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Einseitig, unkritisch, regierungsnah? Eine empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie

Authors:

Abstract and Figures

Die vorliegende Studie untersucht die Qualität der Medienberichterstattung über die Covid-19-Pandemie in Deutschland zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 30. April 2021 in elf Leitmedien mit unterschiedlichen redaktionellen Linien, darunter sieben Online-Nachrichtenangebote (faz.net · sueddeutsche.de welt.de · bild.de · spiegel.de · focus.de und t-online.de) und vier Fernsehnachrichten-Formate (Tagesschau – ARD, heute – ZDF, RTL aktuell und ARD Extra zur Corona-Pandemie). Die Qualität der Medienberichterstattung messen wir dabei an frühere Studien anknüpfend auf sechs Dimensionen: 1) Relevanz, 2) Vielfalt, 3) Sachlichkeit /Neutralität, 4) Richtigkeit / Sachgerechtigkeit, 5) Ausgewogenheit und 6) Einordnung/Kontextualisierung.
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Eine empirische Studie zur Qualität
der journalistischen Berichterstattung
über die Corona-Pandemie
Autoren:
Prof. Dr. Marcus Maurer · Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prof. Dr. Carsten Reinemann · Ludwig-Maximilians-Universität München
Simon Kruschinski · Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Das Wichtigste in Kürze ................................................................................................................... 4
1. Erkenntnisinteresse ...................................................................................................................... 6
2. Ereignishintergrund ...................................................................................................................... 7
2.1 Der Verlauf der COVID-19-Pandemie in Deutschland .............................................. 7
2.2 Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Deutschland ....................... 9
2.3 Die Wahrnehmung der Pandemie durch die deutsche Bevölkerung ............... 10
3. Die Rolle der Medien .................................................................................................................. 14
3.1 Journalismus in der Pandemie ......................................................................................... 14
3.2 Informationsquellen der Bevölkerung in der Pandemie ........................................ 15
3.3 Bewertung der Medienberichterstattung durch die Bevölkerung .................... 17
4. Methode .......................................................................................................................................... 19
4.1 Anlage der Inhaltsanalyse ................................................................................................ 19
4.2 Untersuchte Dimensionen journalistischer Qualität ............................................. 20
5. Ergebnisse ..................................................................................................................................... 22
5.1 Relevanz ................................................................................................................................. 23
5.2 Vielfalt ..................................................................................................................................... 27
5.3 Sachlichkeit/Neutralität .................................................................................................. 33
5.4 Richtigkeit/Sachgerechtigkeit (deskriptive Qualität) .......................................... 35
5.5 Ausgewogenheit (deskriptive Qualität) .................................................................... 43
5.6 Einordnung/Kontextualisierung (analytische Qualität) ........................................ 51
6. Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen ........................................................ 55
7. Förderer, Autoren und Dank .................................................................................................. 59
8. Literatur .......................................................................................................................................... 60
Inhaltsverzeichnis
3
DAS
WICHTIGSTE
IN KÜRZE
Die vorliegende Studie untersucht die Qualität der Medienberichterstattung
über die Covid-19-Pandemie in Deutschland zwischen dem 1. Januar 2020 und
dem 30. April 2021 in elf Leitmedien mit unterschiedlichen redaktionellen Linien,
darunter sieben Online-Nachrichtenangebote (faz.net · sueddeutsche.de
welt.de · bild.de · spiegel.de · focus.de und t-online.de) und vier Fernseh-
nachrichten-Formate (Tagesschau – ARD, heute – ZDF, RTL aktuell und
ARD Extra zur Corona-Pandemie). Die Qualität der Medienberichterstattung
messen wir dabei an frühere Studien anknüpfend auf sechs Dimensionen:
1) Relevanz, 2) Vielfalt, 3) Sachlichkeit / Neutralität, 4) Richtigkeit /
Sach gerechtigkeit, 5) Ausgewogenheit und 6) Einordnung / Kontextualisierung.
4
Zentrale Befunde:
Relevanz: Zwischen der Intensität der Medienberichterstat-
tung über die Pandemie und der Intensität des Infektions-
geschehens bestand ein eher loser Zusammenhang. Zwar
berichteten die Medien während der drei Pandemie-Wellen
häufiger über die Pandemie als zwischen den Wellen. Aller-
dings lag der Höhepunkt der Medienberichterstattung in
der ersten Welle, obwohl das Infektionsgeschehen in den
beiden anderen Wellen deutlich dramatischer ausfiel.
Vielfalt: Bei den in der Berichterstattung erwähnten Akteu-
ren zeigt sich eine starke Konzentration auf Politiker und
mit einigem Abstand Ärzte und Wissenschaftler, während
von der Infektion Betroene und auch so genannte Corona-
Skeptiker kaum vorkamen. Unter den politischen Akteuren
dominierten die Unionsparteien, während über die Opposi-
tionsparteien kaum berichtet wurde. Unter den im weitesten
Sinne wissenschaftlichen „Pandemie-Erklärern“ dominierte
lange der Virologe Christian Drosten, der aber zunehmend
vom SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach abge-
löst wurde. Während in der ersten Pandemie-Welle noch
gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen der Pandemie
etwa gleichermaßen diskutiert wurden, gerieten die (nega-
tiven) Folgen für die Wirtschaft ab der zweiten Pandemie-
Welle aus dem medialen Fokus.
Sachlichkeit/Neutralität: Die Medien haben insgesamt
überwiegend sachlich über die Pandemie berichtet. Aller-
dings galt dies für einzelne Medien stärker als für andere.
Zugleich haben sie häufiger über statistische Informationen
als über Einzelfälle berichtet. Dies zeigte sich im Verlauf des
Untersuchungszeitraums mit zunehmender Tendenz.
Richtigkeit/Sachgerechtigkeit: Im Verhältnis zu anderen
Berichterstattungsthemen haben die Medien relativ sel-
ten das Corona-Virus und das Krankheitsbild COVID-19
selbst in den Mittelpunkt gestellt. Sie haben in Bezug auf
die medizinischen Aspekte der Pandemie überwiegend einen
Konsens in der Wissenschaft unterstellt. Zugleich haben sie
vor allem den Vergleich mit der Gefährlichkeit des Influ-
enza-Virus nur selten angestellt und dieses dann häufig als
ähnlich gefährlich dargestellt. Die Unsicherheit von wissen-
schaftlichen Prognosen wurde oft nicht vermittelt. Zugleich
wurden vergangene Prognosen in vielen Medien als über-
wiegend unzutreend kritisiert.
Ausgewogenheit: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie wurden in den meisten Medien als angemessen
oder sogar als nicht weitreichend genug bewertet. Dass die
Maßnahmen zu weit gingen, war in den Medien eher eine
Minderheitenposition, die allerdings quantitativ durchaus
ins Gewicht fiel. Harsch und ab Oktober 2020 zunehmend
harscher fielen die Urteile über die wichtigsten politischen
Akteure und ihre Kompetenzen aus, während die Wissen-
schaft eher gleichbleibend positiv beurteilt wurde. Als
Leitwert dominierte das Streben nach Sicherheit über die
Forderungen nach Freiheit, wobei auch hier deutliche Me-
diendierenzen zutage traten.
Einordnung/Kontextualisierung: Daten zum Pandemie-
geschehen wurden im Zeitverlauf zunehmend über Zeitver-
gleiche kontextualisiert, nur selten dagegen über Vergleiche
mit anderen Krankheiten. Eine Abwägung verschiedener
Folgen von Pandemie und Maßnahmen fand sich in weniger
als einem Drittel der Beiträge, die Folgen nannten.
Insgesamt fiel die Qualität der Medienberichterstattung je
nach Dimension, Indikator und gelegentlich auch Medium
folglich unterschiedlich aus. Wie man sie beurteilt, ist zu-
dem untrennbar mit der Frage verbunden, welche Rolle
man Nachrichtenmedien in Krisen wie dieser Pandemie zu-
schreibt. Gehört es auch in einer Pandemie wie dieser zu
den Aufgaben der Medienberichterstattung, Kritiker und
negative Nebenfolgen von aus Sicht der Pandemiebekämp-
fung wünschenswerten Maßnahmen zu thematisieren, auch
wenn dies möglicherweise die gesellschaftliche Akzeptanz
dieser Maßnahmen mindert? Oder ist die Bekämpfung der
Pandemie hier so oensichtlich vorrangig, dass der Grund-
satz einer vielfältigen und ausgewogenen Berichterstattung
außer Kraft gesetzt werden kann oder sogar muss? Dies
wiederum hängt maßgeblich von der Beurteilung des Ge-
fährdungspotenzials von SARS-CoV-2 und COVID-19 ab.
5
1. Erkenntnisinteresse
Spätestens seit der Verhängung erster einschneidender
Maßnahmen im März 2020 wurde die Berichterstattung
deutscher Medien über die COVID-19-Pandemie selbst zum
Gegenstand öentlicher Debatten. Die Vorwürfe reichten
zu Beginn von mangelnder Meinungs- und Expertenvielfalt
über fehlende analytische Tiefe und mangelnde Einordnung
von Zahlen bis hin zu Regierungs- und Expertenhörigkeit,
Hofberichterstattung zugunsten der Regierungen, Drama-
tisierung, Panikmache und medialer Konsonanz, also einer
weitgehenden Einheitlichkeit in der Berichterstattung. Insge-
samt, so mancher Kritiker, sei die Corona-Berichterstattung
kein „Leuchtturm der Orientierung“ gewesen (z. B. Rieg,
2020; Deutschlandfunk Nova, 5.6.2020).
In den kommenden Monaten verlagerte sich die Kritik
auf andere Schwerpunkte und es kamen weitere Vorwürfe
hinzu: Bemängelt wurde die Vernachlässigung von Wissen-
schaftsdisziplinen abseits der zunächst wichtigsten medizi-
nischen Fachgebiete (Virologie, Epidemiologie etc.), etwa
von Pädagogik, Psychologie, aber auch der Pädiatrie. Eben-
so kritisiert wurde ein fehlender Blick auf die psychosozia-
len Folgen der Corona-Maßnahmen, die Nicht-Beachtung
der Probleme von Kindern und Jugendlichen oder auch eine
irreführende Darstellung der Bevölkerungsmeinung zu den
Corona-Maßnahmen (z. B. spiegel.de, 12.3.2021). Dabei
gab es Vorwürfe, die sich auf die Leistung der Medien ins-
gesamt bezogen, es wurden aber auch bestimmte Medien
in den Blick genommen, etwa die öentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten oder aber Boulevardmedien wie die
Bild- Zeitung.
Allerdings gab es ebenso Stimmen, die auf den Mangel
an systematischen Belegen für die vielen Vorwürfe an die
Adresse „der“ Medien verwiesen, die „die“ Medien oder zu-
mindest den „seriösen“ Journalismus eher verteidigten (z. B.
Schulenburg & Lilienthal, 2020) oder der Berichterstattung
während des Sommers 2020 sogar eine zu große „Sorglosig-
keit“ statt einer „apokalyptischen“ Darstellung attestierten
(z. B. taz, 24.8.2020).
Waren also „alle Journalisten Versager?“ (FAZ, 8.4.2020)?
War die Berichterstattung unangemessen emotional und alar-
mistisch? War die Berichterstattung einseitig und regierungs-
treu, weil keine Kritik an der Politik von Bundes- und Lan-
desregierungen und den Corona-Maßnahmen geäußert oder
vermittelt wurde? Gab es keine Abwägung ihrer verschiede-
nen medizinischen, sozialen, ökonomischen oder politischen
Folgen? Wurden Zahlen nicht eingeordnet? Wie war es also
insgesamt um die Qualität der journalistischen Berichterstat-
tung über die COVID-19-Pandemie, die beteiligten Akteure,
die Maßnahmen und die Folgen der Pandemie bestellt?
Zu diesen Fragen liegen in Deutschland bislang kaum
gesicherte Befunde vor, die sich auf systematische wissen-
schaftliche Analyse und eine breite empirische Basis stützen
könnten. Zwar wurden bereits erste Studien zur deutschen
Medienberichterstattung über die Pandemie publiziert. Diese
sind aber in ihrem Untersuchungszeitraum auf die erste Phase
der Pandemie begrenzt, behandeln nur einzelne Mediengat-
tungen oder ein eingeschränktes Spektrum von Medien und
widmen sich – wenn überhaupt – nur wenigen Facetten jour-
nalistischer Qualität (z. B. Gräf & Henning, 2020; Quandt
et al., 2020; Weiß et al., 2020). Breit angelegte systematische
Untersuchungen sind aber außerordentlich wichtig, weil sub-
jektive Urteile über die Qualität medialer Berichterstattung
gerade im Fall kontroverser emen stark durch die Position
der Urteilenden zum jeweiligen Gegenstand beeinflusst wer-
den. Dabei zeigt sich, dass selbst ausgewogene Berichterstat-
tung als gegen die eigene Meinung verzerrt wahrgenommen
werden kann. Hinzu kommt, dass solche Wahrnehmungen
mit Annahmen über starke Medienwirkungen auf andere
und über vermeintlich unlautere Absichten von Journalis-
tinnen und Journalisten einhergehen können (sog. Hostile
Media- und ird-Person-Eekte).
Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende
Analyse, wie etablierte Nachrichtenmedien zwischen dem
1. Januar 2020 und dem 30. April 2021 über die COVID-
19-Pandemie in Deutschland berichteten. Die Studie kon-
zentriert sich auf Nachrichtenmedien, da journalistische
Quellen trotz der wachsenden Bedeutung nicht-journalis-
tischer Online-Angebote (etwa auf sozialen Netzwerken),
interpersonaler Kommunikation (auch über Messenger-
Dienste) und sog. Alternativmedien nach wie vor die wich-
tigste Grundlage für die Information und die Meinungsbil-
dung der Deutschen zu aktuellen emen darstellen – und
dies galt auch in der Corona-Krise (siehe dazu ausführlich
Abschnitt 3.2). Konkret einbezogen werden dabei sechs
6
Webseiten etablierter Nachrichtenmedien sowie eines On-
line-Providers, die Hauptausgaben der TV-Nachrichten von
ARD, ZDF und RTL sowie die Sondersendungen der ARD
zur Corona-Krise (Corona Extra).
2. Ereignishintergrund
2.1 Der Verlauf der COVID-19-
Pandemie in Deutschland
Anfang 2020 begann sich das neuartige Corona-Virus
SARS-CoV-2 von China ausgehend in Europa auszubrei-
ten. Binnen kurzer Zeit erreichte die Ausbreitung globale
Ausmaße und am 11. März 2020 erklärte die Weltgesund-
heitsorganisation den Covid-19-Ausbruch zur Pandemie.
Für deren Wahrnehmung in Deutschland dürfte neben der
Entwicklung in China die rasante Ausbreitung des Virus
in Italien ab Februar 2020 von Bedeutung gewesen sein.
Sie führte dazu, dass das Land schnell die meisten Anste-
ckungen und Todesfälle weltweit zu beklagen hatte. Medial
kulminierte dies in den Bildern von mit Särgen beladenen
Militärfahrzeugen im oberitalienischen Bergamo, die am 18.
März 2020 um die Welt gingen (siehe dazu ausführlich Ab-
schnitt 2.3).
In Deutschland wurde der erste Corona-Fall am 28.
Januar laborbestätigt (Webasto-Cluster). Danach schien
eine gewisse Beruhigung einzukehren, bevor sich ab Ende
Februar das Infektionsgeschehen zusehends beschleunig-
te und Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar wa-
ren. Nach anfänglich eher beruhigenden Aussagen aus der
Politik war Gesundheitsminister Spahn am 26. Februar in
den bundesweiten TV-Nachrichten dann mit der Aussage
zu sehen, Deutschland stehe „am Beginn einer Corona-
virus-Epidemie“. Die weitere Entwicklung in Deutschland
verlief in Wellen, in denen sich Perioden stark ansteigen-
der Infektionszahlen mit Entspannungsphasen abwech-
selten, die jeweils durch unterschiedlich strikte Eindäm-
mungsmaßnahmen begleitet bzw. beeinflusst wurden. Im
Untersuchungszeitraum dieser Studie traten drei starke
Infektionswellen auf, deren Höhepunkte im April und
Dezember 2020 sowie Ende April 2021 lagen. Bis zum
Ende des Untersuchungszeitraums, dem 30. April 2021,
waren dem Robert-Koch-Institut etwa 82.850 Todesfälle im
Zusammenhang mit dem Corona-Virus gemeldet worden,
etwa 220.000 Menschen waren im Krankenhaus behandelt
worden und etwa 3.4 Millionen Menschen hatten sich in-
fiziert (RKI, 2021b).
Das Monitoring des Infektionsgeschehens war und ist
mit erheblichen Herausforderungen verbunden, bei denen
beispielsweise Meldeverzüge und uneinheitliche Verfah-
rensweisen in Ländern und Kommunen eine Rolle spielen.
Als Indikatoren für die realweltliche Entwicklung und Ver-
gleichsmaßstab für die Berichterstattung der Medien eignen
sich allerdings im Nachhinein korrigierte Zahlen über Neu-
infektionen, Todesfälle etc. kaum, da als Vergleichsmaßstab
für die Darstellung nur dienen kann, was zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt tatsächlich bekannt war. Wir ziehen deshalb
als Datenbasis nicht im Nachhinein korrigierte Werte, son-
dern die täglichen Situationsberichte des RKI heran.
Umgang mit Daten zum
Pandemiegeschehen
Das Pandemiegeschehen in Deutschland wird in
dieser Studie auf Grundlage der täglichen Situationsbe-
richte des RKI abgebildet. Die tagesaktuellen Lagebe-
richte können durch einen Übermittlungsverzug jedoch
auch Fälle vorangegangener Tage enthalten und wurden
an Wochenenden sowie Feiertagen partiell ausgesetzt.
Die Daten weichen daher von nachträglich korrigierten
Zahlen ab, geben jedoch den Wissensstand des jeweili-
gen Tages wieder. Für den Untersuchungszeitraum wur-
den die Realweltdaten nach der tageweisen Dokumen-
tation wochenweise kumuliert bzw. gemittelt.
72 — Erkenntnishintergrund
Abbildung 1: Wöchentliche Anzahl von Neuinfektionen und Todesfällen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus in Deutschland
1. Januar 2020 - 30. April 2021. Quelle: RKI-Berichte.
Abbildung 2: Anteil der Erst- und Zweitgeimpften in Deutschland 1. Januar 2020 - 30. April 2021. Quelle: RKI-Berichte.
8
Legt man diese Daten zugrunde, dann wurden auf dem
Höhepunkt der ersten Welle im April 2020 pro Woche
etwa 40.000 Neuinfektionen und mehr als 1.600 Todesfälle
im Zusammenhang mit dem Virus gemeldet. Auf dem
Höhepunkt der zweiten Welle wurden Ende Dezember
2020 mehr als 170.000 Neuinfektionen und etwa 6.000
Todesfälle registriert. In der dritten Welle im April 2021
lag die Zahl der Neuinfektionen dann wieder bei mehr als
140.000, die Zahl der Todesfälle mit etwa 1.600 pro Woche
jedoch weit unter den Werten der zweiten Welle (Abbildung
1). Wesentlicher Grund dafür war, dass zu diesem Zeitpunkt
ein Großteil der besonders vulnerablen älteren Menschen
bereits geimpft war. Nach einer historisch schnellen Ent-
wicklung und Zulassung von auch neuartigen Impfstoen
hatten die ersten Impfungen Ende Dezember 2020 begon-
nen. Priorisiert geimpft wurden aufgrund der Knappheit
an Impfsto dann zunächst alte Menschen, vornehmlich in
Pflege- und Altenheimen, die besonders hart von den ers-
ten Wellen der Pandemie getroen worden waren. Gegen
Ende unseres Untersuchungszeitraums waren damit knapp
acht Prozent der Bevölkerung zweitgeimpft und knapp ein
Viertel erstgeimpft (Abbildung 2).
2.2 Die Maßnahmen zur
Bekämpfung der Pandemie
in Deutschland
Zur Bekämpfung der Pandemie ergrien Bund und
Länder im Laufe der Zeit eine Reihe von Maßnahmen, die
mit teils drastischen Eingrien in das öentliche Leben und
individuelle Grundrechte einhergingen und deren Qualität
und Umfang in der Geschichte der Bundesrepublik bis dahin
erstmalig waren. Dabei kann man „Eindämmungsmaßnah-
men“, „Ökonomische Maßnahmen“ und „Maßnahmen im
Gesundheitssystem“ (z. B. Verschiebung planbarer Operati-
onen, Ausbau von Intensivkapazitäten) unterscheiden (Hale
et al., 2021, S. 530). Diese wurden im Verlauf der Pandemie
ja nach Entwicklung des Infektionsgeschehens und je nach
Einschätzung der politischen Entscheidungsträger über die
weitere Entwicklung der Pandemie und die Durchsetzbar-
keit der Maßnahmen gelockert und wieder verschärft. Dabei
galten die Maßnahmen zum Teil für das gesamte Bundesge-
biet, immer wieder wurden aber in einzelnen Bundesländern
auch mehr oder weniger nachvollziehbare Abweichungen
von der bundesweiten Linie beschlossen. Zu einem der wich-
tigsten Ziele der Maßnahmen entwickelte sich dabei neben
der Vermeidung von Neuinfektionen, Hospitalisierungen
und Todesfällen die Abwendung einer Überlastung des Ge-
sundheitssystems.
Von besonderer Bedeutung für die öentliche Wahr-
nehmung der Pandemie waren vermutlich zunächst die
drastischen Eindämmungsmaßnahmen, die den Alltag der
Menschen in Deutschland stark und unmittelbar beeinfluss-
ten. Dazu zählten neben Auorderungen zur Einhaltung
der AHA-Regeln Maßnahmen zur Kontaktreduktion, die
Schließung von Schulen, Gastronomie und anderen Dienst-
leistungsbereichen und Freizeiteinrichtungen, Verbote
öentlicher Veranstaltungen, die Beschränkung der Anzahl
von Personen bei öentlichen und privaten Treen, Aus-
gangssperren und die Einschränkung der Reisefreiheit im
In- und Ausland (Hale et al., 2021, S. 530). Einen ersten
wichtigen Einschnitt bildete diesbezüglich wohl das unter
dem Eindruck steigender Infektionszahlen in Deutschland,
aber wohl auch angesichts der Entwicklung in Italien be-
schlossene und am 22. März 2020 bundesweit in Kraft ge-
tretene Maßnahmenpaket (sog. 1. Lockdown). Kommuni-
kativ vorbereitet wurde die Verkündung dieser Maßnahmen
durch eine Ansprache der Bundeskanzlerin Angela Merkel,
die am 18. März 2020 vor die Kameras trat, die Bürgerinnen
und Bürger eindringlich auf den Ernst der Lage hinwies und
zur Einhaltung der geltenden Maßnahmen aufrief.
Zwischen Mitte April und insbesondere mit den Be-
schlüssen vom 6. Mai 2020 wurden die Eindämmungs-
maßnahmen schrittweise und je nach Bundesländern und
Kommunen unterschiedlich gelockert
(Hotspot-Strategie)
.
Dabei wurden allerdings u. a. Kontaktbeschränkungen und
Hygienemaßnahmen aufrechterhalten und eine Empfeh-
lung zum Tragen von Alltagsmasken abgegeben. Darüber
hinaus wurde das Tragen einer Maske im öentlichen Nah-
verkehr und in Geschäften ab Ende April zur Pflicht. Eine
breitere Önung der Schulen fand erst nach den Pfingst-
ferien schrittweise statt.
Nach einer Phase niedriger Infektionszahlen über den
Sommer begannen die Infektionszahlen im Herbst wieder
zu steigen. Dies führte zu einer intensiven politischen De-
92 — Erkenntnishintergrund
10
batte über das richtige Vorgehen, und nach anfänglichem
Zögern und dem Versuch, die Hotspot-Strategie fortzu-
führen, war die Politik dann Ende Oktober erneut zu einer
Verschärfung der Maßnahmen gezwungen. Vorausgegangen
war eine intensive öentliche Debatte und massive Kritik
aus der Wissenschaft, die die Zögerlichkeit der Entscheider
kritisierte. So wurde zunächst ein am 2. November 2020 in
Kraft tretender
Lockdown light
beschlossen, der u. a. erneute
striktere Kontaktbeschränkungen sowie Schließungen von
Gastronomie-, Kultur- und Dienstleistungsbetrieben, nicht
aber von Schulen vorsah. Diese Beschlüsse wurden dann
Ende November 2020 nochmals verschärft.
Jedoch reichten auch diese Maßnahmen nicht aus,
um das Infektionsgeschehen einzudämmen und eine dro-
hende Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Auch angesichts der Möglichkeit, dass eine neue Virus-
variante (B.1.1.7) zu einer weiteren Verschärfung führen
könnte, verständigten sich die Länder gemeinsam mit der
Bundesregierung am 13. Dezember 2020 auf einen
2. Lock-
down
. Er trat am 16. Dezember in Kraft und wurde bald
mit Wirkung vom 10. Januar nochmals verschärft. In der
Folge wurden u. a. Kinderbetreuungseinrichtungen und
Schulen erneut geschlossen, ebenso wie die meisten Ge-
schäfte und Dienstleistungsbetriebe; die Wirtschaft soll-
te so weit wie möglich auf Homeoce umstellen und es
wurden weitere Hilfen für Unternehmen beschlossen. Im
öentlichen Nahverkehr und in Geschäften mussten nun
statt Alltagsmasken medizinische Masken getragen wer-
den, in manchen Bundesländern auch FFP-2-Masken.
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen bis Anfang
Februar zurückgegangen war, beschlossen Bund und Län-
der trotz Warnungen aus der Wissenschaft am 3. März
2021 schrittweise Lockerungen, die an eine Inzidenz von
50 gekoppelt waren und mit einer Ausweitung der nun flä-
chendeckend zur Verfügung stehenden Testmöglichkeiten
verbunden werden sollten. In der Folge stieg die Zahl der
Neuinfektionen bis Ende April erneut dramatisch an, was
Länder und Bundesregierung am 24. April 2021 erneut zu
weitreichenden Beschlüssen veranlasste, aber Maßnahmen
nun konsequent am jeweiligen Infektionsgeschehen in den
Kommunen abhängig machte
(Bundesnotbremse)
.
Die phasenweisen Schließungen von Einzelhandel und
Gastronomie sowie das Verbot öentlicher Veranstaltungen
beeinträchtigten das Wirtschaftsleben und die Erwerbsmög-
lichkeiten vieler Menschen stark und führten zusammen
mit dem weltweiten Zusammenbruch von Nachfrage und
Liefer ketten zu einem drastischen wirtschaftlichen Ein-
bruch. Durch umfangreiche Hilfszusagen in Milliardenhö-
he, die im Verlauf der Pandemie mehrfach in Ausrichtung
und Höhe angepasst wurden, versuchte die Bundesregierung
eine Pleitewelle und den dauerhaften Verlust von Arbeits-
plätzen zu verhindern (etwa durch Finanzierung von Kurz-
arbeit, Überbrückungshilfen, Kredite etc.). Die zeitweisen
Schließungen von Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen
und Hochschulen ab Mitte/Ende März 2020 konnten gera-
de zu Beginn und insbesondere in den Schulen kaum durch
digitale Angebote aufgefangen werden. All dies führte zu er-
heblichen Belastungen in den Familien und schränkte die
Bildungsmöglichkeiten stark ein.
2.3 Die Wahrnehmung
der Pandemie durch
die deutsche Bevölkerung
Die Entwicklung der Bevölkerungsmeinung zur Pande-
mie ist in Deutschland außergewöhnlich gut dokumentiert.
Dies liegt einerseits an der bereits im März 2020 gestarteten
oziellen Begleitforschung, die vom RKI unterstützt maß-
geblich in der Hand der Universität Erfurt lag (COSMO-
STUDIE; https://projekte.uni-erfurt.de/ cosmo2020/
web/), andererseits an einer Vielzahl von Studien, die aus
ganz unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen angesto-
ßen wurden, sowie der Tatsache, dass sich auch die gro-
ßen Meinungsforschungsinstitute rasch der Pandemie an-
nahmen. Im Kontext der vorliegenden Studie können die
Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung zum
einen als ein Ergebnis medialer Berichterstattung, zum an-
deren aber auch als deren Treiber betrachtet werden, da die
Medien Stimmungen aus der Bevölkerung auch in ihrer
Berichterstattung reflektieren. Zum anderen kann man an-
nehmen, dass die Bevölkerungsmeinung einen wesentlichen
Einflussfaktor auf politische Entscheidungen darstellte, etwa
wenn es um Beschlüsse zur Verschärfung oder Lockerung
von Maßnahmen oder die Abschätzung der Akzeptanz in
der Bevölkerung geht.
Abbildung 3: Ereignisse, die dazu führten, dass Menschen das Corona-Virus als „ernste Bedrohung für Deutschland“ sahen. Anteil der
Befragten, die ein Ergebnis als das entscheidende angaben. Basis: Quotierte Online-Befragung Anfang April 2020 (N = 1.820 Befragte).
112 — Erkenntnishintergrund
Als Hintergrund für die vorliegende Studie soll hier
kurz auf drei Aspekte eingegangen werden: Die für die Erst-
Wahrnehmung der Pandemie entscheidenden Ereignisse
in der Frühphase der Pandemie, die Entwicklung des per-
sönlichen Bedrohungsempfindens im weiteren Verlauf der
Pandemie sowie die Meinung zu den Corona-Maßnahmen.
Das Bedrohungsempfinden thematisieren wir, weil Vor-
würfe der Panikmache an die Medien oftmals implizieren,
dass tatsächlich (unbegründete) Ängste in der Bevölkerung
entstanden. Auf die Meinungen zu den Maßnahmen gehen
wir ein, weil sich im Verlauf der Pandemie zeigte, dass Ver-
treterinnen und Vertreter aus Medien und Politik bei ihren
Forderungen nach Verschärfungen, vor allem aber nach
Lockerungen oder Nicht-Verschärfungen von Maßnahmen
auf die vermeintlichen Ansichten „der“ Bevölkerung verwie-
sen (dazu z. B. Reinemann et al., 2021). Wir greifen dabei
einerseits auf Befunde der COSMO-Studie, andererseits auf
eigene Befragungen zurück, die wir Anfang April 2020 und
Ende Februar 2021 durchgeführt haben.
Zwischen Anfang Februar und März 2020 wurde das
Corona-Virus nach und nach zum bestimmenden ema in
Medien, Politik und Bevölkerung. Welche Ereignisse für die
Problemwahrnehmung der Deutschen dabei eine besondere
Rolle spielten, kann man an den Ergebnissen einer quasi-re-
präsentativen (quotierten) Befragung ablesen, die wir Anfang
April 2020 durchgeführt haben (N = 1.820). Dabei wurde den
Befragten eine Reihe von Ereignissen vorgelegt und sie wur-
den gebeten anzugeben, durch welches Ereignis ihnen klar ge-
worden sei, dass das Corona-Virus eine ernste Bedrohung für
Deutschland darstellte. Dabei zeigt sich, dass die Ausgangssper-
ren in Wuhan (China) und die Ausweisung von Sperrzonen in
Norditalien (8.3.2020) nur bei etwa einem Viertel der Men-
schen dazu führten, das Virus als ernste Gefahr für Deutsch-
land zu betrachten. Erst durch die Ausrufung der Pandemie
durch die WHO (11.3.2020) und die bundesweite Schließung
von Kitas und Schulen, wurde den Befragten die Bedrohung
klar vor Augen geführt. Etwas mehr als 40 Prozent hielten auch
da die Lage noch nicht für bedrohlich, aber die meisten davon
wurden in den folgenden Tagen dann durch die Ansprache der
Kanzlerin (18.3.2020), die Bilder aus Bergamo (19.3.2020),
die Verkündung allgemeiner Ausgangsbeschränkungen in
Bayern (21.3.2020) und die Verkündung des ersten Lock-
downs (23.3.2020) vom Gegenteil überzeugt (Abbildung 3).
Abbildung 4: Anteile der Befragten, die ein hohes aektives Risiko durch die Corona-Pandemie wahrnahmen (Mittelung der Antworten
zur empfundenen Dominanz von Corona und der Angst vor sowie Besorgnis über Corona) bzw. die Maßnahmen für übertrieben hielten
(durchschnittliche Zustimmung zur Aussage, dass die Corona-Maßnahmen übertrieben sind). Quelle: COSMO-Studie Universität Erfurt
(https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/explorer)
Abbildung 5: Anteile der Befragten, die fanden, die geltenden Maßnahmen seien übertrieben, gerade richtig oder diese müssten härter aus-
fallen. Datum entspricht dem Veröentlichungsdatum der der Befragung. Die Frage wurde im Juli 2020 nicht gestellt (Politbarometer Juli I
und Juli II). Quelle: ZDF-Politbarometer / Forschungsgruppen Wahlen.
12
132 — Erkenntnishintergrund
Diese Entwicklung spiegelt sich im Bedrohungsempfin-
den der Bevölkerung, das die COSMO-Studie in den Ana-
lysen ihrer regelmäßigen Befragungen u. a. in Form eines
Mittelwert-Indizes für das individuell empfundene aektive
Risiko ausweist. In diesen Indikator gehen Antworten auf
Fragen dazu ein, inwiefern die Befragten die Pandemie-
Situation als besorgniserregend empfanden, inwiefern sie bei
ihnen Angst auslösten und inwiefern sie andauernd an die
Pandemie denken mussten (Abbildung 4). Wie die Daten
zeigen, stieg das Bedrohungsempfinden seit der ersten Welle
der Studie Anfang März steil an und erreichte Ende März
dann den höchsten Wert der Pandemie. Knapp zwei Drittel
der Menschen empfanden die Lage zu diesem Zeitpunkt als
(eher) besorgniserregend. Danach schwächte sich das Bedro-
hungsempfinden bis in die zweite Juni-Hälfte hinein wieder
deutlich ab, als sich nur noch knapp 40 Prozent besorgt und
ängstlich äußerten.
Zwischen Ende Oktober 2020 und Mitte April 2021
pendelte sich der Anteil mit einer höheren Bedrohungs-
wahrnehmung dann auf einem Niveau zwischen 50 und 60
Prozent ein, um schließlich kontinuierlich zurückzugehen.
Diese Daten zeigen dreierlei: Zum einen ist von einem stei-
len Anstieg zu Beginn abgesehen zumindest im Aggregat der
Bevölkerung eine überraschend große Stabilität des persön-
lichen Bedrohungsempfindens zu beobachten. Zum zweiten
lag der Anteil derjenigen, die extrem große Ängste emp-
fanden, selbst in der Hochphase der Bedrohung bei nicht
mehr als 13 Prozent und danach stets unter 10 Prozent,
während große Teile der Bevölkerung sich nur mittel oder
wenig bedroht sahen. Und schließlich hängt die beschriebe-
ne Entwicklung – abgesehen von der Anfangszeit – oenbar
kaum mit den schwankenden Infektionszahlen zusammen.
Von einer weit verbreiteten „Corona-Panik“ kann man auf
Basis dieser Daten wohl eher nicht sprechen (Abbildung 4).
Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der
Corona-Maßnahmen ist deren Akzeptanz in der Bevölke-
rung. Tatsächlich war diese während der gesamten Pandemie
sehr hoch. Dabei erreichte laut COSMO-Studie der Anteil
der Menschen, die die Maßnahmen übertrieben fanden,
zu Beginn des 1. Lockdowns mit etwa 13 Prozent seinen
Tiefpunkt. Eine Woche nach dem Beginn des 1. Lock-
downs waren fast drei Viertel der Deutschen zufrieden mit
dem Krisenmanagement der Bundesregierung und über 90
Prozent befürworteten die Einschränkung privater Kontakte
(Infratest Dimap, 2020a). Zwischen Mai 2020 und Februar
2021 schwankte der Anteil derjenigen, die die Maßnahmen
übertrieben fanden, dann zwischen etwa einem Viertel und
einem Fünftel der Bevölkerung, um gegen Ende unseres
Untersuchungszeitraumes im März 2021 wieder leicht an-
zusteigen (Abbildung 4).
Allerdings veränderte sich im Verlauf der Pandemie
auch unter den Befürwortern die Sicht auf die Maßnahmen.
Dies war etwa im April 2020 zu beobachten, als der An-
teil der Menschen deutlich wuchs, die die Maßnahmen für
nicht ausreichend hielten (20 => 30 %). Noch drastischer
war ein solcher Umschwung allerdings zum einen Ende
November/Anfang Dezember 2020. Hier stieg der Anteil
der Menschen, die fanden, die Maßnahmen müssten härter
ausfallen, sprunghaft von 32 auf 49 Prozent, um dann mit
der Verhängung des 2. Lockdowns bis in den Januar auf 28
Prozent und dann bis Ende Februar auf nur noch 18 Prozent
zu sinken. Als die Politik dann in den kommenden Wochen
zunächst nur zögerlich auf die erneut steigenden Fallzahlen
reagierte, schnellte der Anteil der Menschen, die meinten,
die Maßnahmen müssten härter ausfallen, dann bis Mitte
April wieder auf 43 Prozent hoch (Abbildung 5, dazu auch
Reinemann et al, 2020).
Trotz der überwiegenden Zustimmung verdeutlichen
diese Analysen aber auch, dass zahlreiche Menschen die
Corona-Maßnahmen in Deutschland schon zu Beginn
und auch über den gesamten Verlauf der Pandemie hinweg
für übertrieben hielten. Es verwundert deshalb nicht, dass
es schon recht früh zu Protesten gegen die Corona-Politik
kam. Schon im April 2020 fanden erste kleinere sog. Hygi-
ene-Demonstrationen gegen die Eindämmungsmaßnahmen
in Berlin statt. Die Proteste bekamen im Laufe des Jahres
immer weiteren Zulauf, bis Demonstrationen der maßnah-
men-kritischen „Querdenken“-Bewegung im August dessel-
ben Jahres Teilnehmerzahlen von bis zu 20.000 Menschen
erreichten. Im Laufe der Zeit radikalisierte sich die Quer-
denken-Bewegung derart (bzw. es nahm der Anteil an Mit-
gliedern aus extremistischen Szenen so zu), dass sie ab An-
fang 2021 zunächst von verschiedenen Landesämtern und
schließlich ab Ende April 2021 auch vom Bundesamt für
Verfassungsschutz beobachtet wurde.
14
3. Die Rolle der Medien
3.1 Journalismus in der Pandemie
Ebenso wie Politik und Wissenschaft waren auch die
Medien gerade zu Beginn der Pandemie mit einer völlig
neuen, rasch eskalierenden Situation konfrontiert. Diese
war nicht nur in der Anfangsphase der Pandemie, sondern
während ihres ganzen Verlaufs durch ein erhebliches Maß
an Unsicherheit gekennzeichnet. Sie betraf in unter-
schiedlichen Phasen in unterschiedlichem Ausmaß – nicht
nur das Corona-Virus und die durch dieses ausgelösten
Krankheitssymptome, sondern eine Vielzahl weiterer
Fragen. Dazu zählten die weitere epidemiologische Ent-
wicklung ebenso wie die Sinnhaftigkeit und Eektivität
von Eindämmungsmaßnahmen, die Notwendigkeit und
Höhe von Wirtschaftshilfen, aber auch die möglichen so-
zialen, psychologischen und politischen Folgen der Pande-
mie bis hin zu Fragen der Impfung und Impfbereitschaft.
Schwer einzuschätzende Situationen ziehen im Journa-
lismus auch Unsicherheit im Hinblick auf die zu treenden
Publikationsentscheidungen nach sich. Dem wird gerade in
Krisensituationen oftmals durch eine Orientierung an o-
ziellen oder etablierten Quellen sowie durch eine intensive
Koorientierung begegnet. Koorientierung meint dabei, dass
emen und Ereignisse nicht nur innerhalb der Redaktio-
nen besonders intensiv diskutiert werden, sondern dass man
sich verstärkt auch an anderen Medien orientiert. Sogenann-
te Leitmedien spielen dabei oft eine besondere Rolle. Daraus
kann sich die Gefahr ergeben, dass sich gerade in unsiche-
ren Krisensituationen eine medienübergreifende Konsonanz
der Berichterstattung entwickelt, also ein Gleichklang, der
weniger auf eine unstrittige quasi-objektive Bewertung von
Geschehnissen gründet als vielmehr das Ergebnis einer
Abhängigkeit von oziellen Quellen und/oder gegensei-
tiger Bestärkung innerhalb des Mediensystems ist. Wäre
dies der Fall, könnte dies eine Ursache für eine mangelnde
Meinungsvielfalt in der Berichterstattung sein.
Allerdings kann man auf Basis der Forschung zu frühe-
ren Krisen davon ausgehen, dass ein solcher Gleichklang in
der Berichterstattung auch zunehmend bröckeln kann. Eine
mögliche medienexterne Ursache dafür kann sein, dass
sich auch der anfängliche Konsens in Politik und Wissen-
schaft zunehmend auflöst und sich folglich zitierfähige
Akteure finden, die eine gegenläufige Position vertreten.
Dies gibt Medien einerseits die Chance, entsprechende
Konflikte publikumswirksam zu inszenieren. Andererseits
haben sie die Möglichkeit, diese Stimmen als sogenannte
opportune Zeugen zu nutzen, die die eigene redaktionel-
le Linie zum ema stützen. In welcher Intensität dies
geschieht, hängt vom eigenen Anspruch und der Ausge-
prägtheit einer entsprechenden redaktionellen Linie ab,
wobei der besonders an Schnelligkeit und den Maßstäben
der Aufmerksamkeitsökonomie orientierte Online-Jour-
nalismus hier sicher einer besonderen Gefährdung unter-
liegt. Darüber hinaus fand die Berichterstattung über
die Pandemie unter den Bedingungen eines hybriden
Mediensystems statt, was bedeutet, dass auch alternative
Online-Medien und Diskussionen in Social Media und
Messenger-Diensten viele Menschen und auch den Jour-
nalismus erreichten. Dass dies die Art beeinflusste, wie
innerhalb des Nachrichtenjournalismus die Stimmungen
und Ansichten in der Bevölkerung wahrgenommen wur-
den, kann man zumindest begründet vermuten.
Dem zu Beginn der Krise schnell deutlich werdenden
enormen Informationsbedarf trugen die deutschen Nach-
richtenmedien in vielfacher Weise Rechnung. So startete
etwa die ARD am 10. März 2020 mit „ARD Extra“ ein neues
Format, das im Anschluss an die Tagesschau gesendet wurde
und sich ausschließlich der Pandemie widmete. Die Sendung
wurde zwischen dem 17. März und dem 13. Mai 2020 sogar
wochentäglich, später nur noch aus aktuellem Anlass ausge-
strahlt. Auch andere TV-Sender brachten eine Vielzahl von
Sondersendungen, Reportagen etc. Der NDR startete mit
dem Coronavirus-Update ein außerordentlich erfolgreiches
Radio- bzw. Podcast-Format, in dem Christian Drosten und
Sandra Ciezek zur aktuellen Lage und Forschung interviewt
wurden. Viele klassische Nachrichtenmedien nutzten zudem
insbesondere ihre Online-Auftritte, um umfangreiche Son-
derseiten, Dashboards und Hintergrundinformationen rund
um die Pandemie anzubieten. Dabei gingen manche Medien
im Laufe der Zeit sogar dazu über, in datenjournalistischen
Projekten eigene Berechnungen von Kennziern des Pande-
miegeschehens zu erstellen, weil sie der Berichterstattung des
Robert-Koch-Instituts nicht völlig vertrauten (z. B. spiegel.
de, sueddeutsche.de, Zeit Online).
Abbildung 6:
Informationsquellen im ersten
Lockdown. Ausgewiesen ist der
Anteil von Befragten, die angaben,
die jeweiligen Quellen mindes-
tens mehrmals pro Woche bzw.
seltener zur Information über die
Pandemie genutzt zu haben.
Basis: Quotierte Online-
Befragung Anfang April 2020
(N = 1.820 Befragte).
15
3.2 Informationsquellen der
Bevölkerung in der Pandemie
Neben der journalistischen Berichterstattung traditi-
oneller Medien (online und oine) haben die Menschen
mittlerweile auch Zugri auf eine Vielzahl anderer Infor-
mationsquellen, die sie vornehmlich im Internet erreichen
können. Dazu zählen Informationsangebote von Politik,
Behörden und der Wissenschaft, verschiedene sogenann-
te Alternativmedien, die sich als Vertreter einer Gegen-
öentlichkeit zum medialen „Mainstream“ betrachten,
oder auch Social-Media-Angebote (z. B. Facebook, Insta-
gram, YouTube), die wiederum die unterschiedlichsten
Anbieter umfassen. Schließlich beziehen Menschen auch
heute noch Informationen aus ihrem persönlichen sozia-
len Umfeld (Familie, Nachbarn, Freundes- und Kollegen-
kreis), wobei auch Messenger-Apps wie WhatsApp und
Telegram eine zunehmende Bedeutung erlangt haben.
Wie wichtig waren diese verschiedenen Quellen in der
Pandemie? Um diese Frage zu beantworten, greifen wir
auf zwei quotierte, quasi-repräsentative Befragungen von
Anfang April 2020 (1. Lockdown) und Ende Februar
2021 (2. Lockdown) zurück.
Wie andere Krisen, so führte auch die Corona-Krise zu
einer erheblichen Steigerung der Mediennutzung der Deut-
schen. Erklären kann man dies mit der Unsicherheit gerade
zu Beginn, die zu einem Orientierungsbedürfnis und einer
intensiven Inanspruchnahme verschiedener Quellen führt.
Eine solche Zunahme der Mediennutzung lässt sich insbe-
sondere für den ersten Lockdown belegen, der viele Men-
schen an ihr zuhause fesselte und Freizeitaktivitäten außer
Haus stark einschränkte. Studien zeigen dabei insbesonde-
re zu Beginn eine deutlich stärkere Nutzung traditioneller
Informationsmedien wie der Angebote des öentlich-recht-
lichen Rundfunks, aber auch der Online-Angebote zahl-
reicher anderer Nachrichtenmedien (z. B. Viehmann et al.,
2020, S. 559; Deloitte, 2020; Nielsen, 2020). Dies spiegeln
auch unsere Daten.
In der Frühphase der Pandemie waren die klassischen
Nachrichtenmedien und ihre Online-Angebote von über-
ragender Bedeutung für die Information der Bevölkerung.
Zumindest mehrmals die Woche bekamen fast alle Befrag-
ten etwas aus den Oine-Angeboten der Nachrichtmedien
mit, drei Viertel auch aus den Online-Angeboten. Für fast
ebenso viele Menschen war das persönliche Umfeld eine
wichtige Informationsquelle für die Pandemie. Mit deut-
lichem Abstand, aber noch immer von großer Bedeutung,
3 — Die Rolle der Medien
Abbildung 7: Wichtigste Medientypen im ersten Lockdown. Ausgewiesen ist der Anteil der Befragten, die mindestens ein Medium des
jeweiligen Typs als eines der wichtigsten zur Information über die Pandemie nannten. In Medienkategorien zusammengefasste Antworten
auf eine oene Frage (maximal drei Nennungen). Basis: Quotierte Online-Befragung Anfang April 2020 (N = 1.820 Befragte).
Abbildung 8: Wichtigste Medienangebote im ersten Lockdown. Ausgewiesen ist der Anteil der Befragten, die mindestens ein Angebot bzw.
Bestandteil eines Angebots (z. B. eine Sendung) als eines der wichtigsten zur Information über die Pandemie nannten (on/o = online oder
oine). In Medienangebote zusammengefasste Antworten auf eine oene Frage (maximal drei Nennungen). Basis: Quotierte Online-
Befragung Anfang April 2020 (N = 1.820 Befragte).
16
17
folgen Quellen aus Wissenschaft und Gesundheitsbehörden
(z. B. das RKI), soziale Netzwerke, Parteien und Politik
sowie Messenger-Dienste. Sogenannte alternative Medien
(RT Deutsch und Compact wurden den Befragten hier
als Beispiele genannt) wurden noch von immerhin knapp
einem Viertel als Quelle genannt.
Dabei muss man sich allerdings immer bewusst sein,
dass Menschen oftmals unterschiedliche Arten von Quel-
len und unterschiedliche einzelne Medienangebote in ihren
Medien repertoires miteinander kombinieren, sodass Schlüs-
se von der Nutzung eines einzelnen Mediums oder einer ein-
zelnen Quelle auf entsprechende Eekte in der Regel kaum
möglich sind. So werden beispielsweise Gespräche im per-
sönlichen Umfeld genutzt, um in den Medien vermittelte
Informationen zu diskutieren oder diese an andere weiterzu-
geben (Abbildung 6).
Um noch genauer zu erfahren, welche Quellen die größ-
te Rolle spielten, baten wir die Befragten Anfang April 2020
außerdem, uns zu drei Quellen zu nennen, die sie für am
wichtigsten für ihre Information über die Pandemie hiel-
ten. Neben Quellen aus Politik, Wissenschaft und anderen
Lebensbereichen nannten die Befragten mehr als 350 ver-
schiedene Mediengattungen oder Einzelmedien, die wir für
die Analyse kategorisiert haben. Dabei zeigt sich, dass zwei
Drittel der Befragten zumindest ein TV-Format, einen TV-
Sender oder allgemein „das Fernsehen“ als wichtigste Quelle
nannten. Auf Platz zwei folgen mit 29 Prozent diverse Inter-
net-Quellen, 19 Prozent der Befragten nannten mindestens
eine Tageszeitung, 10 Prozent einen Radiosender oder -for-
mat und fünf Prozent die Printprodukte von Wochenzeitun-
gen oder Zeitschriften (Abbildung 7).
Wirft man unabhängig davon, ob es sich um die On-
line- oder Oine-Angebote der Medienmarken handelt, ei-
nen noch detaillierteren Blick auf die Antworten, dann stellt
man fest, dass die Angebote der ARD den meisten Zuspruch
erreichten. Etwa ein Drittel der Befragten nannte mindes-
tens ein Oine- oder Online-Angebot der ARD als eine der
wichtigsten Quellen, wobei die Tagesschau mit einer Nen-
nung durch 12 Prozent der Befragten eine Sonderstellung
einnimmt. Auf Platz zwei folgen mit deutlichem Abstand
Angebote des ZDF, allgemeine Nennungen „des Fernse-
hens“, diverse Angebote der zahlreichen deutschen Regio-
nalzeitungen und allgemeine Nennungen „des Internet“.
Ebenfalls etwa 10 Prozent der Befragten nannten RTL, n-tv
und Soziale Medien, während Wochenpresse und Nachrich-
tenmagazine, die dritten Programme der ARD und über-
regionale Tageszeitungen von weniger als einem Zehntel der
Befragten genannt wurden. Diese Daten verdeutlichen, dass
gerade zu Beginn der Corona-Pandemie die Angebote der
TV-Sender von herausragender Bedeutung für die Informa-
tion der Bevölkerung waren.
3.3 Bewertung der
Medienberichterstattung
durch die Bevölkerung
Vor dem Hintergrund der im Verlauf der Pandemie
immer wieder auackernden, teils intensiven Kritik an der
Berichterstattung „der“ Medien wollen wir zum Abschluss
noch einen Blick darauf werfen, wie die Menschen in
Deutschland die Pandemie-Berichterstattung der Nachrich-
tenmedien, die sie selbst nutzten, bewertet haben. Dazu ha-
ben wir die Befragten im April 2020 und im Februar 2021
gebeten, eine Reihe von Aussagen zu bewerten, die sich auf
die bisherige Leistung der Medien in der Pandemie bezogen.
Zunächst wird ersichtlich, dass der Anteil der Befragten,
die die Berichterstattung eher positiv bewerteten, zu beiden
Zeitpunkten und in Bezug auf alle abgefragten Aspekte den
Anteil der Kritiker deutlich überwog. Am besten beurteilt
wurden dabei die Verständlichkeit der Berichterstattung
und der Informationsgehalt. Etwa acht von zehn Befragten
gaben hier im April 2020 ein positives Urteil ab. Etwa drei
Viertel hielten die Berichterstattung für glaubwürdig und
etwa zwei Drittel für faktentreu. Eine vielfältige Bericht-
erstattung aus unterschiedlichen Perspektiven nahmen noch
60 Prozent der Befragten wahr, aber nur etwas mehr als die
Hälfte hielt die Darstellung der Medien für eindeutig nicht
hysterisch (Abbildung 9; zu ähnlichen Befunden vgl. Vieh-
mann et al., 2020).
Bei der Interpretation dieser Werte muss man beachten,
dass es gerade für Befragte mit einem breiten Medienreper-
toire unter Umständen schwer ist, ein summarisches Urteil
über die Berichterstattung abzugeben und es für sie deshalb
3 — Die Rolle der Medien
Abbildung 9: Bewertung der Pandemie-Berichterstattung der Nachrichtenmedien, die die Befragten nutzen, im April 2020 und
Februar 2021. Ausgewiesen sind die Bewertungen der vorgelegten Aussagen auf einer fünfstufig Skala von „trit nicht zu“ bis „trit voll
und ganz zu“ (Skalenpunkte rechts und links der Skalenmitte zusammengefasst). Basis: Quotierte Online-Befragungen Anfang April 2020
(N = 1.820) und Ende Februar 2021 (N = 1.800).
18
sinnvoll sein kann, die Mitte der Zustimmungs-Skala anzu-
kreuzen. Wichtig erscheint deshalb auch der Blick auf den
Anteil derjenigen, die ein klar negatives Urteil über die von
ihnen genutzten Medien abgibt. Dieser liegt mit einer Aus-
nahme (Bewertung von Hysterie im April 2020) stets bei
nicht mehr als etwa 20 Prozent der Befragten. Dies ist des-
halb bemerkenswert, weil dies in etwa die Größenordnung
ist, die in der Forschung als der Anteil von Menschen ver-
anschlagt wird, die den klassischen Medien generell nicht
vertrauen. Tatsächlich zeigen auch hier nicht dokumentierte
Analysen dieser Daten, dass es einen starken Zusammen-
hang zwischen dem Vertrauen in klassische Medien, der Be-
urteilung der Berichterstattung und auch der Zustimmung
zu den Corona-Maßnahmen gibt. Auch andere Studien zum
Medienvertrauen in der Corona-Krise belegen, dass zwar
eine Mehrheit den traditionellen Nachrichtenmedien ver-
traute und dabei die Öentlich-Rechtlichen besonders ho-
hes Vertrauen genossen, es aber auch relevant große Grup-
pen gab, bei denen dies nicht der Fall war (z. B. Viehmann
et al., 2020; Reinemann et al., 2020).
194 — Methode
4. Methode
4.1 Anlage der Inhaltsanalyse
Die Studie analysiert die Qualität der Berichterstattung
deutscher Nachrichtenmedien über die COVID-19-Pande-
mie im Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 30. April 2021 mit
Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse. Bei dieser Methode
erfassen geschulte Codierer eine große Anzahl von Text- und
Bildmerkmalen (Kategorien) mit einem standardisierten
Messinstrument (Codebuch). Dies ermöglicht objektive,
von Eindrücken Einzelner unabhängige Aussagen über die
Qualität der Berichterstattung.
Untersucht wurde eine breite Auswahl an reichweiten-
starken Leitmedien unterschiedlicher Gattungen (Web-
angebote von Printmedien, Web-Provider, Fernsehnach-
richten und TV-Sondersendungen zur Pandemie) und mit
unterschiedlichen redaktionellen Linien (linksliberal bis
konservativ). Im Einzelnen waren dies folgende elf Medien:
s Online-Nachrichtenangebote von überregionalen
Print medien: Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz.net),
Süddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de), Welt (welt.de),
Bild (bild.de), Spiegel-Online (spiegel.de) und
Focus online (focus.de)
s Online-Nachrichtenangebote von Web-Providern:
T-Online (t-online.de)
s Fernsehnachrichtensendungen: Hauptausgaben von
Tagesschau (ARD), heute (ZDF) und RTL aktuell
s TV-Sondersendungen zur Pandemie:
ARD Extra Corona
In den Fernsehnachrichten und den Sondersendungen
wurden alle Beiträge über die Pandemie in die Analyse ein-
bezogen. Bei den Online-Angeboten wurden einerseits Bei-
träge einbezogen, die auf den Startseiten im Hauptnachrich-
tenbereich erschienen sind. Das ist der Bereich der Webseite,
der im Zentrum steht und die relevantesten Beiträge aus
allen Rubriken der Nachrichtenseite auührt. Andererseits
wurden Beiträge einbezogen, die in den Ressortbereichen
News, Politik, Corona(virus) oder Wissen(schaft) unter-
halb des Hauptnachrichtenbereichs erschienen sind. Damit
konzentrieren wir die Analyse auf besonders relevante und
reichweitenstarke Beiträge. Die Beiträge wurden von den
Startseiten der Online-Medienangebote aufgerufen, die
über das sogenannte Internetarchiv (https://web.archive.
org/) gespeichert und abrufbar sind.
Als Beiträge über die Pandemie galten dabei jeweils Bei-
träge, in denen aus dem ersten Absatz (Onlinemedien) oder
dem Berichtsanfang (Fernsehnachrichten) deutlich wird,
dass sie sich mit den Ursachen, dem Verlauf oder den Fol-
gen der COVID-19-Pandemie beschäftigen und dabei einen
Bezug zu Deutschland aufweisen. Nicht erfasst haben wir
dementsprechend Beiträge, die sich ausschließlich mit der
Pandemie in anderen Ländern beschäftigt haben. Zudem
haben wir Newsticker sowie die regelmäßig aktualisierten
Zusammenstellungen der Pandemie-Statistiken (Infektions-
geschehen, Impfquote etc.) in Online-Medien
nicht
in die
Analyse einbezogen.
Aufgrund der hohen Berichterstattungsmenge haben
wir aus diesen Beiträgen für die Analysen anschließend
noch einmal eine Stichprobe gezogen. Dabei haben wir
bei den Online-Angeboten und den Fernsehnachrichten
nur jeden zweiten Tag analysiert. Bei den Online-Angebo-
ten haben wir zudem an jedem Untersuchungstag auch
nur jeden zweiten Beitrag in die Analyse einbezogen. Die
Sondersendungen zur Pandemie haben wir dagegen als Voll-
erhebung erfasst. Diese unterschiedlichen Arten der Stich-
probenziehung (disproportionale Stichprobe) haben wir bei
der Datenanalyse durch Gewichtung wieder ausgeglichen.
Die Codierung erfolgte auf Beitragsebene, d. h. jedes
Merkmal wurde für den gesamten Beitrag erhoben. Erfasst
wurden neben formalen Merkmalen (z. B. Medium, Da-
tum, Autor) etwa 50 inhaltliche Merkmale zur Messung
von Medienqualität auf den Dimensionen Relevanz, Viel-
falt, Sachlichkeit/Neutralität, Richtigkeit/Sachgerechtig-
keit, Ausgewogenheit und Einordnung/Kontextualisierung
(siehe ausführlich Abschnitt 4.2). Dabei haben wir einerseits
Kategorien verwendet, in denen wir das Vorkommen von
emen, Akteuren und anderen Textinhalten (z. B. erwähn-
te Akteure, erwähnte Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie, erwähnte Folgen der Pandemie) erfasst haben. In
diesen Fällen haben wir pro Beitrag bis zu fünf Codierungen
(also z. B. bis zu fünf Akteure) zugelassen, sodass die Zahl
der Codierungen die Zahl der Beiträge überschreiten kann.
Abbildung 10: Untersuchte Dimensionen journalistischer Qualität
20
Andererseits enthält das Codebuch eine Reihe von Kate-
gorien, mit denen wir Bewertungen und ähnliche Darstel-
lungsaspekte gemessen haben (z. B. die Bewertung der M-
nahmen zur Eindämmung der Pandemie, die Darstellung
der Ungewissheit wissenschaftlicher Prognosen oder den
emotionalen Gehalt des Beitrags). Solche Bewertungskate-
gorien haben wir auf fünfstufigen Skalen (z. B. eindeutig
positiv bis eindeutig negativ) erfasst und für die Auswertung
der Übersichtlichkeit halber auf dreistufige Skalen (z. B.
positiv, ambivalent, negativ) zusammengefasst. In unseren
Analysen weisen wir dabei in der Regel den Saldo aus positi-
ven und negativen Beiträgen in Prozent aus.
Nach diesen Kriterien haben die neun an unserer Un-
tersuchung beteiligten Codiererinnen und Codierer 5.173
Beiträge erfasst. Die Intercoder-Reliabilität der verwendeten
Kategorien als Kriterium für die Qualität unserer Untersu-
chung nach Holsti belief sich auf sehr gute bis gute Werte
zwischen 1.0 (Nennung verschiedener Kennwerte in den
Berichten) und 0.78 (Kennzeichnung von Unsicherheit der
Prognosen).
4.2 Untersuchte Dimensionen
journalistischer Qualität
Auf Basis verschiedener Dimensionalisierungen der
Qualität journalistischer Berichterstattung (etwa Schatz &
Schulz, 1992; Stark et al., 2021), der Forschung zur Bericht-
erstattung in publizistischen Konflikten und Krisen (z. B.
Maurer et al., 2019) sowie der Forschung zu Medienver-
trauen und wahrgenommener Qualität (z. B. Obermaier,
2021) sollten folgende sechs Qualitäts-Dimensionen unter-
sucht werden: Relevanz, Vielfalt, Sachlichkeit/Neutralität,
Richtigkeit/Sachgerechtigkeit, Ausgewogenheit und Ein-
ordnung/Kontextualisierung. Diese allgemeinen Quali-
tätsdimensionen übertragen wir auf die Pandemie-Bericht-
erstattung, indem wir für jede Dimension für die Pandemie
spezifische Indikatoren entwickeln, mit deren Hilfe sich die
Dimension messen lässt. Die Dimensionen und Indikatoren
erlauben einerseits einen Blick auf die journalistische Per-
formance, sind andererseits aber auch für die Wirkungen der
214 — Methode
Berichterstattung entscheidend, etwa für die Aufmerksam-
keit der Bevölkerung für das ema, das Wissen über die
Pandemie, die Einschätzung von Risiken, die Beurteilung
von Maßnahmen oder das Vertrauen in die handelnden Ak-
teure (Abbildung 10).
s Relevanz. Mit der Qualitätsdimension Relevanz ist die
Frage angesprochen, ob Medien über emen und Er-
eignisse entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung
berichten. Da Einschätzungen der Bedeutsamkeit von
Sachverhalten und Ereignisaspekten auch durch subjek-
tive Werturteile geprägt sind, werden zur Beurteilung
des Relevanz-Kriteriums in der Forschung entweder (a)
medienextern erhobene Daten über die Realität, (b)
Urteile von Expertinnen und Experten oder der Bevöl-
kerung sowie (c) andere Medien als Vergleichsmaßstab
herangezogen. Wir konzentrieren uns hier auf Verglei-
che mit externen Daten (Intra-Extra-Media-Vergleich)
und ziehen dafür ozielle Statistiken zur Entwicklung
der Pandemie (z. B. Zahl der Neuinfektionen, Sterbefäl-
le) sowie Informationen über die Verkündung wichtiger
politischer Entscheidungen (z. B. zu Eindämmungsmaß-
nahmen) heran und vergleichen diese mit dem Verlauf
des Umfangs der Gesamtberichterstattung und einzelnen
Teilaspekten.
s Vielfalt. Das Kriterium der inhaltlichen Vielfalt wollen
wir im Rahmen dieser Analyse in erster Linie auf die
Frage beziehen, in welchem Ausmaß verschiedene Ak-
teure bzw. Akteursgruppen, aber auch unterschiedliche
thematische Aspekte und Folgen der Pandemie bzw.
Maßnahmen in der Berichterstattung vorkamen. Den
Medien wurde häufig eine Verengung der Betrachtung
z. B. auf bestimmte Expertinnen und Experten oder eine
Vernachlässigung bestimmter Facetten oder Folgen der
Krise vorgeworfen. Inwiefern man von einer solchen Ver-
engung tatsächlich sprechen kann, messen wir hier.
s Neutralität/Sachlichkeit (deskriptive Qualität). Die
Qualitätsdimension Neutralität bzw. Sachlichkeit kann
man als sprachlich-formales Element journalistischer
Unparteilichkeit verstehen. Sie wird auch als Indikator
für journalistische Professionalität betrachtet. Hierbei
geht es etwa um die formale Trennung von Nachricht
und Meinung; die Bedeutung interpretierender und
bewertender Elemente in der Berichterstattung sowie
die Aufbereitung von Inhalten in Sprache und Bildern.
Diese kann entweder durch Sachlichkeit und Rationali-
tät (Neutralität) oder aber z.B. durch Emotionalisierung
geprägt sein. Vor diesem Hintergrund betrachten wir in
der vorliegenden Analyse den Grad an Emotionalität vs.
Sachlichkeit als Indikator für Neutralität. Als weiteren
Indikator für die Sachlichkeit der Berichterstattung be-
trachten wir, in welchem Ausmaß die Darstellung der
Pandemie durch Statistiken und andere summarische
Informationen (thematisches Framing) oder durch die
Darstellung von Einzelfällen
(episodisches Framing)
ge-
prägt war.
s Richtigkeit/Sachgerechtigkeit (deskriptive Qualität).
Die Qualitätsdimension Richtigkeit bzw. Sachgerech-
tigkeit bezieht sich auf die Frage, ob die Medien Sach-
verhalte angemessen und korrekt darstellen und dem
Publikum so eine sachgerechte Meinungsbildung ermög-
lichen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die Erfüllung
dieses Qualitätskriteriums einerseits von zentraler Bedeu-
tung für die adäquate Beurteilung der Pandemie durch
die Bevölkerung ist, Journalistinnen und Journalisten
hier andererseits gerade zu Beginn der Pandemie vor be-
sondere Herausforderungen gestellt waren. Vor allem in
der Frühphase der Pandemie war noch nicht viel über
das Virus und dessen Ausbreitung bekannt, zugleich war
auch in Wissenschaft und Politik die Lernkurve steil. Das
bedeutet, dass Einschätzungen revidiert werden mussten
und sich zudem zumindest zeitweise und im Hinblick
auf bestimmte Aspekte unterschiedliche wissenschaft-
liche Ansichten gegenüberstanden. Vor diesem Hinter-
grund konzentrieren wir uns vor allem auf drei Aspekte,
anhand derer wir die Richtigkeit (Sachgerechtigkeit) der
Berichterstattung messen wollen: den Vergleich des Co-
rona- mit dem saisonalen Influenza-Virus, die Darstel-
lung des Meinungsklimas zu den Corona-Maßnahmen
und die Frage, ob die Berichterstattung den Eindruck
vermittelte, in der Wissenschaft herrsche ein Konsens
über die Pandemie.
s Ausgewogenheit (deskriptive Qualität). Das Konzept
der Ausgewogenheit bzw. Verzerrung (engl. „bias“) be-
zieht sich auf die Frage, inwieweit verschiedene Sachver-
halte oder Positionen in einem angemessenen Verhält-
nis in der Berichterstattung abgebildet werden. Bei der
Beurteilung von Ausgewogenheit stellt sich oftmals die
22
5. Ergebnisse
Für die Analysen rechnen wir zunächst die 5.173 co-
dierten Beiträge in unserer Stichprobe auf eine Vollerhebung
hoch, um die unterschiedlichen Arten der Stichprobenzie-
hung auszugleichen. Konkret bedeutet dies, dass wir die
codierten Beiträge aus den Onlinemedien (ein Viertel der
Stichprobe) mit dem Faktor 4 und die codierten Beiträge
aus den Fernsehnachrichten (halbe Stichprobe) mit dem
Faktor 2 gewichten. Die Beiträge aus den TV-Sondersen-
dungen hatten wir bereits als Vollerhebung codiert. Auf die-
se Weise hochgerechnet sind auf den Startseiten der von uns
untersuchten Medien zwischen Januar 2020 und April 2021
insgesamt 15.931 Beiträge über die COVID-19-Pandemie
mit überregionalem Bezug zu Deutschland erschienen. Be-
sonders viele der untersuchten Beiträge sind auf den Start-
seiten der Onlinemedien erschienen, insbesondere auf welt.
de und spiegel.de (jeweils 13 % aller Beiträge) sowie bild.
de und faz.net (jeweils 12 %). Deutlich weniger Beiträge
wurden in den Fernsehnachrichten (im Schnitt etwa 7 %)
und vor allem in den nur unregelmäßig ausgestrahlten TV-
Sondersendungen (3 %) gesendet (Abbildung 11).
Auf dieser Basis führen wir im Folgenden die Analysen
zur Qualität der Medienberichterstattung durch. Die Analy-
sen werden sich dabei einerseits auf den gesamten Zeitraum
und alle Medien insgesamt beziehen. Dies ist abseits eines
groben Überblicks im Hinblick auf all jene der untersuch-
ten Merkmale der Berichterstattung sinnvoll und legitim, in
denen weder größere Dierenzen über die Zeit noch zwi-
schen verschiedenen Einzelmedien gab. Allerdings ist erstens
Frage nach Außenkriterien, anhand derer Verzerrun-
gen der Berichterstattung gemessen werden können.
Dies geschieht in der einschlägigen Forschung zur Re-
präsentanz von Parteien beispielsweise dadurch, dass
ihr Vo r kommen in der Berichterstattung mit aktuellen
Wahl- oder Umfrageergebnissen verglichen wird. Da für
die hier interessierenden Aspekte der Berichterstattung
solche harten Außenkriterien nur schwer zu finden sind,
konzentrieren wir uns hier auf die Frage, inwieweit auch
kritische Positionen zur Pandemie, den Maßnahmen
und Akteuren in der Berichterstattung vorkamen und
inwiefern die Medien dabei unterschiedliche redak-
tionelle Linien vertraten. So soll etwa danach gefragt
werden, wie die Corona-Maßnahmen selbst sowie die
generelle Kompetenz von Politik und Wissenschaft im
Kontext der Pandemie bewertet wurden. Dabei stellt
sich beispielsweise die Frage, ob tatsächlich keine Kritik
an den Maßnahmen und den Handelnden in der Be-
richterstattung vorkam, wie manchmal behauptet wur-
de. Darüber hinaus soll betrachtet werden, ob die Pan-
demie und die Corona-Maßnahmen einseitig und allein
aus der Perspektive einer Bedrohung medizinischer und
sozialer Sicherheit oder auch als Bedrohung individuel-
ler, politischer und gesellschaftlicher Freiheit dargestellt
wurden.
s Einordnung/Kontextualisierung (analytische Qualität).
Mit der analytischen Tiefe der Berichterstattung ist die In-
tensität gemeint, mit der in der Berichterstattung über die
reine Vermittlung von Informationen hinaus Erklärungen
gegeben und Einordnungen vorgenommen werden, die es
dem Publikum ermöglicht, emen, Ereignisse, Aussagen
oder Zahlen sachgerecht einzuordnen. Auch die Komple-
xität und Logik von Argumentationen und Begründungen
wird hierunter rubriziert. In unserer Analyse betrachten
wir als Indikatoren für die analytische Qualität zum einen
die Frage, ob Zahlen zum Pandemiegeschehen z. B. histo-
risch, im Ländervergleich oder im Vergleich mit anderen
Krankheiten eingeordnet wurden. Zum anderen wollen
wir feststellen, in welchem Umfang medizinische, psy-
cho-soziale, ökonomische und andere Folgen der Corona-
Maßnahmen gegeneinander abgewogen wurden.
Die Interpretation der Befunde zu den einzelnen Qua-
litätsdimensionen für die Berichterstattung insgesamt,
über die Zeit bzw. für einzelne Medien erfolgt entweder
(a) im Vergleich der Berichterstattung mit realweltlichen
Ereignissen und externen Daten (z. B. zum Pandemiege-
schehen, etwa Neuinfektionen, Todesfälle), (b) im Vergleich
von Einzelmedien untereinander oder (c) im Vergleich der
aktuellen mit Befunden aus früheren Studien.
Abbildung 11: Anzahl der Beiträge in den untersuchten Nachrichtenmedien. Basis: Alle Beiträge.
235 — Ergebnisse
davon auszugehen, dass sich der Charakter und die Qualität
der Berichterstattung im Verlauf der Pandemie massiv ver-
ändert haben, weil sich die Ereignislage, die Kenntnisse über
Virus, Pandemie und Folgen der Maßnahmen, die öentli-
che Meinung und damit auch journalistische Bewertungen
und Publikationsentscheidungen verändert haben.
Der Großteil der Analysen wird deshalb die Bericht-
erstattung im Zeitverlauf betrachten, wobei die Medien
insgesamt betrachtet werden. Dies ist deshalb legitim,
weil es hier nicht so sehr um die Leistung einzelner Me-
dien geht, sondern um die Performance des Mediensystems
insgesamt. Zweitens ist aber natürlich auch mit Medien-
Unterschieden zu rechnen, die beispielsweise auf die Er-
fordernisse unterschiedlicher Mediengattungen (z. B. TV
vs. Online), die Besitzverhältnisse entlich-rechtlich vs.
privat), redaktionelle (politische) Linien oder journalisti-
sches Konzepte und Zielgruppen (z. B. Boulevard- vs. Qua-
litätsmedien) zurückzuführen sind und auch abseits der
Corona-Krise zu Berichterstattung von unterschiedlicher
Qualität führen (zuletzt z. B. Stark et al., 2021). Deshalb
werden diese im Hinblick auf bestimmte Merkmale eben-
falls in den Blick genommen, müssen aber auch bei der
Interpretation der aggregierten Zeitverläufe immer mitge-
dacht werden. Wir folgen dabei der in Abschnitt 4.2 erläu-
terten Systematik und beginnen dementsprechend mit der
Dimension der Relevanz.
5.1 Relevanz
Ob die Nachrichtenmedien die Pandemie ihrer Re-
levanz entsprechend berichtet haben, untersuchen wir,
indem wir den Zusammenhang zwischen dem Infek-
tionsgeschehen und der Menge der Medienberichterstat-
tung über die Pandemie analysieren. Demnach zeichnet
sich eine qualitativ hochwertige Berichterstattung in der
Dimension Relevanz dadurch aus, dass die Medien umso
häufiger über die Pandemie berichten, je dramatischer
sich diese entwickelt, also je mehr Menschen sich mit
dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infizieren und daran/
Abbildung 13: Zusammenhang zwischen der Menge der Medienberichterstattung und der Anzahl der an/mit COVID-19 Gestorbenen.
Basis: Alle Beiträge.
Abbildung 12: Zusammenhang zwischen der Menge der Medienberichterstattung und der Anzahl der SARS-CoV-2 Neuinfektionen.
Basis: Alle Beiträge.
24
Abbildung 14: Zusammenhang zwischen der Nennung von Todesfällen in den Medien und der Anzahl der an/mit COVID-19 Gestorbenen.
Basis: Alle Beiträge mit Nennungen von Todesfällen (N=1.142; gewichtet).
255 — Ergebnisse
damit sterben. Dies ist auch deshalb eine wichtige Frage,
weil die Rezipienten aus der Menge der Medienbericht-
erstattung bewusst oder unbewusst weitreichende Schlüs-
se ziehen: Sie halten Probleme für umso relevanter und
dringlicher, je häufiger die Medien über diese Probleme
berichten (Agenda-Setting).
Unser erster Indikator für Relevanz ist der allgemeine
Vergleich der Gesamtberichterstattung mit der Anzahl der
Neuinfektionen und Todesfälle im Zeitverlauf. Ein solcher
Zusammenhang war im Untersuchungszeitraum allerdings
nur teilweise zu erkennen. Zwar wird grundsätzlich deut-
lich, dass die von uns untersuchten Medien in den drei Pan-
demiewellen deutlich intensiver berichtet haben als z. B. im
Sommer 2020, als es kaum Infizierte und Tote gab. Zugleich
wird aber auch deutlich, dass die Berichterstattung ihren
absoluten Höhepunkt mit bis zu 450 Beiträgen pro Woche
bereits zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 erreicht
hatte. Dies entspricht durchschnittlich etwa sechs Beiträgen
pro Medium an jedem Tag. Obwohl die Zahl der Infizier-
ten und Toten in der zweiten (Winter 2020/21) und dritten
(April 2021) Welle um ein Vielfaches höher lag, erreichte die
Berichterstattung dieses Niveau nicht mehr (maximal etwa
350 Beiträge pro Woche). Insbesondere ab Herbst 2020 ent-
koppelte sich die Berichterstattungsmenge weitgehend vom
Infektionsgeschehen, weil sie trotz zum Teil starker Schwan-
kungen in der Zahl der Infizierten und Toten weitgehend
auf einem (relativ hohen) Niveau verblieb. Dabei korrelierte
die Berichterstattungsmenge tendenziell eher mit der Zahl
der Infizierten als mit der Zahl der Toten. Dies ist auch
deshalb bemerkenswert, weil die Zahl der (festgestellten)
Infektionen u. a. aufgrund schwankender Testhäufigkeiten
vermutlich nicht der bessere Indikator für die Brisanz des
Geschehens war (Abbildungen 12 und 13).
Stärkere Zusammenhänge zwischen der Berichterstat-
tungsmenge und den Indikatoren für das Infektionsge-
schehen zeigen sich, wenn man die Berichterstattung etwas
detaillierter betrachtet. So können wir z. B. auch dezidiert
die Häufigkeit der Erwähnung von Todesfällen in den Me-
dien mit der tatsächlichen Zahl von Todesfällen vergleichen.
Hierbei zeigt sich, dass die Medien während der zweiten
Abbildung 15: Zusammenhang zwischen der Darstellung von Infizierten oder Toten auf Nachrichtenbildern und der Zahl der
Neuinfektionen. Basis: Alle Beiträge mit dem visuellen Frame „Kranke/Tote“ (N=715, gewichtet).
26
Pandemie-Welle zumindest etwas häufiger über Todesfälle
berichtet haben als während der ersten Welle. Den massiven
Anstieg der Todesfälle in der zweiten Welle spiegelt sie al-
lerdings nicht wider. Umgekehrt blieb die Berichterstattung
über Todesfälle auch dann noch, als diese durch die zuneh-
mende Impfung von Risikogruppen deutlich zurückgingen
(Abbildung 14).
Für den dritten Indikator im Bereich Relevanz greifen
wir schließlich auf die visuelle Darstellung des Infektionsge-
schehens zurück. Dabei vergleichen wir die Anzahl von Pres-
sefotos und Nachrichtenbildern, auf denen Infizierte oder
Tote zu sehen waren, mit der Anzahl von Neuinfektionen
und Todesfällen. Dabei fällt zunächst auf, dass solche Bilder
fast ausschließlich während der ersten und zweiten Pande-
miewelle zu sehen waren. Die Menge dieser Bilder korreliert
ähnlich wie die Menge der Textbeiträge zumindest grob mit
der Anzahl der Neuinfektionen. Zugleich wird aber auch
hier deutlich, dass sich vor allem die dritte Pandemiewel-
le trotz einer sehr hohen Zahl von Neuinfektionen nicht
mehr in entsprechenden Medienbildern niedergeschlagen
hat (Abbildung 15). In Bezug auf die Todesfälle fallen die
Zusammenhänge mit der Bildberichterstattung sogar noch
geringer aus.
27
Zusammenfassend weisen
folglich alle unsere Indikato-
ren für Relevanz darauf hin,
dass die Medien vor allem zu
Beginn intensiv über die Pan-
demie berichtet haben, wäh-
rend die Berichterstattung
später trotz einer deutlich
dramatischeren Infektionslage
eher nachgelassen hat.
Dieses Muster findet sich auch in anderen Krisen, z. B.
der „Flüchtlingskrise“ (Maurer et al. 2019), und wird in der
Regel damit erklärt, dass die Medien nach einer gewissen Zeit
zunehmend das Interesse an einem ema verlieren, wenn
nichts substanziell Neues mehr geschieht. Im vorliegenden
Fall haben die Medien zudem bereits über die erste Pandemie-
welle so massiv berichtet, dass eine den später um ein Viel-
faches höheren Infektions- und Todeszahlen entsprechende
Berichterstattungsmenge praktisch kaum noch möglich war.
5.2 Vielfalt
Akteursvielfalt
Unter dem Aspekt der Vielfalt interessiert uns zunächst
die Vielfalt der in einem Beitrag vorkommenden Akteure.
Dabei haben wir Akteure als diejenigen Personen oder Per-
sonengruppen bzw. Organisationen definiert, die im Beitrag
hauptsächlich erwähnt werden, d. h. deren Handlungen be-
schrieben oder deren Aussagen indirekt oder direkt zitiert
werden. Pro Beitrag konnten bis zu fünf Akteure erfasst
werden. Wir betrachten die Akteursvielfalt hier in mehreren
Schritten und gehen dabei immer stärker ins Detail.
Auf einer ersten Ebene interessiert uns, wie häufig die in
Bezug auf die COVID-19-Pandemie besonders relevanten
Akteursgruppen in den Medien vorkamen. Dabei unter-
scheiden wir zunächst vier Gruppen: Politik, Wissenschaft,
Betroene und „Corona-Skeptiker“ (z. B. die Querdenken-
Bewegung). Dabei wird deutlich, dass über den gesamten
Untersuchungszeitraum hinweg politische Akteure die me-
diale Berichterstattung über die Pandemie dominiert haben
(insgesamt 47 % der genannten Akteure). Wissenschaftler
kamen in den Beiträgen deutlich seltener, aber noch immer
relativ häufig als Akteure vor (19 %), wobei wir den Begri
„Wissenschaftler“ hier zunächst sehr weit fassen und auch
Ärzte und andere Vertreter des Gesundheitswesens einbezie-
hen. Im Zeitverlauf zeigt sich zudem, dass die Dominanz
politischer Akteure während aller Pandemiewellen und
insbesondere gegen Ende des Untersuchungszeitraums zu-
genommen hat. Relativ selten kamen dagegen Betroene
in der Berichterstattung vor, also Menschen die selbst oder
deren Angehörige an COVID-19 erkrankt oder gestorben
sind (1,2 %). Dieser Wert ist bemerkenswert niedrig und
liegt beispielsweise auch sehr deutlich unter dem oft als viel
zu niedrig beklagten Wert, mit dem Migranten in der Mig-
rationsberichterstattung als Akteure auftreten (z. B. Maurer
et al. 2021). Ähnlich selten wurden auch Corona-Skeptiker
in den Medien erwähnt (1,6 %). Der gelegentlich geäußerte
Vorwurf, diese seien auch in der Berichterstattung der Leit-
medien überproportional zu Wort gekommen, bestätigt sich
folglich nicht (Abbildung 16).
Im nächsten Schritt wollen wir die politischen und wis-
senschaftlichen Akteure etwas genauer betrachten. Dabei
nehmen wir zunächst die politischen Akteure in den Blick
und untersuchen, welche politischen Parteien den medialen
Diskurs in der Pandemie besonders bestimmt haben. Dabei
zeigt sich bezogen auf den gesamten Untersuchungszeit-
raum zunächst eine massive Dominanz der Regierung über
die Opposition. Zählt man die Bundesregierung, die daran
beteiligten Parteien sowie deren Politiker auf Bundesebene
zusammen, machten Regierungsakteure über 20 Prozent al-
ler Akteursnennungen aus, während Oppositionsakteure ge-
rade einmal auf 3 Prozent kamen. Das kann man natürlich
auch damit erklären, dass das Handeln der Regierung für
die Bewältigung der Pandemie maßgeblich war und deshalb
im Zentrum der Berichterstattung stand. Dennoch ist es
durchaus bemerkenswert, dass auf die vier Oppositionspar-
teien und ihre Bundespolitiker jeweils nur etwa ein Prozent
5 — Ergebnisse
Abbildung 16: Häufigkeit des Vorkommens unterschiedlicher Akteursgruppen. Basis: 37.771 Nennungen der ausgewählten Akteure in allen
Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Akteure pro Beitrag.
Abbildung 17: Anteil der Nennungen unterschiedlicher Parteien und ihrer Politiker an allen Akteursnennungen. Basis: 53.566 Akteurs-
nennungen in allen Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Akteure pro Beitrag.
28
Abbildung 18: Häufigkeit des Vorkommens verschiedener wissenschaftlicher Akteure. Basis: 9.788 Nennungen der ausgewählten Akteure in
allen Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Akteure pro Beitrag.
29
(FDP) bzw. sogar nur etwa ein halbes Prozent (Grüne, Lin-
ke und AfD) der Akteursnennungen entfiel, während alleine
die Union und ihre Bundespolitiker mehr als 12 Prozent
aller genannten Akteure stellten.
Bezieht man die Länderebene mit ein, vergrößert sich
der Abstand der Union zu den anderen Parteien trotz un-
terschiedlicher Regierungskonstellationen sogar noch, weil
ihre Ministerpräsidenten Söder und Laschet deutlich häu-
figer erwähnt wurden als deren Amtskollegen aus anderen
Bundesländern. Insgesamt entfielen somit rund 17 Prozent
aller Akteursnennungen in den Medien auf die Union und
ihre Politiker. Die SPD folgte hier mit etwa 6 Prozent. Der
Vollständigkeit halber soll auch hier erwähnt werden, dass
die AfD als einzige Partei, die man im weitesten Sinne dem
Umfeld der Corona-Skeptiker zuordnen kann, in der Be-
richterstattung am seltensten vorkam (0,6 % aller Akteurs-
nennungen). Die Pandemie lenkte die mediale Aufmerk-
samkeit insgesamt folglich stark auf die Regierungsparteien
und dabei vor allem auf die Union (Abbildung 17).
In Bezug auf die wissenschaftlichen Akteure unterschei-
den wir drei Gruppen: Virologen, Ärzte und andere Vertreter
des Gesundheitswesens sowie Vertreter anderer Wissenschafts-
disziplinen, z. B. Psychologie oder Wirtschaftswissenschaften.
Dabei zeigt sich zunächst, das im gesamten Untersuchungs-
zeitraum Ärzte und andere Vertreter des Gesundheitswesens
deutlich am häufigsten in den Medien präsent waren. Bezogen
auf alle auftretenden Akteure machten sie fast 11 % der Nen-
nungen aus. Am häufigsten wurden das Robert-Koch-Institut
und seine Mitarbeiter genannt (3 %). Virologen im engeren
Sinn machten dagegen nur knapp 4 % der Akteursnennungen
aus. Dabei fällt auch auf, dass sich ihre Präsenz im Wesent-
lichen auf die erste Pandemiewelle und den Sommer 2020 er-
streckte. In der zweiten und dritten Welle kamen Virologen
dagegen deutlich seltener vor. Ähnlich häufig wie Virologen
kamen auch Wissenschaftler anderer Disziplinen in der Be-
richterstattung vor (3 %), darunter vor allem Wirtschaftswis-
senschaftler und -institute. Psychiater und Psychologen, die
sich mit den negativen Folgen harter Pandemie-Maßnahmen
beschäftigen, kamen dagegen beispielsweise insgesamt nur in
etwa 180 Medienbeiträgen vor. Das entspricht 0,3 Prozent
aller Akteursnennungen (Abbildung 18).
5 — Ergebnisse
Abbildung 19: Häufigkeit des Vorkommens einzelner „Pandemie-Experten“. Basis: 1.390 Nennungen der ausgewählten Akteure in allen
Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Akteure pro Beitrag.
Abbildung 20: Häufigkeit der Nennung verschiedener Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Basis: 32.611 Nennungen der
ausgewählten Maßnahmen in allen Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Maßnahmen pro Beitrag.
30
31
Auf der letzten Ebene wollen wir schließlich die
Häufig keit, mit der einige prominente Virologen in der
Medienberichterstattung vorkamen, einzeln betrachten.
Dabei konzentrieren wir uns zunächst auf die drei meist-
genannten Virologen, Christian Drosten, Hendrik Streeck
und Alexander Kekulé, wobei vor allem Drosten als engs-
ter Regierungsberater und Streeck, der für vergleichsweise
weniger gravierende Einschränkungen plädierte, in der
Öffentlichkeit zeitweise als Antagonisten wahrgenommen
wurden. Unsere Analysen zeigen zunächst, dass Drosten
mit 513 Mediennennungen mehr mediale Aufmerksam-
keit erhielt, als alle anderen Virologen zusammen. Wäh-
rend Kekulé nur während der ersten Pandemiewelle häu-
fig in den Medien präsent war, erstreckte sich die Präsenz
von Streeck weitgehend auf das Frühjahr 2020, in dem er
seine viel diskutierte Heinsberg-Studie zur Pandemie ver-
öffentlicht hatte. Drosten blieb bis Herbst 2020 der deut-
lich dominierende Pandemie-Erklärer in den Medien,
wurde aber während der zweiten Pandemiewelle partiell
und während der dritten Pandemiewelle schließlich voll-
ständig von einem „Kollegen“ abgelöst, der während der
ersten Welle noch wenig präsent gewesen war: Spätestens
mit Beginn des Jahres 2021 übernahm der SPD-Politi-
ker Karl Lauterbach, der vor seiner politischen Laufbahn
Direktor eines Instituts für Gesundheitsökonomie und
Klinische Epidemiologe war, die Rolle des mit Abstand
am häufigsten auftretenden medialen Experten für die
Pandemie (Abbildung 19).
Vielfalt der dargestellten
Maßnahmen
Neben der Frage, welche Akteure die Berichterstat-
tung dominiert haben, wollen wir hier auch betrachten,
welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vor-
rangig diskutiert wurden. Dabei unterscheiden wir harte
Maßnahmen (z. B. Schließungen oder Verbote), weni-
ger harte, allgemeine Maßnahmen (z. B. AHA-Regeln,
Testen) und das erst im Verlauf der Pandemie möglich
gewordene Impfen, das wir hier als Einzelmaßnahme
betrachten. All diese Maßnahmen sollen/müssen von
der Bevölkerung umgesetzt werden. Davon unterschei-
den wir Maßnahmen, die die Politik ergreifen soll/muss
(z. B. Investitionen zur Bekämpfung der Pandemie). Un-
sere Analysen zeigen, dass während des gesamten Unter-
suchungszeitraums etwa gleichermaßen häufig harte und
allgemeine Maßnahmen thematisiert wurden. Eine Aus-
nahme hiervon war der Sommer 2020, als harte Maß-
nahmen nur noch eine untergeordnete Rolle spielten,
vermutlich weil das Infektionsgeschehen diese nicht mehr
nötig erschienen ließ. Erstaunlicherweise erreichte die
Nennung von Impfungen, auch nachdem diese möglich
und nach allgemeiner Einschätzung die deutlich wirk-
samste Maßnahme gegen die Pandemie wurde, nicht an-
nähernd diese Werte. Staatliche Maßnahmen kamen in
der Berichterstattung insgesamt nur selten vor, sodass bei
den Rezipienten der Eindruck entstehen musste, sie seien
für die Pandemiebekämpfung weitgehend selbst verant-
wortlich (Abbildung 20).
Vielfalt der Folgen
Schließlich interessiert uns hier auch noch, welche
Folgen der Pandemie bzw. der Maßnahmen zur Bekämp-
fung der Pandemie in den Medien erwähnt wurden. Dies
ist eine wichtige Frage, weil die Nennung von positiven
oder negativen Folgen den Befürwortern und Gegnern
von harten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie
Argumente liefert: Werden überwiegend die positiven Fol-
gen der Maßnahmen thematisiert (z. B. die Eindämmung
der Pandemie oder die Verhinderung einer Überlastung
des Gesundheitssystems), stützt dies die Forderung nach
harten Maßnahmen. Werden überwiegend ihre negativen
Folgen thematisiert (z. B. zunehmende Arbeits losigkeit
oder Vereinsamung), kann man dies als Argument gegen
harte Maßnahmen verstehen.
Im ersten Schritt haben wir die von uns erfassten Fol-
gen in vier Gruppen eingeteilt: gesundheitliche Folgen (z.
B. Eindämmung der Pandemie, aber auch negative psy-
chische Folgen durch die Maßnahmen) wirtschaftliche
Folgen (z. B. Kurzarbeit, Insolvenzen), soziale Folgen (z.
B. Zunahme häuslicher Gewalt, aber auch Entschleuni-
gung) und bildungsbezogene Folgen (z. B. Bildungslü-
cken durch Schulausfall). Dabei zeigt sich, dass zu Beginn
der Pandemie gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen
gleichermaßen intensiv diskutiert wurden. Dies änderte
5 — Ergebnisse
Abbildung 21: Häufigkeit der Nennung von unterschiedlichen Folgen der Pandemie bzw. der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.
Basis: 10.525 Nennungen der ausgewählten Folgen in allen Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Folgen pro Beitrag.
Während es sich bei den wirtschaftlichen Folgen fast
ausschließlich um negative Folgen wie Arbeitslosigkeit,
Wirtschaftsabschwung und eine Erhöhung der Staatsver-
schuldung handelte, können die thematisierten gesundheit-
lichen Folgen eine unterschiedliche Valenz haben: Einerseits
kann es um die positiven Folgen der Maßnahmen für die
Eindämmung der Pandemie gehen. Andererseits kann aber
auch darauf hingewiesen werden, dass harte Maßnahmen
zur Pandemiebekämpfung negative Gesundheitsfolgen in
anderen Bereichen nach sich ziehen können, darunter z. B.
psychische Erkrankungen durch Vereinsamung und körper-
liche Erkrankungen durch Bewegungsmangel. Dabei zeigt
sich, bezogen auf den gesamten Untersuchungszeitraum,
dass die positiven gesundheitlichen Folgen der Maßnah-
men (3.900 Nennungen = 28 % aller genannten Folgen)
um ein Vielfaches häufiger erwähnt wurden als ihre negati-
ven gesundheitlichen Folgen (294 Nennungen = 2 % aller
genannten Folgen). So wurden beispielsweise die negativen
Folgen des Bewegungsmangels für das Entstehen von Herz-
erkrankungen in nur 31 Beiträgen angesprochen. Selbst die
32
sich jedoch deutlich in der zweiten und dritten Pandemie-
Welle. Ab Herbst 2020 spielten die (überwiegend negati-
ven) wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen in den Me-
dien kaum noch eine Rolle. Stattdessen ging es bei weitem
überwiegend um gesundheitliche Folgen. Soziale Folgen
und vor allem Folgen für das Bildungssystem wurden in
den Medien schon von Beginn an eher selten thematisiert.
Nach der ersten Pandemie-Welle geschah dies noch zu-
nehmend seltener (Abbildung 21).
33
positiven Folgen der Pandemie für einen Digitalisierungs-
schub in Unternehmen wurden deutlich häufiger themati-
siert (117 Beiträge).
Insgesamt zeigen unsere Analysen zu den Folgen also,
dass es während der ersten Welle der Pandemie in den Me-
dien noch einen Widerstreit über die Relevanz der Folgen
der Pandemie bzw. der Pandemiebekämpfung gab: Positi-
ve Folgen für die Gesundheit und negative Folgen für die
Wirtschaft wurden gleichermaßen diskutiert. In den fol-
genden beiden Pandemiewellen wurde dieser Widerstreit
dann jedoch eindeutig aufgelöst: Die positiven Folgen für
die Gesundheit dominierten die mediale Diskussion eindeu-
tig, negative wirtschaftliche Folgen (und damit Argumente
gegen harte Maßnahmen) traten deutlich zurück. Negative
gesundheitliche Folgen der Maßnahmen wurden im gesam-
ten Untersuchungszeitraum praktisch nicht thematisiert.
5.3 Sachlichkeit/Neutralität
Sachlichkeit vs. Emotionalität
In diesem Abschnitt wollen wir zunächst betrachten,
ob die Berichterstattung über die Pandemie eher sachlich
oder eher emotional gehalten war. Dies haben wir auf einer
Skala gemessen, deren Extrempunkte mit eindeutig sachlich
und eindeutig emotional beschriftet waren. Für die Analyse
fassen wir die ursprünglich fünfstufige Skala zu drei Ska-
lenpunkten (sachlich, ambivalent, emotional) zusammen
und berechnen den Saldo aus sachlichen und emotionalen
Beiträgen in Prozent. Bezogen auf den gesamten Unter-
suchungszeitraum überwog dabei eindeutig eine sachliche
Sprache (64 %), nur 15 Prozent der Beiträge waren über-
wiegend emotional. Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die Be-
richterstattung tendenziell etwas emotionaler wurde.
Zu keinem Zeitpunkt
überwogen emotionale
Beiträge auch nur
annähernd die sachlichen.
(Abbildung 22)
Allerdings unterschied sich der Grad an Emotionalität
in erheblicher Weise zwischen den Medien. Dabei ist be-
sonders bemerkenswert, dass die ARD mit der Tagesschau
(Saldo +69) und dem ARD Corona-Extra (+34) sowohl das
sachlichste, als auch das am wenigsten sachliche Format
sendete. Oensichtlich verlagerte die ARD die emotiona-
len Aspekte der Pandemie eher in das unmittelbar an die
Nachrichtensendung anschließende Magazinformat. Eben-
falls sehr sachlich berichteten faz.net (+63) und t-online.
de (+62), wobei der Web-Provider weniger eigene Beiträge,
sondern sehr häufig Meldungen von Nachrichtenagenturen
verwendete. Die Springer-Medien welt.de (+35) und bild.de
(+37) berichteten dagegen weniger sachlich als das Gros der
übrigen Medien. Auch für die einzelnen Medien gilt aller-
dings, dass sachliche Beiträge die emotionalen jeweils deut-
lich überwogen (Abbildung 23).
Einzelfälle vs. Statistiken
Als weiteren Indikator für die Sachlichkeit der Be-
richterstattung betrachten wir, in welchem Ausmaß die
Darstellung der Pandemie durch Statistiken und andere
summarische Informationen (thematisches Framing),
durch die Darstellung von Einzelfällen (episodisches
Framing) oder durch einen Mix aus Informationen über
Statistiken und Einzelfälle geprägt waren. In der For-
schung wird die Verwendung von episodischem Framing
üblicherweise eher als Beleg für eine analytisch weniger
anspruchsvolle Berichterstattung und aufgrund der oft-
mals damit verbundenen stärkeren Personalisierung und
Emotionalisierung auch als Hinweis auf Infotainment
und Soft News betrachtet. Dies hat damit zu tun, dass
summarische Informationen oftmals validere Aussagen
über gesellschaftliche Problemlagen zulassen und insbe-
sondere die Auswahl nicht-repräsentativer Einzelfälle in
5 — Ergebnisse
Abbildung 22: Sachlichkeit der Medienberichterstattung im Zeitverlauf (Saldo %). Ausgewiesen ist der Saldo des Anteils emotionaler und
sachlicher Beiträge. Ein positiver Saldo bedeutet einen Überhang sachlicher Beiträge, ein negativer Saldo einen Überhang emotionaler
Beiträge. Basis: Alle Beiträge mit sachlichem oder emotionalem Sprachstil (N=15.834, gewichtet).
Abbildung 23: Sachlichkeit im Medienvergleich (Saldo %). Ausgewiesen ist der Saldo des Anteils emotionaler und sachlicher Beiträge. Ein
positiver Saldo bedeutet einen Überhang sachlicher Beiträge, ein negativer Saldo einen Überhang emotionaler Beiträge. Basis: Alle Beiträge
mit sachlichem oder emotionalem Sprachstil (N=15.834, gewichtet).
34
35
der Berichterstattung zu fehlerhaften Einschätzungen von
Sachverhalten durch das Publikum führen kann.
Allerdings halten wir diese Sichtweise gerade im Hin-
blick auf die Berichterstattung über ein Ereignis wie die
Corona-Pandemie für zu eingeschränkt. Gerade wenn man
an die Wirkungen der Berichterstattung denkt, dann wollen
wir hier argumentieren, dass erst eine Berichterstattung, die
die Schilderung valider summarischer Informationen durch
illustrierende Fallbeispiele unterstützt, dem Publikum die
Auswirkungen einer Pandemie in vollem Umfang bewusst
macht. Insgesamt argumentieren wir also, dass episodisches
und thematisches Framing sich etwa die Waage halten soll-
ten und die Entscheidung für eine „trockene“ Sachlichkeit
nicht immer die beste Wahl ist.
Die Analysen zeigen, dass in etwas mehr als der Hälfte
der Beiträge entweder Statistiken oder Einzelfälle verwendet
wurden (57 %). Dabei waren jeweils etwas weniger als die
Hälfte dieser Beiträge durch thematisches bzw. episodisches
Framing gekennzeichnet. Etwa jeder Zehnte dieser Beiträge
enthielt etwa gleichgewichtig statistische und Fallbeispiel-
Informationen. Betrachtet man den Zeitverlauf, erkennt
man hier allerdings deutliche Veränderungen.
Sieht man von den ersten bei-
den Monaten des Jahres 2020 ab,
in denen kaum Berichterstattung
stattfand, war die erste Phase der
Pandemie durch einen deutlichen
Überhang von episodischer Be-
richterstattung gekennzeichnet.
Diese orientierte sich im weiteren
Verlauf jedoch zusehends stärker
an summarischen Informationen,
so dass diese im August 2020
erstmals überwogen,
was mit Ausnahme des November 2020 bis zum Ende
des Untersuchungszeitraums so blieb und in der Tendenz
eher noch zunahm. Die zunehmende Orientierung der Be-
richterstattung an statistischen Informationen kann man
einerseits im Sinne einer Zuwendung zu valideren summa-
rischen Informationen befürworten und als Qualitätssteige-
rung ansehen. Allerdings ergab sich damit u. U. mit der Zeit
das Problem, dass sich die Pandemie in der Berichterstat-
tung von einer Katastrophe mit menschlichem Leid zu einer
eher sachlich abgehandelten Zahlenschlacht entwickelte.
Gerade in den Teilen des Publikums, die ein weniger gu-
tes Verständnis numerischer Informationen haben, könnte
dies die Wahrnehmung der Pandemie beeinflusst haben
(Abbildung 24).
5.4 Richtigkeit/Sachgerechtig-
keit (deskriptive Qualität)
Es ist im Rahmen dieser Studie nicht möglich, alle in
der untersuchten Berichterstattung dargestellten Sachver-
halte und aufgestellten Behauptungen mit der Ereignis- und
Studienlage oder dem Urteil von Experten zu vergleichen,
wie es die akademische Accuracy-Forschung oder journalis-
tische Fact-Checker für einzelne Aussagen, Ereignisse oder
emen tun. Stattdessen konzentrieren wir uns auf drei
exemplarische Indikatoren, um einen Eindruck von der
Richtigkeit bzw. Sachgerechtigkeit der Berichterstattung zu
bekommen. Erstens betrachten wir, ob in der Berichterstat-
tung Vergleiche zwischen dem Corona-Virus SARS-CoV-2
und dem saisonalen Influenza-Virus gezogen wurden.
Zweitens geht es um die Frage, inwieweit die Medien den
Eindruck vermittelten, in den unmittelbar mit den medizi-
nischen Aspekten der Pandemie beschäftigten wissenschaft-
lichen Disziplinen herrsche ein Konsens über die Pandemie.
Drittens betrachten wir, ob das auf die Corona-Maßnahmen
bezogene Meinungsklima als die Maßnahmen befürwortend
oder gegen die Maßnahmen gerichtet dargestellt wurde.
Corona- vs. Influenza-Virus
Voraussetzung für einen Vergleich der Viren ist, dass die-
se in der Berichterstattung überhaupt detaillierter betrach-
tet werden. Ein Hinweis darauf können die emen, also
die inhaltlichen Schwerpunkte der Beiträge sein. Betrachtet
5 — Ergebnisse
Abbildung 24: Beiträge mit episodischem, thematischem und vermischtem Framing im Zeitverlauf. Ausgewiesen ist die jeweilige Anzahl der
Beiträge sowie der Saldo von Beiträgen mit episodischem und thematischem Framing. Negative Werte bedeuten einen Überhang von Bei-
trägen mit episodischem Framing, positive Werte bedeuten einen Überhang von Beiträgen mit thematischem Framing. Basis: Alle Beiträge
mit einer Art des Framings (N=8.986; gewichtet).
Abbildung 25: Wichtigste emen der Beiträge im Zeitverlauf. Basis: 24.394 Nennungen der ausgewählten emen in allen Beiträgen
(gewichtet). Codiert werden konnten bis zu drei emen pro Beitrag.
36
37
man die Berichterstattung im Zeitverlauf, stellt man jedoch
fest, dass sie thematisch von der Auseinandersetzung mit
den Corona-Maßnahmen dominiert war (ca. 63 Prozent
der Beiträge). Deutlich dahinter folgte das Pandemiege-
schehen in Deutschland (25 %), die Folgen der Pandemie
(21 %) und das Impfen (13 %). Das Virus und die durch
dieses ausgelösten Symptome und Krankheitsbilder waren
dagegen nur in etwa 9 Prozent der Beiträge einer der wich-
tigsten Schwerpunkte. Die stärkste Beachtung fanden das
Virus und Krankheitsbilder zu Beginn der ersten Welle im
März und April 2020 sowie mit dem Aufkommen und der
Ausbreitung der britischen Variante (B.1.1.7 bzw. Alpha)
ab Dezember 2021. Die Ereignisorientierung der Medien
findet in dieser thematischen Struktur ganz oenbar ihren
Niederschlag (Abbildung 25).
Angesichts des überschaubaren Umfangs von Beiträgen,
die sich dem Virus und der Krankheit selbst widmeten, ver-
wundert es nicht, dass sich in ganzen 2 Prozent der ana-
lysierten Beiträge überhaupt ein Vergleich des neuartigen
Corona-Virus und des saisonalen Grippe-Virus findet. Diese
Beiträge wurden schwerpunktmäßig zu Beginn der Pande-
mie zwischen Februar und April 2020 publiziert und ent-
hielten zum Teil wiederum keinen Vergleich des spezifischen
Aspekts der Gefährlichkeit der Viren. Obwohl die Gefähr-
lichkeit von SARS-Cov-2 mit zunehmendem Alter der Pa-
tienten exponentiell ansteigt und man bei einem Vergleich
deshalb je nach betrachteter Gruppe zu durchaus unter-
schiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann, betrachten
wir als Indikator für die Sachgerechtigkeit der Berichterstat-
tung hier die Gefährlichkeit über alle Gruppen hinweg, die
aufgrund der sehr hohen Risiken für die Alten und Hoch-
altrigen als deutlich höher eingeschätzt werden muss als die
der üblichen saisonalen Influenza (siehe dazu aber auch den
folgenden Abschnitt zum wissenschaftlichen Konsens).
Ein Blick auf die Beiträge, die entsprechende Vergleiche
enthalten zeigt jedoch, dass nur 50 Prozent dieser Artikel
den Eindruck vermittelte, SARS-CoV-2 sei gefährlicher als
das Influenza-Virus. In 20 Prozent dieser Beiträge erschie-
nen beide als gleich gefährlich und in 30 Prozent ergab sich
sogar der Eindruck, das saisonale Grippe-Virus sei gefähr-
licher. Bedenkt man einerseits, dass die besondere, höhere
Gefährlichkeit von SARS-Cov-2 die Basis für alle drasti-
schen politischen Maßnahmen darstellte und vergegenwär-
tigt man sich andererseits, dass auch im Februar 2021 noch
etwa ein Drittel der Deutschen der Ansicht war, Corona sei
nicht gefährlicher als die saisonale Grippe oder sich kein Ur-
teil dazu zutraute, dann wird hier möglicherweise ein ernstes
Versäumnis der Corona-Berichterstattung deutlich:
Es wurde vermutlich zu
wenig über das Virus selbst,
seine Eigenschaften und den
Vergleich zur Grippe berichtet.
Möglicherweise glaubten viele Journalistinnen und
Journalisten, dass zu Beginn der Pandemie hinreichend
dazu berichtet worden sei oder dass Hospitalisierungen und
Todesfälle eine so deutliche Sprache sprechen würden, dass
man diesen Aspekt nicht weiter in den Mittelpunkt stel-
len müsste. Doch dies war möglicherweise ein Trugschluss
(Abbildung 26).
Konsens in der
Corona-Forschung
Wissenschaft lebt vom produktiven Dissens und ist ge-
prägt von ständigen Auseinandersetzungen über Fachfragen.
Gerade im Fall eines neuartigen Virus und einer sich schnell
entwickelnden Pandemie kann man davon ausgehen, dass
es zu Beginn abweichende Auassungen oder sich wider-
sprechende Studienergebnisse gibt, sich aber im Laufe der
Zeit über zentrale medizinische Fragen ein größerer Kon-
sens entwickelt. Dies bedeutet natürlich nicht, dass einzelne
und auch ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler abweichende Auassungen in bestimmten Fragen
vertreten und damit am Ende recht behalten oder aber
erbitterte Kontroversen entstehen (wie etwa die um John Io-
annidis; dazu z. B. Müller-Jung, 2021). Besteht jedoch weit-
gehender Konsens über bestimmte Fragen und wird dieser
in der medialen Darstellung nicht deutlich, dann kann dies
unmittelbare Folgen für die Einstellungen der Mediennut-
zer zu einem Sachverhalt, zu den daraus abgeleiteten Maß-
nahmen und das eigene Verhalten haben. Dies zeigt nicht
nur die Forschung im Kontext des Klimawandels, sondern
5 — Ergebnisse
Abbildung 26: Anteil der Beiträge, in denen SARS-CoV-2 mit dem Influenza-Virus verglichen wurde und Tenor des Vergleichs.
Basis: Alle Beiträge sowie Beiträge mit einem solchen Vergleich (N=258, gewichtet).
Abbildung 27: In den Beiträgen vermittelter Eindruck von Konsens, Ambivalenz und Dissens in der Corona-Forschung.
Basis: Alle Beiträge, in denen ein solcher Eindruck vermittelt wurde (N=2.658, gewichtet).
38
39
auch erste Studien im Zusammenhang mit der Corona-
Pandemie (z. B. Reinemann et al., 2021).
Obwohl unseres Wissens nach noch keine detaillier-
ten wissenschaftssoziologischen Studien dazu vorliegen,
wie sich die Ansichten zu zentralen medizinischen Fragen
in Bezug auf SARS-CoV-2 und COVID-19 im Verlauf
unseres Untersuchungszeitraums entwickelt haben, zeugen
verschiedene Papiere von Fachgesellschaften und Autoren-
kollektiven davon, dass sich im Laufe des Jahres 2020 ein
Konsens in der Forschung einstellte, auch wenn sich die-
ser in erster Linie auf medizinische und epidemiologische
Grundsatzfragen wie etwa die Gefährlichkeit des Virus im
Vergleich zur Grippe oder die grundsätzliche Notwendigkeit
von Eindämmungsmaßnahmen bezog (z. B. Alwan et al.,
2020; Gesellschaft für Virologie, 2020). So ergab eine Ex-
pertenbefragung unter Medizinern verschiedener einschlä-
giger Disziplinen im Mai 2020, dass diese die Sterblichkeit
bei einer SARS-CoV-2-Infektion im Median auf 1,0 Prozent
schätzen (Mittelwert = 1,6%) und damit deutlich höher als
bei der saisonalen Grippe. Mehr als 85 Prozent hielten Neu-
infektionen und die Verfügbarkeit von Beatmungsgeräten,
Intensivbetten etc. für wichtige Parameter zur Beurteilung
der Pandemie und 77 Prozent hielten die aktuellen Grund-
rechtseinschränkungen für verhältnismäßig (Schindler et
al., 2020). Ähnliche Befunde ergaben sich bei einer weiteren
Befragung Anfang 2021 (Weber, 2021). Geringer war die
Einigkeit jedoch im Hinblick auf die Frage geeigneter Maß-
nahmen oder Abwägungen unterschiedlicher Folgen. Hier
gab es oenbar durchaus unterschiedliche Auassungen
(Weber et al., 2020; Spiegel.de, 2021).
Tatsächlich stellte auch die Berichterstattung der Me-
dien, die in etwa 17 Prozent der Beiträge einen Eindruck
von Konsens oder Dissens in der Forschung vermittelte,
diese überwiegend als (eher) konsensuell dar. In knapp 60
Prozent dieser Beiträge erschien eindeutig und in weiteren
26 Prozent eher ein Konsens in der Corona-Forschung zu
herrschen. Nur in 10 Prozent der relevanten Artikel erschien
in der Corona-Forschung eher oder eindeutig ein Dissens
zu herrschen. Am intensivsten thematisiert wurden Fragen
von Konsens und Dissens in der ersten Welle der Pandemie
und dann wieder verstärkt mit dem Beginn der zweiten und
im Übergang zur dritten Welle, was vermutlich nicht zuletzt
auf die intensiven Debatten um die Corona-Maßnahmen
zurückzuführen ist (Abbildung 27).
Meinungsklima zu den
Maßnahmen
Wie oben dargestellt, zeigen unterschiedliche Studien,
dass der Anteil der Deutschen, die die Corona-Maßnahmen
übertrieben fanden, über unseren Untersuchungszeitraum
hinweg bemerkenswert stabil blieb. Dabei waren diejenigen,
die die Maßnahmen übertrieben fanden, stets deutlich in
der Minderheit. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nicht
einzelne Maßnahmen und deren Umsetzung gab, die kri-
tisch betrachtet wurden oder dass beschlossene Maßnahmen
von einer relativ großen Zahl von Menschen phasenweise
auch als nicht ausreichend betrachtet wurden. Zudem gab
es Zeiten, in denen der Anteil der Menschen, die härtere
Maßnahmen forderten, deutlich anwuchs (s. o.).
Wie wurde die Bevölkerungsmeinung nun in der Be-
richterstattung dargestellt? Insgesamt thematisierten 14
Prozent der Beiträge das Meinungsklima zu den Maßnah-
men. In etwas weniger als der Hälfte davon (46 %) erschien
das Meinungsklima befürwortend, in jeweils etwas mehr als
einem Viertel der Artikel dagegen ambivalent oder ableh-
nend. Über die Zeit betrachtet erschien die Zustimmung
in der Bevölkerung im März und April 2020 am größten,
während die Medien insbesondere im Oktober und No-
vember 2020 sowie im Januar 2021 sehr viel häufiger als
zuvor den Eindruck eines die Maßnahmen ablehnenden
Meinungsklimas vermittelten, obwohl sich an der grund-
sätzlichen Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung,
die Maßnahmen seien nicht übertrieben, nichts Wesent-
liches geändert hatte. Den genauen Ursachen für dieses
Missverhältnis wird in weiteren Analysen nachzugehen
sein. Allerdings wuchs ab Herbst 2020 auch der Anteil der
Beiträge, die ein ambivalentes, dierenziertes Bild des Mei-
nungsklimas vermittelten, was man angesichts einer die-
renzierten Bewertung vieler Maßnahmen und ihrer Um-
setzung durch die Bevölkerung ebenfalls als angemessene
Form der Berichterstattung betrachten kann. Allerdings
bleibt der Eindruck, dass insbesondere in der kritischen
Phase des Oktober und November 2020 sowie im Januar
2021 die Medien den Eindruck eines Maßnahmen-kriti-
scheren Meinungsklimas erweckten, als dieser durch die
vorliegenden repräsentativen Befragungen vermittelt wird
(Abbildung 28).
5 — Ergebnisse
Abbildung 28: In den Beiträgen vermittelter Eindruck vom Meinungsklima zu den Corona-Maßnahmen. Saldo der Anzahl der Beiträge
in denen das Meinungsklima befürwortend und in denen das Klima ablehnend dargestellt wurde sowie Anzahl der Beiträge, in denen das
Meinungsklima als ambivalent dargestellt wurde. Basis: Alle Beiträge, in denen das Meinungsklima befürwortend (N=1.030; gewichtet) oder
ablehnend dargestellt wurde (N=583, gewichtet).
Abbildung 29: Darstellung der Unsicherheit wissenschaftlicher Prognosen. Basis: Alle Beiträge, in denen die Unsicherheit der Prognosen
bewertet wurde (N=3.302, gewichtet).
40
41
Darstellung von Unsicherheit
der Prognosen
Die Pandemie war ohne jeden Zweifel mit erheblicher
Unsicherheit verbunden. In der Wissenschaft versteht man
unter (externer) Unsicherheit eine Situation, die komplex
und unvorhersehbar ist, z. B. weil, wie im Fall der Pandemie,
selbst Experten die Ursachen und Folgen bestimmter Ereig-
nisse und Entscheidungen kaum oder gar nicht abschätzen
können. Vor allem Zukunftsprognosen (z. B. zum zukünf-
tigen Pandemiegeschehen, zu den Folgen politischer Ent-
scheidungen oder der Frage, wann ein Impfsto verfügbar
ist) sind dabei grundsätzlich mit Unsicherheit verbunden.
Es gehört deshalb zu den Qualitätskriterien der Medienbe-
richterstattung, dass sie die Unsicherheiten von Zukunfts-
prognosen gerade im medizinischen Bereich (siehe dazu
auch Pressekodex, Zier 14) kenntlich machen, z. B.
durch die Verwendung des Konjunktivs, durch das Gegen-
überstellen unterschiedlicher Prognosen usw.
Um zu prüfen, inwieweit dies der Fall war, haben wir für
jeden Beitrag, in dem Prognosen erwähnt wurden, erfasst,
ob der Beitrag die Unsicherheit der Prognosen kenntlich
macht. Unsere Analysen zeigen, dass dies in der Regel nicht
der Fall war.
Während des gesamten
Untersuchungszeitraums
dominierten eindeutig Bei-
träge, in denen die Pro-
gnosen als sicher eintre-
tend dargestellt wurden.
Eindeutig erkennbar war die
Unsicherheit der Prognosen
im Schnitt nur in rund 20
Prozent der Beiträge.
Dabei überrascht auch, dass sich an der Darstellung der
Unsicherheit der Prognosen im Zeitverlauf kaum etwas än-
derte, obwohl man annehmen kann, dass die intensive For-
schung zur Pandemie im Zeitverlauf Unsicherheiten redu-
ziert haben sollte (Abbildung 29).
Eine Medienberichterstattung, die unsichere wissen-
schaftliche Prognosen als sicher eintretend darstellt, ist allen-
falls dann gerechtfertigt, wenn die Journalistinnen und Jour-
nalisten davon ausgehen, dass wissenschaftliche Prognosen
im Allgemeinen so zuverlässig sind, dass man ihre grundle-
gende Unsicherheit getrost ignorieren kann. Um zu prüfen,
wie die Medien die Qualität wissenschaftlicher Prognosen
beurteilt haben, haben wir für jeden Beitrag, in dem vergan-
gene Prognosen thematisiert wurden, auch erhoben, ob diese
Prognosen in der Berichterstattung im Nachhinein überwie-
gend als zutreend oder als unzutreend beurteilt wurden.
Unsere Analysen zeigen auch hier ein eindeutiges Bild: Zwar
vermittelten nur rund 1.000 der fast 16.000 Beiträge einen
Eindruck von der Richtigkeit früherer Prognosen. In diesen
Beiträgen wurden die Prognosen aber überwiegend als nicht
zutreend beschrieben (55 %). In 23 Prozent der Beiträge
erschienen sie als nur teilweise zutreend und nur 22 Pro-
zent der Beiträge vermittelten den Eindruck, die Prognosen
seien überwiegend zutreend. Hierbei zeigten sich keine
nennenswerten Veränderungen im Zeitverlauf, aber erheb-
liche Medienunterschiede: Während die Bild-Zeitung in 82
Prozent der relevanten Beiträge den Eindruck vermittelte,
frühere Prognosen zur Pandemie hätten sich nicht bewahr-
heitet, galt dies nur für 26 Prozent der Beiträge von Focus
Online (Abbildung 30).
In dieser Hinsicht wies die Medienberichterstattung
folglich eine bemerkenswerte Inkonsistenz auf: Einerseits
stellte sie Zukunftsprognosen, die naturgemäß mit großer
Unsicherheit behaftet sind, als sicher eintretende Ereignisse
da. Andererseits konstatierten sie im Nachhinein, dass die
Prognosen in der Regel nicht eintreten.
5 — Ergebnisse
Abbildung 30: Anteil der Beiträge, die frühere Prognosen als falsch charakterisieren. Basis: Alle Beiträge, in denen frühere Prognosen
bewertet wurde (N=1.130, gewichtet).
Abbildung 31: Bewertung von Corona-Maßnahmen, in den Fällen, in denen eine Maßnahme bewertet wurde. Basis: 11.649 Bewertungen
von Maßnahmen in allen Beiträgen (gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Maßnahmen und ihre Bewertung pro Beitrag.
42
43
5.5 Ausgewogenheit
(deskriptive Qualität)
Ein zentraler Vorwurf, der im Hinblick auf die Pande-
mieberichterstattung immer wieder erhoben wurde, war,
dass in der Berichterstattung kaum Kritik an den Maßnah-
men und den beteiligten Akteuren zu finden gewesen sei.
Stattdessen seien die Medien blind dem Mainstream von
Wissenschaft und Politik gefolgt und deshalb ihrer Kritik-
und Kontrollfunktion nicht nachgekommen. Wir gehen
diesen Behauptungen nach, indem wir danach fragen, in
welchem Umfang in der Berichterstattung Kritik an Maß-
nahmen und Akteuren vorkam und in welche Richtung die
Kritik genau ging. Außerdem werfen wir einen Blick darauf,
ob die Corona-Maßnahmen vor allem unter dem Gesichts-
punkt der Sicherheit oder der Freiheit betrachtet wurden.
Dabei werden wir, um in Ermangelung harter Außenkri-
terien einen Eindruck von möglichen Verzerrungen zu be-
kommen, in diesen Analysen auch wieder mögliche Unter-
schiede zwischen den Medien untersuchen.
Bewertung der Corona-
Maßnahmen
In knapp 90 Prozent der analysierten Beiträge kam eine
oder mehrere Maßnahmen vor. Dabei wurden insgesamt
mehr als 35.000 einzelne oder Arten von Maßnahmen ge-
nannt (bis zu fünf konnten pro Beitrag codiert werden). In
etwa einem Drittel der Fälle war auch eine Bewertung durch
zitierte Dritte oder die Autoren der Beiträge erkennbar. Von
diesen Bewertungen waren knapp zwei Fünftel negativ, et-
was mehr als ein Fünftel positiv und in knapp einem Fünftel
der Fälle fiel die Bewertung ambivalent aus.
Man kann also keineswegs
sagen, dass es in der Bericht-
erstattung keine Kritik an den
Maßnahmen zur Pandemie-
bekämpfung gegeben hätte.
(Abbildung 31)
Allerdings zeigen sich im Zeitverlauf verschiedene Pha-
sen in der medial vermittelten Bewertung der Maßnahmen.
Besonders positiv fiel der Tenor zu Beginn der Pandemie
im März 2020 aus. Hier hatten die politischen und wis-
senschaftlichen Akteure tatsächlich eine deutliche mediale
Unterstützung, was nicht bedeutet, dass es nicht auch Kritik
in der Berichterstattung gegeben hätte. Zwischen April und
September 2020 bliebt der Tenor dann bei in der Intensi-
tät abnehmender Berichterstattung per Saldo maßnahmen-
freundlich, drehte aber mit den zögerlichen Entscheidungen
der Politik im Oktober 2020 deutlich ins Negative. Nach
breitem medialem Beifall für die härteren Maßnahmen im
Dezember 2020, war es dann zu Jahresbeginn 2021 vorbei
mit der medialen Unterstützung. Die Beurteilung der M-
nahmen war nun wieder deutlich negativ und blieb es auch
bis ans Ende des Untersuchungszeitraums Ende April 2021
(Abbildung 32).
Wie wir gesehen haben, ist die Frage nach der Intensität
medialer Kritik an den Corona-Maßnahmen je nach Phase
der Pandemie unterschiedlich zu beantworten, auch wenn
man in keinem Fall sagen kann, es hätte sie überhaupt nicht
gegeben. Ob sich allerdings die Tendenz der Kritik eher in
Richtung einer Forderung nach weniger, nach mehr oder
nach geeigneteren Maßnahmen bezog, diese Frage ist damit
noch nicht beantwortet. Um dies tun zu können, haben wir
für jeden Beitrag ermittelt, ob dieser die angesprochenen
Maßnahmen alles in allem als zu weitreichend, als angemes-
sen oder als nicht weitreichend genug bezeichnete oder ob
diese Frage nicht angesprochen wurde. Entsprechende Aus-
sagen, die einen Gesamttenor der Bewertung der Corona-
Maßnahmen erkennen lassen, fanden sich in etwa einem
Drittel aller Beiträge. In wiederum einem knappen Drittel
davon wurden die angesprochenen Maßnahmen als nicht
ausreichend beurteilt, in etwas mehr als zwei Fünfteln als
angemessen und in etwa einem Viertel als zu weitreichend.
5 — Ergebnisse
44
Abbildung 32: Bewertung von Corona-Maßnahmen im Zeitverlauf und Saldo positiver und negativer Bewertungen. Negative Werte bedeu-
ten einen Überhang von negativen Bewertungen, positive Werte einen Überhang von positiven Bewertungen. Basis: Alle Beiträge, in denen
eine Maßnahme vorkam und bewertet wurde (N=11.649; gewichtet). Codiert werden konnten bis zu fünf Maßnahmen und ihre Bewertung
pro Beitrag.
Abbildung 33: Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen (eine Codierung pro Beitrag). Basis: Alle Beiträge, in denen der
Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen bewertet wurde (N=5.295; gewichtet).
45
Auch diese Befunde zeigen, dass in den Medien ein die
Maßnahmen unterstützender bzw. sogar noch weitreichen-
dere Maßnahmen fordernder Tenor vorherrschte. Kritik
an den Maßnahmen kam dabei in etwa gleichem Umfang
von beiden Seiten: denen, die die Maßnahmen für zu weit-
reichend und denen, die sie für nicht weitreichend genug
hielten (Abbildung 33).
Die Analyse des Gesamttenors im Zeitverlauf verdeut-
licht noch einmal die Phasen und grundsätzlichen Befunde,
die bereits die vorherige Analyse ergeben haben: Nach einem
deutlichen Tenor pro Maßnahmen im März 2020 nahmen
die Stimmen, denen die Maßnahmen zu weit gingen, im
April und Mai zunächst deutlich zu. Bis zum September
etablierte sich dann ein die (gelockerten) Maßnahmen für
angemessen haltender Medientenor. Mit dem Anstieg der
Fallzahlen im Oktober wird dann der Konflikt über das wei-
tere Vorgehen in der Berichterstattung deutlich erkennbar,
wobei der Medientenor dann bis in den Dezember 2020
deutlich in Richtung der Position ausschlug, die die Maß-
nahmen für angemessen oder aber nicht weitreichend genug
hielt. Die Zustimmung verblieb dann auf hohem Niveau
und fiel erst im April 2021 deutlich ab. Damit zeigt sich
erneut: Die Position, dass die Maßnahmen zu weit gingen,
war in der Berichterstattung vor allem in den kritischen Pha-
sen, in denen die Verschärfung oder Lockerung von Maß-
nahmen diskutiert wurde, durchaus erkennbar. Allerdings
überwog über die gesamte Dauer unserer Analyse deutlich
die Position, dass die Maßnahmen angemessen waren oder
nicht weit genug gingen (Abbildung 34).
Dass trotz der überwiegenden Zustimmung zu den
Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamttenor der Be-
wertung der Corona-Maßnahmen keine völlige medien-
übergreifende Konsonanz herrschte, zeigt eine medienver-
gleichende Analyse. Um den Tenor der Darstellung in den
Medien zu vergleichen, betrachten wir zum einen den Anteil
der Beiträge, in denen die Maßnahmen alles in allem als an-
gemessen dargestellt werden. Zum anderen betrachten wir
den Saldo des Anteils der Beiträge, in denen die Maßnah-
men als nicht weitreichend genug bzw. als zu weitreichend
dargestellt wurden. Positive Werte bedeuten dabei, dass es
Abbildung 34: Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen (eine Codierung pro Beitrag) sowie Saldo der Beiträge, in denen die
Corona-Maßnahmen als angemessen oder nicht weitreichend genug bzw. zu weitreichend bezeichnet wurden. Basis: Alle Beiträge, in denen
der Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen bewertet wurde (N=5.295; gewichtet).
5 — Ergebnisse
46
Abbildung 35: Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen im Medienvergleich. Ausgewiesen sind der Saldo des Anteils von
Beiträgen, die die Maßnahmen als zu weitgehend bzw. als nicht ausreichend darstellen sowie der Anteil an Beiträgen, die die Maßnahmen
für angemessen halten. Positive Werte bedeuten dabei, dass es einen Überhang von Beiträgen gab, die die Maßnahmen als nicht ausreichend
darstellten, negative Werte, dass es einen Überhang von Beiträgen gab, die die Maßnahmen als zu weitgehend darstellten. Basis: Alle Bei-
träge, in denen der Gesamttenor der Bewertung der Corona-Maßnahmen bewertet wurde (N=5.295; gewichtet).
Abbildung 36: Beurteilung der Kompetenz von Politik und Wissenschaft. Basis: Alle Beiträge, in denen eine solche Beurteilung für die
Politik (N=1.962; gewichtet) und/oder Wissenschaft (N=957; gewichtet) vermittelt wurde.
47
einen Überhang von Beiträgen gab, die die Maßnahmen als
nicht ausreichend darstellten, negative Werte, dass es einen
Überhang von Beiträgen gab, die die Maßnahmen als zu
weitreichend darstellten. Basis sind jeweils alle Beiträge, in
denen entsprechende Urteile erkennbar waren.
Die Analyse zeigt zunächst, dass alle Medien bis auf zwei
die Maßnahmen in mehr als 40 Prozent der einschlägigen
Beiträge als angemessen darstellten. Die Werte reichten
dabei von 44 Prozent für bild.de bis zu 56 Prozent für die
Tagesschau. Darunter liegen nur die Welt und spiegel.de
mit 36 bzw. 29 Prozent. In diesen Medien war demnach in
deutlich mehr Beiträgen eine kritische Haltung gegenüber
den Maßnahmen erkennbar, die allerdings in beiden Fällen
per Saldo nicht so stark ausgeprägt war wie bei den anderen
Medien. Es gab hier also sowohl deutlich mehr Beiträge, in
denen noch weitreichendere, als auch mehr Beiträge, die we-
niger weitreichende Maßnahmen forderten.
Noch deutlicher wird die redaktionelle Haltung der un-
tersuchten Medien allerdings am Saldo von Beiträgen, die
die Maßnahmen als zu weitreichend bzw. nicht weitgehend
genug darstellten. Die stärkste Positionierung für strengere
oder mehr Maßnahmen ist bei t-online zu erkennen (Saldo
= +19 %), etwas schwächer auch bei heute (+14 %), dem
ARD Corona Extra (+13 %), RTL aktuell (+11 %), spie-
gel.de (+11 %) und welt.de (+10 %). Eine zweite Gruppe
von Medien weist nur einen kleinen Überhang von Beiträ-
gen auf, in denen strengere Maßnahmen als notwendig er-
schienen. Zu dieser Gruppe zählen die Tagesschau (+5 %),
focus.de (+4 %) und sueddeutsche.de (+4 %). Zwei Medien
schließlich lassen über den gesamten Untersuchungszeit-
raum einen Überhang von Beiträgen erkennen, in denen die
Maßnahmen als zu weitreichend erschienen. Dies sind mit
einer leichten Tendenz faz.net (-4 %) und mit dem deut-
lichsten Tenor bild.de (-13 %) (Abbildung 35).
Bewertung der Kompetenz von
Wissenschaft und Politik
Als weiteren Indikator für Ausgewogenheit betrachten
wir, wie die Medien die Kompetenz von Wissenschaft und
Politik beurteilten. Dafür ziehen wir an dieser Stelle zu-
nächst nicht die Bewertung einzelner Akteurinnen und Ak-
teure heran, sondern den Eindruck, den die Beiträge insge-
samt von der auf die Pandemie bezogenen Sachkenntnis und
der Problemlösungsfähigkeit von Wissenschaft und Politik
hinterließen.
Insgesamt waren entsprechende Urteile über „die Poli-
tik“ in etwas mehr als 12 Prozent der Beiträge zu erkennen,
für „die Wissenschaft“ traf dies in etwa 6 Prozent der Bei-
träge zu. Dabei zeigt sich eine nahezu spiegelverkehrte Be-
wertung von Politik und Wissenschaft.
Während die Kompetenzen
der Politik in knapp drei Vier-
tel der Beiträge negativ be-
wertet wurde, wurde die Wis-
senschaft in etwa demselben
Umfang positiv bewertet.
Nur in 16 Prozent der Berichte erschienen Vertreterin-
nen und Vertreter der Wissenschaft als inkompetent (Ab-
bildung 36).
Der Blick auf den zeitlichen Verlauf offenbart dabei
eine drastische Veränderung: Sieht man von Januar und
Februar ab, als es kaum Bewertungen gab, dann überwo-
gen in der Folge fast immer die negativen Urteile über
die Politik und die positiven über die Wissenschaft. Ver-
gleichsweise positiv fielen die Bewertungen der Politik im
April 2020 und dann wieder im September 2020 aus, also
während des ersten Lockdowns und am Ende der Som-
merferien 2020. Danach verschlechterte sich das Bild der
Politik jedoch dramatisch und erreichte im März 2021
seinen Tiefpunkt. Ein Grund dafür dürften Vorwürfe ge-
wesen sein, die Politik sei zu zögerlich bei den Beschlüssen
über die Corona-Maßnahmen gewesen und habe immer
wieder unglücklich agiert. Dagegen fielen die Urteile über
die Wissenschaft nach einem relativen Tief im August
2020 im folgenden Herbst, Winter und Frühjahr wieder
deutlich positiver aus (Abbildung 37).
5 — Ergebnisse
48
Abbildung 37: Bewertung der Kompetenz von Wissenschaft und Politik im Zeitverlauf. Saldo aus positiven (kompetent) und negativen
(inkompetent) Beiträgen. Negative Werte bedeuten einen Überhang von Beiträgen, in denen die Kompetenzen negativ beurteilt wurden.
Positive Werte bedeuten einen Überhang von Beiträgen, in denen die Kompetenzen positiv beurteilt wurden. Basis: Alle Beiträge, in denen
eine solche Beurteilung für die Politik (N=1.962; gewichtet) und/oder Wissenschaft (N=957; gewichtet) vermittelt wurde.
Abbildung 38: Bewertung der Kompe-
tenz der Politik im Medienvergleich.
Saldo aus positiven (kompetent) und
negativen (inkompetent) Beiträgen.
Negative Werte bedeuten einen
Überhang von Beiträgen, in denen
die Kompetenzen negativ beurteilt
wurden. Positive Werte bedeuten einen
Überhang von Beiträgen, in denen
die Kompetenzen positiv beurteilt
wurden. Basis: Alle Beiträge, in denen
eine solche Beurteilung für die Politik
vermittelt wurde (N=1.962; gewichtet).
49
Ein abschließender Medienvergleich zur Bewertung der
Kompetenz der Politik zeigt erneut deutliche Dierenzen.
Als Indikatoren verwenden wir hier einerseits den Anteil
an Beiträgen mit einer ambivalenten, also tendenziell eher
dierenzierten und ausgeglichenen Bewertung, sowie den
Saldo von Beiträgen, die einen eindeutig negativen oder
positiven Tenor erkennen lassen. Zunächst ist festzuhal-
ten, dass bei allen Medien die negativen Urteile über die
Fähigkeiten der Politik deutlich überwogen. Am wenigsten
schlecht stand die Politik bei RTL aktuell dar (-14 %), bei
allen anderen Medien lag der Überhang negativer Beiträge
dagegen bei 30 Prozentpunkten und höher. Bei bild.de, su-
eddeutsche.de, focus.de, welt.de, und spiegel.de fällten sogar
mehr als die Hälfte bis knapp drei Viertel der Beiträge, in
denen die Kompetenz der Politik bewertet wurde, ein ne-
gatives Urteil. Hinzuweisen ist dabei noch auf den hohen
Anteil ambivalenter Beiträge bei RTL aktuell (29 %) und
vor allem der Tagesschau (39 %). Oenbar wurde hier in
besonderer Weise versucht, unterschiedliche Urteile über die
Politik in der Berichterstattung aufzugreifen. In diesem Sin-
ne kann man die beiden Sendungen im Hinblick auf diesen
Indikator als besonders ausgewogen betrachten. bild.de und
spiegel.de hatten dagegen mit weniger als 10 Prozent den
geringsten Teil an ambivalenten Artikeln, vermittelten also
in einzelnen Artikeln am häufigsten einen eindeutigen Ein-
druck (Abbildung 38).
Bewertung einzelner Akteure
Nachdem wir einen Blick auf die Bewertung der Kom-
petenz von „Politik“ und „Wissenschaft“ geworfen haben,
wollen wir den Blick noch einmal weiten und die Bewer-
tung einiger wichtiger Einzelakteure und Gruppen werfen.
Grundlage ist die Erhebung von bis zu fünf Hauptakteuren
in den Beiträgen, für die jeweils auch codiert wurde, ob eine
klare wertenden Tendenz eines Beitrags erkennbar war. Ein
solcher wertender Tenor kann beispielsweise durch explizite
Wertungen der Autoren (etwa in Kommentaren) oder durch
die Wiedergabe von Zitaten oder Sachverhalten entstehen,
die in Beiträgen wiedergegeben werden. Dass unsere Analyse
an dieser Stelle eher konservativ vorgeht, wird daran deut-
lich, dass nur in etwas weniger als jedem fünften Beitrag
überhaupt eine entsprechende Codierung vorgenommen
wurde (19 %). In diesen Beiträgen wurde etwa 4.500 Mal
eine deutlich wertende Tendenz in der Darstellung einzel-
ner Akteure codiert. In sieben von zehn Fällen (71 %) fielen
diese Bewertungen negativ aus, in 8 Prozent ambivalent und
in etwa zwei von zehn Fällen positiv (21 %). Dies ist eine in
Untersuchungen politischer Berichterstattung durchaus üb-
liche und nicht überraschende Quote. Typischerweise über-
wiegt der Tadel an der Politik das Lob bei Weitem.
Anhand einer Reihe von Akteuren, die in der Bericht-
erstattung am häufigsten vorkamen bzw. am häufigsten
bewertet wurden, kann man nochmals im Detail nachvoll-
ziehen, wie die medialen Sympathien verteilt waren. Mit
deutlichem Abstand am besten kamen die Impfstoherstel-
ler weg. Nur 30 Prozent der Beiträge mit wertender Tendenz
über sie fielen negativ aus und man kann annehmen, dass es
in diesen Beiträgen häufig um AstraZeneca ging, etwa auf-
grund der zeitweisen Lieferproblematik und der später fest-
gestellten Nebenwirkungen. Vergleichsweise positiv werden
von den politischen Akteuren Bundesfinanzminister Olaf
Scholz und der sehr viel häufiger vorkommende bayerische
Ministerpräsident Markus Söder beurteilt. „Nur“ etwa die
Hälfte der wertenden Beiträge fielen bei ihnen negativ aus.
Dagegen wurden Angela
Merkel, die mit Abstand am
häufigsten vorkam, sowie
Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn, der in punkto
Präsenz an zweiter Stelle lag,
mit einem Anteil von 70 Pro-
zent aller wertender Beiträge
deutlich skeptischer beurteilt.
Die Urteile über Armin Laschet, die Europäische Uni-
on, die Bundesregierung insgesamt, die Landesregierungen
als Sammelkategorie und vor allem die Ministerpräsidenten-
konferenz, die wir als gesonderten „Akteur“ erhoben habe,
5 — Ergebnisse
Abbildung 40: Sicherheits- und Freiheits-Frame im Zeitverlauf. Ausgewiesen ist der Saldo von Beiträgen mit einer sicherheits- oder frei-
heitsorientierten Perspektive sowie die Zahl von Beiträgen, in denen die Bedeutung beider Werte gleichermaßen betont wurde. Basis: Alle
Beiträge, in denen der Sicherheits- vs. Freiheits-Frame vorkam (N=6.171; gewichtet).
Abbildung 39: Bewertung häufig vorkommender Akteure. Anteil negativer Beiträge an allen, in denen eine wertende Tendenz festgestellt
werden konnte sowie Anzahl aller Beiträge mit einer wertenden Tendenz. Basis: Alle Beiträge, in denen die jeweiligen Akteure wertend
beurteilt wurden (N=2.063; gewichtet).
50
51
fallen sogar nochmal ein Stück kritischer aus und erreichen
das Negativ-Niveau der Darstellung von „Corona-Leug-
nern“ und „Querdenkern“ (Abbildung 39).
Sicherheit vs. Freiheit
Als letzten Indikator für die Ausgewogenheit der Co-
rona-Berichterstattung wollen wir betrachten, in welchem
Umfang in der Berichterstattung eine eher sicherheits- oder
eine eher freiheitsorientierte Sichtweise eingenommen wur-
de (Sicherheits- vs. Freiheits-Frame). Als sicherheitsorien-
tiert wurden solche Beiträge gewertet, in denen deutlich
wurde, dass Einschränkungen der persönlichen Freiheiten
zugunsten von Infektionsschutz und Pandemiebekämpfung
notwendig oder zumindest akzeptabel sind. Als freiheitsori-
entiert wurden Beiträge gewertet, wenn die Freiheit als -
heres Gut bewertet und dementsprechend Einschränkungen
als ungerechtfertigt oder übertrieben kritisiert wurden. Co-
diert werden konnte außerdem, wenn Freiheit und Sicher-
heit als gleich wichtig bezeichnet oder zu einem Ausgleich
der beiden Wer te aufgerufen wurde.
Über den gesamten Zeitraum finden sich in etwa 40
Prozent der Beiträge entsprechende Aussagen, die Schlüs-
se auf eine sicherheits- oder freiheitsorientierte Position
zulassen. Dabei dominierte mit einem Anteil von knapp
zwei Dritteln die sicherheitsorientierte Perspektive. In etwa
einem Fünftel der Beiträge erschienen sowohl Freiheit als
auch Sicherheit als wichtig und nur in 14 Prozent wurde
eine klar freiheitsorientierte Perspektive eingenommen.
Besonders stark dominierte die sicherheitsorientierte Sicht-
weise zu Beginn der ersten und während der zweiten Welle,
also im März 2020 und zwischen Oktober und Dezember
2020. Die freiheitsorientierte Perspektive überwog da-
gegen nur einmal während der Lockerungsdiskussionen
im Mai 2020. Allerdings war der Überhang von Beiträgen
mit einer sicherheitsorientierten Perspektive zu Beginn des
Jahres 2021 dann deutlich rückläufig. Dass die mediale
Berichterstattung zunehmend von einer eher abwägenden
Haltung geprägt war, belegt auch ein Blick auf die Beiträ-
ge, in denen Freiheit und Sicherheit als gleichberechtigte
Werte dargestellt wurden, die abzuwägen seien. Sie waren
schon im April und Mai 2020 besonders häufig, ihre Zahl
stieg dann aber seit Oktober 2020 fast kontinuierlich an
(Abbildung 40).
Wirft man zuletzt noch einen Blick auf die Medienun-
terschiede, dann stellt man fest, dass sich die Medien im An-
teil von Beiträgen mit einer ausgeglichenen Perspektive auf
Freiheit und Sicherheit kaum unterscheiden. Dies ist bei den
Beiträgen mit einer klareren Präferenz für eine der beiden
Sichtweisen jedoch nicht der Fall. Anhand des Saldos aus
Beiträgen mit sicherheits- und freiheitsorientierter Sicht-
weise werden deutliche Dierenzen zwischen den Medien
erkennbar. Die stärkste Dominanz einer sicherheitsorien-
tierten Perspektive ist hier mit einem Saldo von mehr als
60 Prozent bei den drei Hauptnachrichtensendungen von
ARD, ZDF und RTL erkennbar. Bei allen anderen Medien
schwankt dieser Wert um 50 Prozent und nur welt.de liegt
etwas deutlicher darunter. Die sicherheitsorientierte Sicht-
weise dominiert hier „nur“ mit einem Überhang von 35
Prozent (Abbildung 41).
5.6 Einordnung/Kontextualisie-
rung (analytische Qualität)
Als Indikatoren für die Einordnungsleistung oder ana-
lytische Qualität der Berichterstattung betrachten wir ers-
tens, ob Zahlen zum Pandemiegeschehen z. B. historisch, im
Ländervergleich oder im Vergleich mit anderen Krankhei-
ten kontextualisiert wurden. Zweitens geht es um die Fra-
ge, ob verschiedene Folgen der Corona-Maßnahmen (z. B.
ökonomische, medizinische, psychosoziale) gegeneinander
abgewogen wurden.
Einordnung von Zahlen
zur Pandemie
Ein Vorwurf, der gerade zu Beginn der Pandemie im
Hinblick auf die Berichterstattung laut wurde, war, Zah-
len würden ohne Kontext und Einordnung wiedergegeben,
was deren Verständnis und Beurteilung behindern würde.
Wir haben uns hierfür eine Reihe von Sachverhalten ange-
schaut, ob diese in den untersuchten Artikeln vorkamen und
– sofern dies der Fall war – über Zeitvergleiche, Länderver-
gleiche, Vergleiche mit anderen Krankheiten oder sonstige
5 — Ergebnisse
Abbildung 42: Einordnung von Daten zur Pandemie durch Vergleiche. Basis: Alle Beiträge, in denen die jeweiligen Zahlen genannt und
entweder durch Vergleiche kontextualisiert wurden oder nicht (N=5.550; gewichtet).
Abbildung 41: Sicherheits- und Freiheits-Frame im Medienvergleich. Ausgewiesen ist der Saldo von Beiträgen mit einer sicherheits- oder
freiheitsorientierten Perspektive sowie der Anteil von Beiträgen, in denen die Bedeutung beider Werte gleichermaßen betont wurde. Basis:
Alle Beiträge, in denen der Sicherheits- vs. Freiheits-Frame vorkam (N=6.171; gewichtet).
52
53
Vergleiche kontextualisiert wurden. Dabei sei nochmals
darauf verwiesen, dass wir die kontinuierlich aktualisierten
Rubriken, in denen die Entwicklung der wichtigsten Daten,
Kennziern und Indizes zur Pandemie auf vielen der ein-
bezogenen Webseiten ständig dokumentiert wurde, in dieser
Analyse nicht berücksichtigt haben. Es geht hier also allein
um „echte“ redaktionelle Beiträge.
Es zeigt sich zunächst, dass in den Beiträgen, in denen
die Zahl der Neuinfektionen, Inzidenzwerte, Todesfälle,
der Hospitalisierungen auf Intensivstationen, R-Werte oder
Hospitalisierungen insgesamt vorkamen, in jeweils etwa der
Hälfte aller Fälle eine Einordnung dieser Zahlen vorgenom-
men bzw. nicht vorgenommen wurde. Am höchsten war der
Anteil der Einordnungen dabei in den Fällen, in denen die
Zahl der Neuinfektionen vorkam, deutlich niedriger da-
gegen, wenn es um Todesfälle, die Belegung von Intensiv-
stationen oder Hospitalisierungen ging (Abbildung 42).
Ein genauerer Blick auf die Darstellung der am häufigs-
ten vorkommenden Kennziern zu Neuinfektionen, Inzi-
denzwerten und Todesfällen zeigt allerdings, dass es sich in
der großen Mehrheit der Fälle nicht um komplexere Ein-
ordnungen oder auch Vergleiche mit anderen Krankheiten
handelte. Vielmehr dominierten mit einem Anteil von 85
Prozent bei den Neuinfektionen, 71 Prozent bei den Inzi-
denzwerten und 64 Prozent bei den Todesfällen Vergleiche
über die Zeit, also mit der bisherigen Entwicklung. Länder-
vergleiche waren bei den Todesfällen am häufigsten (19 %),
gefolgt von den Inzidenzwerten (14 %) und den Neuinfek-
tionen (8 %). Vergleiche mit anderen Krankheiten fielen da-
gegen nur im Zusammenhang mit den Todesfällen zahlen-
mäßig ins Gewicht. Betrachtet man die drei am häufigsten
genannten Kennziern im Zeitverlauf, dann ergibt sich au-
ßerdem, dass insbesondere die Neuinfektionen ab dem Juli
2020 überwiegend (über Zeitvergleiche) kontextualisiert
wurden, während dies bis dahin meist nicht der Fall gewesen
war. Auch die Zahl der Todesfälle wurde ab März 2020 bis
in den September zunehmend kontextualisiert, allerdings
nahm die Häufigkeit der Vergleiche danach wieder deutlich
ab (Abbildung 43).
Abwägung von Folgen
der Pandemie
Ein weiterer Vorwurf, der im Hinblick auf die öentli-
che Debatte im Allgemeinen und die mediale Berichterstat-
tung im Besonderen geäußert wurde, war, dass unterschied-
liche Auswirkungen der Pandemie bzw. der Maßnahmen
nicht hinreichend thematisiert bzw. gegeneinander abge-
wogen worden seien. Verbunden war dies beispielsweise
mit dem Vorwurf, dass allein medizinische und epidemio-
logische Argumente die Debatte und Entscheidungen über
Maßnahmen prägten, während etwa ökonomische Folgen
– zum Beispiel für Gewerbetreibende, Freiberufler, Künstler
etc. – oder psychosoziale Auswirkungen – zum Beispiel auf
Kinder und Jugendliche – nicht hinreichend debattiert und
in Entscheidungen berücksichtigt würden.
Vor diesem Hintergrund haben wir betrachtet, wie häu-
fig in den Beiträgen, in denen Folgen der Pandemie bzw.
der Maßnahmen thematisiert wurden, diese implizit oder
explizit gegeneinander abgewogen wurden. Als implizite Ab-
wägung haben wir dabei Aussagen definiert, in denen eine
bestimmte Folge zum Beispiel als „zu wenig beachtet“ oder
auch als „zu viel beachtet“ bezeichnet wurde. Als explizite
Abwägung haben wir solche Aussagen definiert, in denen
eine ausdrückliche Gegenüberstellung von Folgen stattfand,
etwa wenn ein Statement zitiert wurde, in dem gefordert
wird, dass die Bildungschancen der Kinder genauso wichtig
sein müssten wie der Infektionsschutz oder diese im Gegen-
satz zu den medizinischen Folgen für Ältere zu wenig be-
achtet würden.
Der Blick auf die Ergebnisse zeigt zunächst, dass in etwas
mehr als der Hälfte der Beiträge Folgen der Pandemie nicht
ausdrücklich genannt wurden (54 %), während dies in etwa
der anderen Hälfte der Fall war (46 %). In knapp drei Vier-
tel der Beiträge mit Abwägung (72 %) wurden unterschied-
liche Folgen nicht gegeneinander abgewogen, während dies
in etwas mehr als einem Viertel dieser Beiträge durchaus der
Fall war. Allerdings handelt es sich hierbei fast ausschließlich
um Abwägungen, die implizit erfolgten, indem beispielswei-
se eine bestimmte Folge als zu wichtig oder zu unwichtig
in der Debatte oder im Kontext politischer Entscheidungen
beschrieben wurde. Eine explizite Abwägung fand dagegen
5 — Ergebnisse
Abbildung 44: Abwägung verschiedener Folgen der Pandemie bzw. der Maßnahmen. Ausgewiesen ist der Anteil an Beiträgen mit und ohne
ematisierung von Folgen sowie der Anteil unterschiedlicher Arten von Abwägungen in den Beiträgen, in denen eine solche stattfand.
Basis: Alle Beiträge.
Abbildung 43: Einordnung von Daten zu Neuinfektionen, Inzidenzwerten und Todesfällen durch Vergleiche. Ausgewiesen ist der Saldo von
Beiträgen mit und ohne Einordnungen im Zeitverlauf. Positive Werte bedeuten einen Überhang von Beiträgen mit Einordnungen, negative
Werte einen Überhang von Beiträgen ohne Einordnung. Basis: Alle Beiträge, in denen die jeweiligen Zahlen genannt und entweder durch
Vergleiche kontextualisiert wurden oder nicht (N=5.550; gewichtet).
54
55
nur in 3 Prozent der Beiträge mit Abwägung statt und so-
wohl explizite als auch implizite Abwägungen fanden sich in
weiteren 2 Prozent. Legt man also einen strengen Maßstab
an, dann fand nur in 2 bis 3 Prozent aller und 5 Prozent der
Beiträge, in denen Folgen der Pandemie thematisiert wur-
den, eine abwägende Diskussion ihrer Bedeutsamkeit statt
(Abbildung 44).
Betrachtet man die Intensität, mit der in der Bericht-
erstattung unterschiedliche Folgen abgewogen wurden, über
die Zeit, dann stellt man fest, dass Abwägungen tatsächlich
in der ersten Phase der Pandemie im April 2020 am seltens-
ten vorkamen. Mit zunehmender Dauer überwogen noch
immer Beiträge, in denen Folgen nicht gegeneinander abge-
wogen wurden, der erste Lockdown sticht in dieser Hinsicht
jedoch heraus.
Kritik an einer mangelnden
Abwägung von Folgen erscheint
also für diese erste Phase
besonders gerecht fertigt.
(Abbildung 45)
6. Zusammen fassung
und Handlungs-
empfehlungen
Journalistinnen und Journalisten waren insbesondere zu
Beginn der COVID-19-Pandemie, aber auch in ihrem wei-
teren Verlauf, vor besondere Herausforderungen gestellt. Es
gab in Deutschland in den letzten Jahrzehnten keinerlei Er-
fahrungen mit einer Pandemie, es handelte sich um ein neu-
artiges Virus und verlässliche Prognosen über den weiteren
Verlauf, den Erfolg von Maßnahmen etc. waren nur bedingt
möglich. Noch stärker als sonst waren die traditionellen
Nachrichtenmedien also mit einer außerordentlich kom-
plexen und dynamischen Situation konfrontiert, die gleich-
zeitig von hoher Unsicherheit und potentiell dramatischen
Konsequenzen für ihr Publikum geprägt war. Dabei dürfte
vielen Journalistinnen und Journalisten rasch klar geworden
sein, dass sie in dieser Situation noch mehr als sonst nicht
nur einfache Beobachter und Vermittler von Geschehnissen
sein würden, sondern eine erhebliche Mitverantwortung
für den weiteren Verlauf der Pandemie und deren Wahr-
nehmung tragen würden. Denn die medial vermittelten
Informationen dürften aufgrund der Neuartigkeit des e-
mas, der gerade zu Anfang oftmals unklaren Wissensbasis,
den gravierenden politischen, ökonomischen und sozialen
Folgen der Maßnahmen sowie der potentiell tödlichen Kon-
sequenzen einer Infektion im Hinblick auf die Vorstellun-
gen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung
besonders einflussreich gewesen sein. Und selbst diejenigen
Medien, die die Pandemie für gefährlich hielten, sahen sich
mit der schwierigen Herausforderung konfrontiert, wie man
vor den Gefahren der Pandemie warnen konnte, ohne über-
trieben Ängste und Panik zu schüren.
Die besonders in Krisen immens wichtige kritische
Reflexion der medialen Berichterstattung läuft dabei re-
gelmäßig Gefahr, die Bedingungen der eigenen Kritik
und der journalistischen Entscheidungen aus dem Blick
zu verlieren. So betrachtet die Kritik zuweilen einzelne
verunglückte Beiträge als repräsentativ für die Bericht-
erstattung eines Mediums oder gar „der Medien“, ohne
entsprechende Behauptungen systematisch auf breiter Ba-
sis zu prüfen. Sie unterliegt mit zunehmender zeitlicher
6 — Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
Abbildung 45: Abwägung verschiedener Folgen der Pandemie bzw. der Maßnahmen im Zeitverlauf. Ausgewiesen ist die Anzahl der Beiträge
mit einer ematisierung von Folgen sowie der Saldo von Beiträgen mit und ohne Abwägung. Negative Werte bedeuten einen Überhang
von Beiträgen ohne Abwägung, positive Werte bedeuten einen Überhang von Beiträgen mit Abwägung. Basis: Alle Beiträge, in denen eine
Folge genannt ist (N=7.357; gewichtet).
56
57
Distanz immer stärker der Gefahr eines „hindsight bias“,
unterstellt also beispielsweise einen Wissensstand, der den
handelnden Akteuren zum Zeitpunkt ihrer Entscheidun-
gen gar nicht zur Verfügung stand. Schließlich steht die
Kritik immer wieder in der Gefahr, nicht deutlich und
transparent zu machen, inwieweit sie von den eigenen
Meinungen zum Thema geprägt ist. Gerade zu Beginn der
Corona-Pandemie schien das in der öffentlich geäußerten
Kritik an der medialen Berichterstattung immer wieder
der Fall zu sein.
Vor diesem Hintergrund bietet die vorliegende Studie
mit ihrem quantitativ-standardisierten Vorgehen eine sys-
tematische Möglichkeit, sich auf breiter Basis der Frage zu
nähern, wie wichtige deutsche Nachrichtenmedien diese be-
sondere Situation der Corona-Krise zwischen Anfang 2020
und Ende April 2021 bewältigt haben. Dabei kann es kaum
verwundern, dass das Urteil über die Qualität der Medien-
berichterstattung je nach Qualitätsdimension, Indikator,
Medium und Phase dierenziert ausfallen muss. Zudem
können im Gegensatz zu eher ereignisunabhängigen Krite-
rien wie Sachlichkeit oder Einordnungsleistung manche der
Indikatoren nicht unabhängig von einer Einschätzung der
Ereignislage bewertet werden. So wird ein Urteil über die
Angemessenheit der Richtung und Intensität der Kritik an
den Maßnahmen und den handelnden Akteuren sicherlich
maßgeblich von der Beurteilung des Gefährdungspotenzials
von SARS-CoV-2 und COVID-19 sowie der Sinnhaftig-
keit der beschlossenen Maßnahmen abhängig sein. Auch
die Tatsache, dass fundamentale Gegner der Corona-Poli-
tik („Querdenker“) und Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die die Gefährlichkeit des Virus und der Pandemie
rundheraus abstritten, in den traditionellen Nachrichtenme-
dien kaum Gehör fanden, kann man nur dann als Mangel
an Vielfalt interpretieren, wenn man die Darstellung von
Ansichten unabhängig von ihrem Bestätigungsgrad als Beleg
für eine hohe Qualität sieht. Ist man dagegen der Ansicht,
dass durch die unterschiedslose Repräsentanz von empirisch
gut gesicherten und unbelegten Behauptungen eine „false
balance“ kreiert wird, die u. U. negative Auswirkungen auf
die Bekämpfung der Pandemie haben kann, dann wird man
eine solche „ausgewogene“ oder „vielfältige“ Darstellung
eher kritisch und als Ausweis niedriger Qualität ansehen.
Während die Entscheidung hier vermutlich relativ leicht
fällt, ist eine andere Frage schwerer zu beantworten: Vor al-
lem ab der zweiten Pandemiewelle haben die von uns unter-
suchten Medien nur noch vergleichsweise selten über die ne-
gativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen harter
Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie berichtet. Die
Nöte derjenigen, deren Existenzen durch die Maßnahmen
zerstört wurden, oder die dadurch mit psychischen und phy-
sischen Problemen zu kämpfen hatten, gerieten zunehmend
aus dem medialen Blickfeld. Dies führt zur allgemeinen Fra-
ge, ob es auch in einer Pandemie wie dieser zur Vielfalt der
Medienberichterstattung gehört, die negativen Nebenfolgen
von aus Sicht der Pandemiebekämpfung wünschenswerten
Maßnahmen zu thematisieren, auch wenn dies möglicher-
weise die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Maßnahmen
mindert. Oder ist die Bekämpfung der Pandemie hier so
oensichtlich vorrangig, dass der Grundsatz einer vielfälti-
gen Berichterstattung außer Kraft gesetzt werden kann oder
sogar muss?
Ein sehr klares Ergebnis der vorliegenden Studie ist,
dass die untersuchten Nachrichtenmedien nicht völlig un-
kritisch insbesondere gegenüber den Regierungen in Bund
und den Ländern waren. Denn Kritik war in den Medien
sehr deutlich vorhanden, sowohl an den amtierenden Regie-
rungen und ihren Repräsentanten als auch an den Corona-
Maßnahmen. In dieser Hinsicht war die Berichterstattung
folglich zugleich regierungsnah und regierungskritisch. Sie
war regierungsnah, weil die Medien, ähnlich wie die Politik,
überwiegend für harte Maßnahmen plädierten. Sie war zu-
gleich aber auch regierungskritisch, weil den Medien diese
Maßnahmen oft gar nicht hart genug erschienen oder zu
spät kamen. Schon eher orientierten sich die Medien folg-
lich an dem, was sie als wissenschaftlichen Konsens wahr-
nahmen. Dass sie dabei zunächst besonders auf einige Viro-
loginnen und Virologen Bezug nahmen, die zu den weltweit
angesehensten ihres Faches zählen, spricht zwar nicht für
eine vielfältige Berichterstattung, erscheint, wenn es um
hochspezialisierte Kompetenzfelder geht, aber durchaus ra-
tional. Allerdings hätte die Berichterstattung durchaus auch
von dem ein oder anderen Experten in anderen hochspe-
zialisierten Wissenschaftsdisziplinen profitieren können, um
den medialen Blick auf die Pandemie um andere Perspekti-
ven auf das Geschehen zu erweitern. Dass die virologischen
Experten während der zweiten und dritten Pandemiewelle
schließlich zunehmend durch den SPD-Gesundheitspoliti-
ker Karl Lauterbach ersetzt wurden, lässt sich dann aller-
dings eher nicht mit dessen virologischer Expertise erklären.
6 — Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
58
Vielmehr war Lauterbach wohl auch deshalb ein in den Me-
dien gern zitierter Experte, weil viele Medien dessen harte
Linie im Kampf gegen die Pandemie kannten und schätzten.
Insgesamt nahmen die Medien gegenüber der Pande-
mie folglich eine eindeutig warnende Haltung ein, die man
durchaus als einseitig betrachten kann. Betrachtet man diese
Einseitigkeit als Problem, dann kann man dies allerdings nur
aus einer Position tun, die die Pandemie als eher ungefähr-
lich oder die Maßnahmen als eher übertrieben wahrnimmt.
Stellt man dagegen in den Mittelpunkt, dass Deutschland
im Vergleich zu anderen Ländern bislang auch im Hinblick
auf die Zahl von Todesfällen vergleichsweise gut durch die
Pandemie kam und führt man dies nicht nur auf das gute
Gesundheitssystem und die vielen Intensivbetten, sondern
auch auf die Maßnahmen zurück, dann kann man diese
mediale Mitgliedschaft im „Team Vorsicht“ als Ausweis von
Rationalität, Wissenschaftsorientierung und hoher Qualität
der Berichterstattung betrachten. Auch hier geht es folglich
wieder um die Frage, ob Medien angesichts einer für viele
Menschen lebensbedrohenden Krise gemeinsam mit Wis-
senschaft und Politik alles zur Lösung des Problems unter-
nehmen sollen und dafür auch klassische Qualitätskriterien
der Berichterstattung außer Kraft gesetzt oder umgedeutet
werden müssen.
Allerdings wird in unseren Daten auch erkennbar, dass
die Medien zuweilen den Blick dafür verloren haben, welche
Informationen als bekannt vorausgesetzt werden können.
Die geringe Beachtung, die das Corona-Virus und seine
Eigenschaften sowie der Vergleich zur Influenza als solches
fanden, ist dafür ein besonders eindrückliches Beispiel. Ty-
pisch für die Medienberichterstattung in Krisensituationen
ist auch die mangelnde Kommunikation von Unsicherheit,
die oft fehlende Einordnung statistischer Informationen
und die nicht immer zum aktuellen Infektionsgeschehen
passende Berichterstattungsmenge. Diese Abweichungen
von Qualitätsstandards lassen sich in der Regel mit journa-
listischen Selektionskriterien und Darstellungsweisen erklä-
ren, die sich über Jahrzehnte eingeschlien haben und vielen
heute als unabänderlich erscheinen, z. B. der Fokus auf ne-
gative Informationen oder die Überzeugung, die Leser wür-
den komplexe Zusammenhänge ohnehin nicht verstehen.
Wenn wir diese Befunde diskutieren, müssen wir ein-
schränkend noch einmal daran erinnern, dass wir hier nicht
alle Medien und auch nicht alle Formate innerhalb der ein-
zelnen Medien untersucht haben. Möglicherweise sind be-
stimmte Akteure oder Positionen in anderen Medien oder
anderen Formaten (z. B. politischen Talkshows) häufiger vor-
gekommen. Um dies zu ermitteln, werden wir unsere Analy-
sen auf Regionalzeitungen, so genannten Alternativmedien
und Soziale Medien ausweiten. Darüber hinaus konzentriert
sich unsere Analyse aus forschungsökonomischen Gründen
weitgehend auf überregionale Medienberichterstattung mit
Bezug zu Deutschland. Wir können folglich nichts darüber
sagen, wie die deutschen Medien über die Pandemie in an-
deren Ländern berichtet haben, was z. B. im Hinblick auf
die Beurteilung verschiedener Maßnahmen zur Pandemie-
bekämpfung durchaus ein interessanter Vergleich gewesen
wäre. Zugleich können wir nichts über die Regional- und
Lokalberichterstattung sagen. Hier wäre z. B. denkbar, dass
dort häufiger Betroene, also z. B. an Covid-19 Erkrankte,
zu Wort kommen. Schließlich geben wir auch noch einmal
zu Bedenken, dass wir die Menge an statistischen Informa-
tionen in den Onlinemedien unterschätzen, weil wir uns auf
die journalistische Berichterstattung im engeren Sinne kon-
zentriert und deshalb z. B. die täglich aktualisierten Über-
sichten zu den Pandemiezahlen außen vor gelassen haben.
Welche Schlussfolgerungen kann man nun aus diesen
Ergebnissen ableiten? Aus unserer Sicht ist die Orientie-
rung am besten verfügbaren wissenschaftlichen Sachver-
stand und dem sofern vorhanden wissenschaftlichen
Konsens zu einem ema eine rationale und sinnvolle
Strategie für die mediale Berichterstattung über wissen-
schaftsbezogene emen. Das gilt für die Corona-Pande-
mie ebenso wie für andere emen wie den Klimawandel.
Allerdings muss sich der Journalismus im Klaren sein, dass
auch Wissenschaft irren kann, sich ein wissenschaftlicher
Konsens u. U. erst entwickeln muss und Prognosen dane-
ben liegen können. Es gilt deshalb, das Verständnis für das
Funktionieren von Wissenschaft im Journalismus weiter zu
fördern, Wissenschafts- und Datenjournalismus zu stär-
ken, ein Bewusstsein für die Unsicherheit und Vorläufig-
keit wissenschaftlicher Befunde zu schaen und eine jour-
nalistische Routine zu entwickeln, die nicht die Befunde
einzelner Studien über- und die konsensuellen Ergebnisse
der Scientific Community insgesamt stellt. Wo Aussagen
über einen möglichen Konsens nicht vorliegen, sollten
Möglichkeiten gesucht werden, diesen über breitere Befra-
gungen von Expertinnen und Experten oder systematische
59
eigenständige Recherchen zu untersuchen. Im Vordergrund
sollte dabei die wissenschaftliche Expertise der Gesprächs-
partner stehen und nicht die Übereinstimmung der (ver-
muteten oder bekannten) Position der Experten mit dem,
was Journalistinnen und Journalisten selbst denken oder
zum Ausdruck bringen möchten.
Gerade in unsicheren, krisenhaften und potentiell ge-
fährlichen Situationen sollten Journalistinnen und Journa-
listen dabei in Rechnung stellen, dass auch Entscheider un-
ter ähnlichen Bedingungen handeln wie sie. Dem Publikum
und der Sache ist deshalb bei aller Notwendigkeit zu War-
nung und Kritik oft mehr mit einer dem Ansatz des konst-
ruktiven Journalismus folgenden Berichterstattung gedient,
die nicht nur Probleme aufwirft und Fehler der Handelnden
kritisiert, sondern auch Erfolge thematisiert und Lösungen
aufzeigt. Diese mindert, nach allem, was wir bisher wissen,
Angst und Resignation, verstärkt das Gefühl, dass sich Prob-
leme lösen lassen, und erhöht die Handlungsbereitschaft der
Rezipientinnen und Rezipienten.
7. Förderer, Autoren
und Dank
Die vorliegende Studie wurde finanziell unterstützt von
der Rudolf Augstein Stiftung und dem Bayerischen For-
schungsinstitut für Digitale Transformation (bidt).
Die Autoren
Marcus Maurer, Dr., Professor am Institut für Publizistik
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Carsten Reinemann, Dr., Professor am Institut für Kommu-
nikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-
Maximilians-Universität München
Simon Kruschinski, MA, wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität
Mainz.
Dank
Unser Dank gilt den studentischen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die die Inhaltsanalyse durchgeführt oder die
Studie in anderer Form unterstützt haben:
Team Mainz
Nele Barwinna, Leonie Brücher, Hannah Fecher, Jana Holl-
stein, Max Leer, Moritz Leinen, Lissy ormeier, Franziska
Trampert, Johanna Weyersbach
Team München
Alina Jakob, Lena Maurer, Mareike Mithöfer, Anna Sacher
7 — Förderer, Autoren und Dank
60
8. Literatur
Alwan, N. A., Burgess, R. A., Ashworth, S., Beale, R.,
Bhadelia, N., Bogaert, D., Dowd, J., Eckerle, I., Goldman,
L. R., Greenhalgh, T., Gurdasani, D., Hamdy, A., Hanage,
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Weber, N. (2020). “Der Kampf um Menschenleben
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April 2021; https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/
corona-experten-umfrage-zu-massnahmen-der-kampf-um-
menschenleben-ist-das-wert-a-24fbbd60-3e04-4f71-b709-
b20da7159643
8 — Literatur
Impressum
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Rudolf Augstein Stiftung
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Autor*innen:
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Prof. Dr. Carsten Reinemann
Ludwig-Maximilians-Universität München
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T +49 89 218 094 12, E carsten.reinemann@ifkw.lmu.de
Simon Kruschinski M.A.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Publizistik
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T 49 61 313 929 413, E simon.kruschinski@uni-mainz.de
Gefördert
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Druck: Ahrweiler Oset e.K.
Redaktionsschluss: Hamburg, 25.10.2021
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... As for the (2) degree of debates or controversy, the evidence is less clear: Hart et al. (2020) found the US news coverage on Covid-19 to be highly polarizing, whereas print media in China rarely depicted conflicts among experts or similar (Owusu Ansah et al., 2021). In contrast, results from Germany indicate that-although low at first-the degree of debates depicted in German news coverage increased over the course of the pandemic (Maurer et al., 2021). With regards to (3) dramatization through emotional or alarming language, there is only limited evidence. ...
... Thus, our results confirm prior findings from the Covid-19 pandemic in several aspects. First, they illustrate that news coverage during this major public health event was not coherent in its risk portrayal (Bhatti et al., 2022;Maurer et al., 2021) but rather characterized by both riskattenuating (Owusu Ansah et al., 2021) and risk-amplifying (Ebrahim, 2022;Gering & Cohen, 2023;Hart et al., 2020) attributes. This is an important finding, because an incoherent portrayal of risk information may complicate, rather than enable, the development of adequate risk perceptions among the public during crisis events. ...
Article
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Over the last years, infectious diseases have been traveling across international borders faster than ever before, resulting in major public health crises such as the Covid‐19 pandemic. Given the rapid changes and unknown risks that mark such events, risk communication faces the challenge to raise awareness and concern among the public without creating panic. Drawing on the social amplification of risk framework—a concept that theorizes how and why risks are amplified or attenuated during the (1) transfer of risk information (by, for instance, news media) and (2) audiences’ interpretation and perception of these information—we were interested in the portrayal of risk information and its impact on audiences’ risk perception over the first wave of the Covid‐19 pandemic in Germany. We therefore conducted a quantitative content analysis of a major public and private television (TV) newscast (N = 321) and combined it with survey data (two‐wave panel survey, t1: N = 1378 and t2: N = 1061). Our results indicate that TV news (as a major information source at that time) were characterized by both risk‐attenuating and risk‐amplifying characteristics, although risk‐amplifying attributes were particularly pronounced by the private TV newscast. Notably, those who only used private TV news between both waves showed the highest perceived severity at time 2. However, the interaction effect of time and use of public and/or private TV news was only significant for perceived susceptibility. Overall, more research is needed to examine the effects of different types of media and changes in risk perceptions over time.
... Auch wenn sich diese Vorwürfe in empirischen Studien allenfalls partiell bestätigt haben (z. B. Maurer et al. 2019Maurer et al. , 2021Maurer et al. , 2023, werden sie im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Russland-Ukraine-Krieg erneut erhoben. Demnach stützten die Medien unkritisch den Regierungskurs, der Ukraine auch schwere Waffen wie Panzer zu liefern. ...
... Die verbleibenden 20 Prozent setzten sich im Wesentlichen aus Akteuren der Zivilgesellschaft zusammen, also Organisationen und Privatpersonen, die beispielsweise Hilfe für die Ukraine organisieren. Anders als während der Corona-Pandemie (Maurer et al. 2021) spielten wissenschaftliche Akteure in der Berichterstattung kaum eine Rolle. Sie kamen ähnlich selten vor wie z. ...
... Scientists assumed dual roles as researchers and communicators, elucidating the pandemic's origins, societal and economic consequences, and public health measures through news media and personal communication channels. Initially dominated by virologists and epidemiologists, this discourse expanded to include economists and psychologists (Maurer et al., 2021). Some researchers gained public prominence almost overnight, becoming regular media figures and widely respected by audiences (Gaiser & Utz, 2022). ...
Article
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During the coronavirus pandemic, scientists who worked to overcome the outbreak received recognition, but also opposition and even hostility. This article examines how the experience of the pandemic has affected the willingness of scientists to engage with the public. Derived from a comprehensive survey of 4207 scientists at German universities and research institutions, animosity towards scientists during the pandemic has created a sense of insecurity that may cause them to withdraw from the public eye. Depending on the relative strength of two cognitive appraisals, the severity of the threat and the appropriateness of the retreat option, the likelihood of respondents engaging with the public varies significantly.
... Many empirical studies examine the diversity of actors in news media coverage by analyzing how frequently specific actors appear and under what circumstances and thereby contribute to our understanding of news media influence on public debate [e.g. Burggraaff & Trilling, 2017;Eisenegger et al., 2020;Maurer et al., 2021;Niekler, 2018]. However, the ambiguity and contextual nature of actor references pose an ongoing challenge (e.g. that formulations such as "he/she says" do not automatically make it clear which person is meant by "he/she"). ...
Article
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We assessed ChatGPT's ability to identify and categorize actors in German news media articles into societal groups. Through three experiments, we evaluated various models and prompting strategies. In experiment 1, we found that providing ChatGPT with codebooks designed for manual content analysis was insufficient. However, combining Named Entity Recognition with an optimized prompt for actor Classification (NERC pipeline) yielded acceptable results. In experiment 2, we compared the performance of gpt-3.5-turbo, gpt-4o, and gpt-4-turbo, with the latter performing best, though challenges remained in classifying nuanced actor categories. In experiment 3, we demonstrated that repeating the classification with the same model produced highly reliable results, even across different release versions.
... Regarding trustworthiness, using science news from old-world media was positively associated with trustworthiness dimensions integrity and benevolence, while no relationship was visible for new-world media. These results seem plausible as old-world media usually offer discourses that are more favorable towards and supportive of science, while new-world media often offer space for critical and oppositional arguments [e.g., Anderson et al., 2012;Maurer et al., 2021;Xiao et al., 2021]. Controversy of the respective scientific field mattered for the judgments of trustworthiness and authenticity: High consumption of science news was positively associated with trustworthiness perceptions regarding scientists in general, but not regarding scientists of specific disciplines. ...
Article
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This study investigates public perceptions of trustworthiness and authenticity regarding scientists engaged in controversial and less controversial fields with a cross-sectional survey of a German sample (“N” = 1007). Results indicate that scientists in controversial fields like COVID-19 or climate change are perceived as less trustworthy and authentic compared to scientists in less controversial fields or scientists without specification of their field. Additionally, we found that science-related media consumption shaped people´s trustworthiness and authenticity perceptions towards scientists. Our analysis points out how public perceptions of scientists vary if these scientists research controversial areas, actively participating in public (and media) life.
... In both countries, the COVID-19 pandemic has had a positive effect on individuals' need for information, which led to an increase in the consumption of news media (van Aelst et al., 2021). During the time this study was conducted, media in Germany and Switzerland showed relatively little criticism of the authorities, and pro-government actors dominated reporting (Eisenegger et al., 2021;Maurer et al., 2021). Switzerland and Germany invoked similar policies in response to the first pandemic wave in the spring of 2020. ...
Article
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This study investigates the relationship between attitude extremity and perceived exposure to diverse political arguments in the debate about COVID-19 health policy measures. Based on a comparative, cross-sectional survey in Germany and Switzerland, we show that extreme attitudes towards wearing face masks inhibit citizens’ perceived diversity of arguments regarding the issue in both countries. This tendency is slightly more pronounced for supporters of mask-wearing than opponents. However, contrary to existing concerns about issue-specific echo chambers, even respondents showing strong attitude extremity still experience exposure to a relatively diverse range of arguments for and against wearing face masks.
Article
Menschen verlässlich informieren und so, dass sie sich frei eine Meinung bilden können, ihnen ein Forum bieten für Diskussionen über Themen, die die Gesellschaft umtreiben, sowie die Mächtigen kritisch beobachten: Das macht Journalismus systemrelevant in einer Demokratie. Damit kann er einen Public Service, eine Dienstleistung erbringen, aus der Public Value entsteht, etwas „Wert“volles für die Gesellschaft. Redet man über „Public Service“, dann denken viele aber ausschließlich an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), der zu diesem Dienst verpflichtet ist. Doch diese Leistung erbringen auch andere Medien: privatfinanzierte, stiftungsfinanzierte. In diesem Essay wird argumentiert, medialen Public Service auf keinen bestimmten institutionellen Rahmen beschränkt, sondern generell als leitendes Prinzip für journalistische Leistungen zu sehen, die „systemrelevant“ sind, also förderlich für die Demokratie. Darin steckt auch Potenzial für eine Gegenkraft zur Tendenz zur Erosion von Demokratien. Die Argumentation verläuft entlang von Eckpunkten, an denen traditionelle Institutionen (im deutschsprachigen Raum etwa ARD, ORF, SRG) ihren Public Service-Auftrag und damit die Rolle von Journalismus ausrichten – Demokratiebezug; Publikumserwartungen und -bedürfnisse wie Information, Repräsentation, Regionalität; Gemeinwohl und Public Value. Und sie stützt sich auf Vorschläge, die Umsetzung von Public Service zu reformieren und besser an das durch digitale Transformation geprägte Umfeld anzupassen. Das führt zu sechs Wegmarken für eine demokratische Mediengesellschaft, deren Garant ein sich dem Public Service im erweiterten Sinn verpflichtender Journalismus ist.
Conference Paper
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This paper examines a specific form of mass media memory of the 1918 influenza pandemic during the COVID-19 pandemic. The mass media memory of political interventions during the 1918 influenza pandemic functioned as an interpretive framework at the beginning of the pandemic: state measures in the present are justified by proven measures in the past. The selectivity of memory reduces the complexity of a political decision-making process under conditions of epistemic uncertainty. The hypothesis is elaborated using the example of school closures across Germany in March 2020.
Article
Angesichts der politischen Folgen der Corona-Krise untersuchte die vorliegende Studie die wechselseitige Beziehung zwischen der Zufriedenheit mit der Corona-Politik der Bundesregierung und Medienvertrauen während des ersten Jahres der Corona-Pandemie in Deutschland. Auf Basis von Daten einer Panelbefragung, die zwischen April 2020 und April 2021 durchgeführt wurde, wurde ein Random Intercept Cross-Lagged Panel Modell berechnet, um die wechselseitige Beziehung im Zeitverlauf zu untersuchen. Die Befunde zeigen einen starken Zusammenhang zwischen den Random Intercepts, d.h. Personen, die generell zufriedener mit der Corona-Politik der Regierung waren, haben auch generell ein höheres Medienvertrauen als der Durchschnitt und andersherum. Auf der Ebene der Einzelpersonen zeigte sich hingegen nur ein zeitverzögerter Effekt zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Coronapandemie, nämlich, dass Veränderungen in der Zufriedenheit mit der Corona-Politik innerhalb einer Person im November 2020 zu Veränderungen im Medienvertrauen im April 2021 führen. Es wurde kein wechselseitiger Einfluss über die Zeit gefunden.
Article
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Nur ein Teil der Menschen mit COVID-19 ist von einem schweren oder kritischen Krankheitsverlauf betroffen. Viele dieser Personen weisen Risiken wie ein hohes Alter oder Vorerkrankungen auf und stehen bei Schutzmaßnahmen besonders im Fokus. Ziel ist es, die Zahl dieser Personen in Deutschland zu bestimmen und nach Alter, Geschlecht, Bildung, Lebensform und Bundesland zu differenzieren. Die Auswertungen beruhen auf der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) 2019/2020-EHIS, die als bundesweite telefonische Querschnittbefragung zwischen April 2019 und Oktober 2020 durchgeführt wurde. Die Definition eines erhöhten Risikos für einen schweren COVID-19-Verlauf erfolgte vornehmlich durch das Alter und die Vorerkrankungen der Befragten. Etwa 36,5 Millionen Menschen in Deutschland haben danach ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf. Unter diesen gehören 21,6 Millionen Menschen zur Hochrisikogruppe. Überdurchschnittlich viele Personen unter Risiko sind alleinlebend. Die Prävalenz für ein erhöhtes Risiko ist bei Männern mittlerer Altersgruppen höher als unter gleichaltrigen Frauen und bei Personen mit geringer Bildung deutlich höher als unter Hochgebildeten. Im Saarland und in den ostdeutschen Bundesländern leben anteilig die meisten Menschen mit einem erhöhten Risiko. Bei der Bekämpfung der Pandemie ist zu berücksichtigen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung ab 15 Jahren ein erhöhtes Risiko aufweist. Zudem kann die regional unterschiedliche Risikolast bei der Maßnahmenplanung relevant sein.
Article
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Determine age-specific infection fatality rates for COVID-19 to inform public health policies and communications that help protect vulnerable age groups. Studies of COVID-19 prevalence were collected by conducting an online search of published articles, preprints, and government reports that were publicly disseminated prior to 18 September 2020. The systematic review encompassed 113 studies, of which 27 studies (covering 34 geographical locations) satisfied the inclusion criteria and were included in the meta-analysis. Age-specific IFRs were computed using the prevalence data in conjunction with reported fatalities 4 weeks after the midpoint date of the study, reflecting typical lags in fatalities and reporting. Meta-regression procedures in Stata were used to analyze the infection fatality rate (IFR) by age. Our analysis finds a exponential relationship between age and IFR for COVID-19. The estimated age-specific IFR is very low for children and younger adults (e.g., 0.002% at age 10 and 0.01% at age 25) but increases progressively to 0.4% at age 55, 1.4% at age 65, 4.6% at age 75, and 15% at age 85. Moreover, our results indicate that about 90% of the variation in population IFR across geographical locations reflects differences in the age composition of the population and the extent to which relatively vulnerable age groups were exposed to the virus. These results indicate that COVID-19 is hazardous not only for the elderly but also for middle-aged adults, for whom the infection fatality rate is two orders of magnitude greater than the annualized risk of a fatal automobile accident and far more dangerous than seasonal influenza. Moreover, the overall IFR for COVID-19 should not be viewed as a fixed parameter but as intrinsically linked to the age-specific pattern of infections. Consequently, public health measures to mitigate infections in older adults could substantially decrease total deaths.
Technical Report
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The COVID-19 pandemic has not only had severe political, economic, and societal effects, it has also affected media and communication systems in unprecedented ways. While traditional journalistic media has tried to adapt to the rapidly evolving situation, alternative news media on the Internet have given the events their own ideological spin. Such voices have been criticized for furthering societal confusion and spreading potentially dangerous "fake news" or conspiracy theories via social media and other online channels. The current study analyzes the factual basis of such fears in an initial computational content analysis of alternative news media's output on Facebook during the early Corona crisis, based on a large German data set from January to the second half of March 2020. Using computational content analysis, methods, reach, interactions, actors, and topics of the messages were examined, as well as the use of fabricated news and conspiracy theories. The analysis revealed that the alternative news media stay true to message patterns and ideological foundations identified in prior research. While they do not spread obvious lies, they are predominantly sharing overly critical, even anti-systemic messages, opposing the view of the mainstream news media and the political establishment. With this pandemic populism, they contribute to a contradictory, menacing, and distrusting worldview, as portrayed in detail in this analysis. https://arxiv.org/abs/2004.02566
Scientific consensus on the COVID-19 pandemic: we need to act now
  • N A Alwan
  • R A Burgess
  • S Ashworth
  • R Beale
  • N Bhadelia
  • D Bogaert
  • J Dowd
  • I Eckerle
  • L R Goldman
  • T Greenhalgh
  • D Gurdasani
  • A Hamdy
  • W P Hanage
  • E B Hodcroft
  • Z Hyde
  • P Kellam
  • M Kelly-Irving
  • F Krammer
  • M Lipsitch
  • A Mcnally
  • H Ziauddeen
  • S Boberg
  • T Quandt
  • T Schatto-Eckrodt
  • L Frischlich
Alwan, N. A., Burgess, R. A., Ashworth, S., Beale, R., Bhadelia, N., Bogaert, D., Dowd, J., Eckerle, I., Goldman, L. R., Greenhalgh, T., Gurdasani, D., Hamdy, A., Hanage, W. P., Hodcroft, E. B., Hyde, Z., Kellam, P., Kelly-Irving, M., Krammer, F., Lipsitch, M., McNally, A., … Ziauddeen, H. (2020). Scientific consensus on the COVID-19 pandemic: we need to act now. Lancet, 396(10260), e71-e72. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32153-X Boberg, S., Quandt, T., Schatto-Eckrodt, T., & Frischlich, L. (2020). Pandemic populism: Facebook pages of alternative news media and the Corona crisis -A computational content analysis. ArXiv: 2004.02566 [Cs.SI].
Die Verengung der Welt. Zur medialen Konstruktion Deutschlands unter Covid-19 anhand der Formate ARD Extra -Die Coronalage und ZDF Spezial
  • D Gräf
  • M Hennig
Gräf, D. & Hennig, M. (2020). Die Verengung der Welt. Zur medialen Konstruktion Deutschlands unter Covid-19 anhand der Formate ARD Extra -Die Coronalage und ZDF Spezial. https://www.researchgate.net/ publication/343736403_Die_Verengung_der_Welt_ Zur_medialen_Konstruktion_Deutschlands_unter_Co-vid-19_anhand_der_Formate_ARD_Extra_-Die_Corona-lage_und_ZDF_Spezial
A global panel database of pandemic policies
  • T Hale
  • N Angrist
  • R Goldszmidt
  • B Kira
  • A Petherick
  • T Phillips
  • . . Tatlow
Hale, T., Angrist, N., Goldszmidt, R., Kira, B., Petherick, A., Phillips, T.,... & Tatlow, H. (2021). A global panel database of pandemic policies (Oxford COVID-19
Government Response Tracker)
Government Response Tracker). Nature Human Behaviour, 5(4), 529-538. https://doi.org/10.1038/s41562-021-01079-8
Eine epische Schlacht um verlorene Leben
  • J Müller-Jung
Müller-Jung, J. (2021). Eine epische Schlacht um verlorene Leben. Affäre in der COVID-Forschung. faz. net, 14.4.2021. https://www.faz.net/aktuell/wissen/ forscher-john-ioannidis-verharmlost-corona-und-provoziert-17290403.html Obermaier, M (2020). Vertrauen in journalistische Medien aus Sicht der Rezipienten. Zum Einfluss von soziopolitischen und performanzbezogenen Erklärgrößen. Wiesbaden.
the ICA, Virtual Conference, 27-31.05
  • C Reinemann
  • A Haas
  • D Rieger
Reinemann, C., Haas, A. & Rieger, D. (2021, May). the ICA, Virtual Conference, 27-31.05.2021. [auch: https://www.researchgate. net/publication/345627403_I_don't_care_'cause_I_don't_ trust_them_-_ e_impact_of_information_sources_insti-tutional_trust_and_populist_attitudes_on_the_percepti-on_of_the_COVID-19_pandemic_during_the_first_lock-down_in_Germany Rieg, T. (2020). Desinfektionsjournalismus. Die Corona-Berichterstattung ist kein Leuchtturm der Orientierung. journalistik online [https://journalistik.online/ausgabe-2-2020/desinfektionsjournalismus/]
Expertenumfrage zu Corona. Spiegel.de, 4
  • N Weber
Weber, N. (2020). "Der Kampf um Menschenleben ist das Wert." Expertenumfrage zu Corona. Spiegel.de, 4. April 2021; https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/ corona-experten-umfrage-zu-massnahmen-der-kampf-ummenschenleben-ist-das-wert-a-24fbbd60-3e04-4f71-b709-