühlen, wenn neue
Betreuungsformen praktiziert werden, in die der Vater aktiv einbezogen wird.
Unschwer läßt sich erkennen, daß sich Kinder- und Jugendprobleme in den
letzten Jahren stark häufen. Man denke an die erschreckend hohe Selbstmordrate
und das hohe Aggressionspotential und die damit einhergehende sinnlose Zer-
224
störungswut. Es stellt sich die Frage, ob nicht neben den Tendenzen zu einem
veränderten Erziehungsverhalten zu mehr Freundlichkeit und Unterstützung, wie
etwa von de MAUSE beschrieben 312 , auch gesellschaftliche Einflüsse ebenso
wichtig sind. Hier sei verwiesen auf die Jugendarbeitslosigkeit und der damit
verbundenen "Sinnkrise" in einer zunehmend materiell orientierten Erwerbs- und
Konsumgesellschaft, zum anderen die einengende städtebauliche Betonarchitektur
und der einhergehenden Isolation der Familien. Alle diese Probleme lassen
sich durch die Familie nicht kompensieren sondern wirken unmittelbar auf die
familiäre Kommunikations- und Erziehungsleistung und relativieren die von z.B.
de MAUSE angenommenen Unterstützungscharakter der verbesserten Eltern-Kind-
Beziehung.
Die tendeziell "neue Vaterrolle" kann als bewußte Rollengestaltung hin zu
einer, der emotionalen Mutter-Kind-Beziehung ähnlichen, Vaterschaft gesehen
werden. Dazu gehört auch, daß bestimmte Zuständigkeitsbereiche nicht mehr als
Vater- oder Mutterrolle festgelegt werden. Diese Tendenzen sind aber wie schon
ausgeführt sehr gering gegeben. Ein großer Verunsicherungsfaktor mag in der
Verwirklichung der "neuen" Vaterrolle darin liegen, daß der "neue" Vater nicht
nur fast ausschließlich auf eigene Sozialisationserfahrungen und Vorbilder
zurückgreifen kann, sondern sie zwingend zu reflektieren hat, um den Konflikt aus
der eigenen Sozialisation in die Vaterrolle als Prädistenz der Vateridentität zur
Bildung einer neuen, hierzu divergierenden "Vateridentität" zu lösen. Auch die
mit dem Geschlecht verbundenen Normen und Erwartungen sind auf allgemeinere
gesellschaftliche Formationen und Werte bezogen und stellen insofern
identitätskonstituierende Rollenelemente dar. Die Geschlechtsrollen sind nicht an
spezifische Rollen gebunden, sondern leisten die Integration vielfältiger und differenter
Rollenerwartungen. Die kulturellen Definitionen des Weiblichen und Männlichen
stellen zentrale Bestandteile der "Grundidentität" dar. Der identitätskonstituierende
Charakter der geschlechtsspezifischen Rolle berechtigt zur Annahme
einer "situationsübergreifenden" Rolle, die die Interpretation und Ausübung anderer
Rollen bestimmt. Man kann davon ausgehen, daß mit der Geschlechtsrolle
ein handlungsleitendes Regelsystem erworben wird, daß die Umsetzung bestimmter
Persönlichkeitsmerkmale im Verhalten determiniert und den Hand-
225
lungsspielraum bei beiden Geschlechtern (auch als Eltern) beschränkt. Dieser
normative Aspekt der Genese motivationaler Strukturen der Identitätsbildung
wird vor allem mit dem funktionalistischen Ansatz einer integrationistischen Theorie
gut faßbar, auf dem erweiterte interaktionistische Ansätze hinsichtlich einer
funktionalen Rollendifferenzierung der Familienstruktur anknüpfend aufbauen
und so die elterlichen Familienrollen als funktional differenzierte Lernmodelle stilisieren.
Jedoch bestehen in dem Ausmaß der Akzeptanz der soziokulturellen Definitionen
individuelle Unterschiede, da Handlungsautonomie gegenüber Normen
und Rollenerwartungen prinzipiell möglich ist (interaktionistischer Ansatz). Aus
diesem Grund kann empirisch kaum unterschieden werden, ob es sich bei dem
elterlichen geschlechtstypischen Verhalten um individuelle, situationsbedingte
Interpretationen des sozial adäquaten Verhaltens handelt oder um den Ausdruck
einer Persönlichkeitsstrukturierung, die keine anderen alternativen Handlungsweisen
zuläßt und auf entwicklungsbedingte Defizite in der interaktiven Kompetenz
beruht. Vorherrschende asymmetrische Entwicklungsbedingungen in der Familie
fördern eher geschlechtstypische Verhaltensmuster bei den Edukanden, da
sie unterschiedliche Chancen für die Entwicklung der Subjekt-Objekt-
Differenzierung darstellen.
An der stereotypen familiären Aufgabenteilung ist die hohe Wirksamkeit älterer
Normensysteme bis in die heutige Zeit erkennbar. Obwohl die Vorstellung
egalitärer Aufgabenverteilung vorhanden ist, zeigt sich eine Diskrepanz zum realisierten
Verhalten. Es ist so eine Diskrepanz zwischen "den Bedingungen der
heutigen männlichen Existenz und der tradierten historischen Männerrolle"314
entstanden. "Autorität" vor dem Hintergrund heutiger gesellschaftlicher und familiärer
Verhältnisse hieße die Aufweisung von Kompetenzen flexibler Rolleninterpretation
hin zu egalitären Partnerbeziehungen, in denen neue gesellschaftliche
Entwicklungen der Partizipation der Frau am Berufsleben Rechnung getragen
wird. Es drängt sich hier die Frage auf, in welchem Verhältnis der Funktionsverlust
des Vaters und die "neue" Vaterrolle stehen. Trotz der zunehmenden weiblichen
Berufstätigkeit ist die Ernährerfunktion des Vaters immer noch im "Rollenbild
des Vaters" als Teil des Selbstkonzeptes der meisten Männer wirksam.313 Vor
dem Hintergrund der Tatsache, daß der Funktionsverlust des Vaters als Funkti-
226
onsverlust des traditionellen, autoritär herrschenden Vaters verstanden wird,
erscheint seine Kritik phänotypisch berechtigt. Hinsichtlich der Erzieherfunktion
wird von einer veränderten Vater-Kind-Beziehung gesprochen, die repressionsarm
und doch orientierungsgebend, zärtlich und dennoch distanzlassend, harmonisch
und dennoch nicht konfliktverleugnend sein kann.314 Dies weist auf eine
aktive Erzieherrolle mit einem spezifischen Erziehungsverständnis implizit
Erziehungszielen wie Autonomie, Freiheit und Selbstbestimmung. Allgemein kann
man festhalten, daß sich die neue Vaterrolle bezüglich ihrer Funktionen im
Sozialisationsprozeß schwerpunktmäßig auf die Funktionen erstrecken und verlagern,
die die direkte Interaktion mit den Kindern implizieren, wogegen die traditionelle
Vaterrolle eher den Schwerpunkt auf die abstraktere Ernährer- und Beschützerfunktion
verlagerte. Die angesprochen Tendenzen der Realisierung "neuer" elterlicher
Rollenausführungen im Kontext familiärer Rollendifferenzierung sind jedoch
empirisch nicht einheitlich festgestellt, Meinungen über tendenzielle Richtungen
sind zum Teil widersprüchlich.
Der DEWEY-MEADsche Ansatz gibt Einsichten in das kindliche Sozialsein
und verlangt nach einer kommunikativen und interaktiven Erziehung. Die Anerkennung
von Interaktion als "Erziehungsfundament", die Forderung nach einer
"diskursiven Kommunikation" in der Erziehung darf aber nicht außer acht lassen,
daß weitere Educationsbedingungen, besonders im Hinblick auf Bildung und Kultur
zu berücksichtigen sind. Erziehung sollte daher im Kontext gesellschaftlicher
Verhältnisse gesehen werden. Hinsichtlich der Schichtenzugehörigkeit als Determinante
elterlichen Verhaltens und Sozialisationsbedingung ist festzustellen,
daß die Lebenssituation in der Unterschicht durch einen Mangel an Selbstbestimmung
und relativer Machtlosigkeit gekennzeichnet ist. Durch partikularisch-solidarische
Primärbeziehungen ist der Erfahrungsraum stark beschränkt. Dies
wirkt sich auf binnenfamiliäre Interaktionsmuster zu autoritären, positionalorientierten
Strukturen aus. Es deutet sich hier eine Tendenz zu Einengung von
Spielräumen zum Rollenhandeln gegenüber der Mittelschicht an, in der das
Erziehungsmilieu eher als kindorientiert bezeichnet wird.
Im Hinblick auf die Unterscheidung PARSONS der "instrumentalen" Rolle
des Vaters und der "expressiven" Rolle der Mutter ließe sich interpretieren, daß
227
für den Jungen in unserem Kulturraum die Auseinandersetzung mit der instrumentalen
Rolle des Vaters für das Erfassen der eigenen kulturellen Rolle besonders
bedeutsam ist, da leistungsbezogene Strukturen primär patriachalisch ausgerichtet
sind. Die Sozialisationsschwäche des Vaters in der Unterschicht wird
unter diesem Aspekt evident.
Die "pädagogische Wende" führt vom autoritären zum liberalen Erziehungsstil.
Dies heißt für die erziehende Elternschaft häufig der Verzicht auf eigene
Bedürfnisse, Rechte und Interessen, wohingegen der autoritäre Erziehungsstil
mehr die Bedürfnisse des Kindes vernachlässigte. Das heißt, Erziehungsarbeit ist
mühsamer geworden. Diese Tendenz wird hier als eine der Emanzipation des
Kindes bezeichnet.311 Bei all diesen Überlegungen wäre der Schluß von einer
kinderorientierten Gesellschaft jedoch nicht zulässig. Einer durchorganisierten,
rationalisierten Welt begegnet das Kind als die Verkörperung des "Irrationalen", des
"Archaischen". Das explorative Verhalten des Kindes stößt auf Hindernisse in der
Organisation der Gesellschaft, für Erziehende gilt, diese Hindernisse auszugleichen.
Erziehende Eltern leben in einer Gesellschaft, die unter dem Aspekt der
Zielvorgabe "optimale Förderung" des Kindes als kinderorientiert gelten könnte,
deren objektive Strukturen jedoch kinderfeindlich sind. Man kann sagen, daß die
Gesellschaft kinderfeindliche Strukturen aus wirtschaftlichen und politischen Interessen
heraus zu kompensieren sucht, indem sie die alleinige Verantwortungssphäre
für die Entwicklung des Kindes in die Familie delegiert. Das Verantwortungsbewußtsein,
welches "moderne Eltern" haben, gebieten eine positive Kindesentscheidung
nur bei entsprechenden materiellen Voraussetzungen. "Man
muß sich ein Kind leisten können". Zudem ist Kindererziehung eine "große,
verantwortungsvolle Aufgabe", aus der sich Befriedigung und Selbstbestätigung
gewinnen lassen. Die große Aufgabe der Kindererziehung gab es schon in der Mitte
des 19. Jahrhunderts im Bürgertum. Ähnliches geschieht in neuerer Zeit als
Wiederentdeckung des Kindes "in feministisch, bewußter Form". "So wird daraus ein
Bereich weiblicher Identität und Macht"315 , welche Erziehung auf Grund des hohen
intellektuellen, leistungsbezogenen Anspruches eher zur elterlichen Identitätsarbeit
pervertieren lassen kann, als sie als "natürlich" vorhandene Form beziehungsorientierter
Interaktion zu sehen.
228
Zu Fragen der Instrumentalisierung der Eltern- bzw. Erzieherrolle für unbewußt
"erziehungsfremde" Motive wäre die Integration des Rollenkonzepts in
ein gesamtsystemisches Familienmodell sinnvoll, in dem durch die Analyse von
Interaktionsabläufen die zugrundeliegenden Regeln, Grenzen und Hierarchien zu
erfassen sind und damit eine klinische Strukturdiagnostik möglich wird, die alle
Formen pathogener und instrumenteller Rollenzuweisungen miterfaßt. Ein klinisches
Familienmodell hat so die Rollen- und Interaktionstheorie zu integrieren,
jedoch über ihr "klassisches" Verständnis hinaus zugehen. Das Rollenverhalten
kann so beispielsweise zur Beurteilung der Systemregeln auf der familiären Ebene
herangezogen werden und ermöglicht so die Identifizierung pathogener
Rollenkonstellationen, die einer bestimmten Symptomatik zugrunde liegen (siehe auch:
Perspektiven der interpretativen Familiensoziologie).
229
Anmerkungen:
1 vgl. Geulen, D.: Die historische Entwicklung sozialisations theoretischer Paradigmen,
in: Hurrelmann, K.; Uhlich, D.: Handbuch der Sozialisationsforschung,
Weinheim und Basel 1982, S.15;
2 vgl. Geulen, D.: Die historische Entwicklung..., a.a.O.,S.16;
3 vgl. Schaller K.: Einführung in die kritische Erziehungswissenschaft, Darmstadt 1974,
S.110
4 vgl. Schaller K.: Einführung in..., a.a.O., S.112;
5 Hurrelmann, K.: Unterrichtsorganisation und schulische Sozialisation, Stuttgart 1971,
S.214; Schaller (1974) hält diesen Formulierungen von Erziehungsbegriffen
und Erziehungszielen entgegen, daß unter Hinzunahme interaktionistischer
und kritischer Rollenkonzepte lediglich eine Befreiung aus dem Anpassungstheorem
angestrebt wird, um das restriktive Gesellschaftsgefüge dynamisch
zu halten; vgl. Schaller, K.: a.a.O., S.112;
6 vgl. Geulen, D.: a.a.O., S.15ff.;
7 vgl. Geulen, D.: a.a.O., S.17;
8 Geulen, D.: a.a.O., S.17;
9 ebd., S.19;
10 ebd., S.23;
11 ebd., S.26;
12 vgl. Geulen, D.: a.a.O., S.26;
13 vgl. Geulen, D.: a.a.O., S.28;
14 vgl. Geulen, D.: a.a.O., S.30;
15 in: Geulen, D.: a.a.O., S.33;
16 Geulen, D.: a.a.O., S.33;
17 ebd., S.34;
230
18 ebd., S.36;
19 ebd., S.38;
20 ebd., S.41;
21 ebd., S.41;
22 ebd., S.43;
23 ebd., S.46f.;
24 Geulen, D; Hurrelmann, K.: Zur Programmatik einer umfassenden Sozialisati-
onstheorie, in: Hurrelmann, K.; Ulich, D.: Handbuch der Sozialisationsforschung,
Weinheim und Basel 1982, S.51;
25 ebd., S.53;
26 ebd., S.54;
27 Meinberg, E.: Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaft,
Darmstadt 1988, S.19;
28 ebd., S.19;
29 ebd., S.19;
30 ebd., S.30;
31 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.56;
32 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.57;
33 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.72;
34 Meinberg, E.: a.a.O., S.76;
35 ebd., S.80;
36 ebd., S.79;
37 ebd., S.80;
38 ebd., S.81;
39 ebd., S.97;
40 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.98;
231
41 Meinberg, E.: a.a.O., S.99;
42 ebd., S.115;
43 ebd., S.115;
44 ebd., S.122;
45 ebd., S.126;
46 ebd., S.128;
47 ebd., S.140;
48 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.147;
49 Meinberg, E.: a.a.O., S.148;
50 ebd., S.157;
51 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.163;
52 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.163;
53 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.164;
54 Schaller, K.: a.a.O., S.110;
55 ebd., S.110;
56 ebd., S.110;
57 ebd., S.112;
58 ebd., S.112;
59 Hurrelmann, K.: Unterrichtsorganisation..., a.a.O., S.214;
60 Schaller, K.: a.a.O., S.112;
61 vgl. Schaller, K.: a.a.O., S.113;
62 vgl. Schaller, K.: a.a.O., S.114;
63 Schaller, K.: a.a.O., S.114;
232
64 Neubauer, E.Ch.: Erzieherverhalten bei der Bewältigung sozialer Konflikte,
Bergheim 1986, S.52; Neben rollentheoretischen Ansätzen haben insbesondere
lerntheoretische Ansätze differenzierte und empirisch bewährte Erklärungsansätze
für kindliches Sozialverhalten (meist auffälligen, aggressiven Verhaltens) geliefert;
vgl. ebd., S.52f.;
65 vgl. Zigann, H.: Einführung in die Familiensoziologie, Kronberg 1977, S.8;
66 vgl. Bönner, K.H.: Die Geschlechterrolle, München 1973, S.16;
67 Zigann, H.: Einführung in die..., a.a.O., S.25;
68 ebd., S.27;
69 ebd., S.29;
70 Malinkowski, B.: Gesellschaft und Verdrängung in primitiven Gesellschaften,
Reinbeck 1962, S.184ff.;
71 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.30;
72 Zigann, H.: a.a.O., S.32;
73 Mühlfeld, C.: Familiensoziologie, Hamburg 1976, S.17;
74 Goode, W.J.: Soziologie der Familie, München 1967, S.38;
75 vgl. Mühlfeld, C.: a.a.O., S.18;
76 vgl. Mühlfeld, C.: a.a.O., S.19;
77 Mühlfeld, C.: a.a.O., S.20;
78 Zigann, H.: a.a.O., S.55; aus einem funktionalistischen Verständnis heraus
deutet Zigann auf das Verhältnis gesellschaftlicher und familiärer Strukturen der
Autoritätshirarchie (künstlicher Familismus);
79 ebd., S.59;
80 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.8;
81 vgl. Parsons, T.: Das Verwandtschaftssystem in den Vereinigten Staaten, in:
Rüschemeyer, D.: Talcott Parsons-Beiträge zur soziologischen Theorie; Darmstadt
und Neuwied 19733, S.84ff.;
233
82 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.59;
83 Zigann, H.: a.a.O., S.59;
84 Zigann, H.: a.a.O., S.60;
85 Borneman, E.: Das Patriarchat, Frankfurt 1975, S.122; nimmt hier gesell
schaftskritischen Bezug auf gesellschaftliche repressive Autoritätsstrukturen als
funktionales Element sozialer Kontrolle;
86 Horkheimer, M.: Autorität und Familie, in: Schmidt, A: Kritische Theorie,
Frankfurt 1968, S.298;
87 ebd., S.350;
88 ebd., S.350;
89 Zigann, H.: a.a.O., S.120;
90 Child, I.L.: Artikel Sozialisation, in: Bernsdorf,W.: Wörterbuch der Soziologie,
Bd.3, Stuttgart 1972, S.763;
91 Zigann, H.: a.a.O., S.121;
92 Claessens, D.: Familie und Wertsystem, Berlin 1967, S.27;
93 Hillebrandt, F.A.: Die soziale Erziehung des Kindes, Wien 1981, S.14;
94 ebd., S.17;
95 ebd., S.18;
96 ebd., S.19;
97 ebd., S.180;
98 vgl. Nave-Herz, R.: Familiäre Veränderungen seit 1950 -eine empirische Stu
die-, Teilstudie BRD, Universität Oldenburg, Institut für Soziologie, Oldenburg
1984, S.10;
99 Nave-Herz, R.: a.a.O., S.14;
100 vgl. Nave-Herz, R.: a.a.O., S.20;
101 Nave-Herz, R.: a.a.O., S.23;
234
102 vgl. Parsons, T.: Das Verwandtschaftssystem..., a.a.O., S.84ff.;
103 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.9;
104 vgl. Mitterauer, M.: Auswirkungen von Urbanisierung und Frühindustrialisie
rung auf die Familienverfassung am Beispiel des östereichischen Raumes, Minden
1978, S.64ff.;
105 Engfer, A.: Sozioökologische Determinanten des elterlichen Erziehungsver-
haltens, in: Erziehungsstilforschung, Bern und Stuttgart und Wien 1980, S.126;
Engfer stellt fest, daß die "Entwicklung des Kindes" unterschiedlich bewertet
wird: Aries und Bronfenbrenner bewerten den Wechsel vom "freien Lernen" in
der alten Sozialität zur modernen Gesellschaft der Gegenwart eher negativ, wogegen
de Mause und Shorter die Geschichte des Kindes von der Antike bis zur
Gegenwart eher als progressiv bewerten;
106 vgl. Mause, L. de: Hört ihr die Kinder weinen, Frankfurt a.M. 1977;
107 Zigann, H.: a.a.O., S.17;
108 Mühlfeld, C.: a.a.O., S.47;
109 vgl. Mühlfeld, C.: a.a.O., S.56f.;
110 Zigann, H.: a.a.O., S.19;
111 Neidhardt, F.: Schichtenspezifische Einflüsse im Sozialisationsprozeß, in:
Wurzbacher, G.: Die Familie als Sozialisationsfaktor, Stuttgart 1968, S.185;
112 Zigann, H.: a.a.O., S.77f.;
113 Nave-Herz, R.: Familiäre Veränderungen..., a.a.O., S.14; Die Veränderun
gen der funktionalen Bezüge der Familie zur Gesellschaft geht mit deren
Strukturveränderungsprozessen
einher und sind so nicht als Funktionsverlust zu verstehen;
114 Borneman, E.: a.a.O., S.9ff.;
115 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.70;
116 Beck-Gernsheim, E.: Das halbierte Leben, Frankfurt a.M. 1980, S.29;
117 Gaupp, A.: Psychologische Probleme der Familienerziehung, in: Hetzer, H.:
Handbuch der Psychologie, Bd 10 Pädagogische Psychologie, Göttingen 1959,
S.336;
235
118 Bednarik, K.: Die Krise des Mannes, in: Mann und Frau -schon Partner?,
Zürich 1973, S.135;
119 Schelsky, H.: Soziologie der Sexualität, Reinbeck 1970, S.17;
120 vgl. Pross, H.: Die Männer, Reinbeck 1978, S.28;
121 Eckert, R.: Geschlechtsrollen im Wandel gesellschaftlicher Arbeitsteilung, in:
ders.: Geschlechtsrollen und Arbeitsteilung, München 1979, S.236;
122 Parsons, T.: Über wesentliche Ursachen und Formen der Aggressivität in der
Sozialstruktur westlicher Industriegesellschaften, in: ders.: Beiträge zur soziologischen
Theorie, Neuwied und Berlin 1964, S.243;
123 in: Gerhardt, U.: Verhältnisse und Verhinderungen, Frankfurt a.M. 1978,
S.262;
124 Beck-Gernsheim, E.: Das halbierte Leben, a.a.O., S.29;
125 ebd., S.33f.;
126 ebd., S.40;
127 vgl. Beck-Gernsheim, E.: Das halbierte..., a.a.O., S.96;
128 Richter, H.E.: Lernziel Solidarität, Hamburg 1981, S.42f.;
129 Zigann, H.: a.a.O., S.63;
130 Krüger, D.: Trends und Tendenzen in der häuslichen Arbeitsteilung unter
rollentheoretischer Perspektive, in: Nave-Herz, R.: Familiäre Veränderungen...,
a.a.O., S.177f.;
131 ebd., S.177;
132 in: Krüger, D.: a.a.O., S.178;
133 ebd., S.179;
134 in: Krüger, D.: a.a.O., S.180;
135 vgl. Krüger, D.: a.a.O., S.181;
136 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.116;
137 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.117;
236
138 Zigann, H.: a.a.O., S.118;
139 Krüger, D.: a.a.O., S.202-204;
140 Mühlfeld, C.: a.a.O., S.120;
141 Zigann, H.: a.a.O., S.36;
142 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.36;
143 Zigann, H.: a.a.O., S.36;
144 Zigann, H.: a.a.O., S.37;
145 Matthes, J.: Einführung in das Studium der Soziologie, Reinbek 1973, S.209;
146 König, R.: Materialien zur Soziologie der Familie, Köln 1974, S.93;
147 Mühlfeld, C.: a.a.O., S.15; in Klammern v. Vf.;
148 ebd., S.16-42;
149 König, R.: Soziologie der Familie, in: ders.: Handbuch der empirischen So-
zalforschung, Bd 2, Stuttgart 1969; Bd.7, Stuttgart 1976, S.173ff.;
150 Bösel, M.: Lebenswelt Familie, Frankfurt a.M. und New York 1980, S.22;
151 Zigann, H.: a.a.O., S.131;
152 vgl. Zigann, H.: a.a.O., S.131;
153 Wallner, E.M.; Pohler-Funke, M.: Soziologie der Kindheit, Heidelberg 1978,
S.57;
154 Zigann, H.: a.a.O., S.13; Hvg. v. Vf.;
155 ebd., S.13;
156 ebd., S.14; vgl. auch Claessens, D.: Familie..., a.a.O., S.59;
157 Wallner, E.M. et al.: a.a.O., S.24;
158 Die Entwicklung des moralischen Bewußtseins als sukzessiver Prozeß der
Rolleninternalisierung in Stadien der Persönlichkeitsentwicklung wird dargestellt
in: Kay, W.: Die moralische Entwicklung des Kindes, Düsseldorf 1975, S.63-159;
vgl. auch: Wallner, E.M. et al.: a.a.O., S.25ff.;
237
159 Wurzbacher, G.: Der Mensch als soziales und personelles Wesen, Stuttgart
1963, S.8f.;
160 ebd., S.15f.;
161 ebd., S.18;
162 vgl. Freud, S.: Massenpsychologie und ICH-Analyse, Gesammelte Werke
Band 13, 1952, S.115f.;
163 vgl. Kreppner, K.: Sozialisation in der Familie, in: Hurrelmann, K.; Ulich, D.:
Handbuch..., a.a.O., S.396;
164 vgl. Kreppner, K.: a.a.O., S.397;
165 vgl. Bösel, M.: a.a.O., S.67ff.;
166 vgl. Bösel, M.: a.a.O., S.10;
167 vgl. Bösel, M.: a.a.O., S.106;
168 ausführlich in Kapitel 4.6.2. (Habermas)
169 Hillebrandt, F.A.: a.a.O., S.202;
170 Bösel, M.: a.a.O., S.121;
171 Dahrendorf, R.: Homo Sociologicus, Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung
und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, Köln und Opladen 1964, S.16-21;
172 ebd., S.27f.;
173 ebd., S.33;
174 ebd., S.45-60;
175 Popitz, H.: Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen
Theorie, Tübingen 1967, S.481ff.;
176 vgl. Joas, H.: Rollen- und Interaktionstheorien in der Sozialisationsforschung,
in: Hurrelmann, K.; Ulich, D.: Handbuch der..., a.a.O., 150f.;
177 vgl. Joas, H.: a.a.O., S.152;
178 vgl. Kapitel 4.4. und Joas, H.: a.a.O., S.152f.;
238
179 vgl. Habermas, J.: Kultur und Kritik,Frankfurt 1973,S.126f.;
180 vgl. Meinberg, E.: Das Menschenbild der modernen Erziehungswissenschaft,
Darmstadt 1988, S.157;
181 vgl. Meinberg, E.: a.a.O., S.164;
182 vgl. Joas, H.: a.a.O., S.148;
183 vgl. Kapitel 4.5.;
184 vgl. Joas, H.: a.a.O., S.150-155;
Keller, M.: Kognitive Entwicklung und soziale Kompetenz. Zur Entstehung
der Rollenübernahme in der Familie und ihrer Bedeutung für den Schulerfolg,
Stuttgart 1976, S.151f.;
186 Joas, H.: a.a.O., S.156f.;
187 Popitz, H.: a.a.O., S.7;
188 ebd., S.10;
189 ebd., S.16;
ebd., S.28;
191 ebd., S.39;
192 Parsons, T.; Bales, R.F.: Family, Socialization and Interaction Process, Glen
coe 1960, S.357;
193 vgl. Parsons, T.: The Social System, New York 1951a, S.205;
194 vgl. Parsons, T.: The Social..., a.a.O., S.66-76;
Gouldner, A.W.: Reziprozität und Autonomie, Frankfurt a.M. 1984, S.38-49;
196 ebd., S.50-60;
197 ebd., S.79-91;
198 unveröffentlichte Lesung TUB WS 95;
199 in: Gouldner, A.W.: a.a.O., S.94;
ebd., S.97-108;
201 Wallner, E.M.; Pohler-Funke, M.: Soziologie der..., a.a.O., 64f.;
239
202 Mead, G.H.: Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt 1968, S.90ff.;
203 Ders.: Das Problem der Gesellschaft. Wie der Mensch zum ICH wird, in:
ders.: Sozialpsychologie, Neuwied und Berlin 1969, S.79ff.;
204 vgl. Kapitel 4.6.;
205 Goffman, E.: Stigma, Frankfurt a.M. 1980 (4), 74f.;
206 Goffman, E.: Interaktion: Spaß am Spiel -Rollendistanz, München 1973,
S.95-109;
207 ebd., S.111-129;
208 ebd., S.171;
209 Habermas, J.: Kultur und Kritik, Frankfurt-M. 1977, S.12f.;
210 vgl. Habermas, J.: Kultur und Kritik, a.a.O., S.128f.;
211 Krappmann, L.: Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozia-
lisationsprozesse, in: Auswärter, M.; Kirsch, E; Schröter, M: Seminar. Kommuni-
kation, Interaktion, Identität, Frankfurt a.M. 1976, S.319ff.;
212 ebd., S.158;
213 vgl. Habermas, J.: Kultur und Kritik, a.a.O., S.135ff.;
214 vgl. Habermas, J.: Kultur und Kritik, a.a.O., S.1172;
215 vgl. Keller, M.: Kognitive..., a.a.O., S.35-59;
216 Keller, M.: Kognitive..., a.a.O., S.19-30;
217 Dahrendorf, R.: a.a.O., S.24;
218 Keller, M.: a.a.O., S.25f.;
219 vgl. Waller, M.: Zur Kritik der rollentheoretischen Orientierung in der
Sozialisationsforschung,
in: Walter, H.: Sozialisationsforschung. Bd.1, Stuttgart 1973,
S.217;
220 vgl. Keller, M.: a.a.O., S.93f.;
221 vgl. Wallner, E.M. et al.: a.a.O., S.112f.;
240
222 Kentler, H.: Repressive und nichtrepressive Sexualerziehung im Jugendalter,
München 1971, S.12-20;
223 Reiche, R.: Sexualität und Klassenkampf, Frankfurt a.M. 1968, S.37-45;
224 Neidhardt, F.: Die Familie in Deutschland, Opladen 1966, S.61f.;
225 vgl. Ulich, D.: Lern- und Verhaltenstheorien in der Sozialisationsforschung,
in: Hurrelmann K.; ders.: Handbuch der..., a.a.O., S.75;
226 vgl. Ulich, D.: Lern- und..., a.a.O., S.94f.;
227 vgl. Neubauer, E.Ch.: a.a.O., S.54f.;
228 vgl. Lukesch, H.: Elterliche Erziehungsstile. Psychologische und soziologische
Bedingungen, Stuttgart 1976;
229 vgl. Schneewind, K.A.: Elterliche Eziehungsstile: Einige Anmerkungen zum
Forschungsgegenstand, in: Erziehungsstilforschung, Bern, Stuttgart, Wien 1980,
S.15;
230 vgl. Lukesch, H.: a.a.O., S.90ff.;
231 vgl. Schneewind, K.A.: Elterliche Eziehungsstile..., a.a.O., S.19f.;
232 vgl. auch Brockhaus 1973, Band 18, S.134;
233 vgl. Geulen, D; Hurrelmann, K.: Zur Programmatik einer..., a.a.O., S.55ff.;
234 vgl. Geulen, D; Hurrelmann, K.: a.a.O., S.63, Hvg. v.Vf.;
235 vgl. Geulen, D; Hurrelmann, K.: a.a.O., S.65;
236 Lukesch, H.: a.a.O., S.27;
237 Lukesch führt überdies die Brauchbarkeit der Lerntheorien von Rotters
(1972), der Attributionstheorie (Zusammenfassung von Kelley 1973, Schneewind
et al. 1975), sowie der Einstellungsforschung (Engfer et