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Abstract

Zunächst aggressiv gegen den Weimarer Staat gerichtet, betrieben die Nationalsozialisten nach 1933 eine „Integrationspropaganda“ für die „Volksgemeinschaft“. Ihre medial verbreiteten Botschaften verfingen vor allem, weil sie an bereits bestehende Werthaltungen anknüpften.
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AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
Deutschland 1933
Thomas Weber


Volker Ullrich
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Nadine Rossol · Benjamin Ziemann
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Mark Roseman
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Sven Reichardt
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Heike Knortz
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Niklas Venema
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Beilage zur Wochenzeitung
Deutschland 1933
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Was lehrt uns das Jahr 1933? Versteht man den
Nationalsozialismus als Form der illiberalen
Demokratie, ist zu erkennen, dass deren heutige
Varianten leicht in etwas Schlimmeres abgleiten
könnten. Damals wie heute spielen übertriebene
Krisenwahrnehmungen eine wichtige Rolle.
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Das Jahr 1923 war in Deutschland von einer
galoppierenden Inflation, der Ruhrbesetzung,
politischer Polarisierung sowie Umsturzplänen
von links und rechts gekennzeichnet. Dennoch
führt kein gerader Weg zur Machtübertragung
an die Nationalsozialisten zehn Jahre später.
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Sobald die Nationalsozialisten staatliche
Schaltstellen innehatten, nutzten sie diese zur
Machtsicherung und zum Umbau des Staates.
Massive Gewaltanwendung unterstützte dieses
Ziel ebenso wie die weitgehende gesellschaftliche
Selbstgleichschaltung.
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Zeitgenössische Zeugnisse zeigen, wie tief und
dauerhaft die jüdische Gemeinschaft von den
Erschütterungen des Jahres 1933 getroffen
wurde. Wer diejenigen, die das Land nicht
verließen, in der Rückschau für blind oder naiv
erklärt, macht es sich dennoch viel zu einfach.
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Der Machtantritt der Nationalsozialisten wurde
im Ausland mit Abscheu und Bewunderung
registriert. Schon bald knüpften die neuen
Machthaber enge Bande mit Faschisten anderer
Länder. Wesentliche verbindende Merkmale
waren dabei Antikommunismus und Rassismus.
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Die Wirtschaft der Weimarer Zeit litt infolge
von Inflation, Reparationen und Staatsschulden
unter erheblichen Strukturproblemen, die sich
während der Weltwirtschaftskrise mit voller
Wucht entfalteten. Entgegen der Legende war
ihre Bewältigung kein Erfolg des NS-Regimes.
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Zunächst aggressiv gegen den Weimarer Staat
gerichtet, betrieben die Nationalsozialisten nach
1933 eine „Integrationspropaganda“ für die
„Volksgemeinschaft“. Ihre medial verbreiteten
Botschaften verfingen vor allem, weil sie an
bereits bestehende Werthaltungen anknüpften.
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Deutschland 1933 
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Niklas Venema
Abbildungen von Hitler-Plakaten in Schulbü-
chern, Schlagzeilen des „Völkischen Beobachters“
auf Museumstafeln oder Ausschnitte aus natio-
nalsozialistischen Filmen in Fernsehdokumenta-
tionen die NS-Propaganda steht heute häufig
sinnbildlich für das Regime selbst und dient im-
plizit oder explizit der Erklärung des Aufstiegs
der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Ein
Erfolg der Nationalsozialisten war es, dass ih-
rer Propaganda teils bis heute die Wirkmächtig-
keit zugeschrieben wird, die Funktionäre wie der
Reichsminister für Volksaufklärung und Propa-
ganda, Joseph Goebbels, angestrebt und behaup-
tet hatten. Insbesondere die damals neueren Me-
dien Hörfunk und Film wurden zu wichtigen
Stützen der Macht erklärt und mit erfolgreicher
Propaganda assoziiert. Dahinter stehen Annah-
men direkter und starker Medienwirkungen, die
Zeitdiagnosen politischer Öffentlichkeiten lan-
ge prägten und die durch populäre Darstellungen
etwa zur politischen Radikalisierung in „Filter-
blasen“ oder „Echokammern“ noch immer ein-
flussreich sind. Thesen starker Medienwirkungen
können im Zusammenhang mit der NS-Propa-
ganda einem entlastenden Narrativ der „Über-
wältigung“ und „Verführung“ der Bevölkerung
dienen. Die historische Forschung zeichnet aller-
dings ein differenzierteres Bild von der potenziel-
len Wirkung der NS-Propaganda und stützt sich
dazu auch auf Erkenntnisse der kommunikations-
wissenschaftlichen Medienwirkungsforschung.
01
Aus kommunikationshistorischer Perspekti-
ve vollzog sich der Aufstieg der NSDAP ab den
1920er Jahren im Kontext einer politischen Öf-
fentlichkeit, die sich bereits seit dem Kaiserreich
maßgeblich durch medial vermittelte Kommunika-
tion konstituierte. Die vor wie nach 1933 wichtigen
Ver sa mm lu ngs öf fe nt lic hk ei ten, e tw a Dem on st ra ti-
onen, Kundgebungen oder Aufmärsche, erhielten
auch durch ihre mediale Inszenierung und Darstel-
lung Gewicht. Die Öffentlichkeit der Weimarer Re-
publik war durch eine stark ausdifferenzierte Pres-
se und die beginnende Ausbreitung von Film und
Hörfunk charakterisiert. Neben Partei- und Par-
teirichtungszeitungen waren jüngere Zeitungsty-
pen wie die Boulevardpresse oder Illustrierte un-
terschiedlicher politischer Couleur entstanden.
Kinofilme transportierten zwar kaum Informatio-
nen und Meinungen zur Tagespolitik, vermittelten
aber Werthaltungen und Weltbilder. Der Hörfunk
gewann ab 1930 an Bedeutung als Medium der po-
litischen Auseinandersetzung und damit auch als
Wah lk am pfi nst ru me nt de r Na zi s. Vor di es em Hi n-
tergrund stellt sich die Frage, welche Rolle etablier-
ten und neueren Medien beim Aufstieg des Nati-
onalsozialismus in der Weimarer Republik bis zur
Festigung der diktatorischen Macht 1933 zukam.
Der Nationalsozialismus war nicht zuletzt
eine Propagandabewegung, wie es charakteristisch
für den Faschismus ist. Kernelemente waren die
Inszenierung durch massenhafte Aufmärsche, die
Ver we ndung v is uell er S ymbo le w ie d as Hak en -
kreuz sowie der Führerkult. Bei dieser „Ästheti-
sierung der Politik“
02 bediente sich die NSDAP
der Mittel strategischer politischer Kommunika-
tion, etwa über Versammlungen, Reden und Pla-
kate, konnte in der Weimarer Republik aber auch
über ihre eigene Parteipresse hinaus starke Auf-
merksamkeit durch Medienberichterstattung er-
zielen. So setzte Hitler etwa im Wahlkampf 1932
zwar insbesondere auf Kundgebungen, seine
Flugzeugreisen zu diesen Veranstaltungen zielten
aber auch auf mediale Inszenierung.
03


Leitmedium der politischen Öffentlichkeit war
nach wie vor die Presse. Sie setzte Themen der öf-
fentlichen Debatte und lieferte Deutungsangebote.
Diese Wirkungen konnten stark sein, da Journalist-
Innen und vor allem PolitikerInnen an den Ein-
fluss der Zeitungen und Zeitschriften glaubten. Sie
beobachteten die Presseberichterstattung, nahmen
sie einerseits als Ausdruck der öffentlichen Mei-
nung wahr und unterstellten andererseits eine Wir-
kung auf die Bevölkerung. Entsprechend richteten
sie ihr Handeln auch nach Medienberichten aus.
 4/2023

Der Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt in der
Weimarer Republik war durch die Verschrän-
kung politischer und ökonomischer Zielsetzun-
gen charakterisiert.
123
Durch Parteinahme oder di-
rekte -verbundenheit war die Presselandschaft
stark fragmentiert und polarisiert. Gleichzeitig
verfolgten die Zeitungs- und Zeitschriftentitel
ökonomische Ziele und versuchten ihren Leser-
kreis durch Publikumsorientierung zu erweitern.
Allerdings lassen sich aus der Fragmentierung der
Presse keine direkten Schlüsse auf die parteipoli-
tische Entwicklung ziehen. Wahlergebnisse poli-
tischer Parteien sind nicht mit dem Parallelismus
von Auflagen- und Verbreitungszahlen von Zei-
tungen und Zeitschriften mit entsprechender Par-
teibindung zu erklären. Vom Erfolg der nationa-
listisch-konservativen Presse des Unternehmers
und Politikers Alfred Hugenberg profitierte nicht
dessen Deutschnationale Volkspartei (DNVP),
stattdessen stieg die NSDAP zur stärksten Kraft
der Rechten auf. Die weite Verbreitung liberaler
Titel mit Verbindungen zur Deutschen Demo-
kratischen Partei (DDP) verhinderte nicht deren
Niedergang zur Splitterpartei.
04
Häufig verweisen ForscherInnen darauf, dass
die Ablehnung oder zumindest Skepsis gegenüber
der Weimarer Republik aus den unterschiedlichen
Überzeugungen heraus in der Presse nahezu des
gesamten politischen Spektrums zu finden war
und somit zu einem republikfeindlichen Klima
beitrug. In der rechten bis faschistischen Presse
wurde darüber hinaus gar offen zum Mord jüdi-
scher, republikanischer oder linker Politiker auf-
gerufen. Mehr oder weniger explizit stützen sich
Forschungsarbeiten zum republikfeindlichen Kli-
ma der Presse allerdings häufig auf totalitarismus-
01 
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04 

theoretische Annahmen und sehen insbesondere
die kommunistische Presse wie die NS-Presse in
der Verantwortung für den Niedergang der Wei-
marer Republik. Plausibler als solche Urteile, die
den politischen Gegnern und Opfern der Natio-
nalsozialisten eine Mitschuld an der Katastrophe
1933 geben und eine politische Nähe als Opposi-
tion zur Weimarer Republik unterstellen, sind die
Thesen, dass zum einen die Logik neuerer Boule-
vardtitel und zum anderen ein rechtes Presseklima
den Aufstieg der NSDAP begünstigten.
Neuartige Boulevardtitel verbanden inhalt-
liche Mittel wie Sensationalismus und Skandali-
sierung sowie gestalterische Elemente wie Bebil-
derung mit einer politischen Agenda. Die Nazis
selbst bedienten sich mit Titeln wie „Der Angriff“,
„Der Stürmer“ oder „Illustrierter Beobachter“ der
Mittel der Boulevardpresse. Zudem boten sie ei-
ner zunehmend auf Skandale und Sensationen ge-
richteten Presse unterschiedlicher politischer Ten-
denz Stoff und erhielten insbesondere nach ihrem
Erfolg bei den Reichstagswahlen 1930, bei denen
sie mit einem sprunghaften Anstieg auf 18,3Pro-
zent zur zweitstärksten Kraft wurden, eine hohe
mediale Aufmerksamkeit. Der ständige politische
Konflikt und nicht zuletzt die direkte Straßenge-
walt kamen der medialen Logik insbesondere der
Boulevardpresse entgegen. Dabei verband sich die
reißerische Berichterstattung mit politischen Ziel-
setzungen. Sowohl konservative Titel als auch die
NS-Presse beschuldigten Kommunisten, Sozial-
demokraten und Mitglieder der Republikschutz-
organisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
der Gewalt. Eine sensationalistische und partei-
liche Berichterstattung über politisch motivierte
Auseinandersetzungen suggerierte die Gefahr ei-
nes Bürgerkrieges und ermöglichte es den Nazis,
sich als Bollwerk gegen eine vorgebliche kommu-
nistische Bedrohung zu inszenieren.
Die politische Fragmentierung der Gesell-
schaft zeigte sich in der Mediennutzung abseits
der Kernmilieus etwa der Organisationen des
politischen Katholizismus und der Arbeiterbewe-
gung weniger in abgeschlossenen parteilichen
Te il öf f en tl ic h ke it e n al s in ei ne r P ol ar i si er un g z wi -
schen im weitesten Sinn rechts und links. So la-
sen beispielsweise Sozialdemokraten oder Kom-
munisten häufig die hochauflagigen linksliberalen
Titel mit attraktiver Berichterstattung auch abseits
politischer Themen. Sie konsumierten aber kaum
ihnen gegenüber offen feindliche nationalistisch-
konservative Zeitungen und Zeitschriften.
Deutschland 1933 

Insbesondere außerhalb Groß-Berlins be-
stimmte die nationalistisch-konservative Presse die
öffentliche Kommunikation. Denn Hugenberg, ab
1928 Vorsitzender der DNVP, vertrat die Inte-
ressen von Schwerindustrie und rechten Parteien
oder Verbänden nicht nur mit der Hauptstadtpres-
se des Scherl-Verlags wie „Berliner Lokal-Anzei-
ger“, „Der Tag“ oder „Berliner Illustrierte“, die er
1916 erworben hatte. Über Anzeigenvermittlung,
Kredite und Unternehmensbeteiligungen brach-
te er weite Teile der Provinzpresse in die finan-
zielle Abhängigkeit seiner Gesellschaften. Darü-
ber hinaus nahm er durch die Nachrichtenagentur
Te le gr a ph en - Un io n u nd a nd er e D ie n st e u n mi t-
telbar Einfluss auf den Inhalt der Provinzzeitun-
gen.
05 Die rechte Hugenberg-Presse setzte durch
ihre Nachrichtenauswahl – etwa über angeblichen
kommunistischen Terror Themen des öffentli-
chen Diskurses. LeserInnen folgten aber nicht un-
bedingt den Wahlaufrufen für die DNVP, sondern
konnten die Berichterstattung auch so interpretie-
ren, dass die NSDAP für sie die bessere Wahl sei.
06
Untersuchungen zur Hamburger und Leipzi-
ger Presse zeigen exemplarisch, wie die bürgerli-
che Presse auch abseits von Hugenbergs Einfluss
den Aufstieg der NSDAP begünstigte. Aus Sym-
pathie zur nationalistischen und gegen die Arbei-
terbewegung gerichteten Programmatik betrach-
tete sie die Partei wohlwollend und warb dafür,
Hitler und die NSDAP in Regierungen einzubin-
den. So unterstützten Titel wie die „Hamburger
Nachrichten“, das „Hamburger Fremdenblatt“
oder die „Leipziger Neuesten Nachrichten“ zwar
nicht direkt die NSDAP, trugen aber zur Normali-
sierung der faschistischen Bewegung und zur Ak-
zeptanz im bürgerlichen Lager bei. Neben poli-
tischer Überzeugung waren dazu auch schlicht
ökonomische Erwägungen der Verlage ausschlag-
gebend. Als privatwirtschaftliche Unternehmen
nahmen liberale oder konservative Zeitungshäuser
Rücksicht auf nationalsozialistische WählerInnen
als (potenzielle) LeserInnen.
07 Der Politikwissen-
schaftler Jürgen Falter hat für die späte Weimarer
Republik einen Zusammenhang zwischen der Ver-
05 
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breitung einer rechten Presse und Wählerstimmen
für die NSDAP aufgezeigt.
08 Insgesamt kam den
nationalistisch-konservativen Zeitungen und Zeit-
schriften in den Großstädten und in der Provinz
eine wichtigere Rolle für den Aufstieg der Natio-
nalsozialisten zu als der eigenen Parteipresse.
0
9
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Trotz dieser Befunde zur Fragmentierung und
Polarisierung der (Boulevard-)Presse sowie zum
rechten Tenor der Berichterstattung sind keine
direkten Schlüsse auf die Bedeutung von Medien-
nutzung als Ursache des Aufstiegs des National-
sozialismus zu ziehen. Urteile zur Fragmentie-
rung als Folge von Mediennutzung waren bereits
in der Weimarer Republik weit verbreitet. Noch
heute schlagen sie sich in populären Zeitdiagnosen
von „Filterblasen“ oder „Echokammern“ der po-
litischen Radikalisierung durch selektive Medien-
nutzung online nieder. Sie vernachlässigen jedoch
zum einen den sozialen Kontext der Mediennut-
zung, zum anderen die aktive Rolle der Nutzer-
Innen. Der Aufstieg der NSDAP ist weniger im
Sinne von Echokammer-Hypothesen mit Radi-
kalisierungsprozessen durch den alleinigen Kon-
sum der NS-Presse zu erklären. Der Einfluss von
Medien kann stattdessen beschrieben werden als,
erstens, die aktive Verarbeitung und Interpreta-
tion einer beispielsweise antirepublikanischen,
antikommunistischen und nationalistischen – Be-
richterstattung durch, zweitens, Personen, deren
Einstellungen und Überzeugungen solchen Mus-
tern nicht grundlegend entgegenstanden.
10 So war
in Gemeinden mit einem hohen Anteil an Katho-
likInnen und ArbeiterInnen an der Bevölkerung
auch trotz einer rechten Presse die Zustimmung
zur NSDAP bei Wahlen geringer.
11
Auch im Bereich des Films war die weite Ver-
breitung von nationalistischen und militaristi-
schen Inhalten, an die die faschistische Ideologie

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 4/2023

der NSDAP anknüpfen konnte, bedeutsamer für
den Aufstieg der Nazis als ihre direkte Propagan-
da.
12 Hugenbergs Firmengeflecht war nicht nur
auf die Presse beschränkt. Der deutschnationale
Politiker war ebenso in der Produktion und im
Verleih von Filmen tätig, insbesondere über das
größte deutsche Filmunternehmen Ufa, an dem
er ab 1927 beteiligt war.
13
Ab Beginn der 1930er Jahre konnten sich die
Nationalsozialisten zudem auf das neuere Medi-
um Hörfunk stützen. Der unmittelbare Einfluss
des Rundfunks auf den Erfolg der NSDAP lässt
sich allerdings nur schwer belegen. Zwar ging die
NSDAP aus den Wahlen im Juli 1932 als stärkste
Partei hervor, nachdem sie erstmals im Radio um
Stimmen hatte werben können. Bei den Wahlen
im November 1932 verlor sie aber trotz Möglich-
keiten der Rundfunkwerbung wieder an Stim-
men. Gleichzeitig gelangen der KPD, obwohl sie
als einzige Partei von der Rundfunkwerbung aus-
geschlossen worden war, zumindest leichte Zu-
gewinne.
14

Die Politik der NSDAP nach der Machtüber-
tragung auf Hitler bestand einerseits aus Re-
pression und Verfolgung von Minderheiten und
politischen Gegnern, andererseits warben die Na-
tionalsozialisten um weitere Zustimmung in der
Bevölkerung. Die Kontrolle über die öffentliche
Kommunikation hatte daher hohe Priorität für
das Regime, um die errungene Macht zu festi-
gen und letztlich den Krieg und die Verfolgung
und Vernichtung der europäischen Juden propa-
gandistisch vorzubereiten. Dies zeigt zunächst
vor allem, dass auch Hitler und seine Parteigän-
ger von der starken Wirkung von Medien über-
zeugt waren. Nachdem sich die Nazis unter den
Bedingungen einer pluralistischen Öffentlich-
keit aggressiv gegen den Weimarer Staat gerichtet
hatten, betrieben sie nun eine „Integrationspro-
paganda“ für die sogenannte Volksgemeinschaft
und den Führerstaat.
15 Die Ästhetisierung der
12 
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Politik durch die symbolische Inszenierung in
Versammlungsöffentlichkeiten konnten die Nati-
onalsozialisten ab 1933 noch umfassender betrei-
ben und sie auch noch in verstärktem Maß über
Presse, Hörfunk und Film unter ihrer Kontrol-
le verbreiten.
16 Die NS-Propaganda bestand aus
der emotionalisierten Inszenierung der Politik
um einen Führerkult, Rassismus, „Volksgemein-
schaft“ und das Bild der „jüdisch-bolschewisti-
schen Welt verschwörung“.
17
Die Notverordnung des Reichspräsidenten
„zum Schutze des Deutschen Volkes“ schränk-
te nur wenige Tage nach der Ernennung Hit-
lers zum Reichskanzler die Pressefreiheit dras-
tisch ein. In der Folge erlassene Verbote trafen
insbesondere die kommunistische und sozialde-
mokratische, aber auch Teile der liberalen Pres-
se. Infolge der sogenannten Reichstagsbrandver-
ordnung Ende Februar 1933 verbot das Regime
die Publikationen ihrer linken Gegner vollstän-
dig. Die Verbote der als marxistisch bezeichne-
ten Titel waren ein tiefer Einschnitt in die Pres-
sefreiheit, doch standen sie auch in Kontinuität
der zeitweisen Zeitungsverbote in der Weimarer
Republik, die sich zuvorderst gegen die kommu-
nistische Presse gerichtet hatten. Für eine Zäsur
sorgte die NS-Medienpolitik vor allem in perso-
neller Hinsicht: Insbesondere jüdische und linke
JournalistInnen verloren ihre Betätigungsmög-
lichkeiten und wurden verfolgt, jüdische Verlage
wurden enteignet. Im März wurde das Reichsmi-
nisterium für Volksaufklärung und Propagan-
da als zentrale Einrichtung zur Lenkung der öf-
fentlichen Kommunikation eingerichtet. Die
personelle Kontrolle sicherte das Regime mit ei-
nem berufsständischen Kammersystem durch
Zwangsmitgliedschaft in der Reichskulturkam-
mer und schließlich dem antisemitischen und ge-
gen ihre politischen Gegner gerichteten Schrift-
leitergesetz, das am 1.Januar 1934 in Kraft trat.
Allerdings konnte das Regime nicht der ge-
samten Presse mit Terror und Gewalt begegnen.
Mit dem Großteil der Verleger und JournalistIn-
nen der ehemals konservativen und liberalen Blät-
16 
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Deutschland 1933 

ter musste es zusammenarbeiten. Auf sie waren
die Nationalsozialisten sowohl aus Mangel an ei-
genem Personal als auch zur Integration des Bür-
gertums in die faschistische Diktatur und zur Au-
ßendarstellung im Ausland angewiesen. Obwohl
oder gerade weil sie weniger aggressive, offen an-
tisemitische Propaganda betrieben, übernahmen
damit auch Titel wie die „Frankfurter Zeitung“
oder das „Berliner Tageblatt“ eine Funktion für
die Festigung der Macht Hitlers.
18 Der Umgang
mit den älteren, zunächst in Privatbesitz belasse-
nen Pressetiteln war noch stärker von der negati-
ven Medienpolitik der Verfolgung und Repressi-
on als von einer eigenen Gestaltung wie beim Film
und Hörfunk geprägt. Auch deshalb scheint die
Betonung der neueren Medien für die NS-Propa-
ganda in Teilen der Forschung und im populären
Diskurs plausibel. Doch trotz der weiteren Ver-
breitung der neueren Medien in den 1930er Jah-
ren blieb die Presse auch in der NS-Diktatur das
wichtigste Medium. Zum einen blieb die Nutzung
von Film und Radio schon allein aus ökonomi-
schen Gründen beschränkt. Zum anderen erfüll-
ten Tageszeitungen auch weiterhin die Bedürfnis-
se nach (lokaler) Information und Unterhaltung.
19

Wie im gesamten Medienbereich war im Film die
Zäsur durch Berufsverbote und Verfolgung für -
dische MitarbeiterInnen drastisch. Inhaltlich gab
es hingegen Kontinuitäten zur Weimarer Republik.
Charakteristisch waren kurz nach der Machtüber-
tragung weniger die eindeutigen Propagandafilme
wie „Hitlerjunge Quex“ (1933), sondern eine Ori-
entierung an den Unterhaltungsbedürfnissen der
ZuschauerInnen. NS-Unterhaltungsfilme waren
jedoch nicht unpolitisch und dienten der Integra-
tion in die „Volksgemeinschaft“ – und damit auch
dem Ausschluss jüdischer BürgerInnen. Obgleich
weiterhin Unterschiede nach Klasse, Schicht oder
Milieu bestanden, wirkte diese Filmpolitik durch-
aus im Sinne einer völkischen Integration des Pu-
blikums.
20 Die Philosophen Max Horkheimer
und Theodor W.Adorno als Vertreter der Kriti-
18 
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19 
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20 
schen Theorie haben die Kontinuitäten um 1933
herausgearbeitet und dabei weniger auf den direk-
ten protofaschistischen Charakter von Medienin-
halten als vielmehr auf das grundlegende faschisti-
sche Potenzial der Unterhaltung und Reklame der
modernen Kulturindustrie in bürgerlichen Mas-
sengesellschaften hingewiesen.
21
Die intensive Verwendung des noch jungen
Mediums Hörfunk zur Reichstagswahl im März
1933 durch die NSDAP nach den ersten Radio-
wahlkämpfen 1930 und 1932 gab Anlass zu Mut-
maßungen, der Gebrauch neuerer Medien könn-
te zur Festigung der Macht der Nazis beigetragen
haben. Mit Hitlers Amtsübernahme erhielten die
Nationalsozialisten vollständigen Zugriff auf den
Rundfunk. Während das Kabinett aus Mitgliedern
von NSDAP, DNVP und Stahlhelm Parteienwer-
bung im Rundfunk verbot, gestand es sich selbst
Reden und Berichte zu. Da die NSDAP allerdings
selbst trotz offenen Terrors gegen ihre politischen
Gegner und Einschränkungen der Wahlen „nur“
43,9Prozent der Stimmen erreichte, kann auch
der Wahlkampfkommunikation lediglich einge-
schränkt Erfolg zugeschrieben werden.
Bereits die Präsidialregierung unter Franz von
Papen hatte den Hörfunk 1932 vollständig ver-
staatlicht und eine Aufsicht über die Program-
me eingeführt. Angesichts der zentralisierten und
staatlichen Organisation konnten die National-
sozialisten das Medium einfach unter ihre Kon-
trolle bringen und dem Propagandaministerium
unterstellen.
22 Mit der weiten Verbreitung güns-
tiger Empfangsgeräte („Volksempfänger“) schu-
fen sie zumindest die Voraussetzung für eine ge-
sellschaftliche Wirkung des neueren Mediums
Hörfunk. 1933 war die Reichweite jedoch noch
gering.
23 Inhaltlich war der Rundfunk von der
Machtübertragung bis zum Ende des Jahres 1933
von direkter politischer Propaganda geprägt, erst
danach rückte die Unterhaltung immer stärker
ins Programm. Bemerkenswert ist, dass das Re-
gime nicht nur die Produktion und Inhalte des
Radioprogramms kontrollierte, sondern durch
die Förderung des Gemeinschaftsempfangs auch
die Rezeption lenken wollte, um Hoheit über die
Deutung der gesendeten Inhalte zu erlangen.
24
21 
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 4/2023
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Insgesamt konnte die NS-Propaganda nur wirk-
sam sein, wenn sie sich auf Erfolge und populäre
Politik beziehen konnte. Der Terror gegen die poli-
tische Linke bei der Etablierung der diktatorischen
Macht 1933 war eine durchaus populäre Maßnah-
me, die das Regime als Erfolg darstellen konnte.
Vo r de m H in t er g ru n d de r b e sc h ri e be n en Ö f -
fentlichkeit in der Weimarer Republik konnte die
NSDAP propagandistisch erstens eine Polarisie-
rung zwischen einer marxistischen Linken und ei-
ner nationalistischen Rechten behaupten und sich
als die Kraft zur Abwehr des Kommunismus insze-
nieren. Dabei knüpfte sie an gesellschaftlich weit
verbreitete Haltungen an: Die rechte Presse der
We im ar er Re p ub li k u nd d ie NS - Pr op ag an da h at -
ten ihre Feindbilder etwa bei der Verbreitung der
antisemitischen „Dolchstoßlegende“ zum Ersten
We lt kr ie g ni ch t ne u et ab li e re n ss en . Di e Ab le h-
nung der Arbeiterbewegung und die Begründung
ihrer Bekämpfung waren seit dem Kaiserreich die
zentralen Elemente der bürgerlichen Weltanschau-
ung, zu deren Verbreitung und Verfestigung Zei-
tungen, Zeitschriften, Bücher und Flugschriften
seit dem 19.Jahrhundert beigetragen hatten. Zwei-
tens konnte sich die NSDAP angesichts tatchli-
cher und medial betonter Spaltungen als Kraft zur
Überwindung der Fragmentierungen präsentieren,
insbesondere durch die Propagierung der Idee der
„Volksgemeinschaft“ und der Inszenierung Hit-
lers als starken Führer. Drittens gelang es dem Re-
gime, aufbauend auf abstrakteren antisemitischen
Vo ru r te i le n , di e D eu t un g z u et a bl i er e n, es g ä be t a t-
sächlich eine konkrete „Judenfrage“, die gar durch
Ver ni ch tung z u se n re .
25
Mit
2627
dieser Anknüpfung an vorhandene Wert-
haltungen und die Ausnutzung von Indifferenz
und Vorurteilen konnte die Integrationspropagan-
da ohnehin virulente und akzeptierte Themen auf-
werten und instrumentalisieren. Durch die Ver-
breitung von Deutungsangeboten nahmen die
Nazis Einfluss, beispielsweise auf die interpersona-
le Anschlusskommunikation im privaten Bereich.
26
25 
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Selbst wenn unter den Bedingungen der Diktatur
nicht von einem passiven Publikum ausgegangen
werden kann, sollte die aktive Mediennutzung im
Sinne eines Lesens zwischen den Zeilen – genau wie
ein oppositionelles Schreiben zwischen den Zeilen
jedoch nicht überbewertet werden, da dafür immer
auch eine Decodierungsleistung notwendig war.
27
Zusammenfassend kann festgehalten werden,
dass den älteren wie den neueren Medien beim
Aufstieg der NSDAP und bei der Etablierung ih-
rer diktatorischen Macht eine zentrale Rolle zu-
kam. Allerdings bestand diese nicht darin, dass sie
passive RezipientInnen mit Propaganda überwäl-
tigte oder verführte, sondern dass die Nazis The-
men der politischen Öffentlichkeit in ihrem Sinne
setzen und vorhandene Einstellungen mobilisie-
ren und verstärken konnten. Potenziale und Gren-
zen der Medienwirkungen bewegten sich dabei in
Abhängigkeit von individuellen und gesellschaftli-
chen Kontextfaktoren – wie Überzeugungen und
Milieus in der Weimarer Republik oder als Erfolge
darstellbare Maßnahmen des Regimes nach 1933.
Das ältere Medium Presse blieb auch in der
Diktatur zentral für die Vermittlung politischer
Informationen und Meinungen. Die faschistische
Bewegung erlangte mit ihrer symbolischen Insze-
nierung und ihrer Brutalität in der Weimarer Öf-
fentlichkeit eine hohe Aufmerksamkeit, insbeson-
dere bei neueren Zeitungs- und Zeitschriftentypen,
die auf Skandalisierung und Sensationalisierung
setzten. Darüber hinaus konnten sich die Nazis
bei ihrem Weg an die Macht auf die weite Verbrei-
tung konservativ-nationalistischer Inhalte in Pres-
se, Film und Hörfunk stützen. Dabei wurde nur
teilweise unmittelbar für Hitler geworben, sie bo-
ten den RezipientInnen aber Deutungsmöglich-
keiten im Sinne der NSDAP und der Partei selbst
Anknüpfungsmöglichkeiten für ihre Propaganda.
Schließlich konnte Hitler die „Volksgemein-
schaft“ und den Führerstaat als Lösung zur Über-
windung der fragmentierten und polarisierten
Weimarer Gesellschaft und Öffentlichkeit insze-
nieren. Das bildete die Grundlage für die Medi-
enpolitik nach der Machtübertragung, mit der die
Nazis jegliche Opposition unterbanden, gleich-
zeitig aber mit einer Integrationspropaganda um
Zustimmung warben.
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