Available via license: CC BY 4.0
Content may be subject to copyright.
Die Onkologie
vormals
Der Onkologe
Psychoonkologie
Onkologie
https://doi.org/10.1007/s00761-023-01349-2
Angenommen: 31. März 2023
© Der/die Autor(en) 2023
Kommunikativer Umgang mit
Angst und Depressivität bei
Krebspatienten im Arzt-
Patienten-Gespräch
Gregor Weißflog1· Heide Götze
1Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Leipzig,
Leipzig, Deutschland
QR-Code scannen &Beitrag online lesen
Zusammenfassung
Hintergrund: Viele Krebspatienten leiden im Verlauf ihrer Erkrankung und
-behandlung, aber zum Teil auch Jahre nach Abschluss der Behandlung unter
psychischen Belastungen wie Angst und Depressivität.
Ziel der Arbeit: Diese Übersichtsarbeit informiert auf der Basis des aktuellen
Forschungsstands darüber, wie im Arzt-Patienten-Kontakt Symptome von Angst
und Depression erkannt, schweregradmäßig eingeordnet und mithilfe adäquater
Kommunikation gelindert werden können und bei Bedarf weitere Experten mit
einbezogen werden („stepped care“).
Ergebnisse: Für eine erste valide Einschätzung von Angst und Depressivität
liegen Screeninginstrumente vor, die leicht im persönlichen Arzt-Patienten-
Gespräch einsetzbar sind. Eine patientenzentrierte Kommunikation hilft in
Gesprächen der regulären onkologischen Versorgung, Angst und Depressivität
der Patienten zu lindern. Diese Patientenzentrierung kann dabei u. a. durch
adäquate Informationsbereitstellung, die Unterstützung der Patientenautonomie
und auch durch die Förderung einer Toleranz für Ungewissheit kommunikativ mit
Leben gefüllt werden. Konkret kann dies durch anxiolytisch und antidepressiv
wirkende Kommunikationsstrategien und -techniken wie z. B. „pacing and leading“,
Reorientierungsübungen und den Rückgriff auf „mastery“ erreicht werden. Des
Weiteren wird im Beitrag ein Fokus auf das COMSKIL-Modell gerichtet, das einen
theoretischen Rahmen für die konkreten Kommunikationstechniken bereitstellt. Es
liegt ebenso als Kommunikationstrainingsprogramm für onkologisch Tätige vor. Vor
dem Hintergrund des Stepped-care-Ansatzes ist es hilfreich, Patienten bei Bedarf über
psychoonkologische Versorgungsangebote vor Ort informieren zu können.
Schlüsselwörter
Angst · Depressivität· Arzt-Patienten-Interaktion· Patientenzentrierte Kommunikation · Gestufte
Versorgung
Viele Krebspatienten leiden im Verlauf
ihrer Erkrankung und -behandlung, aber
zum Teil auch Jahre nach Abschluss der
Behandlung unter psychischen Belas-
tungen [24,28,29]. Wie durch zahlreiche
Metaanalysen belegt, gehören Depressi-
ons- und Angstsymptome und die durch
diese Symptome konstituierten Störun-
gen zu den häufigsten psychischen Fol-
gen nach Krebs [26,27,31]. Angesichts
der Tatsache, dass Depressionen und
Angststörungen nicht nur persönliches
Leid für die betroffene Person bedeuten,
sondern auch von enormer Relevanz für
unser Gesundheitssystem sind, ist eine
sensible Beachtung von Depressions-
und Angstsymptomen in jedem Arzt-Pa-
tienten-Gespräch von großer Bedeutung
[1].
Die Onkologie 1
Psychoonkologie
Tab. 1 Anzeichen und Symptome von Depression und Angst (basierend auf ICD-10)
Gedrückte Stimmung
Verminderung von Antrieb und Aktivität
Freudlosigkeit und Interessenverlust
Verminderte Konzentrat ion
Ausgeprägte Müdigkeit auch nach kleinen Anstrengungen
Schlafstörungen (z.B. Früherwachen)
Verminderter Appetit, Gewichtsverlust
Libidoverlust
Geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
Schuldgefühle oder Gefühle der Wertlosigkeit
Depression
(v.a. F32, F33)
Wiederkehrende Gedanken an Tod oder Suizid
Autonome Erregung (z.B. Nervosität, Unruhe, Herzrasen, Schwitzen, Zittern,
Mundtrockenheit)
Körperliche Symptome (z. B. Atembeschwerden, Erstickungsgefühl, Brust-
schmerzen, Übelkeit, Hitzewallungen oder Schüttelfrost, Taubheit oder Krib-
beln, Muskelverspannungen, Schluckbesc hwerden)
Kognitive und psychi sche Symptome (z. B. Schwindelgefühl, Benommen-
heit, Entfremdungsgefühle (Depersonalisati onode r Derealisation), Angst vor
Kontrollverlust, Todesangst, Konzentrationsschwierigkeiten,Reizbarkeit)
Angst (v.a.
F40, F41, F43)
Einschlafschwierigkeitenaufgrund von Sorgen
Depressivität und Angst bei
Krebspatienten
Depressionen und Angststörungen sind
häufige, aber bisweilen vernachlässigte
Folgen von Krebs, die einen negativen
Einfluss auf die Lebensqualität, die The-
rapieadhärenz, das Krebsüberleben und
die Behandlungskosten haben können
[29]. Etwa 20 % der Krebspatienten lei-
den unter Depressio nen und 10 % unter
Angststörungen und weisen damit hö-
here Prävalenzraten im Vergleich zur
Allgemeinbevölkerung auf [26].
Depressive Störungen sind durch eine
gedrückte Stimmung, Antriebsminderung
oder Interessenverlust gekennzeichnet,
begleitet von anderen kognitiven, ver-
haltensbezogenen oder neurovegetativen
Symptomen, die die Funktionsfähigkeit
des Individuums erheblich beeinträch-
tigen [7]. Angststörungen sind durch
übermäßige Furcht und Angst und da-
mit verbundene spezifische assoziierte
Kognitionen und Verhaltensstörungen
gekennzeichnet, wobei die Symptome so
schwerwiegend sind, dass sie mit einer
erheblichen Belastung oder Funktionsbe-
einträchtigung einhergehen. Die Angst
kann dabei eine Reaktion auf eine wahr-
genommene unmittelbare Bedrohung in
der Gegenwart als auch auf eine erwartete
Bedrohung in der Zukunft sein. Angststö-
rungen unterscheiden sich hinsichtlich der
angstauslösenden Reize oder Situationen
[7]. .Tab. 1enthält eine Übersicht der
häufigsten Anzeichen und Symptome.
Progredienzangst
Die Angst vor einem erneuten Auftre-
ten oder Fortschreiten der Erkrankung,
die sogenannte Progredienzangst (oder
Rezidivangst), ist eines der häufigsten
psychischen Probleme bei Krebspatienten
[18]. Dabei unterscheidet sich Progredi-
enzangst von anderen Angststörungen
durch die starke Verknüpfung mit der exis-
tenziellen Bedrohung durch die Krebser-
krankung einschließlich der eigenen kör-
perlichen Unversehrtheit [23]. Folgen von
Progredienzangst können sein: erhöhte
Besorgnis, Vermeidung oder erhöhte In-
anspruchnahme von Arztbesuchen und
Untersuchungen, Hypervigilanz gegen-
über Symptomen sowie die Unfähigkeit,
die Zukunft zu planen [4,6].
„Stepped care“
Für die klinischen Versorgungsabläufe
im Zusammenhang mit der Identifika-
tion von Angst und Depressivität, der
Schweregradeinschätzung und der Ver-
ortung der adäquaten Interventionen im
Kontext onkologischer Erkrankungen exis-
tieren verschiedene nationale Strategien
[1,3,5]. Der Beitrag konzentriert sich im
Wesentlichen auf die Schritte 1 und 2
(reguläre und supportive Versorgung)
des in .Abb. 1dargestellten Stepped-
care-Modells [5]; es geht darum, Angst
und depressive Symptome im Arzt-Pati-
enten-Gespräch zu erkennen und mithilfe
kommunikativer Fertigkeiten zu lindern.
Schweregradeinschätzung
Für die rasche Einschätzung des Schwere-
grads der Depressivität und der Angst im
Arzt-Patienten-Kontakt empfiehlt sich der
Einsatz des im Internet frei ver fügbaren Ul-
trashort-Screeninginstruments PHQ-4(vgl.
.Tab. 2;[16]). Im PHQ-4 repräsentiert ein
Wert ≥6 eine „gelbe“ Flagge und ein Wert
≥9 eine „rote“ Flagge für das Vorliegen ei-
ner Angst- bzw. depressiven Störung [20].
Für Spezifika des Umgangs mit Angst
und Depression in der palliativen Behand-
lungssituation sei an dieser Stelle auf ent-
sprechend vorliegende „standard operat-
ing procedures“ aus der Reihe „SOPs zur
palliativen Versorgung von Patienten im
Netzwerk der deutschen Comprehensive
Cancer Center “ (z. B. [14]) und die spezifi-
sche Leitlinie [2] verwiesen.
Patientenzentrierte
Kommunikation
Die relevante und sich derzeit in Aktualisie-
rungbefindlicheS3-Leitliniezur psychoon-
kologischen Diagnostik, Beratung und Be-
handlung von erwachsenen Krebspatien-
ten [3,32] betont die Wichtigkeit patien-
tenzentrierter Kommunikation in der On-
kologie:
„Auf die besonderen Erfordernisse von Men-
schen mit Krebserkrankungen abgestimmt,
denieren [9] . .. Ziele und Aufgaben patienten-
zentrierter Kommunikation anhand von sechs
ineinandergreifenden Funktionen: (1) För-
dern einer hilfreichen, ,heilsamen‘ Beziehung,
(2) Austausch von Informationen, (3) Um-
gehen mit Emotionen, (4) gemeinsame Ent-
scheidungsndung zum weiteren Vorgehen,
(5) Toleranz für Ungewissheit fördern, (6) Unter-
stützen von Selbstbestimmung, Kontrolle und
Handlungsfähigkeit. Die aufgeführten Funk-
tionen, die sich an konkreten kommunikativen
Zielen und Notwendigkeiten für Krebspatien-
2Die Onkologie
SCREENING
nicht belastet belastet
Diagnosk
inklusive Risikoeinschätzung
Überwiegend körperliche
oder praksche Probleme
Andere geeignete klinische
Behandlungspfade
Überwiegend psychische
Probleme
klinische Behandlungspfade
für Angst/Depressivität
Beispiele
Körperliche Symptome wie z.B.
Schmerz
Æ
Einbeziehung
Schmerztherapie
Praksche Probleme, z.B.
finanzieller Art
Æ
Einbeziehung Sozialarbeit
Minimale
Angst/Depressivität
Milde - milere
Angst/Depressivität
Milere
Angst/Depressivität
Moderate - starke
Angst/Depressivität
starke
Angst/Depressivität
STEP 1
Reguläre Versorgung:
Informaon und
Beratung
STEP 2
Supporve Versorgung:
Psychoedukaon,
emoonale Unterstützung
& Selbsthilfe
STEP 3
Erweiterte Versorgung:
Psychosoziale
Beratung
STEP 4
Spezialisierte Versorgung:
Ausgewiesene
Fachärzte/Therapeuten
(Psychiatrie/Psychother.)
STEP 5
Akutversorgung:
Noallstaon oder
Akutpsychiatrie
Wenn das Risiko einer Eigen- oder
Fremdgefährdung und/oder einer
akuten Krise diagnosziert wird,
muss eine SOFORTIGE Überweisung
an eine akute psychiatrische Klinik/
Notaufnahme zur schnellen
Indikaonsstellung und Behandlung
in Betracht gezogen werden.
Distress-Screening zu klinisch
bedeutsamen Zeitpunkten wie
Diagnosestellung, Rezidiv, Progression
oder nach Bedarf; z.B. mit dem NCCN
Distress-Thermometer, klinischer
Cut-off-Wert ≥ 5
Abb. 1 8Klinische Behandlungspfadeund „stepped care“. (Nach [5,S.990])
ten orientieren, implizieren eine kommunika-
tive Grundkompetenz bzw. Haltung, die nicht
auf umschriebene Regeln oder Gesprächstech-
niken, so genannte ,skills‘, beschränkt ist ...“[3,
S. 82]
Was tun bei Krisen (mit akuter
Angst und Depressivität)?
Für den Onkologen ist das Gespräch mit
Patienten (ein weitgehend gefühlsneutra-
les) Alltagsgeschehen, für Patienten und
Angehörige kann dies jedoch eine extreme
seelische Ausnahmesituation mit höchster
affektiver Anspannung bedeuten [30]bis
hin zu einer akuten psychischen Krise
[8]. Ziel des kommunikativen Umgangs
mit Krisen mit Angst und Depressivität
sollte immer die Vermittlung von Sicher-
heit für die Patienten mittels emotionaler
Entlastung, Stabilisierung, Hoffnungsrück-
gewinnung und Zuversicht sein. Eine an-
gemessene Informationsvermittlung kann
dabei bereits angstlindernd bzw. antide-
pressiv wirken. Indem gemeinsam mit
dem Patienten Angstinhalte geklärt und
konkretisiert werden, lassen sich gege-
benenfalls unangemessene Erwartungen
und Befürchtungen bezogen auf die Er-
krankung und Behandlung korrigieren
[30]. Für das konkrete verbale Verhal-
ten können die hypnotherapeutischen
Basisfähigkeiten „pacing“ („den anderen
da abholen, wo er/sie ist“) und „leading“
(„Führen im Sinne des aktiven Einbrin-
gens konkreter Vorschläge, z. B. zur Be-
handlung“) sehr hilfreich sein [8, S. 667].
Dies sei an einem wörtlichen Beispiel illus-
triert: „Die Situation ist ernst (entspricht:
,pacing‘). Wir werden alles, was möglich
ist, tun und das wird sein: erstens, zwei-
tens, drittens ... Statistisch müssen wir
mit ,X‘ rechnen, aber im Einzelfall haben
wir auch ganz erstaunliche Erfahrungen
gemacht, z. B. .. . (entspricht ,leading‘; un-
auällige positive Suggestion).“ Ebenso
hilfreich und kurzfristig umsetzbar ist nach
einem entsprechenden „pacing and lea-
ding“ („Das ist eine schwere Zeit für Sie.
Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie
wir beide zusammen es vielleicht etwas
erträglicher für Sie gestalten können.“)
das kommunikative und aktive Herbeifüh-
ren von kurzfristigen Fokusveränderungen
aufseiten des Patienten. Mithilfe der kur-
zen Reorientierungsübung 5-4-3-2-1 wird
Die Onkologie 3
Psychoonkologie
Tab. 2 Patient Health Questionnaire(PHQ-4)
Wie stark fühlten Sie sich im Verlauf der letzten 2 Wochen durch die folgenden Beschwerden beeinträchtigt?
Überhaupt nicht An einzelnen
Tagen
An mehr als der Hälfte
der Tage
Beinahe jeden
Tag
1. Wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten 0 1 2 3
2. Niedergeschlagenheit,Schwermut oder Hoff-
nungslosigkeit
0 1 2 3
3. Nervosität, Ängstlichkeit ode r Anspannung 0 1 2 3
4. Nicht in der Lage sein, Sorgen zu stoppen oder zu
kontrollieren
0 1 2 3
Tab. 3 Kommunikationstechniken zum Ausdruck von Emp athie und zur Reaktion auf emotionaleHinweisreize des Patienten (unter Anwendung des
COMSKIL-Modells).(Modifiziert nach [25])
Kommunikations-
technik
Beschreibung Beispiel
Klärung der Äuße-
rungen des Patienten
Nachfragen, um ein gemeinsames Verständnis der
Emotionen des Patienten zu erarbeiten
„Sie wirken auf mich heute sehr angespannt. Was belastet Sie?“
„Wasmeinen Siedamit, wenn Sie sagen...?“
Verwendung offener
Fragen
Stellen von Fragen, die dem Patienten erlauben,
eigene Belange anzusprechen – seien sie medizini-
scheroderpsychosozialerArt
„Was bedrückt Sie? Ich würde gern verstehen, wie Sie sich fühlen und
was Sie belastet.“
„Bitte erzählen Sie mir, was Ihnen konkret Angst macht.“
Würdigung des Be-
findens des Patienten
Ausdruck der wertschätzenden Anerkennung der
Gefühle und Erfahrungen des Patienten
„Das muss eine harte Zeit für Sie gewesen sein.“
„Es scheint, als ob Ihre Ängste inzwischen etwas geringer geworden
sind.“
Normalisierung Ausdruck der Normalität der emotionalen Reak-
tionen des Patienten bezüglich der jeweiligen
Situation
„Es geht ganz vielen Patienten so.“
Validierung Ausdruck der Angemessenheit/Verständlichkeit
der emotionalen Reaktionen des Patienten auf die
jeweilige Situation oder Erfahrung
„Esistverständlich,dassSieAngsthaben.“
„Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich manchmal niedergeschla-
gen fühlen.“
Ermutigung des Pati-
enten zum Gefühlsaus-
druck
Frage nach der aktuellen Gefühls-/Stimmungslage
des Patienten
„Es ist sehr wichtig für mich zu verstehen, wie Sie mit all diesen Be-
lastungen emotional umgehen.“
Anerkennung
der Belastungen/
Anstrengungen des
Patienten
Ausdruck der Anerk ennung der Leistungen des
Patienten, mit Behandlung, Nebenwirkungenoder
Lebensstilveränderungen umzugehen
„Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie Sie mit den Nebenwirkun-
gen der Chemotherapie umgehen.“
„Es hört sich an, als ob Sie während der Behandlung gut für sich
gesorgt haben.“
die Aufmerksamkeit unter Einbeziehung
derfünfSinnebewusstaufdas„Hier
und Jetzt“ im Behandlungszimmer statt
auf die mental präsentierte Bedrohung
im Zusammenhang mit der Erkrankung
und Behandlung gelenkt: „Nennen Sie
mir 5 Dinge, die Sie sehen, z. B. die blau
sind ..., 4 Dinge, die Sie hören ..., 3 Din-
ge, die Sie mit Ihrer Haut spüren/fühlen,
2 Dinge, die Sie riechen, 1 Sache, die Sie
schmecken.“
Eine weitere potenziell anxiolytische
und antidepressive Fokusveränderung
kann schließlich auch der Einbezug von
„mastery“ (Rückgri auf erfolgreich ge-
meisterte Krisen in der Biograe der Pa-
tienten) sein. Für eine entsprechende
Exploration im Gespräch eignen sich fol-
gende Fragen: „Waren Sie in Ihrem Leben
schon einmal ernsthaft erkrankt oder in
einer Krise, in der Sie starke Angst hatten
oder sehr niedergeschlagen waren? Was
hat Ihnen damals geholfen?“ Patienten
sollten dann ermuntert werden, diese
damals als hilfreich erlebten Strategien
erneut auszuprobieren.
Wichtig für die Kommunikation in Kri-
sensituationen ist weiterhin, auf die Über-
einstimmung des eigenen nonverbalen
und verbalen Verhaltens zu achten. Auch
Besonderheiten der Mimik und Gestik der
Patienten sind im Blick zu behalten; z. B.
zeigen häufige irreguläre Handbewegun-
gen am Körper (Nesteln) erhöhten Stress
bzw.Angstan[17]. Hier sollte im Kontakt
darauf geachtet werden, dass unruhige
Bewegungsmuster des Patienten nicht
unbewusst übernommen werden und das
eigene nonverbale Verhalten Ruhe und
Sicherheit vermittelt. Weitere detaillierte
Hinweise für den konkreten Umgang mit
psychoonkologischen Krisensituationen
finden sich in der Überblicksarbeit von
Wickert in dieser Zeitschrift [33]. Führt
die Kommunikation nicht zu einer Ver-
besserung des krisenhaften Geschehens
aufseiten des Patienten, sollte der Einsatz
einer temporären Psychopharmakothera-
pie erwogen werden [13].
Zusammenfassung: kommunikati-
ver Umgang mit Krisen
–Emotionale Entlastung und Stabilisie-
rung
–Vermittlung von Sicherheit und Hoff-
nung
4Die Onkologie
Abb. 2 8Übersicht zum COMSKIL-Modell. (Angelehnt an [5])
–Kongruente Kommunikation (Überein-
stimmung des eigenen nonverbalen
und verbalen Verhaltens)
–Nonverbales Verhalten des Patienten
beachten (z. B. Mimik und Gestik)
–Bei anhaltenden psychischen Krisen
bzw. Zunahme der psychischen Belas-
tung: Vermittlung an erweiterte bzw.
spezialisierte Versorgungsangebote
(siehe Stufen 3–5 im Stepped-care-
Modell, .Abb. 1), Psychopharmako-
therapie
Kommunikative Fertigkeiten – ein
Überblick
Im deutschsprachigen Raum existieren
mittlerweile mehrere Kommunikations-
trainingsprogramme für onkologisch tä-
tige Ärzte, die sich im Rahmen von
Forschungsprojekten als gut umsetzbar
erwiesen haben; zwei Überblicksarbei-
ten liegen hierzu vor [34]. Ein wichtiges
Kommunikationsmodell im Kontext on-
kologischer Versorgung ist das COMSKIL-
Modell [10,11]. Dieses Kommunikati-
onstrainingsprogramm hat das Ziel, eine
Bandbreite an Kommunikationsfertig-
keiten und -techniken im Umgang mit
Patienten und Angehörigen zu vermitteln,
damit diese je nach Gesprächssituation
und -ziel flexibel angewendet werden
können (.Abb. 2).
Eine wichtige Kommunikationsstrate-
gie beim Umgang mit Angst und Depres-
sivität im onkologischen Gespräch ist die
empathische Berücksichtigung der emo-
tionalen Reaktionen des Patienten sowie
das angemessene Reagieren darauf. Da-
zu können je nach Situation verschiede-
ne Kommunikationstechniken angewen-
det werden, die in .Tab. 3näher be-
schrieben sind. Daneben sollten kontex-
tuelle Aspekte (sogenannte Prozessaufga-
ben) berücksichtigt werden, wie z. B. die
Aufrechterhaltung des Blickkontakts, das
Einräumen von Zeit zur Sammlung und
zur Aufnahme der Informationen („Es ist
vollkommen in Ordnung, wenn Sie kurz
nachdenken.“), das Bereitstellen von Ta-
schentüchern sowie die Förderung von Zu-
versicht, Hoffnung und Beruhigung. Unter-
brechungen und vorzeitige Beschwichti-
gungen („Sie brauchen keine Angst zu ha-
ben.“ oder „Sie müssen nicht beunruhigt
sein.“) sollten vermieden werden.
Einbeziehung psycho-
onkologischer Versorgungs-
angebote
Sind Angst und Depressivität im kom-
munikativen Umgang mit den Patienten
nicht nachhaltig zu lindern und persistie-
ren, ist die Einbeziehung entsprechend
ausgebildeter Behandler sowie ausge-
wiesener Institutionen im Rahmen des
vorgestellten Stepped-care-Ansatzes not-
wendig (z. B. [19,21]). Dann sollte über
psychosoziale Unterstützungsmöglichkei-
ten (Stufe 3 und 4 in .Abb. 1)informiert
werden. Hierfür ist es wichtig, sich einen
Überblick über Strukturen und Abläufe
der psychoonkologischen Versorgungs-
angebote vor Ort zu verschaffen: Gibt es
in meiner Klinik einen psychoonkologi-
schen Konsildienst bzw. welche Fachab-
teilung ist bzw. welche Fachabteilungen
sind für die psychologische M itbetreuung
von Krebspatienten zuständig? Gibt es in
meiner Stadt/in der Nähe eine ambulan-
te psychosoziale Krebsberatungsstelle?
Wie erfolgt die Zuweisung der Patienten
zu diesen stationären und ambulanten
Angeboten? Weitere Informationen zu
spezifischen psychoonkologischen Inter-
ventionen, auch zur Linderung von Angst
und Depressivität, werden unter anderem
in den Arbeiten von Herschbach und
Mehnert-Theuerkauf vorgestellt [12,22].
Fazit für die Praxis
4Angst- und Depressionssymptome treten
im Kontext von Krebserkrankungen häu-
fig auf.
4Im Rahmen eines Stepped-care-Ansatzes
ist eine Schweregradeinschätzung der
Symptome besonders wichtig für die Ver-
ortung adäquater Interventionen. Hierfür
sind entsprechende Screeninginstrumen-
te vorhanden, die leicht im persönlichen
Arzt-Patienten-Gespräch einsetzbar sind.
4Eine patientenzentrierte Kommunikation
hilft bereits in Gesprächen der regulären
onkologischen Versorgung Angst und De-
pressivität zu lindern. Im Beitrag werden
hierzu konkrete anxiolytisch und antide-
pressiv wirkende Kommunikationsstrate-
gien und -techniken beschrieben, welche
auch bei Krisensituationen eingesetzt
werden können.
Die Onkologie 5
4Ein Fokus wird dabei auf das COMSKIL-
Modell gerichtet. Dieses liegt auch als
Kommunikationstrainingsprogramm ne-
ben anderen vergleichbarenProgrammen
für onkologisch tätige Ärzte vor.
4Ebenso hilfreich sind für psychisch belas-
tete Krebspatienten Informationen über
Strukturen und Abläufe der psychoonko-
logischen Versorgungsangebote vor Ort.
Korrespondenzadresse
Dr. rer. med. Gregor Weißflog
Abteilung für Medizinische Psychologie und
Medizinische Soziologie, Universitä tsklinikum
Leipzig
Philipp-Rosenthal-Str. 55, 04103 Leipzig,
Deutschland
gregor.weissflog@medizin.uni-leipzig.de
Funding . Open Access funding enabled and organi-
zed by Projekt DEAL.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. G. Weißflog und H. Götze geben
an, dass kein Interessenkonfliktbesteht.
Für die Erstellungdieser Übersichtsarbeit wurden
keineUntersuchungenanMenschenoderTieren
durchgeführt.
Open Access.Dieser Artikel wird unter der Creative
Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
veröffentlicht,welche die Nutzung, Vervielfältigung,
Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabein jegli-
chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die
ursprünglichenAutor(en)und dieQuelleordnungsge-
mäß nennen, einen Link zur Creative CommonsLizenz
beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom-
men wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges
Drittmaterial unterliegen ebenfallsder genannten
Creative Commons Lizenz, sofern sich au s der Abbil-
dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be-
treffendeMaterial nicht unter der genannten Creative
Commons Lizenz steht und die betreffendeHandlung
nicht nach gesetzlichen Vorschriftenerlaubt ist, ist für
dieobenaufgeführtenWeiterverwendungendesMa-
terials die Einwilligung des jeweiligenRechteinhabers
einzuholen.
Abstract
Communication strategies in doctor-patient-conversations when
cancer patients are anxious or depressed
Background: Manycancer patients suffer from psychological stress such as anxiety and
depression during the course of their disease and treatment, but sometimes also years
after completion of treatment.
Aim: Based on the current state of research, this review provides information on
how symptoms of anxiety and depression can be recognized during doctor–patient
interactions, classified in terms of severity, alleviated with the help of adequate
communication, and how other experts can be involved if necessary (stepped care).
Results: Validated screening instruments are available for a preliminary assessment of
anxiety and depressive symptoms. These instruments can be easily used in personal
doctor–patient conversations. Patient-centered communication helps to alleviate
patient anxiety and depression in conversations of regular oncology care. This
patient-centeredness can be promoted during communication by providing adequate
information, supporting patient autonomy, and promoting a tolerance for uncertainty.
Specifically, this can be achieved through anxiolytic and antidepressant communication
strategies and techniques such as pacing and leading,reorientation exercises,and
recourse to mastery. Furthermore, the article focuses on the COMSKIL model, which
provides a theoretical framework for concrete communication techniques. It is also
available as a communication training program for oncology professionals. Against the
background of the stepped care approach, it is helpful to be able to inform patients
about psycho-oncological care offers on site, if necessary.
Keywords
Anxiety · Depression · Physician-patientrelations · Patient-centeredcommunication· Stepped
care
WeitereDetails zur Lizenz entnehmen Sie bitte der
Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/
licenses/by/4.0/deed.de.
Literatur
1. AndersenBL, DeRubeis RJ, Berman BS et al (2014)
Screening, assessment, and care of anxiety and
depressive symptoms in adults with cancer: an
American Society of Clinical Oncology guideline
adaptation.J ClinOncol32:1605–1619
2. AWMF (2020) Erweiterte S3-Leitlinie Pal-
liativmedizin für Patienten mit einer
nicht-heilbaren Krebserkrankung. https://
www.leitlinienprogramm-onkologie.de/
fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/
Palliativmedizin/Version_2/LL_Palliativmedizin_
Langversion_2.2.pdf.Zugegriffen:1. März2023
3. AWMF (2014) S3-Leitlinie Psychoonkologische
Diagnostik, Beratung und Behandlung von er-
wachsenenKrebspatienten; Registernummer032-
051OL. https://register.awmf.org/de/leitlinien/
detail/032-051OL.Zugegriffen:1. März2023
4. ButowP,Kelly S, Thewes B et al (2015) Attentional
bias and metacognitions incancersurvivorswith
high fear of cancer recurrence. Psychooncology
24:416–423
5. Butow P, Price MA, Shaw JM et al (2015)
Clinical pathway for the screening, assessment
and management of anxiety and depression
in adult cancer patients: Australian guidelines.
Psychooncology24:987–1001
6. Curran L, Sharpe L, Butow P (2017) Anxiety in
the context of cancer: A systematic review and
development ofan integrated model. Clin Psychol
Rev56:40–54
7. DillingH, MombourW,SchmidtMH (2015)Interna-
tionale Klassifikation psychischer Störungen:ICD-
10KapitelV (F)– Klinisch-diagnostischeLeitlinien.
Hogrefe,Bern
8. Ebell H, Hönig K (2015) Krebserkrankungen.
In: Revenstorf D, Peter B (Hrsg) Hypnose in
Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin.
Springer,Heidelberg,S 665–686
9. Epstein R, Street R (2007) Patient-centered
Communication in Cancer care—Promoting
Healing and Reducing Suffering. National Cancer
Institue,Bethesda
10. Götze H, Weißflog G, Mehnert-Theuerkauf A et al
(2021) Training kommunikativer Fertigkeiten in
derOnkologie–Implementierung undPilotierung
des interprofessionellen COMSKIL-Gesprächs-
führungskurses am Universitären Krebszentrum
Leipzig(UCCL).Forum36:362–368
11. Hartung TJ, Kissane D, Mehnert A (2018) COMSKIL
communicationtraining inoncology—adaptation
to German cancer care settings. In: Goerling U,
MehnertA(Hrsg)Psycho-Oncology.RecentResults
inCancerResearch.Springer, Cham
12. Herschbach P (2015) Psychotherapeutische
und psychosoziale Interventionen bei Krebs.
Nervenarzt 86:274–281
13. Hesse M, Heydweiller K, Mücke M et al (2016)
Angst bei fortschreitenden Erkrankungen. Dtsch
MedizinischeWochenschrift 141:1229–1234
14. Hornemann B, Müller T, Hentschel L et al (2022)
SOP–Angst. DieOnkol28:1015–1021
15. Karger A, Bruns G, Petermann-Meyer A et
al (2022) Empfehlungen zur Umsetzung von
Kommunikationstrainings an Onkologischen
Zentrenin Deutschland.Forum 37:299–303
6Die Onkologie
16. Kroenke K, Spitzer RL, Williams JB et al (2009) An
ultra-brief screening scale foranxiety and depres-
sion:thePHQ-4.Psychosomatics50:613–621
17. LausbergH (2018)Selbstberührungenund andere
nonverbale Zeichen im ärztlichen Gespräch –
Non-, para- und verbale Kommunikationsaspekte.
In: Jünger J (Hrsg) Ärztliche Kommunikation –
Praxisbuchzum MasterplanMedizinstudium2020.
Schattauer,Stuttgart,S64–69
18. LebelS, Ozakinci G, Humphris G et al (2016) From
normal response to clinical problem: definition
and clinical features of fear of cancer recurrence.
SupportCare Cancer24:3265–3268
19. Lehmann-Laue A, Danker H, Schröter K et al
(2019) Psychosoziale Versorgung von Krebspati-
enten in einer Krebsberatungsstelle an einem
Universitätsklinikum – Empirische Ergebnisse
zu Patientenmerkmalen und Versorgungsbe-
dürfnissen. Psychother Psychosom Med Psychol
69:20–28
20. LöweB,WahlI,RoseMetal(2010)A4-itemmeasure
of depression and anxiety: validation and stan-
dardization of thePatient Health Questionnaire-4
(PHQ-4) in the general population. J Affect Disord
122:86–95
21. Mehnert-Theuerkauf A, Ernst J, Bruns G et al
(2021) Ambulante Krebsberatung: Stand und
Zukunftsperspektiven.Forum36:305–309
22. Mehnert-Theuerkauf A, Lehmann-Laue A (2019)
Psychoonkologie. Psychother Psychosom Med
Psychol69:141–156
23. Mehnert A, Berg P, Henrich G et al (2009)
Fear of cancer progression and cancer-related
intrusive cognitions in breast cancer survivors.
Psychooncology18:1273–1280
24. Mehnert A, Hartung TJ, Friedrich M et al (2018)
One in two cancer patients is significantly
distressed: prevalence and indicators of distress.
Psychooncology27:75–82
25. Mehnert A, Lehmann C, Härter M et al (2009)
COMSKIL – Ein innovativesKommunikationstrai-
ningskonzept. In: Arbeits gruppe Psychoonkologie
am Institut für Medizinische Psychologie des
Universitätsklin ikums Hamburg-Eppendorf (UKE),
Hamburg
26. MitchellAJ, ChanM, BhattiHetal(2011) Prevalence
of depression, anxiety, and adjustment disorder
in oncological, haematological, and palliative-care
settings: a meta-analysis of 94 interview-based
studies.Lancet Oncol12:160–174
27. Mitchell AJ, Ferguson DW, Gill J et al (2013)
Depression and anxiety in long-term cancer
survivors compared with spouses and healthy
controls: a systematic review and meta-analysis.
LancetOncol 14:721–732
28. Niedzwiedz CL, Knifton L, Robb KA et al (2019)
Depressionand anxiety among people living with
andbeyondcancer: agrowing clinical andresearch
priority.Bmc Cancer19:943
29. Pitman A, Suleman S, Hyde N et al (2018)
Depression and anxiety in patients with cancer.
BMJ361:k1415
30. Schwarz R, Singer S (2008) Exkurs: Das helfende
Gespräch.In: SchwarzR,Singer S(Hrsg) Einführung
Psychosoziale Onkologie. Ernst Reinhardt Verlag,
München,S229–233
31. Walker J, Holm Hansen C, Martin P et al (2013)
Prevalence of depression in adults with cancer:
asystematicreview.Ann Oncol24:895–900
32. Weis J, Brehm F, Hufeld J et al (2022) Die
Aktualisierung der S3-Leitlinie „Psychoonkolo-
gische Diagnostik, Beratung und Behandlung
von erwachsenen Krebspatienten“. Die Onkol
28:812–817
33. WickertM (2020)PsychoonkologischeKriseninter-
vention–Vom Umgangmitpsychischen Krisenim
onkologischenKontext.Onkologe26:157–162
34. Wünsch A, Bergelt C, Götze H et al (2021)
Kommunikationstrainings für onkologisch tätige
Ärzt*inneninDeutschland. Forum36:391–395
Die Onkologie 7