ChapterPDF Available

Wissensbestände und Wissensquellen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz. Medizinische Expert*innen und andere epistemische Autoritäten

Authors:

Abstract

Wissen ist ein zentraler Baustein von Gesundheitskompetenz. Wissen wird in medizinisch-beratenden Kontexten oft im Sinne von Informationen verstanden, die unidirektional vermittelt und auf Patient*innenseite behalten werden müssen. Angemessene und optimal aufbereitete Informationen sind aber nur eine von diversen Gelingensbedingungen von Gesprächen – interaktive Komponenten und Vorwissen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Für die Verbesserung von Beratungsgesprächen zur Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz lohnt sich ein Blick auf Wissensquellen, die Patient*innen und Angehörige explizit angeben oder mittels sprachlicher Positionierungen in Gesprächen als Träger*innen epistemischer Autorität auszeichnen. Im Beitrag werden Wissensbestände und -quellen untersucht, die aus Interviewdaten der PreDADQoL-Studie herausgearbeitet wurden. Folgende übergeordnete Kategorien sind im Text differenziert und erläutert: (1) der (ehemalige) medizinnahe berufliche Hintergrund, (2) Demenzerkrankungen im sozialen Umfeld, (3) weitere Krankheitserfahrungen, (4) unbestimmtes (Allgemein-)Wissen und (5) die (mediale) Öffentlichkeit. Es finden sich verschiedene relevante Typen von Wissensbeständen, z. B. (erstpersonales) Erfahrungswissen, Sprachwissen, prozedurales Wissen sowie (vages) Alltags- und Weltwissen, die jeweils zu unterschiedlichen Empfehlungen für die Praxis führen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass nicht-ärztliche Wissensquellen bei gesundheitsbezogenen Entscheidungen bedeutsam sind. Sie sollten eingehender beforscht werden und können Beratungsgespräche zur Prädiktion bereichern.
111
8
Wissensbestände und Wissensquellen im
Entscheidungsprozess zur
Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz.
Medizinische Expert*innen und andere
epistemische Autoritäten
CarolinSchwegler, VanessaRomotzky undChristianeWoopen
8.1 Gesundheitskompetenz und Wissen(-svermittlung)
Wissen ist ein zentraler Baustein von Gesundheitskompetenz (Nutbeam und Lloyd
2021, S.162). Wenn im Folgenden der Begriff Wissen genutzt wird, ist damit nicht
der Alltagsbegriff gemeint (z.B. wissen als Gegensatz von glauben/meinen) und
auch nicht das handlungsorientierte Verständnis im Sinne von Informationen (lat.
informatio = Bildung, Belehrung). In Anlehnung an ein breites kognitionswissen-
schaftliches Verständnis wird Wissen hier deniert als „Annahmen, die eine Person
für mehr oder weniger gewiss hält, sowie alle begrifich (aber nicht unbedingt
sprachlich) strukturierten Kenntnisse“ (Deppermann 2018, S.105). Wissen ist nicht
nur ein zentraler Baustein von Gesundheitskompetenz, sondern kann aufgrund die-
ser breiten Denition ebenfalls als Voraussetzung, thematischer Gegenstand sowie
Produkt fast jeder sprachlichen Interaktion verstanden werden. Unterschiedliche
Wissensarten sind in Wissensbeständen (Sprachwissen, prozedurales Wissen, Ex-
pert*innenwissen, Erfahrungswissen usw.) organisiert.
C. Schwegler (*)
Institut für Germanistik, Germanistische Linguistik, Universität Koblenz-Landau,
Koblenz, Deutschland
E-Mail: carolin.schwegler@uni-koeln.de
V. Romotzky
Prodekanat für akademische Entwicklung und Gender, Medizinische Fakultät,
Universität zu Köln, Köln, Deutschland
E-Mail: vanessa.romotzky@uk-koeln.de
C. Woopen
CERES (Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health),
Universität zu Köln, Köln, Deutschland
E-Mail: christiane.woopen@uni-koeln.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil
von Springer Nature 2023
A. Baumeister et al. (Hrsg.), Facetten von Gesundheitskompetenz in einer
Gesellschaft der Vielfalt, Schriften zu Gesundheit und Gesellschaft – Studies on
Health and Society 6, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65586-3_8
112
Samerski kritisiert aus sozialwissenschaftlicher Sicht treffend, dass soziale und
kulturelle Dimensionen von Gesundheitswissen in gängigen Verständnissen von
Gesundheitskompetenz unberücksichtigt bleiben, Wissen aber mehr ist als nur „im
Kopf sitzende […] Informationen“ (Samerski in diesem Band). Diese wertvolle Er-
weiterung des Wissensbegriffs für die Debatte zur Gesundheitskompetenz betrifft
die Art von Wissen, d.h. gefordert wird die Berücksichtigung zusätzlicher Wissens-
bestände. Aus linguistischer Perspektive kann eine weitere gewinnbringende Be-
trachtungsweise – insbesondere für medizinische Beratungsgespräche und deren
Erfolg– ergänzt werden: Informationen sind zwar ein wesentliches Element von
Wissensvermittlung und Beratung, Gespräche bestehen aber nicht nur aus Inhalten,
sondern umfassen auch eine interaktive Komponente (Deppermann 2013), die häu-
g zu wenig Beachtung ndet. Dies ist beispielsweise im Rahmen der „traditional
knowledge-based health education“ (Nutbeam und Lloyd 2021, S.168) der Fall.
Wissen wird hierbei oft im Sinne von Informationen verstanden, die unidirektional
vermittelt und auf Patient*innenseite behalten werden müssen. Als Gütekriterien
werden dabei vor allem die Qualität und die Situation der Wissensvermittlung auf
der ärztlichen Seite und die Informationsaufnahme auf der Patient*innenseite be-
trachtet.
Für Entscheidungsprozesse in medizinischen Kontexten ist eine ärztliche Auf-
klärung und Beratung (im Folgenden Beratungsgespräch) im Sinne einer angemes-
senen und verständlichen Informationsvermittlung ethisch geboten und oft rechtlich
notwendig. Im Rahmen der Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz wird empfoh-
len, die Beratungsgespräche nicht nur mit Patient*innen zu führen, sondern eine
angehörige Person einzubeziehen (Rostamzadeh und Jessen 2020). Angemessene
und optimal aufbereitete Informationen sind aber nur eine von diversen Gelingens-
bedingungen von (Beratungs-)Gesprächen zwischen Ärzt*innen und Patient*innen
(und Angehörigen). Es gibt keine Garantie dafür, dass bzw. wie die Entscheidungs-
ndung der Patient*innen wirklich an die klinische Informationsvermittlung ge-
knüpft ist. Tatsächlich deuten Studien im Prädiktionsbereich eher auf eine geringere
Bedeutung letzterer hin (Blakeslee et al. 2017). Für die Verbesserung der Bera-
tungsgespräche zur Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz lohnt sich somit ein
Blick auf weitere Aspekte, die Patient*innen und Angehörige sprachlich als Wis-
sensquellen explizit angeben oder mittels Positionierungen in Gesprächen (Lucius-
Hoene und Deppermann 2004, sieheAbschn. 8.3) als Träger*innen epistemischer
Autorität auszeichnen.
Dieser Beitrag stellt zunächst das Thema der Risikoprädiktion der Alzheimer-
Demenz vor, das aufgrund seiner Komplexität ein gutes Untersuchungsbeispiel für
die Frage nach Wissensbeständen und Wissensquellen in einem gesundheitsbezoge-
nen Entscheidungsprozess darstellt. Anschließend wird auf linguistische Grund-
verständnisse von Wissen im Gespräch und zentrale Ansatzpunkte der Analyse
ein gegangen. Die darauffolgend vorgestellten Ergebnisse wurden induktiv aus
Gesprächsdaten mit betroffenen Patient*innen und Angehörigen herausgearbeitet,
C. Schwegler et al.
113
die im Nachgang eines Beratungsgesprächs im Rahmen der PreDADQoL-Studie1
zu ihren Einstellungen und Erwartungen an eine Risikoprädiktion der Alzheimer-
Demenz befragt wurden. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass nicht-ärztliche Wis-
sensquellen bei gesundheitsbezogenen Entscheidungen bedeutsam sind. Sie sollten
eingehender beforscht werden und können Beratungsgespräche zur Prädiktion be-
reichern.
8.2 Der Beratungs- und Entscheidungsprozess
zur Risikoprädiktion
Eine Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz fußt auf einer biomarkerbasierten Früh-
erkennung der Alzheimer-Erkrankung (Alzheimer’s Disease, AD), meist bei Pati-
ent*innen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (mild cognitive impairment,
MCI). Da Therapien zur Beeinussung des Krankheitsverlaufs der AD bis heute nicht
existieren (Jessen und Haass 2019; Jessen 2020), eine Risikovorhersage der Alzhei-
mer-Demenz aber möglich ist, wirft dies ethische und rechtliche Fragen auf, die die
Aufklärung, Information und Beratung der Patient*innen und der nahen Angehörigen
betreffen (Schmitz-Luhn etal. 2019). Die Risikoprädiktion der Alzheimer- Demenz
hat keinen Einuss auf den Krankheitsverlauf der AD, sie ist somit medizinisch nicht
notwendig, wird aber von Betroffenen z.T. gewünscht, wenn sie von der Möglichkeit
erfahren, Risikowissen zu erlangen. Vor der selbstbestimmten Entscheidung, ob eine
Prädiktion durchgeführt werden soll oder nicht, muss ein Beratungsgespräch stattn-
den, das nach aktuellem Forschungsstand relativ viele komplexe inhaltliche Informa-
tionen enthält (Schwegler 2021, S.364; Alpinar-Sencan und Schicktanz 2020; Rost-
amzadeh und Jessen 2020), die für die Entscheidungsndung bedeutsam sind.
Hinsichtlich der zu vermittelnden Inhalte ist eine grundlegende Herausforderung
für die Prädiktionsberatung, dass das Verständnis der komplexen Zusammenhänge
zwischen der Erkrankung (AD) und dem Symptom (Demenz) geklärt wird. AD
steht in Verbindung mit dem Auftreten von zerebralen Amyloidablagerungen und
der Aggregation von Tau-Protein (Jack etal. 2018, S.1). Für die Entwicklung des
Symptoms Demenz kann (für den Zeitraum der nächsten drei bis fünf Jahre) eine
Wahrscheinlichkeitsvorhersage getroffen werden (Vos etal. 2015). Nach derzeiti-
gem Sachstand istfür ein bestmögliches probabilistisches Ergebnis eine Lumbal-
punktion erforderlich, bei der die o.g. Biomarker in der punktierten Flüssigkeit
untersucht werden.
Weitere inhaltsbezogene Herausforderungen sind u.a. das generelle Verständnis
von Wahrscheinlichkeiten, das Antizipieren der Auswirkungen von Risikowissen
1 Die Datenbasis dieses Textes wurde im Era-Net-Neuron Projekt PreDADQoL (Fkz: 01GP1624)
erhoben, die Gespräche wurden im Rahmen des Projekts PreDADQoL sowie im Era-Net-Neuron
Projekt PreTAD (Fkz: 01GP2123A) ausgewertet. Die Autor*innen danken den beteiligten Ärzt*in-
nen der Uniklinik Köln sowie den Patient*innen und Angehörigen für ihren Beitrag und ihre Un-
terstützung.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
114
auf die Lebensqualität und das Wohlbenden, die emotionale, soziale und rechtliche
Situation sowie die Frage, ob von Betroffenen verstanden wird, dass die Prädiktion
nur ein Risikowissen vermitteln kann und keine Diagnose oder Therapie darstellt
(Schmitz-Luhn etal. 2019; Rostamzadeh etal. 2021).
Im Bereich der medizinischen Prädiktion, in dem es um komplexes Wissen geht,
zeigt sich die Tendenz, dass sich die Ideen zu Gesprächsstrategien bei gesteigerter
Komplexität des Gesprächsthemas verstärkt auf die Informationsvermittlung kon-
zentrieren (Was muss vermittelt werden?). Der Aspekt der gemeinsamen Wissens-
generierung und der interaktive Wissensabgleich, die ebenfalls zur Verständnissi-
cherung beitragen, treten somit in der Forschung– und ggf. auch im konkreten
Gespräch in der klinischen Praxis– zunächst in den Hintergrund. Dies kann daran
liegen, dass die zu vermittelnden Inhalte selbst z.T. noch Gegenstand der Forschung
und wissenschaftlichen Aushandlung sind (Schmitz-Luhn et al. 2019; Alpinar-
Sencan und Schicktanz 2020). Ebenso lassen bisherige Empfehlungen vermuten
(Harkins etal. 2015; Herukka etal. 2016; Johnson etal. 2013; Shaw etal. 2018),
dass die gesteigerte Komplexität der Themen auch die Menge der zu vermittelnden
Aspekte beeinusst. Dies könnte wiederum mit der begrenzten Zeit für Gespräche
in der klinischen Praxis in Konikt geraten, wodurch kaum Raum für gemeinsame
Wissensgenerierung und interaktiven Wissensabgleich bleiben könnte. Eine andere
Begründung liefert Holmberg (in diesem Band): Sie sieht diese unausgewogene
Priorisierung von Wissensarten und Zugängen in der Haltung begründet, die mit der
evidenzbasierten Medizin einhergeht.
8.3 Wissen im Gespräch
Betrachtet man Gespräche als linguistische Untersuchungsgegenstände, muss zu-
nächst die Perspektive eingenommen werden, dass in Gesprächen intersubjektiv
geteilter Sinn hergestellt wird (Deppermann 2008, S.9). Wissen wird also gemein-
sam konstituiert und gegenseitig vermittelt. Insbesondere bei helfender Interaktion
oder Beratungsgesprächen2 sind dabei gewisse Wissensasymmetrien vorhanden
(Linell und Luckmann 1991; Pick 2017; Graf und Spranz-Fogasy 2018). Die Wis-
sensasymmetrien dieser medizinischen Gespräche bestehen aber nicht etwa aus
Wissen auf der einen Seite und Nicht-Wissen auf der anderen Seite, sondern viel-
mehr zwischen den verschiedenenWissensbeständen, d.h. zwischen Expert*innen-
bzw. Fachwissen und (u.a. körperlichem) Erfahrungswissen, biograschem Wissen
oder auch Alltags- und Weltwissen (siehe hierzu Samerski und Holmberg in diesem
2 Gespräche zwischen Ärzt*innen und Patient*innen sind ein typisches Beispiel helfender und be-
ratender Interaktion. Der Unterschied zwischen letzterer ist nicht klar deniert und stark vom
Themenbereich und der (Forschungs-)Perspektive abhängig. I.d.R. wird der Begriff Beratungsge-
spräch thematisch breiter gefasst (Pick 2017, S.428), helfende Interaktionen– wie sie Graf und
Spranz-Fogasy (2018, S.419) beschreiben– betreffen v.a. professionell-helfende Interaktionsty-
pen, wie Gespräche in Medizin, Psychotherapie oder Coaching. Natürlich enthalten auch helfende
Interaktionen beratende Anteile.
C. Schwegler et al.
115
Band). Das heißt, Wissen ist eine Größe, die allen Gesprächsteilnehmenden zuge-
schrieben werden kann. Damit der notwendige gegenseitige Wissensabgleich im
Gespräch gelingt, bemühen sich Gesprächsteilnehmende i.d.R. um „sprachliche
Akkommodation“ (Imo 2019),3 Ärzt*innen greifen außerdem auf routinisierte kom-
munikative Praktiken zurück (Günthner 2017, S.4), die bei der Analyse wiederum
als musterhaft/sprachliche Muster erkannt werden können.
Eine große Rolle für das Gelingen von Gesprächen spielt zweifelsohne deren
Beziehungsseite (Graf und Spranz-Fogasy 2018, S.419), für die das Verständnis
von Gesprächen als Interaktion maßgeblich ist. Die Beziehungsseite von Gesprä-
chen ist aber weniger gut greifbar als die Inhaltsseite und viel stärker von der Bezie-
hungsgestaltung aller Beteiligten abhängig. Aspekte der Beziehungsgestaltung sind
dementsprechend nur schwer vorzubereiten oder gar zu standardisieren. Unterstüt-
zung bieten hier Ergebnisse linguistischer Untersuchungen von Gesprächen zwi-
schen Ärzt*innen und Patient*innen, wie beispielsweise von Spranz-Fogasy (1987,
2014); Bentz et al. (2016); Günthner (2017) oder die zahlreichen Arbeiten von
Gülich (u.a. Brünner und Gülich 2002), die sich auf die konkrete Äußerungsebene
beziehen. Ebenso hilfreich sind inhalts-, aber auch sprachbezogene Ergebnisse aus
begleitenden Patient*innenbefragungen über die Ärzt*innen-Patient*innen-Ge-
spräche bzw. deren Thematik, wie die folgenden Einblicke zeigen.
In den hier untersuchten Gesprächen, die im Nachgang der ärztlichen Beratungs-
gespräche stattfanden, werden a) explizit genannte und b) durch Positionierungen
sichtbar werdende Wissensbestände und alternative Wissensquellen der Patient*in-
nen herausgearbeitet.4 Es geht in dieser Untersuchung nicht um Epistemic Stance,
d.h. die wissensbezogene Haltung der Gesprächsteilnehmenden zu einem Thema
(Deppermann 2018),5 sondern vielmehr um Epistemic Status (Heritage 2012) der
Sprecher*innen, also um das Vorwissen (inklusive Rollenverständnis, erworbene
Erkenntnisse und Erfahrungen) und um weitere/dritte Träger*innen epistemischer
Autorität, die explizit und implizit als solche angegeben werden. Diese können be-
stimmte (und unbestimmte) Personen sein, aber auch andere Entitäten (z.B. öffent-
liche Medien, siehe Abschn.8.4.5). Da von Seiten der Interviewenden nicht direkt
nach Wissensquellen und Autoritäten gefragt wurde, nden sich entsprechende Äu-
ßerungen in narrativen Sequenzen sowie (Selbst-)Positionierungen der Gesprächs-
teilnehmenden. Positionierung bezeichnet nach Lucius-Hoene und Deppermann
(2004) sprachliche Praktiken,
3 Imo (2019, S.269) deniert sprachliche Akkommodation in Anlehnung an Coupland und Coup-
land (1988) als in „einem weiten Sinne […] wechselseitige Passungsprüfung sprachlicher und in-
teraktionaler Strukturen im Verlauf [jeder normalen] Interaktion.“
4 Wissensbezogene Prozesse sind nicht direkt zugänglich, dieser Mangel kann aber durch die Ana-
lyse und Interpretation von erzähltem Wissen und Verhalten zugänglich gemacht werden. Hilfreich
sind dabei die Accounting Practices, d.h. die „Bemühungen der Akteure, im Vollzug von Hand-
lungen immer auch für deren Verstehbarkeit, Plausibilität und Intelligibilität“ (Bergmann und
Quasthoff 2010, S.25) zu sorgen.
5 Hierbei handelt es sich um den Anspruch auf einen gewissen Wissensbestand. Epistemic Stance
wird u.a. durch Äußerungen wie ich denke, ich weiß, ich vermute, wahrscheinlich usw. angezeigt.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
116
mit denen Menschen sich selbst und andere in sprachlichen Interaktionen auf einander be-
zogen als Personen her- und darstellen, welche Attribute, Rollen, Eigenschaften und Motive
sie mit ihren Handlungen in Anspruch nehmen und zuschreiben […]. [Eine linguistische
Analyse von (Selbst-)Positionierungen] fokussiert diejenigen Aspekte sprachlicher Hand-
lungen, mit denen ein Sprecher sich in einer Interaktion zu einer sozial bestimmbaren Per-
son macht, eben eine bestimmte Position im sozialen Raum für sich in Anspruch nimmt und
mit denen er dem Interaktionspartner zu verstehen gibt, wie er gesehen werden möchte
(ebd. S.168f.).
Die Fragen danach, welches Vorwissen Patient*innen mitbringen und über welche
Wissensquellen sie verfügen, kann somit sowohl über direkte (narrative) als auch
über indirekte (positionierende) Äußerungen zugänglich gemacht werden. Narrative
und positionierende Äußerungen können darüber hinaus mitunter aufzeigen, welche
Wissensquellen für den Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion der Alzheimer-
Demenz als glaub- und vertrauenswürdig eingeschätzt werden und wie stark das
(Vor-)Wissen und die entsprechenden Autoritätsträger*innen mit den ärztlich ver-
mittelten Informationen und den Ärzt*innen in Konkurrenz stehen. Diese Erkennt-
nisse können hilfreiche Zusatzinformationen darstellen, um in entsprechenden Be-
ratungsgesprächen einen besseren (ggf. schnelleren) Zugang zur gemeinsamen
Sinnherstellung und Wissensgenerierung zu erreichen.
8.4 Wissensquellen zum Thema der Risikoprädiktion der
Alzheimer-Demenz
Es wurden 32 Gespräche (je 30–60 Minuten) mit 16 Personen in Form von episodi-
schen Interviews (Flick 2000, 2011) erhoben und untersucht.6 Die Gesprächsbetei-
ligten sind Interviewende aus dem Bereich der Gesundheitsforschung sowie acht
Patient*innen mit MCI und je eine angehörige Person von diesen Patient*innen.
Alle Proband*innen wurden an zwei Zeitpunkten interviewt: eine Woche nach ei-
nem ärztlichen Beratungsgespräch zur Prädiktion der Alzheimer-Demenz sowie
drei Monate nach dem ersten Gespräch. Die Hälfte der Patient*innen hat eine Prä-
diktion durchführen lassen.
Das Gesprächsthema ist die Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz, insbeson-
dere die Einstellungen dazu und die Erwartungen, die damit verbunden werden.
Wissen und Wissensquellen wurden nicht abgefragt, dennoch zeigte sich, dass in
narrativen Passagen sehr regelmäßig auf Träger*innen epistemischer Autorität
verwiesen wurde. Verschiedene Kategorien dieser Autoritäten (siehe Abschn.8.4.1,
8.4.2, 8.4.3, 8.4.4 und 8.4.5) sowie damit verbundene auffällige handlungsanlei-
6 In diesem Beitrag werden einzelne direktzitierte Ausdrücke aus den Gesprächen ebenso wie Ka-
tegorien und Konzepte kursiv hervorgehoben. Da es sich bei der Ergebnisdarstellung nicht um
längere Transkriptausschnitte, sondern um musterhaft vorkommende Mehrwortverbindungen han-
delt, die sowohl von Patient*innen als auch von Angehörigen eingesetzt wurden, werden diese
zusammengefasst als Sprecher*innen bezeichnet und nur dann unterschieden, wenn die andere
Gruppe ausgeschlossen werden soll.
C. Schwegler et al.
117
tende (emotive) Faktoren (siehe Abschn. 8.4.6) stehen im Folgenden im Fokus. Ein
Teil der genannten epistemischen Autoritäten sind darüber hinaus die jeweiligen
behandelnden Ärzt*innen, die von den Proband*innen namentlich erwähnt werden.
Sie nehmen gegenüber anderen Wissensquellen aber keine quantitative oder quali-
tative Sonderstellung ein. Weitere Wissensbestände und -quellen werden nun
beispielhaft erläutert, sie können in folgende übergeordnete Kategorien einge-
teilt werden:
(1) (ehemaliger) medizinnaher beruicher Hintergrund
(2) Demenzerkrankungen im sozialen Umfeld
(3) weitere Krankheitserfahrungen(neben AD/Demenz)
(4) unbestimmtes (Allgemein-)Wissen
(5) (mediale) Öffentlichkeit
8.4.1 Der (ehemalige) medizinnahe beruiche Hintergrund
Eine zentrale Wissensquelle, die in explizit wissensstützenden Äußerungen, aber
v.a. auch in Form von Positionierungen angegeben wird, ist der (ehemalige) beruf-
liche oder ehrenamtliche Hintergrund der Sprecher*innen, ihrer Partner*innen oder
weiterer nahestehender Familienmitglieder. Dieses Wissen wird als sehr vertrauens-
würdig dargestellt. Äußerungen zum (ehemaligen) medizinischen/medizinnahen
Beruf werden im Allgemeinen insbesondere deshalb als Selbst- und Fremdpositio-
nierungen in gesundheitsbezogene Gespräche eingebunden, da sie eine relevante
Funktion bei der sprachlichen Akkommodation und der Aushandlung der Wis-
sens(a)symmetrie mit den jeweiligen (ärztlichen/interviewenden) Gesprächspart-
ner*innen besitzen. Hier wird deutlich, dass die Thematisierung von Wissen nicht
immer nur der Wissensvermittlung dient, sondern der entsprechende Wissensbe-
stand mit sozialen Kategorien assoziiert ist (Deppermann 2018, S.119).
Dieser Typ des epistemischen Status kann mitunter (Vor-)Wissen zu klinischem
Prozedere und klinischen Eingriffen beinhalten, das bei älteren Sprecher*innen
nicht mehr dem aktuellen Stand der Praxis entspricht. Hier können im Beratungsge-
spräch Missverständnisse entstehen und sich ggf. längerfristig halten, wenn vermu-
tetes geteiltes prozedurales Wissen nicht explizit abgeglichen wird. Letzteres gilt
nicht nur für veraltete Informationen, sondern auch für medizinisches Vorwissen
und die medizinische Registernutzung7 (Sprachwissen) im Allgemeinen, da dies
eine hohe Wissenssymmetrie vermuten lässt, aber schlussendlich nur wenig über
das Verständnis von Risikoprädiktionen oder Wahrscheinlichkeiten aussagt.
Für die Wissensquelle (ehemaliger) medizinnaher beruicher Hintergrund kann
darüber hinaus festgestellt werden, dass sie sehr musterhaft auftritt. Ob dies Zufall
7 Unter Register wird nach Dittmar (1997, S.10) eine Art Varietät (systemische Existenzform des
Sprechens) verstanden, die in erheblichem Maße durch die Situation, das Interaktionsverhältnis,
die Rolle und den Gesprächsgegenstand (Thema) gekennzeichnet ist.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
118
ist, mit der Population von Gedächtnisambulanzen zusammenhängt oder ob Betrof-
fene bei einer solch komplexen Angelegenheit wie der Risikoprädiktion der
Alzheimer- Demenz vielleicht intensiv nach medizinischer Hilfe im Familienkreis
suchen, kann nicht erschlossen werden. Um die mit diesen Wissensquellen verbun-
denen Wissensbestände im Beratungsgespräch berücksichtigen zu können, sollte
auf beiläuge Erwähnungen geachtet oder Hintergründe explizit erfragt werden.
8.4.2 Demenzerkrankungen im sozialen Umfeld
Es ist sehr auffällig, dass die Sprecher*innen musterhaft von Demenzkranken aus
ihrem sozialen Umfeld berichten. Ob dies zufällig passiert, mit der Population von
Gedächtnisambulanzen zusammenhängt oder ob Betroffene nach Beispielen in ih-
rem sozialen Umfeld suchen bzw. sich stärker mit Personen mit Demenz aus ihrem
sozialen Umfeld auseinandersetzen, da sie nun selbst möglicherweise betroffen
sind, kann nicht festgestellt werden. Als Wissensquelle betrachtet sind demenzielle
Personen im sozialen Umfeld eine sehr erfahrungsbasierte Kategorie, i.d.R. han-
delt es sich um erstpersonale Erfahrungen, d.h. um Erfahrungen mit Demenzkran-
ken, die selbst gemacht wurden (im Gegensatz zu Erzähltem, Angelesenem oder
Gesehenem (z.B. in Filmen)). Anders als beim medizinnahen beruichen Hinter-
grund werden nicht nur Familienmitglieder als Wissensquellen angeführt, sondern
auch entferntere Verwandte und Nachbar*innen. Insgesamt wird die epistemische
Autorität in dieser Kategorie im konkreten Gespräch von den Betroffenen v.a. für
die Schnelligkeit des Eintritts der Erkrankung und die Häugkeit bzw. Sicherheit
beansprucht, mit der die Demenz in Familien auftritt, in der schon frühere/weitere
Demenzfälle vorhanden sind. Insbesondere von Angehörigen werden die narrativen
Sequenzen zu ihren Erfahrungen mit Demenzkranken von Ausdrücken wie schlimm,
grausam oder unglaublich begleitet. Dies könnte auf die (antizipierte) Belastungs-
situation hindeuten, die für Angehörige mit der Prädiktionsmöglichkeit der Pati-
ent*innen nun früher zum Thema wird (Largent und Karlawish 2019). Das Vorwis-
sen bzw. bisherige Erfahrungen mit Demenzkranken, die Belastungssituation für
Angehörige und Möglichkeiten zum Austausch mit anderen betroffenen Angehöri-
gen von Personen in Prä-Demenzstadien sollten im Beratungsgespräch neben wei-
teren Formen möglicher Unterstützung adressiert werden.
8.4.3 Weitere Krankheitserfahrungen
Krankheitserfahrungen, die als Wissensquelle und zum Vergleich herangezogen
werden, die jedoch nichts mit der AD, der Alzheimer-Demenz oder einer anderen
Form von Demenz zu tun haben, sind im Gegensatz zur vorherigen Kategorie eher
positiv konnotiert. Es werden lebensbedrohliche eigene Erkrankungen oder Erkran-
kungen enger Familienmitglieder angeführt, die trotz schlechter Ausgangslage
C. Schwegler et al.
119
überwunden wurden. Das Erfahrungswissen aus dieser Kategorie enthält neben all-
gemeiner Hoffnung z.T. auch Hinweise auf den Glauben an medikamentöse Lösun-
gen und das Vertrauen auf ärztliche Empfehlungen. Im Kontext der Risikoprädik-
tion der Alzheimer-Demenz werden keine ärztlichen Empfehlungen ausgesprochen,
da die prädiktive Untersuchung medizinisch nicht notwendig ist und keine Auswir-
kungen auf den Krankheitsverlauf hat. Bei den beratenden Erklärungen sollte auf
neutrale Formulierungen geachtet und wertende Konnotationen vermieden werden,
da letztere bei starker Vertrauensbasis als Empfehlungen verstanden werden können.
Erstpersonale Erfahrungen, wie sie bei einer eigenen Erkrankung gemacht wer-
den, sind besonders sichere Wissensquellen (d.h. umfassend vertrauenswürdig für
die betroffene Person selbst). Die entsprechende Krankheit, die von Betroffenen
aktiv zum Vergleich genutzt wird, sollte im Beratungsgespräch aufmerksam auf Un-
terschiede zu AD, der Alzheimer-Demenz oder einer anderen Form von Demenz
geprüft werden, damit keine Übertragungsfehler entstehen.
8.4.4 Unbestimmtes (Allgemein-)Wissen
Das Auftreten der anderen als generalisierte Größe ist ebenfalls eine typische epis-
temische Kategorie, die herausgearbeitet werden konnte. Die Formen, mit denen
hier Epistemic Stance angezeigt wird, sind vermutend (ich vermute, ich könnte mir
vorstellen, vielleicht). Generalisierungen (man, die, andere) werden v.a. im Zuge
der Darstellung vagen Wissens zum Umgang mit Demenz oder Demenzkranken
eingesetzt. Vages Allgemein- und Weltwissen enthält tendenziell Anteile von Vorur-
teilen, einseitigen Vorstellungen und Stereotypen, die in einem Beratungsgespräch
adressiert und abgebaut werden können. Die Beispiele dieser Kategorie eröffnen
nicht, woher das vage Wissen genau stammt und ob es für glaubwürdig gehalten
wird. Vages, generalisiertes Wissen wird jedoch weniger detailliert beschrieben, ist
somit weniger konkret und fest in den Wissensbeständen der Betroffenen verankert.
Verwenden Patient*innen und Angehörige im Beratungsgespräch Generalisierun-
gen, bietet dies einen Ankerpunkt für die Möglichkeit zur gemeinsamen Wissensge-
nerierung und ggf. auch zum Abbau von Vorurteilen, die im Krankheitsverlauf zu
(Selbst-)Stigmatisierungen führen könnten.
8.4.5 Die (mediale) Öffentlichkeit
Die Wissensquelle mediale Öffentlichkeit, die Alltags- und Weltwissen eröffnet,
kann ebenfalls mit Äußerungen von Generalisierungen in Verbindung stehen. Aller-
dings werden hierbei z.T. zusätzlich konkrete Medien, Inhalte und Zitate aufge-
führt. Übliche genannte Quellen sind Zeitungsartikel zum Thema Risikoprädiktion
der Alzheimer-Demenz, Interviews mit dem klinischen Personal einer (oder der
studienbeteiligten) Gedächtnisambulanz und eine aktive Recherche im Internet.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
120
Ebenso werden vereinzelt Romane genannt, die das Thema Demenz literarisch ver-
arbeiten. Aufgrund der deutlichen Trägerschaft von epistemischer Autorität dieser
Wissensquellen und des guten Zugangs bietet sich eine mediendiskursanalytische
Untersuchung an (Busch 2015), die aktuell für den Bereich der Prädiktion noch
nicht vorliegt (Schwegler 2021, S.374). Zum öffentlichen Verständnis von Demenz
liegen hingegen Studien vor (u.a. Zeilig 2014). Die Ergebnisse einer Mediendis-
kursanalyse zum Thema Prädiktion könnten weitere potentielle Herausforderungen
für das gegenseitige Verständnis in Beratungsgesprächen aufdecken.
8.4.6 Handlungsanleitende (emotive) Faktoren
In den Gesprächsdaten nden sich im Umfeld der genannten Wissensbestände
und-quellen konkrete Hinweise auf handlungsanleitende, eher emotive Faktoren,
die dazu beigetragen haben, dass von den Patient*innen gesundheitsrelevante Ent-
scheidungen getroffen wurden. Dies umfasst sowohl die Entscheidung für als auch
gegen eine Prädiktion sowie die generelle Entscheidung, eine Gedächtnisambulanz
aufzusuchen. Die genannten handlungsanleitenden, emotiven Faktoren sind erstens
die Motivation der Patient*innen, ausgelöstdurch den FaktorFamilienmitglieder,
sowie zweitens altruistische Gedanken. Letztere nden sich bei Patient*innen, die
wenig Hoffnung auf die Verbesserung ihres eigenen Gesundheitszustands haben.
Sie geben an, wenigstens der Forschung oder anderen Leuten helfen zu wollen.
Der weit auffälligere Faktor ist die Motivation der Patient*innen, ausgelöstdurch
den FaktorFamilienmitglieder. Diese Motivationkann eher aktiv ausgelöst worden
sein, indem sich Familienmitglieder stark am Prozess beteiligt haben. Als hand-
lungsanleitende Gründe werden hier wiederum ebenfalls Sorge, ein entsprechendes
Rollenverständnis oder generelle Eigeninitiative genannt. Die aktive familiäre Be-
teiligung (z. B. das Ausmachen des ersten Termins in der Gedächtnisambulanz)
motiviert die Patient*innen zu gesundheitsrelevanten Entscheidungen. Die Motiva-
tion der Patient*innenkann aber auch passiv ausgelöst worden sein, z.B. indem die
Angehörigen zwar nicht aktiv wurden, die Patient*innen ihre Entscheidungen aber
aufgrund von Sorge um ihre Familienmitglieder getroffen haben, etwa mit dem Ge-
danken, diesen (schneller) zur Last zu fallen, wenn nicht frühzeitig gehandelt wird.
Motivation ist neben Wissen ein weiterer zentraler Baustein von Gesundheitskom-
petenz (Sørensen etal. 2012, S.83). Die Angaben zur Motivation durch den Fak-
torFamilienmitglieder enthalten stark emotive Ausdrucksweisen und spielen eine
zentrale Rolle bei der Entscheidungsndung. Der große Einuss emotiver Faktoren
auf gesundheitsrelevante Entscheidungen wird auch von Blakeslee etal. (2017) im
Rahmen der Brustkrebsprädiktion hervorgehoben.
C. Schwegler et al.
121
8.5 Fazit und Ausblick
Dieser Beitrag geht von einem linguistischen Verständnis von Gespräch als Interak-
tion aus, das als zentrale Elemente die gemeinsame Wissensgenerierung und den
interaktiven Wissensabgleich enthält. Diese können neben inhaltlich relevanten As-
pekten in Beratungsgesprächen zur Verständnissicherung beitragen. Um den He-
rausforderungen der Beratungsgespräche– hier bezüglich der komplexen Risikoprä-
diktion der Alzheimer-Demenz– besser begegnen zu können, wurden in diesem
Text inhalts-, aber auch sprachbezogene Ergebnisse aus Interviews mit Patient*in-
nen und Angehörigen (d.h. Gespräche über Gespräche und ihre Themen) herange-
zogen und vorgestellt.
In den untersuchten Gesprächen, die im Nachgang der ärztlichen Beratungsge-
spräche stattfanden, wurden Wissensbestände und alternative Wissensquellen der
Patient*innen und Angehörigen aus Äußerungen und Positionierungen herausgear-
beitet und in fünf übergeordnete Kategorien unterteilt (Abschn.8.4.1, 8.4.2, 8.4.3,
8.4.4 und 8.4.5). Innerhalb dieser Kategorien zeigen sich zunächst verschiedene
relevante Typen von Wissensbeständen, z. B. (erstpersonales) Erfahrungswissen,
Sprachwissen, prozedurales Wissen sowie (vages) Alltags- und Weltwissen, die je-
weils zu unterschiedlichen Empfehlungen für die Praxis der Beratungsgespräche
führen.
Die Erkenntnisse zu verschiedenen Wissensbeständen und -quellen können hilf-
reiche Zusatzinformationen darstellen, um in entsprechenden Beratungsgesprächen
einen besseren (ggf. schnelleren) Zugang zur gemeinsamen Sinnherstellung und
Wissensgenerierung zu erreichen. Ableitungen der Ergebnisse, wie Vorschläge zur
Klärung des Bezugs der Betroffenen zu medizinischen Berufen, zur expliziten Dar-
legung der Belastung durch Erfahrungswissen und daraus resultierenden Vorstel-
lungen, zur kritischen Prüfung von Übertragungspotenzial von Erfahrungswissen
zu anderen Krankheiten und zur Beachtung von eingesetzten Generalisierungen,
verdeutlichen die Relevanz nicht-ärztlicher Wissensquellen in gesundheitsbezoge-
nen Entscheidungsprozessen. Sie zeigen den Bedarf an weiterführenden Untersu-
chungen an und bergen Potential für die Anpassung von (Prädiktions-)Beratungsge-
sprächen.
Neben einer konkreten Erörterung, welche Wissensbestände Patient*innen und
Angehörige im Gespräch offenbaren, kann auch eine Untersuchung der öffentlichen
Meinung zum Thema (hier Risikoprädiktion der Alzheimer-Demenz), z.B. über
eine diskursive Untersuchung der medialen Öffentlichkeit weiteren Aufschluss da-
rüber geben, mit welchem Wissen und mit welchen Perspektiven Betroffene in ärzt-
liche Beratungsgespräche gehen. Gerade in Zeiten von Fake News (Kohring und
Zimmermann 2020) und einer Pandemie, in der Zweifel an der Wissenschaft ver-
stärkt auch medizinische Themen und Autoritäten betreffen, kann ein Blick auf
Wissensgenerierung, Glaubwürdigkeits- und Vertrauensaspekte sowie typische
Träger*innen von epistemischer Autorität helfen, Entscheidungsprozesse nach-
zuvollziehen und Beratungsgespräche anpassen zu können.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
122
Literatur
Alpinar-Sencan, Z., und S.Schicktanz. 2020. Addressing ethical challenges of disclosure in de-
mentia prediction: Limitations of current guidelines and suggestions to proceed. BMC Medical
Ethics 21 (1): 33. doi: https://doi.org/10.1186/s12910- 020- 00476- 4.
Bentz, M., M. Binnenhei, G. Coussios, J. Gruden, W. Imo, L. Korte, T. Rüdiger, A. Ruf-
Dördelmann, M.R.Schön, und S.Stier. 2016. Von der Pathologie zum Patienten: Optimierung
von Wissenstransfer und Verstehenssicherung in der medizinischen Kommunikation. Ar-
beitspapierreihe Sprache und Interaktion 72. http://arbeitspapiere.sprache- interaktion.de/ar-
beitspapiere/arbeitspapier72.pdf. Zugegriffen am 06.02.2022.
Bergmann, J., und U.M. Quasthoff. 2010. Interaktive Verfahren der Wissensgenerierung. Metho-
dische Problemfelder. In Wissen in (Inter-)Aktion. Verfahren der Wissensgenerierung in unter-
schiedlichen Praxisfeldern, Hrsg. U.Dausendschön-Gay, C. Domke und S. Ohlhus, 21–37.
Berlin/New York: De Gruyter.
Blakeslee, S.B., W.McCaskill-Stevens, P.A.Parker, C.M.Gunn, H.Bandos, T.B.Bevers, T.A.Bat-
taglia, A.Fagerlin, J.Müller-Nordhorn, und C.Holmberg. 2017. Deciding on breast cancer risk
reduction: The role of counseling in individual decision-making– A qualitative study. Patient
education and counseling 100 (12): 2346–2354.
Brünner, G., und E. Gülich. 2002. Verfahren der Veranschaulichung in der Experten-Laien-
Kommunikation. In Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache in Krankheits-
darstellungen, Hrsg. G.Brünner und E.Gülich, 17–94. Bielefeld: Aisthesis.
Busch, A. 2015. Medizindiskurse: Mediale Räume der Experten-Laien-Kommunikation. In Spra-
che in der Medizin, Hrsg. A.Busch und T.Spranz-Fogasy, 369–388. Berlin/Boston: De Gruyter.
Coupland, N., und J.Coupland. 1988. Accommodating the elderly: Invoking and extending a the-
ory. Language in Society 17: 1–41.
Deppermann, A. 2008. Gespräche analysieren. 4. Au. Wiesbaden: VS.
Deppermann, A. 2013. Interview als Text vs. Interview als Interaktion. Forum Qualitative Sozial-
forschung 14 (3): 13. http://www.qualitative- research.net/index.php/fqs/article/view/2064. Zu-
gegriffen am 06.02.2022.
Deppermann, A. 2018. Wissen im Gespräch. In Handbuch Text und Gespräch, Hrsg. K.Birkner
und N.Janich, 104–142. Berlin/Boston: De Gruyter.
Dittmar, N. 1997. Grundlagen der Soziolinguistik– Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Tübingen:
Niemeyer.
Flick, U. 2000. Episodic Interviewing. In Qualitative Researching with Text, Image and Sound: A
Practical Handbook. Hrsg. M.Bauer und G.Gaskell, 75–92. London: SAGE.
Flick, U. 2011. Das Episodische Interview. In Empirische Forschung und Soziale Arbeit, Hrsg.
G.Oelerich und H.U.Otto, 273–280. Wiesbaden: VS.
Graf, E.-M., und T.Spranz-Fogasy. 2018. Helfende Berufe– helfende Interaktionen. In Handbuch
Text und Gespräch, Hrsg. K.Birkner und N.Janich, 419–443. Berlin/Boston: De Gruyter.
Günthner, S. 2017. Sprachliche Verfahren bei der Übermittlung schlechter Nachrichten– sedimen-
tierte Praktiken im Kontext onkologischer Aufklärungsgespräche. Arbeitspapierreihe Sprache
und Interaktion 73. http://arbeitspapiere.sprache- interaktion.de/arbeitspapiere/arbeitspapier72.
pdf. Zugegriffen am 06.02.2022.
Harkins, K., P.Sankar, R.Sperling, J.D.Grill, R.C.Green, K.A.Johnson, M.Healy, und J.Karla-
wish. 2015. Development of a process to disclose amyloid imaging results to cognitively nor-
mal older adult research participants. Alzheimer’s Research & Therapy 7 (1): 26. doi: https://
doi.org/10.1186/s13195- 015- 0112- 7.
Heritage, J. 2012. Epistemics in Action: Action Formation and Territories of Knowledge. Research
on Language and Social Interaction 45: 1–29.
Herukka, S.-K., A.H.Simonsen, N.Andreasen, I.Baldeiras, M.Bjerke, K.Blennow, S.Engelbor-
ghs, G.B.Frisoni, T.Gabryelewicz, S.Galluzzi, R.Handels, M.G.Kramberger, A.Kulczynska,
J.L.Molinuevo, B.Mroczko, A.Nordberg, C.R.Oliveira, M.Otto, J.O Rinne, U.Rot, E.Saka,
H.Soininen, H.Struyfs, S.Suardi, P.J.Visser, B.Winblad, H.Zetterberg, und G.Waldemar.
C. Schwegler et al.
123
2016. Recommendations for CSF AD biomarkers in the diagnostic evaluation of MCI. Alzhei-
mer’s & Dementia 13 (3): 285–295.
Imo, W. 2019. Sprachliche Akkommodation in onkologischen Therapieplanungsgesprächen. Zeit-
schrift für Angewandte Linguistik 71: 269–298.
Jack, C.R.Jr., D.A.Bennett, K.Blennow, M.C.Carrillo, B.Dunn, S.B.Haeberlein, D.M.Holtzman,
W.Jagust, F.Jessen, J.Karlawish, E.Liu, J.L.Molinuevo, T.Montine, C.Phelps, K.P.Rankin,
C.C.Rowe, P.Scheltens, E.Siemers, H.M.Snyder, und R.Sperling. 2018. NIA-AA Research
Framework: Toward a biological denition of Alzheimer’s disease. Alzheimer’s & Dementia 14
(4): 535–562.
Jessen, F. 2020. Medikamentöse Prävention von kognitiver Verschlechterung und Demenz. Bun-
desgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 63 (5): 506–511.
Jessen, F., und C.Haass. 2019. Quo vadis Alzheimer? Der Nervenarzt 90 (9): 881–883.
Johnson, K.A., S.Minoshima, N.I.Bohnen, K.J.Donohoe, N.L.Foster, P.Herscovitch, J.Karla-
wish, C.C.Rowe, M.C.Carrillo, D.M.Hartley, S.Hedrick, V.Pappas, und W.H.Thies. 2013.
Appropriate use criteria for amyloid PET: A report of the Amyloid Imaging Task Force, the
Society of Nuclear Medicine and Molecular Imaging, and the Alzheimer’s Association. Alzhei-
mer’s & Dementia 9 (1): e1–16. doi: https://doi.org/10.1016/j.jalz.2013.01.002.
Kohring, M., und F. Zimmermann. 2020. „Fake News“: Aktuelle Desinformation. In Deutsch in
Sozialen Medien, Hrsg. K. Marx, H. Lobin und A. Schmidt, 147–162. Berlin/Boston: De
Gruyter.
Largent, E.A., und J.Karlawish. 2019. Preclinical Alzheimer Disease and the Dawn of the Pre-
Caregiver. JAMA neurology 76 (6): 631–632.
Linell, P., und T.Luckmann. 1991. Asymmetries in Dialogue: Some Conceptual Preliminaries. In
Asymmetries in Dialogue, Hrsg. I.Marková und K.Foppa, 1–20. Hemel Hempstead: Harvester
Wheatsheaf, Barnes & Noble.
Lucius-Hoene, L., und A.Deppermann. 2004. Narrative Identität und Positionierung. Gesprächs-
forschung 5: 166–183.
Nutbeam, D., und J.E.Lloyd. 2021. Understanding and responding to health literacy as a social
determinant of health. Annual Review of Public Health 42: 159–173.
Pick, I. 2017. Theoretische und methodologische Annahmen zur Typologisierung von Beraten.
Eine erweiterte Einleitung. In Beraten in Interaktion, Hrsg. I. Pick, 19–52. Frankfurt am
Main: Lang.
Rostamzadeh, A., C.Schwegler, S. Gil-Navarro, M. Rosende-Roca, V. Romotzky, G. Ortega,
P. Canabate, M. Moreno, B. Schmitz-Luhn, M. Boada, F. Jessen, und C. Woopen. 2021.
Biomarker- Based Risk Prediction of Alzheimer’s Disease Dementia in Mild Cognitive Impair-
ment: Psychosocial, Ethical, and Legal Aspects. Journal of Alzheimer’s disease 80 (2):
601–617.
Rostamzadeh, A., und F.Jessen. 2020. Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und Demenzprä-
diktion bei Patienten mit leichter kognitiver Störung. Der Nervenarzt 91: 832–842.
Schmitz-Luhn, B., F.Jessen, und C.Woopen. 2019. Alzheimer-Demenz. Biomarker zur Risikoprä-
diktion. Recht und Ethik der biomarkerbasierten Risikoprädiktion einer Alzheimer-Demenz.
Deutsches Ärzteblatt 116 (37): A1592–A1956.
Schwegler, C. 2021. Prädiktive Medizin als Gegenstand linguistischer Untersuchungen. In Lingu-
istik und Medizin. Sprachwissenschaftliche Zugänge und interdisziplinäre Perspektiven, Hrsg.
M.Iakushevich, Y.Ilg und T.Schnedermann, 359–377. Berlin/Boston: De Gruyter.
Shaw, L.M., J. Arias, K. Blennow, D. Galasko, J.L. Molinuevo, S. Salloway, S. Schindler,
M.C.Carrillo, J.A.Hendrix, A.Ross, J.Illes, C.Ramus, und S.Fifer. 2018. Appropriate use
criteria for lumbar puncture and cerebrospinal uid testing in the diagnosis of Alzheimer’s di-
sease. Alzheimer’s & Dementia 14 (11): 1505–1521.
Sørensen, K., S. van den Broucke, J.Fullam, G.Doyle, J.Pelikan, Z.Slonska, und H.Brand 2012.
Health literacy and public health: A systematic review and integration of denitions and mo-
dels. BMC Public Health, 12 (1): 80–92.
Spranz-Fogasy, T. 1987. Alternativen der Gesprächseröffnung im ärztlichen Gespräch. Zeitschrift
für germanistische Linguistik 15: 293–302.
8 Wissen im Entscheidungsprozess zur Risikoprädiktion …
124
Spranz-Fogasy, T. 2014. Die allmähliche Verfertigung der Diagnose im Reden: Prädiagnostische
Mitteilungen im Gespräch zwischen Arzt und Patient. Berlin/Boston: De Gruyter.
Vos, S.J., F.Verhey, L.Frölich, J.Kornhuber, J.Wiltfang, W.Maier, O.Peters, E.Rüther, F.Nobili,
S.Morbelli, G.B.Frisoni, A.Drzezga, M.Didic, B.N. van Berckel, A.Simmons, H.Soininen,
I.Kłoszewska, P.Mecocci, M.Tsolaki, B.Vellas, S. Lovestone, C.Muscio, S.-K.Herukka,
E.Salmon, C.Bastin, A.Wallin, A.Nordlund, A. de Mendonça, D.Silva, I.Santana, R.Lemos,
S.Engelborghs, S.Van der Mussele, Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative, Y.Freund-
Levi, A.K.Wallin, H.Hampel, W.Van der Flier, P.Scheltens, und P.J.Visser. 2015. Prevalence
and prognosis of Alzheimer’s disease at the mild cognitive impairment stage. Brain 138 (Pt 5):
1327–1338.
Zeilig, H. 2014. Dementia as a cultural metaphor. The Gerontologist 54 (2): 258–267.
C. Schwegler et al.
ResearchGate has not been able to resolve any citations for this publication.
Article
Full-text available
Background: Today, a growing number of individuals with mild cognitive impairment (MCI) wish to assess their risk of developing Alzheimer's disease (AD) dementia. The expectations as well as the effects on quality of life (QoL) in MCI patients and their close others through biomarker-based dementia risk estimation are not well studied. Objective: The PreDADQoL project aims at providing empirical data on effects of such prediction on QoL and at developing an ethical and legal framework of biomarker-based dementia risk estimation in MCI. Methods: In the empirical study, 100 MCI-patients and their close others will be recruited from two sites (Germany and Spain). They receive standardized counselling on cerebrospinal fluid (CSF) biomarker-based prediction of AD dementia and a risk disclosure based on their AD biomarker status. A mixed methods approach will be applied to assess outcomes. Results: The pilot-study yielded a specification of the research topics and newly developed questionnaires for the main assessment. Within this binational quantitative and qualitative study, data on attitudes and expectations toward AD risk prediction, QoL, risk communication, coping strategies, mental health, lifestyle changes, and healthcare resource utilization will be obtained. Together with the normative part of the project, an empirically informed ethical and legal framework for biomarker-based dementia risk estimation will be developed. Conclusion: The empirical research of the PreDADQoL study together with the ethical and legal considerations and implications will help to improve the process of counselling and risk disclosure and thereby positively affect QoL and health of MCI-patients and their close others in the context of biomarker-based dementia risk estimation.
Article
Full-text available
Evidence of a social gradient in health literacy has been found in all reported national population surveys. Health literacy is a midstream determinant of health but not a panacea for health inequities created by the maldistribution of opportunity and resources. It is possible to optimize the contribution health literacy makes in mediating the causes and effects of established social determinants of health. Existing interventions demonstrate the feasibility of improving health literacy among higher-risk populations, but research remains underdeveloped and effects on health inequity are largely untested. Future health literacy intervention research should focus on ( a) improving the quality of health communication that reaches a diversity of populations, especially by improving frontline professional skills and support; ( b) enabling people to develop transferable skills in accessing, understanding, analyzing, and applying health information; and ( c) ensuring that priority is proportionate to need by reaching and engaging the population groups who are disproportionately affected by low health literacy. Expected final online publication date for the Annual Review of Public Health, Volume 42 is April 1, 2021. Please see http://www.annualreviews.org/page/journal/pubdates for revised estimates.
Article
Full-text available
Background: Biomarker research is gaining increasing attention focusing on the preclinical stages of the disease. Such interest requires special attention for communication and disclosure in clinical contexts. Many countries give dementia a high health policy priority by developing national strategies and by improving guidelines addressing disclosure of a diagnosis; however, risk communication is often neglected. Main text: This paper aims to identify the challenges of disclosure in the context of dementia prediction and to find out whether existing clinical guidelines sufficiently address the issues of disclosing a dementia diagnosis and of disclosing the risk of developing dementia in asymptomatic and MCI stage. We will examine clinical guidelines and recommendations of three countries (USA, Canada and Germany) regarding predictive testing and diagnostic disclosure in dementia and Mild Cognitive Impairment (MCI) to show their potentials and limits. This will provide a background to address ethical implications of predictive information and to identify ways how to proceed further. We will start by examining the guidelines and recommendations by focusing on what there is already and what is missing regarding the challenges of disclosing dementia prediction and MCI. Then, we will highlight the novel ethical issues generated by the shift to identify preclinical stages of the disease by biomarkers. We will argue for the need to develop guidelines for disclosing a risk status, which requires different considerations then disclosing a diagnosis of dementia. Finally, we will make some suggestions on how to address the gap and challenges raised by referring to German Stakeholder Conference, which presents us a good starting point to the applicability of involving stakeholders. Conclusions: This paper underlines the need to develop empirically based guidelines that address the ethical and social strategies for risk communication of dementia prediction by genetic as well as non-genetic biomarkers. According to our analysis, the guidelines do not address the new developments sufficiently. International efforts should aim for specific guidelines on counseling, communicating risk and disclosing results. We argue that guidelines on (risk) disclosure should be developed by involving various stakeholders and should be informed by socio-empirical studies involving laypersons' needs and wishes regarding risk communication.
Article
Full-text available
Zusammenfassung Die leichte kognitive Störung („mild cognitive impairment“, MCI) zeichnet sich durch kognitive Einschränkungen bei im Wesentlichen erhaltener Alltagskompetenz aus. MCI ist ein Risikozustand für die Entwicklung einer Demenz und kann ein Prodromalstadium der Demenz bei Alzheimer-Krankheit („Alzheimer’s disease“, AD) sein. Die AD ist durch zerebrale Ablagerungen von Amyloid- und Tau-Aggregaten definiert und kann durch Biomarker für diese Veränderungen in vivo detektiert werden. Durch die Fortschritte in der biomarkerbasierten Früherkennung der AD, ist es möglich zwischen MCI-Patienten mit und ohne AD-Pathologie und somit zwischen Patienten mit einem geringen und einem hohen Risiko für die Entwicklung einer späteren Demenz zu unterscheiden. Für die biomarkerbasierte Früherkennung der AD im MCI-Stadium gibt es bisher in Deutschland keine differenzierten Leitlinienempfehlungen. In dem vorliegenden Artikel werden die Empfehlungen einer europäischen Expertenkonsensuspublikation sowie einer multidisziplinären Arbeitsgruppe der Alzheimer’s Association zum Einsatz von Liquorbiomarkern für die Diagnostik der Alzheimer-Krankheit bei MCI-Patienten zusammengefasst. Sind die klinischen Diagnosekriterien eines MCI anhand der klinischen Untersuchung und neuropsychologischen Testung erfüllt, wird empfohlen weiterführende Diagnostik (Blutuntersuchung, zerebrale Bildgebung) durchzuführen, um die differenzialdiagnostische Einordnung zu präzisieren. Vor der Liquorbiomarkeruntersuchung sollte eine umfassende Beratung zu den Möglichkeiten, Grenzen und Risiken der biomarkerbasierten Früherkennung der AD und der Demenzprädiktion durchgeführt werden. Die Informationen über das individuelle Risiko für eine Demenz können sich bei Patienten und ihren nahestehenden Personen auf das psychische Wohlbefinden und die weitere Lebensplanung auswirken, daher werden klinische Verlaufsuntersuchungen empfohlen.
Article
Background Dementias are among the most feared diseases and pose a threat to social and healthcare systems in aging societies. A cure for Alzheimer’s or other dementias will not be achieved in the coming years, which makes prevention of cognitive decline and dementia a priority for research and patient-related services.AimSummary of evidence for drug and other compound-related prevention of cognitive decline and dementia.Material and methodsLiterature review of epidemiological evidence and clinical trials of antidementia drugs, anti-amyloid drugs under development, nonsteroidal anti-inflammatory drugs, statins, hormone replacement therapy, lithium, ginkgo biloba, and Fortasyn Connect.ResultsThere is evidence for effects on single endpoints and subgroups for some of the reviewed compounds, but there is no consistent evidence for efficacy.DiscussionThere is no sufficient evidence to provide any specific or general recommendation for drug- or compound-related prevention of cognitive decline or dementia. It needs to be recognized that prevention trials on cognitive decline in aging and dementia require large numbers of participants and long follow-up times, which create major challenges with regard to conducting and financing such trials. The current state of evidence also supports the potential role of nonpharmacological approaches in dementia prevention.
Article
Accommdation is ubiquitous in interaction. Depending on the situation, accommodation can be successful or it can fail, either intentionally or unintentionally, leading to under-accommodation, over-accommodation or contra-accommodation. Accommodation plays a vital role in interactional settings, especially in doctor-patient-communication, because accommodation is closely linked to the management of understanding, establishment of shared knowledge and building of trust. It is this interactional work of mutual adaption that this article is about. Using examples from a corpus of oncology consultations between doctors and patients in various oncology departments of a hospital, it is shown how doctors and patients accommodate both in a sequentially and temporally structured way or – only rarely – counter-, over- or underaccommodate.