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12.1 Mediendidaktik in künstlerischen Fächern
– Musik
Andreas Bernhofer, Matthias Krebs & Elisabeth Wieland
Bernhofer, A., Krebs, M., & Wieland, E. (2023). Mediendidaktik in künstlerischen
Fächern. Musik. In J. Zumbach, L. von Kotzebue, C. W. Trültzsch-Wijnen, & I. Deibl
(Hrsg.), Digitale Medienbildung. Pädagogik – Didaktik – Fachdidaktik (S. 404–
419). Waxmann. http://www.waxmann.com/buch4670
Zusammenfassung
Musikkultur und medientechnologische Entwicklungen sind von jeher eng miteinander
verzahnt. Der Beitrag bietet eine Übersicht zur Rolle von Medien in der Musikdidaktik. Es
wird ein Einblick zur unterrichtlichen Mediennutzung gegeben und auch der kontrovers
geführte Diskurs zum Medieneinsatz skizziert. Darüber hinaus wird die aktuelle
Forschungslage dargestellt, woraus deutlich wird, dass die Unterrichtspraxis diesbezüglich
lediglich in Einzelaspekten erforscht ist. Einen recht großen Stellenwert hat in diesem Beitrag
eine exemplarische Darstellung von Projektbeispielen, wodurch eine Bandbreite an Ansätzen
aufgezeigt wird, wie medienbezogene Lernziele und Erfahrungsmöglichkeiten in
Bildungsangeboten fokussiert werden können. Abschließend werden verallgemeinernd
Leitfragen zur didaktischen Konzeption des Einsatzes von Medien im Musikunterricht
angeboten.
Abstract
Music culture and media technology developments have always been closely intertwined. The
article provides an outline of the role of media in music didactics and gives an insight into the
use of media and sketches the polarized discourse on the use of media in the classroom. In the
short outline of the current research situation, it becomes clear that teaching practice has so far
only been empirically researched in individual aspects. The article emphasis on an exemplary
presentation of project examples, which shows a wide range of approaches on how different
learning goals and possibilities of experience can be addressed. In conclusion, guiding
questions on the use of media in music lessons are offered, which can accompany a practical
implementation of pedagogical-didactic concepts.
Schlüsselworte: Medienbegriff in Musikpädagogik, Medien und Musikkultur, Musiklernen
und digitale Medien
1. Einleitung
Seit Beginn der umfassenden Digitalisierung von Musikproduktion und -rezeption in den
1990er Jahren werden digitale Technologien auch in den Musikunterricht integriert – was sich
in einer bunten Vielfalt an Initiativen von einzelnen Lehrkräften beobachten lässt. Selbst wenn
im musikpädagogischen Diskurs bislang kein kohärentes Verständnis von einem digitalen bzw.
digitalisierten Unterricht vorliegt, sind im Zuge der zunehmenden Bedeutung digitaler
Technologien wesentliche Veränderungen der Unterrichtsgestaltung – vor allem in Bezug auf
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einen produktionsorientierten Umgang mit Musik – wahrnehmbar. Dazu gehört beispielsweise
die Einbeziehung von Geräten, wie Smartphones und Tablets, in Kompositions- bzw.
Songwriting-Projekten. Darüber hinaus werden auch neue Wege des Musizierens im Unterricht
ergründet, bei denen neben Musikapps auch DJ-Controller zur Ergänzung des traditionellen
Schulinstrumentariums herangezogen werden.
In diesem Beitrag werden im ersten Teil didaktische Überlegungen überblicksartig
zusammengefasst, bei denen es im Kern um die Fragen geht, was unter „Medien” in der
deutschsprachigen Musikpädagogik verstanden wird und unter welchen Prämissen digitale
Technologien und Medienangebote zur Erreichung musikpädagogisch gerechtfertigter Ziele
im Unterricht verwendet werden. Der zweite Teil bietet einen groben Überblick zum aktuellen
Forschungsstand zur musikdidaktischen Nutzung von digitalen Technologien. Abschließend
wird im Sinne von „good practice“ eine Auswahl an Unterrichtsprojekten zur Illustration von
musikalischen Praxisangeboten skizziert.
1.1 Der Begriff Medien im Fach Musik
Eine einheitliche Begriffsverwendung von „Medien“ gibt es in der deutschsprachigen
Musikpädagogik nicht. Susanne Binas-Preisendörfer (2013) stellt den Medienbegriff für den
Zusammenhang von Musik und Medien aus dreierlei Perspektiven dar:
1. (Neue) Medien als technische Apparaturen oder technische Verfahren (z. B. Bücher,
Videospiele, iPads oder Sampling),
2. (Massen-)Medien als Institutionen, in denen technische Apparaturen gesellschaftlich
wirksam werden (z. B. Rundfunk, Musikfernsehen oder YouTube) und
3. Medien (als Zeichen und Zeichenträger) im Sinne eines ästhetischen Mittlers mit einer
konkreten Materialität, d. h. Gestalt (z. B. Song oder Musikapp).
Im musikpädagogischen Diskurs werden aus der ersten Perspektive mit Medien vor allem
bestimmte technische Geräte bezeichnet (z. B. Schallplattenspieler, Overheadprojektor). Seit
dem Aufkommen des Musikcomputers und MP3-Playern als Unterrichtsmittel wird der Begriff
Neue Medien vor allem synonym für digitale Geräte und Medienformate verwendet. Es finden
sich jedoch in der Fachliteratur viele verschiedene, auf unterschiedliche Aspekte fokussierende
und teilweise auch einander widersprechende Definitionen dessen, was mit dem Begriff Neue
Medien gemeint ist (Papst-Krueger, 2006). Unscharf bleibt, welche Kriterien herangezogen
werden, um „neue“ von „alten“ Medien (Geräten) und Medienformaten zu unterscheiden, und
welche Bedeutung die von den Autor*innen beobachtete „Neuigkeit“ für musikdidaktische
Entscheidungen in ihrer Verwendung hat. Teilweise werden von Autor*innen ausschließlich
technische Kriterien als Erkennungsmerkmal von Neuen Medien genannt und diese verkürzt
als bloße „Werkzeuge“ betrachtet (Höfer, 2017). Ein solcher Medienbegriff erweist sich
letztlich als technik-zentriert und darum wenig differenziert, da wichtige ökonomische und
politische Kontexte sowie die Rolle und Wirksamkeit von Medien für die damit vollführten
Handlungen eher ausgeblendet werden, wie auch Ahlers (2018) kritisch anmerkt. Trotz seiner
Unschärfe und Normativität findet dieses verkürzte Verständnis von Medien jedoch bis heute
eine breite Verwendung, wenn über Bildungsangebote gesprochen wird, in denen digitale
Technologien explizit als Produktions- oder Unterrichtsmittel genutzt werden.
Eine andere Perspektive auf Medien im musikpädagogischen Diskurs ist die, in der die
Mediennutzung im Fokus steht, wobei Medien vor allem als informations- und massenmediale
Kommunikationsmedien betrachtet (Baacke, 1996) und die Rolle von (Jugend-)Medien als
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wichtige Sozialisationsakteure in den Blick genommen werden (Wegener, 2008).
Ausgangspunkt sind Studien, die zeigen, dass Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer
Freizeit mit Medien (Fernsehen, Rundfunk, Presse bzw. Internet und Social Media) verbringen.
Musik spielt hier eine zentrale Rolle in der Mediennutzung (JIM-Studie, 2021). Musik-Stars in
den Medien bieten Jugendlichen vielfältige Orientierungsmöglichkeiten für die Entwicklung
ihrer eigenen Person, ihres Körperkonzepts, ihrer Geschlechterrolle und ihrer Sexualität und
tragen damit zur eigenen Identitätsarbeit bei (Neuhoff, 2007). „Medien werden zum Fundus
der Suche nach dem eigenen Lebensstil, und je mehr dieser gefunden ist, umso selektiver und
kritischer werden Medien genutzt“ (Münch, 2005, S. 220). Bei Beckers (2004) werden Medien
sogar als Dialogpartner hervorgehoben, die in Hinblick auf die musikalische Selbstsozialisation
von zentraler Bedeutung für die soziale Distinktion und Identitätskonstruktion sind (Müller et
al., 2004). Jedoch ist die Thematisierung solcher medienbezogener Sozialisationsprozesse im
formalen Kontext von Musikunterricht herausfordernd (Lenz, 2013). Zwischen
musikbezogenem und mediendominiertem Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen auf
der einen Seite und Musik in der Schule im Musikunterricht auf der anderen, wird von Studien
eine hohe Diskrepanz im Hinblick auf die Häufigkeit und Umgangsweisen aufgezeigt (Eichert
& Stroh, 2004; Aigner, 2018). Zurückführen lässt sich dies auf eine bis heute verbreitete
musikpädagogische Überzeugung, wonach zwischen vermittlungsbedürftigen (Massen-
)Medien wie Fernsehen und Hifi gegenüber traditionellen Medien wie Literatur und Rundfunk
unterschieden wird. In den 90er-Jahren war der erziehungswissenschaftliche Diskurs zur
Medienbildung stark von den grundlegenden Arbeiten von Baacke (1996), die besonders
(analoge) (Massen-)Medien wie Rundfunk und Fernsehen im Blick hatten, geprägt. Das
Gewicht lag hierbei auf einer kritischen Medienrezeption, um eigene mediale
Handlungsstrategien zu hinterfragen und negative Konsumwirkungen zu durchblicken. Ein
handlungsorientierter Perspektivwechsel wird erst im Zuge fortschreitender Digitalisierung als
Wende von bloßer Rezeption hin zu aktiver Partizipation vollzogen. Dabei wandelt sich die
pädagogische Vorsicht, die vor einer unkritischen, unreflektiert konsumierenden Verwendung
von Medien warnt, hin zu einer produktiven Einstellung, die Mediennutzung vor allem als
kreative Tätigkeit wertschätzt (Stroh & Trappe, 2015). So werden beispielsweise Online-
Plattformen heute von einigen Lehrkräften als interaktive Medien wahrgenommen, die kreative
Ausdrucksmöglichkeiten zur Identitätsarbeit eröffnen und zur Präsentationsfläche für
Eigenproduktionen sowie zum Umschlagplatz für den Austausch mit anderen werden können
(Krebs, 2010).
Aus der dritten Perspektive bezeichnen Medien (reale, modellhafte, abbildhafte, symbolische)
Erfahrungsformen, über die Menschen mit Inhalten, Sachverhalten und Menschen in Kontakt
treten. Entsprechend kann Musik als die kulturelle Überformung des emotionalen
Ausdruckslautes und -verhaltens und als eine Kulturform verstanden werden, die aus dem
Erleben gemeinsamer somatischer Zustände entsteht und menschlicher Kommunikation
immanent ist. Eine solche Theorie, die Musik als Mediatisierungsphänomen (Jauk, 2009)
auffasst, versteht Medien im Sinne des Ausbildens von etwas „Dazwischenliegendem“
(Mersch, 2006). Medien (als Zeichen und Zeichenträger) werden aus dieser Perspektive als
ästhetische Mittler mit historisch konkreten Technologien der Klangproduktion und
Wiedergabe bedeutsam und in kulturhistorisch bestimmten Vermittlungszusammenhängen
gesellschaftlicher Institutionen angeeignet (Binas-Preisendörfer, 2013). Hiernach sind Medien
nicht nur Mittel der Kommunikation und Information; vielmehr stehen die Materialität und
Performativität des Medialen im Fokus. Über die Beschaffenheit und mögliche
rezeptionsbezogene Wirkungsweise von Medien hinaus werden aus dieser Perspektive die Art
ihrer Wahrnehmung und ihrer soziokulturellen Vermittlung in den Blick genommen (Stöckler,
2014).
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Im Unterschied dazu werden in der aktuellen musikpädagogischen Debatte jedoch
musikalische Lernprozesse in didaktischen Settings mit digitalen Technologien vor allem aus
(technik-)soziologischer und praxeologischer Theorieperspektive verhandelt. Damit
verbunden ist eine Verschiebung von einer technizistischen, rezeptionsbezogenen Betrachtung
von (Massen-)Medien hin zur Untersuchung der Rolle von digitalen Dingen in
Gestaltungsprozessen – etwa in Musikproduktionsprojekten (Duve, 2021). Der
Betrachtungsfokus liegt hierbei auf den historisch neuen Möglichkeiten der Konstitution und
Verknüpfung der unterschiedlichsten menschlichen und nichtmenschlichen Akteure in einer
netzwerkartigen Verfasstheit von Welt (Godau & Haenisch, 2019).
1.2 Verzahnung von Technologieentwicklung und Musikkultur
Musik ist, wie jedes andere Kulturprodukt auch, gekennzeichnet durch den Kontext seiner
technischen Hervorbringung, Vermittlung und Rezeption. Somit sind Musikpraxen von jeher
in technologische Entwicklungen eingebunden und werden durch sie beeinflusst, sodass
Musikkultur immer auch Medienkultur ist (Harenberg, 2012). Dies lässt sich etwa anhand von
Entwicklungen wie Jim Marshalls‘ E-Gitarren-Verstärker nachzeichnen, die er gemeinsam mit
Jimi Hendrix optimierte und dessen Sound letztlich eine ganze Kultur, wie die Hippie-
Bewegung, prägte. Es verdeutlicht, wie Technologien unweigerlich musikalische Praktiken,
Fertigkeiten und Arten der Wahrnehmung von Musik konstituieren und verändern. Diese
Verzahnung von Technologieentwicklung und Musikkultur ist als ein co-evolutionärer Prozess
zu fassen. So ist auch die Digitalisierung im Musikbereich als Konstante und weniger als eine
Spezifik zu betrachten. Musikinstrumente – welcher Art auch immer – stellen einen im
Zivilisationsprozess angelegten, Jahrhunderte dauernden Ablösungsprozess von den
natürlichen Klangumgebungen der Menschen dar (Harenberg, 2012). Somit ist die Abkopplung
des Interface (z. B. Griffbrett, Tastatur) vom Klangerzeuger (z. B. schwingende Membran)
keineswegs erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Auch die Frage nach dem Verhältnis von
sogenannten Primär- und Sekundärquellen ist eine Frage der Perspektive und vor dem
Hintergrund verallgemeinerter Betrachtung kaum erhellend. Wahrnehmbar werden die
Transformationsprozesse im Zusammenhang mit digitalen Technologien letztlich nicht allein
in Bezug auf musikalische Praktiken oder etwa in Hinblick auf Veränderungen in der
Musikwirtschaft, wobei beispielsweise Streamingdienste andere Medienformate wie CDs
ablösen (Ulrich, 2012). Nachvollziehbar werden die Wandlungsprozesse beispielsweise auch
anhand der Entwicklung neuer Klangästhetiken, was etwa bei Effekten wie „Auto-Tune“, die
den Sound aktueller Charts prägen, beobachtet werden kann.
1.3 Verankerung von Medien im Lehrplan des Musikfachs am Beispiel
Österreichs
Die Handlungsorientierung steht in einem vielfältigen Musikunterricht stets im Zentrum, da
musikalisches Verstehen nur durch musikalisches Handeln vollzogen werden kann.
Entsprechend haben sämtliche Handlungen, die mit der kompetenten Ausübung und
Umsetzung von Musik zusammenhängen, besonderes Gewicht: Singen, instrumentales
Musizieren, Tanzen, Hören und Musikerfinden, das Lesen und Notieren von Musik sowie das
Beschreiben und Herstellen von musikalischen Kontexten. In Bezug auf bildungspolitische
Vorgaben hat spätestens 2013 auch im Musikunterricht das Kompetenzmodell (Knaus et. al.,
2013) seinen Niederschlag im Lehrplan des österreichischen Bildungswesens gefunden. Im
darin enthaltenen Katalog für fachliche Kompetenzen finden sich auch überfachliche
(sogenannte „dynamische“) Kompetenzbereiche, wie soziale, personale, kommunikative,
interkulturelle und methodische Kompetenzen. Die digitalen Fertigkeiten lassen sich darin
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jedoch lediglich im Bereich der letztgenannten Methodenkompetenz finden. Der Satz
„Schülerinnen und Schüler können aktuelle Technologien und Medien für sich nutzen (und
kreativ einsetzen)” ist hier in allen Stufen von der Primar- bis zur Sekundarstufe II aufgeführt.
Der umfassenden Verknüpfung von Musikpraxis und Technologieentwicklung kommt diese
auf Methoden limitierte Verortung im Lehrplan jedoch kaum nach, lassen sich doch in beinahe
allen Kompetenzbereichen Anknüpfungspunkte zum Einbezug von digitalen Medien finden.
Beispielsweise die im Kompetenzkatalog allein auf (analoge) Musikpraxis zentrierte sozial-
kommunikative Kompetenz „einander zuhören“ lässt sich auf digitale Musiktechnologien wie
das Performen mit einem DJ-Set oder das Ensemblemusizieren mit Musikapps genauso
übertragen, wie es in konkreten fachlichen Bereichen, z. B. dem gemeinsamen Singen, möglich
ist. Hier besteht folglich noch Entwicklungsbedarf.
1.4 Medieneinsatz im Musikunterricht
Die rasante Entwicklung im digitalen Bereich sowie zahlreiche Initiativen zur Förderung der
Digitalisierung im schulischen Bereich (siehe dazu z. B. den 8-Punkte-Plan der Initiative
„Digitale Schule des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Österreich” und den „DigitalPakt Schule” der Bundesregierung Deutschland) erhöhen die
Verfügbarkeit digitaler Geräte auch im Musikunterricht. In ihrer Nutzung lassen sich grob
zweierlei Verwendungsweisen unterscheiden: Einerseits werden Computer sowie Tablets in
Kombination mit Apps als Unterrichtsmittel genutzt. „Musikbezogenes Lehren und Lernen hat
stets eine große Affinität zu Medien bewiesen, sei es in der griechischen Antike im Rückgriff
auf das Monochord als Demonstrationsmedium zur Veranschaulichung musiktheoretischer
Sachverhalte” (Gembris et al., 2004, S. 8). Demzufolge können digitale Unterrichtsmedien als
Vermittler in Lernprozessen verstanden werden, um Informationen und Wissen anschaulich
zur Erfassung der Wirklichkeit aufzubereiten (Tulodziecki et. al, 2010). Andererseits nutzen
einige Lehrkräfte digitale Technologien auch in projektartigen Phasen, in denen diese als
Produktions- und Kompositionsmittel (Aigner, 2017) sowie als Instrumentarium zum
Klassenmusizieren funktionalisiert werden (Steiner, 2016).
Der musikpädagogische Diskurs zum Unterrichtseinsatz von Medien ist bislang jedoch nach
einzelnen Phasen der Auseinandersetzung mit digitalen Medien für die Vorbereitung und
Durchführung des Musikunterrichts sehr überschaubar, wobei selbst aufwändig entwickelte
Materialien für die Unterrichtspraxis längst keine besondere Verbreitung oder Anwendung in
der Praxis haben (Ahlers, 2018). Eine Reihe wegweisender Ansätze hat Knolle (2005), als einer
der Pioniere im Einsatz digitaler Medien im Musikunterricht, z. B. im Rahmen des Projekts
netzspannung.org geliefert. Er bezog sich in Rückgriff auf den medienpädagogischen Diskurs
auf ein Konzept musikpädagogischer Medienkompetenz „als die Fähigkeit, komplexe
Unterrichtssituationen zu inszenieren, in denen der Medieneinsatz in Hinblick auf die jeweilige
didaktische Vermittlungsintention bewusst geplant, durchgeführt und evaluiert wird“ (Eibach
2005, in Höfer, 2017, S. 24). Insgesamt ist es seit damals im musikdidaktischen Diskurs relativ
still um dieses Thema geworden, wie Stroh und Trappe (2015) konstatieren. Das heißt, die
musikdidaktische Auseinandersetzung zum Medieneinsatz verläuft im Verhältnis zur rasanten
technischen Entwicklung eher zurückhaltend. Die Beschreibung und Entwicklung einer
musikpädagogischen Medienpädagogik, einer musikpädagogischen Mediendidaktik sowie
einer musikpädagogischen Medienkompetenz müssen daher als Defizit gewertet werden
(Höfer, 2017; Ruismäkia, 2013).
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2. Stand der nationalen und internationalen Forschung
Digitale Technologien als musikdidaktisches Handlungsfeld sowie das Musiklernen mit
digitalen Technologien spielen in der musikpädagogischen Forschung bislang nur eine
untergeordnete Rolle (Godau, 2017). Der musikpädagogische Diskurs zum unterrichtlichen
Einsatz von digitalen Technologien ist dominiert von Diskussionsbeiträgen sowie von
Praxisberichten und -empfehlungen (z. B. Biring, 2014; Aigner, 2015; Krebs & Godau, 2016;
Krebs, 2012; 2019b) und Ansätzen zur Systematisierung z. B. von Musikapps und Online-
Musikplattformen (Krebs, 2010; 2018; 2019a), deren empirische Überprüfung bislang zaghaft
angegangen wurde.
2.1 Studien zum Medieneinsatz im Musikunterricht
Eine breite Stellung haben Interview- und Fragebogen-Studien, die sich mit der
Mediennutzung und Medienkompetenz von Lehrkräften befassen. Dieser Fokus wird inhaltlich
damit gerechtfertigt, dass die Medienkompetenz der Lehrenden der entscheidende Faktor für
eine didaktische Nutzung im Unterricht ist. Die Studien gehen den Fragen nach, welche
Medienerfahrungen Lehrkräfte haben, welche Medienkompetenzen sich anhand von
Selbsteinschätzungen rekonstruieren lassen und welche Bedeutung digitale Technologien in
der Unterrichtspraxis erhalten. Eichert und Stroh (2004) stellen hierzu fest, dass
Musiklehrkräfte nicht medienaffiner sind als Menschen anderer Berufsgruppen. Höfer (2017)
zeigt auf, dass digitale Computermedien außerunterrichtlich vor allem zur Vorbereitung von
Lehrkräften intensiv genutzt werden. Darüber hinaus wird auch deutlich, dass der
Medieneinsatz im Unterricht eher marginal ist, da didaktisches Wissen in Bezug auf neue
Medien noch rar ist. Insgesamt wird das Thema Mediennutzung noch immer von Lehrkräften
eher technikdeterministisch aufgefasst (Höfer, 2017). In der Folge werden Medien häufig nicht
besonders lernförderlich (interaktiv) im Unterricht genutzt (Eichert & Stroh, 2004).
2.2 Studien zu Unterrichtsmethoden
Wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur Nutzung digitaler Medien im Musikunterricht
finden beispielsweise in Bezug auf den methodischen Ansatz des „Flipped Classroom“
(Bergmann & Sams, 2012) und dessen Umsetzungen für die Musizierpraxis statt (u. a.
Matthews, 2015). Die zentrale Idee dabei ist, die Vermittlung von Lerninhalten vor der
Präsenzphase im Unterricht mittels Lernvideos und ergänzendem Material in eine
Selbstlernphase zu verlegen und dann im Rahmen des Musikunterrichts an die erworbenen
Vorkenntnisse anzuknüpfen. Die Studie von Bernhofer und Wieland (2018) macht deutlich,
wie dadurch mehr Zeit für das gemeinsame Musizieren zur Verfügung stehen kann. Konkrete
Unterrichtskonzepte für den Musikunterricht werden für die Bereiche des mehrstimmigen
Singens und (Body-)Percussion beschrieben (Bernhofer & Wieland, 2019).
Zu den prominenten Themenkomplexen gehört die Rolle von Technologien in musikalischen
Kreationsprozessen, insbesondere beim Komponieren sowie Songwriting, womit sich z. B.
Roth (2006) und Godau et al. (2016) auseinandergesetzt haben. Aigner (2017) befasst sich in
seiner Dissertation mit dem Titel „Komponieren zwischen Schule und Social Web” mit einem
Schulprojekt, in dem Schüler*innen auf ihrem Weg des Komponierens von einem Team aus
Musiklehrenden, Komponist*innen und Studierenden begleitet wurden. Aigners Studie zum
Projekt ermöglicht vielschichtige Erkenntnisse in den Bereichen Motivation und
Selbstwirksamkeitserwartungen von Schüler*innen, verschiedene Zugangsweisen zum
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Erfinden von Musik sowie auch zum Wechselverhältnis von Technologie und
Kompositionsprozess. Auch Duve (2021) untersucht in einer empirischen Studie
Kompositionsprojekte in Gruppen, wobei er anhand von Videodaten aufzeigt, wie digitale
Dinge nicht zwangsläufig die Interaktion in den Gruppen behindern, sondern auch unterstützen
können.
2.3 Forschung zum Musiklernen mit digitalen Technologien
Die Verbreitung digitaler Technologien in allen Musikbereichen hat in den vergangenen Jahren
zu massiven Veränderungen musikalischer Praxen geführt. Es fällt jedoch nicht leicht, den
Zusammenhängen von Mensch – Technologie – Kultur überschaubar und systematisch
nachzugehen und als Forschungsfeld abzustecken. Insgesamt sind digitale Musikpraxen daher
lediglich in Einzelaspekten empirisch erforscht. Dabei erscheint es noch am schlüssigsten, sich
entlang medientechnologischer Entwicklungen den entsprechenden ästhetischen
Konsequenzen, Aneignungsformen und Veränderungen im Musikleben zuzuwenden.
In einigen Studien wurde die Steigerung der Lernmotivation durch digitale Technologien
(Augustyn, 2013; Brown et al., 2014) oder die Verbesserungen sozialer Fähigkeiten in
Kollaborationen mit anderen und die Steigerung des Wohlbefindens und des
Selbstbewusstseins bei Jugendlichen mit Autismus (Hillier et al., 2016) untersucht. Darüber
hinaus konnte Witmer (2015) in einem quasi-experimentellen Forschungsdesign
Verbesserungen des Notenlesens bei Jugendlichen mit Dyslexie feststellen, wenn diese eine
Musikapp verwendeten. Weitere Studien widmen sich etwa der Bedeutung digitaler Medien
für die Teilhabe von Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, die ihnen
durch flexible Anpassungsfähigkeit und individualisierbare Bedienbarkeit
Musiziermöglichkeiten schaffen (Niediek et al., 2019). Gall (2017) dokumentiert dazu Projekte
im englischsprachigen Raum, in denen digitale Instrumente (z. B. das Clarion) für
gemeinsames Musizieren genutzt wurden, die beispielsweise mit dem Kopf, den Füßen oder
rein durch Augenbewegungen gespielt werden können.
Nur selten kommt grundlegend das Verhältnis Mensch – Musiktechnologie zur Sprache. Eine
Ausnahme stellen hier etwa Martin et al. (2015) dar: Sie beobachteten einen Rollenwechsel
von Zuschauer*innen zu Co-Performer*innen bzw. Auswirkungen einer veränderten
Musiker*innen-Technologie-Interaktion auf die freie Improvisation im Ensemble. Eusterbrock
et al. (2021) rekonstruierten exemplarisch Praktiken, wie Apps in Bezug auf bestimmte Orte
genutzt werden, die spezifische Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen ermöglichen, für die
Atmosphären entscheidend sind.
3. Praxisprojekte
In diesem Abschnitt finden sich eine Auswahl konkreter Praxisprojekte, in denen digitale
Technologien integriert wurden und die im Zusammenhang mit dem schulischen
Musikunterricht stehen. Die Auswahl soll dazu dienen, die Breite an Formen zu illustrieren,
und ist als Anregung und Inspiration gedacht.
3.1 Komponieren und Musik erfinden
Die Nutzung von digitalen Technologien in Kompositions- oder auch Songwriting-Projekten
findet schon seit den 80er-Jahren Anwendung. Im Zuge der Mobilisierung der
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Musikproduktion durch Apps und Online-Musikplattformen wird die Umsetzung solcher
Projekte erleichtert. Ein besonders umfangreich beschriebenes und reflektiertes Projekt ist
Komponieren zwischen Schule und Social Web von Wilfried Aigner (2017), wobei der Fokus
vor allem auf dem digital-gestützten, kollaborativen Komponieren liegt. Unter dem
Projektnamen ecompose vernetzten sich jugendliche Schüler*innen mit professionellen
Komponisten, die sie über mehrere Monate hinweg im kreativen Prozess begleiteten. Im Sinne
eines Blended-Learning-Ansatzes (abwechselnde und verzahnte Online- und Präsenz-Phasen)
agierten die Komponist*innen als Mentor*innen für die Lernenden. Die zentrale
Arbeitsplattform stellte die webbasierte Notationssoftware Noteflight dar, die das kollaborative
Komponieren an einem musikalischen Werk ermöglicht – inklusive verschiedener Feedback-
Optionen, die eine zentrale Rolle im Lehr-/Lernarrangement erhielten. Die entstandenen
Kompositionen wurden schließlich schulintern vor Publikum aufgeführt, was einen
Motivationsschub der Beteiligten bewirkte.
(Beispiel: Schüler*innen-Komposition „Still” (Partitur-Version):
https://www.noteflight.com/scores/view/93d1c36a83f5e9738cc439133183aafcaf855161)
3.2 Musizierpraxis
Im Zuge der technischen Entwicklung im Interaktionsdesign und der zunehmenden
Leistungsfähigkeit von Smartphones und Tablets gewannen seit 2010 Ansätze an Bedeutung,
in denen die Geräte als Instrumente verwendet werden. Solche Musizierprojekte verfolgen das
Ziel „ein Bewusstsein für eine musikalische Praxis mit digitalen Musiktechnologien zu
schaffen, die [vor allem] leiblich-körperliche Prozesse beim Ensemblemusizieren in den Blick
nimmt“ (Krebs, 2019a, S. 279). An verschiedenen Grundschulen wurden beispielsweise im
Rahmen des Programms app2music von Musiker*innen im Nachmittagsbereich Kids-Bands
gegründet, in denen neben herkömmlichen Musiziermöglichkeiten auch Musikapps zur
interaktiven Klanghervorbringung zum Einsatz kamen. Ausgangspunkte der musikalischen
Arbeit bei app2music sind die musikalischen Präferenzen der teilnehmenden Schüler*innen.
So entschieden sich beispielsweise fünf Schülerinnen (2015) für das Lied Atemlos von Helene
Fischer, das sie beim Sommerfest der Schule live aufführen wollten. Sie überlegten sich,
welche Instrumentenklänge sie für wichtig hielten und verteilten entsprechende Rollen in der
Gruppe. Als Instrumentarium nutzten sie iPad-Apps wie Drums XD, SoundPrism, guitarism
und DM1, für die die Schüler*innen eigenständig Spielweisen entwickelten. Wichtig für den
Gestaltungsprozess waren vor allem Kompetenzen im Heraushören; Noten hatten – wie für die
aurale Praxis von Popmusik typisch – keine zentrale Bedeutung. Die Ergebnisse eines Treffens
wurden stattdessen auf Video aufgenommen, um beim Folgetreffen der Band den zuvor
entwickelten Lösungsansatz direkt anhand des Aufgenommenen fortsetzen zu können. Nach
sechs Wochen waren alle Beteiligten mit ihrer Musik zufrieden und das Ensemblemusizieren
zunächst in Form einer Videoperformance aufgenommen. Krönender Abschluss des Projekts
war der Bühnenauftritt beim Sommerfest der Schule.
(Weitere Informationen und das Video: http://app2music.de/atemlos-fuer-helene-fischer/)
3.3 Performance
Steigende Verbreitung erhalten im Zusammenhang mit dem unterrichtlichen Einsatz von
digitalen Technologien auch experimentelle Kunstperformance-Projekte, in denen
interdisziplinäre Künstler*innen involviert sind. Ein gut dokumentiertes Projekt ist „digital
MUSICIANship“ unter der Leitung von Steiner (2016). Es handelt sich um ein mehrere Phasen
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umfassendes Projekt, an dem Schüler*innen einer neunten Schulstufe mit dem Schwerpunkt
Tanz und Musik mit verschiedenen künstlerischen Ansätzen experimentierten und partizipativ
eine Musikperformance entwickelten. Ausgangspunkt waren Visionen einer digitalisierten
Musikkultur. Neben dem Experimentieren mit unterschiedlichen Musikapps sowie digitalen
Musikinstrumenten, die sich der elektronischen Klangkunst zuordnen lassen, waren in den
kreativen Aushandlungsprozessen der Schüler*innen auch Tanz und Kostüme wichtig.
Insgesamt lässt sich das Projekt als ein partizipativer Forschungsansatz bestimmen, an denen
die Schüler*innen und Künstler*innen aus unterschiedlichen Bereichen sowie Musiklehrkräfte
beteiligt waren. In laborähnlichen Workshops experimentierten die Jugendlichen mit dem
digitalen Instrumentarium und entwickelten ein kontrastreiches Konzertprogramm, das sie im
Alten Schl8hof Wels öffentlich aufführten.
(Link zum Videomitschnitt der Performance:
https://www.youtube.com/watch?v=KB7KA6IDMTU)
3.4 Klangprojekte mit Apps
Einen anderen experimentellen Ansatz bieten digitale Varianten von Klangkunst-Projekten wie
z. B. KlangSafari (Elbphilharmonie), KlangGestalten (Bertelsmann), #PhilSounds
(Philharmonie Luxembourg) (z. B. Krebs, 2019b). Der Ablauf ist prototypisch und es bieten
sich verschiedene Anlässe zur Identifikation mit dem künstlerischen Gegenstand: In der
Anfangsphase entwickeln die Schüler*innen in Kleingruppen ihr Instrumentarium. Dazu
nehmen sie mit einer App Klänge von besonderen Orten (z. B. Konzerthaus, Schule) auf. Im
Zuge dessen erhalten sie einen ersten haptischen, klanglichen Bezug zu Alltagsgegenständen
und zum Mobilgerät samt verwendeter App. Anschließend entwickeln sie beim Editieren der
Klänge, gegebenenfalls angeregt durch einschlägige Vorführungen, musikalische Ideen für
neue Klänge und instrumentale Spielmöglichkeiten. Die verschiedenen Klänge werden dann in
ersten improvisierten Performances erprobt. In Projektgruppen werden daraufhin eigene
Projekte verwirklicht. Im Zuge dessen konkretisieren die Teilnehmenden ihre Vorstellungen
anhand ihrer spielpraktischen Machbarkeit sowie der vorhandenen technischen Bedingungen.
Dazu gehören z. B. eine Looper-Funktion sowie verschiedene Möglichkeiten, die Samples mit
Fadern live zu modifizieren. Anleitende übernehmen hierbei die Rolle eines Coachs, um
einzelne Erarbeitungsphasen zu strukturieren. Das Ergebnis ist in der Regel eine Aufführung.
Bei der Vorführung können die Schüler*innen dann ihr Produkt vorspielen, aber auch ihre
technisch-ästhetische Intention oder die Funktionsweise der App erläutern und sich so in der
Rolle von Expert*innen erleben.
(Link zu einem Blogbeitrag mit Workshop-Ergebnissen: http://app2music.de/klanggestalten/)
3.5 Chrome Music Lab
Online-Musikplattformen erhalten im Musikunterricht zunehmend eine bedeutsame Stellung.
Beispielsweise bietet die Webseite Chrome Music Lab
(https://musiclab.chromeexperiments.com/) ein Angebot, das sich für entdeckendes Lernen im
Unterricht eignet und 14 verschiedene Applikationen zum Experimentieren mit Klängen und
musikalischen Vorgängen umfasst. Ergebnisse können per Sharing-Link, als Midi- oder WAV-
File gesichert und geteilt werden. Interessant für die unterrichtliche Anwendung ist z. B. der
Songmaker, ein webbasierter Midi-Step-Sequencer: Hiermit lassen sich künstlerisch
herausfordernde Projekte für den Musikunterricht aller Altersstufen mittels einer
übersichtlichen Palette an Optionen realisieren. Darüber hinaus lassen sich auch mehrere
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Unterrichtsszenarien im Bereich der Musiktheorie gestalten: Es lässt sich z. B. eine Dur-
Tonleiter im Chromatic-Modus veranschaulichen. Oder der Songmaker wird zum
Komponieren von 12-Ton-Musik (Reihentechnik) genutzt – ganz ohne traditionelle
Notationsform. Tonreihen, ihre Transpositionen und Umkehrungen lassen sich auf
übersichtliche Art und Weise gestalten und ihre Konstruktion nachvollziehen. Die Farb-Codes
im Songmaker ermöglichen zudem eine musizierpraktische Umsetzung der Kompositionen mit
Boomwhackers.
(Beispiel-Link zu einer 12-Ton-Komposition (Sophia S., 17 Jahre):
https://musiclab.chromeexperiments.com/Song-Maker/song/6222925597769728)
4. Umsetzungshilfen
Die exemplarisch dargestellten Projektbeispiele zeigen eine Bandbreite an Ansätzen auf, womit
unterschiedliche Lernziele und Erfahrungsmöglichkeiten fokussiert werden. Damit soll
veranschaulicht werden, wie digitale Technologien weniger als Werkzeuge im Sinne von
digitalen Versionen von Lehrmitteln genutzt werden. Vielmehr steht darin die musikalische
Auseinandersetzung mit digitaler Realität im Zentrum. Leitfrage für den Einsatz digitaler
Technologien ist somit nicht mehr: Was können wir damit machen und was ist der Mehrwert?
Stattdessen stellt sich die Frage: Wie musizieren und rezipieren Menschen heute Musik und
was müssen sie können, um an einer lebendigen Musikpraxis teilzunehmen? Im
Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Fragen bieten sich oftmals auch Optionen die
pädagogische Musikkultur im Klassenzimmer mit jenen Musikkulturen der Beteiligten zu
verbinden.
Abschließend werden Leitfragen angeboten, die bei der Konzeption und Reflexion des
unterrichtlichen Einsatzes von Medien unterstützen können:
● Digitale Medien als Lehr-/Lernmittel (Akteure)
○ Werden die musikspezifischen Möglichkeiten des Mediums genutzt?
○ Welche musikalisch-ästhetischen Erfahrungsmöglichkeiten werden geboten?
○ Welches Medienwissen und welche technischen Fertigkeiten werden thematisiert?
● Digitale Medien als Musikinstrument
○ Werden die Möglichkeiten des Mediums genutzt, sich als musikalisch, produktiver
Mensch zu erfahren?
○ Werden die kommunikativen Möglichkeiten zur Interaktion im Ensemble genutzt?
○ Werden musikalisch-ästhetische Erfahrungen durch die Nutzung von
verschiedenen Spielweisen ermöglicht?
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● Digitale Medien als Thema des Musikunterrichts
○ Werden die Alltagserfahrungen der Lernenden, ihre medialen Hör- und
Rezeptionsweisen einbezogen?
○ Trägt der Musikunterricht dazu bei, den Mediengebrauch kritisch zu behandeln und
zu einem verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien anzuleiten?
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