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‚Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur Rekonstruktion ‚kleiner‘, ‚unvollständiger‘ oder ‚inkohärenter‘ Erzählungen in der Sozialpädagogik und Kriminologie

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Abstract

Der Beitrag rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie in an (biographischen) Erzählungen interessierten Forschungen sozialpädagogischer und kriminologischer Provenienz mit dem Phänomen ‚ungeordneter‘ Forschungserzählungen umgegangen wird. In Rekurs auf aktuelle narrationstheoretische Diskurse wie auch auf empirisches Datenmaterial wird ein Verständnis von Erinnerungserzählungen skizziert, in dem die je spezifische Beschaffenheit nicht als Hindernis, sondern als Anlass erkannt wird, engführende und bisweilen normativ grundierte Erzählungs- und Erzählverständnissse zu überdenken, um auf diese Weise soziale Wirklichkeit(skonstruktionen) differenzierter aufzuschließen. || The paper focuses on the question of how the phenomenon of ‚messy‘ narratives is dealt with in social pedagogical and criminological research interested in (biographical) narratives. With reference to current discourses in narrative theory as well as on empirical data, the paper outlines an understanding of narratives in which their specific composition is not seen as an obstacle but as an occasion to rethink narrow and sometimes normatively grounded understandings of narratives and narrations in order to open up (constructions of) social reality in a more nuanced way.
BLICKPUNKT
https://doi.org/10.1007/s12592-023-00467-3
Soziale Passagen (2023) 15:59–76
,Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur
Rekonstruktion ,kleiner‘, ,unvollständiger‘ oder
,inkohärenter‘ Erzählungen in der Sozialpädagogik und
Kriminologie
Holger Schmidt
Eingegangen: 11. Januar 2023 / Angenommen: 16. Mai 2023 / Online publiziert: 3. Juli 2023
© Der/die Autor(en) 2023
Zusammenfassung Der Beitrag rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie in an
(biographischen) Erzählungen interessierten Forschungen sozialpädagogischer und
kriminologischer Provenienz mit dem Phänomen ,ungeordneter‘ Forschungserzäh-
lungen umgegangen wird. In Rekurs auf aktuelle narrationstheoretische Diskurse
wie auch auf empirisches Datenmaterial wird ein Verständnis von Erinnerungser-
zählungen skizziert, in dem die je spezifische Beschaffenheit nicht als Hindernis,
sondern als Anlass erkannt wird, engführende und bisweilen normativ grundierte
Erzählungs- und Erzählverständnisse zu überdenken, um auf diese Weise soziale
Wirklichkeit(skonstruktionen) differenzierter aufzuschließen.
Schlüsselwörter Erzählfragmente · Small stories · Inkohärenz · Narrative
Kompetenz · Biographieforschung
‘Messy Narratives’. Remarks on the reconstruction of ‘small’,
‘incomplete’ or ‘incoherent’ narratives in social pedagogy and
criminology
Abstract The paper focuses on the question of how the phenomenon of ‘messy’
narratives is dealt with in social pedagogical and criminological research interested
in (biographical) narratives. With reference to current discourses in narrative theory
as well as on empirical data, the paper outlines an understanding of narratives in
which their specific composition is not seen as an obstacle but as an occasion to
rethink narrow and sometimes normatively grounded understandings of narratives
and narrations in order to open up (constructions of) social reality in a more nuanced
way.
Holger Schmidt
Fakultät II, Department Erziehungswissenschaft, Universität Siegen, Siegen, Deutschland
E-Mail: Holger.schmidt@uni-siegen.de
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60 H. Schmidt
Keywords Narrative fragments · Small stories · Incoherence · Narrative
competence · Biographical research
1 Stories all the way Einleitende Beobachtungen
Ehemals als Fachbegriff in der literatur- und kulturwissenschaftlichen Erzählfor-
schung beheimatet, setzte in den 1980er Jahren ein geradezu explosionsartiges Inte-
resse an Narrationen ein (u.a. Ryan 2010).1Dieses erstreckte sich nicht nur, wie sich
womöglich annehmen ließe, über die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften,
sondern weitete sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte über so differente Diszipli-
nen wie den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, der Medizin wie auch auf Teile
anderer ,hard sciences‘ aus. Auch die Kriminologie und die Sozialpädagogik, um
die es im Folgenden gehen soll, blieben vom sog. narrative turn nicht unberührt,
wenngleich sich beide Disziplinen zu jeweils unterschiedlichen Graden zu narrativen
Denk- und Forschungsansätzen verhielten und verhalten. Drei, für die im Fortgang
entfaltete Argumentation zentrale, Entwicklungen sollen an dieser Stelle Erwähnung
finden.
Erstens haben sich systematische empirische Auseinandersetzungen mit Narra-
tionen in beiden Disziplinen erst relativ spät und jeweils zeitlich versetzt entwickelt.
Wiewohl es seit Längerem bekannt ist, dass Narrationen eine konstitutive Rolle so-
wohl in der Definition wie auch der (in-)formellen Bearbeitung von Kriminalität
einnehmen, stellten narrative Forschungszugänge in der Kriminologie lange Zeit ei-
ne verhältnismäßig randständige Erscheinung dar (Presser 2016, S. 141 f.). So wird
zwar seit längerem narrativ geforscht, doch erst kürzlich hat sich der eher lose
Sammelbegriff der narrative criminology für den Versuch etabliert, Narrationen als
theoretisches Konzept ernst(er) zu nehmen und empirisch weiterzuentwickeln (vgl.
u.a. Fleetwood et al. 2019; kritischer: Dollinger und Schmidt 2020).
In sozialpädagogischen Zusammenhängen dürfen Erzählungen als ein grundle-
gendes Element des „daily stuff of social work“ (Riessman und Quinney 2005)
gelten. Auch im sozialpädagogischen Fachdiskurs werden Narrationen als besonde-
re Diskursform erkannt, breit und entsprechend unterschiedlich genutzt. Insbeson-
dere zu Lebensgeschichten bildete sich in der Sozialpädagogik vergleichbar mit
Unterströmungen kriminologischer Deutungspraxis „eine grundständige Affinität“
(Hanses 2004, S. 1) aus (vgl. Wensierski 2006).2Gleichwohl gehört die Narration
womöglich noch nicht zum kanonisierten Begriffsrepertoire der deutschsprachi-
gen Sozialpädagogik. Doch auch im englischsprachigen Raum werden Leerstellen
sowie problematisierbare Eigenheiten einschlägiger Untersuchungen im Kontext der
Sozialen Arbeit sichtbar (vgl. Riessman und Quinney 2005; Bell und Hydén 2017).
Eingedenk dieser Einschränkung ist für die Sozialpädagogik wie auch die Krimi-
1Die Begriffe Narrationen, Erzählungen und Geschichten werden wenngleich in der Diskussion mitun-
ter deutliche terminologische Unterschiede markiert werden (vgl. u.a. Martinez und Scheffel 2016)–im
vorliegenden Beitrag synonym genutzt.
2Wenngleich diese spezifische Thematisierungsweise hier wie dort mit Paradoxien (Dollinger 2021) und
Voraussetzungen (Bender 2010) verknüpft ist.
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nologie gleichermaßen festzuhalten, dass die deutschsprachige Auseinandersetzung
mit Narrationen jener in der englischsprachigen sowie skandinavischen Forschungs-
landschaft nachsteht.
Zweitens lässt sich feststellen, dass der Blick sowohl der kriminologischen als
auch der sozialpädagogischen (insbesondere Biographie-)Forschung bislang stark
auf das Wa s der Erzählung und weniger auf dem Wie der erzählerischen Darlegung
ausgerichtet ist. Zwar ist dies im Zuge der beschriebenen intensivierten Beschäfti-
gung der Kriminologie mit Narrationen in Bewegung geraten, doch für den deutsch-
sprachigen Raum kann diese Beobachtung nur sehr bedingt an Geltung beanspru-
chen: Nicht selten werden die in Forschungsprojekten erhobenen Geschichten mit
face value versehen, also als realitätsgetreue Abbildungen sozialer Begebenheiten
gelesen.3Der (erkenntnis-)theoretische und methodologische Diskussionsstand wie
auch das Spektrum gewählter Zugänge zur Empirie sind in der Sozialpädagogik zwar
hingegen deutlich breiter angelegt, gleichwohl erfährt die aktualsprachliche und in-
teraktive Produktion von (Selbst-)Erzählungen auch hier bislang wenig Beachtung.
Auffallend ist, dass diese Ebene speziell in der sozialpädagogischen Biographiefor-
schung meist nicht systematisch in die Analyse eingebunden wird (ausgenommen
Goblirsch 2005;Spies2010).4
Drittens ist schließlich zu konstatieren, dass Überlegungen zu Erzählungen, die
sich nicht in einem linear erzählten, chronologischen Rahmen präsentieren, die wo-
möglich entgegen der mehr oder minder expliziten Erwartungen der Forschenden
eigentümlich ,fragmentarisch‘, ,klein‘ oder ,inkohärent bleiben, bislang nur zöger-
lich angestellt werden. Für die anglophone Kriminologie lässt sich eine beginnende
Beschäftigung mit derartigen Erzählpraktiken feststellen (Sandberg2016; Georgako-
poulou 2020), wohingegenFragen von Inkohärenz (nicht nur)in der Sozialpädagogik
vor allem im Kontext von Traumata diskutiert werden (vgl. Schörmann 2021).
Die letzten beiden Punkte greift der vorliegende Aufsatz auf, um sich den „subt-
leties of narratives“ (Bell und Hydén 2017, S. 164) sowie jenen Subtilitäten zuzu-
wenden, die gleichsam als Hintergrundannahmen die Erforschung von Narrationen
grundieren. Diese Hintergrundannahmen werden zunächst dahingehend erkundet,
auf welche Weise sie sich an Geltung verschaffen und wie dadurch Erzählförmig-
keit in empirischer Forschung (v)erkannt wird (Abschnitt 2). Im Anschluss an diese
theoretischen Erörterungen wird anhand eines empirischen Fallbeispiels ein Schlag-
licht auf eine mögliche Ausprägung ,unordentlicher‘ Erzählweisen geworfen (Ab-
schnitt 3) und abschließend knapp diskutiert, welche Erkenntnisoptionen sich aus
3Gründe dafür lassen sich neben ätiologischen Forschungsinteressen auch in einer starken Verbreitung
inhaltsanalytischer Auswertungsverfahren erkennen (vgl. u. v.a. Böttger 1998; Hüttenrauch 2015; Wößner
und Wienhausen-Knezevic 2013), die sprachliche Äußerungen eher zusammenfassen und inventarisieren
als subjektive Sinnbezüge in ihren interaktiven und sozialen Vollzügen erschließen.
4Was sich epistemologis ch u. a. damit erklären ließe, dass sich die Biographieforschung grundlegend auf
den Status des gelebten Lebens als „verbindliche Referenz“ (von Engelhardt 2011, S. 50) eines diesbezüg-
lichen Erzählens verlässt, wohingegen interaktionistische Ansätze die aktualsprachliche Hervorbringung
von Erzählungen als practical accomplishment in den Fokus rückt.
5Bei ,unordentlichen‘ Erzählungen handelt es sich freilich nicht um einen analytischen, sondern um einen
alltagsweltlichen Begriff, der gewissermaßen intuitiv verständlich ist. Ebendieses unmittelbare Verstehen
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deren Analyse eröffnen (Abschnitt 4). Der Beitrag plädiert dafür, ,unordentliche‘5
Erzählungen und Erzählweisen nicht als defizitär auszulegen, sondern stärker als
bisher in ihrer „Eigenstrukturiertheit“ (Lucius-Hoene und Deppermann 2002, S. 97)
ernst- und als „produktive Kraft“ (Klinkert und Pfänder 2021, S. 18) wahrzunehmen.
2 To tell or not to tell Momente (v)erkannter Erzählförmigkeit
2.1 Narrationsverständnisse
Um so argumentieren zu können, muss ein bestimmtes Narrationsverständnis vorlie-
gen. Was ist also im Folgenden mit Narrationen gemeint? Zunächst ist festzuhalten,
dass keine einheitliche Definition existiert, sondern vielmehr von einem breiten
Spektrum enger(er) und weiter(er) sowie jeweils fach- und theoriespezifisch ausdif-
ferenzierten Konzeptualisierungen von Erzählungen auszugehen ist (vgl. u. a. Hall
und Matarese 2014;Ryan2010; Squire et al. 2008). Auf der einen Seite finden
sich Ansätze, die das Vorhandensein bestimmter Elemente als Standard einer ,voll-
ständigen‘ Erzählung voraussetzen. Für die empirische Forschung als besonders
bedeutsam stellte sich in diesem Zusammenhang der Definitionsansatz der Sozio-
linguisten William Labov und Joshua Waletzky (1997) heraus, die in „produktori-
entierte[r] Herangehensweise“ Erzählungen als vom spezifischen Hervorbringungs-
kontext „autonome Einheit[en]“ figurieren (Kotthoff 2018, S. 4). Ihrem Ansatz nach
setzt sich eine narrative „Vollform“ (Lucius-Hoene und Deppermann 2002, S. 156)
aus jenen idealtypischen Strukturelementen zusammen, die sie in unterschiedlichen
empirischen Studien herauspräpariert haben: Zunächst werden Zuhörende durch ein
Abstrakt in die Geschichte eingeführt; der Schauplatz der Erzählung wird durch eine
Orientierung abgesteckt; ein die Alltagsroutinen destabilisierendes Element (Kom-
plikation) stellt den wesentlichen Kern der Erzählung dar, die durch eine Auflösung
des Problems (Resolution), eine anschließende Bewertung (Evaluation) sowie durch
eine sprachliche Abschlussmarkierung (Coda) beendet wird. Während diese Bestim-
mung erkennbar mit der gleichsam vorbegrifflichen Vorstellung korrespondiert, dass
erzählte Geschichten stets einen Anfang, eine Mitte und ein Ende aufweisen, hinter-
fragen andere Definitionsansätze die Unverzichtbarkeit eines derartigen Aufbaus und
der damit zusammenhängenden sequentiell abzuschreitenden Linearität. Dergestalt
finden sich auf der anderen Seite prozessorientierte Positionen, die fokussieren „[...]
wie eine Geschichte in eine spezifische lokale Umgebung überhaupt eingeflochten
zeigt jedoch an, dass die diesem zugrundeliegenden Annahmen einer Prüfung bedürfen. Vor diesem Hin-
tergrund greift der Begriff zum einen bewusst gängige gesellschaftliche Wahrnehmungs- und Bewertungs-
praktiken vorweg, mit denen bestimme (,wohl geordnete‘) Formen von Erzählungen mit Scott und Lyman
(1968) gesprochen honoriert, andere wiederum abgewertet werden. Er bildet zum anderen den sprach-
lichen Versuch einer Zusammenführung bislang getrennt geführter narrationstheoretischer Diskurse ab
(,inkohärentes‘, ,fragmentiertes‘ Erzählen; narrative Kompetenz; small stories approach). Ein Versuch, der
darin begründet ist, dass die Bewertung dieser Narrativierungsformen mutmaßlich auf ähnlichen Vorannah-
men und Erwartungen aufruht, nämlich: Dass kleine, flüchtige, inkohärente oder unvollständig bleibende
Erzählungen nicht zur Erhellung des biographischen ,So-Geworden-Seins‘ des je interessierenden Ge-
genstandes beitragen (können), dieses womöglich gar erschweren.
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,Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur Rekonstruktion ,kleiner‘, ,unvollständiger‘ oder... 63
wird und wie die Beteiligung aller Anwesenden die Geschichte erst zu dem macht,
was sie dann nach und nach wird“ (Kotthoff 2018).
Bereits an dieser flüchtigen Skizze lässt sich erahnen, was ein enger respektive ein
weiter Narrationsbegriff mit sich bringt: So wird in empirischen Studien des Öfteren
problematisiert, dass sich in den erhobenen Daten weder sämtliche Strukturelemente
in der ,richtigen‘ Reihenfolge noch die Mindestanforderungen an Erzählungen
a „sequence of two clauses which are temporally ordered“ (Labov 1972, S. 360)
umstandslos wiederfinden ließen (Patterson 2008, S. 33ff.). Eine andere Kritik zielt
darauf ab, dass eine (allzu) enge Fassung eine ,illegitime‘ Begriffsnutzungen aus-
schließende Wirkung entfalten könne (Ryan 2010, S. 345). Ein (allzu) weiter Begriff
schaffe hingegen eine gewisse durch die alltagsweltliche Nutzung überdies beför-
derte (Huber 2018, S. 7) Beliebigkeit des Narrationsbegriffes, was dazu führe, dass
er analytisch ,ausfranse‘ und inhaltsleer werde (vgl. auch Riessman und Quinney
2005, S. 393). Angesichts dessen schlägt die Literaturwissenschaftlerin Marie-Laure
Ryan (2010, S. 345) den Kompromiss vor, narrative as a fuzzy set“ zu betrach-
ten, das zwar einen festen Kern von Merkmalen aufweise, aber auch verschiedene
Grade der ,Zugehörigkeit‘ zur Kategorie „Erzählung“ zulasse. In solcher Weise las-
sen sich mit den Dimensionen der Performativität, Relationalität und Temporalität
als wesentlich erkannte Merkmale von Geschichten hervorheben.
Narrationen sind egal, ob durch sie eine spezifische (womöglich entlastende)
Sicht der Dinge dargelegt, Entscheidungen erwirkt, sich entschuldigt oder beschwert
werden soll konstitutiv darauf ausgelegt, beim Gegenüber eine Wirkungzu erzielen
(Meister 2018, S. 100). Ebendies lässt sich als Performativität, als narratives ma-
ke believe bezeichnen: Geschichten leisten Überzeugungsarbeit. Mit Relationalität
wird der Umstand beschrieben, dass Dinge frei nach Blumer: Menschen, Objekte,
Situationen etc. in je spezifischer Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden.6
Diese Beziehungen sind zugleich in einer zeitlichen Ordnung aufgehoben. Tempo-
ralität meint dementsprechend, dass Geschichten eine zeitlich organisierte Abfolge
eines oder mehrerer (erzählwürdiger; tellability) Ereignisse repräsentieren: Zu Be-
ginn stellt sich etwas anders dar als nach einem willentlich herbeigeführten oder
ungesteuerten Geschehnis. Wiewohl die meisten Definitionen diesen zeitlichen Ver-
lauf als entscheidendes formales Merkmal vorsehen, unterscheiden sie sich jedoch
darin, welche Richtung und welches Maß an Geordnetheit sie dabei voraussetzen.
Während manche in der „chronologisch verknüpfte[n] Abfolge zweier Ereignisse“
den „Nukleus einer story“ (Meister 2018, S. 88) erkennen und hervorheben, dass
sich die damit verknüpfte „ordnende Grundeigenschaft“ (Huber 2018,S.3)des
Erzählens bereits etymologisch herleiten ließe, wird dieser Annahme von Forschen-
den unterschiedlicher Fachrichtungen widersprochen (u.a. Kriminologie: Brookman
2015; Kulturanthropologie: Goldstein 2021; Sozial- und Humanwissenschaften: Hy-
dén et al. 2010). Die Erwartung einer chronologisch kohärenten Erzählung transpor-
tiere, so die Kritik, spezifische und meist unhinterfragte Vorstellungen davon, was
als ,richtige‘, ,gute‘, mithin ,untersuchungswürdige‘ Erzählung gelten dürfe (De Fi-
6Dies erfolgt zumeist in (präreflexiver) Orientierung an kollektiv verfügbaren Erzählschemata, Genres
und plots.
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64 H. Schmidt
na und Georgakopoulou 2008, S. 380; Hyvärinen et al. 2010,S.1).
7Doch was gilt
wem warum als gute Geschichte? Und wer ist in der Lage, solche Geschichten
zu erzählen?
2.2 Narrative Kompetenz
Zur Beantwortung dieser Fragen lohnt es sich, eine Idee aufzugreifen, die in der
(Methoden-)Literatur mit dem Begriff der narrativen Kompetenz verschlagwortet
wird. In kriminologischen wie auch sozialpädagogischen Zusammenhängen wird
diese Denkfigur zwar für gewöhnlich wenig reflektiert, sie verschafft sich gleich-
wohl oder gerade deshalb auf unterschiedliche Weise an Geltung. Wie andere
Kompetenzbegriffe auch, wird das ,Erzählen-Können‘ als Fähigkeit und Fertigkeit
gerahmt, die man erwerben kann, muss oder soll (z.B. in und durch Sozialisation);
die man, wenn schon nicht unmittelbar messen, dann aber doch beurteilen kann;
deren Verteilung sich zwischen Menschen unterscheidet und die sich bei diagno-
stizierbaren ,Defiziten‘ fördern lässt. Die Linguistin Tabea Becker (2017 S. 336)
beschreibt Erzählkompetenz entsprechend als jenen „[...] Grad, zu dem die rele-
vanten sprachlichen Anforderungen und sprachlichen Handlungen innerhalb eines
mündlichen oder schriftlichen Diskurses angemessen eingelöst werden“.
Obschon dieser Bestimmungsversuch angesichts differierender Erzähl- wie auch
Kompetenzbegriffe vergleichsweise offen formuliert ist und eine zumindest vor-
dergründige Plausibilität beanspruchen darf, zeigt sich, dass ihm zugleich eine nor-
mative Bewertungspraxis eingeschrieben ist: Die Relevanz von Anforderungen wie
auch die Beurteilung der Angemessenheit ihrer Einlösung ist nicht unabhängig von
den jeweils urteilenden Personen und deren Erwartungen an und Vorstellungen von
,richtigen‘ Erzählungen und Erzählweisen zu denken. Derartige Erwartungen exis-
tieren sowohl in Praxis als auch in Forschung hinsichtlich des Umfangs oder
des Detaillierungsgrades einer Erzählung (expectations for content) wie auch deren
Darbietung gewissen performance norms (Kohärenz, Grad des erkennbaren Enga-
gements etc.) unterliegt (Peterson und Langellier 2006, S. 177).8
7Beispielhaft für dieses, eher an einem ,Informationsgewinn‘ ausgerichteten, Narrationsverständnis sei
hier ein Auszug aus der kriminologischen Untersuchung Kathrin Hüttenrauchs (2015, S. 208 f.) zur „Ar-
beit als Resozialisierungsfaktor“ angeführt, in der sie ein Gespräch aus der (erneut: inhaltsanalytischen)
Auswertung ausschließt: „Das Interview mit dem Befragten 9 konnte für die Auswertung aus folgenden
Gründen nicht genutzt werden: Sein Verhalten sowie seine Aussagen gegenüber der Verfasserin waren teil-
weise widersprüchlich und oftmals nicht nachvollziehbar. Zudem hat er konkrete Antworten auf die an ihn
formulierten Fragen vermieden und vielmehr pauschale, sich wiederholende Aussagen gemacht [...] Das
Interview trägt nicht zum Erkenntnisgewinn dieser Untersuchung bei und wurde deshalb nicht in die Aus-
wertung einbezogen“. Die Plausibilisierung des forschungspraktischen Ausschlusses gerät vollends zur
notariellen Bilanz, wenn die Autorin abschließend einfließen lässt, dass der „Befragte 9 erneut deliktisch
in Erscheinung getreten und folglich wieder inhaftiert [...]“ worden sei.
8Ein instruktives Beispiel für derlei Erwartungshaltungen findet sich etwa in der Interviewstudie von
Katja Eckold, in der die Autorin die biographische Bedeutung des Jugendarrests untersucht und in der
kriminologisch durchaus nicht unüblichen Diktion eines Geständnis-, Rechtfertigungs- sowie Bes-
serungszwangs (Stehr 2015, S. 126 ff.) manchen Jugendlichen „fehlende Reflexion“, „keine emotionale
Betroffenheit“, eine mangelnde Verantwortungsübernahme (Eckold 2018, S. 148) sowie eine „bagatellisie-
rende“ Sprechweise (Eckold 2011, S. 97) attestiert. Der forscherische Erkenntnisgang scheint hier bruchlos
in der gesetzgeberischen Betrachtungsweise straffällig gewordener junger Menschen aufzugehen.
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Vergegenwärtigt man sich zudem, dass Erzählungen und narrative Praxis stets in
einem sie mitformenden Kontext eingebettet sind (vgl. Lucius-Hoene und Depper-
mann 2002, S. 32f.), dann wird der Zuschreibungscharakter der Beschreibungska-
tegorie narrativer Kompetenz noch deutlicher. So fallen Erzählungen jeweils anders
aus, je nachdem, was den Anlass des Erzählens bildet, was die kommunikativen
Ziele der Erzählperson sind, welche Interessen die Zuhörenden haben oder wel-
che fördernden oder einschränkenden Vorgaben und Wirkungen die je spezifischen
narrative environments (Gubrium und Holstein 2008), in denen erzählt wird bzw.
werden muss, aufweisen. Die narrativen Umgebungen in kriminologischer und sozi-
alpädagogischer Forschung sind bekanntlich spezielle, bewegt sie sich doch oftmals
wenn auch nicht ausschließlich in Kontexten gesellschaftlich als ,problema-
tisch‘ markierter Sachverhalte und den Institutionen ihrer Bearbeitung (vgl. Schmidt
2023). Dies schlägt sich in der vorstellig werdenden Gestalt von Erzählungen nie-
der: Studien ist etwa zu entnehmen, dass eine institutionelle Überdeterminierung
der interaktionsstrukturellen Gesprächsanordnung die Mitteil- und Hörbarkeit von
selbstwertfördernden, aber als ,widerständig‘ gelesenen Erzählungen behindern kann
(McKenzie-Mohr und Lafrance 2017) und konventionalisierte Formate lebensge-
schichtlicher Selbstbeschreibungen wahrscheinlicher macht, wie sie u. a. von Goff-
man (1973, S. 149) als „traurige Geschichten“ (sad tales) oder von rvinen (2000)
als „Konversionsgeschichten“ (conversion stories) beschrieben worden sind. Wie
wären derartige Erzählungen unter der Folie narrativer Kompetenz zu beurteilen?
Als proper story (Polletta et al. 2011), da die an die Erzählpersonen gerichteten
sprachlichen Anforderungen „angemessen eingelöst“ (Becker 2017, S. 336) wer-
den? Oder doch eher als Beleg dafür, dass die Erzählenden ein feines Gespür dafür
entwickelt haben, was von Ihnen seitens der Institution wie auch der Forschung
erwartet wird? In einem solchen Licht stellt sich narrative (In-)Kompetenz weniger
als feststehendes Faktum, denn als kontextabhängiges Votum dar, das über jene so-
zialen (Macht-)Verhältnisse Auskunft gibt, die zwischen den Forschungsbeteiligten
und dem Feld wirksam sind.
Ungeachtet derartiger Einwände wird in kriminologischen und sozialpädagogi-
schen Zusammenhängen mitunter mit Annahmen narrativer (In-)Kompetenz ope-
riert, die nicht nur auf einzelne Individuen, sondern auch auf homogen gedachte
soziale Gruppen bezogen werden. Dergestalt wird beispielsweise kolportiert, dass
straffällig gewordene Personen aufgrund der von ihnen oftmals erfahrenen Not-
wendigkeit, sich, ihr Leben und ihre Handlungen diversen Akteur*innen sozialer
Kontrolle (z.B. Soziale Arbeit, Polizei, Justiz) gegenüber verstehbar zu machen,
„highly competent storytellers“ (Sandberg 2016, S. 154) seien.9Deutlich häufiger
wird jedoch angenommen, dass es gewissen Menschen, Angehörigen bestimmter so-
zialer Gruppen sowie Mitgliedern einer „nicht-diskursiven Kultur“ (Helfferich 2011,
9Es bedarf nicht langer Überlegung, dass sich die Behauptung gleichermaßen entgegengesetzt formulie-
ren ließe: Die in Erinnerungserzählungen straferfahrener Menschen vielfach vorzufindende Übernahme
von Deutungsmustern und Denkfiguren psychosozialer Beratungsexpert*innen wie auch die (routinierte)
Ausrichtung der eigenen Lebenserzählung auf vermutete Interessen der/des jeweiligen und womöglich
be- oder verurteilenden Zuhörenden mag dann eher als Ausdruck des ,Unvermögens‘ gelesen werden,
die Besichtigung des Lebensgangs erzählerisch eigenständig zu bewältigen.
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66 H. Schmidt
S. 153) regelhaft schwer falle, „[...] von sich aus, am Stück und ohne weitere Vor-
gaben, eine substanziell für die Auswertung notwendige Menge an Erzählung [zu]
produzieren“ (ebd., S. 46). Neben als ,abweichend‘, ,sozial benachteiligt‘ oder ,un-
terprivilegiert‘ geltenden Menschen adressieren derartige (Problem-)Zuschreibungen
oftmals Jugendliche (vgl. Mey 2000). Selbst in der den subjektiven Eigen-Sinn der
Adressat*innen betonenden lebensweltorientierten Sozialen Arbeit finden sich An-
sätze des Gedankens, dass Erzählungen „Kompetenz zum Erzählen“ voraussetzten,
diese aber „[...] bei den Menschen nach individuellen Möglichkeiten, vor allem aber
nach klassen- und milieubedingten Voraussetzungen unterschiedlich ausgeprägt“ sei
(Thiersch 2013,S.24f.).
Dies ist in mehrfacher Hinsicht diskutabel. Zum einen baut sich hier eine Span-
nung zur wissenschaftlich geläufigen Annahme auf, der zufolge der als homo narrans
gedachte Mensch durch seine Natur eigentlich dazu befähigt manche würden gar
sagen: gezwungen (Huber 2018, S. 4) sei, zu erzählen (kritisch Meister 2018).
Diese Spannung wirkt zunächst subliminal, doch „[w]enn aber ein prinzipiell er-
zählfähiger Mensch durch sein Nicht-Erzählen auffällig wird“, so wird dies in der
Regel nicht goutiert, als Inkompetenz abgewertet oder in die andere Richtung
als „strategische Erkenntnis- oder Kommunikationsverweigerung“ (ebd., S. 89f.)
ausgelegt.10 Es steht anzunehmen, dass dies auch in Forschungskontexten nicht
ohne Folgen für die/den je als inkompetent oder unwillig erkannten (Nicht-)Erzäh-
ler*in bleibt. Zum anderen dokumentiere sich, so Riegel (2018, S. 570), in der „[...]
Unterstellung, dass diese [,sozial benachteiligten‘, HS] Jugendlichen es nicht ver-
mögen, lange und selbst strukturiert über sich sprechen zu können und ihnen die
dafür erforderliche Sprachfähigkeit und/oder Reflexivität [...]“ fehle, weniger die
,Inkompetenz‘ des Erzählenden als die „[...] begrenzte Perspektive und hegemonial-
normative Haltung der Forschung bzw. der Forschenden“. Auf eine für Forschung
und Praxis gleichermaßen wichtige Differenzierung der Annahme einer Milieu-
gebundenheit des Erzählens machen zudem Francesca Polletta und Kolleg*innen
(2011, S. 122) aufmerksam. Sie halten fest, dass „[d]isadvantaged people are often
less well trained in the requirements of telling an institutionally appropriate story,
they are less likely to be seen as narratively competent, and their very experiences
make them less able to tell the kind of story that is required“.
Summa summarum: Weder bildet sich ein bestimmtes Erzählformat qua Milieuzu-
gehörigkeit gewissermaßen naturwüchsig (nicht) heraus noch sind (biographische)
Erzählungen schlichte „Spiegelungen des Milieus [...], auf das sie sich beziehen“
(vgl. Alheit 2007) noch handelt es sich bei Straffälligen oder sozial benachteiligten
Personen per se um ,unbeholfene‘ oder vice versa ,kompetente‘, „sehr redelustige
und autonome Erzähler_innen“ (Schiek 2017, S. 52). Vielmehr haben wir es hier
mit einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang zu tun: Einerseits bestehen
gesellschaftlich ungleich verteilte Wissensvorräte, Erfahrungen und Möglichkeiten,
sich zu eigen zu machen, „[...] welche Erzählmuster und -strategien in welchen Si-
10 Aus Letzterem ergibt sich ein Brückenschlag zum überwiegend theoretisch geführten sozialpäd-
agogischen Diskurs zum Schweigen, das nicht einzig die bloße Abwesenheit von Kommunikation meint,
sondern „als beredtes Nicht-Reden“ (Magyar-Haas und Geiss 2015, S. 16) auch auf eine performative
machtgeladene Bedeutungsebene verweist.
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tuationen als angemessen und durchsetzungsfähig gelten können, wie sie interaktiv
verhandelt und für Belange unserer sozialen Positionierung, Identitätssicherung und
Bedürfnislage funktionalisiert werden können“ (Lucius-Hoene 2010, S. 162). Dies
kann, muss sich aber nicht im Erzählen niederschlagen. Anderseits ist anzuerkennen,
dass alltagsweltliche wie wissenschaftliche Wahrnehmungs- und Deutungsstrukturen
gleichermaßen von Ungleichheitsmomenten durchsetzt sein können, durch welche
die Narrativierungsformen von als abweichend oder benachteiligt geltenden Per-
sonen als unverständlich (,falscher‘ Plot), unpassend (,falscher‘ Erzählanlass) oder
unglaubwürdig (schlicht: ,falsche/r‘ Erzähler*in) abgetan werden können (Polletta
et al. 2011, S. 122). In diesem Sinne geht es bei Aspekten narrativer Kompetenz auch
um die Frage, wem welche Sprechposition nahegelegt und die Legitimität zu- oder
aberkannt wird, Geschichten mit epistemischer Autorität ausgestattet erzählen zu
können und zu dürfen eine für Kriminologie und Sozialpädagogik gleichermaßen
notwendig anzustellende Selbstbefragung.
Angesichts dessen scheint es in Anschluss an Günter Mey (2000, S. 137) dann
auch zielführender, davon auszugehen, dass „[...] eine einfache Dichotomie in
kompetente vs. inkompetente Erzähler(innen) nicht greift“. Erzählpraxis ist folg-
lich als ein relationales Geschehen zu denken und es ist davon auszugehen, dass
„[...] das (Nicht-)Zustandekommen von Erzählungen weder allein dem beforschten/
antwortenden Subjekt noch allein dem forschenden/fragenden Subjekt anzulasten
ist, sondern vielmehr in dem kontextspezifischen Zusammentreffen von forschen-
dem und beforschtem Subjekt gründet“ (ebd.). Ebendieses Zusammentreffen zweier
Subjekte ist stets aufs Neue dahingehend zu befragen, worin sich die angesprochene
Kontext- und nicht ausschließlich oder zwingend Milieuspezifik dokumentiert; wie
also Erzählungen und Erzählweisen je konkret (ko- und re-)produziert werden.
2.3 Small stories
Eben diese interaktional-performative Hervorbringung von Erzählungen rückt der
neuere Diskursstrang des small story approach in den Mittelpunkt. In diesem sind
insbesondere (Alltags-)Erzählungen von analytischem Interesse, denen aufgrund ih-
rer flüchtigen und episodenhaften Beschaffenheit bislang weniger wissenschaftliche
Aufmerksamkeit zuteil wurde. Der vorgeschlagene Sammelbegriff der small stories
beherbergt dabei „[...] a gamut of under-represented narrative activities, such as tel-
lings of ongoing events, future or hypothetical events, shared (known) events, but
also allusions to tellings, deferrals of tellings, and refusals to tell“ (Georgakopoulou
2006, S. 123). Dementsprechend stellt diese Position das (Erzähl-)Event in ihrem In-
teressenfokus über die (Lebens-)Erfahrung (Squire et al. 2008, S. 7). Bereits diesen
knappen Charakterisierungen ist zu entnehmen, dass damit auch Erzählungen von
Interesse sind, die nicht „vollkommen ,auserzählt‘“ (Hannken-Illjes 2019, S. 32),
„nicht ausgebaut“ (Kotthoff 2018) sind und fragmentarisch bleiben. Solche finden
sich, wie etwa Kotthoff festhält, nicht nur in Kontexten des Spracherwerbs oder in
institutioneller Kommunikation (z.B. in der Schule oder im Gesundheitswesen), son-
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68 H. Schmidt
dern eben auch in eigentlich an umfassenden big stories interessierten narrativen
Interviews.11
Eine von Vertreter*innen eines interaktionsorientierten Ansatzes (Bamberg 2006,
S. 172; De Fina und Georgakopoulou 2008, S. 380) wie auch der Biographiefor-
schung (Fischer 2017, S. 142; Küsters 2012, S. 274; Stehr 2015, S. 130) mehr-
fach formulierte Kritik lautet, dass Interviewerzählungen nicht selten so behandelt
würden, als seien sie monologisch produziert. Dabei ist das Gegenteil zutreffend:
Auch narrative Interviews nach wie vor das zentrale und weitgehend unproble-
matisierte Format biographischer Forschung (Fischer 2019, S. 30; Haas 2019)–
werden eigens „von und für die Forschung veranstaltet“ (Hirschauer 2008, S. 177).
Ein monologisches Rederecht wird der Erzählperson erteilt oder bisweilen mehr
oder minder höflich eingefordert, was bereits darauf verweist, dass es sich um eine
grundlegend artifizielle wie asymmetrische Sprechsituation handelt (vgl. auch Ben-
der 2010, S. 308). Man hat es also mit (voraussetzungsvollen) Prozessen der Ko-
Konstruktion zu tun. Dies wird in der Biographieforschung bisweilen auch konsta-
tiert (vgl. etwa Haas 2019, S. 114), allerdings agieren vorliegende Arbeiten oftmals
unter weitgehender Absehung dieser Einsicht.
Demgemäß wird kleinen oder unvollständig bleibenden Erzählepisoden, zumal
sie durch (stützende oder elizitierende) Nachfragen des Interviewers zustande kom-
men die Interviewperson sich also nicht ungestört „[...] dem narrativen Strom
des Nacherlebens seiner Erfahrungen“ (Schütze 1984, S. 78) überantwortet –, ei-
ne geringe(re) Narrativität und Werthaltigkeit zugemessen. Wenngleich sie nicht
zwangsläufig aussortiert werden, gelten die sie hervorbringenden Interviews zumin-
dest Anhänger*innen einer „,reinen Lehre‘ des narrativen Verfahrens“ (Küsters 2009,
S. 67), als „misslungen“. In der Folge kommt es zu Bemühungen, „Erzählstümp-
fe[...]“ (ebd., S. 59) durch immanente Nachfragen zu ,heilen‘ oder wenigstens im
Nachgang des Interviews zu eruieren, worauf ebendieses Misslingen zurückzuführen
sein mag: Etwa auf eine als schlecht interpretierte Interviewführung (Fischer 2017,
S. 142) oder auf das Vorhandensein spezifischer „[Nicht-]Erzählertypen“ (in Bezug
auf Rosenthal, Küsters 2009, S. 67). Womit sich der Kreis erkennbar schließt, wird
doch hier zumindest vom Inhalt her erneut der Bezugsrahmen einer personen-
bezogenen narrativen (In-)Kompetenz aufgespannt.
3 Empirisches Schlaglicht
Anhand eines empirischen Beispiels sollen nachfolgend relevante Dimensionen ei-
nes ,unordentlichen‘ Erzählens verdeutlicht werden. Der beschränkte Rahmen dieses
Beitrags gestattet es nicht, biographische Fallrekonstruktionen auch nur annähernd
in der gebotenen Ausführlichkeit zu diskutieren. Aus diesem Grund soll im Folgen-
den ein Schlaglicht auf ein Phänomen narrativer Praxis gerichtet werden, das sich
11 Bereits die terminologisch angelegte Dichotomisierung zwischen big und small lässt erahnen, dass die
Diskussion verabsolutierende (und z. T. essentialisierende) Tendenzen aufweist, was die analytische Potenz
des jeweils ,eigenen‘ Ansatzes anbelangt (vgl. Freeman 2006). Diese Gegenüberstellung scheint jüngst
jedoch etwas aufzuweichen (vgl. Bamberg 2018, S. 1104 f.).
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,Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur Rekonstruktion ,kleiner‘, ,unvollständiger‘ oder... 69
dem gängigen Verständnis kohärenter, lebensumspannender (Selbst-)Erzählungen
entzieht. Dazu wird auf Interviewmaterial aus einem Forschungsprojekt zurückge-
griffen, das aus einer biographischen Untersuchungsperspektive der Erfahrungsge-
bundenheit des Unrechtsempfindens von jungen Strafgefangenen nachspürt (Schmidt
2019b). Der zugrundeliegende Datenkorpus umfasst insgesamt 36 Transkriptionen
themenzentrierter Interviews.12 Die drei relevanten Analyseebenen Bedingungen
und Narrativierung der individuellen Biographieentwicklung, subjektive Deutun-
gen der soziostrukturellen Aspekte des Gefängnisalltags sowie die Dynamiken der
Interaktionssituation im Interview wurden dabei mittels eines mehrstufigen Aus-
wertungsverfahrens zueinander in Verbindung gebracht (eingehend Schmidt 2019b,
S. 60 ff.). Die nachfolgenden Ausschnitte entstammen einem Gespräch mit einem
jungen Mann, der hier Moah Hasan genannt werden soll.
3.1 „Sie wissen doch bestimmt so“ paradigmatisches Erzählen13
Zum Zeitpunkt des Interviews ist der in der Türkei geborene Moah Hasan 19 Jahre
alt und lebt, gemeinsam mit seiner Familie, seit mehreren Jahren in Deutschland.
Seine Erzählungen sind inhaltlich geprägt von diversen Wohnortwechseln innerhalb
und außerhalb Deutschlands, von Kontakten mit Akteur*innen sozialer Kontrolle wie
auch von mehrfachen Aufenthalten in Arrest- und Haftanstalten. Moah produziert
viele kleine Geschichten, vage Situationsbeschreibungen und Geschehensverdich-
tungen mit bildhafter Beschaffenheit. In ihren jeweiligen Schwerpunktsetzungen
und formalen Gestaltungsweisen konstituieren die vorstellig werdenden Erinnerun-
gen dabei zwar meist eigenständige Narrationen, bilden zugleich aber eine Folge
thematisch zusammengehörender Erzählungen, die eine innere Einheit aufweisen.
In ihnen laufen entscheidende „Erzählfäden“ seiner Lebensgeschichte zusammen,
die sich ineinander „verknoten“ (Alheit und Dausien 1992, S. 175). Empirisch ma-
nifestiert sich dies etwa darin, dass Moah Ereignisse zunächst lediglich andeutet,
anschließend auf andere Dinge zu sprechen kommt und sie nachträglich u.a. nach
Rückfragen ausführt. Es zeigt sich, dass diese Erzählknoten von Moah zwar immer
wieder aufgenommen werden, ohne dass er aber in der Lage wäre, sie zu lockern
oder zu lösen. Dabei kommt es wiederholt zu Formen paradigmatischen Erzählens.
Diese narrative Praxis deutet sich schon in seiner Eingangserzählung an:
I: Da meine erste Frage (unv.). Ich möchte Sie einfach vielleicht mal bitten, dass
Sie mir schildern, wie sich Ihr Leben so bis jetzt so dargestellt hat. (.) Fangen
Sie vielleicht am besten da an //mit der Zeit, wo Sie ein Kind//
M: //Hier im Knast oder?//
12 Es wurden mithin keine narrativen Interviews geführt. Beim gewählten Interviewformat wurden Leitfä-
den genutzt, die dazu dienten, das vorläufige Wissen der Forschenden zu strukturieren. Sie waren in drei
modulare dem Gesprächsverlauf anzupassende Inhaltsbereiche (vorinstitutionelle Biographie, Inhaf-
tierungsmoment, Erleben des Freiheitsentzuges) untergliedert, die durch größere Narrationsimpulse einge-
leitet wurden.
13 Teile des nachfolgenden Fallbeispiels wurden bereits an anderer Stelle jedoch unter einem anderen
Blickwinkel und/oder in anderer Breite diskutiert (Schmidt 2019a, b).
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70 H. Schmidt
I: Vielleicht fangen Sie da am besten an, wo Sie ein Kind noch waren. Bis zum
Tag der Inhaftierung.
M: Ja okay. (lachen)
I: Ist eine schwierige Frage, ich weiß. Das sind (.) //ziemlich viele Einzelhei-
ten.//
M: //Ja äh ja ich fange mal an.// Ich bin ja damals nach Deutschland gekom-
men. (.) Keine/ ich war zwei oder so. Auf jeden Fall ein Jahr jünger haben die
mich im Dingens dann getan. Oder ein Jahr älter, ich weiß ganz genau nicht
mehr. (.) Da kam ich nach Deutschland. Ja haben wir dort/ dann hier gelebt in
Deutschland. (.) Und danach haben wir erst in [Stadt 1] gelebt. Und dann war
das dort okay,gut und so. Dann sind wir nach [Stadt 2] gekommen. Ähm ja und
wo wir nach [Stadt 2] gekommen sind, war es immer/ wurde es immer schlim-
mer und so dies, das. (.) Weil ähm wir kamen nach hier und äh der Staat, der
hat uns direkt dahin geschickt, wo nur Ausländer sind. So wo, Sie wissen doch
bestimmt so (.) Ausländerviertel. [Ja] Ja und äh dadurch wurde ich ein bisschen
krimineller und so [...]
Das Interview beginnt zunächst mit der Aushandlung des Gesprächsgegenstandes
und des damit verbundenen Handlungsauftrages. Der Interviewer hebt an, den Er-
zählstimulus zu formulieren, wird aber durch eine Zwischenfrage Moahs überlagert
(„Hier im Knast oder?“). In diesem Sprecherwechsel zeichnet sich das narrative en-
vironment des Gefängnisses deutlich ab, scheint Moah die Erzählwürdigkeit seiner
Geschichte doch vorrangig in der Inhaftierung zu vermuten die Rückversicherung
etabliert einen Fixpunkt der erzählerischen Darstellung biographischer Erfahrungen.
Denn nachdem Moah im Modus eines distanzierten telling Stationen der Migrations-
geschichte lediglich benennt und seine Biographie dadurch auf ihre „äußere Seite“
(Schulze 2006, S. 39) reduziert, orientiert er seine Selbsterzählung auf eine sich
scheinbar linear steigernde Delinquenz hin (u.a. „immer schlimmer“). Damit über-
nimmt er, zumindest in Ansätzen, das alltagstheoretisch wie auch kriminologisch
vertraute Muster einer traurigen Geschichte (Goffman 1973), von der er offenbar
ausgeht, sie als account in der Forschungssituation wirksam und seine Identität da-
mit accountable „d. h. verantwortbar, plausibel und rechtfertigungsfähig“ (Lucius-
Hoene und Scheidt 2017, S. 238) machen zu können.
In diesem Zusammenhang versucht er, beim Interviewer an einem Korpus ver-
meintlich sozial abgesicherten Wissens anzuknüpfen („So wo, Sie wissen doch be-
stimmt so“). Mit dieser ratifizierenden Nachfrage findet sich auf paradigmatischer
Ebene ein sprachliches Element wieder, welches „das Grundgerüst einer Geschich-
te“ (die Syntagmatik) zu „ergänzen, erklären, illustrieren, an[zu]reichern“ (Klinkert
und Pfänder 2021, S. 16) vermag. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Gesprächs
wird deutlich, dass ihm am Verstehen des Interviewers gelegen zu sein scheint. Dies
setzt sich im Anschluss fort, als der von Moahs Thematisierungsweise offensichtlich
irritierte Interviewer vorschlägt, „vielleicht einfach mal so chronologisch weiter“ zu
gehen. Als Anknüpfungspunkt bietet er Moah dazu den Umzug nach Stadt 2 an.
Daraus entspinnt sich folgende Interaktionssequenz:
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,Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur Rekonstruktion ,kleiner‘, ,unvollständiger‘ oder... 71
M: Äh nach [Stadt 1], ja. Dann nach ähm (.) [Stadt 2]. Äh wie heißt nochmal?
[Straße] glaube ich, ja. (unv.), ich weiß nicht, ob Sie/
I: Kenne mich überhaupt nicht in [Stadt 2] aus, nee.
M: Nee. Auf jeden Fall da. Und danach ähm (..) Sie kennen doch da Bahnhof
[Name]?
I: Ich kenne mich gar nicht aus. //(unv.)//
M: //Kennen Sie nicht (unv.)?// Nee?
I: Ich komme/ ich komme auch gar nicht aus dem [Stadt] Bereich. Ich komme
aus [Stadt].
M: Ach so.
I: Aus dem [Ballungsraum]. Also das ist noch eine ganz andere Ecke.
Moah ist bemüht, dem vom Interviewer geäußerten Wunsch nach Chronologie
nachzukommen. Er greift die Vorgabe auf und beginnt, sich seinen Erfahrungen
in Stadt 2 zuzuwenden. Allerdings legt die Szene offen, dass das „Grundgerüst“
(Klinkert und Pfänder, 2021 S. 16) seiner Geschichte auf gemeinsam geteilten Wis-
sensbeständen aufzuruhen und Moah zu befürchten scheint, dass die erhoffte Wir-
kung seiner Erzählung auszubleiben droht. Er steigt aus der Geschichte aus und
stellt anfangs noch zögerliche (vgl. die fragende Präsupposition „ich weiß nicht,
ob Sie/“) Versuche an, unter Zuhilfenahme von deiktischen Begriffen (Straße,
Bahnhof) das Setting seiner Erzählung zu etablieren. Dem jungen Mann drängt es
auch hier nach dem Verstehen des Interviewers, um erzählerische Trittsicherheit zu
erlangen. Allerdings setzt dies zugleich ein gewisses Vorverständnis voraus. Doch
während die Narration in anderen Passagen dadurch vorangetrieben werden konnte,
dass der Interviewer das Erzählgerüst interaktional (z. B. durch Rezeptionssigna-
le) weiter auszubauen half (scaffolding), gelingt dies in der vorliegenden Sequenz
offenkundig nicht. Seine Versuche common ground (ebd., S. 35) zwischen ihnen
herzustellen, greifen allesamt nicht, da sie vom Interviewer in der vorliegenden
Sequenz dezidiert und rasch (Unterbrechung, parallele Redebeiträge) ausgeschla-
gen werden. Die durch die Ortsfremdheit nötig gewordene Indexikalisierung macht
Moah sichtlich zu schaffen („//Kennen Sie nicht (unv.)?// Nee?“, „Ach so“).
Was ist nun an dem Ort so bemerkenswert, dass Moah ein ums andere Mal Wis-
sen über ihn voraussetzt? Weshalb ist ihm dies überhaupt so wichtig? Und welche
„aktuelle kommunikative Angelegenheit“ (Bamberg 2018, S. 104) soll hier bear-
beitet werden? Die Darlegung der Besonderheit des Ortes erfolgt in beiden Szenen
noch eher implizit. Augenfälliger ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Nut-
zung der Trope „Ausländerviertel“, durch deren Nennung Moah auf einen kulturell
verfügbaren Bild- und Geschichtenfundus zu verweisen und gleichsam assoziativ
imaginative Geschehensabläufe in Gang zu setzen versucht: Vergleichbar mit dem
Diskurs zum ähnlich gelagerten Begriff der ,Parallelgesellschaften‘ wird unterstellt,
dass „[...] in den Quartieren mit hohem Migrantenanteil schlimme Dinge passieren“
(Häußermann 2007, S. 458), wie etwa soziale Abschottung und Kriminalität. Die an
den Interviewer herangetragene Sinnvoraussetzung, dass er doch „bestimmt“ wisse,
lässt sich sonach nicht nur auf den Wissensbestand beziehen, um was für einen Ort
es sich handelt, sondern auch darauf, worin seine spezifische Wirkung auf die Be-
wohner*innen liegt. Obschon Moah den moral evaluative point (Drew 1998, S. 296)
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72 H. Schmidt
seiner Erzählung nicht ausdrücklich offenlegt, wird doch sehr anschaulich, dass er
dem hier gleichermaßen heteronom wie nachlässig auftretenden Staatsgebilde eine
(partielle) Mitschuld an seinem So-Geworden-Sein gibt. Genau hier dokumentiert
sich dann auch der Aktualitätsbezug der erzählerischen Auseinandersetzung, da er
den Interviewer davon zu überzeugen sucht, dass er Opfer einer passiv ungerech-
ten Umwelt ist, die ihm weitgehend indifferent gegenübertritt. Es handelt sich um
ein grundlegendes Strukturelement seines Deutungsschemas, das sich in der wie-
dergegebenen Sequenz auf den „Staat“ und im späteren Gesprächsverlauf u. a. auf
Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen sowie im Hier und Jetzt der Freiheitsstra-
fe Anstaltsbedienstete bezieht. Moah erwartet diesbezüglich vom Interviewer „[...]
to affiliate with the complainant’s sense of the impropriety or injustice of the other’s
behavior“ (ebd., S. 303). Nur wenige Worte und die Infragestellung des als geteilt
angenommenen Wissens reichen dafür aus.
4 Where does the story go? Schlussbetrachtung
Wenngleich bisweilen Zweifel hinsichtlich einer Erweiterung einer an (biographi-
schen) Erzählungen interessierten Forschung um analytische Techniken des small
story-Ansatzes formuliert werden würde eine solche Vorgehensweise nach Bam-
berg (2006, S. 172) doch nur ein „add-on“ darstellen und weiterhin interaktions-
strukturelle Aspekte vernachlässigen –, wurde im vorliegenden Beitrag versucht zu
zeigen, welche Erkenntnisoptionen sich durch die Analyse auch kleiner und wenig
,geordneter‘ (biographischer) Episoden eröffnen. Der Vorteil einer solchen gleicher-
maßen an aktualsprachlichen Bezügen interessierten Forschung mag man u.a. darin
erkennen, dass eine „in der Jetzt-Situation biographische Strukturierung im Inter-
aktionsvollzug zugänglich und analysierbar gemacht wird“ (Fischer 2019, S. 31).
Denn (Selbst-)Erzählungen sind „[...] zum einen das Resultat einer konkreten, kon-
textabhängigen Forschungsinteraktion, auf deren Setting der Erzähler sich ein- und
seine Selbstdarstellung abstimmt. Die Narrationen sind aber zugleich Ausdruck le-
bensgeschichtlicher Erfahrungskonstellationen, die in den Interaktionsmustern und
den Geschichten des Erzählers nachwirken und sich nicht beliebig uminterpretieren
lassen“ (Bereswill 2015, S. 347).
Dabei scheint es bisweilen angezeigt, allzu ,schlüssig‘ scheinenden Darstellungs-
formen gegenüber skeptisch zu sein. Denn wenn sich ein als abweichend wahr-
genommener Mensch, wie Goffman (1973, S. 149) bemerkt, bereits „in jeglicher
Umgebung“ dazu gezwungen sieht, seine traurige Geschichte „zum besten zu ge-
ben“, so gilt dies im besonderen Maße für das machtvolle narrative environment
des Gefängnisses. Dies schlägt sich erkennbar in den wiedergegebenen Gesprächs-
auszügen nieder, in denen Moh Hasan den erwarteten Erwartungen zu entsprechen
und dabei an sicher geglaubte gemeinsame Wissensbestände anzuknüpfen versucht.
Zugleich weist dies eine selbstbezügliche Ebene auf, mögen diese Formate erzäh-
lerischer Vergegenwärtigung doch den Hör- und Deutungsgewohnheiten sicherlich
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,Unordentliches Erzählen‘. Anmerkungen zur Rekonstruktion ,kleiner‘, ,unvollständiger‘ oder... 73
nicht weniger (Biographie-)Forscher*innen entsprechen.14Angesichts derart spezifi-
scher interaktionsstrukturellen Anordnungen ließe sich die Frage aufwerfen, wieviel
Raum überhaupt für Selbstdeutungen besteht, die nicht ,passen‘ oder sich womög-
lich gegen etablierte Masternarrative, also gegen „pre-existent socio-cultural forms
of interpretation“ (Bamberg 2004)richten.
15 In der Berücksichtigung ,kleiner‘, ,unor-
dentlicher‘ Erzählungen kann in dieser Hinsicht das kritische Potential erkannt wer-
den, die Hör- und Erzählbarkeit (McKenzie-Mohr und Lafrance 2017, S. 194) von
Gegenerzählungen zu erweitern. Denn diese, so Lindemann Nelson (2001, S. 169),
müssen nicht zwingend die Gestalt ,vollwertiger Geschichten‘ annehmen: „Counter-
stories come into being through a process of ongoing engagement with the narratives
they resist. Many of them start small, like a seed in the crack of a sidewalk, but they
are capable of displacing surprising chunks of concrete as they grow“. So bedient
sich Moah zwar partiell eines hegemonialen Erzählformats, doch keimen in seiner
Darstellung(sweise) zugleich Momente einer erzählerischen Auflehnung gegenüber
den Urheber*innen erfahrener Ungerechtigkeiten auf.
Um aus gängigen, vorformatierten Zuschnitten erzählerischer Selbstthematisie-
rung aus- oder diese aufzubrechen, ist es förderlich, von normativ grundierten Ver-
ständnissen ,richtiger‘ Erzählungen und ,angemessenen‘ Erzählens abzurücken, sich
(stets aufs Neue) der Vielfalt sprachlich-kommunikativer Realisierungsformen von
Sinn zu vergewissern was auch vermeintlich nicht gelungene Verständigung und
Selbsterklärungen sowie andere Zwischentöne beinhaltet und den Adressat*innen
auf diese Weise neue (Sprech-)Räume zu öffnen (vgl. McKenzie-Mohr und Lafrance
2017, S. 194). Zudem ist der konstitutive Eigenanteil von (Biographie-)Forschung an
der Produktion des Datenmaterials systematisch in ein analytisches Verfahren einzu-
beziehen, das sensibel genug ist, sowohl die ,kleinen‘, ,unordentlichen‘ Geschichten
als auch die (teils erschwerenden) Erzählumgebungen sowie die interaktiven Aspek-
te des Erzählens nicht zu übertönen. Aktuelle narrationstheoretische (u.a. Bamberg
2007) wie auch methodologische (u.a. Bethmann 2019; Dausien und Thoma 2023;
Eckert und Cichecki 2020) Diskussionen bieten dazu vielversprechende Ausgangs-
punkte.
Ein Forschungszugang, der solchermaßen nicht nur die textuelle Ebene der Nar-
ration, sondern auch deren Zustandekommen und den damit verbundenen „indirek-
ten Mitteilungscharakter“ (Meister 2018, S. 100) systematisch in die Analyse ein-
bindet, ermöglicht differenzierte Einblicke, etwa in (Diskreditierung abwehrende)
Selbst- und Fremd-Positionierungen, (brüchig gewordene) Selbst-Welt-Verhältnis-
se, (zu- oder aberkannte) Handlungsmächtigkeiten oder in Re-Inszenierungen von
Ereignissen und Handlungsketten, welche die berichtende Person sowohl in der er-
14 Dergestalt dokumentiert sich auch im hier vorliegenden Material eine gewisse ,Sinnfalle‘: Nicht selten
fällt es Forscher*innen als „professionelle Sinn-Sucher“ (Alheit 2007, S. 76) schwer, sich von Ideen
erzählerischer Kohärenz zu lösen. In den dargestellten Interviewausschnitten ist unschwer ein „desire for
textual coherence“ (Hyvärinen et al. 2010, S. 7) erkennbar. Ohnehin lauere, darauf macht Freeman (2010,
S. 167) aufmerksam, hinter jeder manifesten In- oder A-Kohärenz etwas, das von beflissenen Analyti-
ker*innen als ,latente‘ Kohärenz ,geborgen‘ respektive konstruiert werden könne.
15 Wobei kritisch anzumerken wäre, dass die sprachliche Gegenüberstellung von Master- und Counternar-
ratives eine Eindeutigkeit der Identifizierung von Erzählungen nahelegt, von der realiter nicht auszugehen
ist (vgl. Althoff et al. 2020, S. 6ff).
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74 H. Schmidt
zählten Zeit als auch im erzählerischen Nachgang wahrnehmbar anzurühren und
den sprachlichen Ausdruck einzufärben vermögen. Erkenntnisse also, die für eine
an Verstehensprozessen interessierte Sozialpädagogik wie auch Kriminologie von
großer Relevanz sein dürften.
Danksagung Für ihre differenzierten Rückmeldungen möchte ich den beiden anonymen Gutachter*innen
meinen Dank aussprechen.
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Im Rahmen dieser Studie wird rekonstruiert, wie Erwachsene, die infolge wiederholter Erlebnisse personaler Gewalt Traumata durch andere Menschen erfahren haben, ihre Lebensgeschichten biografisch bearbeiten. Zum zweiten wird untersucht, wie Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbegrenzungen dabei bedeutsam werden. Wie die Ergebnisse zeigen, verhindert das fragmentierte biografische Erzählen der Biograf*innen ihre Erzähl- und Handlungsfähigkeit nicht. Ungeachtet entmächtigender, das Mitteilen erschwerender Gewalterlebnisse bietet ihre brüchige Erzählweise vielmehr die Möglichkeit, sich selbst als handlungsfähige*r Akteur*in zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund erweist sich die dekonstruierende Selbstthematisierung als eine Form biografischer Bearbeitung, die Erzähl- und Handlungsfähigkeit ermöglicht. Die Autorin Christin Schörmann ist Verwalterin der Professur für Soziale Arbeit in der Rehabilitation an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Kunst in Holzminden. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind: Soziale Arbeit im Handlungsfeld Gesundheitshilfe, traumasensible Soziale Arbeit und rekonstruktive Forschung, insbesondere Biografieforschung.
Article
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In English-speaking criminology there is a lot of talk about narratives at the moment. Recently, the umbrella term narrative criminology has been established for research that relates narratives and crime or crime control. This is a new approach to an older topic; narratives have been a subject of criminological research in many ways for quite some time. We begin by describing the starting point of the topic in order to contrast it with the specific direction taken by leading representatives of narrative criminology. In particular, we focus on the question of whether it can rightly claim to open up new theoretical and/or empirical perspectives on critical criminology. We raise doubts in this regard. From our point of view, it seems difficult that narrative criminology is etiologically oriented to no small degree. Moreover, it makes use of a dualistic ontology that is simultaneously committed to a 'realistic' and a 'constructivist' understanding of reality. Although this approach can establish different criminological references, the downside is a certain inconsistency. Therefore, we postulate a more consistent constructiv-ist orientation, which makes it possible to analyze the constitution of crime as a culturally embedded narrative practice. Keywords: Narrative, Causality, Aetiology, Ontology, Critique
Article
Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Deutschland Kriminalgeschichten als besonderes Genre etabliert. Sie waren nicht vorrangig juristisch ausgerichtet, sondern verfolgten den Anspruch einer authentischen Darstellung von TäterInnen-Persönlichkeiten und ihrer Hintergründe. In der historischen Forschung wurden die mit diesen Geschichten assoziierte Trennung von moralischen und juristischen Bewertungskategorien sowie die resultierenden Paradoxien rekonstruiert. In dem Beitrag wird dies anhand einer Analyse von beispielhaften Geschichten weitergeführt zu der Perspektive, dass mit den Geschichten eine biografische Sicht auf Kriminalität und TäterInnen konsolidiert wurde, die gleichfalls von Paradoxien begleitet wurde.
Article
Cet article entreprend une étude comparative de récits mémoriels oraux et écrits et soutient qu’une caractéristique importante des récits mémoriels est la fragmentation du texte. Cette fragmentation ne conduit cependant pas à une perte du sens, mais contribue de manière spécifique à sa production. Selon notre thèse, la caractéristique des récits mémoriels peut être décrite comme une relation spécifique entre les niveaux syntagmatique et paradigmatique, qui consiste dans le fait qu’à la logique narrative basale, qui est syntagmatique, se superpose une logique paradigmatique d’accumulation de descriptions, de digressions, d’images mémorielles, etc. Nous analysons cette logique à travers trois procédures ou caractéristiques typiques des récits mémoriels : (1) la reconstruction de qualités perceptives et sensorielles ; (2) la technique des insertions multiples ; (3) le fait de passer sous silence ce qui est difficile à dire.
Article
Throughout the history of our field, collectors have dealt condemningly with the issue of fragmentation, casting aside collected fragments of story or song as inferior and celebrating the longer, more complete version. Nevertheless, a fragmented narrative may be the most artistic and competent way of handling particular performances in context. Studies of traumatic narration, co-narration, emergence, storytelling rights, and rupture have moved narrativity studies beyond surface understandings of a “correct” nature and shape of narrative, exploring the actual ethnographic contexts of narration. This special issue explores numerous concepts and cases related to unfinished narratives, trying to come to a fuller understanding of narrative gaps.
Chapter
Small stories research, a framework for narrative and identities-in-interaction analysis, was developed with the intention of providing a critical analytical way for interrogating the focus of narrative studies on interview-generated, coherent and teller-led stories and the marginalisation of fleeting counter-stories, emergent in everyday-life environments. Since then, it has experienced an unforeseen, albeit welcome and enriching, uptake by different fields (e.g. sports sociology, narrative psychology, organisational research, etc.) and stakeholders: from counselling on the go for homeless people, narrative inquiry into Alzheimer’s and Parkinson’s patients, to facilitating reflections of pre-service school teachers, designing educational material for programmes for minority children in Greece, etc. Picking up on this outreach and diversification, in this chapter, I will ‘recommend’ small stories research as a perspective within narrative criminology, that is well suited to uncovering and analysing the contextually sensitive co-construction of stories and any moments of agency, resistance, performance but also ambivalence, dilemmas and contradictions for their tellers. Employing tools and modes of analysis of small stories research facilitates the inquiry into this delicate identity work through stories as well as the scrutiny of the relationships between personal and collective stories, as those are nowadays inadvertently shaped by social media processes of distribution and amplification.